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Ich bin die Tochter des Piratenkönigs. Fürchte mein Schwert! Der Auftakt der knisternden Piraten-Romantasy-Saga von TikTok-Sensation Tricia Levenseller!
***Mit besonderem Zusatzcontent nur in dieser Ausgabe: Kartenmaterial und Autorinnen-Interview.***
Captain Alosa hat nur ein Ziel vor Augen: Im Auftrag des Piratenkönigs Kalligan soll sie das Fragment einer Schatzkarte beschaffen. Ein Kinderspiel für sie, da kein Freibeuter es mit ihr aufnehmen kann. Das brutale Training ihres Vaters Kalligan hat sie zu seiner Geheimwaffe gemacht, denn sie setzt ihren Gegnern nicht nur ihre Kampfkraft, sondern auch die Sirenenmagie ihrer Mutter entgegen. Siegesgewiss beginnt Alosa ihre Mission auf einem Schiff voll verfeindeter Piraten, doch hat sie dabei nicht mit dem unverschämt attraktiven Ersten Maat Riden gerechnet, der gegen all ihre Kräfte immun zu sein scheint …
Slow-Burn Romance trifft auf Enemies-to-Lovers-Trope und Abenteuer auf hoher See!
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Seitenzahl: 387
Captain Alosa hat nur ein Ziel vor Augen: im Auftrag des Piratenkönigs Kalligan soll sie das Fragment einer Schatzkarte beschaffen, welches sich auf einem Schiff voll verfeindeter Piraten befindet. Ein Kinderspiel für sie, da kein Freibeuter es mit ihr aufnehmen kann. Das brutale Training ihres Vaters Kalligan hat sie zu seiner Geheimwaffe gemacht, denn sie setzt ihren Gegnern nicht nur ihre Kampfkraft, sondern auch die Sirenenmagie ihrer Mutter entgegen. Siegesgewiss beginnt Alosa ihre Mission auf dem feindlichen Schiff, doch hat sie dabei nicht mit dem unverschämt attraktiven Ersten Maat Riden gerechnet, der ihr ständig in die Quere kommt – und gegen all ihre Kräfte immun zu sein scheint …
Tricia Levenseller ist die »New York Times«-Bestsellerautorin der Pirate-Queen-Saga. Sie schreibt mit Vorliebe High Fantasy für junge Erwachsene und hat ein Faible für unglaublich romantische Geschichten. Tricia wuchs in Oregon auf, wo sie ihre Kindheit damit verbrachte, auf Bäume zu klettern und in den Tag zu träumen. Heute lebt sie in Utah und ist Schriftstellerin in Vollzeit. Wenn sie einmal nicht schreibt oder liest, hat sie Spaß am Puzzeln, Xbox-Spielen oder dem Erkunden neuer Restaurants.
Die Reihe von Tricia Levenseller bei Blanvalet:
Daughter of the Pirate King – Fürchte mein Schwert
Daughter of the Siren Queen – Fürchte meine Stimme
Vengeance of the Pirate Queen – Fürchte meine Rache
Tricia Levenseller
Fürchte mein Schwert
Roman
Aus dem Amerikanischen von Frauke Meier
Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Daughter of the Pirate King« bei Feiwel and Friends, an imprint of Macmillan Publishing Group, LLC, New York.
Dieser Roman ist im Februar 2024 bei der Bücherbüchse erschienen.
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Copyright der Originalausgabe © 2017 by Tricia Levenseller
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München.
Redaktion: Joern Rauser
Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de nach einer Originalvorlage von Pushkin Press UK
Umschlagmotive: © Micaela Alcaino
Karte: © 2017 by Jen Wang
SH · Herstellung: fe
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-31611-2V001
www.blanvalet.de
Für Alisa, meine Schwester, Freundin und erste Leserin
»Lasst uns nicht, liebe Freunde,unsere lieben Freunde die Tintenfische vergessen.«
Captain Jack Sparrow
Fluch der Karibik 3 – Am Ende der Welt
Ich hasse es, mich anzuziehen wie ein Mann.
Das Baumwollhemd ist zu weit, die Kniehose zu groß, die Stiefel sind zu unbequem. Mein Haar trage ich unter der kleinen Matrosenmütze zu einem festen Dutt gesteckt. Das Schwert ist an die linke Hüfte gegürtet, eine nicht gezogene Pistole hängt an der rechten.
Die Kleidung ist unangenehm, weil sie überall an den falschen Stellen zu locker sitzt. Und der Geruch! Man könnte glauben, Männer täten nichts anderes, als sich in toten Fischen zu wälzen, während sie sich die Ärmel mit ihren eigenen Exkrementen beschmieren. Aber vielleicht sollte ich mich weniger beklagen.
Solche Vorbereitungen sind eben notwendig, wenn man von Piraten geentert wird.
Zahlenmäßig und waffentechnisch sind wir unterlegen. Sieben meiner Männer liegen tot auf dem Rücken. Zwei weitere sind über Bord gesprungen, kaum dass sie die schwarze Flagge der Night Farer am Horizont erblickt hatten.
Deserteure. Die sind der feigste Schmutz überhaupt und verdienen … welches Schicksal auch immer sie erwartet. Ob sie nun ermüden und ertrinken oder von den Geschöpfen der See erwischt werden.
Stahl schwirrt durch die Luft. Das Schiff erbebt unter dem Krachen der Kanonen. Lange können wir nicht mehr standhalten.
»Es hat noch zwei erwischt, Captain«, sagt Mandsy, vorläufig mein Erster Maat, als sie durch die Falltür lugt.
»Ich sollte da oben sein und ihnen etwas Stahl in die Rippen stoßen«, sage ich, »und mich nicht verstecken wie ein hilfloser Welpe.«
»Ein bisschen Geduld«, ermahnt sie mich. »Wenn wir das überleben sollen, darfst du dich nicht vom Fleck rühren.«
»Überleben?«, frage ich gekränkt.
»Lass es mich anders formulieren. Wenn wir Erfolg haben wollen, solltest du dich wirklich nicht dabei erwischen lassen, beeindruckende Kunststücke mit dem Schwert vorzuführen.«
»Aber, vielleicht, wenn ich nur ein paar von ihnen töte …«, sage ich mehr zu mir selbst.
»Du weißt, dass wir das nicht riskieren dürfen«, erwidert sie. Dann fügt sie plötzlich hinzu: »Noch mehr Männer haben das Schiff geentert. Ich glaube, sie kommen hierher.«
Endlich. »Gib Befehl zur Kapitulation.«
»Aye, Captain.« Sie steigt die restlichen Stufen zum Deck empor.
»Und lass dich nicht umbringen!«, zische ich hinter ihr her.
Sie nickt und verschwindet durch die Falltür.
Lass dich nicht umbringen, wiederhole ich in Gedanken. Mandsy ist eine der drei Personen auf diesem Schiff, denen ich vertraue. Sie ist ein gutes Mädchen, wirklich klug, zuversichtlich – und außerdem eine verlässliche Stimme der Vernunft, die ich während unserer Reise dringend gebraucht habe. Sie hat sich freiwillig bereit erklärt mitzukommen, zusammen mit zwei anderen Mädchen aus meiner richtigen Mannschaft. Ich hätte ihnen allen nicht gestatten dürfen, sich mir anzuschließen, aber ich brauchte ihre Hilfe, um diese nutzlosen Männer bei der Stange zu halten. Das Leben wäre in den letzten paar Wochen so viel leichter gewesen, hätte ich meine Mannschaft bei diesem Wagnis dabeigehabt.
»Legt die Waffen nieder.«
Ich kann ihren Ruf wegen all den Kampfgeräuschen kaum hören. Aber dann wird es ruhiger. Entersäbel fallen mehr oder weniger im nächsten Augenblick auf die hölzernen Planken. Die Männer, die derzeit unter meinem Kommando stehen, müssen mit dem Befehl gerechnet haben. Womöglich haben sie sogar dafür gebetet. Hätte ich nicht den Befehl zur Kapitulation erteilt, vielleicht hätten sie aus eigenem Antrieb aufgegeben. Diese Mannschaft besteht beileibe nicht aus den tapfersten Kerlen.
Ich klettere die Stufen hinauf, liege direkt unter Deck auf der Lauer und halte mich außer Sicht. Ich soll die Rolle eines harmlosen Schiffsjungen spielen. Wenn diese Männer herausfinden, wer ich wirklich bin …
»Seht unter Deck nach. Vergewissert euch, dass sich da niemand versteckt.« Das war einer der Piraten. Ich kann ihn von meinem Versteck aus zwar nicht sehen, aber wenn er Befehle erteilt, muss es sich entweder um den Ersten Maat oder um den Captain handeln.
Mein Körper verspannt sich, obwohl ich genau weiß, was als Nächstes passieren wird.
Die Falltür wird gehoben, und ein hässliches Gesicht mit einem stinkenden, zotteligen Bart, gelben Zähnen und einer gebrochenen Nase schiebt sich in mein Blickfeld. Fleischige Arme umfassen mich grob, heben mich von der Leiter und werfen mich auf Deck.
Ein Wunder, dass ich die Mütze nicht verliere.
»Lasst sie antreten!«
Als mir der hässliche Pirat die Waffen abnimmt, stehe ich wieder auf den Beinen. Dann rammt er mir den Fuß in die Kehrseite, um mich wie den Rest meiner Männer auf die Knie zu zwingen. Ich sehe die Reihe hinunter und entspanne mich ein wenig, als ich Mandsy entdecke. Sorinda und Zimah sind auch unverletzt. Gut. Meinen Mädchen ist also nichts passiert. Zur Hölle mit dem Rest der Mannschaft.
Ich nehme mir einen Augenblick, um den Piraten zu beobachten, der die Befehle bellt. Er ist ein junger Mann, vielleicht noch unter zwanzig. Ungewöhnlich. Junge Männer sind normalerweise die, die Befehle empfangen, ganz besonders in Mannschaften wie dieser. Seine Augen funkeln siegestrunken nach der Schlacht, sein Stand ist sicher, seine Miene zuversichtlich. Vermutlich ist er einen Kopf größer als ich – sofern ich stehe – und sein dunkelbraunes Haar hat die Farbe eines Robbenfells. Sein Gesicht ist ein durchaus angenehmer Anblick, aber das bedeutet mir, da ich weiß, dass er zu dieser Mannschaft gehört, überhaupt nichts. In der Reihe fällt ihm Mandsy auf. Ihre Mütze ist heruntergefallen und so sind ihr langes braunes Haar und das hübsche Gesicht zu sehen. Er zwinkert ihr zu.
Alles in allem würde ich sagen, er ist ein großspuriger Mistkerl.
Meine Mannschaft und ich, wir warten still auf was auch immer die Piraten da für uns auf Lager haben. Der Rauch von den Kanonenschüssen wogt um uns herum. Trümmer verteilen sich um das Schiff. Geruch von Schießpulver liegt in der Luft und kratzt in meiner Kehle.
Schritte klingen auf, als ein Mann über die Planke marschiert, die die beiden Schiffe verbindet. Sein Kopf ist nach unten gerichtet, sodass nicht mehr als ein schwarzer Hut mit weißer Feder an der Seite von ihm erkennbar ist.
»Captain«, sagt der Pirat, der zuvor Befehle gebrüllt hat. »Alle Männer auf dem Schiff stehen vor dir.«
»Gut, Riden. Aber hoffen wir lieber, dass diese hier nicht alle Männer sind.«
Ein paar Piraten kichern. Einige meiner Männer schauen sich nervös in meine Richtung um.
Narren! Sie verraten mich allzu leichtfertig.
»Bisher hab ich drei Mädels gefunden, aber keins hat rotes Haar.«
Der Captain nickt. »Hört her!«, brüllt er und hebt den Kopf, sodass wir ihn erstmals richtig sehen können.
Er ist nicht viel älter als sein großspuriger Erster Maat. Gemächlich betrachte ich die Gesichter der Piraten. Viele von ihnen haben nicht einmal Haare am Kinn. Was für eine unfassbar junge Piratenmannschaft! Ich hatte gehört, die Night Farer stünde nicht länger unter dem Kommando des Piratenlords Jeskor – und dass sein Nachfolger ein junger Captain sei –, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass die ganze Mannschaft so jung ist.
»Ihr habt doch sicher alle die Geschichten über Jeskor den Kopfspalter gehört«, fährt der junge Piratenkapitän fort. »Ich bin sein Sohn Draxen. Und ihr werdet feststellen, dass mein Ruf noch viel schlimmer werden wird.«
Ich kann nicht anders, ich muss lachen. Glaubt der Kerl, er kann sich einen Ruf schaffen, indem er aller Welt erzählt, wie furchterregend er ist?
»Kearan«, sagt der Captain und nickt dem Mann hinter mir zu.
Kearan rammt mir den Schwertknauf auf den Kopf. Der Schlag ist nicht hart genug, um mich umzuhauen, aber hart genug, um höllisch wehzutun.
Das reicht jetzt, denke ich. Mandsys Mahnungen sind plötzlich weit entfernt von meinem Bewusstsein. Ich bin es leid, wie ein Diener auf dem Boden zu knien. Ich stemme die Hände auf das hölzerne Deck, strecke die Beine nach hinten und verhake die Füße hinter den Absätzen des hässlichen Piraten. Mit einem Ruck ziehe ich sie vor und Kearan kippt nach hinten. Rasch stehe ich auf, drehe mich um und nehme ihm mein Schwert und meine Pistole ab, ehe er wieder auf die Beine kommt.
Ich richte meine Pistole auf Draxens Gesicht. »Runter von meinem Schiff, und nimm deine Männer mit.«
Hinter mir höre ich ein Rascheln: Kearan richtet sich auf. Ich ramme den Ellbogen zurück und treffe seinen riesigen Bauch. Es klatscht gewaltig, als er erneut zu Boden geht.
Es ist still. Alle können hören, wie ich den Hahn meiner Pistole spanne. »Verschwindet. Jetzt sofort.«
Der Captain versucht, unter meine Mütze zu sehen. Ich könnte mich unter seinem Blick ducken, aber das würde bedeuten, dass ich ihn aus den Augen lassen müsste.
Auf einmal fällt ein Schuss und reißt mir die Pistole aus der Hand. Sie landet auf den Planken und rutscht außer Sichtweite.
Ich schaue nach rechts und sehe den Ersten Maat – Riden –, wie er seine Pistole zurück ins Holster schiebt. Ein arrogantes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Zwar würde ich ihm diesen Ausdruck gern mit dem Schwert abrasieren, aber ich gebe zu, der Schuss war beeindruckend.
Doch das hindert mich nicht daran, wütend zu werden. Ich ziehe mein Schwert und trete auf den Ersten Maat zu. »Du hättest meine Hand erwischen können.«
»Nur, wenn ich das gewollt hätte.«
Viel zu schnell packen mich zwei Männer von hinten, einer an jedem Arm.
»Ich finde, für einen einfachen Schiffsjungen, der noch nicht mal im Stimmbruch ist, redest du viel zu viel«, sagt der Captain »Nimm die Mütze ab.«
Einer meiner Häscher reißt mir die Mütze vom Kopf – mein Haar löst sich und fällt mir über den halben Rücken.
»Prinzessin Alosa«, sagt Draxen. »Da bist du ja. Ein bisschen jünger, als ich erwartet hatte.«
Der muss gerade reden. Mir mögen noch drei Jahre an zwanzig fehlen, aber ich könnte meinen Schwertarm darauf verwetten, dass ich ihm bei jeder Herausforderung – sei sie geistig oder körperlich – überlegen bin.
»Ich hatte schon befürchtet, dass wir das Schiff auseinandernehmen müssen, um dich zu finden«, fährt er fort. »Du wirst uns jetzt begleiten.«
»Ich glaube, Captain, du solltest schnell merken, dass ich mir nicht gern sagen lasse, was ich zu tun habe.«
Draxen prustet, legt die Hand auf den Gürtel und dreht sich zur Night Farer um. Sein Erster Maat hingegen lässt mich nicht aus den Augen, als würde er jeden Moment mit einer gewalttätigen Reaktion rechnen.
Nun ja, natürlich werde ich gewalttätig reagieren, aber warum sollte er jetzt schon damit rechnen?
Ich ramme dem Piraten, der meinen rechten Arm hält, den Absatz auf den Fuß. Grunzend lässt er mich los und bückt sich. Dann schlage ich ihm die befreite Handkante an die Kehle. Er würgt und umfasst mit beiden Händen seinen Hals.
Draxen dreht sich um, um nachzusehen, was der Aufruhr zu bedeuten hat. Inzwischen richtet Riden eine andere Pistole auf mich, immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen. Einschüssige Pistolen sind mit Schießpulver und Eisenkugel nachzuladen, das braucht aber Zeit. Weshalb die meisten Männer mindestens zwei davon haben.
»Ich habe Bedingungen, Captain«, sage ich.
»Bedingungen?«, wiederholt er fassungslos.
»Wir werden die Bedingungen meiner Kapitulation verhandeln. Zunächst will ich dein Wort, dass meine Mannschaft unversehrt freigelassen wird.«
Draxen nimmt die rechte Hand von seinem Gürtel und greift nach einer seiner Pistolen. Kaum hat er sie, richtet er sie auf den ersten meiner Männer und feuert. Der Pirat hinter ihm springt zur Seite, als mein Mannschaftsmitglied tot umfällt.
»Fordere mich nicht heraus«, befiehlt Draxen. »Du gehst auf mein Schiff. Sofort.«
Ohne jeden Zweifel legt er es darauf an, sich seines Rufs würdig zu erweisen. Aber wenn er glaubt, er könne mich einschüchtern, liegt er falsch.
Wieder greife ich zu meinem Schwert und ziehe es über die Kehle des Piraten, der noch dabei ist, sich von meinem Schlag an den Hals zu erholen.
Ridens Augen weiten sich, während sich die des Captains zusammenziehen. Draxen zieht eine weitere Pistole aus dem Hosenbund und feuert auf den zweiten Mann in der Reihe. Er fällt ebenso um wie der erste.
Ich ramme mein Schwert in den Piraten, der mir am nächsten steht. Er schreit auf, ehe er erst auf die Knie und dann in ganzer Länge auf das Deck sinkt. Die Stiefel, die ich trage, sind nun klebrig vor Blut. Ich habe ein paar rote Fußabdrücke auf dem Holz hinterlassen.
»Aufhören!«, brüllt Riden. Er tritt näher und richtet seine Pistole auf meine Brust. Mich überrascht es nicht, dass sein Lächeln nun verschwunden ist.
»Wolltet ihr mich töten, hättet ihr es längst getan«, sage ich. »Da ihr mich aber lebendig wollt, werdet ihr meinen Bedingungen zustimmen.« Binnen Sekunden habe ich Kearan entwaffnet, den Piraten, der mich zuvor gepackt hatte. Ich zwinge ihn auf die Knie. Eine Hand reißt seinen Kopf am Haar zurück; die andere hält meine Klinge an seinen Hals. Er gibt keinen Ton von sich, während ich sein Leben in Händen halte. Beeindruckend, wenn man bedenkt, dass er zugesehen hat, wie ich zwei seiner Schiffskameraden getötet habe. Er muss wissen, dass ich wegen seines Todes kein schlechtes Gewissen hätte.
Draxen steht vor einem dritten Mitglied meiner Mannschaft und hält eine neue Pistole in der Hand.
Dieses Mal ist es Mandsy.
Ich lasse mir meine Angst nicht anmerken. Er muss mich für gleichgültig halten. Es wird gelingen.
»Dafür, dass du um die Sicherheit deiner Leute gebeten hast, bist du ziemlich kaltschnäuzig, wenn ich einen nach dem anderen töte«, bemerkt Draxen.
»Aber für jeden Mann, den ich verliere, verlierst du auch einen. Wenn du vorhast, sie alle sowieso zu töten, sobald ich erst an Bord bin, dann macht es nichts mehr aus, wenn ich ein paar verliere, während ich um die Sicherheit der übrigen verhandle. Du willst mich gefangen nehmen, Captain. Sofern du möchtest, dass ich freiwillig auf dein Schiff gehe, wäre es klug, du nähmest dir mein Angebot zu Herzen. Oder sollen wir erst sehen, wie viele deiner Männer ich töten kann, während du versuchst, mich auf dein Schiff zu zwingen?«
Riden nähert sich seinem Captain und flüstert ihm etwas zu. Draxens Finger spannen sich um seine Waffe. Ich fühle mein Herz rasant schlagen. Nicht Mandsy. Nicht Mandsy. Sie ist eine von meinen. Ich kann sie nicht sterben lassen.
»Nenn deine Bedingungen, Prinzessin.« Meinen Titel speit er hervor. »Aber mach schnell.«
»Die Mannschaft ist unversehrt freizulassen. Ich werde auf dein Schiff kommen, ohne Widerstand zu leisten. Und du wirst mein Hab und Gut rüberbringen.«
»Dein Hab und Gut?«
»Ja, meine Garderobe und meinen persönlichen Besitz.«
Er dreht sich zu Riden um. »Sie will ihre Kleidung«, sagt er fassungslos.
»Ich bin eine Prinzessin und so werdet ihr mich auch behandeln.«
Der Captain sieht aus, als wäre er drauf und dran, mich zu erschießen, als Riden das Wort ergreift: »Was kümmert es uns, Captain, wenn sie sich jeden Tag für uns herausputzen möchte? Ich würde mich darüber jedenfalls nicht beklagen.«
Leises Gelächter erklingt in seiner Mannschaft.
»Also schön«, sagt Draxen endlich. »Ist das dann alles, Eure Hoheit?«
»Ja.«
»Dann schaff deinen verhätschelten Hintern auf mein Schiff. Ihr Männer …« Er zeigt auf zwei Wüstlinge im Hintergrund. »Verfrachtet ihr Zeug aufs Schiff. Was die Mannschaft der Prinzessin betrifft, so steigt ihr jetzt in die Ruderboote. Ich werde das Schiff versenken. Wenn ihr schnell rudert, schafft ihr es in zweieinhalb Tagen zum nächsten Hafen. Und ich schlage vor, ihr tut das, ehe auch nur einer von euch verdurstet. Wenn ihr die Küste erreicht habt, werdet ihr dem Piratenkönig meine Lösegeldforderung überbringen und ihm sagen, dass ich seine Tochter in meiner Gewalt habe.«
Männer beider Lager hasten umher, um die Befehle auszuführen. Der Captain tritt vor und streckt die Hand nach dem Schwert aus. Widerstrebend gebe ich es ihm. Kearan, der Pirat, den ich damit bedroht hatte, erhebt sich und huscht so weit wie möglich von mir weg. Ich bekomme keine Gelegenheit, über seine Reaktion zu lachen, weil Draxen mir einen Schlag auf die linke Wange versetzt.
Durch die Wucht gerät mein ganzer Körper ins Taumeln. Das Innere meines Mundes blutet überall dort, wo meine Zähne sich in mein Fleisch gebohrt haben. Ich spucke Blut auf das Deck.
»Lass uns über eine Sache Klarheit schaffen, Alosa. Du bist meine Gefangene. Zwar scheint es, als hättest du als Tochter des Piratenkönigs das eine oder andere gelernt, doch es bleibt Tatsache, dass du die einzige Frau auf einem Schiff voller Mörder, Diebe und Piraten sein wirst, die schon lange keinen Hafen mehr angelaufen haben. Weißt du, was das bedeutet?«
Ich spucke erneut aus, versuche, den Blutgeschmack aus dem Mund zu bekommen. »Es bedeutet, dass deine Männer in letzter Zeit in keinem Hurenhaus gewesen sind.«
Draxen lächelt. »Wenn du je wieder versuchen solltest, mich vor meinen Männern zu blamieren, könnte ich deine Zelle bei Nacht einfach unverschlossen lassen, sodass jeder hineinkann, und ich werde gleichzeitig gemütlich einschlafen und dabei deinen Schreien lauschen.«
»Du bist ein Tor, wenn du glaubst, du würdest mich je schreien hören. Und du betest besser, dass du nie einschläfst, während meine Zelle unverschlossen ist.«
Er bedenkt mich mit einem bösen Lächeln. Mir fällt auf, dass er einen Goldzahn hat. Sein Hut thront auf schwarzem Haar, das in kleinen Löckchen darunter hervorlugt. Sein Gesicht ist sonnengebräunt. Und sein Mantel ist zu groß für ihn, sodass es aussieht, als hätte er vorher jemand anderem gehört. Vielleicht hat er ihn dem Leichnam seines Vaters gestohlen?
»Riden!«, brüllt Draxen. »Bring das Mädchen rüber. Steck sie in die Zelle. Dann kümmere dich um sie.«
Kümmere dich um sie.
»Gern«, sagt Riden und kommt näher. Er umfasst meinen Arm so fest, dass es beinahe wehtut, was in einem krassen Kontrast zu seiner lockeren Miene steht. Ich frage mich, ob die beiden Männer, die ich getötet habe, seine Freunde waren. Er zerrt mich zu dem anderen Schiff. Im Gehen sehe ich zu, wie meine Männer und Frauen in den Ruderbooten davontreiben. Sie rudern in stetem Takt, um sich nicht zu schnell zu ermüden. Mandsy, Sorinda und Zimah werden darauf achten, dass sie regelmäßig die Position wechseln, damit jede Zeit bekommt, sich zu erholen. Das sind kluge Mädchen.
Die Männer dagegen sind ohnehin Wegwerfware. Mein Vater hat jeden von ihnen persönlich ausgewählt. Manche schulden ihm Geld. Manche wurden beim Diebstahl in der Schatzkammer ertappt. Manche haben seine Befehle nicht so befolgt, wie es von ihnen erwartet wurde. Und manche haben sich weiter nichts zuschulden kommen lassen, als dass sie ein Ärgernis waren. Was auch immer der Fall war, mein Vater hat sie jedenfalls alle in eine Mannschaft gepackt, und mir reichten drei Mädchen von meinem Schiff, um sie unter Kontrolle zu halten.
Schließlich hatte mein Vater angenommen, dass die meisten der Männer getötet werden würden, sobald Draxen mich erwischt. Zu ihrem Glück ist es mir gelungen, die meisten ihrer elenden Leben zu retten. Ich hoffe, Vater wird deswegen nicht allzu wütend sein.
Aber das ist jetzt nicht wichtig. Der Punkt ist, dass ich nun an Bord der Night Farer bin.
Natürlich konnte ich ihnen meine Gefangennahme nicht zu leicht machen. Ich musste meine Rolle spielen. Draxen und seine Leute dürfen keinen Verdacht schöpfen.
Sie dürfen nicht wissen, dass ich mit der Mission entsandt wurde, sie zu berauben.
Riden beneide ich um seine Stiefel.
Sie sind das Produkt erlesener Handwerksarbeit und so schwarz wie das hungrige Auge eines Hais. Die Spangen sehen aus, als wären sie aus reinem Silber, das Leder ist fest und stabil. Das Material schmiegt sich perfekt an seine Waden. Seine Schritte donnern auf den Planken. Kräftig. Laut. Machtvoll.
Derweil stolpere ich unentwegt, während Riden mich mit sich zerrt. Meine zu großen Stiefel fallen mir beinahe von den Füßen. Jedes Mal, da ich innehalten muss, um sie hochzuziehen, reißt er brutaler an meinem Arm. Mehrfach kann ich mich gerade noch abfangen, um nicht zu stürzen.
»Halt dich aufrecht, Kleine«, sagt er vergnügt, wohl wissend, dass ich genau das nicht kann.
Schließlich trampele ich ihm auf den Fuß.
Er grunzt, lässt aber, das muss man ihm zugutehalten, nicht von mir ab. Ich rechne damit, dass er mich schlägt, so wie Draxen es getan hat, aber das tut er nicht. Er hetzt nur noch schneller weiter. Natürlich könnte ich mich mühelos von ihm befreien, wenn ich wollte. Aber ich darf nicht allzu versiert agieren, besonders dann nicht, wenn mein Gegenüber der Erste Maat ist. Und ich muss dafür sorgen, dass die Piraten sich nach meinem Auftritt auf dem anderen Schiff wieder beruhigen.
Von uns beiden abgesehen, befindet sich derzeit niemand auf diesem Schiff. Draxens Männer sind alle noch auf meinem Schiff und erleichtern es um alles, das irgendeinen Wert hat. Vater hat mir genug Münzen mitgegeben, um die Piraten glücklich zu machen, ohne ihnen zu viel Profit zuzugestehen. Hätte man mich ohne Geld angetroffen, Draxen wäre zweifellos misstrauisch geworden.
Riden zerrt mich nach rechts zu einer Treppe, die unter Deck führt. Der Weg nach unten ist unangenehm. Zweimal verfehle ich eine Stufe und stürze beinahe hinab. Riden fängt mich beide Male auf, aber sein Griff ist fester als notwendig. Morgen werde ich vermutlich blaue Flecken haben. Diese Erkenntnis macht mich wütend.
Was auch der Grund dafür ist, dass ich ihn drei Stufen über dem Boden zu Fall bringe.
Damit hat er offensichtlich nicht gerechnet. Er stürzt, aber ich habe nicht bedacht, wie fest sein Griff ist, und so nimmt er mich logischerweise mit.
Der Aufprall ist schmerzhaft.
Riden kommt schnell wieder auf die Beine und reißt auch mich hoch. Dann stößt er mich in eine Ecke, von der aus ich nirgendwo hinlaufen kann. Seine braunen Augen tasten mich von oben bis unten ab, mustern mich neugierig. Irgendwie bin ich wohl etwas Neues. Vielleicht eine Art Projekt. Ein Auftrag seines Captains. Er muss herausfinden, wie er am besten mit mir fertigwird.
Während er mich beäugt, frage ich mich, was er aus meinem Gesicht und meiner Haltung liest. Meine Rolle ist die der verzweifelten und verärgerten Gefangenen, aber selbst wenn man schauspielert, können immer Teile der wahren Persönlichkeit hindurchschimmern. Der Trick besteht darin, zu kontrollieren, welchen Teil von mir er zu sehen bekommt. Vorerst sind es meine Sturheit und mein Temperament. Da muss ich gar nichts vortäuschen.
Offenbar ist er zu einem Schluss gekommen, denn er sagt: »Du hast versprochen, dich freiwillig in unsere Hand zu begeben. Wie ich sehe, ist dein Wort nicht viel wert.«
»Falsch«, kontere ich. »Hättest du mir die Chance gegeben, ohne deine Hilfe in die Zelle zu gehen, statt mir den Arm zu quetschen, würden deine Knie jetzt nicht schmerzen.«
Darauf sagt er nichts, aber seine Augen leuchten vor Amüsement. Schließlich streckt er den Arm in Richtung der Zellen aus, als wäre er möglicherweise ein Partner, der mich auf die Tanzfläche führen will.
Ich gehe ohne ihn weiter. Derweil bemerkt er hinter mir: »Mädchen, du hast das Gesicht eines Engels, aber die Zunge einer Schlange.«
Ich bin in Versuchung, mich umzudrehen und ihm einen Tritt zu verpassen, schaffe es aber, mich zu beherrschen. Ich werde noch genug Zeit haben, ihn kräftig zu verprügeln, wenn ich erst einmal bekommen habe, weshalb ich hier bin.
Hoch aufgerichtet lege ich den Rest des Weges zu den Zellen zurück. Unterwegs verschaffe ich mir einen raschen Eindruck und wähle die sauberste aus. Eigentlich sieht sie genauso aus wie die anderen, aber ich versuche, mir einzureden, dass die dunkle Substanz in der Ecke nur Schmutz ist.
Wenigstens gibt es in der Zelle einen Stuhl und einen Tisch. Ich werde einen Platz haben, um meinen Besitz abzulegen. Ich zweifle keinen Augenblick daran, dass der Captain Wort halten wird. Es ist für alle Piratenkapitäne von Nutzen, ehrlich zueinander zu sein, selbst wenn wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach gegenseitig im Schlaf ermorden würden. Aber zwischen rivalisierenden Lords sind keine Verhandlungen und auch keine Einigungen möglich, ohne dass wenigstens der Anschein von Vertrauen gewahrt wird. Das ist für jeden Piraten neu. Mein Vater hat das Konzept der Ehrlichkeit in das Repertoire der Piraten aufgenommen. Alle Piraten, die unter dem neuen Regime überleben wollten, mussten es übernehmen. Denn der Piratenkönig würde jeden, der dabei erwischt wird, bei Verhandlungen unehrlich zu sein, im Handumdrehen beseitigen.
Ich inspiziere die Sitzfläche des Stuhls. Alles ist zu schmuddelig für meinen Geschmack, aber es wird reichen müssen. Ich lege den großen braunen Ledermantel über meinen Schultern ab und ziehe ihn über die Sitzfläche und Lehne des Stuhls. Erst danach setze ich mich.
Riden grinst spöttisch, vermutlich wegen meines unverkennbaren Unbehagens angesichts dieses Quartiers. Er schließt mich ein und steckt den Schlüssel in die Tasche. Dann zieht er sich selbst einen Stuhl heran und setzt sich auf die andere Seite der Gitterstäbe.
»Was jetzt?«, frage ich.
»Jetzt reden wir.«
Ich seufze theatralisch. »Ihr habt mich doch schon gefangen genommen. Nun zieht los, fordert euer Lösegeld ein und lasst mich in Ruhe schmollen.«
»Ich fürchte, das Geld deines Vaters ist nicht das Einzige, was wir von dir wollen.«
Ich kralle die Finger in den Halsausschnitt meines Baumwollhemds, als fürchtete ich, die Piraten könnten mich meiner Kleider berauben wollen. Das ist Teil des Schauspiels. Es würde viele Männer brauchen, mich zu bezwingen; ich werde problemlos mit dreien auf einmal fertig. Und mehr würden gar nicht in diese Zelle passen.
»Niemand wird dich anrühren, nun, da du hier unten bist. Dafür werde ich sorgen.«
»Und wer sorgt dafür, dass du mich nicht anrührst?«
»Ich kann dir versichern, dass ich es noch nie nötig hatte, eine Frau zu etwas zu zwingen. Sie kommen freiwillig zu mir.«
»Schwer zu glauben.«
»Das liegt nur daran, dass ich dir gegenüber meinen Charme noch nicht habe spielen lassen.«
Ich lache höhnisch. »Als Piratin, aufgezogen von Piraten, musste ich mich der verachtenswertesten und aufdringlichsten Männer erwehren. Also mache ich mir keine allzu großen Sorgen.«
»Und was, Alosa, würdest du tun, wenn du einen Mann abwehren müsstest, der weder verachtenswert noch aufdringlich ist?«
»Ich lasse es dich wissen, wenn mir ein solcher begegnet.«
Er lacht. Es klingt tief und sonor. »Also gut. Kommen wir zum Geschäft. Du bist hier, weil ich etwas von dir wissen will.«
»Wie nett. Ich hätte gern eine saubere Zelle.«
Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und macht es sich bequem. Vielleicht ist ihm aufgegangen, dass das hier eine Weile dauern wird. »Wo liegt Kalligans Hafen?«
Ich schnaube verächtlich. »Du hast eine furchtbare Art, Fragen zu stellen. Denkst du etwa, ich werde dir einfach die Lage von meines Vaters Zuflucht verraten? Solltest du dich nicht lieber behutsam an die großen Fragen herantasten? Und da er dein König ist, tätest du auch gut daran, ihn angemessen mit seinem Titel zur Sprache zu bringen.«
»Da ich seine Tochter gefangen genommen habe, glaube ich, ich habe die Freiheit, ihn so zu nennen, wie ich will.«
»Er wird dich und jeden anderen auf diesem Schiff töten. Und er wird sich dabei Zeit lassen.« Ich hatte das Gefühl, es war soweit, die eine oder andere Drohung zu servieren. So würde es ein echter Gefangener doch machen.
Riden wirkt wenig besorgt. Überhaupt nicht. Er trägt eine Selbstsicherheit zur Schau, als ginge es nur um ein weiteres Kleidungsstück an seinem Leib.
»Es wird schwer für uns, dich zurückzubringen, wenn wir den Aufenthaltsort deines Vaters nicht kennen.«
»Den müsst ihr auch nicht kennen. Er wird mich finden.«
»Wir werden den Männern deines Vaters um mehrere Tage voraus sein. Das ist mehr Zeit als genug, um irgendwohin zu entkommen, wo er uns nie finden wird.«
Ich schüttele den Kopf. »Einfaltspinsel. Mein Vater hat überall in Maneria Männer in seinen Diensten und es ist nicht mehr als ein einziger nötig, der euch sieht.«
»Der Einflussbereich deines Vaters ist uns wohlbekannt. Mir ist nur nicht klar, wie er darauf kommt, das würde seinen selbst verliehenen Titel als König rechtfertigen.«
Nun bin ich diejenige, die sich auf dem Stuhl zurücklehnt. »Du scherzt, oder? Mein Vater beherrscht den Ozean. Nicht ein Mann segelt dort, der ihm keinen Tribut entrichtet. Alle Piraten müssen einen Prozentsatz ihrer Beute an ihn abführen. Und die, die es nicht tun, werden auf Nimmerwiedersehen vom Meer geblasen. Also, sag mir, furchtloser Riden, Erster Maat der Night Farer, wenn er Männer tötet, weil sie ihre Schulden nicht vollständig bezahlen, was meinst du wohl, was er mit Männern anstellen wird, die seine Tochter entführen? Du und deine Mannschaft, ihr seid schließlich weiter nichts als ein Rudel kleiner Jungs, die ein gefährliches Spiel spielen. Binnen zwei Wochen wird jeder Mann auf See nach mir suchen.« Natürlich hatte ich vor, dieses Schiff noch vor Ablauf von zwei Wochen zu verlassen.
»Kleine Jungs?« Er richtet sich auf seinem Stuhl auf. »Du dürftest jünger sein als so ziemlich jeder auf diesem Schiff.«
Nach allem, was ich gesagt habe, stürzt er sich ausgerechnet darauf? »Kaum. Wie alt bist du? Fünfzehn?« Ich stachele ihn auf. Ich weiß, dass er älter sein muss, aber ich bin neugierig, wie alt er tatsächlich ist.
»Achtzehn«, korrigiert er mich.
»Wie auch immer, mein Alter hat nichts mit irgendwas zu tun. Ich habe ein paar Fähigkeiten, die mich zu einem besseren Piraten machen, als die meisten Männer je zu werden hoffen dürfen.«
Riden neigt den Kopf zur Seite. »Und welche Fähigkeiten könnten das sein?«
»Das wüsstest du gern, was?«
Sein Grinsen wird breiter. »Wie du sicher bereits erraten hast, ist dies keine gewöhnliche Mannschaft. Wir mögen jünger sein als die meisten Männer auf See, aber der Großteil von uns hat die grausamsten Seiten des Lebens bereits kennengelernt. Diese Männer sind unbarmherzig, jeder ein bereitwilliger Mörder.« Für einen Augenblick zerfällt seine Miene und ein Hauch von Traurigkeit huscht über sein Gesicht. Sicher denkt er an irgendetwas aus früheren Zeiten.
»Wenn du vorhast, jetzt in Tränen auszubrechen, dann warte bitte damit, bis du wieder auf Deck bist. Ich kann weinende Männer nicht ertragen.«
Riden richtet seinen Blick wieder auf mich, aber es ist beinahe so, als sähe er durch mich hindurch. »Du bist wirklich eine herzlose Kreatur, Alosa. Du tötest, ohne zu zögern. Du kannst im Kampf zwei Männer zugleich niederringen. Du siehst ohne mit der Wimper zu zucken zu, wenn deine eigenen Männer getötet werden. Ich kann nur raten, wie du unter dem berüchtigtsten Piraten von Maneria aufgezogen worden bist.«
»Vergessen wir nicht die Tatsache, dass ich auch besser schieße als du.«
Er lacht und zeigt mir dabei seine hübschen Zähne. Beeindruckend für einen Piraten. »Ich denke, ich werde unsere Gespräche in nächster Zeit ausgiebig genießen können. Und ich hoffe wirklich, ich bekomme die Gelegenheit, dich eines Tages schießen zu sehen, vorausgesetzt, ich bin nicht das Ziel.«
»Keine Versprechungen.«
Gedämpft klingen Geräusche von Deck herab. Das Schiff erbebt, als die Kanonen abgefeuert werden. Das dürfte Draxen sein, der gerade mein Schiff versenkt. Na ja, es ist nicht mein Schiff, nur das Schiff, das mein Vater mir für diese Mission zugeteilt hat. Mein richtiges Schiff, die Ava-lee, und der größte Teil meiner richtigen Mannschaft befinden sich sicher in der Festung. Und obgleich ich beide vermisse, freue ich mich auch auf die Herausforderung, die vor mir liegt.
Stufen knarren, als jemand herabsteigt. Nicht lange danach gerät Draxen in mein Blickfeld. Drei Männer folgen ihm mit meiner Habe.
»Wird auch Zeit«, maule ich.
Die Gesichter der drei Wüstlinge, die meine Taschen tragen, sind gerötet und sie scheinen außer Atem zu sein. Das bedeutet wohl, dass sie alles dabeihaben. Ich reise nicht mit leichtem Gepäck.
Jeder von ihnen schnaubt, als sie die Taschen zu Boden fallen lassen.
»Vorsichtig«, blaffe ich.
Der erste Pirat ist ziemlich groß und muss beinahe den Kopf einziehen, um sich unter Deck zu bewegen. Nun, da er seine Last abgeworfen hat, greift er in seine Tasche und fummelt an irgendetwas herum. Eine Schnur, dem Anschein nach mit Perlen besetzt, lugt aus ihr hervor. Vielleicht eine Art Glücksbringer?
Der Zweite starrt mich wie einen besonderen Leckerbissen an. Sein Blick zieht mir eine Gänsehaut über den Halsansatz. Ich komme zu dem Schluss, dass ich mich von dem besser fernhalte.
Der Mann ganz hinten ist Kearan. Oh, Sterne, ist der hässlich. Seine Nase ist riesig, die Augen stehen zu weit auseinander, der Bart ist zu lang und ungepflegt. Und um den guten Eindruck zu vervollständigen, hängt sein Bauch auch noch über seinen Gürtel.
Ich denke gerade, ich könnte gar keinen schlechteren Eindruck von ihm gewinnen, als mein Blick auf das fällt, was er in der Hand hält. Er wirft ein paar meiner Kleider in einem Haufen auf den Boden.
Ich knirsche mit den Zähnen. »Hast du die hergeschleift? Über den schmutzigen Boden? Hast du eine Ahnung, wie schwer es war, ein Mädchen mit meiner Größe zu finden, dem ich das Zeug stehlen konnte?«
»Halt deine Klappe, Alosa«, kommandiert Draxen. »Ich bin immer noch halb versucht, den Kram über Bord zu werfen, zum Teufel mit meinem Wort.«
Kearan holt eine Flasche aus einer der vielen Taschen seines Mantels und nimmt einen großen Schluck. »Könnte uns vorm Sinken bewahren, Käpt’n.«
»Ach, sei doch still«, sage ich. »Es ist noch nicht zu spät für mich, dich kaltzumachen.«
Er besitzt den Anstand, besorgt dreinzuschauen, ehe er noch einen Schluck nimmt.
Draxen dreht sich um. »Meine Herren, geht nach oben und bereitet die Weiterfahrt vor. Ich will umgehend von hier weg. Kearan, ans Ruder mit dir. Warte auf meine Rückkehr.«
Als sie gehen, schlendert Draxen zu Riden und klopft ihm auf den Rücken. »Wie ist es gelaufen, Bruder?«
Bruder?
Draxens Haar ist dunkler, aber seine Schultern sind ebenso breit wie die von Riden. Sie haben die gleichen dunklen Augen, aber Riden wirkt attraktiver. Nein, nicht attraktiver. Rivalisierende Piraten sind niemals attraktiv. Das sind Schiffsratten.
»Ganz gut«, antwortet Riden. »Sie ist ihrem Vater gegenüber ziemlich loyal und vertraut darauf, dass er imstande ist, sie zu retten, weil seine Reichweite auf See so groß ist. Ihre Worte wecken in mir den Verdacht, dass er auf offener See nach uns suchen wird, also schlage ich vor, wir halten uns nahe an der Küste.«
Hastig überdenke ich unser Gespräch und erkenne die allzu verräterischen Fehler in meinen Antworten.
Riden ist schlauer, als es den Anschein hat. Er grinst spöttisch über meine erschrockene Miene oder vielleicht auch über den gefährlichen Blick, mit dem ich ihn beäuge. Dann fährt er fort. »Sie hat ein feuriges Temperament, das gut zu dem roten Haar auf ihrem Kopf passt. Sie ist auch nicht dumm. Ich schätze, sie hat eine ordentliche Schulbildung genossen. Was ihre Fähigkeiten im Kampf und so betrifft, vermute ich, dass sie vom Piratenkönig persönlich angeleitet wurde, was bedeutet, dass sie ihm wirklich wichtig ist und er sich bereit erklären wird, das Lösegeld zu bezahlen.«
»Hervorragend«, sagt Draxen. »Also wird der niederträchtige Piratenkönig seine Tochter wirklich holen kommen.«
»Vermutlich sogar höchstpersönlich«, stimmt Riden zu.
Ich achte darauf, keine Miene zu verziehen. Sollen sie nur denken, dass mein Vater mich suchen wird, statt sicher in seiner Festung zu sitzen und auf meinen Bericht zu warten. Wie auch immer, was meine Ausbildung betrifft, hat Riden den Nagel auf den Kopf getroffen. Mein Vater würde diese Mission nur jemandem anvertrauen, den er selbst ausgebildet hat. Und er hat nur eine einzige Person ausgebildet.
»Sonst noch etwas?«, fragt Draxen.
»Sie ist gefährlich. Sie sollte die ganze Zeit weggesperrt sein. Und ich würde auch keinen der Männer mit ihr allein lassen. Um derentwillen.« Letzteres sagt Riden halb im Scherz, wird aber gleich wieder ernst und atmet tief durch, während er seine Gedanken ordnet. »Sie verbirgt etwas. Mehr als die Geheimnisse, von denen wir längst wissen, dass sie sie kennt. Da ist noch etwas anderes, von dem sie wirklich nicht will, dass ich es aufdecke.«
Ich stehe von meinem Stuhl auf und trete ans Gitter. Meine Gedanken überschlagen sich. Er kann mein dunkelstes Geheimnis nicht kennen. Nur mein Vater und ein paar wenige Auserwählte wissen davon. »Wie kannst du das wissen?«
»Ich wusste es nicht.«
Draxen lacht.
Ich balle die Fäuste. Ich will nichts mehr, als diesem Riden wieder und wieder in sein anmaßendes Gesicht zu schlagen, bis ihm sämtliche Zähne aus diesem Lächeln fallen.
Aber, ach, sein Gesicht ist zu weit entfernt. Also beschränke ich mich darauf, den Ärmel seines langen Hemds zu packen. Da er immer noch sitzt, fliegt er mit dem Kopf voran auf die Gitterstäbe zu. Er schlägt die Hände an das Gitter, um nicht mit dem Gesicht dagegen zu knallen. Mir soll es recht sein, denn das gibt mir die Zeit, die ich brauche, um ihm mit der freien Hand den Schlüssel zu meiner Zelle aus der Tasche zu ziehen. Als ich ihn habe, stecke ich ihn in die eigene Tasche und weiche zu der hölzernen Wand der Zelle zurück.
Riden richtet sich grunzend auf.
»Vielleicht solltest du auch nicht mit ihr allein bleiben«, bemerkt Draxen.
»Ich werde schon mit ihr fertig. Außerdem weiß sie, dass sie meine Gesellschaft umso länger genießen wird, je länger sie so weitermacht.«
Ich ermahne mich im Stillen, dass ich aus freien Stücken auf diesem Schiff bin. Ich könnte jederzeit abhauen. Ich muss nur erst die Karte finden.
Ich entriegele die Tür. Die beiden Männer gestatten mir, mein Zeug in meine Zelle zu schleppen, machen sich aber nicht die Mühe, mir zu helfen. Sie warten, während ich dreimal gehe. Nicht, dass ich ihre Hilfe gewollt hätte. Ich bin in Stimmung, ein paar Knochen zu brechen. Vor allem die von Riden. Vater würde meine Zurückhaltung gewiss bewundern. Als ich fertig bin, schließe ich mich wieder in der Zelle ein.
Riden streckt fordernd die Hand aus. Ich zögere nur für einen kurzen Augenblick, ehe ich den Schlüssel nach ihm werfe. Er fängt ihn mühelos. Ein skeptischer Ausdruck huscht über sein Gesicht. Er packt einen Gitterstab und zerrt daran. Er bleibt sicher an Ort und Stelle.
»Man kann nicht vorsichtig genug sein«, sagt Riden zu Draxen. »Hast du ihre Sachen kontrolliert?«
»Aye«, sagt der Captain. »Nichts als Kleider und Bücher. Nichts Bedrohliches. Gut, ich denke, für einen Tag hatten wir genug Aufregung. Lass uns raufgehen und überlegen, wo wir am besten vor Anker gehen. Und es wird das Beste sein, dem Mädel nicht zu erzählen, wo wir ankern werden. Nicht, dass sie noch auf dumme Gedanken kommt.«
Draxen geht in Richtung Treppe. Riden zieht den rechten Mundwinkel hoch und folgt ihm.
Kaum sind sie außer Sicht, gestatte ich mir ein Lächeln. Riden ist nicht der Einzige, der während unserer kleinen Unterhaltung ein paar Informationen gesammelt hat. Ich habe erfahren, dass Riden und Draxen Brüder sind, Söhne des Piraten Jeskor. Ich weiß zwar immer noch nicht, was Jeskor und seiner ursprünglichen Mannschaft zugestoßen ist, sodass Draxen das Schiff geerbt hat, aber ich bin sicher, das werde ich noch erfahren. Riden ist ein guter Schütze und er hat das Selbstvertrauen eines Captains. Wie sonst hätte er Draxen überzeugen können, nicht noch mehr von meinen Männern zu töten? Ich frage mich, was er ihm auf dem anderen Schiff zugeflüstert hat und warum er sich überhaupt die Mühe gemacht hat, dazwischenzugehen. Riden ist besorgt um die Männer auf diesem Schiff, und das ist mehr als die Besorgnis, die ein Erster Maat üblicherweise gegenüber den Männern unter seiner Aufsicht an den Tag legt. Ich denke daran, wie er mir erzählt hat, alle Männer auf diesem Schiff seien Mörder, und wie traurig er dabei ausgesehen hat. Für irgendetwas fühlt er sich verantwortlich. Vielleicht hat das etwas damit zu tun, was aus der Originalmannschaft der Night Farer geworden ist.
Es gibt jede Menge Geheimnisse an Bord dieses Schiffes, und ich werde haufenweise Zeit haben, um sie alle aufzudecken, beginnend mit heute Nacht. Ich schüttele den rechten Arm und spüre das Metall herunterrutschen und in meine Hand gleiten.
Es ist der Schlüssel zu meiner Zelle.
Ich hatte eine Menge Gelegenheiten, um Riden den Schlüssel abzunehmen. Der Trick war, eine Möglichkeit zu finden, mich selbst in die Zelle zu sperren, ehe ich den Schlüssel gegen einen austauschte, den ich mit an Bord gebracht hatte. Ich nahm an, der Schlüssel zu den Zellen meines eigenen Schiffes war ungefähr genauso groß, sodass Riden den Unterschied gar nicht bemerken konnte.
Er ist nicht so schlau, wie er denkt. Und ich bin viel schlauer, als er begreift.
Ein großer Fehler seinerseits.
Nun, da ich allein bin, wühle ich in meinen Taschen auf der Suche nach etwas Passendem zum Anziehen. Ich kann diese Matrosenkleidung nicht länger ertragen. Eine ganze Flasche Parfüm wird nötig sein, um meine Haut vom Gestank ihres letzten Eigentümers zu befreien. Und wer weiß, wann man mir einen Kübel Wasser zum Waschen zugestehen wird? Angesichts von Draxens grausamem Auftreten bin ich überzeugt: Das wird noch eine ganze Weile dauern.
Ich wähle ein dunkelblaues Korsett mit weiten Ärmeln, die mit breiten Bändern befestigt sind, und ziehe es über eine weiße Bluse. Das Korsett wird vorn geschnürt, also kann ich das selbst erledigen. Ich hatte nie Damen um mich herum, die mich bedient hätten, so wie die Töchter der Edelleute zu Lande. Es gibt nicht viele Frauen, die bereit sind, für Piraten zu arbeiten. Und die, die für ein Leben auf See gerüstet sind, sind zu schade, um Dienstmädchen zu sein. Meine eigene Mannschaft drüben in der Festung besteht fast ausschließlich aus Frauen, ein Umstand, auf den ich stolz bin.
Ich ziehe ein Paar Beinlinge an und darüber eine saubere Kniehose. Meine Stiefel, wunderbar behaglich und bequem, kommen als Nächste und reichen bis hinauf zu den Knien. Wohlig seufze ich, als ich fertig bin. Gut auszusehen, trägt zweifellos dazu bei, sich wohlzufühlen.
Leise summend hole ich ein Buch mit dem Titel Tiefen des Meeres aus einer meiner Taschen. Es ist ein Verzeichnis aller bekannten Kreaturen im Ozean. Ich habe mir jeden einzelnen Eintrag schon vor langer Zeit eingeprägt, und ich habe inzwischen so viel Zeit auf See verbracht, dass ich mehr Lebewesen gesehen habe, als in dem Werk aufgeführt sind. Darum hat es mir auch nichts ausgemacht, den Einband aufzubrechen und einen kleinen Dolch in dem Buch zu verstecken.
Stimmen und Schritte dringen an meine Ohren. Rasch stecke ich den Dolch in meinen rechten Stiefel und lasse das Buch wieder zu meinen anderen Dingen zurückfallen. Dann setze ich mich auf – wie ich hoffe – unverdächtige Art hin. Im nächsten Moment betreten drei Männer die Brig.
»Sieht nicht besonders eindrucksvoll aus«, sagt einer der Männer.
»Aber hast du gesehen, was sie mit Gastol und Moll gemacht hat?«, fragt ein anderer. »Mausetot, alle beide.«
Der dritte Mann schweigt, während er mich ebenso mustert wie die beiden anderen.
»Seid ihr bald fertig mit der Gafferei?«, frage ich. »Oder hofft ihr, ich werde ein paar Kunststücke für euch aufführen?«
»Kümmer dich gar nicht um uns«, sagt der erste Pirat. »Man bekommt nun mal nicht jeden Tag das Fleisch und Blut des Piratenkönigs zu sehen.«
»Und? Bin ich so, wie ihr es erwartet habt?«
»Es heißt, der Piratenkönig sei groß wie ein Wal und böse wie ein Hai. Wir hatten nicht mit einem so winzig kleinen Ding gerechnet.«
»Dann komm ich wohl nach meiner Mutter«, sage ich. Ich bin meiner Mutter nie begegnet, also kann ich das nicht sicher wissen, aber mein Vater sagt, ich hätte mein rotes Haar von ihr geerbt.
Der Rest des Tages verläuft weitgehend genauso. Piraten kommen und gehen, nehmen jede Chance wahr, die sie finden, um sich die Tochter des Piratenkönigs aus der Nähe anzusehen. Nach dem ersten Häufchen gebe ich mich überwiegend schweigsam.
Es ist kurz vor Anbruch der Abenddämmerung, als mein letzter Besucher auftaucht. Während die anderen Piraten in Gruppen da waren, kommt dieser aber allein.
Er sieht nach gar nichts aus. Mittelgroß, durchschnittlich gebaut. Braunes Haar, brauner Bart. Er scheint älter zu sein als die meisten anderen Piraten an Bord. Vielleicht nicht ganz dreißig, aber das ist schwer zu sagen, weil der Bart die untere Hälfte seines Gesichts verbirgt. Er hat eine Goldmünze in der rechten Hand, die er spielerisch über seine Knöchel wandern lässt.
»Hallo, Alosa«, sagt er. »Mein Name ist Theris.«
Ich hatte mich auf zwei Beine meines Stuhls zurückgelehnt, aber nun kippe ich wieder nach vorn und richte mich auf. »Ich muss heute jeden Mann an Bord mindestens einmal hier durchkommen gesehen haben. Warum sollte ich mich an dich erinnern? Oder mich für deinen Namen interessieren?«
»Solltest du auch gar nicht«, sagt er, hebt eine Hand und kratzt sich an der Stirn. Seine Finger bewegen sich flink, aber die Form, der sie folgen, ist unverkennbar. Er malt den Buchstaben K. »Ich bin kein sonderlich interessanter Mann. Niemand, den man kennen muss.«