Daughter of the Siren Queen - Fürchte meine Stimme - Tricia Levenseller - E-Book

Daughter of the Siren Queen - Fürchte meine Stimme E-Book

Tricia Levenseller

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Beschreibung

Ich bin die Tochter der Sirenenkönigin. Fürchte meine Stimme! Die Fortsetzung der Piraten-Romantasy-Saga von TikTok-Sensation Tricia Levenseller!

***Mit besonderem Zusatzcontent nur in dieser Ausgabe: zusätzliches Kartenmaterial und Bonuskapitel.***

Captain Alosa spürt frischen Wind in den Segeln: Der Auftrag ihres Vaters, Piratenkönig Kalligan, ist erfolgreich abgeschlossen, und die gesuchten Piraten befinden sich in ihrer Gewalt. Darunter auch der unverschämt anziehende Riden, der nun unter ihrem Kommando segelt. Aber dann muss Alosa alles hinterfragen, was sie je über ihren Vater zu wissen glaubte. Ihre Zweifel führen dazu, dass sie sich gegen Kalligan stellen muss. Denn schließlich ist Alosa nicht nur die Tochter des Piratenkönigs, sondern auch die Tochter der Sirenenkönigin – und die Sirene in ihr verlangt nach Rache …

Slow-Burn Romance trifft auf Enemies-to-Lovers-Trope und Abenteuer auf hoher See!

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Seitenzahl: 457

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Buch

Captain Alosa spürt frischen Wind in den Segeln: der Auftrag ihres Vaters, Piratenkönig Kalligan, ist erfolgreich abgeschlossen, und die gesuchten Piraten befinden sich in ihrer Gewalt. Darunter auch der unverschämt anziehende, doch überraschend loyale Riden, der nun unter ihrem Kommando segelt. Aber dann sät ein alter Feind Zweifel an Kalligan in Alosa, die sie alles hinterfragen lassen, was sie je über ihren Vater zu wissen glaubte. Und die dazu führen, dass sie sich gegen ihn stellen muss. Denn schließlich ist Alosa nicht nur die Tochter des Piratenkönigs, sondern auch die Tochter der Sirenenkönigin – und die Sirene in ihr verlangt nach Rache …

Autorin

Tricia Levenseller ist die NYT-Bestsellerautorin der Pirate-Queen-Saga. Sie schreibt mit Vorliebe High Fantasy für junge Erwachsene und hat ein Faible für unglaublich romantische Geschichten. Tricia wuchs in Oregon auf, wo sie ihre Kindheit damit verbrachte, auf Bäume zu klettern und in den Tag zu träumen. Heute lebt sie in Utah und ist Schriftstellerin in Vollzeit. Wenn sie einmal nicht schreibt oder liest, hat sie Spaß am Puzzeln, Xbox-Spielen oder dem Suchen nach leckeren neuen Restaurants, die sie besuchen kann.

Die Reihe von Tricia Levenseller bei Blanvalet:

Daughter of the Pirate King – Fürchte mein Schwert

Daughter of the Siren Queen – Fürchte meine Stimme

Vengeance of the Pirate Queen – Fürchte meine Rache

Tricia Levenseller

Daughter of the Siren Queen

Fürchte meine Stimme

Roman

Aus dem Amerikanischen von Frauke Meier

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Daughter of the Siren Queen« bei Feiwel and Friends, an imprint of Macmillan Publishing Group, LLC, New York.

Dieser Roman ist im April 2024 bei der Bücherbüchse erschienen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2018 by Tricia Levenseller

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Joern Rauser

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de nach einer Originalvorlage von Pushkin Press UK

Umschlagdesign und -illustration: Micaela Alcaino

Karte: © 2018 by Jen Wang

SH · Herstellung: fe

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-31612-9V001

www.blanvalet.de

Für Mom,

denn du hast mir gesagt, ich könne auch ein Buch schreiben, statt mir einen Job für den Sommer zu suchen.

Ich liebe dich.

»Und das alles ohne einen einzigen Tropfen Rum.«

Captain Jack Sparrow

Fluch der Karibik 3 – Am Ende der Welt

Kapitel 1 

Das Geräusch, mit dem mein Messer über eine Kehle fährt, kommt mir in der Dunkelheit viel zu laut vor.

Ich fange den Piraten auf, ehe sein Leichnam auf den Boden trifft, und lasse ihn den Rest des Weges sanft hinabsinken. Er ist nur der Erste aus Theris’ – nein, Vordans, rufe ich mir ins Gedächtnis – Mannschaft, der heute Nacht sterben wird.

Meine eigene Mannschaft verteilt sich über die Pflasterstraßen und fertigt Vordans Männer einen nach dem anderen ab. Ich kann sie zwar nicht sehen, aber ich vertraue darauf, dass sie heute Nacht alle ihren Teil beitragen werden.

Es hat mich zwei Monate gekostet, den Piratenlord aufzuspüren und genug Nachrichten zu sammeln, um seinen Stützpunkt zu infiltrieren. Vordan dachte, er könnte sich vor mir in Sicherheit bringen, indem er landeinwärts reist. Wir sind Meilen vom nächsten Hafen entfernt, aber wenn ich auch keine Möglichkeit habe, meine Kräfte aufzufrischen, so bin ich doch vollständig gerüstet hergekommen.

Meine interne Quelle hat mir alle Einzelheiten geliefert: Vordan und seine Mannschaft leben im Old Bear Inn, ein vierstöckiges Gebäude mit einem beinahe flachen Dach und grün gestrichenen Wänden. Der Haupteingang zeichnet sich durch einen beeindruckenden Torbogen aus, über dessen höchstem Punkt ein Schild mit dem Bild eines schlafenden Bären hängt.

Vordans Piratenmannschaft hat sich in ein Rudel Landdiebe verwandelt und raubt nun die Bewohner von Charden aus, der größten der Siebzehn Inseln. Er hat das Gasthaus als sein persönliches Bollwerk gekauft und bezahlt den Lohn aller Bediensteten. Sich vor aller Augen niederzulassen, scheint ihm keine Angst zu machen. An die hundert Männer arbeiten für ihn, und auf der ganzen Insel gibt es keine einheitliche Truppe, die groß genug wäre, um sie loszuwerden.

Aber ich brauche sie gar nicht loszuwerden. Ich muss nur da rein und mir Vordan und sein Stück der Karte holen, ohne dabei den Rest seiner Männer aufzuscheuchen. Für seine Befragung und die zwangsläufige Folterung ist noch Zeit genug, wenn wir wieder auf meinem Schiff sind.

Ich husche die Straße hinunter, halte mich dicht an dem plump erbauten Haus zu meiner Rechten. Zu dieser Stunde schläft die Stadt. Ich habe nicht eine einzige Seele herumlaufen sehen, abgesehen von Vordans Wachmännern.

Ein Klimpern lässt mich auf der Stelle verharren. Als ich um die nächste Ecke und in die Lücke zwischen diesem Haus und dem nächsten schaue, halte ich den Atem an. Aber da ist nur ein einzelnes Gassenkind – ein Junge, vielleicht acht oder neun Jahre alt – und stöbert in einem Haufen Glasflaschen.

Ich bin überrascht, als der Junge plötzlich den Kopf in meine Richtung dreht. Ich war mucksmäuschenstill, aber ich nehme an, wenn man auf der Straße überleben will, sollte man jede etwaige Bedrohung in der Umgebung spüren können.

Ich lege einen Finger an die Lippen und werfe dem Jungen eine Münze zu. Er fängt sie auf, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich zwinkere ihm zu, ehe ich an der Lücke vorbei zum nächsten Haus schleiche.

Dort warte ich und sehe zu, wie mein Atem im Mondschein einen Nebelschleier bildet. Zwar könnte ich etwas Wärme brauchen, aber ich möchte nicht riskieren, meine Hände aneinander zu reiben und mich durch das Geräusch zu verraten. Also gibt es für mich jetzt nichts zu tun, außer absolut stillzuhalten.

Endlich ertönt ein Eulenruf. Dann noch einer. Und noch einer. Ich warte, bis ich alle sieben gehört habe – das ist das Signal, dass sämtliche Kreuzungen und bewachten Dächer geräumt wurden.

Ich beobachte das Fenster des großen Gasthauses vor mir. Keine Kerze brennt dort drinnen, keine Silhouette bewegt sich hinter dem Glas. Ich wage es und haste näher heran.

Ein Seil hängt bereits vom Dach herab. Sorinda ist mir zuvorgekommen. Ich ziehe mich Stockwerk um Stockwerk empor, immer darauf bedacht, den Fenstern auszuweichen, bis meine Stiefel sicher auf den Dachziegeln stehen. Sorinda steckt gerade ihr Schwert weg, zu ihren Füßen liegen vier tote Männer aus Vordans Mannschaft. Nichts beherrscht sie besser als das Töten.

Wortlos hilft sie mir, das Seil hochzuziehen und neu festzuzurren, sodass es auf der Westseite hinunterhängt. Vordans Fenster befindet sich im obersten Stockwerk, das dritte von rechts.

Fertig?, forme ich tonlos mit den Lippen.

Sie nickt.

Dem schlafenden Vordan mein Messer an die Kehle zu halten, erfüllt mich mit dem süßesten Gefühl der Gerechtigkeit. Ich lege ihm die freie Hand auf den Mund.

Er reißt die Augen auf und ich drücke mit dem Messer ein bisschen stärker zu, gerade genug, um die Haut anzuritzen, aber nicht so sehr, um Blut fließen zu lassen.

»Ruf um Hilfe, und ich schlitze dir die Kehle auf«, flüstere ich und nehme die Hand von seinem Mund.

»Alosa«, sagt er – und wird sich seiner Lage voller Erschütterung bewusst.

»Vordan.« Er ist genau so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Ein Mann von unauffälligem Aussehen: braunes Haar, braune Augen, durchschnittlich gebaut, durchschnittlich groß. In einer Menge würde er nicht auffallen und genau so gefällt es ihm.

»Du hast es herausgefunden«, sagt er und bezieht sich damit offensichtlich auf seine Identität, die er ursprünglich verschleiert hatte. Als ich noch Gefangene auf der Night Farer war, hatte er so getan, als gehörte er zu den Männern meines Vaters und hieße Theris.

»Wo ist die Karte?«, frage ich.

»Nicht hier.«

Sorinda, die wie eine stumme Wächterin hinter mir steht, fängt an, sich im Raum zu bewegen. Als sie die Schubladen der Kommode durchsucht, bevor sie die Bodenbretter abklopft, höre ich es rascheln.

»Ich habe keine Verwendung für dich, wenn du mir nicht sagst, wo sie ist«, erkläre ich ihm. »Dann werde ich deinem Leben ein Ende machen. Und zwar gleich hier. In diesem Zimmer. Deine Männer werden am Morgen deine Leiche finden.«

Da lächelt er. »Du brauchst mich lebendig, Alosa. Anderenfalls wäre ich schon tot.«

»Wenn ich dich noch mal fragen muss, fange ich an zu singen«, warne ich ihn. »Wozu soll ich dich zuerst bringen? Dazu, dir die Beine zu brechen? Mit deinem Blut Bilder an die Wände zu malen?«

Er schluckt. »Meine Männer sind deinen Leuten gegenüber drei zu eins in der Überzahl. Ich werde nirgendwohin gehen, und deine Stimme wird dir wenig helfen, wenn du nur drei Männer auf einmal kontrollieren kannst.«

»Deine Männer werden aber kaum kämpfen können, wenn sie schlafend in ihren Betten liegen. Meine Mädchen sind längst dabei, sie in ihren Räumen einzusperren.«

Er kneift die Augen zusammen.

»Zu schade, dass du meinen Spion in deinen Reihen nicht erwischt hast, und es ist wirklich eine Schande, dass du auch nicht bemerkt hast, dass sie die Schlösser an sämtlichen Türen ausgetauscht hat. Ja, nun lassen sie sich von außen verriegeln.«

»Sie sind alarmiert worden. Meine Wachen …«

»Sind alle tot. Die vier Männer auf diesem Dach, die fünf auf den Straßen. Die drei auf dem Dach des Metzgers, des Gerbers und des Magazins.«

Er verzieht den Mund, sodass ich seine Zähne sehen kann. »Sechs«, sagt er.

Für einen Herzschlag setzt mein Atem aus.

»Ich hatte sechs auf den Straßen«, stellt er klar.

»Was? Nein. Das hätten wir gewusst …«

Eine Glocke läutet laut genug, um die ganze Stadt aufzuwecken.

Tonlos fluche ich.

»Der kleine Junge«, sage ich in dem Augenblick, in dem Vordan unter sein Kissen greift. Nach dem Dolch, den ich bereits entfernt habe. »Zeit, zu gehen, Sorinda.«

Steh auf. Die Worte gelten Vordan, aber das ist kein gewöhnliches Kommando, wenn auch mit einer gewöhnlichen Stimme erteilt. Die Worte sind Gesang, erfüllt von der Magie, die mir meine Sirenenmutter vererbt hat.

Und alle Männer, die sie hören, müssen sich ihnen fügen.

Vordan richtet sich umgehend auf und pflanzt die Füße auf den Boden.

Wo ist die Karte?

Seine Hand bewegt sich zum Hals und zieht eine Lederkordel heraus, die unter seinem Hemd verborgen war. An dem Ende hängt eine Glasphiole, nicht länger als mein Daumen und mit einem Korken verschlossen. Und zusammengerollt in ihrem Inneren ist das letzte Stück der Karte. Mit ihm werden mein Vater und ich endlich zur Sireneninsel fahren und ihre Schätze heben können.

Mein Körper ist bereits von dem Gesang beseelt, meine Sinne sind geschärft. Ich kann die Bewegungen der Männer unter uns hören, als sie in ihre Stiefel schlüpfen und zu ihren Zimmertüren laufen.

Ich ziehe die Phiole von Vordans Hals ab. Die Kordel reißt, und ich stecke den kompletten Halsschmuck in die Tasche des elfenbeinfarbenen Korsetts, das ich trage.

Ich lasse Vordan zur Tür vorangehen. Natürlich ist er barfuß und trägt nur ein weites Flanellhemd und eine Baumwollhose. Der Mann, der mich in einen Käfig gesperrt hat, wird auf solche Annehmlichkeiten wie Schuhe und Mantel verzichten müssen.

Sorinda ist unmittelbar hinter mir, als ich in den Korridor trete. Von unten höre ich, wie sich Vordans Männer gegen die verschlossenen Türen werfen – sie versuchen, auf die Alarmglocke zu reagieren.

Zur Hölle mit dieser Glocke!

Meine Mädchen haben die oberen Stockwerke noch nicht erreicht. Männer in diesem Geschoss und dem darunter ergießen sich gerade in den Hausflur und es dauert nicht lange, bis sie ihren Captain entdeckt haben.

Ich singe im Flüsterton eine Reihe Wörter zu Vordan hin.

Er brüllt los: »Nach draußen, ihr Trottel! Das sind die Männer des Landkönigs! Sie kommen von Süden! Geht los und nehmt sie in Empfang.«

Viele setzen sich in Bewegung, um dem Befehl ihres Captains nachzukommen, aber einer ruft: »Nein, seht doch, hinter ihm. Das ist diese Sirenenschlampe!«

Dieser Mann, beschließe ich, wird als Erster sterben.

Vordan muss sie vor einer Situation wie dieser gewarnt haben, denn die Männer ziehen nun ihre Säbel und greifen an.

Zur Hölle mit ihnen.

Ich weite den Gesang aus, ziehe zwei weitere Männer in meinen Bann und schicke sie voraus, um gegen die herannahenden Männer zu kämpfen.

Die Enge im Korridor wirkt sich zu unserem Vorteil aus. Das Gasthaus ist rechteckig. Mehrere Räume säumen die eine Seite des Korridors, ein Geländer begrenzt ihn auf der anderen. Über das Geländer kann man bis hinunter ins Erdgeschoss sehen. Eine Treppe führt im Zickzack von einem Stockwerk zum nächsten, das ist der einzige Weg nach oben oder unten, abgesehen von den Fenstern und dem langen Sturz in die Tiefe.

Um die erste Welle abzuwehren, reihe ich mich bei den drei Männern ein, die unter meinem Bann stehen. Den Piraten, der es gewagt hat, mich als »Sirenenschlampe« zu bezeichnen, ramme ich mit der Schulter über das Geländer. Er schreit, bis ihn ein lautes Krachen zum Schweigen bringt. Ich nehme mir nicht die Zeit, nachzusehen – sondern stoße bereits meine Klinge in den Bauch des nächsten Piraten. Er bricht zusammen und ich marschiere über seine zuckende Gestalt hinweg zum nächsten Mann.

Vordans Piraten haben keine Skrupel, auch die eigenen Leute niederzumetzeln, aber niemals würden sie ihren Captain anrühren. Kaum fällt einer meiner Ersatzkämpfer, da verzaubere ich schon den Nächsten, um die Lücke zu füllen, und behalte alle drei die ganze Zeit über unter meiner Kontrolle.

Sorinda ist hinter uns und stellt sich zwei Männern, die aus Zimmern ganz am Ende des Gangs gekommen sind, aber ich mache mir nicht einmal die Mühe, mich über die Schulter nach ihnen umzuschauen. Sie werden nicht an ihr vorbeikommen.

Daraufhin erkennen Vordans Männer, dass sie, wenn sie ihre eigenen Leute töten, bald selbst unter meinem Bann stehen werden. Sie ziehen sich zurück, rennen die Treppe hinunter und hoffen vermutlich, das Schlachtfeld ins Erdgeschoss des Gasthauses verlegen zu können. Aber meine Mädchen, diejenigen, die die Türen verriegelt haben, warten schon im ersten Obergeschoss auf sie. Zehn Frauen, von mir persönlich ausgebildet und angeführt von Mandsy, meiner Schiffsärztin, die zugleich Zweiter Maat ist, verhindern, dass sie die Treppe hinunterlaufen.

Jetzt müssen sie an zwei Fronten kämpfen.

»Aufwachen, Captain!«, brüllt der außergewöhnlich große Mann, mit dem ich es gerade zu tun habe, nun Vordan an. »Sag uns, was wir tun sollen!« Nachdem ich seinen letzten Angriff pariert habe, knalle ich ihm meinen Ellbogen unter das Kinn. Sein Kopf ruckt zurück und ich schneide seinen Schrei ab, indem ich ihm den Säbel über die Kehle ziehe.

Ihre Anzahl schwindet allmählich, aber inzwischen haben die, die in ihren Räumen eingesperrt sind, angefangen, sich mithilfe ihrer Säbel durch die Türen zu hacken, und die ersten beteiligen sich bereits an dem Kampf.

Männer springen über das Geländer im ersten Stock und landen krachend auf den Tischen und Stühlen des Speiseraums darunter. Einige stürzen, nur um sich die Knochen zu brechen und die Fußgelenke zu verstauchen, aber viele schaffen es doch, sauber aufzukommen und meine Mädchen von hinten anzugreifen.

O nein, so nicht.

Ich springe selbst über das Geländer, lande mühelos auf den Füßen und nehme mir die vier Männer vor, die sich meinen Mädchen nähern. Während ich in Kampfstellung gehe, riskiere ich einen Blick nach oben und sehe, dass Sorinda die Kerle, die zuvor hinter mir gewesen waren, bereits erledigt und nun meine Stelle eingenommen hat.

»Sorinda! Komm hier runter!«, rufe ich und unterbreche meinen Gesang gerade lange genug, um die Worte herauszubekommen.

Ich schneide einem der Männer, die ich umgehauen habe, die Kniesehnen durch. Der Nächste bekommt die Spitze meines Dolches ins Kreuz. Die anderen beiden haben endlich ihr Gleichgewicht wiedergefunden und nähern sich mir.

Der Kleinere der beiden sieht mir in die Augen, erkennt, wer ich bin, und rennt zur Tür, direkt an der Treppe vorbei.

»Hab ihn.« Sorinda, die inzwischen unten angekommen ist, flitzt an mir vorbei.

Der letzte Mann, der sich mir in den Weg gestellt hat, wirft sein Schwert weg. »Ich ergebe mich«, sagt er. Ich ziehe ihm den Knauf meines Schwerts über den Schädel und er fällt mir in einem Haufen vor die Füße.

Es mögen noch vierzig Männer übrig sein, die versuchen, sich an meiner Mannschaft vorbei einen Weg nach unten zu erzwingen. Vordan und zwei seiner Männer bilden den Abschluss und kämpfen, immer noch unter meinem Bann, gegen ihre eigenen Leute.

Aber meine Kräfte gehen allmählich zur Neige. Wir müssen hier raus. Ich sehe mich in dem Raum um, bemerke die vielen nicht entzündeten Lampen an den Wänden und denke über das Öl in ihrem Inneren nach.

Spring, befehle ich Vordan. Er zögert nicht, sondern wirft sich über das Geländer. Bei der Landung verdreht er sich eines seiner Beine, genau so, wie ich es gehofft hatte.

Ich entlasse Vordan und die beiden Piraten im Hintergrund der Meute aus meinem Bann und konzentriere mich stattdessen auf die drei, die sich direkt vor meinen Leuten befinden.

Stellung halten, kommandiere ich. Sofort drehen sie sich um und richten ihre Schwerter gegen die eigenen Kameraden. Meinen Mädchen rufe ich zu: »Kippt das zusätzliche Schießpulver für eure Pistolen auf die Stufen.«

Mandsy weicht zurück, zieht ihren Pulverbeutel unter dem Holster hervor und wirft ihn so auf die Stufen, dass er direkt unter den Männern aufkommt, die gerade unter meinem Bann stehen. Die übrigen Mädchen folgen augenblicklich ihrem Beispiel und schon liegen neun weitere Pulverbeutel auf dem Boden.

»Holt Vordan! Schafft ihn in die Kutsche.«

Vordan flucht laut auf, nun, da er wieder er selbst ist. Meine Mädchen rupfen ihn einfach von den Füßen, da er sein Bein sowieso nicht benutzen kann, und tragen ihn zum Ausgang. Ich bin gleich hinter ihnen, ziehe meine Pistole und ziele auf den Haufen Schießpulver.

Und feuere.

Die Druckwelle trifft mich und schiebt mich schneller voran. Rauch dringt in meine Nasenlöcher ein und eine Woge purer Hitze umfängt mich. Ich gerate ins Taumeln, fange mich ab und haste schließlich weiter. Ein Blick über die Schulter offenbart mir das ganze Ausmaß der Zerstörung. Das Gasthaus steht zwar noch, brennt aber von innen heraus. Die Wand um den Haupteingang herum liegt in Trümmern auf der Straße. Die Piraten, die immer noch im Gebäude sind, bestehen nur noch aus brennenden Überresten auf dem Boden.

Ich biege in die nächste Straße ein und renne in Richtung Treffpunkt. Sorinda materialisiert sich in der Finsternis und läuft lautlos neben mir.

»Rein und raus, ohne dass jemand was merkt«, sagt sie trocken.

»Pläne ändern sich. Außerdem hatte ich gerade sämtliche Männer Vordans auf einem Haufen. Wie hätte ich der Versuchung, das Haus in die Luft zu jagen, widerstehen können? Jetzt hat er nichts mehr.«

»Abgesehen von einem gebrochenen Bein.«

Ich lächele. Sorinda ist nur selten für Humor zu haben. »Ja genau, abgesehen davon.«

Wir kommen um eine weitere Ecke und erreichen die Kutsche. Wallov und Deros sitzen auf dem Bock. Sie waren die einzigen Männer in meiner Mannschaft, bis Enwen und Kearan dazugestoßen sind, aber die beiden Letzteren habe ich als Wachen unter Niridias Aufsicht auf der Ava-lee gelassen. Wallov und Deros sind meine Zellenwärter. Jetzt springen sie auf und reißen die Türen der Kutsche auf. Im Inneren steht ein Käfig. Deros holt einen Schlüssel hervor, entriegelt ihn und lässt die Tür weit aufschwingen.

»Wallov, geleite unseren Gast hinein«, sage ich.

»Mit Vergnügen.«

»Du kannst mich nicht da reinstecken«, protestiert Vordan. »Alosa, ich …«

Mit einem Fausthieb in seine Magengrube schneidet ihm Sorinda das Wort ab. Dann knebelt sie ihn und fesselt seine Hände auf dem Rücken. Erst danach stößt ihn Wallov in den Käfig. Der ist ziemlich klein und eigentlich für einen Hund oder anderes Getier gedacht, trotzdem gelingt es uns, Vordan dort reinzuquetschen.

Ich trete auf die Stufe der Kutschtür und blicke hinein. Auf den Sitzen ruhen zwei hölzerne Truhen mit aufgebrochenen Schlössern.

»Habt ihr alles bekommen?«, frage ich.

»Aye«, sagt Wallov. »Athellas Information war absolut korrekt. Vordans Gold befand sich im Keller unter einem falschen Boden.«

»Und wo ist unsere Informantin?«

»Hier, Captain!« Athella löst sich aus der Gruppe hinter Mandsy. Sie ist immer noch getarnt, das Haar unter einem Dreispitz verborgen, falsche Gesichtsbehaarung am Kinn und Farbe auf der Stirn, um sie breiter und dunkler erscheinen zu lassen. Ein paar Linien auf den Wangen lassen diese optisch länger wirken und Füllsel in den Schuhen verleihen ihr die notwendige Größe. Sie trägt eine dicke Weste unter ihrem Hemd, um die Männerkleidung passend auszufüllen.

Jetzt reißt sie sich die maskuline Ausrüstung vom Leib und wischt sich das Gesicht ab, bis sie wieder wie sie selbst aussieht. Was übrig bleibt, ist ein spindeldürres Mädchen mit Haaren, die ihm wie ein glattes schwarzes Tuch auf die Schultern fallen. Athella ist die schiffseigene Spionin und die angesehenste Schlossknackerin der ganzen Mannschaft.

Ich drehe mich wieder zu Vordan um, der das junge Mädchen, das er für ein Mitglied seiner Mannschaft gehalten hat, mit hervorquellenden Augen anstarrt. Dann schwenkt sein Blick zu mir herüber und seine Augen glühen vor Hass.

»Wie fühlt sich das an, selbst im Käfig eingesperrt zu sein?«, frage ich.

Er reißt an seinen Handfesseln, versucht, sich zu befreien, und unwillkürlich kehre ich in Gedanken zu einer Zeit vor zwei Monaten zurück, in der mich Vordan in einen Käfig gesteckt und mich mit Riden als Druckmittel gezwungen hat, ihm all meine Fähigkeiten zu demonstrieren.

Riden …

Auch er ist auf meinem Schiff und erholt sich gerade von den Schusswunden, die er Vordan zu verdanken hat. Wenn wir zurück sind, muss ich mir endlich Zeit nehmen, ihn zu besuchen, aber vorerst …

Ich knalle Vordan die Kutschtür vor der Nase zu.

Kapitel 2 

Ich weiß nicht, wie die Landmenschen das machen.

Schiffe hinterlassen keine wunden Oberschenkel und auch keine stinkenden Haufen am Boden. Pferde, so schließe ich, sind widerlich, und ich bin froh, sie loszuwerden, als wir eine Woche später endlich in Port Renwoll ankommen.

Mein Schiff, die Ava-lee, liegt im Hafen und wartet auf mich. Sie ist das schönste Schiff, das je gebaut wurde. Bevor ich sie in Beschlag genommen habe, hat sie zur Flotte des Landkönigs gehört. Die natürliche Farbe der Eiche, aus der sie besteht, habe ich ihr gelassen, aber die Segel ließ ich königsblau färben. Die Ava-lee hat drei Masten; der mittlere ist rahgetakelt, die beiden anderen mit Lateinersegeln ausgestattet. Sie hat kein Vorderkastell und nur ein kleines Achterkastell und außerdem so viel Platz, dass wir dreiunddreißig alle bequem hineinpassen.

Sie mag klein sein, gleichzeitig ist sie aber auch das schnellste Schiff, das es gibt.

»Sie sind zurück!«, tschilpt eine Stimme im Krähennest. Das muss die kleine Roslyn sein, Wallovs Tochter und Ausguck des Schiffs. Sie ist mit ihren gerade sechs Jahren das jüngste Mitglied der Mannschaft.

Wallov kannte Roslyns Mutter nur eine Nacht lang. Neun Monate später starb sie bei der Geburt eines kleinen Mädchens. Wallov übernahm die Verantwortung für sein Kind, obwohl er keine Ahnung hatte, was er mit der Kleinen anfangen sollte. Damals war er selbst erst sechzehn. Bis dahin war er Seemann auf einem Fischerboot gewesen, aber nun, da er eine Tochter hatte, um die er sich kümmern musste, blieb ihm keine Wahl, als diesen Posten aufzugeben. Er wusste nicht, wie er sich und sein Kind durchbringen sollte, bis er mir begegnet ist.

»Captain an Bord!«, ruft Niridia, als ich auf Deck trete. Als mein Erster Maat hat sie in meiner Abwesenheit das Kommando.

Roslyn ist bereits aus dem Krähennest heruntergeklettert, stürzt sich auf mich und wickelt ihre Arme um meine Beine. Ihr Kopf erreicht gerade die Höhe meiner Taille.

»Du bist zu lange weg gewesen«, sagt sie. »Beim nächsten Mal musst du mich mitnehmen.«

»Bei diesem Ausflug mussten wir kämpfen, Roslyn. Außerdem habe ich dich hier gebraucht. Jemand muss doch auf mein Schiff aufpassen.«

»Aber ich kann kämpfen, Captain. Papa hat es mir beigebracht.« Sie greift im Rücken in den Bund ihrer zu großen Kniehose und zieht einen kleinen Dolch heraus.

»Roslyn, du bist sechs Jahre alt. Zehn mehr, und wir werden sehen.«

Sie rümpft die Nase und blickt mich wütend an. Und dann stürzt sie sich auf mich.

Sie ist schnell, das muss ich ihr lassen, trotzdem weiche ich ihrer Klinge mühelos aus. Ohne innezuhalten, wirbelt sie wieder herum und greift erneut an. Ich mache einen Satz rückwärts und trete den Dolch weg, sodass er außerhalb ihrer Reichweite ist. Trotzig verschränkt sie die Arme vor der Brust.

»Also gut«, sage ich. »Wir sehen es uns in acht Jahren wieder an. Zufrieden?«

Sie strahlt, stürmt erneut heran und nimmt mich noch einmal in die Arme.

»Man könnte glauben, ich existiere überhaupt nicht«, sagt Wallov irgendwo hinter mir zu Deros.

Roslyn hört ihn, lässt von mir ab und läuft zu ihm hin. »Ich wollte gerade zu dir kommen, Papa.«

Ich betrachte all die anderen an Bord. Zwölf Leute habe ich zur Bewachung des Schiffs zurückgelassen. Bis auf unsere neuesten Rekruten sind sie jetzt alle auf Deck.

»Irgendwelche Schwierigkeiten?«, frage ich Niridia.

»Es war todlangweilig. Und bei euch?«

»Wir hatten ein bisschen zu tun. Aber nichts, womit wir nicht fertig geworden wären. Und wir haben Beute mitgebracht.«

Ich hole den provisorischen Halsschmuck hervor und zeige allen die Karte im Inneren der Phiole. Von den ersten beiden Stücken habe ich bereits ein Duplikat und auf dem Weg zurück zur Festung werde ich Mandsy beauftragen, auch von diesem ein Replikat anzufertigen. Vater wird die Reise zur Isla de Canta anführen, aber ich möchte vorbereitet sein, falls wir getrennt werden oder ein Unglück über sein Schiff hereinbricht. Es wäre doch dumm, von solch kostbaren Gegenständen nur eine einzige Ausfertigung zu haben.

Drüben an Steuerbord mustert Teniri, die Zahlmeisterin, die Kutsche und fragt: »Was gibt es sonst noch? Irgendwas von der funkelnden, goldenen Art, Captain?«

Mandsy und die Mädchen kommen die Planke herauf. Für jede Truhe werden vier von ihnen gebraucht. Deros und Wallov haben unseren Gefangenen schon samt Käfig und allem Drum und Dran auf das Schiff gebracht und auf Deck abgestellt. Vordan liegt darin, geknebelt und unbeachtet, während die Mädchen die Truhen umkreisen. Bis die Beute aufgeteilt wird, darf außer Teniri niemand das Gold anrühren. Sie ist mit sechsundzwanzig Jahren die Älteste an Bord und obwohl sie damit immer noch jung ist, hat sie am Hinterkopf eine graue Strähne, die sie in einem Zopf zu verstecken sucht. Wer immer es wagt, sie zu erwähnen, wird mit einem flinken Tritt in die Eingeweide bestraft.

Sie hebt die Deckel beider Truhen gleichzeitig an und gibt den Blick auf eine happige Menge an Gold- und Silbermünzen sowie einige unbezahlbare Juwelen und Edelsteine preis.

»Also gut«, sage ich. »Ihr hattet Gelegenheit, es euch anzusehen, jetzt lasst uns das Zeug sicher einlagern und aufbrechen.«

»Was ist mit ihm?«, fragt Wallov und tritt gegen den Käfig. Vordan rümpft die Nase, versucht aber gar nicht erst, an seinem Knebel vorbeizubrüllen.

»Ich würde ihn ja in die Brig stecken, aber ich muss mich heute Abend auffrischen. Besser, wir bringen ihn ins Lazarett. Lasst ihn im Käfig.«

»Captain«, wendet Niridia ein. »Im Lazarett befindet sich bereits ein Gefangener.«

Das habe ich nicht vergessen. Ihn würde ich nie vergessen.

»Er wird verlegt«, sage ich.

»Wohin?«

»Darum kümmere ich mich. Sorgt ihr dafür, dass alles andere an seinen Platz kommt. Wo ist Kearan?«

»Dreimal darfst du raten.«

Ich schnaube hörbar. »Holt ihn weg von meinem Rumvorrat und setzt ihn ans Ruder. Wir legen ab.« Nur weg von dem Pferdegestank, weit, weit weg. Ich brauche ein Bad.

Nachdem meine frühere Navigatorin bei der Schlacht auf der Night Farer ihr Leben gelassen hat, habe ich mir Kearan von Ridens Schiff geholt. Die meiste Zeit über ist er ein nutzloser Säufer, aber er ist auch einer der besten Steuermänner, die ich je erlebt habe. Allerdings werde ich ihm das nie verraten.

Ich drehe mich zum Lazarett um und starre die Tür an.

Riden habe ich schon seit zwei Monaten nicht mehr gesehen. Stattdessen habe ich ihn Mandsys Fürsorge überlassen und darauf vertraut, dass sie helfen kann, seine Beine zu heilen, und auch dafür sorgt, dass er jeden Tag etwas zu essen bekommt. Bei jeder anderen Person wäre mein Blut schon bei dem Gedanken in Wallung gekommen, aber Mandsy hat nie auch nur eine Spur von Interesse an Männern oder Frauen gezeigt. So ist sie einfach nicht gemacht.

Und darum habe ich ihr als der Schiffsärztin auch befohlen, sich um ihn zu kümmern und mich auf dem Laufenden zu halten: als sie die Fäden der Wundnaht entfernt hat, nachdem er anfing, wieder mit dem kranken Bein zu gehen.

»Er fragt nach dir, Kapitän«, hatte sie gesagt, ehe wir aufgebrochen waren, um uns Vordan zu holen, aber ich war nicht bereit, ihm zu begegnen.

Als ich in diesem Käfig eingesperrt war, hat Vordan Riden bedroht, um mich unter Kontrolle zu bringen.

Und es hat funktioniert.

Riden war derjenige, der mich befragt hat, als ich Gefangene auf der Night Farer gewesen war. Er war Mittel zum Zweck. Eine Ablenkung von der langweiligen Aufgabe, ein Schiff von oben bis unten zu durchsuchen – allerdings eine ziemlich attraktive Ablenkung, die zufällig auch noch gut küssen kann. Das hat Spaß gemacht. Einfach nur Spaß.

Jedenfalls dachte ich das. Aber was Vordan auf der Insel zu Riden gesagt hat, verfolgt mich noch immer. Es gibt mindestens eine Sache, die ihr wichtiger ist als ihre Vergeltung. Dich.

Der Gedanke, mit Riden zu reden, ist selbst jetzt, da ich die Macht habe, über seinen Status als Gefangener zu befinden, beunruhigend.

Denn er weiß, dass ich einem anderen Mann um seinetwillen die Herrschaft über mich eingeräumt habe. Er weiß, dass mir an ihm liegt. Aber ich bin nicht bereit, mir das einzugestehen. Wie also soll ich ihm gegenübertreten?

Aber jetzt habe ich keine Wahl mehr. Wir brauchen sein Quartier, und zwar für Vordan. Riden wird sich zu Kearan und Enwen aufs Deck gesellen müssen. Und ich kann ihm nicht länger aus dem Weg gehen.

Die Tür öffnet sich und viel zu schnell sehe ich Riden in der Ecke, wo er sein schlimmes Bein ausstreckt. Sein braunes Haar ist etwas länger und reicht ihm nun knapp über die Schultern. Mehrere Tage alte Bartstoppeln zieren sein Kinn, weil er sich nur rasieren darf, wenn er ein Bad nimmt. Er sieht so kräftig aus, wie ich ihn in Erinnerung habe, was zeigt, dass er die Zeit, in der er hier festsitzt, zu nutzen weiß.

Die Veränderungen, die stattgefunden haben, lassen ihn nur noch spitzbübischer wirken. Gefährlicher. Beinahe unwiderstehlich attraktiv.

Wenn er sein Quartier verlässt, wird er sich als Erstes rasieren müssen. Anderenfalls können sich die Mädchen bestimmt nicht auf ihre Arbeit konzentrieren.

Er blickt auf, als ich die Tür hinter mir schließe, sagt aber nichts, sondern mustert mich nur vom Scheitel bis zur Sohle. Und es macht ihm nichts aus, mich unnötig lange anzustarren.

Ein Funken Hitze erblüht tief in meinem Leib. Ich versuche, ihn durch Husten zu löschen.

Er lächelt. »Du hast dir eine Menge Zeit gelassen, um mich zu besuchen, Alosa.«

»Ich war beschäftigt.«

»Beschäftigt damit, deinen Auserkorenen zu treffen?«

Ich hatte eine kurze Liste von Punkten, die ich anführen wollte, um ihm zu erklären, warum wir ihn verlegen oder warum er überhaupt auf diesem Schiff ist, aber bei seinen Worten entfällt sie mir vollständig.

»Meinen Auserkorenen?«

»Dieser Bursche mit den blonden Löckchen. Sieht ein bisschen wie ein Mädchen aus.«

Auf meinen verwirrten Blick hin fügt er hinzu: »Der, der geholfen hat, zusammen mit deinem Vater die Kräfte der Night Farer zu überwältigen.«

»Ach, du meinst Tylon? Der sieht nicht wie ein Mädchen aus.« Allerdings würde ich ein Vermögen bezahlen, wenn Riden dergleichen vor seiner Nase äußern würde.

»Also ist er dein Auserkorener?« Seine Frage klingt beiläufig genug und er hat immer noch ein Lächeln auf den Lippen, aber ein kleiner mentaler Wechsel verrät mir, dass er von einem dunkelgrünen Strudel umgeben ist. Eifersucht in ihrer tiefsten, reinsten Form.

Er mustert mich finster. »Mach so was nicht mit mir. Hör auf damit.«

Ich weiche zurück, erschrocken über seinen kalten Blick und den Ausbruch, habe mich aber schnell wieder im Griff. »Ich hatte vergessen, dass du es merkst, wenn ich meine Fähigkeiten anwende.«

»Das ist kaum von Bedeutung.« Das Lächeln kehrt zurück. »Ich dachte, du hasst es, deine Fähigkeiten zu nutzen. Sollten die dir nicht Übelkeit bereiten? Demnach muss dir ja sehr wichtig sein, was ich denke.«

Mir gefällt die Richtung nicht, in die er das Gespräch zu lenken versucht, also kehre ich zu einem früheren Punkt zurück. »Tylon ist überhaupt nicht mein Auserkorener. Wir sind Piraten.« Heiraten gehört nicht zu unseren Gepflogenheiten.

»Wie würdest du ihn dann nennen? Deinen Liebhaber?«

Verächtlich schnaube ich. Das würde Tylon gefallen, aber ich würde mich nie von diesem schleimigen Aal anfassen lassen.

Riden muss das aber nicht wissen. Ich amüsiere mich ziemlich über seine Anschuldigung und würde lieber abwarten, wie sich die Sache weiterentwickelt, statt den Vorwurf zu bestreiten.

»Klar«, lüge ich. »Liebhaber kommt hin.«

Dieses Mal kann er sich nicht hinter gespielter Gleichgültigkeit verstecken. Seine Augen blitzen in einem gefährlichen Schwarz, außerdem ballt er leicht die Fäuste. Ich tue so, als würde es mir nicht auffallen.

»Soll ich das so verstehen, dass ihr zwei eine offene Beziehung führt?«

Als ich nicht antworte, fügt er hinzu: »Es macht ihm nichts aus, dass du den größten Teil eines Monats in meinem Bett geschlafen hast?«

Er und ich, wir wissen beide, dass schlafen auch schon alles war, was wir in diesem Bett gemacht haben. Na ja, das und vielleicht ein paar Küsse.

»Ich hatte zu arbeiten, Riden. Dir nahezukommen, war ein Teil davon.«

»Ich verstehe. Und wie vielen Männern bist du sonst so nahegekommen, wenn du zu arbeiten hattest?«

Sein Ton gefällt mir nicht im Mindesten. Es wird Zeit, Riden daran zu erinnern, mit wem er spricht.

»Ich habe deinen Bruder in der tiefsten, dunkelsten Zelle der Festung des Piratenkönigs eingesperrt«, sage ich. »Er bezahlt für alles, was er mir angetan hat – und anzutun versucht hat. Eine kleine Geste, und ich bekomme seinen Kopf. Nur deiner Bitte wegen habe ich ihn bisher am Leben gelassen, aber das reicht jetzt nicht mehr.«

Riden richtet sich auf. Jetzt habe ich seine Aufmerksamkeit.

»Was sagst du da?«

»Gefangene zu halten, ist kostspielig. Sie müssen ernährt werden und man muss hinter ihnen herputzen. Mein Vater hält Gefangene nur selten über längere Zeit. Entweder sie geben ihm, was er will, oder sie werden getötet. Wir brauchen nichts von Draxen. Für mich ist er nutzlos. Du jedoch nicht.«

»Was willst du von mir?«

»Ich habe mir gerade Vordan und sein Teil der Karte geschnappt – das letzte Stück, das mein Vater noch braucht, ehe wir zur Isla de Canta Segel setzen. Wenn die Flotte ablegt, wirst du dich für diese Reise meiner Mannschaft anschließen.«

Riden kneift die Augen zusammen. »Wozu könntest du mich dabei wohl brauchen? Seine Königliche Hoheit mit dem schwarzen Herz hat doch gewiss genug Piraten in seiner Flotte.«

Die hat er zweifellos. Mehr sogar, als er je brauchen kann. Und ich habe einige der fähigsten Seeleute und Kämpfer von Maneria an Bord der Ava-lee. Wir brauchen Riden also wirklich nicht, aber ich kann ihn trotzdem nicht freilassen. Wie würde das für meinen Vater aussehen? Und ich kann ihn nicht in der Festung einsperren, weil es keinen Grund gibt, ihn am Leben zu lassen. Vater würde beide töten, ihn und Draxen. Der einzige Grund, warum Draxen nicht tot ist, ist der, dass ich meinem Vater erzählt habe, ich bräuchte ihn lebendig, um Riden zur Kooperation zu zwingen. Und nun, da es Riden besser geht, bleibt mir nur noch eine Möglichkeit: Er muss mit mir kommen. Er muss zu einem Teil meiner Mannschaft werden. Aber wie erkläre ich das Riden, ohne ihm den Eindruck zu vermitteln, dass ich ihm gegenüber weich geworden bin?

Ich sage mir, ich tue das, weil ich es ihm schuldig bin. Er hat mich gerettet. Er hat zwei Kugeln für mich kassiert. Ich mag ihn zurückgeholt haben, als er beinahe ertrunken wäre, aber das war meine Schuld. Wir sind nicht quitt, noch nicht. Das ist der einzige Grund, warum ich ihn am Leben erhalten will.

Wenn ich das oft genug denke, wird es vielleicht sogar wahr werden.

Endlich sage ich: »Ich weiß nicht, womit wir es auf dieser Reise zu tun bekommen werden. Ich könnte vielleicht noch einen kräftigen Kerl brauchen. Mit Kearan und Enwen haben wir vier Männer auf diesem Schiff. Enwen ist so hager, ich bin sicher, Niridia kann mehr stemmen als er. Und das Einzige, was Kearan stemmt, ist eine Flasche an seine Lippen. Aber ich werde nicht einfach irgendwen aus der Festung rekrutieren, denn ich brauche jemanden, dem ich trauen kann.«

»Und mir traust du?«, fragt er und zieht eine Braue hoch.

»Das muss ich gar nicht. Ich weiß so schon, dass du alles tun würdest, um deinen Bruder zu schützen. Solange er im Kerker sitzt, kann ich auf deine uneingeschränkte Kooperation zählen. Und außerdem bist du mir sowieso was schuldig, weil ich dir dein jämmerliches Leben gerettet habe.«

Er schweigt einen Moment, vermutlich, um darüber nachzudenken. »Werde ich weiter hinter Schloss und Riegel sitzen müssen?«

»Nur, wenn du etwas Dummes versuchst. Sonst steht es dir frei, dich wie jeder andere meiner Leute auf dem Schiff zu bewegen. Aber ein einziger Fluchtversuch, und ich schicke den Männern, die zurückbleiben, um die Festung zu bewachen, die Nachricht, dass Draxens Kopf von seinem Körper zu trennen ist.«

Riden dreht sich von mir weg.

»Was?«, frage ich.

»Ich hatte vergessen, wie unbarmherzig du sein kannst.«

Ich trete einen Schritt näher und durchbohre ihn mit meinem Blick. »Bisher hast du mich noch nie unbarmherzig gesehen.«

»Und ich bete, dass es auch nie dazu kommt. Ich werde dich unter zwei Bedingungen zu der Insel begleiten.«

»Du willst mit mir verhandeln? Ich habe sämtliche Trümpfe in der Hand.«

Riden steht mit einer fließenden Bewegung auf. »Mit dir zu gehen, ist sinnlos, wenn du vorhast, Draxen zu töten, sobald wir zurück sind. Ich verlange dein Wort, dass er freigelassen wird, wenn ich dir bei der Reise zu der Insel und zurück zur Seite stehe.«

»Und ich nehme an, die zweite Bedingung beinhaltet auch deine eigene Freiheit.«

»Nein.«

Blinzelnd trete ich einen Schritt näher. »Was soll das heißen, ›nein‹? Ist dir Draxens Leben wichtiger als dein eigenes? Er ist ein widerwärtiger Wurm. Er verdient es, sich am Boden zu winden.«

»Aber er ist mein Bruder. Und du bist eine Heuchlerin.« Riden tritt seinerseits einen Schritt näher.

»Was soll das bedeuten?«

»Dein Vater ist der verachtenswerteste Mann auf See. Sag mir, du würdest nicht alles für ihn tun.«

Ich tue den nächsten Schritt und bin gerade noch einen Fuß von ihm entfernt, als ich überlege, ob ich ihn mit den Fäusten bearbeiten soll oder nicht. Am Ende weiche ich aber wieder einen Schritt zurück und atme ruhig ein. »Wie lautet deine zweite Bedingung?«

»Du wirst deine Sirenenkräfte nie wieder bei mir einsetzen. Selbst wenn es nur darum geht, dass du wissen willst, was ich empfinde.«

»Was, wenn dein Leben in Gefahr geriete und ich dich nur mit meiner Stimme retten könnte? Wäre es dir lieber, ich würde dich sterben lassen?« Aus irgendeinem Grund habe ich das Bedürfnis, mich zu verteidigen. Mich und meine Fähigkeiten. Vor ihm. Aber warum vor ihm? Seine Meinung sollte nicht wichtig sein. Ist nicht wichtig.

»Ich habe so lange ohne dich überlebt, das werde ich auch weiter schaffen.«

»Aha, aber du bist noch nie zuvor mit mir gesegelt. Gefahr ist für meine Mannschaft ein ständiger Begleiter.«

»Mit dir in ihrer Mitte, wie könnte es da anders sein?«, murmelt er leise vor sich hin, aber ich höre es dennoch.

»Wirst du nun mit mir segeln oder nicht?«, frage ich.

»Stimmst du meinen Bedingungen zu?«

Ich blicke himmelwärts. Ich werde während der ganzen Reise darüber nachdenken müssen, was ich mit Riden und Draxen machen soll, wenn wir zurück sind. Für den Moment kann ich seinen Bedingungen zustimmen.

Riden streckt die Hand aus, um unseren Handel zu besiegeln. Ich folge seinem Beispiel und rechne mit einem festen Händedruck.

Womit ich aber nicht rechne, das ist das heiße Prickeln, das meinen Arm hinaufschießt. Obwohl ich meine Hand anweise loszulassen, tut sie es nicht, und meine Füße scheinen an Ort und Stelle festgewachsen zu sein.

Ich sehe von unseren verschränkten Händen auf und mein Blick landet auf den Bartstoppeln an seinem Kinn. Ich frage mich, wie es sich anfühlen würde, wenn sie sich an meinem Kinn und meiner Wange rieben, während er mich küsste.

Hektisch blinzele ich. Was zum … Hab ich gerade seinen Mund angestarrt? Hat er es gemerkt?

Unsere Blicke treffen sich und Ridens Augen glitzern vor Übermut. Er ist der Erste, der etwas sagt. »Das wird bestimmt eine aufregende Reise werden. Wir beide zusammen auf einem Schiff.« Sein Daumen beschreibt einen Kreis auf meinem Handrücken und mir stockt der Atem. Meine Lunge scheint auch gelähmt zu sein, als hätte sie vergessen, wie sie zu funktionieren hat.

Riden kommt etwas näher und endlich erinnert sich mein Gehirn an etwas.

Er ist mein Gefangener. Alles, was er tut, könnte allein dem Zweck dienen, seine Freiheit und die seines Bruders zu erringen. Ich darf ihm nicht trauen. Und schließlich, habe ich nicht auch versucht, die physische Nähe zu Riden dazu zu missbrauchen, meine Ziele voranzutreiben, als ich die Gefangene und er der Kerkermeister war?

Sein hübsches Gesicht wird ihm auf diesem Schiff keine Privilegien einbringen. Und ich werde ihm auch nicht gestatten, mir näherzukommen.

Ich befehle meinen Gliedern, das unpassende Benehmen einzustellen, und weiche endlich zurück.

Ich bin zwei Monate ohne seine Küsse ausgekommen. Das kann ich genauso gut für den Rest meines Lebens tun.

»Es ist ein sehr großes Schiff«, sage ich endlich, obwohl das eine Lüge ist. Und dann, weil ich sehen will, wie er sich windet, schenke ich ihm das verführerischste Lächeln, das ich zu bieten habe, und befeuchte mir dezent die Lippen mit der Zunge.

Die Art, wie sein Blick hinab zu meinem Mund wandert – und dann die hektische Bewegung seines Kehlkopfes, als er hörbar schluckt – ist mir mehr als genug Lohn.

Ja, ich bin diejenige, die die Kontrolle hat.

Ich drehe mich um, um die Tür zu öffnen, und strecke eine Hand Richtung Deck aus, eine Einladung für Riden, mir auf das Schiff zu folgen.

Er tritt leichtfüßig zur Tür hinaus, ohne das kleinste Humpeln. Gut.

Ich sehe zu, wie er den Niedergang hinabsteigt und sich zu der Mannschaft umsieht, die ihren Pflichten nachgeht. Dann mustert er die Wolken, lässt den Blick über die See schweifen, und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn ganze zwei Monate lang eingesperrt habe.

»Bewundern wir die Aussicht, Kapitän?«, fragt eine Stimme. Lotiya und Deshel, Schwestern, die ich vor zwei Jahren auf der Insel Jinda aufgelesen habe, bauen sich zu beiden Seiten neben mir auf. »Er sieht ganz appetitlich aus«, fügt Deshel hinzu.

»Jedenfalls von hinten«, sagt Lotiya. »Man kann einen Mann aber erst richtig einschätzen, wenn man ihn von vorn sieht.«

»Ganz zu schweigen von nackt.«

Kichern folgt ihren Worten.

Riden sieht sich über die Schulter um, einerseits amüsiert, andererseits ein wenig unbehaglich. Jedenfalls bin ich froh, dass ich nicht zum Erröten neige. Denn ich habe Riden von vorn gesehen. Und nackt. Das Gerede der Schwestern bringt das Bild sogleich an die Oberfläche meines Bewusstseins.

Ich messe beide mit einem finsteren Blick. »Wir haben einen neuen Rekruten«, brülle ich dann laut genug, dass die ganze Mannschaft mich hören kann. »Begrüßt Riden.«

Viele der Mädchen blicken von ihrer Arbeit auf. Ein paar lassen sich aus der Takelage fallen, nun, da das Schiff unterwegs ist. Ich sehe eine Menge Neugier in ihren Gesichtern. Und ein gewisses Interesse in einem anderen …

»Riden!«, schreie ich, als mir etwas einfällt. »Geh runter und rasier dich. Du siehst ganz mitgenommen aus.«

Er zieht eine Braue hoch, wagt es aber nicht, sich gleich dem ersten Befehl zu widersetzen, den ich ihm nach unserer Abmachung erteile. Also verschwindet er unter Deck. Lotiya und Deshel machen Anstalten, ihm zu folgen.

»Zurück auf eure Posten«, donnere ich. Mit einem resignierten Seufzer gehen die Schwestern auseinander.

»Mitgenommen?«, fragt Niridia, die am Ruder steht. Kearan ist, so scheint es, noch nicht aufgetaucht. Ich gehe zu ihr hin. »Der Mann ist teuflisch attraktiv.«

»Teuflisch lästig trifft es eher«, erwidere ich. »Ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll.«

»Ich könnte dir sagen, was ich gern mit ihm machen würde.«

»Niridia«, warne ich sie.

»Nur ein Scherz, Kapitän.«

Das weiß ich. Nach dem, was sie durchgemacht hat, bevor ich sie gefunden habe, kann Niridia die Berührung eines Mannes nicht mehr ertragen, aber das hält sie keineswegs davon ab, mich zu necken. Das ist ja auch ihre Aufgabe als meine beste Freundin. Sie schafft es mühelos, zwischen ihren Rollen als Freundin und Erster Maat hin und her zu springen, und weiß immer, welche Rolle gerade angemessen ist. Dafür liebe ich sie.

»Also, behalten wir ihn?«, fragt sie.

»Ja.«

»Hmm«, ist alles, was sie von sich gibt. Sie ist eher dieser übervorsichtige Typ, die verantwortungsvollste Person von allen auf dem Schiff. Sie hat immer etwas zu sagen.

»Was?«

»Vergiss nur nicht, dass er Jeskors Sohn ist. Eure Familien sind verfeindet. Hast du dich je gefragt, ob dieses Schiff vielleicht genau der Ort ist, an dem er sein will?«

»So wie ich, als ich eine ›Gefangene‹ auf seinem Schiff war?« Ich hatte mich mit Absicht von ihnen fangen lassen – alles nur, weil ich die Karte auf dem Schiff von Ridens Bruder suchen musste.

»Genau.«

»So ist Riden aber nicht. Er hat gar keinen persönlichen Ehrgeiz. Das Einzige, was ihn antreibt, ist sein Bruder.«

Niridia bläst sich eine goldene Haarsträhne aus den blauen Augen. »Ich würde aber nicht sagen, dass es das Einzige ist, Kapitän«, entgegnet sie und sieht mich pointiert an.

Ich wechsele das Thema. »Wo ist Kearan?«

Niridia winkt in Richtung Bug, und ich staune, dass ich ihn nicht früher entdeckt habe. Kearan ist massig. Sein wuchtiger Leib steckt in seinem gewohnten dunklen Mantel, einem Kleidungsstück voller Taschen, in denen er all seine Flaschen mit sich herumträgt. Der Mann säuft wie ein Fisch kurz vorm Verdursten.

Aber derzeit sieht er aus, als hätte er ein paar Drinks zu viel gehabt. Er drückt sich an die Steuerbordreling und lädt seinen Mageninhalt in die See ab.

Ich denke über eine angemessene Bestrafung für ihn nach, als Niridia und ich sehen, wie sich Sorinda aus dem Schatten nahe dem Vormast löst. Ihr rabenschwarzes Haar ist nur um eine Schattierung dunkler als ihre Haut. Sie hat es mit einem Band hochgebunden, sodass die Spitzen gerade noch über ihre Schultern fallen. Sorinda trägt nie einen Dreispitz. Sie verbringt den größten Teil ihrer Zeit im Dunkeln und hat überhaupt keinen Grund, ihre Augen vor der Sonne zu schützen. Und anstelle eines Säbels trägt sie ein Rapier, weil sie mehr auf Geschwindigkeit als auf Stärke setzt.

Im Augenblick allerdings hält sie das eine Ende eines Seils.

»Was macht sie da?«, fragt Niridia.

Ich hatte Sorinda beauftragt, ein Auge auf Kearan zu haben, als er auf das Schiff gekommen ist. Sie hat es zwar gehasst, aber ihre Aufgabe erwies sich als einfacher als angenommen, weil Kearan nicht aufhören konnte, sie anzugaffen. Sie hat mehrfach gedroht, ihm die Augen auszustechen, aber ich habe es ihr ausdrücklich verboten. Ohne kann er das Schiff nicht navigieren.

Nun, da wir von unserer Mission zurück sind, scheint es ganz so, als würde Sorinda genau da weitermachen, wo sie aufgehört hat: damit nämlich, Kearan zu ertragen.

Jetzt bindet sie das Seilende, das sie in der Hand hat, um Kearans Leibesmitte. Er merkt es nicht einmal, kämpft nur gegen eine neue Woge der Übelkeit an. Da er so oder so schon halb über der Reling hängt, kostet es Sorinda wenig Mühe, ihn für den Rest des Weges zu schubsen. Ein kurzer Schrei erklingt, gefolgt von lautem Plätschern.

Und Sorinda – meine dunkle, stille Assassinin – lächelt. Ihr Lächeln ist wunderschön, aber so flüchtig. Sie nimmt sich zusammen, ehe sie über die Reling blickt, das einzige äußerliche Zeichen dafür, dass sie stolz auf ihren Triumph ist.

Husten und Fluchen erklingt von Kearans Seite, aber Sorinda ist schon wieder wortlos mit den Schatten verschmolzen.

Manchmal ist es so leicht, zu vergessen, dass Kearan nur ein paar Jahre älter ist als Sorinda und ich. Diese andauernde Trinkerei lässt einen Mann doch ziemlich altern.

»Sorg dafür, dass ihn jemand aus dem Wasser fischt, ja?«, bitte ich Niridia. »Er und die übrigen Männer sollen sich unbedingt die Ohren verstopfen. Ich geh jetzt auffüllen.«

»Jetzt?«, fragt sie vorsichtig. Sie weiß genau, wie sehr ich diesen speziellen Teil meines Lebens als halbe Sirene hasse.

»Ja, es muss jetzt sein. Nach dem Kampf auf Charden habe ich keinen Gesang mehr übrig, und ich werde ihn brauchen, wenn ich Vordan richtig befragen will.« Der Gedanke daran, wie viel Spaß wir beide haben werden, entlockt mir ein Lächeln.

Meine Befragungsmethoden sind dafür bekannt, Männer um den Verstand zu bringen.

Kapitel 3 

Nur eine einzige Zelle in der Brig ist mit Polstern ausgestattet: meine Zelle.

Flauschiges rotes Plüsch bedeckt den Boden und den unteren Teil der Holzwand. Ich ziehe meine Stiefel aus und lasse sie weit außer Reichweite der Gitter zurück. Dann schnüre ich mein Korsett auf und lege es auf die Stiefel. Nur in Strumpfhose und mit einer schlichten, langärmeligen Bluse bekleidet betrete ich die Zelle. Knöpfe, Bänder und Haarnadeln darf ich nicht tragen. Nicht hier drin.

Ich schließe mich ein und verriegele die Tür. Mit aller Kraft ziehe ich an den Gitterstäben. Ich weiß zwar, dass sie nicht instabil geworden sind, aber ich fürchte immer, ich könnte ausbrechen. Ich muss es jedes Mal überprüfen, nur um mich zu vergewissern, dass sich das Metall auch wirklich nicht in meinen Fingern biegen wird.

Mandsy kommt mit einem Kübel Wasser herunter. Sie stellt ihn gleich vor der Zelle ab, sodass ich ihn durch das Gitter erreichen kann. Dann sammelt sie meine Stiefel und das Korsett ein und ich reiche ihr den Schlüssel.

»Alle Männer haben ihre Ohren bedeckt, Kapitän«, sagt sie. »Sie wissen, wie der Hase läuft.«

»Was ist mit den neuen Rekruten?«

»Na ja, Kearan ist vermutlich zu betrunken, den werden nicht mal deine Fähigkeiten wecken, aber Sorinda hat schon dafür gesorgt, dass auch seine Ohren bedeckt sind. Enwen hat genug Wachs für die Ohren von drei Männern genommen und erklärt, man könne nie vorsichtig genug sein.« Sie muss lachen. »Der gefällt mir besonders. Er ist ein lustiger Bursche.«

»Und Riden?«

»Der hat das ganz gelassen aufgenommen und keine Fragen gestellt.«

»Hast du ihm erklärt, was ich hier mache?«

»Ja, Kapitän.«

Ich wollte, ich könnte noch mehr Fragen stellen. Wie hat sein Gesichtsausdruck ausgesehen? Wirkte er abgestoßen?

Er hat Wert darauf gelegt, mir zu sagen, dass ich meine Fähigkeiten nie mehr an ihm anwenden solle. Ekelt er sich denn vor dem, was ich bin? Aber dann fällt mir ein, dass mich das gar nicht interessieren sollte. Es interessiert mich auch gar nicht.

Meine Finger kribbeln, als mein Blick zu dem Wassereimer huscht. Sosehr ich fürchte, was das mit meinem Geist anstellen kann, weidet sich doch mein Körper daran, ihm so nahe zu sein. Ohne weiter nachzudenken, tauche ich die Finger in den Kübel und sauge das Wasser in mich auf.

Alles tritt sogleich deutlicher hervor. Das Knarren des Holzes, das Schwappen des Wassers um das Schiff herum, der Pfiff einer Frau auf Deck, Stiefel, die über die Planken gehen, Husten und Gelächter. Ich kann den Atem all der Menschen um mich herum spüren – Marionetten, geschaffen, damit ich mit ihnen spielen kann.

Als würde man an der Saite eines Instruments zupfen, zupft meine Stimme an der Saite eines menschlichen Bewusstseins. Komm zu mir.

Der Mensch vor mir lächelt. »Dem Befehl werde ich nicht folgen, Kapitän. Ich bringe dann einfach mal das Zeug nach oben.«

Ein menschliches Mädchen. Ich fauche sie an. Sie ist nicht imstande, an dem Spaß teilzuhaben. Sie kehrt mir den Rücken zu und mein Blut kocht. Wie kann sie es wagen, mich abzuweisen! Ich werfe mich an die Gitterstäbe, schlage dagegen, zerre an ihnen, aber sie wollen sich nicht rühren. Sie haben mich in einer Falle gefangen. Diese abscheulichen Menschen. Ich kann doch spüren, wie sie sich über mir bewegen. Ich singe zu einem nach dem anderen, versuche, ein Ohr zu finden, das mir die Freiheit bringen wird, aber niemand beantwortet meinen Ruf.

Ein Teil der Macht verlässt mich. Mein Körper brennt vor Bedürftigkeit. Hastig sehe ich mich um und mein Blick landet auf dem Wasserkübel. Meine Finger sinken hinein, rufen es zu mir und ich seufze vor Wonne. Weit unter mir kann ich das Meeresleben spüren. Wasser rauscht über Kiemen, kräuselt sich um Tentakel, blubbert aus dem sandigen Boden empor. Ein erschrockener Fisch wechselt die Richtung, als das Schiff herankommt. Ein Delfin ist gerade dabei, die Oberfläche zu durchbrechen. Ein Wal summt in weiter Ferne.

Und ich bin ihrer aller Königin.

Dieser Käfig wird mich nicht lange aufhalten, und wenn ich frei bin, werde ich die Männer auf diesem Schiff für mich tanzen lassen, bis ihre Füße bluten.

Da ist ein leises Knarren von Scharnieren, das Flüstern von Füßen. Ein Gesicht lugt um die Ecke.

Das ist einer der Männer. Ich lächele neckisch und zeige nur einen Hauch meiner Zähne. Nicht genug, um ihm das Raubtier zu offenbaren, das ich eigentlich bin. Mit einem gekrümmten Finger locke ich ihn zu mir. Er gehorcht, macht aber nur ein paar Schritte, sodass er immer noch mehrere Fuß von mir entfernt ist.

Er ist ein hübscher Kerl mit seidig aussehendem braunem Haar. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie das unter Wasser aussehen, wie die Wellen die Strähnen teilen würde, wenn sein Leichnam an der Küste angespült wird.

Da ist ein Funke von Furcht in den sattbraunen Augen. Sie sind goldgetüpfelt. Faszinierend. Wenn ich nur eines davon mit dem Fingernagel berühren könnte. Ich würde es herauspflücken und …

Diese Augen strahlen Entschlossenheit aus. Ob er entschlossen ist, keine Angst zu haben? Ich streiche mir träge mit den Fingern durch das Haar, lasse es um meine Schultern fallen. Der Mann ist fasziniert und beobachtet mich nur umso genauer.

Aber der Mann rührt sich nicht. Er zeigt auf seine Ohren. Ah, ja. Die Menschen denken, sie wären vor mir sicher, wenn sie mich nicht hören können. Weiß er denn nicht, dass ich mehr kann als nur singen?

Sehr vorsichtig krempele ich meine Ärmel bis über die Ellbogen hoch, zeige mehr Haut. Ich fahre mir langsam mit den Fingern durchs Haar, lasse die Strähnen über meine Schultern fallen. Der Mann ist von mir gefesselt, beobachtet jede meiner Bewegungen.

Endlich lehne ich mich auf den Kissen zurück, drücke meine Brüste nach oben und streichele einladend das Polster neben mir.

Er dreht sich nach rechts und marschiert davon, ohne mich auch nur eines weiteren Blicks zu würdigen. Halb schreie, halb singe ich ihm zu, um ihn zur Umkehr zu bewegen, aber natürlich kann er nichts hören. Alles, was das bewirkt, ist, dass ich mehr Wasser brauche.

Am nächsten Morgen strecke ich mich gähnend. Niridia wartet vor meiner Zelle mit Frühstück und Stiefeln.

»Gut geschlafen?«

»Wie eine Tote.«

Nunmehr überzeugt, dass ich die bin, die sie kennt, öffnet sie die Zelle und schiebt mir das Tablett zu. Während ich mich mit Brot und Eiern beschäftige, greift Niridia nach dem Eimer.

»Raue Nacht, was?«