Populismus 4.0 - Johannes Hillje - E-Book

Populismus 4.0 E-Book

Johannes Hillje

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Beschreibung

Hat Europa den Rechtspopulismus im Jahr 2017 besiegt? Im Gegenteil, vermeintliche Wahlniederlagen für Wilders, Le Pen oder Petry sind Siege auf anderen Ebenen: Die Ideen der Rechtspopulisten haben sich längst in den Programmen anderer Parteien und in den öffentlichen Debatten ein genistet. AfD & Co sind die Spitzenverdiener der Aufmerksamkeitsökonomie. Ihr Machtfaktor ist die Sprache im Diskurs, nicht der Sitz im Parlament. Selbst maßlos anmutende Äußerungen entpuppen sich als durch und durch strategisch – etwa die Aufnahme von Flüchtlingen als "Völkermord" an den "Biodeutschen" oder "Pressefreiheit andersherum" für die Aussperrung von Journalisten. Johannes Hillje analysiert die Kommunikationsstrategie der AfD und zieht Vergleiche zu ihren Partnern aus dem neuen rechtspopulistischen Netzwerk in Europa: Mit ihrer "Propaganda 4.0" instrumentalisieren sie gleichsam traditionelle und digitale Öffentlichkeitsstrukturen für ihre Zwecke. Von Framing bis Fake News entlarvt das Buch die Instrumente der Rechtspopulisten und möchte die Abwehrkräfte der offenen Gesellschaft mit Gegenstrategien stärken.

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Seitenzahl: 228

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8012-7011-7 (E-Book)

ISBN 978-3-8012-0509-6 (Printausgabe)

Copyright © 2017 by

Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH

Dreizehnmorgenweg 24, 53175 Bonn

Gesamtgestaltung + Satz: Ralf Schnarrenberger, Hamburg

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie uns im Internet: www.dietz-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

INTRO

TEIL 1 DAS RENNEN NACH RECHTS

Alternative für Europa

Es gibt keinen guten Populismus

Frames für das Volk!

Das neue Normal

Die AfD als Nachrichtenwert

Erlösmodell AfD

Andere Parteien schieben mit an

Wie die AfD mitregiert

Die Eskalationsspirale

TEIL 2 PROPAGANDA 4.0

Delegitimierung der Medien

Polarisierung des Medienvertrauens

Die Wahrheitspartei

Digitale Gegenmacht

Digitales Volk

Das Neuland der Anderen

Das AfD-Internet

Die große Bestätigung

Instrumentalisierung des Journalismus

TEIL 3 DEMOKRATIE 4.0

Grenzen zum Populismus ziehen

Tabubrüche nicht den Populisten überlassen

Den Feinden der Populisten eine Stimme geben

Positives Framing und Reframing

Digitale Konterrevolution

Anmerkungen

Der Autor

INTRO

Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die der Staat nicht schaffen kann. Dieses Diktum des Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde, das er 1964 in Bezug auf das Verhältnis von Staat und Religion in etwas anderem Wortlaut formulierte1, ging mir an einem Abend im Herbst 2016 im Berliner Gorki-Theater immer wieder durch den Kopf. Auf der Bühne trugen zwei Schauspieler Reden von Politikern der Alternative für Deutschland (AfD) vor. Petry, Gauland, Höcke, von Storch, Bystron, Hampel: 75 Minuten lang »Rechte Reden« (so der Titel der »Performance«). Das Stück hatte keine Dramaturgie, keine Handlung, keine Helden oder Bösewichte – es war eine Aneinanderreihung von Originalreden dieser Politiker. Den beiden Schauspielern, Mely Kiyak und Thomas Wodianka, gelang es dabei, die Mimik, Gestik und Rhetorik der Politiker, etwa den »Führer«-Duktus von Björn Höcke, originalgetreu und kaum übertrieben nachzuahmen. Das Publikum war jung, urban, gebildet, politisch – aber mit der AfD nichts am Hut. Zugegebenermaßen meinesgleichen. Als sich Mely Kiyak in der für Beatrix von Storch typischen hohen Stimmlage über »Gender Mainstreaming« in Rage redet, geht meine Sitznachbarin vor Lachen zu Boden. Überhaupt wurde sehr viel gelacht an diesem Abend. Für Menschen auf dem Erfurter Domplatz oder in der Essener Grugahalle beschreiben diese Reden die politische Lage in unserem Land mehr oder weniger zutreffend. Für das hippe Berliner Publikum waren sie in erster Linie Comedy. Eine gute Abendunterhaltung. Ich musste an diesem Abend an das Böckenförde-Diktum denken, weil ich mir nicht sicher war, ob der Konsum von Rechtspopulismus als Entertainment uns eine Haltung ermöglicht, die es erlaubt, die von Böckenförde eingeforderte »moralische Substanz des Einzelnen«, ein demokratisches Ethos der Bürger, zu praktizieren. Ohne eine solche Grundeinstellung, Aristoteles nannte sie im Jahr 332 vor Christus »die Tugend der Bürger«, kann ein demokratischer Staat auf lange Sicht nicht überleben, mahnte Böckenförde. Denn wenn er seine freiheitlichen Ziele, zum Beispiel Toleranz und die Anerkennung von Andersartigkeit seiner Bürger, mit Zwang durchsetzen müsste, wäre er kein freier Staat mehr, sondern ein autoritärer.

Mir scheint es, als wäre das demokratische Ethos der Bürger heute besonders gefordert. Wir erleben in Echtzeit, wie ein Rechtspopulist, dem offenkundig wenig an zentralen demokratischen Prinzipien liegt, am Steuer des mächtigsten Landes der Welt sitzt. Und auch dieser 45. Präsident der Vereinigten Staaten, Donald John Trump, ist ein Entertainer. Mit seinem Bühnentalent zieht er die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich, ganz egal, ob sie seine Politik unterstützen oder nicht. Diejenigen, die Wut und Frust über die für sie ausbleibende demokratische Dividende verspüren und denen Trump eine Ausgleichszahlung verspricht, klatschen euphorisch. Diejenigen, die Trump und seine Politik ablehnen, können sich trotz aller Abscheu und Opposition ein Lachen oftmals nicht verkneifen. Zu maßlos, zu abgedreht und wahnwitzig erscheint der Populist in liberalen Kreisen. Das trifft auch auf Vertreter der AfD zu: etwa wenn der brandenburgische Landtagsabgeordnete Stefan Königer seine zweieinhalb Minuten Redezeit im Plenum mit einer Aneinanderreihung geschlechtsspezifischer Anreden füllt, als angeblichen Beleg für den »Gender-Wahn«. Bei Youtube hat diese Rede über 400.000 Klicks. Oder wenn Alexander Gauland die von Björn Höcke geforderte »erinnerungspolitische 180-Grad-Wende« mit »Höcke ist kein Mathematiklehrer« und dass »es ihm nicht ganz klar war, was 180-Grad-Wende bedeutet« relativiert.2 Es entsteht der Eindruck: Anything goes in populism!

Manche meinen, was Donald Trump tue und sage, hätten sich nicht mal die Autoren der amerikanischen Polit-Soap »House of Cards« ausdenken können. Überhaupt wird die Parallele zum Show-Format bei Trumps Regierungsstil oft gezogen. Sie ist auch nicht ganz falsch, erinnert man sich etwa an die erste Sitzung seines vollständigen Kabinetts. Die Journalisten durften entgegen der Gepflogenheiten auch nach dem offiziellen Sitzungsbeginn noch im Raum bleiben, um Zeuge der Eingangsstatements der Minister zu werden. Diese trieften nur so vor Lob, Heuchelei und Unterwürfigkeit gegenüber dem Präsidenten. Die Szene hätte auch aus Nordkorea stammen können.

Doch ein Entertainer kann nur dann erfolgreich sein, wenn sich sein Publikum auch unterhalten lässt. Wenn wir also im Modus der Unterhaltung reagieren, zum Beispiel mit Gelächter statt mit inhaltlicher Kritik. Wenn wir uns in sozialen Netzwerken die Mühe machen, Bilder zu persiflieren, auf denen Trump stolz seine Unterschrift unter Dekreten präsentiert, die Muslimen die Einreise in die USA verbieten oder Beratungseinrichtungen für Abtreibung die Hilfsgelder streichen. Oder wenn seriöse Medien in ihrem Politik (!)-Ressort über Trumps Tippfehler auf Twitter (»covfefe«) oder die zusätzliche Kugel Eis berichten, die der Präsident im Weißen Haus im Gegensatz zu seinen Gästen serviert bekommt.3 Dann spielen wir die Reality-Show mit, verhalten uns eher wie Besucher eines Mitmachzirkus, nicht wie Bürger einer Demokratie. So wird gefährlicher Rechtspopulismus zu Pop-Populismus und die Demokratie ganz schnell zur Popcorn-Autokratie. Die absolut verrückt anmutenden Äußerungen von Rechtspopulisten entpuppen sich daher als absolut strategisch, um Themen zu setzen und von anderen abzulenken, um vorher undenkbare Deutungsrahmen in den Diskurs einzuführen, die auch bei ihrer Negierung noch im Unterbewusstsein wirken.

Wenn man sich dem Rechtspopulismus entgegenstellen möchte, dann muss man analysieren, was die Ursachen für und die Mittel zum Erfolg dieser Parteien sind. In aller Regel liegt ihr gesellschaftlicher Zuspruch nicht in ihren überzeugenden politischen Vorschlägen begründet, sondern eher in der Enttäuschung über die Leistung anderer politischer Kräfte. Michael Sandel, Philosophieprofessor in Harvard, macht unter anderem die steigende Einkommensungleichheit, die stark abnehmende Würdigung traditioneller Arbeitsformen im Zuge der Digitalisierung sowie das mangelnde Angebot eines nationalen Gemeinschaftsgefühls durch liberale Kräfte für Trumps Wahlsieg in den USA verantwortlich.4 Der Soziologe Didier Eribon beschreibt in seinem Roman »Rückkehr nach Reims«, wie weite Teile des französischen Arbeitermilieus beim Front National eine neue politische Heimat gefunden haben, weil sie sich von der Linken nicht mehr vertreten fühlten. Oliver Nachtwey, deutscher Soziologe, diagnostiziert in seinem Essay »Abstiegsgesellschaft« eine unter Druck stehende Mittelschicht, die zwar selbst noch mehrheitlich in Normalarbeitsverhältnissen steht, aber den Schweiß der Leiharbeiter und anderer prekär Beschäftigter am eigenen Arbeitsplatz schon riechen kann. All das sind lesenswerte Analysen, die sich den Ursachen für den Erfolg von Rechtspopulisten in westlichen Gesellschaften widmen.

Das vorliegende Buch lenkt den Fokus auf die Frage, mit welchen Mitteln es den Populisten gelingt, aus den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen politisches Kapital zu schlagen. Schließlich ist es kein Naturgesetz, dass rechte Populisten gewinnen, wenn moderate Kräfte Vertrauen verlieren. Erfolgreiche rechtspopulistische Bewegungen haben eine Sache, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt, gemein: Sie sind die Spitzenverdiener der Aufmerksamkeitsökonomie. Das heißt, ihnen gelingt es am erfolgreichsten, mitunter völlig überproportional zu ihrer politisch-institutionellen Bedeutung, das knappe Gut der Aufmerksamkeit in der medial vermittelten Öffentlichkeit an sich zu reißen. Sie kommunizieren und inszenieren auf eine Weise, die perfekt mit der journalistischen Auswahl- und Darstellungslogik von Nachrichten korrespondiert. Deshalb bemühten sich mehr Journalisten um eine Akkreditierung für den AfD-Bundesparteitag 2017 in Köln als für den CDU-Parteitag im Dezember 2016 in Essen. Deshalb kamen zum Wahlkampfauftakt von Geert Wilders in den Niederlanden am 18. Februar 2017 fast genauso viele Journalisten wie Parteianhänger. Und deshalb wurde Donald Trump im US-Wahlkampf 2016 Gratissendezeit im Gegenwert von knapp 5,8 Milliarden Dollar für seine provokanten Äußerungen zuteil – mehr als doppelt so viel wie bei Hillary Clinton. Zusätzlich bauen rechtspopulistische Parteien so erfolgreich wie keine Partei sonst, auf digitalen Kanälen Alternativmedien auf, wo sie Millionen Menschen ohne journalistische »Gatekeeper« mit ihrer Version der »Wahrheit« versorgen und gleichzeitig kollektive Identitäten unter ihren Unterstützern ausbilden können. Knapp zusammengefasst lautet die Grundthese dieses Buches: Rechtspopulistische Parteien konnten nur deshalb politisch erfolgreich werden, weil sie erfolgreich kommunizieren. Der gesellschaftliche Kontext wie die ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen der Globalisierung und der Digitalisierung – nachzulesen bei Sandel, Eribon oder Nachtwey – waren für den Aufstieg der Rechtspopulisten eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Doch weil die Rechtspopulisten auf individuelle Gemütslagen und gesellschaftliche Zustände mit einer besonders wirkungsvollen Ansprache reagieren und zudem Parallel-Öffentlichkeiten geschaffen haben, entfaltet sich ihr immenser politischer Einfluss.

Dieser Erfolg lässt sich nur unzureichend durch den Blick auf ihre Wahlergebnisse erfassen. Denn Politik machen die Rechtspopulisten mittels Sprache im öffentlichen Diskurs, nicht mit Sitzen im Parlament. Ganz im Sinne des französischen Philosophen Michel Foucault, konstruieren Rechtspopulisten durch ihre extreme Sprache eine Version der Wirklichkeit. Kriegsflüchtlinge werden zu »Invasoren«, die Diskriminierung von Minderheiten zur »Meinungsfreiheit«, die Willkommenskultur zur »Volksverhetzung« und kritische Berichterstattung zur »Zensur«. Die Kategorien »normal« und »problematisch« werden mit völlig neuen Inhalten gefüllt. Rechtspopulisten verändern die Realität durch Sprache, nicht durch Gesetze – doch ihre Umdeutungen schlagen sich dennoch in politischen Entscheidungen nieder.

Wie wenig sie hingegen an ihren parlamentarischen Aufgaben interessiert sind, zeigen die Fraktionen der AfD in deutschen Landtagen. Vier Jahre nach ihrer Gründung sitzt die Partei bereits in dreizehn Landesparlamenten.5 Politikwissenschaftler des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) kamen in einer Studie über die AfD-Landtagsfraktionen im Juni 2017 zu dem Schluss: »Die Arbeit im Plenum wird weniger zur konstruktiven Kontrolle der Regierung genutzt als vielmehr als Bühne für Protest und Provokation, die über Social-Media-Kanäle gestreut werden können.«6

Dem Phänomen der diskursiven Einflussnahme auf die Politik durch Rechtspopulisten widmet sich der erste Teil dieses Buches. An dieser Stelle sei angemerkt, dass sich der analytische Schwerpunkt dieses Buch zwar auf die AfD konzentriert, aber Rechtspopulismus vor allem als ein europäisches Phänomen verstanden wird, dessen nationale Akteure – so widersprüchlich das für manch einen klingen mag – so europäisch vernetzt sind wie nie zuvor. Dieser erste Teil des Buches trägt den Titel »Das Rennen nach rechts«, weil es Rechtspopulisten durch die Maximierung von Aufmerksamkeit gelingt, dass sich andere Parteien in einzelnen Positionen dem rechten Rand des politischen Spektrums nähern. Mehr noch, Rechtspopulisten verschieben diesen Rand bei jedem Schritt ihrer Mitbewerber nach rechts gleichzeitig einen Stückchen weiter. Es geht im Gleichschritt nach rechts. Welche sprachlichen Techniken Rechtspopulisten anwenden und wie Medien und andere Politiker mit ihrem Umgang mit rechtem »Framing« und Jargon dabei mithelfen, dass sich Diskurse verschieben, ist der Schwerpunkt des ersten Kapitels.

Während der erste Teil des Buches den Einfluss der AfD auf Öffentlichkeit und Politik beschreibt, widmet sich der zweite Teil der Medienstrategie der Partei, die diesem Einfluss zugrunde liegt. Die Kernthese lautet hierbei, dass die AfD und andere Rechtspopulisten, eine neuartige Form der Propaganda etabliert haben. Diese Propaganda 4.0 ist einerseits durch ein doppeldeutiges, aber nicht widersprüchliches Verhältnis zu klassischen Medien gekennzeichnet und andererseits durch den intensiv betriebenen Aufbau eigener Kommunikationskanäle und damit einer alternativen Öffentlichkeit im digitalen Raum.

Im dritten und letzten Teil möchte ich eine Reihe von Denkanstößen (keinesfalls Patentlösungen) zur Beschränkung des rechtspopulistischen Einflusses in unserer Gesellschaft anbieten. Dazu plädiere ich zunächst für ein Verständnis von Populismus als Ideologie, nicht als Stilmittel, um die wahren Populisten von nicht-populistischen Kräften im politischen Diskurs isolieren zu können. Weil die repräsentative Demokratie eine kommunikative sein muss, wie der Politologe Heinrich Oberreuter einst formulierte, beziehen sich meine Vorschläge vor allem darauf, wie eine Sprachlosigkeit zwischen Politikern und Bürgern überwunden werden kann, die dem Rechtspopulismus bisher in die Karten spielt. Statt Begriffe von Rechtspopulisten zu übernehmen, sollten demokratische Politiker sich viel stärker darauf konzentrieren, eine eigene positive Sprache für ihre Agenda zu entwickeln und verlorengegangene Deutungsfelder zurückzugewinnen (Framing und Reframing). Den meisten Raum wird im letzten Kapitel das Thema der politischen Meinungsbildung im digitalen Raum einnehmen. Es scheint, als haben dort in den letzten Jahren antidemokratische Kräfte die Oberhand gewonnen. Teilweise mit dem Einsatz unlauterer Mittel wie Meinungsrobotern (Social Bots) oder der systematischen Verbreitung von Lügen über den politischen Gegner oder gesellschaftliche Minderheiten. Ich plädiere in diesem letzten Kapitel deshalb für die konsequente Durchsetzung demokratischer Prinzipien auf digitalen Plattformen, zum Beispiel durch eine Transparenzpflicht für individualisierte Wahlwerbung, die nur ein kleiner Teil der Wählerschaft zu sehen bekommt (Microtargeting). Gleichzeitig muss das Böckenförde-Diktum genauso im Netz gelten: Ein demokratisches Ethos ist auch im digitalen Raum gefragt. Grundvoraussetzung für die Ausübung einer »digitalen Bürgerpflicht« ist die flächendeckende Ausbildung einer Informationskompetenz in unserer Gesellschaft, die mindestens drei Dinge umfassen sollte: digitale Zivilcourage, etwa im Umgang mit »Hatespeech«, Basiskenntnisse über Algorithmen und die Mechanismen digitaler Informationsauswahl sowie eine kritische Nutzerhaltung gegenüber Digitalkonzernen. Die Ansätze für eine bessere kommunikative Demokratie nenne ich im dritten Teil dieses Buches Demokratie 4.0.

Abschließend sei an dieser Stelle gesagt: Es gibt zum Glück viele Menschen, die sich auf beiden Seiten des Atlantiks gegen das Erstarken des Rechtspopulismus aktiv wehren. Das ist gut und unbedingt notwendig. In Europa greifen die nationalistischen Rechtspopulisten in erster Linie die Europäische Union an – unseren besten Garanten für Frieden in Europa. Ganz vorne sollte deshalb auch meine Generation für die europäische Einigung und gegen den Trend der Re-Nationalisierung kämpfen. Schließlich profitieren wir am meisten davon, dass auf unserem Kontinent Frieden herrschte, als wir zur Welt kamen. Lassen wir Europa gegen die Wand fahren, dann laden wir uns eine ähnlich schwerwiegende Schuld der Tatenlosigkeit auf wie unsere Großeltern. Die niedrige Wahlbeteiligung junger Menschen bei dem Brexit-Referendum 2016 oder den französischen Präsidentschaftswahlen 2017 lassen Zweifel aufkommen, inwiefern es ein ausreichendes Bewusstsein für den Ernst der Lage in meiner Generation in Europa gibt. In 15 bis 20 Jahren werden wir es sein, die in den politischen Schaltzentralen der europäischen Gesellschaften sitzen werden. Es entscheidet sich heute, ob wir uns dann als fremde Diplomaten nebeneinander existierender Nationen begegnen oder als europäische Kollegen, die zusammen die gemeinsamen Herausforderungen der wie auch immer gearteten politischen Untereinheiten in Europa bestehen. Europa ist die beste Chance, die wir haben!

DANKSAGUNG

Bei Catharina Nickel, Jan Wilkens, Anna Cavazzini, Ilona van Breugel und Alexander Behrens bedanke ich mich von ganzem Herzen für ihre klugen Kommentare und Anregungen zu diesem Buch. Für lehrreiche Gespräche und wertvolle Hilfestellungen bedanke ich mich bei allen Gesprächspartnern aus Politik, Medien und Wissenschaft – im Besonderen bei Prof.Dr.Oliver Quiring, Melanie Amann, Maria Fiedler, Dietmar Neuerer sowie den Teilnehmern der Forschungs- und Journalismus-Tagungen zum Rechtspopulismus am 3. und 4. Mai 2017 in der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin, mit denen ich mich austauschen durfte.

TEIL 1

DAS RENNEN NACH RECHTS

Der 15. März und der 7. Mai 2017 dürfen als Tage der kollektiven Trauma-Bewältigung in der europäischen Politik dokumentiert werden. Die Parlamentswahlen in den Niederlanden und die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich waren seltene Momente europäischer Innenpolitik. Ganz Europa hielt an diesen Abenden den Atem an. Denn alles drohte von innen zusammenzubrechen. Insbesondere die französischen Wähler stimmten nicht nur über das Schicksal ihres Landes, sondern über nicht weniger als die Zukunft des Kontinents ab: Gewinnt Le Pen, stirbt Europa. Schon im Jahr zuvor sind die meisten Politiker in Europa zweimal mit einem Schock aufgewacht – mit der Wahl von Donald John Trump zum 45. Präsidenten der USA und der Abstimmung für den Brexit durch die britischen Wähler. Nun endlich sollten die Wunden geheilt werden. Und so kam es vermeintlich auch: Im März gewann Mark Rutte die holländischen Parlamentswahlen, sieben Wochen später wählten die Franzosen Emmanuel Macron zum neuen Präsidenten ihrer Republik. Europa atmete auf. Doch die Erleichterung lösten eigentlich nicht die Kandidaten aus, die gewonnen hatten, sondern diejenigen, die nicht gewonnen hatten. Die Rechtspopulisten Geert Wilders und Marine Le Pen.

Würde man einen Psychologen fragen, wie man ein Trauma am besten bewältigt, würde dieser vermutlich etwas sagen wie: »Finden Sie zur Ruhe, bewegen Sie sich in gewohnten Bahnen, reden Sie über ihre Ängste und ganz wichtig: Denken Sie an Erfolge!« Es schien als hätten viele Kommentatoren vor diesen beiden Wahlen mit einem Psychologen gesprochen. In der Bewertung der Ergebnisse wurde immer wieder in Fußballmetaphern gesprochen, die sich vorzüglich zur Benennung von Gewinnern und Verlierern eignen. Es war Mark Rutte persönlich, der das europäische Superwahljahr 2017 zu einem »Match« gegen den Populismus ausgerufen hatte. Nach der Wahl in den Niederlanden schrieb Mark Schieritz für DIE ZEIT, dass der Populismus ein »Abstiegskandidat« sei. »EU 1, Nationalisten 0« hieß es bei POLITICO. »Die rechtspopulistische Welle in Europa ist gebrochen« stand in der Süddeutschen Zeitung nach der Wahl in Frankreich. DER SPIEGEL beschwor die »Kraft der Demokratie« – wenige Monate zuvor sah man noch das »Ende der Demokratie«. Nun aber war das Spiel offenbar gedreht. Das beruhigt!

Allein, die Rechtspopulisten verlieren nicht. Verloren haben, nein nahezu verstorben sind bei diesen Wahlen die Sozialdemokraten. Der französische Sozialist Benoît Hamon versank mit 6 Prozent in elektoraler Irrelevanz, die Partij van de Arbeid verlor sagenhafte 29 Prozent. Die Rechtspopulisten gewannen dagegen Stimmen hinzu: Marine Le Pen erzielte 2017 das beste Wahlergebnis in der Geschichte des Front National, bei den anschließenden Parlamentswahlen im Juni vervierfachte sie die Sitze ihrer Partei in der Nationalversammlung. Geert Wilders wurde erstmals zweitstärkste Kraft in seinem Land. Das bedeutet zuallererst: mehr öffentliche Ressourcen für ihre politischen Aktivitäten. Viel wichtiger ist aber, und darum soll es in diesem ersten Kapitel gehen: Die Rechtspopulisten haben nicht nur nicht verloren, sie haben gar nicht richtig mitgespielt. Denn für Populisten ist die Wahlkabine nicht das wichtigste Spielfeld. Stattdessen ist der öffentliche Diskurs ihre bevorzugte Arena, um gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen. Nicht Sitze im Parlament sind – wie eingangs erwähnt – ihr Mittel zur Einflussnahme, sondern Sprache in der öffentlichen Debatte. Dazu brauchen sie zwischenzeitlich gute Umfragewerte, um sich interessant zu machen, Wahlergebnisse können dagegen auch durchwachsen ausfallen. In diesem Kapitel wird es darum gehen, welche Techniken der politischen Kommunikation die Rechtspopulisten anwenden – vornehmlich »Frames« und »Soundbites« –, um gesellschaftliche Realitäten zu verändern. Es soll gezeigt werden, dass die Art und Weise, wie Rechtspopulisten kommunizieren, besonders gut mit der Auswahl- und Darstellungslogik der Massenmedien korrespondieren und sowohl Journalisten als auch Politiker anderer Parteien durch ihren Umgang mit dem populistischen Jargon mithelfen, dass Populisten durch ihre Sprache die gesellschaftliche »Normalität« verändern können. Bevor ich zu der Wirkung populistischer Sprache komme, wird in diesem Kapitel das dem Buch zugrunde liegende Verständnis von Populismus erläutert und die noch junge, aber wirksame Allianz rechtspopulistischer Parteien in Europa beschrieben.

Diese Allianz rechter Kräfte hatte schon vor dem Brexit-Referendum in Großbritannien die politische Diskurslage in Europa in einem wesentlichen Punkt verändert. Denn in der großen Erleichterung über die Wahlergebnisse in Frankreich, den Niederlanden und auch der Bundespräsidentenwahl 2016 in Österreich zeigte sich, dass es heute in der Europäischen Union in erster Linie um die politische Existenz Europas geht.7 Das ist ein Erfolg für Europafeinde wie Geert Wilders, Marine Le Pen, Nigel Farage, aber auch die AfD in Deutschland. Sie üben so viel Druck auf die Parteien aus, die sich mehr oder weniger für Europa aussprechen, dass diese Parteien sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner »grundsätzlich für Europa« zusammenrotten müssen. So wie es links und rechts im politischen Spektrum gibt, haben die Rechtspopulisten »Ja« und »Nein« zur EU als eine neue Konfliktlinie etabliert. Eine enorme Verschiebungsleistung im politischen Diskurs. Denn proeuropäisch wurden einmal nur solche Kräfte genannt, für die Europa mehr als nur ein Binnenmarkt ist; die für eine vollständige politische Union eintreten, in der Europa stärkere Kompetenzen etwa auch in der Sozial- oder Steuerpolitik bekommt. Die Vereinigten Staaten von Europa sind für manche von ihnen das alternativlose Zukunftsmodell. Solche Stimmen hörte man lange Zeit vor allem aus liberalen, grünen und, mit Einschränkung, auch aus sozialdemokratischen Parteien. Heute ist jeder ein Proeuropäer, der nicht den Austritt seines Landes aus der EU befürwortet. Diese Verschiebung führte die Tagesschau am Tag nach der Wahl in den Niederlanden eindrucksvoll vor: »Die Niederlande bleiben auf Pro-Europa-Kurs« verlas Susanne Daubner als erste Nachricht. Doch Mark Rutte ist kein Pro-Europäer im klassischen Sinne. Im Gegenteil, seine Partei will weniger gemeinsame europäische und mehr nationale Politik. »Brüssel mischt sich in zu viele Bereiche ein« heißt es im Programm der VVD. »Die EU sollte sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Dieses Kerngeschäft bezieht sich in erster Linie auf die Wirtschaft. Alles andere können die Mitgliedsstaaten viel besser für sich selbst regeln.«8 Das ist keine Umarmung, sondern zuallererst eine Distanzierung von Europa. Wäre Geert Wilders nicht als Konkurrent zu Mark Rutte bei der Wahl angetreten, hätte die Tagesschau bei gleichem Wahlausgang mit dem Satz »Die Niederlande bleibt auf EU-kritischem Kurs« aufmachen müssen.

ALTERNATIVE FÜR EUROPA

In dem europäischen Superwahljahr 2017 ist nicht nur die »irgendwie für Europa«-Allianz neu. 2017 ist auch das erste Jahr, in dem rechtspopulistische Parteien gemeinsam in den Wahlkampf gezogen sind. Zum Wahlkampfauftakt trafen sich am 21. Januar in Koblenz die Anführer und Claqueure jener Parteien, die im Europaparlament in der Fraktion Europa der Nationen und derFreiheit (ENF) zusammensitzen. An diesem Samstag im Januar, einen Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump, betraten sie begleitet von Fahnenträgern und pompöser, fast apokalyptischer Musik, den Saal der Rhein-Mosel-Halle: Frauke Petry und Marcus Pretzell (AfD), Marine Le Pen (Front National), Geert Wilders (PVV), Harald Vilimsky (FPÖ) und Matteo Salvini (Lega Nord). Das Drehbuch des Spektakels folgt einem einstudierten Muster, das bereits in ähnlicher Konstellation bei der Konferenz der »Europäischen Visionen« im Februar 2016 in Düsseldorf und dann beim »Patriotischen Frühling« ein paar Monate später in der Nähe von Wien abgespielt wird: heroischer Einlauf der Anführer, danach eine Rede nach der anderen, keine Debattenformate, aber ein Gruppenfoto mit strahlenden Gesichtern, eine lange Pressekonferenz und ein gemeinsames Essen. Anschließend fahren alle wieder zurück in ihre Heimatländer und ärgern sich vermutlich darüber, dass sie beim Grenzübertritt nicht ihren Pass vorzeigen dürfen.

Bis zum Treffen in Koblenz hatten die Zusammenkünfte der Rechtspopulisten meist nur einmaligen Charakter. Es gab keine gemeinsamen Pläne oder Projekte. Beobachter merkten hämisch an, dass eine internationale Zusammenarbeit von Nationalisten sowieso ein Widerspruch in sich sei. Also bloß nicht zu ernst nehmen. Doch in der Kooperation europäischer Rechtspopulisten hat sich in den letzten Jahren etwas fundamental verändert, und der gemeinsame Wahlkampfauftakt ist eine der ersten Früchte dieser Zusammenarbeit. Bis zu den Europawahlen 2014 vernetzten sich einzelne Rechtspopulisten in beschränktem und meist punktuellem Maße. Andere beäugten sich gegenseitig noch sehr kritisch. So lehnten wirtschaftsliberale AfD-Vertreter den Front National wegen seiner angeblich »sozialistisch« geprägten Wirtschaftspolitik ab. Auch Geert Wilders, der seit seiner Jugend persönliche Verbindungen nach Israel pflegt, hielt sich sogar noch von Marine Le Pen fern, als diese sich schon öffentlich vom antisemitischen Kurs ihres Vaters, Jean-Marie Le Pen, distanziert hatte. Nach den Wahlen 2014 dauerte es noch knapp ein halbes Jahr, bis die Wende eingeleitet wurde. Im Oktober 2014 gründeten der Front National, die FPÖ, die italienische Lega Nord und Vlaams Belang aus Belgien die europäische Partei Bewegung für einEuropa der Freiheit und der Nationen (MENL). Im Juni 2015 erfüllte man auch die Bedingungen zur Gründung einer Fraktion im Europaparlament. Die britische UKIP-Abgeordnete Janice Atkinson wurde wegen Veruntreuung von Geldern aus ihrer Fraktion geworfen und half der ENF-Fraktion, das Quorum von sieben Nationalitäten zu erfüllen. Auch drei Abgeordnete von Wilders PVV schlossen sich der neuen Fraktion an. Die paneuropäische Anti-EU-Fraktion war somit im Europaparlament installiert. Nach der von der britischen UKIP dominierten Fraktion Europa der Freiheit und direkten Demokratie (EFDD) war dies der zweite Kollateralschaden des europäischen Parlamentarismus. Es sind Fraktionen, die das System von innen bekämpfen.

Im Frühjahr 2016 wechselte Marcus Pretzell in die ENF-Fraktion. Die zweite AfD-Abgeordnete in Brüssel, Beatrix von Storch, sitzt in der von Nigel Farage geführten EFDD-Gruppe.

Die ENF-Abgeordneten verhalten sich bei Abstimmungen im Parlament seither wenig kohärent, die inhaltliche Zusammenarbeit bei EU-Richtlinien, Berichten und Stellungnahmen des Parlaments hat für sie kaum eine Bedeutung. Ihnen geht es in erster Linie darum, Entscheidungen zurück auf die nationale Ebene zu verlagern oder die EU ganz abzuschaffen. Die Form der Kooperation, die sich seit 2014 kontinuierlich zwischen den Rechtspopulisten intensiviert hat, ist auf die gegenseitige Stärkung in den Bereichen Strategie, Organisation und Ressourcen ausgelegt. Denn in ihren Heimatländern kämpfen sie in der öffentlichen Debatte allesamt den gleichen Kampf um Aufmerksamkeit und buhlen zum Teil um ähnliche, wenn auch nicht gleich beschaffene Wählergruppen. In den drei Bereichen lässt sich die neue, verstärkte Zusammenarbeit folgendermaßen skizzieren: Erstens, bauen die rechtspopulistischen Parteien ein gemeinsames Ressourcen-Netzwerk auf. Als europäische Partei hat die MENL auch eine Stiftung (FENL) gegründet. Europäische politische Stiftungen werden genau wie die Parteien im Wesentlichen vom Europäischen Parlament, also mit öffentlichen Geldern finanziert. Nach den Finanzberichten des Europaparlaments bekam die FENL im Gründungsjahr 2015 knapp 250.000Euro aus diesem Topf. 2017 stehen ihr schon über 1 Million Euro zur Verfügung.9 Was macht die Stiftung damit? Sie organisiert interne Kolloquien, nicht-öffentliche Konferenzen, erstellt Publikationen und gibt Studien in Auftrag. Etwa zum Euro-Ausstieg oder zur Handelspolitik und den von ihnen abgelehnten EU-Handelsabkommen. In solchen Papieren liefern Experten die Argumentationen für ihre politische Programme, etwa warum Freihandel die Souveränität der europäischen Völker bedrohe.

Zweitens, unterstützen sie sich bei der strategischen Ausrichtung, zum Beispiel bei der politischen Themensetzung. Islamisierung, Masseneinwanderung, Ausländerkriminalität, die verderbliche politische Korrektheit, das verräterische Establishment, die »Lügenpresse« – diese Gedankenkonstrukte führen die Parteien sehr oft mit den gleichen Narrativen, Begriffen und Slogans in die Debatte ein. Was anderswo funktioniert, wird importiert. Von dem »Bevölkerungsaustausch«, den Alexander Gauland hinter den Migrationsbewegungen sieht, hat der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache schon 2013 gesprochen. Der AfD-Slogan »Hol’ dir dein Land zurück« ist die deutsche Übersetzung des Brexit-Claims »Take back control«. Die AfD hat im Übrigen bisher kaum etwas zur rechtspopulistischen Phraseologie in Europa beigetragen. Kopieren statt kreieren, scheint bei ihr zu gelten.

Drittens, hilft man sich in organisatorischen Aspekten, insbesondere im Medien- und Marketingbereich. Bei der FPÖ hat die AfD bereits das Videoformat »FPÖ TV« abgekupfert, das unter »AfD TV« bei Youtube läuft. Zudem startete im April 2017 das rechte Alternativmedium unzensuriert.at seine Deutschland-Ausgabeunzensuriert.de. »Neue Medien braucht das Land« stand dort zum Startschuss prominent auf der ersten Seite. Die Macher kommen aus Österreich. Zwischen ihnen und der FPÖ gibt es enge personelle Verquickungen. Der Geschäftsführer des herausgebenden »Medienvielfalt Verlags« arbeitete früher selbst für die FPÖ. Stimmungsmache gegen Migranten, etablierte Parteien, unabhängige Medien und die EU dominieren die Inhalte.10 Auch im Agenturbereich gibt es Verknüpfungen unter den Rechtspopulisten. Die Parteien sind für Kampagnen und Veranstaltungen auf Dienstleister angewiesen. Diese zu finden ist nicht immer leicht: Der Berliner Landesvorsitzende der AfD, Georg Pazderski, räumte vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ein, dass er für die Gestaltung des Wahlkamps in Deutschland keine Werbeagentur gefunden hätte. Zu einem treuen Partner europäischer Rechtspopulisten ist die Schweizer Werbeagentur Goal AG von Alexander Segert geworden. Die Agentur ist mit Kampagnen für die Schweizer Volkspartei (SVP) wie »Masseneinwanderung stoppen« bekannt geworden und arbeitete unlängst auch für die MENL, die FENL, den Front National und die FPÖ. Außerdem griff die Agentur Marcus Pretzell bei der Finanzierung der Konferenz »Europäische Visionen« mit 28.000Euro unter die Arme. Damit nicht genug: Der »Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten e.V.«, ein Verein von überwiegend anonymen Unterstützern der AfD, produziert mit Millionenbeträgen Kampagnenmaterialien als Hilfestellung für die Partei: Für den Bundeswahlkampf 2017 eine »Wochenzeitung« namens »Deutschland-Kurier« sowie, unter anderem zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017, die Wahlkampfzeitung »Extrablatt«. Die Gestaltung übernahm die Goal AG. Deren Erfahrungen aus zahlreichen erfolgreichen SVP-Kampagnen gab es dabei inklusive. So entsteht aus dieser organisatorischen Vernetzung letztlich auch wieder ein strategischer Mehrwert.11