Das Versprechen des Diamanten (6-teilige Serie) - Rebecca Winters - E-Book

Das Versprechen des Diamanten (6-teilige Serie) E-Book

Rebecca Winters

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Beschreibung

IM TAL DER SEHNSUCHT Boyd Blanchard ist ein Mann, der die Sehnsucht in Frauenherzen weckt: Sieht er doch blendend aus und residiert wie ein König auf Brooklands, einem Herrensitz in einem malerischen Tal. Auch Leona schwärmt für den erfolgreichen Millionär, seit sie zurückdenken kann. Immer war er ihr strahlender - aber unerreichbarer Held. Doch da geschieht das Unerwartete: Boyd beginnt, sie zu umwerben. Fast scheint es, als könnten sie zueinanderfinden. Gäbe es da nicht Boyds Vater, einen herrschsüchtigen Patriarchen, dem die in seinen Augen nicht standesgemäße Leona ein Dorn im Auge ist ... EINE BRAUT FÜR DEN KRONPRINZEN Lucca Vittorio will sie zu seiner Prinzessin machen! Alexandra glaubt zu träumen, als der attraktive Kronprinz sie spontan bittet, ihn zu heiraten. Bis er ihr anvertraut: Er braucht nur so schnell eine Frau, um seinem schwerkranken Vater den letzten Wunsch zu erfüllen. Eine Scheinehe? Alexandra hat keine Wahl, denn auch für sie ist Lucca Retter in der Not. Und so begleitet sie ihn in sein Fürstentum am Mittelmeer zu seiner Familie. Ein Fehler? Schon bald muss sie erkennen: Ohne es zu wollen hat sie unrettbar ihr Herz verloren - an einen Mann, der ihr statt Liebe Diamanten schenkt … LIEBE IM DOPPELPACK Aufgebracht fährt Max zu dem kleinen Cottage, in dem seine Frau Julia wohnt. Allein - seitdem sie sich aus heiterem Himmel von ihm trennte. Er kann es einfach nicht fassen, dass Julia ihre Schwangerschaft vor ihm verheimlicht hat. Oder ist nicht er der Vater der kleinen Zwillinge? TRAUMFRAU MIT HINDERNISSEN Der erfolgreiche New Yorker Geschäftsmann Quinn Cassidy glaubt nicht an die Liebe. Bis seine beste Freundin Clare wettet, dass sie mit ihrer Dating Agentur auch für ihn die Traumfrau findet. Und nicht nur Quinn eine Überraschung erlebt … BLIND DATE AM VALENTINSTAG Als die hübsche Cari entdeckt, dass Max gar nicht ihr Blind Date für den Valentinstag ist, ist es bereits zu spät: Sie hat sich auf den ersten Blick in den gut aussehenden Geschäftsmann verliebt. Doch auch er hält sie für jemand anderes - seine zukünftige Frau! SUSANNAH UND DER MILLIARDÄR "Ich bin Kane. Nur Kane!" Verliebt genießt Susannah die geflüsterten Worte des geheimnisvollen Unbekannten und seine zärtlichen Küsse - ohne zu ahnen, dass sie gerade ihr Herz an einen New Yorker Milliardär verliert, der ihr noch viel mehr als nur seinen Reichtum verheimlicht …

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Seitenzahl: 1120

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Margaret Way, Rebecca Winters, Caroline Anderson, Trish Wylie, Raye Morgan, Shirley Jump

Das Versprechen des Diamanten (6-teilige Serie)

Margaret Way

Im Tal der Sehnsucht

IMPRESSUM

ROMANA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Redaktion und Verlag: Brieffach 8500, 20350 Hamburg Telefon: 040/347-25852 Fax: 040/347-25991
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Cheflektorat:Ilse BröhlProduktion:Christel Borges, Bettina SchultGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)Vertrieb:asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-27013

© 2008 by Margaret Way. Pty., Ltd. Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANABand 1808 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Johannes Martin

Coverabbildung: GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-097-3

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

1. KAPITEL

„Du weißt genau, dass ich nicht erwünscht bin, Schwesterherz. Sie laden mich nur aus Verpflichtung ein.“

Robbie hatte es sich mal wieder auf Leonas neuem Sofa gemütlich gemacht. Sein Kopf ruhte auf einem seidenen Kissen, die langen Beine ließ er lässig über die Armlehne baumeln.

Es war das alte Thema zwischen ihr und ihrem Stiefbruder, und sie musste wie immer vermitteln. „Das ist nicht wahr, Robbie“, widersprach sie fast automatisch, obwohl er der Wahrheit leider sehr nahe kam. „Du bist nett und für jede Party ein Gewinn. Außerdem gehörst du zu Boyds Poloteam, was immerhin einiges bedeutet, und du spielst sehr gut Tennis. Als Doppel sind wir beide unschlagbar. Wir besiegen sie alle.“

Sie alle – das waren die näheren und entfernteren Blanchard-Verwandten, von denen viele die Hausparty besuchen würden.

„Nur Boyd nicht“, stellte Robbie fest. „Über den kann man sich nur wundern. Führender Geschäftsmann mit ungewöhnlicher Intelligenz, Superathlet und notorischer Herzensbrecher … Was soll ein Mann sich sonst noch wünschen? Man könnte ihn als neuen James Bond einsetzen.“

„Vergiss Boyd!“ Leona warf ein Kissen nach Robbie. „Daniel Craig ist mir lieber.“ Wie gewöhnlich verbarg sie ihre Gefühle für Boyd, die tief in ihrem Herzen schlummerten. „Allerdings muss ich zugeben, dass er ziemlich perfekt ist.“

Robbie fing das Kissen geschickt auf und lachte. „Du liebst ihn nicht zufällig?“, fragte er mit einem herausfordernden Blick. Er war ein Meister der Intuition und hatte Leona schon oft überführt.

„Das würde einen Aufstand geben, nicht wahr?“ Sie hoffte, dass ihr heller Teint sich nicht zu verräterisch rot färbte. „Er ist mein Cousin zweiten Grades.“

„Nur um mehrere Ecken herum“, erinnerte Robbie sie. „Die Todesfälle, Scheidungen und Wiederverheiratungen bei den Blanchards sind nicht mehr zu zählen.“

Damit hatte er recht. Es fehlte in ihrer Familie nicht an glanzvollen Höhepunkten und echten Tragödien. Leona und Boyd hatten zum Beispiel beide die Mutter verloren – sie mit acht Jahren und er mit Mitte zwanzig. Bis dahin war seine Mutter, die schöne Alexa, Leonas Nenntante gewesen. Boyds Vater Rupert, Chef des Blanchard-Imperiums, hatte zwei Jahre später wieder geheiratet – keine nette, feinfühlige Frau in seinem Alter, wie die Familie gehofft hatte, sondern Virginia, eine geschiedene Society-Lady, die Tochter eines alten Freundes, der bei Blanchard im Vorstand saß. Sie war nur wenig älter als Boyd, Ruperts einziger Sohn und Erbe des Familienunternehmens.

Die Familie hatte mit Bestürzung auf die so schnell erfolgte neue Verbindung reagiert. Man rechnete damit, dass die Ehe mit einem heftigen Krach und einer gigantischen Abfindung enden würde, aber niemand sprach darüber – mit Ausnahme von Geraldine, Ruperts älterer unverheirateter Schwester. Sie konnte es sich erlauben, offen zu sein, jedoch ohne damit etwas zu ändern. Rupert hatte Virginia, die bei allen nur „Jinty“ hieß, ohne jede Rücksicht auf andere geheiratet. Er schrieb seine eigenen Gesetze, wie Jinty inzwischen auch.

„Übrigens sprechen wir nicht über Boyd, sondern über dich“, fuhr Leona fort. „Ich verstehe wirklich nicht, warum du dich fortwährend so kleinmachst.“

„Oh doch, das verstehst du“, seufzte Robbie. „Es fehlt mir an Selbstbewusstsein.“ Plötzlich war er wieder der unglückliche, rebellische sechsjährige Junge, den Leona vor vierzehn Jahren kennengelernt hatte. „Ich weiß einfach nicht, wer ich bin. Carlo, mein Vater, wollte nichts von mir wissen. Er hat sich nie um mich gekümmert. Dein Dad, mein Stiefvater, ist ein guter Mensch, ein Gentleman der alten Schule, kann aber auch nichts mit mir anfangen. Er hofft nur, dass ich nicht weiter abrutsche. Meine teure Mutter hat mich nie geliebt … keine Frage, warum nicht. Sie hat keinen Grund, stolz auf mich zu sein, und meine Ähnlichkeit mit Carlo erinnert sie ständig an ihre gescheiterte Ehe. Und ich bin kein Blanchard, auch nicht nach all den Jahren.“ Bitterkeit sprach aus den dunkel glänzenden Augen. „Ich bin ein Fremdkörper in eurer Mitte … der seelisch verkümmerte Adoptivsohn.“

Darauf wollte Leona sich nicht einlassen. „Bitte, Robbie, nicht schon wieder!“, stöhnte sie und ließ sich in einen Sessel fallen. Die ständige Sorge um Robbie und sein Wohlergehen belasteten sie sehr. „Musst du dich unbedingt so auf mein neues Sofa fläzen?“ Im Grunde störte es sie nicht, denn er war immer sehr gepflegt und gut gekleidet. Er duldete kein Stäubchen an sich und wusste trotz aller Klagen, wo sein Vorteil lag.

„Wie könnte ich anders?“, fragte er, ohne sich zu rühren. „Es ist so unglaublich bequem. Du hast wirklich Geschmack und bist überhaupt ein tolles Mädchen. Dein weiches Herz wird nur noch von deiner Schönheit übertroffen. Gott weiß, wie ich es ohne dich in dieser Familie ausgehalten hätte. Du bist meine große Schwester, meine Vertraute und mein guter Geist. Du allein bist nicht der Ansicht, dass einmal ein zweiter Carlo aus mir wird.“

„Das denkt keiner“, widersprach Leona entschieden.

„Oh doch“, beharrte er. „Sie warten nur darauf, dass ich den Beweis antrete. Wenn es nach der Familie ginge, könnte ich jederzeit unter einem Bus enden.“

„So darfst du nicht denken. Allerdings ist deine Spielsucht ein echtes Problem“, erinnerte sie ihn. „Du musst sie in den Griff bekommen.“

Sie brachte es nicht über sich, auch die Drogen zu erwähnen – nicht so kurz nach ihrer letzten Auseinandersetzung. Robbie trieb sich mit reichen Nichtstuern herum, die nur Spaß haben wollten, was Arbeit ausschloss. Wie viele seiner Altersgenossen hatte er mit Haschisch experimentiert, weiter war er ihrer Ansicht nach nicht gegangen – jedenfalls noch nicht. Wie sie selbst, trug er die Bürde des Namens Blanchard, der für hohes Ansehen, Macht und Reichtum stand, aber ebenso enormen Druck und Versuchungen mit sich brachte. Doch im Gegensatz zu ihr war Robbie nicht mit einem starken Charakter gewappnet.

Der einzige Mensch, dem er sich mitteilen konnte, war seine „große Schwester“. Die Worte „Stiefbruder“ und „Stiefschwester“ hatten sie schon vor Jahren aus ihrem Vokabular gestrichen. Es spielte keine Rolle, dass sie nicht blutsverwandt waren. Leonas Vater hatte Robbie gleich nach der Hochzeit mit dessen Mutter Delia adoptiert. Leute, die darüber nicht Bescheid wussten, äußerten häufig ihr Befremden über Leonas und Robbies mangelnde Ähnlichkeit. Robbie – eigentlich Roberto Giancarlo D’Angelo – glich seinem italienischen Vater, während Leona prachtvolles rotblondes Haar und eine zarte, fast durchscheinend wirkende Haut besaß.

Damit entsprach sie nicht Boyds persönlichem Geschmack. Er schätzte schicke, elegante Brünette mit überlangen Beinen und weiblichen Kurven, mit denen Leona so wenig aufwarten konnte wie ihr Bügelbrett.

Denk nicht an Boyd.

Ja, das war eine sinnvolle Mahnung. Es wäre besser, sich daran zu halten. Schon in Boyds Nähe zu sein bedeutete Gefahr.

„Ich gelobe Besserung“, unterbrach Robbie ihre unliebsamen Gedanken. „Wird in der Familie wieder über mich geredet? ‚Was macht denn eigentlich der gute Robbie?‘“ Die letzten Worte sprach er im Ton einer neugierigen und klatschsüchtigen Verwandten.

Es war tatsächlich viel über ihn geredet worden. Die ältere Generation war schockiert gewesen, und Delia hatte über die Verfehlungen ihres Sohns Krokodilstränen vergossen.

„Du darfst Boyd nicht vergessen“, warf Leona ein. „Ihm entgeht nichts. Er hat seine Augen und Ohren überall.“

„Und er hat Spione.“ Robbie lachte laut, als wäre das alles komisch und nicht bitterernst. Er tarnte sich mit Zynismus und scharfer Rhetorik, wenn sein Neid auf Boyd überhandnahm. „Warum auch nicht, wo aus Generationen von Multimillionären endlich Milliardäre geworden sind?“ Er ließ einen Arm über die Sofalehne hängen. „Das wäre der richtige Mann für dich.“

Sie verzog die Lippen. „Ich weiß nicht …“

„Tu bloß nicht so.“ Er grinste und richtete sich schwungvoll auf. Seine mühelosen, geschmeidigen Bewegungen verrieten den Turnchampion der Universität. „Vielleicht ist er ausersehen, dich zu erwecken.“

„Niemals!“, protestierte Leona ungewöhnlich heftig.

Robbie ließ sich nicht beirren. „Du tarnst dich meisterhaft, nur vergisst du dabei, wie gut ich dich kenne. Du bewunderst Boyd wie alle anderen … mich alten Esel eingeschlossen. Er hält mir ab und zu eine Strafpredigt, aber ich weiß, dass er es gut meint. Ich kann mich nun mal nicht mit ihm messen. Er ist der geborene Sieger, während man bei mir nur auf den endgültigen Zusammenbruch wartet. Kein Wunder, dass die Familie Boyd wie einen Helden verehrt. Er ist der begehrteste Junggeselle im ganzen Land. Alle Frauen schwärmen für ihn, dabei ist er noch nicht dreißig …“

„Ist er doch, seit einem Monat“, unterbrach Leona die Lobeshymne auf den Blanchard-Erben. Seine Tugenden so lückenlos aufgezählt zu bekommen war unerträglich.

„Ach ja? Dann war ich wohl zu seiner Geburtstagsparty nicht eingeladen.“

„Es gab keine Party. Boyd hatte viel zu viel zu tun.“

„Das mag sein.“ Bei aller Kritik war Robbie nie ungerecht. „Arbeit ist sein Leben, aber was hat er auch erreicht! Er könnte Rupert jeden Tag ablösen. Er und Jinty – nicht gerade mein weibliches Ideal, wie ich schon tausendmal betont habe – sind die Einzigen in der Familie, die den alten Rupert nicht fürchten. Nein, das stimmt nicht ganz.“ Er wurde nachdenklich. „Geraldine hat keine Angst vor ihm, und dich hat er geradezu in sein Herz geschlossen. Mich verachtet er nur.“

„Unsinn.“ Leona schüttelte den Kopf, obwohl sie Ruperts negative Meinung über Robbie kannte. „Er will dich in die Firma übernehmen, sobald du dein Studium abgeschlossen hast.“

Das sollte kein falscher Trost sein, denn Robbie war nicht dumm. Und ihm war klar, das wusste Leona, dass Rupert sie seit ihrer Kinderzeit besonders schätzte. So rau er auch mit anderen Menschen umging, ihr gegenüber hatte er sich immer gütig gezeigt – besonders seit dem tödlichen Reitunfall ihrer Mutter, der legendär schönen Serena.

Schon damals hatte der sechs Jahre ältere Boyd – gut aussehend, klug und schon mit vierzehn einen Meter achtzig groß – sie unter seine Fittiche genommen. Bei Festen und anderen Familientreffen war er ihr Ritter gewesen, und sie hatte ihn als solchen verehrt. Doch mit der Verehrung war es längst vorbei. Inzwischen beschäftigte er sie so nachhaltig, dass sie ihm kaum in die Augen sehen konnte. Er reizte und erregte sie. Es war eine Qual, ihm nah zu sein, aber sie konnte nicht von ihm lassen.

Ihr ganzes Wesen geriet durcheinander, wenn es um Boyd ging. Er machte sie unsicher und jagte ihr Angst ein. Mit einem einzigen Blick konnte er verletzen und gleichzeitig heilen. Wie durchdringend und wie schön diese herrlichen blauen Augen waren! Sie erschreckten sie, doch manchmal drückten sie auch heimliche Anerkennung aus. Dann fühlte sie sich attraktiv, äußerlich und innerlich. Bei anderen Gelegenheiten kränkte Boyd sie wiederum mit kühlen oder scharfen Bemerkungen. Das genügte ihr, um sich klarzumachen, wie wenig eine dauerhafte Verbindung zwischen ihnen beiden infrage kam.

„Ob sie mich eingeladen haben, um mich besser kontrollieren zu können?“, überlegte Robbie laut.

Leona schob ihre Grübeleien beiseite und lächelte. „Wir stehen alle unter ständiger Beobachtung.“

„Als verkehrten wir bei Hofe“, bemerkte er bissig. „Dich halten sie wenigstens für die kluge, begabte junge Frau, die du bist. Deine natürliche Schönheit hilft dir dabei, und du hast die wunderbare Gabe, mit allen Menschen gleich gut auszukommen.“

„Nur nicht mit Boyd.“ Das hatte sie eigentlich nicht sagen wollen, aber Robbie quittierte das Geständnis mit einem gutmütigen Lachen.

„Den Grund dafür kann ich mir denken. Warum reibt ihr euch ständig aneinander? Ist das verabredet? Macht ihr anderen etwas vor?“

„Das wäre zu verrückt.“ Sie sagte das so betont leichthin, als sei jeder Gedanke an eine heimliche Liebe zwischen Boyd und ihr geradezu lächerlich. „Wir reizen uns gegenseitig … das ist alles.“

Andere Erklärungen waren nicht von ihr zu bekommen. Leona war geübt darin, keine weiteren zuzulassen, obwohl sie ständig in ihrem Bewusstsein lauerten.

„Ich finde, ihr passt ausgezeichnet zusammen“, fuhr Robbie fort, als würde er ernsthaft über die Sache nachdenken. „Boyd braucht eine Frau mit flammend rotem Haar. Du würdest ihm unbedingt gewachsen sein. Nun … ich sollte lieber gehen.“

„Hoffentlich nicht zum Pferderennen.“ Leona stand auf.

Trotz seines südländischen Teints wurde Robbie rot. „Kein Grund zur Aufregung, Schwesterchen“, versuchte er sie zu beschwichtigen. „Deborah und ich treffen uns mit Roy Barrington und seiner Clique … nur für einen vergnügten Nachmittag, damit die Mädchen sich schick machen können. Warum kommst du nicht mit? Ruperts Zweijähriger muss einfach gewinnen. Soll ich ein paar Dollar für dich setzen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nie die leiseste Versuchung verspürt zu wetten oder zu spielen“, sagte sie ernst. „Jedenfalls nicht um Geld. Ich lasse meinen Verstand arbeiten. Mit Geld wieder Geld zu machen, das ist etwas für Leute wie Rupert.“ Sie küsste ihren Bruder zärtlich auf die Wange, er war kaum größer als sie. „Du solltest dich mit dem begnügen, was du hast.“

Robbie erhielt regelmäßige finanzielle Zuwendungen von ihrem Vater, aber er konnte nicht damit wirtschaften und musste sich oft Geld von ihr borgen. Natürlich versprach er immer, es zurückzugeben. Manchmal tat er das, meistens allerdings nicht.

Leona begleitete ihn zur Wohnungstür. Die Familie hatte ihr das Apartment zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt – als Zeichen der Anerkennung für ihr tadelloses Benehmen, das dem Namen Blanchard zur Ehre gereichte. Von ihrem Wohnzimmer aus konnte man einen fantastischen Blick auf den Hafen von Sydney genießen. Sie selbst hätte sich eine so luxuriöse Wohnung niemals leisten können, trotz ihrer kürzlich erfolgten Beförderung zu Beatrice Caldwells persönlicher Assistentin, mit der eine erhebliche Gehaltserhöhung einherging. Beatrice war ein leuchtender Stern am Modehimmel und leitende Direktorin von Blanchard-Fashion.

„Sie verdienen die Beförderung, mein Kind“, hatte Beatrice gesagt. „Sie haben wie ich den richtigen Blick.“ Aus dem Mund der selbstherrlichen und selten zufriedenen Chefin war das ein hohes Lob.

„Du kommst also zu der Party, Robbie?“ Leona wollte unbedingt sichergehen. „Man erwartet eine Antwort von dir.“ Gutes Benehmen zählte bei den Blanchards zu den höchsten Tugenden.

„Naturalmente!“ Es klang, als ahmte er seinen italienischen Vater nach. „Aber nur deinetwegen. Das kannst du mir glauben.“

„Mach keine unnötigen Schwierigkeiten.“ Sie umarmte ihn auf ihre schwesterliche Weise, in der etwas Beschützendes lag.

„Vielleicht wäre ich umgänglicher, wenn Carlo mich nicht verlassen hätte“, sagte Robbie. „Aber er konnte nicht schnell genug nach Italien zurückkehren, um wieder zu heiraten und noch mehr Kinder zu bekommen.“

„Hoffentlich ist er ihnen ein besserer Vater als dir.“

Ihre Stimme klang hart. War es ein Wunder, dass sie so starkes Mitgefühl mit ihm hatte? Sie wusste nur allzu gut, wie leer er sich innerlich fühlte. Delia schien nichts für ihren einzigen Sohn zu empfinden, so unglaublich das auch war. Vielleicht hätte er blond und blauäugig sein müssen wie sie selbst, doch mit dem dunklen Haar und den feurigen Augen erinnerte er sie immer nur an Carlo D’Angelo. Der hatte während all der Jahre keinen Versuch unternommen, Kontakt mit seinem ältesten Sohn aufzunehmen – geschweige denn, ihn einzuladen, damit er seine Halbgeschwister kennenlernen konnte.

„Er ist der eigentliche Verlierer“, versuchte Leona ihren Bruder zu trösten. „Du musst an dich selbst glauben … wie ich.“ Sie legte eine Hand auf seinen Arm und fühlte eine innere Spannung, die Robbie offenbar vor ihr verbergen wollte. „Ist alles in Ordnung? Du verschweigst mir doch nichts?“

„Alles in bester Ordnung.“ Er lachte kurz auf. „Dann sehen wir uns also am nächsten Wochenende auf Brooklands.“

Leona lächelte. „Vergiss deinen Tennisschläger nicht. Wir werden sie besiegen – wie immer!“

„Es macht Spaß, die anderen zu schlagen, nicht wahr?“

„Großen Spaß.“

Wenn doch alles andere genauso viel Spaß machen würde, dachte Robbie unglücklich, während er zum Lift trottete. Die Angst schnürte ihm mehr und mehr die Kehle zu. Leona war ein Schatz. Er liebte sie aufrichtig, wie keinen anderen Menschen auf der Welt, aber er hatte es nicht über sich gebracht, sie noch einmal um Geld zu bitten. Viel zu viel hatte er sich schon von ihr geliehen und noch lange nicht alles zurückgezahlt. Dabei brauchte er dringend mehr Geld. Die Leute, mit denen er sich eingelassen hatte, setzten ihn zunehmend unter Druck. Das waren Strolche, die sich ungeschoren in den höchsten Gesellschaftskreisen bewegten. Nicht auszudenken, was ihn erwartete, wenn er sie nicht zufriedenstellen oder zumindest hinhalten konnte.

Robbie hatte das beklemmende Gefühl, dass seine selbst gestellte Falle bald zuschnappen würde. Leona hatte recht. Er war im Begriff, sich durch seine Spielsucht – noch ein schlechtes Erbteil seines Vaters – zu ruinieren. Aber Blazeaway, Ruperts vielversprechendes zweijähriges Rennpferd, musste heute Nachmittag einfach gewinnen. Er würde die letzten Scheine, die er noch in der Tasche hatte, auf ihn setzen.

Mit dieser vermeintlichen Aussicht auf einen Gewinn verdrängte Robbie seine Sorgen und begann, heiter vor sich hin zu pfeifen, um bei Laune zu bleiben.

2. KAPITEL

Am folgenden Samstag beschloss Leona, die übrigen Familienmitglieder vorausfahren zu lassen, bevor sie selbst nach Brooklands, dem berühmten Landsitz der Blanchards, aufbrach. Einerseits konnte sie es kaum erwarten, das Haus und die prächtigen Gartenanlagen wiederzusehen. Andererseits versetzte sie die Aussicht auf eine Begegnung mit Boyd seelisch und körperlich in Unruhe.

Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. In Wirklichkeit waren es nur gut vier Wochen, die er geschäftlich im Ausland verbracht hatte. Rupert war jetzt über sechzig und konnte es sich mit einem so brillanten Nachfolger leisten, mehr Zeit auf Brooklands zu verbringen. Das bedeutete für Boyd einen gewaltigen Machtzuwachs, jedoch auch mehr Verantwortung, was für ihn nicht leicht war.

Allerdings war er ein Mann, der mit der Macht umzugehen wusste. Die Rolle war ihm auf den Leib geschrieben. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass er nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten oder eine so verantwortungsvolle Aufgabe von sich weisen würde. Das war nicht seine Art. Mit dem von seinem Großvater geerbten Vermögen hätte er sich jederzeit selbstständig machen und sein Leben genießen können, aber der Wille und die Begabung zur Leitung eines solchen Geschäftsimperiums hatten sich schon früh bei ihm gezeigt. Zur großen Erleichterung der Familie lag sein ganzer Ehrgeiz darin, die Erfolgsgeschichte der Blanchards fortzusetzen.

Alles, was Boyd anpackt, verrät seine Begabung und Entschlusskraft, dachte Leona, während sie ihre Aufmerksamkeit weiter auf die Straße richtete. Er war mehr als Ruperts würdiger Nachfolger, er übertraf ihn noch bei Weitem. Dabei half ihm der Schliff, den er von seiner Mutter Alexa bekommen hatte. Gerade dreißig geworden, befand er sich auf dem Gipfel seiner Karriere und stellte alles, was vor ihm geleistet worden war, in den Schatten. Man liebte, schätzte und respektierte ihn, während sein Vater eher gefürchtet wurde.

Es wunderte Leona immer wieder, dass ausgerechnet der tyrannische Rupert eine so große Zuneigung zu ihr empfand. Bei der Beerdigung ihrer Mutter war er fast zusammengebrochen, während er die Beisetzung seiner eigenen Frau später mit unbewegter Miene verfolgt hatte. Auch die sonst so beherrschte Alexa, eine enge Freundin ihrer Mutter, war in Tränen aufgelöst gewesen. Leona, damals ein trauriges, verstörtes Kind, konnte sich noch gut daran erinnern.

Serena Blanchard, eine ausgezeichnete Reiterin, war beim Sprung über eine alte Mauer am oberen Ende des Brookland-Sees unglücklich gestürzt und dabei ums Leben gekommen. Sie hatte die Mauer häufig problemlos übersprungen, aber dieses eine Mal war es schiefgegangen. Später fand man heraus, dass sich das Pferd mit einem Huf in einer Efeuranke verfangen hatte, die die Mauer überwucherte.

Sechzehn Jahre ist sie nun schon tot, dachte Leona traurig. Sechzehn Jahre lebte sie bereits ohne Mutter. Sie erinnerte sich noch, dass Serena sich damals zu ihr hinuntergebeugt und sie geküsst hatte, bevor sie aufgebrochen war.

„Ich bleibe nicht lange fort, mein Liebling. Wenn ich zurück bin, gehen wir alle zusammen schwimmen.“

Sie hatte nicht wissen können, dass sie nicht zurückkommen würde – zumindest nicht lebend.

Serenas Tod hatte die ganze Familie getroffen. Sie war so tief betrauert worden, dass für ihre Nachfolgerin Delia, Paul Blanchards zweite Frau, kaum Liebe übrig geblieben war. Wer hätte Serena auch ersetzen können? Am wenigsten Delia, die den trauernden Paul überrumpelt und ihm ihren kleinen Sohn aufgehalst hatte. Bin ich deshalb bei den Blanchards so beliebt?, fragte sich Leona. Sie gehörte nicht zum Hauptzweig der Familie, aber sie war das Ebenbild ihrer Mutter und genoss wohl deshalb besondere Gunst.

Die hohen schmiedeeisernen Torflügel zu Beginn der über eine Meile langen Auffahrt zum Herrenhaus standen offen. Prächtige Bäume von gewaltiger Höhe säumten sie an beiden Seiten und stießen in ihren Kronen mit den äußeren Zweigen so dicht zusammen, dass sie einen geheimnisvollen goldgrünen Tunnel bildeten.

Minuten später fuhr Leona aus dem Tunnel heraus über die gewölbte Steinbrücke, die den grün schimmernden See überspannte. Er wurde von einem unterirdischen Fluss gespeist, war stellenweise sehr tief und erstreckte sich über mehr als einen Hektar. Hier und dort ragten kleine Inseln aus dem Wasser, auf denen Wildenten und andere Wasservögel nisteten. Gerade glitt eine Schar schwarzer Schwäne unter der Brücke hindurch. Die ruhige, glasklare Wasserfläche, getupft von silbernen Funken, war am Ufer dicht mit weißen Lilien bewachsen, zwischen die sich violette japanische Iris mischten.

Oberhalb des Sees stand das Haus. Es war im Stil eines englischen Herrenhauses erbaut und immer wieder erweitert worden, sodass es inzwischen fast wie ein Schloss wirkte. Eine riesige Rasenfläche mit üppig bepflanzten Beeten dehnte sich vor dem Haus aus.

Als Kind hatte Leona einmal die Zimmer gezählt – es waren zweiunddreißig, einschließlich des großen Ballsaals, wo im Lauf der Jahre viele Familienfeste und Wohltätigkeitsveranstaltungen stattgefunden hatten. Alexa hatte die jährliche Gartenparty zu einem gesellschaftlichen Ereignis ersten Ranges gemacht, worin Jinty ihr leider nicht nacheiferte. Die Gärten von Brooklands waren ideal dafür.

Mit Alexa kann sich niemand messen, welche Tragödie, dass sie so jung gestorben ist!, dachte Leona. Sie fragte sich immer noch, ob Alexa in ihrer Ehe glücklich gewesen war. Natürlich war dieses heikle Thema nie berührt worden, und in der Öffentlichkeit hatten Rupert und Alexa das perfekte Paar gespielt. Leona musste erst erwachsen werden, um die Fremdheit zu spüren, die zwischen beiden herrschte. Im Grunde waren sie getrennte Wege gegangen. Alexa hatte sich um ihren geliebten Sohn gekümmert und ihre beachtliche Energie für die Haushaltsführung und die vielen wohltätigen Einrichtungen eingesetzt, die ihr am Herzen lagen.

Wenn eine solche Frau nach der Heirat nicht glücklich wurde, konnte man, so fand Leona, alle romantischen Gefühle vergessen. Die Ehe war eben doch ein großes Risiko.

Wasser spielte auf Brooklands eine große Rolle. Die zahlreichen Bäche, die sich mitunter zu kleinen Flüssen erweiterten, hatten ihm sogar seinen Namen gegeben: Brooklands – Land der Bäche.

Rechts der Auffahrt lagen in einiger Entfernung die drei Poloplätze, die ein enormes Terrain einnahmen, wenn man bedachte, dass jeder Platz die Größe von zehn Fußballfeldern umfasste. Zwischen den Plätzen waren einheimische und exotische Bäume gepflanzt worden, die ineinanderwuchsen und kühlen Schatten spendeten. Die eigentlichen Gartenanlagen hatte ein berühmter Landschaftsarchitekt entworfen, den Boyds Urgroßeltern engagiert hatten. Rupert ließ später die Poloplätze anlegen, um seinen Lieblingssport auf eigenem Grund und Boden ausüben zu können.

Er war seinerzeit ein ausgezeichneter Polospieler gewesen, überließ es inzwischen aber seinem Sohn, diese Tradition fortzusetzen. Boyd empfand den gefährlichen, temporeichen Sport als echte Entspannung.

Für Sonntagnachmittag war ein Spiel mit einer befreundeten Mannschaft geplant. Obwohl Boyd zu den besten Spielern zählte, zitterte Leona regelmäßig bei dem Gedanken, ihm könnte etwas zustoßen. Polo war ein schnelles, hartes Spiel, aber auch eine Augenweide für die Zuschauer – vor allem, wenn sie Pferdeliebhaber waren.

Der bloße Gedanke an Boyd genügte, um Leona in Aufregung zu versetzen. Ihr Herz begann schneller zu klopfen. Warum fiel es ihr so schwer, ihre Teenagergefühle für ihn zu überwinden? Sie würde sich noch das Wochenende verderben!

Boyd. Schon der Name hatte es ihr angetan, obwohl sie das nicht wollte. Es war nicht richtig, und sie erschrak vor der Stärke ihrer eigenen Gefühle. Ob jemand ahnte, wie schwer es ihr fiel, sich in Boyds Nähe normal zu benehmen? Vielleicht Robbie mit seinem ungewöhnlichen Einfühlungsvermögen.

Sie war jetzt vierundzwanzig. Wurde es da nicht höchste Zeit, mit der Schwärmerei für Boyd aufzuhören und sich anderen Männern zuzuwenden? Bewerber gab es einige. Der Name Blanchard erhöhte ihre Chancen, obwohl sie keine reiche Erbin war. Sie gehörte zu den Arbeitsbienen, und es quälte sie mehr und mehr, unter einer Art Bann zu stehen, der sich durchaus mit Robbies unseliger Spielleidenschaft vergleichen ließ.

Ob Boyd noch mit Ally McNair ausgeht?, überlegte Leona. Ally war hübsch und immer gut aufgelegt. Vor ihr hatte es Zoe Renshaw gegeben, vor Zoe Jemma Stirling und davor Holly Campbell. Leona hatte sie nicht gemocht, denn Holly war ein übler Snob. Und dann war da noch Chloe Compton, die ein Vermögen erben würde und daher Ruperts Favoritin war.

Sie war in der Familie allgemein beliebt – auch bei Leona. Rupert hatte sich förmlich überschlagen, um Chloe zu ermutigen, denn Boyd wurde von hübschen Mädchen regelrecht verfolgt. Einige, wie Ally oder Chloe, gehörten nach einer Weile zum festen Stamm, aber Boyd hatte keine Eile, sich festzulegen. Er war, um es mit Robbies Worten zu sagen, ein Workaholic. Leona hätte es weniger drastisch ausgedrückt, denn sie arbeitete selbst hart.

Bea hatte sie nicht etwa befördert, weil sie zur Blanchard-Familie gehörte, sondern weil sie gut war. Obwohl die meisten Kenner der einheimischen Modebranche ihr Leben für den Job gegeben hätten, hielt man Beatrice Caldwell bei Blanchard-Fashion für unerträglich schwierig. Manchmal gab sie sich kälter als ein Eisberg, im Großen und Ganzen kam Leona allerdings gut mit ihr aus und bewunderte sie aufrichtig. Bea besaß enormen Einfluss in der Modewelt und hörte nur auf sich selbst. Insgeheim hoffte Leona, dass sie irgendwann weit genug sein würde, um Bea abzulösen.

Jinty machte eine große Szene aus der Begrüßung. „Wie reizend, dich wieder bei uns zu haben“, flötete sie, nachdem sie Leona heuchlerisch umarmt und auf die Wangen geküsst hatte. „Und wie immer bist du perfekt angezogen.“ Sie musterte sie von oben bis unten. „Du weißt eben, worum es bei der Mode geht, und dann deine Figur … Was würde ich dafür tun, so schlank zu sein.“

„Du könntest den Champagner aufgeben.“ Leona lächelte spöttisch, denn sie wusste, dass Jintys Sympathie nicht echt war. Alles war Täuschung bei der attraktiven, vollbusigen Jinty – auch ihre Zuneigung zu ihrem Mann.

Sekunden später wurde Leona wie ein lästiges Insekt davongescheucht, denn Jinty wandte sich mit leuchtenden Augen zur Tür. Der Erwartete konnte nur Boyd sein. Boyd ist interessanter, als ich es jemals sein werde, dachte Leona. Boyd – der Superstar der Familie. Er musste Sydney kurz nach ihr verlassen haben.

Als würde sie von einer unsichtbaren Hand geschoben, lief sie die geschwungene Freitreppe zum ersten Stock hinauf. Sie war noch nicht bereit, ihm zu begegnen. Vielleicht würde sie es nie sein.

Man hatte ihr dasselbe Zimmer gegeben, das sie immer bewohnte. Es hatte Zugang zu einem eigenen Badezimmer und einem kleinen Salon und war eher eine Suite. Früher hatte sie sich hier wohlgefühlt, bis Jinty als neue Hausherrin auf den Einfall gekommen war, alles nach ihrem eigenen Geschmack zu verändern. In den unteren Räumen hatte Rupert ihrer Renoviersucht Einhalt geboten, aber im ersten Stock hatte er ihr freie Hand gelassen.

Jinty war wie eine Besessene ans Werk gegangen. Nach Ansicht der Familie hatte sie ein Chaos angerichtet, das sich dank unbegrenzter finanzieller Mittel immer weiter ausbreitete. Am Ende war von der früheren Eleganz und ländlichen Gemütlichkeit wenig übrig geblieben. Jetzt war alles übertrieben pompös. Auch Leonas ehemals geräumiges, helles Schlafzimmer zeugte von Jintys Vorliebe für barocke Pracht. Vergoldete Stuckaturen, vergoldete Möbel, goldgerahmte Bilder, Damast- und Seidenstoffe – Leona hätte sich nicht gewundert, eines Tages in dem runden Goldspiegel das Gesicht der Königin Marie Antoinette zu erblicken. Was an Stil verloren gegangen war, hatte man durch Überfluss ersetzt. Geld spielte keine Rolle, und Jinty hatte keine Hemmungen, es großzügig auszugeben.

Ein leises Klopfen an der Tür ließ Leona aufhorchen. Auf ihr „herein“ trat Eddie ein, der langjährige Hausdiener, ein großer, freundlicher Mann mit Händen wie Pranken und dichtem roten Haar, das inzwischen von weißen Strähnen durchzogen war. Er brachte ihre Koffer und ihre kleine Reisetasche.

„Wo soll ich das Gepäck hinstellen, Miss?“, erkundigte er sich.

„Neben das Bett, Eddie … vielen Dank. Geht es Ihnen gut?“

„Ich kann nicht klagen, Miss … abgesehen von meinem Ischias, der mich regelmäßig plagt. Immerhin gehe ich auf die sechzig zu.“ Eddie stellte das Gepäck ab und sah sich dann mit der ratlosen Verwunderung um, die Jintys innenarchitektonische Bemühungen bei den meisten Betrachtern auslösten.

„Tatsächlich? Ich hätte auf gerade fünfzig getippt“, antwortete Leona, ohne damit zu übertreiben. „Habe ich eben Boyd ankommen hören?“

„Allerdings, und er wurde sehnsüchtig von seiner Stiefmutter erwartet.“ Wie immer vertraute Eddie auf Leonas Diskretion, was in diesem Fall überflüssig war. Jintys Vorliebe für Boyd war längst kein Geheimnis mehr. „Mrs. Blanchards Schwester Tonya ist ebenfalls hier.“

„Oh nein!“ Leona sah Eddie bestürzt an. „Nicht Tonya!“

„Jemand muss es für eine gute Idee gehalten haben, sie einzuladen“, bestätigte Eddie mit schiefem Lächeln. Tonya war ein anspruchsvoller und wenig beliebter Gast auf Brooklands.

Boyds Idee kann es nicht gewesen sein, überlegte Leona. Sie hatte einmal gelauscht, als er nach einer missglückten Dinnerparty, für die er Tonyas unerhörte Taktlosigkeit verantwortlich machte, seinem Vater mitgeteilt hatte, dass er Tonya nicht mehr auf Brooklands zu sehen wünsche.

Tonyas gemeine Art, Gerüchte zu streuen und falsche Informationen zu verbreiten, sorgte stets für Missstimmung. Als Jintys Schwester räumte sie sich selbst das Recht ein, wie die Hausherrin aufzutreten und das Personal herumzuscheuchen. Abgesehen davon, machte sie keinen Hehl aus ihrer Zuneigung zu Boyd. Sie bildete sich ein, ihn für sich gewinnen zu können – eine Illusion, in der sie von niemandem bestärkt wurde. Selbst Jinty fand sie so unerträglich wie alle anderen.

Wer hatte Tonya dann eingeladen? Leona erschrak, als ihr Rupert einfiel. Boyds Vater konnte boshaft sein, wenn er wollte, und er musste beweisen, dass er immer noch der Herr im Haus war. Obwohl Rupert seinen Sohn als Nachfolger in den Himmel hob, blieb ihr Verhältnis insgeheim angespannt. Vielleicht stand Alexa immer noch zwischen ihnen, vielleicht war Rupert auch eifersüchtig auf Boyds überragende Fähigkeiten. Einerseits war er ungemein stolz auf seinen Sohn, andererseits sah er ständig den überlegenen Rivalen in ihm.

Er ist viel zu geltungssüchtig, dachte Leona bedrückt, und diese Eigenschaft fehlt Boyd.

Für alle bereits eingetroffenen Familienmitglieder stand ein Lunchbuffet im Kleinen Speisezimmer bereit. Als Leona eintrat, fiel helles Sonnenlicht durch die hohen Fenster, die einen herrlichen Blick auf die hinteren Gärten boten. Man konnte auch auf der Terrasse essen, aber im Kleinen Speisezimmer war so viel Glas verbaut worden, dass die Gäste den Eindruck hatten, im Freien zu sein.

Neben einer Sammlung kostbarer gerahmter Blumendrucke fielen vor allem die Esstische auf – runde Glasplatten, die auf geschnitzten Holzfüßen ruhten, gefertigt auf den Philippinen. Jeweils acht Personen konnten auf dazu passenden gepolsterten Rattanstühlen bequem daran Platz nehmen. Das Ganze war eine Idee von Alexa, die diese lockere Form des Buffets der strengen langen Tafel im Großen Speisezimmer vorgezogen hatte.

Leona war hungrig. Sie hatte gegen sieben Uhr morgens nur etwas Joghurt und Obst zu sich genommen, obwohl sie in der glücklichen Lage war, mit Appetit essen zu können, ohne ein Gramm zuzunehmen. Trotzdem achtete sie peinlich genau auf ihre Ernährung. Dunkle edelbittere Schokolade war ihre einzige Schwäche, und auch hier hielt sie sich weitgehend an ihr Neujahrsgelübde – jeden Tag nur ein einziges köstliches sündhaftes Stück zu essen.

Etwa zehn Familienmitglieder waren schon vor ihr eingetroffen, hatten sich selbst bedient und anschließend um die Tische verteilt. Das Buffet, an dem das Küchenpersonal laufend für Nachschub sorgte, war so üppig, dass das beste Hotel von Sydney kaum mitgehalten hätte, und für einen Moment musste Leona an die Millionen von Hungernden in der ganzen Welt denken.

„Hallo, Leona, da bist du ja!“, rief man ihr von allen Seiten entgegen. Es war ein angenehmes Gefühl, bei anderen beliebt zu sein, vor allem, wenn man sie – zum überwiegenden Teil – selbst gernhatte.

Geraldine – ebenfalls ein Modefreak, wenn auch von der exzentrischen Art – trug einen atemberaubenden roten Hut. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und kam mit ausgestreckten Armen auf Leona zu.

„Siehst du wieder bezaubernd aus, Darling!“ Sie tauschten Wangenküsse, die zum Glück ehrlich gemeint waren, dann musterte Geraldine Leona mit ihren klugen grauen Augen. „Welche Freude, dich wiederzusehen. Du wirst deiner lieben Mutter mit jedem Tag ähnlicher. Komm, setz dich an meinen Tisch. Ich will alles von dir hören.“

Leona lächelte. „Lass mich nur vorher etwas zu essen holen.“

„Ja, tu das“, tönte es bissig hinter ihr. Das konnte nur Tonya sein. „Du bist krankhaft dünn. Isst du auch genug?“

„Halt bloß den Mund, Tonya!“ Wenn Geraldine wollte, konnte sie so schroff sein wie ihr Bruder Rupert.

„Ich soll den Mund halten? Was fällt dir ein!“ Tonya tat empört, sagte aber nichts mehr, weil plötzlich Spannung in der Luft hing.

Boyd hatte den Raum betreten, der Mann, der nach Leonas Ansicht jedes Frauenherz brechen musste.

Du, meine große Liebe.

Die Worte kamen wie von selbst, aus den Tiefen ihrer Seele, wo sich die Wahrheit nicht verheimlichen ließ. Leona konnte nicht verhindern, dass sie plötzlich da waren. Sie konnte nur verhindern, dass sie über ihre Lippen kamen. Weder durfte Boyd, der viel zu hoch über ihr stand, sie jemals hören noch Rupert, der eigene Pläne für seinen Kronprinzen hatte. Sie konnte nicht anders, als Boyd ihr Herz zu schenken. Dass er ihre Liebe erwidern würde, war ein unerfüllbarer Traum.

Trotzdem konnte sie den Blick nicht von ihm abwenden. Niemand konnte das. Er war groß, athletisch gebaut, sonnengebräunt von den Tagen auf seiner Segeljacht, hatte dichtes schwarzes Haar, das die edle Stirn frei ließ, und faszinierend schöne Augen, deren tiefes Blau an die kostbarsten Saphire der Kronjuwelen erinnerte. Allein schon die Augen, die er von seiner Mutter geerbt hatte, zeichneten ihn vor allen anderen aus.

Das angespannte Schweigen schien endlos zu dauern. Leona empfand es als ungeheuer schmeichelhaft, aber Boyd nahm es gelassen hin – wie einen gewohnten Tribut.

Nein, korrigierte sie sich gleich darauf. Boyd versuchte niemals, Aufmerksamkeit zu erregen. Wahrscheinlich nahm er die Reaktion auf sein Erscheinen gar nicht wahr. Man hätte ihn für einen mittelalterlichen Prinzen halten können, der nach der Jagd heimkehrte und von einer bewundernden Menge empfangen wurde – wie es ihm gebührte.

Leona spannte sich an. Rebellierte sie gegen diesen Auftritt? Ein bisschen vielleicht. Boyd mit allen anderen öffentlich zu huldigen war nicht nach ihrem Geschmack. Es gefiel ihr besser, sich als Einzige nicht beeindrucken zu lassen und sich so von ihm zu distanzieren. Mit diesem Widerspruch lebte sie nun schon seit Jahren. Hinter der Maske des Unbeteiligtseins, hinter wechselnden Strategien und ausgeklügelten Ablenkungsmanövern, die sie zu ihrem Selbstschutz entwickelt hatte, verzehrte sie sich unausgesetzt nach seinem Anblick.

Wo du bist, will ich auch sein.

Woher kannte sie diese Worte? Sicher aus einem wunderschönen Lied. Wie gut sie doch passten!

Boyd lächelte und hob lässig eine Hand. „Hallo zusammen!“

„Schön, dass du kommst!“, klang es im Chor zurück.

„Wir erwarten für morgen ein rassiges Spiel!“ Das kam von einem Großonkel. Die Familie stellte die hingebungsvollsten Zuschauer bei Boyds Lieblingssport.

Tonya benutzte den Moment, um zu Boyd hinzugehen und besitzergreifend eine Hand auf seinen Arm zu legen. Sie war eine kleine, zierliche Blondine und trotz ihrer scharfen Gesichtszüge auf ihre Weise anziehend. Selbst mit ihren zehn Zentimeter hohen Absätzen wirkte sie neben Boyd wie ein Püppchen.

„So eine Frechheit“, murmelte Geraldine und griff nach Leonas Arm. „Weiß sie nicht, wie sehr sie ihn irritiert?“

„Wer hat sie eigentlich eingeladen?“, fragte Leona zurück und zog behutsam ihren Arm zurück.

„Mein Bruder natürlich“, antwortete Geraldine und bestätigte damit Leonas Verdacht. „Er ist immer noch der alte Tyrann und streut gern Sand ins Getriebe. Wir wissen doch alle, wer die Richtige für Boyd ist.“

Die Richtige für Boyd?

Leonas Stimmung sank auf den Nullpunkt. „Meinst du Chloe Compton?“

„Um Himmels willen, nein!“ Geraldine sah sie fast zornig an. „Hol dir endlich etwas zu essen, und komm dann zu mir zurück. Dürfen wir deinen Stiefbruder auch noch erwarten?“

„Man hat ihn eingeladen. Außerdem gehört er zu Boyds Poloteam.“

„Schon gut, mein Kind. Ich kenne deine Loyalität und bewundere sie.“ Geraldine nickte so heftig, dass der kleine Federbusch auf ihrem Hut zu tanzen begann. „Übrigens mag ich Roberto, obwohl er die Anlage zum Gauner hat. Sein Vater besaß auch diesen gefährlichen Charme. Was für ein mieser Kerl … einfach zu verschwinden und seinen Jungen alleinzulassen. Da konnte ja kein Engel aus ihm werden!“

Besser kann man es nicht ausdrücken, dachte Leona.

3. KAPITEL

„Wie geht’s, Flower Face?“

Wieder diese Enge in der Brust. Diese fieberhafte Hitze im Blut. Diese Trockenheit im Mund … Wie immer versagten alle ihre Strategien. Sie war zu hellhörig geworden, um dem gefährlichen Zauber seiner Stimme nicht zu erliegen.

Es war selten geworden, dass er sie mit diesem Kosenamen anredete: Flower Face – Blumengesicht. Wenn er es tat, durchlief sie ein wohliger Schauer, als hätte er ihren nackten Körper hauchzart gestreichelt. „Flower Face“ stammte aus ihrer Kinderzeit, als er sie wie ein verlorenes, flaumweiches Küken gehütet hatte.

Leona nahm sich zusammen, was ihr seltsamerweise gelang. Sie hob den Kopf und sah Boyd ins Gesicht – mehrere Sekunden, ohne seinem Blick auszuweichen. Ein Lächeln bekam sie nicht zustande, dazu war sie zu aufgeregt und verwirrt. Sie wusste nicht, wie kristallklar sich das Grün ihrer Augen von ihrer hellen Porzellanhaut und dem rotblonden Haar abhob, das ihr in schimmernden Locken bis über die Schultern fiel.

Endlich senkte sie doch den Blick und konzentrierte sich auf Boyds elegantes blauweiß gestreiftes Baumwollhemd. Er hatte die obersten Knöpfe geöffnet und die Ärmel bis zum Ellbogen aufgekrempelt. Sie konnte seine gebräunte Haut und den Ansatz des Brusthaars erkennen. Doch seine körperlichen Vorzüge, seine Größe und sein gutes Aussehen, waren nicht der einzige Grund für seine ungewöhnlich starke sinnliche Ausstrahlung. Leona kannte andere attraktive junge Männer, die sich sehr um sie bemühten – neben ihm wirkten sie wie Schuljungen.

„Wenn dir das Hemd nicht gefällt, kann ich ein anderes anziehen“, sagte er.

Sie hätte sich am liebsten geohrfeigt. „Im Gegenteil, es gefällt mir sogar sehr gut. Helmut Lang, nicht wahr?“

„Du musst es ja wissen. Du bist die Modeexpertin in der Familie.“

„Tu bloß nicht so“, spottete sie. „Schließlich hat ‚Icon‘ dich in seiner vorletzten Ausgabe als einen der bestangezogenen Männer des Landes bezeichnet.“

Boyd spielte den Unwissenden. „Du hast die Ausgabe gelesen?“

Leona ignorierte den Seitenhieb. „Wie ist deine Reise verlaufen? War sie ein Erfolg?“ Gott sei Dank konnte sie wieder zusammenhängend sprechen!

Er wurde sofort ernst. „In mehrerer Hinsicht. Ich habe neue Verträge abgeschlossen und alte gekündigt. Unsere Firma steht gut da, aber heutzutage trügt der Schein oft. Es ist gefährlich, da draußen in der Welt, und die Gefahren nehmen zu.“

„Das weiß ich. Der Terrorismus wächst, und mit ihm die Leiden.“ Sie verschwieg, welche Angst sie ausstand, wenn Boyd auf einer seiner vielen Reisen im Ausland unterwegs war. Nicht weniger bangte sie um sich und Bea, wenn sie in ein Flugzeug stiegen, um eine ausländische Modemesse zu besuchen und für Blanchard-Fashion einzukaufen.

Boyd nickte. Er bewunderte noch eine Weile Leonas Haar, in dem sich die Sonnenstrahlen fingen, und deutete dann auf das Buffet. „Worauf hast du Appetit?“

„Auf dasselbe wie du“, antwortete sie mechanisch. Sie hatten tatsächlich vieles gemeinsam. Sie liebten Pferde und das Landleben. Beim Essen bevorzugten sie das Gleiche und waren bei Musik, Büchern und Filmen fast immer derselben Meinung. Nicht zuletzt verbanden sie die Liebe zu Brooklands und die tiefe Befriedigung, die sie in ihrer erfolgreichen Arbeit fanden.

Boyd lächelte. „Dann lass mich etwas zusammenstellen. Ich weiß ja, was dir schmeckt. Setz dich wieder zu Gerri, und halt mir den Platz an deiner anderen Seite frei.“

Leona sah sich um. Die Gäste hatten sich an verschiedene Tische verteilt und waren bester Stimmung. „Wenn Tonya dir nun zuwinkt?“ Genau das tat sie in diesem Moment, um Boyds Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Erstaunlicherweise verzichtete sie darauf, laut mit ihrem Besteck auf den Tisch zu klopfen.

„Sie gibt nicht auf, wie?“ Boyd kümmerte sich nicht um die indiskrete Aufforderung. „Aber den Familienfrieden soll sie nicht stören. Bitte tu, was ich gesagt habe. Ich bekomme dich so selten zu sehen.“

Dem bestimmten Ton fehlte jede Überheblichkeit, und Leona hatte ihre Scheu inzwischen so weit verloren, dass sie herausfordernd fragte: „Ist das ein Befehl?“

Ein Blick von ihm genügte, um diesen Übermut sofort zu bedauern. „Weißt du was, Flower Face?“, fragte er. „Du hast eine richtige Kunst darin entwickelt, gegen mich zu sein.“

„Vielleicht bin ich eine geborene Rebellin.“

„Wie könnte es anders sein bei jemandem mit so prachtvollem roten Haar?“ Boyd trat an den Buffetttisch und nahm sich zwei Teller. „Da fällt mir ein … Hättest du Lust, heute Nachmittag mit mir auszureiten?“

Das Angebot kam so unerwartet, dass Leona vor Überraschung keine Antwort einfiel.

„Nun?“ Er musterte sie von der Seite. Wie entzückend sie aussah in dem hübschen Sommerkleid – jung, unschuldig und unglaublich sexy! Sie war sich dessen nicht bewusst und hatte nun sogar die Sprache verloren.

„Ich sollte mich um Robbie kümmern“, brachte sie mühsam heraus und ärgerte sich darüber, wie unsicher ihre Stimme klang. Warum sah Boyd sie so an? Was immer er sich dabei dachte – es war äußerst beunruhigend.

Zum Glück wandte er sich wieder dem Buffet zu. „Ist er aus dem Alter nicht heraus?“

„Er bleibt trotzdem mein kleiner Bruder.“

„Dann wird es höchste Zeit, dass er auf eigenen Füßen steht. Dieses Mein-kleiner-Bruder-Getue dauert schon lange genug.“

„Und gefällt dir offensichtlich nicht.“ Leona beugte sich vor und dämpfte ihre Stimme, denn sie wurden inzwischen beobachtet – vor allem von Tonya.

Boyd sprach ebenfalls leiser, aber nicht weniger eindringlich. „Er nutzt dich aus, und das gefällt mir nicht. Ich weiß, dass er dich liebt, doch das macht dich zu verwundbar. Ich habe beschlossen, an diesem Wochenende mal ein Wörtchen mit ihm zu reden.“

Großer Gott! Leona stockte der Atem. Was hatte Robbie nun wieder angestellt? „Sei nachsichtig mit ihm“, bat sie und merkte zu spät, dass sie damit ihre eigenen Sorgen verraten hatte.

„Bin ich das nicht immer gewesen?“ Es fiel Boyd nicht leicht, bei ihrem flehenden Gesichtsausdruck hart zu bleiben. Sie wirkte dadurch nur umso bezaubernder, aber es war höchste Zeit, Robbie zur Räson zu bringen, bevor er endgültig unter die Räder kam. Boyd hatte erfahren, in welche ausweglose Situation der Junge durch seine Spielleidenschaft geraten war. Er machte sogar Geschäfte mit einem üblen Kerl, den man der Geldwäscherei verdächtigte. Das musste endgültig aufhören.

„Ich wollte in Richtung Mount Garnet reiten“, fuhr Boyd fort und ließ das unangenehme Thema damit fallen. „Du hast doch Reitzeug mitgebracht?“

Leona hatte kaum zugehört, sondern nur überlegt, was er über Robbie wusste. Dass er spielte und wettete, sicher, aber wie stand es mit den Drogen? Oder war da noch etwas? Robbie konnte wirklich nett sein, vor allem zu ihr, doch es fehlte ihm an Charakter. Das war, wie sie wusste, auch für Boyd kein Geheimnis.

„Du zitterst ja“, stellte er besorgt fest. Dabei legte er eine Hand auf ihren bloßen Arm und strich mit dem Daumen sanft über ihre weiche Haut.

Sofort erglühte sie am ganzen Körper. Ihr Blut pulsierte schneller, und das Zittern nahm zu. „Ich reite gern mit dir aus“, sagte sie gepresst.

„Weißt du noch, wann wir zum letzten Mal alleine ausgeritten sind?“

Ob sie sehr rot geworden war? Sie ritten beide, seit sie denken konnte, und hatten es beide zu einer gewissen Vollkommenheit gebracht. Aber an ihren letzten gemeinsamen Ausritt konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern.

„Es wundert mich, dass du es vergessen hast, Leona“, sagte er lachend. Oh, wie sie sein Lachen und seine Stimme liebte! Wenn er ihren Namen aussprach, bekam sie buchstäblich weiche Knie. „Du sagtest damals, du könntest mich nur unversöhnlich hassen.“

Hatte er nicht begriffen, dass sie das lediglich behauptet hatte, um sich gegen seine magische Anziehungskraft zu wehren? Wenn ja, ließ er sie jetzt absichtlich zappeln.

„Ich hasse dich nicht“, sagte sie ernst. „Ich fühle nur eine gewisse Spannung zwischen uns … und du spürst sie gewiss auch. Ich bin nicht dumm.“

Du bist der Himmel für mich. Wenn du mich berührst, vergesse ich alles … sogar mich selbst.

Boyd nickte. „Ich spüre, dass du temperamentvoller wirst, wenn wir zusammen sind … oder auch gegen mich aufbegehrst, wie du willst. Das fing an, als du etwa sechzehn warst. Bis dahin warst du einfach nur süß.“

Du meinst, ich war deine kleine Sklavin.

„Man nennt das Erwachsenwerden“, erwiderte Leona ruhig. „In dem Alter findet man zu sich selbst. Ich gebe allerdings zu, dass du mich manchmal wütend machst. Du bist so unglaublich …“

„Ja?“, drängte er.

„So unglaublich überlegen. Das Familienidol, dem jeder huldigt. Du machst dich über mich lustig, als wäre ich …“

„Blödsinn!“, unterbrach er sie. „Warum sträubst du dich so, meine Frage zu beantworten? Neuerdings weichst du mir nur noch aus, und das macht mich traurig. Was dich ärgert, ist nicht irgendeine vermeintliche Überlegenheit, sondern etwas ganz anderes. Und was das Lustigmachen betrifft, so ist es eher andersherum. Ich sehe es in deinen Augen, höre es an deiner Stimme …“

„Boyd, alle beobachten uns“, warnte sie ihn hastig.

„Na, wenn schon, jeder weiß, dass es zwischen uns knistert.“

„Wie kannst du behaupten, dass ich dir ausweiche?“ Leona kostete ihren kleinen Triumph aus. „Ich habe eben gerade versprochen, mit dir auszureiten.“ Plötzlich kam ihr ein Gedanke. „Wir reiten doch zu zweit … oder in Gesellschaft?“

„In Zweiergesellschaft“, antwortete er. „Ich möchte mit dir allein sein. Die übrige Familie kümmert mich nicht.“

„Einverstanden.“ Sie wandte sich ab.

„Damals liebtest du mich“, klang es sehr leise hinter ihr her.

Wie angewurzelt blieb sie stehen. Oh, wie recht er hatte! Am liebsten hätte sie sich ihm an die Brust geworfen, ihn umarmt und nie wieder losgelassen. Er hätte die Arme um sie gelegt und sie geküsst. Dann hätte sie das Bewusstsein verloren, oder vielleicht wäre ihre Seele in seine übergegangen.

Doch das alles durfte nicht sein. Stattdessen ging sie langsam zu ihm zurück, stellte sich auf die Zehenspitzen, um seinem geliebten, gefürchteten Gesicht ganz nah zu sein, und flüsterte: „Jetzt nicht mehr.“

In der Verstellung lag Sicherheit. Es war tausendmal besser, sicher als verzweifelt zu sein.

Über eine Stunde ritten sie durch eine Landschaft, die Leona nie schöner erschienen war. Von der Ostküste bis weit ins Outback hinein hatte Regen die trockene Erde durchtränkt und über Nacht zu neuem Leben erweckt. Das Licht schimmerte golden durch die Bäume, frische Blumen bedeckten verschwenderisch den Boden, und zahllose süße Düfte hingen in der Luft.

So selbstverständlich neben Boyd her zu reiten war köstlicher, als es sich beschreiben ließ. Leona würde die Erinnerung daran für immer festhalten: an seinen Anblick, an die Vertrautheit, in die sich aufregende Fremdheit mischte, an das geliebte Profil mit der ausgeprägten Kinnpartie. Kein Zweifel, mit ihm war ein Traum wahr geworden.

Nachdem sie einige Zeit freies, sonniges Gelände durchquert hatten, kamen sie an einen der vielen Bäche, die Brooklands durchzogen. Unter den Bäumen, die seinem Lauf folgten, wandte Boyd sich lächelnd zu ihr. „Gefällt es dir?“ Selbst im Halbschatten, unter dem frech zur Seite geneigten hellgrauen Hut versprühten seine blauen Augen ihr Feuer. Und Reitkleidung stand Boyd besonders gut.

„Ich genieße jede Sekunde“, schwärmte Leona unbekümmert, „schon wegen des vielen Wassers. Man sieht und hört es fast überall.“

„Ja, das ist der besondere Reiz von Brooklands.“ Er sah amüsiert in ihr strahlendes Gesicht. „Im Sattel fühlst du dich offenbar nicht von mir bedroht.“

Sie lachte. Die Zügel der schnellen, absolut trittsicheren arabischen Stute, die sie ritt, lagen locker in ihrer Hand. „Ich könnte dir ja jederzeit davongaloppieren.“ Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: „Allerdings hast du nie etwas getan, wodurch ich mich hätte bedroht fühlen können.“

„Ich glaube doch.“

Er sagte das so eigenartig, dass Leona betroffen zur Seite sah.

„Das klingt, als würde es dir etwas ausmachen.“

„Natürlich macht es mir etwas aus.“

„Das spricht für dich.“ Sie fühlte sich plötzlich unsicher, fast ein wenig schwindlig. „Dann weißt du wenigstens, dass bei mir nicht alles nach deinem Willen geht.“

Boyd beugte sich vor, um seinem Braunen die Mähne zu kraulen. „Glaubst du, ich will dir meinen Willen aufzwingen?“

„Manchmal fürchte ich mich sogar vor dir.“

„So ein Unsinn!“, fuhr er auf.

„Nein“, beharrte Leona. Ihre Wangen glühten, und das Atmen fiel ihr schwer. Fast wäre sie in Tränen ausgebrochen, so nah ging ihr alles. Wie sollte sie einem Mann wie Boyd da gewachsen sein?

„Dann werde deutlicher“, forderte er sie auf. „Wovor hast du Angst?“

„Vor allem“, entfuhr es ihr, „aber darum musst du dich nicht kümmern. Du kannst nichts dafür, dass du so bist.“

Trotz der angenehmen Kühle, die am Bach herrschte, rannen Leona einige Schweißtropfen in den Ausschnitt. Sie musste dieses Gespräch beenden, bevor sie von ihren Gefühlen überwältigt wurde. Das wäre ein unverzeihlicher Fehler gewesen.

„Vielleicht wolltest du dich einfach nur schützen“, sagte Boyd, als hätte er damit die Lösung gefunden. Ein Sonnenstrahl huschte über sein Gesicht, das ungewöhnlich ernst war. Fast wirkte er ein wenig verunsichert.

„Wovor?“, fragte sie und merkte, dass ihre Stimme zitterte. Er betrachtete sie nachdenklich. „Weißt du noch, wie du mich als Kind mit deinen vielen Fragen bombardiert hast?“

Leonas Augen leuchteten auf. „Seltsamerweise hast du sie meistens beantwortet.“

„Du warst so neugierig und wolltest alles wissen. Schon als Kind hast du viel gelesen.“

„Das lag wahrscheinlich daran, dass ich nach Mums Tod so einsam war.“ Sie seufzte leise. „Manchmal höre ich sie rufen, wenn ich am See spazieren gehe.“

Das überraschte Boyd nicht. Wenn er den kleinen Marmortempel an einer abgelegenen Uferstelle besuchte, hatte er sich auch manchmal eingebildet, seine Mutter zwischen den Säulen zu erkennen.

„Menschen, die wir geliebt haben, bleiben für immer bei uns“, sagte er leise, um Leona zu trösten. „Das gilt auch für meine Mutter.“

„Die schöne Alexa. Sie war immer so gut zu mir.“ Leona seufzte wieder, als wäre sie immer noch das kleine traurige Mädchen. „Nach Mums Unfall wollte ich nie mehr auf meinem Pony reiten, bis du mir klarmachtest, dass sie das nicht gewollt hätte. Mum liebte Pferde und ritt für ihr Leben gern. Du hast mich davon überzeugt, dass überall Gefahren lauern, die uns aber nicht davon abhalten dürfen weiterzuleben und unsern Wünschen zu folgen.“

„Dann war ich wenigstens zu etwas nutze“, stellte er ironisch fest.

„Ja, das warst du … und bist es noch.“ Sie wurde sich seiner Nähe und der Einsamkeit, die sie beide umgab, immer bewusster. Warum war sie bloß so verkrampft? Warum, um Himmels willen, konnte sie sich nicht entspannen? Weil der Erbe des Blanchard-Vermögens für sie unerreichbar war? Vielleicht sollte sie endlich akzeptieren, dass Boyd und sie in zwei verschiedenen Welten lebten.

Das Schweigen wurde lastender und vieldeutiger. Irgendwann musste sich die Spannung lösen, die sie immer stärker zueinanderzog. Leona wusste, wie gut Boyd sie kannte – besser als jeder andere. Tränen traten ihr in die Augen.

Warum konnten sie nicht immer so zusammen sein? Warum konnte sich ihr Verhältnis nicht so entwickeln, wie sie es sich wünschte?

Nein, das war unmöglich. Die Menschen würden es nicht zulassen, und deshalb verschloss sie ihren sehnlichsten Wunsch tief in ihrem Herzen. Es war so leicht, sich irgendetwas vorzugaukeln, das nie geschehen würde. Die Entfernung zwischen ihr und Boyd war einfach zu groß.

„Was hältst du von einem Wettritt?“, fragte sie plötzlich. „Bis zur Ruine?“ Dabei handelte es sich um keine echte Ruine, sondern um eine ungewöhnliche Felsformation, die aussah wie eine verfallene Burg.

„Du kannst mich doch nicht schlagen, Flower Face.“ Boyd richtete sich aus seiner lässigen Haltung auf.

„Ich will es wenigstens versuchen.“ Sie wendete ihr Pferd und trieb es zum Galopp an. Erschrockene Elstern flogen zeternd auf, und eine Schar wilder Tauben erhob sich in den tiefblauen Himmel.

Boyd ließ ihr einen kleinen Vorsprung. Leona wusste das und überlegte, ob sie sich durch ihre abrupte Flucht nicht verraten hatte. Warum konnte sie mit ihren Gefühlen nicht besser umgehen? War der frühe Tod ihrer Mutter daran schuld? Oder der Verlust ihres Vaters, der sich vor Kummer ganz in seine eigene Welt zurückgezogen hatte? Delia war nie in die Rolle einer Ersatzmutter hineingewachsen. Sie wurde ja nicht mal mit ihrem eigenen Sohn fertig!

Leona jagte so schnell dahin, als wären – wie in alten Wildwestfilmen – Indianer oder Banditen hinter ihr her. Wie lange würde es noch dauern, bis Boyd sie eingeholt hatte? Links tauchte ein Gehölz von Pappeln auf, deren Laub sich im Herbst so wunderbar gelb färbte. Rechts standen chinesische Ulmen, die schon im Frühling mit weißlich grünen Flügelfrüchten bedeckt waren. Dahinter erstreckte sich ein Eukalyptuswald.

Sie wählte den kürzesten Weg zur Ruine, der durch beinahe unberührtes Gelände führte. Als vor ihr eine alte Steinmauer auftauchte, ließ sie sich nicht abschrecken. Die Mauer war von hellgrünen Ranken mit schönen malvenfarbenen Trompetenblüten überzogen. Ein Sprung darüber schien Leona nicht besonders riskant, denn ihre Stute Fatima war geübt im Springen und scheute nie. Und auch sie selbst hatte schon weit höhere Hindernisse überwunden. Ihre Mutter war zwar bei einem ähnlichen Sprung ums Leben gekommen, aber alle hatten bestätigt, dass es ein unglücklicher Unfall und kein Fehler der Reiterin gewesen war.

Fatima flog buchstäblich über die Mauer. Leona stieß einen hellen Schrei aus, obwohl ihr inzwischen der Atem knapp und die Brust eng wurden. Vor ihr tauchte ihr Ziel auf. Sie hatte gewusst, dass sie Boyd schlagen würde. Was für ein Triumph! Schon bei dem Gedanken jubelte sie innerlich auf.

Auch Boyd hatte die Mauer gesehen. Als er begriff, dass Leona wirklich springen würde, stockte ihm der Atem. Wie bei einem Déjà-vu sah er wieder Serenas Unfall vor sich. Unwillkürlich schloss er die Augen und öffnete sie erst wieder, als er Leonas Schrei hörte.

„Tut mir leid, bester Boyd, ich habe dich geschlagen.“ Sie riss ihren Hut vom Kopf und warf ihn hoch in die Luft, um ihren Sieg zu feiern. „Du bist mir doch nicht etwa böse?“

Boyd stieg ab und kam mit zornigem Gesicht auf sie zu. „Warum gehst du so ein Risiko ein?“, fragte er scharf und zug sie aus dem Sattel.

„Das würde ich nie tun“, verteidigte sie sich. „Risiko? Sei nicht albern.“ Das war der Boyd, vor dem sie sich nicht zu fürchten brauchte. Er sorgte sich um sie und würde ihr niemals wehtun. „Du brauchst dich nicht aufzuregen. Ich bin nie leichtsinnig.“

Seine Augen funkelten wie dunkle Saphire. „Das war deine Mutter auch nicht.“

Plötzlich war auch in ihr die Vergangenheit wieder lebendig. Sie erinnerte sich, welches Entsetzen Serenas tragischer Tod ausgelöst hatte. Ihr Vater war wie versteinert gewesen, Alexa hatte Ströme von Tränen vergossen, und Geraldine hatte sie tröstend in die Arme genommen. Mit dem Leben, das sie bis dahin geführt hatten, war es schlagartig vorbei gewesen.

„Es war so ein schöner Ritt.“ Leona wollte keinen Streit aufkommen lassen. „Verdirb ihn uns nicht nachträglich.“

„Verderben?“ Boyd merkte, dass er nahe dran war, die Beherrschung zu verlieren, was sonst niemals geschah. „Warum hast du diese blöde Mauer übersprungen? Du hättest dir das Genick brechen können!“

Diesen Vorwurf hatte sie nicht verdient. „Sie war niedrig“, rechtfertigte sie sich hitzig. „Ich habe schon höhere Hindernisse übersprungen.“

„Nicht mit einem so kleinen Pferd wie Fatima.“

Leona sah ihn verständnislos an. „Fatima mag nicht das größte Pferd im Stall sein“, gab sie zu, „aber ich liebe sie, und sie hat einen sicheren Gang. Wer zum Teufel bist du, dass du mir Vorschriften machst? Wie kommst du dazu, über mich zu bestimmen? Kein Wunder, dass ich dich nicht mag und seit Jahren mit dir streite. Kein Wunder …“

Sie hatte sich in Rage geredet und kaum noch auf Boyd geachtet. Umso überraschender kam seine Reaktion. Er riss sie in einer wütenden Gefühlswallung an sich, legte einen Arm um sie und drückte ihr Kinn unsanft nach oben. „Hör endlich auf, von deiner Abneigung und deiner Furcht zu faseln!“, donnerte er. „Du machst mich krank damit.“

Sie schrie leise auf. „Ich habe mich schon gefragt, wann du es endlich zugeben würdest“, keuchte sie. Boyd war ihr so nah, dass sie kaum noch klar denken konnte. Sie wusste nur noch eines – sie war ihm hoffnungslos ausgeliefert „Lass mich gefälligst los, du brutaler Kerl!“

Noch während sie das sagte, erschrak Leona vor sich selbst. Boyd ein brutaler Kerl? Warum konnte sie nicht herausschreien: Ich liebe dich! Warum musste sie das Geständnis ewig für sich behalten? Was für eine unerträgliche Qual!

„Sei froh, dass ich nicht brutal bin“, erwiderte er lachend, ohne dass sich sein Zorn dadurch milderte. „Ich lasse dich erst los, wenn ich dir eine Lektion erteilt habe … du brauchst dich gar nicht so zu wehren. Ich bin viel zu nachsichtig mit dir gewesen und habe deine Sticheleien viel zu lange geduldet. Wann gibst du endlich Ruhe?“

Wie sollte sie in Sekunden die Wand einreißen, die sie so mühsam zwischen ihnen beiden errichtet hatte? „Niemals!“, schrie sie außer sich, ohne zu erkennen, wie aufreizend herausfordernd sie wirkte. Damit war ihr Schicksal besiegelt.

Boyd drückte sie noch fester an sich und küsste ihre zarten, fein geschwungenen Lippen. In diesem Moment kam er sich tatsächlich wie ein Urmensch vor. Er hätte Leona auf die Arme nehmen und in seine Höhle tragen können. Manchmal machte sie ihn einfach verrückt.

Die Wirkung auf Leona war genauso heftig. Hatte sie nicht im Stillen geahnt, dass es so kommen würde? Sie war hier mit dem Mann, den sie liebte – und zwischendurch immer wieder hasste, weil er sie unweigerlich aus der Fassung brachte.

Sie konnte sich nicht rühren, war wie gebannt von der Nähe des Mannes, den sie heimlich liebte. Noch nie war sie in einen solchen Sinnestaumel geraten. Die Erde schien unter ihr zu beben.

Boyd vergrub beide Hände in ihren rotblonden Locken. „Ich habe es so satt, dass du gegen mich kämpfst“, stöhnte er.

Leonas Beine drohten nachzugeben. Hätte er sie nicht so unbarmherzig festgehalten, wäre sie wahrscheinlich vor ihm zu Boden gesunken.

„Mach deinen Mund auf“, befahl er. „Ich will dich schmecken.“

Es war ein Augenblick wilder, sinnlicher Lust, die Leona den Atem nahm. Verzweifelt presste sie die Lippen zusammen – vergebens.

Um nicht im Meer ihrer Gefühle unterzugehen, schloss sie die Augen und ließ sich von den Wellen tragen.

Boyd küsste sie wild und begierig. Und dann geschah etwas, das Leona eben noch für unmöglich gehalten hatte. Sie erwiderte den Kuss genauso leidenschaftlich und ungehemmt. Sie fühlte nur noch heißes, unstillbares Verlangen. Es war schrecklich und zugleich wundervoll. Wollüstig und göttlich.

Um etwas mehr Bewegungsfreiheit zu bekommen, schob sie ein Knie zwischen seine Beine und spürte seine volle Erregung. Und sie war der Grund dafür!

Sekunden später ließ Boyd sie los. Stieß sie so heftig zurück, dass sie strauchelte und rückwärts in das dichte honiggelbe Gras fiel, das die Felsen umwucherte.

„Ich kann nicht glauben, was du eben getan hast.“ Sie rang nach Atem und rieb sich mit beiden Händen ihre Schläfen.

„Es ist geschehen“, sagte er ebenso atemlos.

„Und war widerlich!“ Was für eine unerhörte Lüge, und doch kam sie ihr über die Lippen.

„Lüg mich nicht an!“, warnte er sie. „Das funktioniert nicht.“ Einen Augenblick lang musterte er sie forschend, dann half er ihr auf.

Sie sah ihn mit weit geöffneten Augen an. „Ich muss lügen“, beteuerte sie. Die Wahrheit hätte das fatale Wort „Liebe“ eingeschlossen. „Begreifst du das nicht? Wir sind Cousin und Cousine. Wir stammen aus derselben Familie.“

Boyd lachte rau. „Cousin und Cousine zweiten Grades.

Nicht einmal das, wenn du bedenkst, dass dein Großvater und mein Großonkel nur Halbbrüder waren.“

„Was ändert das schon?“ Nie hätte sie sich zwischen Boyd und seine Familie gedrängt. Rupert erhoffte sich eine Verbindung mit Chloe Compton, die ein großes Erbe erwartete. Wie konnte sie sich gegen den Willen des übermächtigen Rupert stellen? Damit würde sie niemals durchkommen.