Das »Wir« der AfD - Johannes Hillje - E-Book

Das »Wir« der AfD E-Book

Johannes Hillje

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Beschreibung

Die »Alternative für Deutschland« (AfD) erreicht durch zahllose Beiträge auf Facebook, Twitter, YouTube oder Instagram mehr Menschen als jede andere Partei in Deutschland. Als erste digitale Massenkommunikationspartei gelingt ihr – durch das Zusammenspiel von Provokation in journalistischen Massenmedien und Emotionalisierung in ihren eigenen digitalen Medien – die Maximierung öffentlicher Aufmerksamkeit. Der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Johannes Hillje zeigt mit dieser empirischen Analyse erstmals, wie die AfD ihre Kommunikation in Mobilisierung und Wahlerfolge verwandelt. Im Zentrum seines Buchs steht die Frage nach der kollektiven Identität, nach dem einenden Band zwischen Partei und Anhängerschaft, das die AfD mangels gesellschaftlicher Verankerung durch ihre Social-Media-Kanäle knüpfen muss. Das »Wir« der AfD besteht demnach primär aus soziokulturellen Merkmalen und birgt gesellschaftlichen Sprengstoff: Es wendet sich gegen Andere und ist emotional sowohl negativ (»Wir, die kulturell Bedrohten«) als auch positiv (»Wir, die Retter unserer Kultur«) aufgeladen.

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Johannes Hillje

Das »Wir« der AfD

Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Die »Alternative für Deutschland« (AfD) erreicht durch zahllose Beiträge auf Facebook, Twitter, YouTube oder Instagram mehr Menschen als jede andere Partei in Deutschland. Als erste digitale Massenkommunikationspartei gelingt ihr – durch das Zusammenspiel von Provokation in journalistischen Massenmedien und Emotionalisierung in ihren eigenen digitalen Medien – die Maximierung öffentlicher Aufmerksamkeit.Der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Johannes Hillje zeigt mit dieser empirischen Analyse erstmals, wie die AfD ihre Kommunikation in Mobilisierung und Wahlerfolge verwandelt. Im Zentrum seines Buchs steht die Frage nach der kollektiven Identität, nach dem einenden Band zwischen Partei und Anhängerschaft, das die AfD mangels gesellschaftlicher Verankerung durch ihre Social-Media-Kanäle knüpfen muss. Das »Wir« der AfD besteht demnach primär aus soziokulturellen Merkmalen und birgt gesellschaftlichen Sprengstoff: Es wendet sich gegen Andere und ist emotional sowohl negativ (»Wir, die kulturell Bedrohten«) als auch positiv (»Wir, die Retter unserer Kultur«) aufgeladen.

Vita

Dr. Johannes Hillje hat an der London School of Economics einen Master in Politics and Communication erlangt und an der Universität Kassel promoviert; er arbeitet als selbstständiger Politik- und Kommunikationsberater für Ministerien, Parteien, Abgeordnete, Unternehmen und Verbände in Berlin.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

1.

Einleitung

1.1

Begriffsklärungen

Populismus und Rechtspopulismus

Populistische politische Kommunikation

Framing

Soziale Identität

Social Media

1.2

Forschungsinteresse, Fragestellung und Ziel

1.3

Forschungsstand

1.4

Aufbau der Arbeit

2.

Populismus und politische Kommunikation

2.1

Medialisierung der Politik

2.1.1

Massenmedienlogik

2.1.2

Reaktionsmuster von Parteien auf die Medialisierung

2.1.3

Verhältnis von Populismus und Medialisierung

2.2

Digitalisierung der politischen Kommunikation

2.2.1

Digitalmedienlogik

2.2.2

Reaktionsmuster von Parteien auf die Digitalisierung

2.2.3

Verhältnis von Populismus und Digitalisierung

3.

Die politische Kommunikation der AfD

3.1

Earned Media

3.1.1

Provokation

3.1.2

Zuspitzung und Vereinfachung

3.1.3

Framing

3.2

Owned Media

3.2.1

Facebook

3.2.2

Twitter

3.2.3

YouTube

3.2.4

Instagram

3.2.5

Authentische oder automatisierte Interaktionen?

3.3

Paid Media

3.4

AfD und (digitale) Gegenöffentlichkeit

3.4.1

Community der AfD

3.4.2

Rechtspopulistische Alternativmedien

3.4.3

Digitale Unterstützungsgruppen

3.5

Die AfD als digitale Massenkommunikationspartei

4.

Die AfD und das Framing von Identität

4.1

Massenkommunikation für welche Masse?

4.1.1

Empirie: Die Wählerinnen und Wähler der AfD

Soziodemographische und sozioökonomische Faktoren

Positionierung in Sachfragen

Soziokulturelle Wertvorstellungen

Parteiidentifikation

Populistische Einstellungen, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und rechtsextreme Einstellungen

Zusammenfassung der Empirie über AfD-Wählende

4.1.2

Theorie: Der Integration-Demarkation-Konflikt

4.1.3

Konflikt ohne Koalition

4.1.4

Identifikation durch Kommunikation?

4.2

Rechtspopulistisches Identitätsframing

4.2.1

Theorie der sozialen Identität

4.2.2

Theorie sozialer Konflikte

4.2.3

(Rechts-)Populismus als Frame sozialer Identität

4.2.4

Ingroup des (Rechts-)Populismus

4.2.5

Outgroups des (Rechts-)Populismus

4.3

Ideologische Wurzeln des Identitätsframings der AfD

4.3.1

Homogenität und Identität nach Carl Schmitt

4.3.2

Ethnopluralismus

4.3.3

Weitere Wertvorstellungen der »Konservativen Revolution«

4.4

Zusammenfassung: Rechtspopulistisches Identitätsframing

5.

Konzeptioneller Rahmen und Methodologie

5.1

Ziel, Forschungsfragen und Untersuchungsgegenstand

5.2

Methodenauswahl

5.2.1

Methodenreflexion

5.3

Methodisches Vorgehen

5.3.1

Quantitative Inhaltsanalyse

Auswahleinheit

Analyseeinheit

Codiereinheit

Kontexteinheit

Codierung und Reliabilität

5.3.2

Qualitative Inhaltsanalyse

6.

Ergebnisse

6.1

Ingroup der AfD

6.1.1

Bezugsgruppe: Wer ist das »Wir« der AfD?

6.1.2

Themen: Worauf bezieht sich das »Wir« thematisch?

6.1.3

Charakterisierung: Was macht das »Wir« aus?

Soziodemographische Dimension

Kulturelle Dimension

Ökonomische Dimension

Selbstverortungsdimension

Normative Dimension

Affektive Dimension

6.1.4

Zusammenfassung

6.2

Outgroups der AfD

6.2.1

Vertikale Outgroups: Akteure

6.2.2

Vertikale Outgroups: Attribute

6.2.3

Horizontale Outgroups: Akteure

6.2.4

Horizontale Outgroups: Attribute

6.2.5

Zusammenfassung

6.3

Identitätsframes der AfD

6.3.1

Master-Frame: Kulturelle Insider vs. kulturelle Outsider

6.3.2

Erster Sub-Frame: Die Bedrohten

6.3.3

Zweiter Sub-Frame: Die Retter

7.

Fazit und Ausblick

7.1

Das soziokulturelle Identitätsframing der AfD

7.2

Die Identitätsframes im Kontext der Programmatik der AfD

7.3

Die Identitätsframes im Kontext der wissenschaftlichen Literatur

7.4

Kulturelle Selbst-Aufwertung als Reaktion auf Modernisierungs- und Transformationsängste?

7.5

Kritik

7.6

Ausblick

Abbildungen

Tabellen

Literatur und Quellen

Literatur

Zeitungsartikel und journalistische Quellen

Webseiten und Social-Media-Beiträge

Sonstige Quellen

1.Einleitung

»Unser ambitioniertes Fernziel ist es, dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen.«

Alice Weidel

Im Februar 2018 schlug eine Meldung aus dem Magazin Focus (2018) hohe mediale Wellen. Darin hieß es, dass die fünf Monate zuvor in den Bundestag eingezogene AfD in den Räumen des Parlaments einen »Newsroom« mit 20 Mitarbeitenden, eigenem TV-Studio und Rund-um-die-Uhr-Programm für die Social Media aufbauen wolle. Alice Weidel, Ko-Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, gab zu Protokoll, dass sich diese neue Kommunikationseinheit Themen widmen solle, die »unter den Teppich gekehrt werden, und sie journalistisch sauber für die Öffentlichkeit aufbereiten« (ebd.). Wenige Wochen später schärfte Weidel diese Ankündigung im Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung (2018) nach, indem sie als langfristiges Ziel formulierte, dass die BürgerInnen die Botschaften der AfD anstelle der Nachrichten der ARD rezipieren sollten (siehe Zitat oben).

Dieses Beispiel bringt gleich zwei wesentliche Merkmale der politischen Kommunikation der AfD und populistischer Akteure im Allgemeinen eindrücklich auf den Punkt: Erstens kann die Bezeichnung der PR-Arbeit der Fraktion mit dem Begriff »Newsroom«, der ursprünglich aus dem Journalismus stammt und die zuerst in den USA erprobte Organisationsweise einer modernen Nachrichtenredaktion beschreibt (Meier 2006), als gezielte Provokation verstanden werden, weil sie die Grenzen zwischen politischer PR und unabhängigem Journalismus zu verwischen versucht. Da diese Provokation zu Publizität führte, überrascht kaum, dass Alice Weidel dieses Thema kurze Zeit später erneut aufgriff und weiter zuspitzte, indem sie die Ablösung des Journalismus der ARD durch die PR der AfD anpeilte. Der Ertrag der Pressearbeit der AfD zu diesem Thema: Zwei Provokationen, zwei Schlagzeilen.

Zweitens, die intensive Nutzung der Social Media, dem der sogenannte »Newsroom« Vorschub leisten sollte, ist für die politische Kommunikation der AfD kennzeichnend. Zwar lief es in der 19. Legislaturperiode letztlich eher auf zehn statt 20 Mitarbeitende für den Bereich Social Media in der AfD-Bundestagsfraktion hinaus (Schroeder u.a. 2019: 239), dennoch kommuniziert die AfD als Bundespartei und Bundestagsfraktion insgesamt auf den populären Digitalplattformen um einiges aktiver und effektiver als die anderen Parteien und Fraktionen. Seit der Parteigründung 2013 ist der gezielte Auf- und Ausbau der Digitalkommunikation ein strategischer Fokus der AfD. Schon im Laufe ihres Gründungsjahrs gelang es ihr mehr »Fans« für ihre Facebook-Seite zu gewinnen, als jede im Bundestag vertretene Partei zu diesem Zeitpunkt verzeichnen konnte (Arzheimer 2015: 548). Nicht zuletzt kompensiert die Partei durch die intensive Social-Media-Kommunikation ihre bisherige, mangelnde gesellschaftliche Anbindung traditioneller Art, die sich beispielsweise in der Abwesenheit von Kollateralorganisationen ausdrückt (Weßels 2019a: 163 ff). Statt mit derartigen organisatorischen Linkages baut sie mittels direkter Linkages (Poguntke 2000, 2005), die auf digitaler BürgerInnenkommunikation basieren, eine Anbindung zu relevanten Teilen der Gesellschaft auf.

Der Aufstieg der AfD in Deutschland reiht sich ein in das Erstarken anderer populistischer Kräfte in Europa und weiteren Teilen der Welt über die letzten Jahre. Neben ökonomischen, kulturellen und sozialen Auswirkungen von Globalisierungsprozessen (Decker 2018a: 357) werden auch der zunächst durch die Massenmedien, später durch die Digitalisierung, herbeigeführte Strukturwandel der Öffentlichkeit als Einflussfaktoren mit dem Aufstieg populistischer Kräfte in Verbindung gebracht (Aalberg u.a. 2017; Iyengar u.a. 2019; Mazzoleni 2008; Vowe 2020). Mazzoleni (2008: 50) spricht in diesem Kontext vom »media factor« des Populismus, womit er meint, dass zeitgenössische populistische Akteure verschiedene Arten von Medien zu »powerful mobilization tools« machen. Tatsächlich ist zu beobachten, dass eine Vielzahl populistischer Kräfte einen effektiveren Umgang mit den hybriden medialen Logiken heutiger Öffentlichkeiten entwickelt haben als ihre Konkurrenten im jeweiligen Parteiensystem. Mit Blick auf die digitalen Medien wurden etwa die exzessive und polarisierende Twitter-Kommunikation des 2016 zum US-Präsidenten gewählten Donald Trump, die millionenfach aufgerufenen Facebook-Videos des Vorsitzenden der italienischen Lega Matteo Salvini, die intensive Nutzung von WhatsApp im Wahlkampf von Jair Bolsonaro in Brasilien oder die auf Basis psychologischer NutzerInnenprofile entwickelten Facebook-Werbeanzeigen der »Leave«-Kampagne zum britischen Brexit-Referendum in der öffentlichen Debatte ausführlich und nicht selten mit negativem Unterton diskutiert. So war fast jede Erfolgsgeschichte von populistischen Akteuren der letzten Jahre auch eine Geschichte über die höchst effektive, mitunter aber eben auch ethisch höchst fragwürdige (wegen Desinformation oder gezielter Manipulation) Nutzung digitaler Kommunikationsinstrumente. Zusätzlich zu den von diesen Parteien selbst gesteuerten Profilen und Seiten in den Social Media, haben sich in den letzten Jahren durch die Herabsenkung der Publikationskosten und -hürden eine Vielzahl politisch nahestehender Blogs, Webseiten, Podcasts und Videokanäle mit zum Teil ebenfalls sehr hohen Reichweiten gegründet. Ein bekanntes Beispiel für ein sogenanntes rechtspopulistisches Alternativmedium (Haller 2018) ist die US-amerikanische Nachrichtenseite breitbart.com. Sie wurde bis 2016 von Stephen Bannon geleitet, der dann einen Beraterposten unter Donald Trump im Weißen Haus annahm und im Frühjahr 2018 auch der AfD als Ratgeber für ihre Kommunikationsstrategie zur Verfügung stand (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018). Auf Bannon geht die Idee vom »Informationskrieg« (Boyd 2017) zurück, nach der das (in diesem Fall) rechtspopulistische Anliegen nicht nur im politischen Rahmen durchgesetzt werden müsse, sondern es auch um die Vorherrschaft in identitätsbezogenen »battles over ideology and attention« (ebd.) im medialen Diskurs gehe, der laut Bannon von liberalen Eliten und ihren Interessen dominiert sei. Das populistische »Wir gegen Die« wird dabei nicht nur gegen politische, sondern auch mediale Eliten ausgetragen, ganz nach dem Motto »We are the people and you are fake news« (Schulz u.a. 2020: 201).

Die effektive Nutzung digitaler Kommunikation paart sich im Agieren zahlreicher populistische Akteure mit einem ähnlich vorteilsbringenden Umgang mit traditionellen, journalistischen Massenmedien. Donald Trump erreichte im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 deutlich mehr selbstgenerierte Medienpräsenz, sogenannte »Earned Media coverage« im Wert mehrerer Milliarden (McNair 2018: 138 ff), als seine direkte Konkurrentin Hillary Clinton, aber auch als jeder vorherige US-Präsidentschaftskandidat, da er regelmäßig bei seinen Auftritten ein mediales Spektakel bot, mit Konventionsbrüchen, Schmähungen und Selbstverherrlichung (Fürst/Oehmer 2018: 37). Einigen TV-Sendern bescherten die Auftritte Trumps einen beträchtlichen Anstieg der Publikumszahlen und somit zusätzliche Werbeeinnahmen. Diese »supply and demand«-Beziehung zwischen Trump und Medien brachte der damalige Chef des Senders CBS, Leeslie Moonves, auf den Punkt, als er acht Monate vor den US-Präsidentschaftswahlen 2016 über Trumps Wahlkampf sagte: »It may not be good for America, but it‘s damn good for CBS« (Politico 2016). Nach einem ähnlichen Mechanismus funktionieren die kalkulierten, häufig tabubrechenden, diskursiven Interventionen von VertreterInnen der AfD (zum Beispiel Alexander Gaulands Bezeichnung der NS-Diktatur als »Vogelschiss« deutscher Geschichte), die als direkten Effekt zuverlässig die Maximierung öffentlicher Aufmerksamkeit für die Partei und ihr Personal bewirken (Diehl 2018; Gäbler 2017; Hillje 2017).

Das Verhältnis zwischen (digitalen) Medien und Populismus ist in den letzten Jahren auch vermehrt zum Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses geworden, in der Politikwissenschaft (Diehl 2018; Spieß u.a. 2020; Stier u.a. 2017), stärker aber noch in der Kommunikationswissenschaft (Aalberg u.a. 2017; Krämer/Holtz-Bacha 2020; Meyer 2006). Zwischen journalistischen Massenmedien (insbesondere ökonomisch unter Druck stehenden) und populistischer Kommunikation wie auch zwischen den Social Media und populistischer Kommunikation wurde jeweils eine strukturelle Kompatibilität herausgearbeitet (Diehl 2018; Gerbaudo 2018; Haller 2020; Mazzoleni 2008; Spieß u.a. 2020): Populistische Akteure gelten einerseits als »clever newsmakers« (Mazzoleni 2008: 55), anderseits werden die Social-Media-Plattformen als »ideal medium for populist parties« (Bartlett 2014: 106) beschrieben. Die Argumente für die jeweilige Kompatibilität muten auf den ersten Blick paradox an: Für journalistische Massenmedien seien populistische Inhalte besonders attraktiv, weil sie relevante Nachrichtenwerte (Selektionskriterien) wie Konflikt, Überraschung, Personalisierung und Negativität erfüllten (Diehl 2018; Fürst/Oehmer 2018; Mazzoleni 2008), den Medien also die Zutaten für eine »gute Story« lieferten. Die Social Media seien wiederum für populistische Akteure besonders attraktiv, weil sie darüber eben jene journalistischen Massenmedien, die ihnen ansonsten zu Aufmerksamkeit verhelfen, als »Gatekeeper« nicht nur umgehen, sondern sie als Teil der »verlogenen« Eliten stigmatisieren und sich zugleich als wahrhaftige Informationsquelle profilieren könnten (Decker 2018a: 364). Die direkte Kommunikation zu den BürgerInnen über die Social Media ermöglicht populistischen Akteuren tatsächlich gemäß ihres Selbstverständnisses »volksnah« und frei von Zwischenfiltern ihre Weltanschauung zu vermitteln. Mehr noch, »developing a right-wing populist lifestyle and identity«, also die Schaffung einer rechtspopulistischen kollektiven Identität unter den AnhängerInnen, gehört laut Krämer (2017: 1) zu den zentralen Funktionen der Digitalkommunikation für rechtspopulistische Kräfte, in dem oben zitierten Sinne von Stephen Bannons Vorstellung eines medienvermittelten Konflikts über Ideologie und Identität. Das Nebeneinander von Anbiederung und Umgehung (bzw. Ablehnung) des Journalismus ist allerdings nur ein vermeintliches Paradox. Tatsächlich lässt sich darin eine Form des strategischen Medienmanagements erkennen, also der Versuch der gleichzeitigen Wirkungsmaximierung auf unterschiedlichen Medienkanälen. Auf diese Weise ist auch zu erklären, dass Alice Weidel in einem journalistischen Qualitätsmedium (NZZ) ankündigt, den unabhängigen Journalismus (repräsentiert durch die ARD) durch die eigenen Social-Media-Kanäle ersetzen zu wollen. Das ist nicht zwingend ein performativer Widerspruch, sondern Bedienung der medialen Nachfrage nach Provokation mittels offensiver Kritik dieser Medien bei gleichzeitiger Bewerbung eigener Kommunikationskanäle.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der bis hierher kurz umrissenen kommunikativen Dimension des Populismus. Dabei steht der bereits erwähnte Aspekt der Schaffung einer rechtspopulistischen kollektiven Identität im Zentrum des Interesses. Häufig wird dem Rechtspopulismus eine identitätspolitische Ausrichtung zugeschrieben (Betz 2002; Decker 2018a), die vorliegende Arbeit möchte diesen Aspekt vertiefen und die Populismusforschung mit dem Beitrag empirischer Daten in dieser Richtung weiterentwickeln. Konkret geht es um die AfD und ihre Social-Media-Kommunikation als ein spezifischer Weg für die Identitätskonstruktion. Dabei wird der Frage nachgegangen, inwiefern die AfD in ihrer Facebook-Kommunikation ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, eine kollektive bzw. soziale Identität, unter ihrer AnhängerInnenschaft konstruiert. In diesem Einleitungskapitel werden zunächst zentrale Begrifflichkeiten geklärt, das Forschungsinteresse und die Forschungsfrage spezifiziert sowie der relevante Forschungsstand zusammengefasst. Zum Abschluss der Einleitung wird der Aufbau der Arbeit dargelegt.

1.1Begriffsklärungen

In den bisherigen Ausführungen ist bereits eine Vielzahl von Begrifflichkeiten verwendet worden, die einer wissenschaftlichen Definition bedürfen. Daher sollen in diesem Abschnitt der Einleitung jene Begriffe definiert werden, die zentral für die vorliegende Arbeit sind und dementsprechend häufig benutzt werden. Dazu gehören die Begriffe Populismus bzw. Rechtspopulismus, populistische Kommunikation, Framing, soziale Identität und Social Media.

Populismus und Rechtspopulismus

In der öffentlichen Debatte kann man mitunter den Eindruck bekommen, je häufiger von Populismus die Rede ist, desto vielfältiger werden die Bedeutungen, die diesem Begriff zugeschrieben werden. Auch im wissenschaftlichen Diskurs konkurrieren unterschiedliche Begriffsverständnisse (Canovan 1981; Decker 2004; Laclau 2005; Moffit 2016; Mudde 2004), die bereits umfassend in zahlreichen anderen Arbeiten, exemplarisch von Rensmann (2006) und Wolf (2019) zusammengetragen wurden. Nicht zuletzt durch die jüngste Intensivierung der Populismusforschung in der Politikwissenschaft, aber auch anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, haben sich mittlerweile zwei dominante Perspektiven auf den Populismusbegriff herauskristallisiert (Priester 2012: 40 ff; Rensmann 2006; Schroeder et. al. 2020: 9 ff; Wolf 2019: 92 ff): Die erste Perspektive versteht Populismus in erster Linie als eine politische Mobilisierungsstrategie und nimmt dabei seine Form, beispielsweise Politikstil, Kommunikationsformen sowie diskursive und rhetorische Praktiken in den Blick (Jagers/Walgrave 2007; Pfahl-Traughber 1994; Priester 2012: 40 ff; Rooduijn 2014). Dieser Perspektive lässt sich beispielsweise Pfahl-Traughber (1994: 18) zuordnen, der »unter Populismus keine politische Ideologie, sondern eine Politikform« versteht und sein Begriffsverständnis folgendermaßen ausführt:

»Dieses Verständnis definiert Populismus als eine bestimmte Interaktion, als eine besondere Wechselbeziehung zwischen einem Akteur und seinem Publikum […] Auf inhaltliche Unterschiede kommt es dabei nicht an, die Form ist für dieses Begriffsverständnis ausschlaggebend.«

In ähnlicher Weise konzentrieren sich Jagers und Walgrave (2007: 322) in ihrer begrifflichen Konzeption auf die Form und verstehen unter Populismus »a style rather than an ideology.« Dieser Stil sei zuvörderst ein politischer Kommunikationsstil, ihr Definitionsvorschlag lautet dementsprechend (ebd.):

»We propose a thin definition of populism considering it as a political communication style of political actors that refers to the people.«

Problematisch an diesem Verständnis von Populismus als ein Kommunikationsstil, der einen Bezug zum Volk herstellt, ist allerdings, dass dieser kaum als Distinktionsmerkmal politischer Parteien taugt. In diesem Sinne wäre Populismus in westeuropäischen Demokratien bei einer Vielzahl von Parteien und PolitikerInnen nachweisbar (Beyme 2015: 20; Decker 2000; Rensmann 2006: 71 f; Wolf 2019: 101). Rhetorische Merkmale, die dem populistischen Kommunikationsstil neben dem Bezug auf das Volk häufig beigemessen werden sind beispielsweise Emotionalisierung, Dramatisierung sowie Simplifizierung, die aber Mazzeloni (2008: 52) zufolge unter den heutigen gesellschaftlichen und medialen Bedingungen Grundvoraussetzung für jede erfolgreiche Persönlichkeit in der Politik sind:

»In contemporary society, where image is paramount, political leaders must be good ›actors‹ and master the tools of drama in order to address effectively a domestic audience that has become increasingly distracted from politics.«

Somit können formzentrierte Definitionen den Populismus zwar auf recht unkomplizierte Weise im Auftritt und der politischen Kommunikation empirisch nachweisbar machen, erschweren allerdings erheblich die eindeutige Unterscheidung von populistischen und nicht-populistischen Akteuren.

Die zweite Perspektive konzeptualisiert Populismus als eine »dünne Ideologie« (Freeden 1996) und bezieht sich primär auf den Inhalt, also die normativen und programmatischen Kernelemente des Populismus. Dieser Ansatz, der auch als ideational approach (Mudde 2017) bezeichnet wird, begreift Populismus nicht als vollständige Weltanschauung, sondern als ein ideelles Grundkonzept, das sich an andere Ideologien anlehnen kann (Franzmann/Lewandowsky 2020: 12). Eine weit verbreite inhaltszentrierte Definition von Populismus stammt von Cas Mudde (2004). Aufbauend auf dem Konzept der dünnen Ideologie von Michael Freeden (1996), legt Mudde (2004: 543) in seinem Aufsatz »The Populist Zeitgeist« folgendes Begriffsverständnis vor:

»I define populism as an ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic groups, ›the pure people‹ versus ›the corrupt elite‹, and which argues that politics should be an expression of the volonté générale (general will) of the people.«

Im Kern besteht die schwache Ideologie des Populismus somit, erstens, aus der manichäischen Sichtweise, dass die Gesellschaft in zwei homogene, sich feindlich gegenüberstehende Gruppen gespalten ist: das reine Volk auf der einen und die korrupte Elite auf der anderen Seite. Zweitens werde das Volk von der Elite dahingehend betrogen, dass die Eliten die Volkssouveränität untergraben, weswegen von populistischen Kräften häufig eine direktere Herrschaft des Volkes eingefordert wird. Populismus zeichnet sich in dieser Perspektive durch die beiden Elemente Anti-Establishment und Volkszentrierung aus (Arzheimer 2015; Franzmann/Lewandowsky 2020: 13; Giebler u.a. 2019: 84). Manche Autoren sprechen bei dem zweiten Element nicht von Volkszentrierung, sondern Volkssouveränität. Der Begriff der Volkszentrierung ist allerdings umfassender, da er die politische Souveränität des Volks beinhaltet, aber auch die Mystifizierung von Moral und Identität des Volkes mit einschließt (Franzmann/Lewandowsky 2020: 19). Unterschiedliche Auffassungen gibt es darüber hinaus, ob Anti-Pluralismus, also die Exklusion bestimmter Bevölkerungsgruppen, notwendiger Bestandteil von Populismus ist oder nicht. Müller (2019: 19) beispielsweise argumentiert, dass es Populisten »immer« um Anti-Pluralismus gehe. Tatsächlich haben Mudde und Kaltwasser (2013a) jedoch gezeigt, dass etwa in Lateinamerika linksorientierte populistische Akteure für die Inklusion bislang benachteiligter Gruppen streiten. Wie unten noch näher erläutert wird, scheint Anti-Pluralismus vielmehr ein Kennzeichen von Rechtspopulismus, nicht aber von Populismus im Allgemeinen zu sein. Letzterer bleibt in seinem Wesen unvollständig und chamäleonisch (Taggart 2004), sodass populistische Parteien ihre Programmatik mit Elementen aus anderen (dicken oder dünnen) Ideologien wie Sozialismus oder Nationalismus unterfüttern müssen, um dann als links- oder rechtspopulistisch in Erscheinung zu treten (Lewandowsky u.a. 2016; Mudde 2004: 544).

Die beiden Perspektiven – Populismus als Inhalt oder als Form – werden in der vorliegenden Arbeit nicht als sich gegenseitig ausschließende Ansätze betrachtet, sondern die Form als kommunikative Übersetzung der Kerninhalte des Populismus verstanden. Dass man Populismus nicht allein als einen Kommunikationsstil verstehen sollte, wird in dieser Arbeit folgendermaßen begründet: Selbst wenn es einen für den Populismus charakteristischen Kommunikationsstil gibt, können politische Akteure, die programmatisch nicht als populistisch einzuordnen sind, diesen Stil aus strategischen Gründen anwenden. Ob eine Partei oder ein Politiker als populistisch zu klassifizieren ist oder nicht, lässt sich also stichhaltiger an der Programmatik als an der Rhetorik festmachen. Nach dieser grundlegenden konzeptionellen Klärung wird zunächst ein inhaltszentriertes Verständnis von Rechtspopulismus vorgelegt und im Anschluss die Form seiner Darstellung in der Öffentlichkeit als (rechts-)populistische Kommunikation konzeptualisiert.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Phänomen des Rechtspopulismus, dem die AfD zugeordnet wird (Arzheimer 2015; Decker 2018a; Franzmann 2016; Lewandowsky u.a. 2016; Schroeder/Weßels 2019). Rechtspopulismus ist laut Mudde (2007: 19) Populismus, der um Nativismus und bei radikaleren rechtspopulistischen Akteuren zusätzlich um Autoritarismus ergänzt wird. Nativismus ist eine Kombination von Nationalismus und Xenophobie und drückt sich etwa anhand der Definition des Volkes durch die Ethnizität von Menschen aus:

»[E]thnicity is not part of the populist distinction between the people and the elite, who are part of the same ethnic group, but rather of the nativist distinction between ›natives‹ and ›aliens‹, in which the latter are considered to be part of neither the people nor the elite.« (Mudde/Kaltwasser 2017: 72)

Der Rechtspopulismus wendet sich also nicht nur gegen Eliten, sondern auch gegen (Bevölkerungs-)Gruppen mit anderer ethnischer Herkunft. Migrantische Minderheiten oder schutzsuchende Geflüchtete gehören demnach nicht zum Volk. Dieser für den Rechtspopulismus kennzeichnende Anti-Pluralismus kann sich nicht nur durch die Exklusion von Gruppen anhand ihrer Ethnizität, sondern auch auf Basis von Religion und Weltanschauung äußern (Franzmann/Lewandowsky 2020: 19). Die unterschiedlichen Konstellationen der Exklusion im Populismus und Rechtspopulismus haben Schroeder u.a. (2020: 11) auf folgende Weise zutreffend zusammengefasst:

»Insgesamt ergänzt der Rechtspopulismus den antielitär auftretenden Populismus (vertikale Anti-Haltung) um eine antipluralistische Dimension (horizontale Anti-Haltung).«

Während Populismus also einen Konflikt »unten gegen oben« (Volk vs. Elite) konstruiert, ergänzt der Rechtspopulismus den Antagonismus »innen gegen außen« (Einheimische vs. Fremde), der auf nationalistischem und häufig auch völkischem Gedankengut beruht. Arzheimer (2015) klassifizierte die AfD bereits auf Basis ihres euroskeptischen Europawahlprogramms 2014 als rechtspopulistisch. Breite Unterstützung fand diese Einstufung allerdings erst ab 2015, als sie sich »von einer Anti-Euro-Partei hinzu einer klassisch rechtspopulistischen Anti-Migrationspartei gewandelt hat« (Franzmann/Lewandowsky 2020: 49). Mit diesem programmatischen (und personellen) Wandlungsprozess, der in der Öffentlichkeit gemeinhin als »Rechtsruck« bezeichnet wird, hat sich die AfD ideologisch weiter zum Rechtsextremismus orientiert. Das führte dazu, dass Anfang 2020 das Bundesamt für Verfassungsschutz (2020) die völkische Strömung in der Partei (»Der Flügel«) als rechtsextrem einstufte und unter Beobachtung stellte. »Rechtspopulistisch« erscheint nicht trotz, sondern wegen der nachgewiesenen rechtsextremen Elemente in der Partei weiterhin die zutreffendste Bezeichnung für die Gesamtpartei der AfD zu sein. Schließlich liegt das gemeinsame Vorkommen von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in ihrem engen Verhältnis zueinander begründet: Rechtspopulismus ist im Gegensatz zum Rechtsextremismus zwar nicht als »anti-systemisch« (Priester 2012: 109), sondern als Anti-Establishment zu definieren, sehr wohl sollte er aber aufgrund seiner anti-pluralistischen Merkmale als »Brücke, Kontinuum und Möglichkeitsraum« (Schroeder u.a. 2020: 13) zwischen noch-demokratischen und rechtsextremistischen Positionen verstanden werden. Die Verbindungen von PolitikerInnen der AfD zu rechtsextremen Gruppierungen wie der Identitären Bewegung machen diese Scharnierfunktion in der Realität deutlich.

Populistische politische Kommunikation

Die Definition von Populismus als schwache Ideologie schließt nicht aus, dass Populismus auch in Form von politischer Kommunikation in Erscheinung tritt. Im Gegenteil: Der kommunikationswissenschaftliche Blick auf politische Kommunikation und Populismus erweist sich als nützlich, um die Brücke zwischen Form und Inhalt, zwischen Ideologie und Strategie zu schlagen. Politische Kommunikation ist gemäß dem in der kommunikationswissenschaftlichen Literatur weit verbreiteten Verständnis »der zentrale Mechanismus bei der Generierung, Formulierung und Artikulation politischer Interessen, ihrer Aggregation zu entscheidbaren Programmen« (Donges/Jarren 2017: 8). Eine Partei, die sich programmatisch auf die dünne Ideologie des Populismus stützt, muss folglich (wie jede andere Partei) ihre politischen Inhalte in kommunikative Botschaften übertragen und mittels kommunikativer Praktiken Unterstützung für ihre Positionen generieren. In diesem Sinne hat Kriesi (2014: 364) das Verhältnis von Inhalt und Form des Populismus beschrieben: »[T]he populist ideology manifests itself in the political communication strategies of populist leaders.« Anders ausgedrückt: Die dünne populistische Ideologie ist die inhaltliche Grundlage der Botschaften populistischer Kommunikation, in denen sich Populismus empirisch nachweisen lässt.

Die kommunikationswissenschaftliche Populismusforschung ist insbesondere in jüngster Zeit stark angewachsen und hat dabei die konzeptionelle Frage in den Mittelpunkt gerückt, wie Populismus in politischer Kommunikation zum Ausdruck kommt. Reinemann u.a. (2017: 14) definieren populistische politische Kommunikation anhand von drei Merkmalen:

»In our view, the communicative construction of ›the people‹ – appeals to the people, talking about the people, putting the people and their opinions first in political decisions, or symbolically and rhetorically uniting with the people by talking about ›we‹ and ›us‹ – constitutes the undisputed core of populist communication. Two other often mentioned key characteristics are anti-elitism – apparent in attacks on, or in criticism of, various kinds of elites, institutions, the establishment, or ›the system‹ – and the exclusion of out-groups, which may become apparent in positions toward certain policy issues or in verbal attacks on those groups that are not regarded as a legitimate part of the ›real‹ people.«

Populistische Kommunikation ist demzufolge die kommunikative Konstruktion der zentralen Elemente des Populismus, wobei Reinemann und Kollegen, im Gegensatz zum Populismusbegriff der vorliegenden Arbeit, neben der Volkszentrierung und Anti-Eliten-Orientierung auch die Exklusion gesellschaftlicher Gruppen (»Outgroups«) als konstituierendes Populismuselement begreifen. Gemäß der oben beschrieben Unterscheidung von Populismus und Rechtspopulismus, ist die Trias aus Volksbezug, Anti-Elitismus und Anti-Pluralismus jedoch als Charakterisierung für rechtspopulistische Botschaften zutreffender. Dennoch erscheint der Ansatz von Reinemann u.a., populistische Kommunikation anhand der kommunikativen Konstruktion der Kernelemente des Populismus festzumachen, plausibel. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Minimaldefinition populistischer Kommunikation: Politische Kommunikation ist populistisch, wenn ihre Botschaften die Kernelemente des Populismus vermitteln.

Darüber hinaus ließen sich rhetorische Stilmittel identifizieren, die als typisch (aber nicht exklusiv) für die Kommunikation populistischer Akteure gelten können. Häufig genannt werden in diesem Zusammenhang Emotionalisierung, Simplifizierung, Dramatisierung, Angstmache, Provokation und Tabubrüche (Decker 2018a: 364; Diehl 2018: 93; Kriesi 2018; Moffit/Tormey 2014: 391 f; Wodak 2015: 38; Wolf 2019: 102). Auch wenn sich populistische Kräfte womöglich deutlich öfter als andere Akteure dieser Stilmittel bedienen, besitzen sie kein Patent auf diese rhetorischen Formen, die auch von nicht-populistischen Akteuren genutzt werden. Populistische und nicht-populistische Kommunikation lassen sich somit trennschärfer auf der Ebene der Botschaft (was wird vermittelt) anstatt auf der Ebene rhetorischer Stilmittel (wie wird es vermittelt) voneinander unterscheiden. Zusammengefasst bedeutet das: Populistische Kommunikation zeichnet sich durch die kommunikative Konstruktion der Kernelemente des Populismus aus, also Volkszentrierung und Anti-Eliten-Orientierung. Rechtspopulistische Kommunikation enthält neben der Volkszentrierung und Eliten-Ablehnung (vertikale Dimension) auch die kommunikative Konstruktion von Outgroups auf horizontaler Ebene. Die kommunikative Verbreitung (rechts-)populistischer Botschaften erfolgt auf unterschiedliche Weise, etwa durch Parteiprogramme (Franzmann/Lewandowsky 2020), Reden (Detering 2019), Pressemitteilungen (Franzmann 2014, 2016) oder Social-Media-Kommunikation (Ernst u.a. 2017).

Framing

Im Zentrum der Definition populistischer politischer Kommunikation steht die kommunikative Konstruktion der ideologiebezogenen Kernelemente des Populismus. Unklar ist jedoch bislang geblieben, was genau unter »kommunikativer Konstruktion« zu verstehen ist. Die Konstruktion von Realität mittels Sprache und Botschaften wird in der Kommunikations- und Kognitionswissenschaft mit der Framing-Theorie erklärt (Lakoff 2004; Matthes 2014; Oswald 2019; Scheufele 2003). Für den Framing-Ansatz zeigt die politikwissenschaftliche Populismustheorie von Cas Mudde (siehe oben) eine direkte Anschlussfähigkeit, wenn er und seine Ko-Autoren Populismus als »mental map« (Mudde/Kaltwasser 2013b: 498) und »a way of seeing the world that is linked to different kinds of languages« (Hawkins u.a. 2012: 7) beschreiben. Derartige kognitive Phänomene werden aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive als Prozess des Framings bezeichnet (Reinemann u.a. 2017: 13 f). Ausgangspunkt der sozialwissenschaftlichen Karriere des Framing-Konzepts ist der Essay von Erving Goffman (1974) mit dem Titel »Frame Analysis: An Essay on the Organization of Experience«. Darin definiert Goffman (ebd. 21) einen Frame als »Interpretationsschema« und somit als ein kognitives Instrument, mit dem Menschen Ereignisse in ihrem Alltag lokalisieren, wahrnehmen, identifizieren und rubrizieren können. Als Synonym für Goffmans Interpretationsschema bezeichnet Oswald (2019: 14) einen Frame als »Denkschablone«, welche die individuelle Realitätswahrnehmung und Informationsverarbeitung leitet:

»Wenn wir etwas perzipieren, gleichen wir die eingehenden Botschaften anhand der vorhandenen Denkschablonen ab. Dies sind meist Konzepte, die ähnliche Sachverhalte, Ideen, Kategorien, Ideologien, Stereotypen […] oder andere Einflüsse bereits geprägt haben. Diese kognitiven Verknüpfungen oder Heuristiken leiten und filtern die Informationsverarbeitung.«

Neben Interpretationsschema und Denkschablone werden in der Literatur synonym auch die Begriffe Deutungsrahmen oder Heuristik als Umschreibung für einen Frame verwendet (ebd. 11 ff). Neben dem Frame bedeutet der Prozess des Framings dementsprechend »to actively construct the meaning of the reality in question« (Hänggli/Kriesi 2010: 142). Diese Konstruktion von Bedeutung kommt in der Realität nicht selten ohne Bias aus, also einer inhaltlichen Verzerrung, die beispielsweise Resultat individueller Vorerfahrungen oder ideologischer Prägungen sein kann (Oswald 2019: 14). In der politischen Kommunikation tritt Framing in drei unterschiedlichen Formen auf: Erstens als Strategie politischer Kommunikatoren (Hänggli/Kriesi 2010; Lakoff 2004; Oswald 2019; Snow u.a. 1986), zweitens als Praxis journalistischer Informationsvermittlung (Entman 1993; Schemer 2013; Scheufele 2003) und drittens als kognitiver Prozess von Individuen zur Verarbeitung von eingehenden Informationen (Dahinden 2006; Matthes 2014). Frames führen also gewissermaßen ein »Doppelleben« (Kinder/Sanders 1996: 164) beim Sender und Empfänger von Kommunikationsinhalten: als kommunikatives Instrument zur Konstruktion von Realität (Sender) und als Denkstruktur zur Wahrnehmung und Interpretation von Realität (Empfänger).

Von Interesse für die vorliegende Arbeit ist Framing als Instrument der politischen Kommunikation. In diesem Kontext konstatiert Oswald (2019: 166) eine Nähe zwischen den Konzepten Framing und Ideologie: »Frames können in diesem Fall als Vermittlungsmedium für die Inhalte von Ideologien gesehen werden.« Man könnte auch sagen, dass im Zuge des Framings eine Ideologie kommunikativ anwendbar gemacht wird. David Snow und Robert Benford (1988: 199) haben diesbezüglich drei Grundfunktionen von Frames in der politischen Kommunikation ausgemacht: Erstens wird mittels Framing eine bestimmte gesellschaftliche Realität als problematisch dargestellt. Zweitens beinhaltet ein Frame eine Lösung für das identifizierte Problem. Und drittens soll Framing zum Handeln motivieren, also zur Überwindung des problematischen Status quo. Diese drei Grundfunktionen des Framings hat Aslanidis (2016: 99) auf den Populismus übertragen und einen Vorschlag unterbreitet, was unter einem »populistischen Frame« zu verstehen ist:

»Populist discourse can equally be perceived as the systematic dissemination of a frame that diagnoses reality as problematic because ›corrupt elites‹ have unjustly usurped the sovereign authority of the ›noble people‹ and maintains that the solution to the problem resides in the righteous political mobilization of the latter in order to regain power. This, therefore, can be labelled the ›populist frame‹ – the ›subatomic matter‹ that constitutes populist discourse.«

Zwar unterstützt diese Arbeit nicht den Vorschlag von Aslanidis (2016, 2018), dass Populismus grundsätzlich als Frame und nicht als schwache Ideologie verstanden werden sollte (in diese Richtung argumentieren auch Jagers/Walgrave 2007 sowie Caiani/della Porta 2011). Jedoch erscheint es sinnvoll, populistische Kommunikation als Verbreitung des populistischen Frames (wie ihn Aslanidis definiert hat), der die politische und gesellschaftliche Realität gemäß den ideologiebezogenen Elementen des Populismus konstruiert, zu verstehen (Reinemann u.a. 2017). Populistische Kommunikation verbreitet demzufolge eine Denkschablone (oder »mental map«), bei deren Anwendung beispielsweise den Eliten bei jedem Handeln die Absicht unterstellt wird, dem Volk schaden und selbst profitieren zu wollen. Ein wichtiger Mechanismus des Framings ist dabei, dass ein Frame nach seiner Etablierung bereits durch einzelne Schlüsselbegriffe aktiviert werden kann. Ein Populist muss seiner AnhängerInnenschaft nicht jedes Mal erklären, wie niederträchtig die Eliten angeblich sind, allein die Nennung von Begriffen wie »Establishment«, »System« oder »die da oben« aktiviert den Deutungsrahmen, demzufolge die Eliten das Volk notorisch hintergehen.

Ein weiterer Mechanismus des Framings, der in Bezug auf populistische Kommunikation von zentraler Bedeutung ist, ist die Konstruktion von kollektiven Identitäten: »Da bei Framings Rückgriffe auf Identitäten, Praktiken, Überzeugungen und Symbole aus vorherrschenden Ideologien vorhanden sind und verstärkend eingesetzt werden« (Oswald 2019: 165), können Frames die Ausbildung von Identitäten befördern:

»Das Framing von sozialer Identität ist eine zuträgliche Kommunikationstaktik für Strategen, welche eine Unterstützung für ihr Bestreben um einen sozialen Wandel suchen.« (ebd. 115)

Mit der Volkszentrierung, also der Beschwörung des Volkes, bezieht sich der Populismus nicht nur auf eine Gruppe, er selbst konstruiert diese Gruppe. Populistische Akteure »are attempting to bring a subject called ›the people‹ into being: they produce what they claim to present« (Moffit/Tormey 2014: 389). Dahinter steckt der Versuch, die BürgerInnen als eine einheitliche soziale Gruppe zu framen, die eine gemeinsame soziale Identität teilen, wie Reinemann u.a. (2017: 19) ausführen:

»[P]opulist communication tries to create a new social identity among citizens or to prime certain aspects of their social identity in order to unite them and generate a sense of belonging to an imagined community charged with positive emotions.«

Framing hat somit in der populistischen Kommunikation nicht nur die Funktion, eine Denkschablone gemäß dem populistischen Weltbild zu liefern, sondern auch eine populistische Identität kommunikativ zu konstruieren und kognitiv zu verankern. Mit anderen Worten: Die Schaffung einer sozialen Identität steht im Zentrum populistischer Kommunikation. Was unter sozialer Identität zu verstehen ist, bedarf deswegen ebenfalls einer ausführlichen Betrachtung.

Soziale Identität

Die sozialpsychologische Forschung hat hervorgebracht, dass sich Individuen nicht nur über ihr Selbstkonzept und ihre persönliche Identität definieren, sondern auch über eine soziale Identität. Als soziale Identität definiert Henri Tajfel (1982: 102) jenen Teil der Identität eines Individuums, »der sich aus seinem Wissen um seine Mitgliedschaft in sozialen Gruppen und aus dem Wert und der emotionalen Bedeutung ableitet, mit der diese Mitgliedschaft besetzt ist.« Der Begriff soziale Gruppe ist dabei sehr allgemein zu verstehen und kann beispielsweise als Nation, soziale Klasse innerhalb einer Gesellschaft, Verein, Bewegung oder Partei in Erscheinung treten (für Unterklassifizierungen von sozialer Identität Rucht 2011). So informiert die von Tajfel und seinem Kollegen Turner (1979, 1986) entwickelte Theorie der sozialen Identität mittlerweile auch die Forschung zur Parteiidentifikation in der Politikwissenschaft (Greene 1999; Kroh 2020: 463; Mayer 2017). Während die Parteiidentifikation schon seit Jahrzehnten ein etabliertes Konzept in der politikwissenschaftlichen Wahlforschung ist (Campbell u.a. 1960), wird dem Begriff der Identität von Parteien weniger Aufmerksamkeit zuteil, wie Junge (2009: 130) aufgearbeitet hat:

»[I]n der Parteienforschung wird der Begriff Identität im Zusammenhang mit Parteien beleuchtet. […] Setzt man die Anzahl entsprechender Aufsätze allerdings in Beziehung zum Output der Parteienforschung insgesamt […], so stellt der Diskurs um ›Partei-Identität‹ – falls man überhaupt von einem Diskurs sprechen kann – nicht einmal eine Fußnote im dicken Buch der Parteienforschung dar.«

In seinem Literaturüberblick zum Thema Parteiidentität bilanziert Mittag (2020: 46 ff), dass die Identität einer Partei in der Parteienforschung je nach Perspektive an den Parteimitgliedern, den Parteifunktionären oder der Programmatik festgemacht wird. Für die vorliegende Arbeit ist die Parteiidentität als soziale Identität der WählerInnen der AfD von Interesse. Eine zweigliedrige Definition aus dieser Perspektive, die an die Prämissen der sozialen Identitätstheorie anknüpft und beispielsweise auch von Mittag (ebd.) in seiner Arbeit zur Identität bundesrepublikanischer Parteien adaptiert wird, stammt von Valérie Rosoux (2006: 130):

»Identität […] lässt sich als eine gesellschaftliche Vorstellung definieren, auf die eine Gruppe ihre Einheit gründet, indem sie sich von anderen unterscheidend abgrenzt. Diese Definition umfasst zwei entscheidende Aspekte. Der erste betrifft die Tatsache, dass Identität keine objektive Wahrheit, sondern Resultat einer Konstruktion ist. In diesem Sinne ist Identität als eine politische Fiktion und eine politische Strategie zu verstehen. […] Der zweite Aspekt, den es hervorzuheben gilt, bezieht sich darauf, dass Identität aus einer doppelten Bewegung erwächst. Identität tritt als ein dynamischer Prozess in Erscheinung, der sich aus den Komponenten Vereinigung und Gegensatz zusammensetzt. Identität ist das Ergebnis von Angleichung und Unterscheidung, von Identifikation mit den einen und von Unterscheidung gegenüber den anderen. Von daher ergibt sich Identität aus Relationen, sie stellt keine Eigenschaft dar, die dem Kollektiv an sich zukäme.«

Statt sozialer Identität verwendet Rosoux den in der Politikwissenschaft etablierteren Begriff der »kollektiven Identität«. Vielfach werden diese beiden Begriffe synonym verwendet, wobei Rucht (2011) feine Unterschiede anmerkt, die für die vorliegende Arbeit jedoch nicht relevant sind. Bedeutsam sind hingegen die zwei Komponenten von Identität in der Definition von Rosoux. In Abgrenzung zu eher strukturbasierten Perspektiven, folgt sie einem sozial-konstruktivistischem Ansatz, demzufolge soziale bzw. kollektive Identitäten von Menschen geschaffen werden, um ein Individuum mit einer Gruppe zu verbinden. Die Konstruktion von Identitäten lässt sich im politischen Kontext nicht nur bei Parteien feststellen, sondern beispielsweise auch bei Bewegungen (Melucci 1989; Rucht 1995; Snow/Benford 1988), Nationen (Anderson 1983; Gellner 1983; Hobsbawm 1990) oder supranationalen Gebilden wie der EU (Bruter 2005; Risse 2010; Schmidt 2011). Wenn Identitäten also konstruiert werden und nicht etwa naturgegeben sind, stellt sich die Frage, welche Prozesse dazu führen, dass Menschen sich einer Gruppe zugehörig fühlen. Karl W. Deutsch (1953) gehörte zu den ersten Politikwissenschaftlern, der die zentrale Rolle von Kommunikation bei der Entwicklung sozialer Identitäten theoretisch begründete. Bis heute folgten zahlreiche Arbeiten aus der Kommunikationswissenschaft, die eine bedeutsame Rolle von medialer Kommunikation für die Entstehung von kollektiven Identitäten nachweisen (Morley 2001; Schlesinger 1991; Silverstone 1999). Exemplarisch konstatiert Georgiou (2006: 11): »[M]edia […] have become organised mechanisms of great significance for constructing identities in local, national and transnational contexts within modernity.«

Das Potenzial für die Schaffung von kollektiven Identitäten wurde längst auch für digitale Medien reklamiert (Bharucha 2011; Byrne 2008; Kendall 2011). Coleman (2006) argumentiert, dass die Interaktionsmöglichkeiten zwischen (sich fremden) Menschen auf Digitalplattformen das Potenzial haben, die Ausbildung von Gruppenidentitäten zu befördern. Diverse Arbeiten stellen das identitätsformende Potenzial der Vernetzung über die Social Media insbesondere in Bezug auf Protestbewegungen heraus (Gerbaudo 2015; Kavada 2015; Khazraee/Novak 2018). Gerbaudo und Treré (2015: 4) führen dazu aus:

»[C]ollective identity becomes shaped by the interactivity of Social Media, as seen in the deployment of various Social Media interactive features, from profile pictures to status messages, and metrics as likes and comments which are appropriated as mechanisms of collective identification.«

Mit dem Fokus auf Social Media wird in der vorliegenden Arbeit eine spezifische Art und Weise der Identitätskonstruktion behandelt. Andere Wege der Identitätskonstruktion von Parteien, beispielsweise über klassische Massenmedien oder die Programmatik (Mittag 2020; Reichart-Dreyer 2000) werden im empirischen Teil dieser Arbeit nicht beleuchtet. Die Schwerpunktsetzung auf die Social Media liegt in der hohen Bedeutung der digitalen Kommunikation für die AfD begründet.

Die zweite Komponente der Identitätsdefinition von Rosoux greift die zentrale Prämisse der sozialen Identitätstheorie auf, demzufolge soziale Identitäten durch die Unterscheidung von Eigen- und Fremdgruppe entstehen (Ingroup und Outgroup). Die Ausrichtung politischen Handelns an den Interessen einer Gruppe, die durch Kategorien wie Ethnie, Nationalität, Klasse, Geschlecht oder sexuelle Orientierung konstituiert ist, wird auch als Identitätspolitik bezeichnet (Bernstein 2005). Im Kern soll mit der Anwendung solcher Kategorien bestimmt werden, ob ein Mensch dazugehört oder nicht, ob er bzw. sie zu »uns« oder zu den »Anderen« gehört. Der Populismus macht eine solche Unterscheidung zwischen »uns, dem tugendhaften Volk« und »den Anderen, der schädlichen Elite«. Dem Volk und den Eliten werden bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, um eine Differenz zu markieren und Gruppenidentitäten entsprechend zu konstruieren. Identität wird jedoch insbesondere als »das Schlüsselthema des rechten Populismus« (Decker 2018a: 356) in der heutigen Populismusforschung angesehen. Betz (2002: 261) beschreibt, wie der Rechtspopulismus auf Basis des Nativismus die kulturelle Identität ins Zentrum seiner Argumentation stellt:

»Der Diskurs rechtspopulistischer Parteien baut gerade darauf auf, Multikulturalismus als eine Abwertung der Mehrheitskultur darzustellen und die Mehrheit zu Opfern derjenigen zu machen, die einer ›unbegrenzten Einwanderung‹ Vorschub leisten und damit die Zerstörung der nationalen und kulturellen Identität billigend in Kauf nehmen. Daraus ergibt sich folgerichtig die Forderung rechtspopulistischer Parteien nach Anerkennung des Rechts auf Identität und darauf, Herr im eigenen Haus zu sein.«

Soziale bzw. kollektive Identität wird in dieser Arbeit also als vornehmlich kommunikativ konstruiertes Gruppenbewusstsein von Individuen verstanden, das sowohl auf der Bewusstwerdung von Gemeinsamkeiten der Eigengruppe als auch der Differenzen zu Fremdgruppen beruht. Im Populismus ist diese Eigengruppe das Volk, die Fremdgruppe die Eliten, im Rechtspopulismus kommen weitere soziale Gruppen als anti-pluralistische Outgroups hinzu. Da der Rechtspopulismus mit Blick auf die Identitätskonstruktion vornehmlich auf eine »exlusion strategy« (Jagers/Walgrave 2007: 331) zurückgreift, kommt der Abgrenzung zum Fremden häufig eine größere Bedeutung als der Konkretisierung des Eigenen zu. Damit ergibt sich im Rechtspopulismus die positive Gemeinsamkeit der Ingroup in erster Linie durch die Herausstellung der negativen Andersartigkeit der Outgroups.

Social Media

Digitale Kommunikationskanäle, insbesondere die sogenannten Social Media, haben sich als fester Bestandteil im Instrumentarium der politischen Kommunikation von Parteien etabliert (Haller 2019; Jungherr 2017). Der englische Begriff »Social Media« wird ins Deutsche häufig mit »Soziale Medien« oder auch »Soziale Netzwerke« übersetzt. Gemeint sind damit in der Regel populäre digitale Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram oder YouTube, auf denen Menschen selbst Inhalte publizieren und mit anderen NutzerInnen interagieren können. Die Übersetzungen der Begriffe in das Deutsche sind nicht unproblematisch, da beispielsweise »soziale Netzwerke« als analoges Phänomen schon sehr viel länger und in anderen Ausformungen als im digitalen Raum auftreten (Jungherr 2020: 186). Trotz solcher semantischen Ungenauigkeiten haben sich diese Begriffe auch im wissenschaftlichen Diskurs etabliert. Taddicken/Schmidt (2017: 8) verwenden Social Media und soziale Medien synonym und sprechen von einem »Sammelbegriff«: »Sammelbegriff für Angebote auf Grundlage digital vernetzter Technologien, die es Menschen ermöglichen, Informationen aller Art zugänglich zu machen und davon ausgehend soziale Beziehungen zu knüpfen und/oder zu pflegen.«

Als übergeordneter Begriff steht Social Media in dieser Definition für eine Vielzahl von Online-Anwendungen. So zählen Taddicken und Schmidt (ebd. 19) zu den Social Media sowohl massenhaft und global genutzte Plattformen wie Facebook oder Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram als auch Blogs, Wikis oder Podcasts, die auch als Nischenformate mit jeweils sehr kleiner NutzerInnenschaft in Erscheinung treten. In der Literatur gibt es jedoch speziellere Begriffe für populäre netzwerkförmige Anwendungen wie Facebook oder Twitter. Boyd und Ellison (2007: 211) sprechen von »Social Networking Sites« (oft abgekürzt als SNS) und legen in ihrem Begriffsverständnis den Fokus auf die Vernetzung von NutzerInnen. Van Dijck und Poell (2016: 2) verwenden für dasselbe Phänomen hingegen den Begriff »Plattform«, um auf die Betreiber solcher Angebote hinzuweisen, die als eine Art Gatekeeper in die Organisation und Sortierung von Inhalten mittels ihrer Algorithmen eingreifen und dabei als Unternehmen ökonomische Interessen verfolgen. Eine Synthese der NutzerInnen- und Betreiberperspektive hat Jungherr (2020: 187) vorgenommen. Er schlägt den Begriff »soziale Netzwerkplattformen« vor:

»Diese Konzeptualisierung lenkt die Aufmerksamkeit nicht nur auf Nutzer von sozialen Netzwerkplattformen, ihre Verknüpfungen untereinander und ihre Beiträge. Sie zeigt auch die Bedeutung der Untersuchung der Rolle von Plattformbetreibern als Mittler zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen und als durch Eigeninteressen motivierte Akteure.«

Die Zweidimensionalität ist der Vorteil dieses Begriffsvorschlags, weswegen er auch in dieser Arbeit verwendet wird, sofern im engeren Sinne von Plattformen wie Facebook oder Twitter die Rede ist. Wenn im weiteren Sinne auch Messaging-Dienste oder Podcasts gemeint sind, die ebenfalls zum Repertoire der politischen Kommunikation der AfD gehören, wird der Begriff Social Media verwendet. Allgemein wird in dieser Arbeit von der Social-Media-Kommunikation der AfD gesprochen.

1.2Forschungsinteresse, Fragestellung und Ziel

Eine grobe Einteilung der politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus der AfD kann in Angebotsseite (Partei) und Nachfrageseite (Elektorat) vorgenommen werden. Auf der Angebotsseite stehen Programmatik, Personal, Organisation, parlamentarisches Verhalten oder Kommunikation der AfD im Fokus einer mittlerweile kaum mehr überschaubaren Menge von Forschungsarbeiten (siehe Forschungsstand). Das Interesse auf der Nachfrageseite gilt der WählerInnenschaft der AfD, unter anderem ihren soziodemographischen Merkmalen, Einstellungen, Motiven, Informationsverhalten und ihrer Identifikation mit der Partei. Alternativ zur Strukturierung in Angebots- und Nachfrageseite unterscheidet Decker (2018a: 367) vier Bedeutungsebenen in der wissenschaftlichen Analyse des Rechtspopulismus: Die erste Bedeutungsebene untersucht die Ursachen für die Entstehung und den Wahlerfolg von rechtspopulistischen Akteuren. Die zweite Bedeutungsebene nimmt die ideologischen und programmatischen Inhalte des Rechtspopulismus in den Blick. Die dritte Bedeutungsebene bezieht sich auf seine Formen und untersucht etwa Organisation und Kommunikation rechtspopulistischer Akteure. Und die vierte Ebene konzentriert sich auf die Wirkung des Rechtspopulismus auf das Parteiensystem, Regierungshandeln und die Demokratie insgesamt.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Angebotsseite und konzentriert sich dabei auf die politische Kommunikation der AfD über die Social Media, setzt also auf Deckers dritter Bedeutungsebene an, der Form des Rechtspopulismus. Trotz des jüngsten Booms in der Populismusforschung ist die Kommunikation der AfD in der Politikwissenschaft und ihren Teildisziplinen bis heute »unterforscht«. Das hängt fraglos mit dem strukturellen Problem zusammen, dass der politischen Kommunikation traditionell ein geringer Stellenwert in der Parteienforschung beigemessen wird (Gabriel u.a. 2020: 27 ff; Kaase 1998: 98). Laut Sarcinelli (2011: 17) kommt die Bedeutung der politischen Kommunikation in der Politikwissenschaft einem »Appendix« gleich. Auch wenn dieses Urteil mit Blick auf die lange Tradition der politikwissenschaftlichen Wahlkampfforschung übertrieben sein mag, bestätigt sich in der Populismusforschung die Diagnose vom Forschungsdefizit zur politischen Kommunikation, abgesehen von wenigen (wenn auch quantitativ zunehmenden) Ausnahmen, die zumindest punktuell kommunikative Aspekte miteinbeziehen (Arzheimer 2015, Franzmann 2014, 2016; Melcher 2019a; Schroeder u.a. 2017; Stier et. al. 2017). Weiter fortgeschritten ist die Erforschung populistischer Kommunikation naturgemäß in der Kommunikationswissenschaft. 2017 legte ein europäisches Team von Medien- und Kommunikationsforschern eine umfassende empirische Bestandsaufnahme und theoretische Konzeptualisierung zur populistischen politischen Kommunikation in Europa vor (Aalberg u.a. 2017). In dieser Arbeit strukturieren Toril Aalberg und Claas de Vreese (2017: 8) den Forschungsgegenstand der populistischen Kommunikation und zentrale Fragestellungen entlang des klassischen Dreiecks der politischen Kommunikation bestehend aus Medien, Politik und BürgerInnen. Daran angelehnt fasst Abbildung 1 das Forschungsfeld zusammen.

Abbildung 1:Akteure und Forschungsschwerpunkte im Forschungsfeld populistische politische Kommunikation

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Aalberg/de Vreese (2017)

Populistische Kommunikation wird mit Blick auf die Medien dahin untersucht, wie in den (unterschiedlichen) journalistischen Medien über Populismus und populistische Akteure berichtet wird (zum Beispiel Bos/Brants 2014; Engesser u.a. 2017; Wettstein u.a. 2018), inwiefern die Berichterstattung von Medien selbst populistisch sein kann (zum Beispiel Engesser u.a. 2020; Krämer 2017; Mazzoleni 2008) und auf welche Weise populismusbezogene Berichterstattung eine Wirkung auf die RezipientInnen hat (zum Beispiel Hameleers u.a. 2017; Müller u.a. 2017). Die RezipientInnenperspektive steht im Zentrum von Fragestellungen, die sich auf die Bürgerinnen und Bürger in der Erforschung populistischer Kommunikation beziehen. Untersucht wird diesbezüglich, inwiefern die Thematisierung von Populismus in den Medien einen Einfluss auf politische Einstellungen (zum Beispiel Sheets u.a. 2016), die Wahrnehmung populistischer Akteure (zum Beispiel Vliegenthart u.a. 2012) und das Wahlverhalten von Menschen hat (zum Beispiel Boomgaarden/Vliegenthart 2007). Unabhängig von journalistischen Medien wird zudem gefragt, welchen Einfluss populistische Botschaften auf die Einstellungen von Menschen haben, wenn sie diese über die Social Media wahrnehmen (zum Beispiel Hameleers/Schmuck 2017). Mit Blick auf die Politik stellen sich Fragen bezüglich des Kommunikationsverhaltens populistischer Akteure, aber auch bezüglich der Anwendung von populistischen Stilmitteln durch nicht-populistische Akteure (zum Beispiel Jagers/Walgrave 2007) und der Unterschiede in der politischen Kommunikation von nicht-populistischen und populistischen Kräften. Fragestellungen, die allein populistische Akteure unter die Lupe nehmen, beziehen sich auf Inhalte, Rhetorik und Stil ihrer Botschaften (zum Beispiel Bos/Brants 2014) sowie den Umgang mit und Nutzung von traditionellen Medien und digitalen Medien (zum Beispiel Blassnig u.a. 2018; Ernst u.a. 2017).

Im Beziehungsdreieck von Politik, Medien und BürgerInnen platziert sich die vorliegende Arbeit in der »Ecke« der politischen Akteure. Sie widmet sich einem spezifischen Aspekt der politischen Kommunikation der AfD, präziser gesagt, ihrer direkt an die BürgerInnen gerichtete Social-Media-Kommunikation. Dieser spezifische Aspekt der AfD-Kommunikation, der im Zentrum des Interesses dieser Arbeit steht, bezieht sich auf den identitätspolitischen Charakter des Rechtspopulismus. Die kommunikative Konstruktion, also das Framing vom »Volk« als Ingroup (»Wir«) und den »Eliten« sowie anderen sozialen Gruppen als Outgroup (»die Anderen«) sind in der Theorie die zentralen Elemente rechtspopulistischer Kommunikation, wobei den Outgroups eine herausragende Stellung zukommt, da das Eigene primär über die Abgrenzung zum Fremden beschrieben wird (siehe oben). Die vorliegende Arbeit möchte empirisch untersuchen, ob und in welcher Ausformung die AfD eine soziale Identität in ihrer an die Öffentlichkeit gerichteten Kommunikation konstruiert. Untersucht wird hierzu die Kommunikation der AfD über die Social Media. Die Entscheidung für diesen Kommunikationskanal beruht im Wesentlichen auf drei Gründen: Erstens sind die Social Media mittlerweile hinsichtlich der Nutzung sowohl durch die Bevölkerung zur Information als auch durch Parteien zur Verbreitung politischer Botschaften ein zentrales Medium für die politische Kommunikation (Beisch/Schäfer 2020; Emmer 2017; Hölig/Hasenbrink 2020; Jungherr 2020; Stier u.a. 2018). Zweitens sind die Social Media für die AfD das zentrale Instrument der Öffentlichkeitsarbeit, nicht nur gemäß der eigenen Angaben, sondern auch gemessen an der objektiven Anzahl der Menschen, die sie darüber direkt und ohne journalistische Filter erreicht (Schelter et. al. 2016; Serrano u.a. 2019). Die Social-Media-Nutzung der AfD ist Strategie und Statement zugleich, da die AfD darüber nicht nur hohe Reichweiten erzielt, sondern die Kommunikation über diese Kanäle auch als bessere Alternative zu den als Feindbild markierten etablierten Medien verstanden wissen will. Drittens haben die Social Media aufgrund ihrer interaktiven Kommunikationsform (Gerbaudo/Treré 2015: 4) und selbstselektiven Nutzung von Inhalten (Krämer 2017) das Potenzial, kollektive Identitäten innerhalb von Gruppen zu formen. Dieses identitätsbildende Potenzial von Social Media korrespondiert mit dem identitätspolitischen Charakter des Rechtspopulismus und ist ein Grund für die Kompatibilität zwischen Social Media und Rechtspopulismus (siehe oben). Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit kann folglich auf folgende Forschungsfrage zuspitzt werden: Inwiefern konstruiert die AfD in ihrer Social-Media-Kommunikation eine kollektive Identität unter ihrer AnhängerInnenschaft (»wir«) und grenzt diese von anderen Gruppen (»die Anderen«) ab?

Untersucht werden soll somit in dieser Arbeit, ob und welche kollektive Identität die AfD kommunikativ in ihren Botschaften in den Social Media konstruiert. In Kapitel 5 wird die Forschungsfrage in weitere Unterfragen ausdifferenziert, die spezifischer die Akteure, Merkmale und Themen der Ingroup- und Outgroup-Konstruktionen adressieren. Das Forschungsvorhaben ist damit am direkten Berührungspunkt von Partei und BürgerInnen situiert, nämlich der Öffentlichkeit auf sozialen Netzwerkplattformen. Der dritte Akteur des Dreiecks der politischen Kommunikation, die Medien, spielen in ihrer traditionellen Ausprägung als journalistische Massenmedien im empirischen Teil dieser Arbeit nur als Gegenstand von populistischen Botschaften (»Lügenpresse!«), nicht aber als Vermittler von Kommunikationsinhalten eine Rolle. Als intermediäre Vermittler treten jedoch die sozialen Netzwerkplattformen in Erscheinung, allerdings mit ihrer eigenen und von den traditionellen Medien abweichenden Funktionslogik.

Mit den angeführten theoretischen und methodischen Bezügen zur Kommunikationswissenschaft soll diese Arbeit jene »Brücke« zwischen Politik- und Kommunikationswissenschaft schlagen, die in der politikwissenschaftlichen Literatur aufgrund der gestiegenen Bedeutung neuer und traditioneller Medienformen für politische Prozesse unter anderem von Oscar W. Gabriel und Kollegen (2020: 29) eingefordert wird. Dieser Brückenschlag soll ermöglichen, die politikwissenschaftliche Populismusforschung auf der Angebotsseite um den zentralen Aspekt der Identitätsstiftung durch populistische Kommunikation zu ergänzen. Kurz und knapp: Das Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung des Identitätsangebots, das die rechtspopulistische AfD dem Elektorat in ihrer Kommunikation macht.

1.3Forschungsstand

Die vorliegende Arbeit zur digitalen BürgerInnenkommunikation der AfD reiht sich in der Politikwissenschaft bei jenen Arbeiten ein, die sich der Erforschung der Angebotsseite des Rechtspopulismus widmen. Eine in den letzten Jahren stark gewachsene Anzahl von Arbeiten beschäftiget sich auf dieser Seite mit der Programmatik (Arzheimer 2015; Berbuir u.a. 2015;