Vengeance of the Pirate Queen - Fürchte meine Rache - Tricia Levenseller - E-Book

Vengeance of the Pirate Queen - Fürchte meine Rache E-Book

Tricia Levenseller

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Beschreibung

Wer ist tödlicher als die Königin aller Piraten? Ihre beste Assassinin … Band 3 der mitreißenden Piraten-Romantasy-Saga von TikTok-Königin Tricia Levenseller!

***Mit besonderem Zusatzcontent nur in dieser Ausgabe: zusätzliches Kartenmaterial und Faksimile-Kapitel.***

Die Piratenkönigin Alosa hat ihre Assassinin Sorinda beauftragt, einige ihrer vermissten Spione zu retten. Doch dafür muss diese mit Pirat Kearan als Steuermann vorliebnehmen – aber wie soll man auf einem Schiff einem Freibeuter entgehen, der einem nicht von der Seite weicht und auch noch so verflucht attraktiv ist? Als die Crew der Vengeance versehentlich den König der Tiefe erweckt, müssen Sorinda und ihre Mannschaft dessen Armee aus Untoten aufhalten, die über die Welt hereinzubrechen droht. Oder werden sie sich bald selbst zu den lebenden Toten gesellen?

Slow-Burn Romance trifft auf Enemies-to-Lovers-Trope und Abenteuer auf hoher See!

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Seitenzahl: 485

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Buch

Die Piratenkönigin Alosa hat ihre Assassinin Sorinda beauftragt, einige ihrer vermissten Spione zu retten. Doch dafür muss diese mit Pirat Kearan als Steuermann vorliebnehmen – und wie soll man auf einem Schiff einem Freibeuter entgehen, der einem nicht von der Seite weicht und auch noch so verflucht attraktiv ist? Als die Crew der Vengeance versehentlich den König der Tiefe erweckt, müssen Sorinda und ihre Mannschaft dessen Armee aus Untoten aufhalten, die über die Welt hereinzubrechen droht. Oder werden sie sich selbst zu den lebenden Toten der Tiefe gesellen?

Autorin

Tricia Levenseller ist die »New York Times«-Bestsellerautorin der Pirate-Queen-Saga. Sie schreibt mit Vorliebe High Fantasy für junge Erwachsene und hat ein Faible für unglaublich romantische Geschichten. Tricia wuchs in Oregon auf, wo sie ihre Kindheit damit verbrachte, auf Bäume zu klettern und in den Tag zu träumen. Heute lebt sie in Utah und ist Schriftstellerin in Vollzeit. Wenn sie einmal nicht schreibt oder liest, hat sie Spaß am Puzzeln, Xbox-Spielen oder dem Erkunden neuer Restaurants.

Die Reihe von Tricia Levenseller bei Blanvalet:

Daughter of the Pirate King – Fürchte mein Schwert

Daughter of the Siren Queen – Fürchte meine Stimme

Vengeance of the Pirate Queen – Fürchte meine Rache

Tricia Levenseller

Vengeance of the Pirate Queen

Fürchte meine Rache

Roman

Aus dem Amerikanischen von Frauke Meier

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »Vengeance of the Pirate Queen« bei Feiwel and Friends, an imprint of Macmillan Publishing Group, LLC, New York.

Dieser Roman ist im Juli 2024 bei der Bücherbüchse erschienen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2023 by Tricia Levenseller

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2025 by Blanvalet, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Joern Rauser

Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de nach einer Originalvorlage von Pushkin Press UK

Umschlagmotive: © Micaela Alcaino

Karte: © 2023 by Noverantale

SH · Herstellung: kw

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-31613-6V001

www.blanvalet.de

Für Jacob,

weil du Fluch der Karibik und das Schreiben von Geschichten genauso geliebt hast wie ich. Ich vermisse dich, mein Freund.

»FALLS IHR AUF DEN RICHTIGEN MOMENT GEWARTET HABT … DAS WAR ER!«

Captain Jack Sparrow

Fluch der Karibik

Kapitel 1 

Du kannst gar keine Angst vor der Dunkelheit haben, wenn du selbst das Monster bist, das in den Schatten lauert.

Nach diesem Grundsatz richte ich mich, seit ich fünf Jahre alt bin. Er hat mir in vielen kalten Nächten, die ich allein zugebracht habe, gute Dienste geleistet. Und er ist sogar doppelt so nützlich, wenn ich töte, was nicht selten vorkommt. Die Piratenkönigin hat jede Menge Feinde, und ich bin die, die von ihr losgeschickt wird, um sich derer anzunehmen.

Die heutige Zielperson ist der Piratenlord Vordan Serad.

Das ist das erste Mal in meiner Laufbahn, dass ich dieselbe Zielperson zum zweiten Mal aufspüren muss, und das gefällt mir gar nicht. Wir wären weit besser beraten gewesen, hätten wir Vordan schon in seine Einzelteile zerlegt, als wir ihn das letzte Mal erwischt hatten, aber der verstorbene Piratenkönig hatte ihn nun einmal lebend erwischen wollen.

Nach seiner Flucht ist Vordan ziemlich fleißig gewesen. Er hat sich unter falschem Namen ein neues Schiff beschafft und eine neue Mannschaft geheuert, um dann langsam sein Ansehen zu mehren, beginnend auf der Insel Butana. Ich bezweifle keinen Augenblick, dass er hofft, genug Truppen um sich scharen zu können, um sich schließlich Alosas Thron zu bemächtigen.

Aber das hätte er besser wissen müssen. Er hätte einfach weiterlaufen sollen, nachdem es ihm während der Rauferei zwischen dem Landkönig und dem ehemaligen Piratenkönig gelungen war, sich zu befreien. Auf diese Art wäre ihm vielleicht ein schönes, langes Leben vergönnt gewesen.

Stattdessen liege nun ich unter seinem Bett und er hat keine Ahnung davon.

Er bereitet sich auf einen Abend bei Lampenschein vor. In dem begrenzten Blickfeld, das ich vom Boden aus habe, kann ich sehen, wie er sich die Stiefel von den Füßen tritt und sie Richtung Schrank pfeffert. Ein weißes Kleidungsstück folgt ihnen. Sein Hemd, nehme ich an. Glücklicherweise lässt er die Kniehose an. Er wühlt in seinen Taschen herum und einen Augenblick später höre ich ein leises Klimpern. Er muss die Münze hervorgeholt haben, mit der er so gern herumspielt, und jetzt hat er wohl sie auf seinem Nachttisch abgelegt.

Vordan setzt sich auf den Boden und lehnt sich mit dem Rücken ans Bett, gerade ein paar Fuß von mir entfernt. Angesichts der Gefahr der Entdeckung schlägt mein Herz einen etwas zu hektischen Rhythmus.

Ich könnte es jetzt tun, glaube ich. Mich einfach herumrollen, den Dolch aus der Scheide an meiner Seite ziehen und ihm die Kehle aufschlitzen.

Aber Alosa möchte ihn wissen lassen, auf wessen Befehl er getötet wird, und mir wird es leichter fallen, ihn ohne großen Lärm umzubringen, wenn ich von oben komme, nicht von unten.

Töten wäre ganz einfach, das Vertrackte daran ist nur, es leise zu erledigen. Geduld zu haben. Auf den richtigen Moment zu warten. Das sind die Fähigkeiten, deretwegen ich so gut in meinem Beruf bin. Für einen Assassinen geht es nicht immer darum, mühelos zu töten. Es geht darum, es auf die geeignetste Art zu tun.

Ich halte absolut still und beobachte weiter, dann streckt Vordan sein schlimmes Bein aus. Alosa hat ein Mal ihren Sirenengesang benutzt, um ihn zu zwingen, aus zwei Stockwerken Höhe zu springen. Ich wette, er denkt jedes Mal an sie, wenn sein Bein in der Kälte steif wird. Er beugt sich vor und reibt die Muskeln in der Nähe des Knies, ehe er aufsteht. Dann trinkt er etwas, das auf seinem Nachttisch steht, löscht das Licht und setzt sich aufs Bett.

Ich strecke den Arm aus, bis ich nur noch ein paar Zoll von Vordans linkem Fußgelenk entfernt bin. Meine Finger tippeln näher heran, bis sich mein Zeigefinger direkt hinter seiner Ferse befindet. Jetzt wäre es so einfach, seine Achillessehne zu zertrennen. Er würde nie wieder gehen können. Stattdessen zeichne ich Kreise auf die Bodenbretter und gewähre Vordan die letzten Gedanken, die er je denken wird. Schließlich schwingt er seufzend die Beine ins Bett und fummelt die Decke zurecht.

Als er endlich ruhig über mir liegt, lausche ich seinem Atem, warte darauf, dass er langsamer wird. Und dann warte ich noch ein bisschen länger. Wenn ich die Finger stillhalte, bis meine Ziele tief und fest schlafen, ist das Risiko, dass sie bei irgendeinem kleinen Geräusch, das ich vielleicht im Raum verursache, aufwachen, um einiges kleiner. Ich möchte nicht, dass sie aufwachen, ehe ich in Position bin. Ehe es zu spät ist, sich zu wehren. Ganz zu schweigen davon, dass die Wahrscheinlichkeit, auf dem Anwesen könnte noch irgendjemand wach sein, umso geringer wird, je länger ich warte.

Ich schlüpfe unter dem Bett hervor und stehe auf, betrachte den schlafenden Vordan und achte auf jede Bewegung. Als sich sein Atemrhythmus nicht verändert, ziehe ich den Dolch und trete ans Bett. Ein wenig Mondlicht dringt durch das Fenster herein. Ich stehe auf der anderen Seite des Bettes, sodass mein Schatten nicht auf Vordan fällt. Er schläft auf dem Rücken, die Hände auf der Decke an den Seiten seines Körpers, das Gesicht geradewegs nach oben gewandt.

Er ist eine unauffällige Erscheinung, mittelgroß, durchschnittlich gebaut. Braunes Haar, brauner Bart. Keine auffälligen Kennzeichen. So kann er sich verborgen halten. Am Leben bleiben, um genau zu sein. Wir Piraten haben meist keine lange Lebensspanne. Jedenfalls nicht unter der Herrschaft des ehemaligen Königs.

Als ich meinen Dolch näher an seine Kehle heranbewege, ersetze ich das Gesicht vor mir durch eines aus meinen Erinnerungen. Eines mit hellerer Haut, einem Muttermal auf der linken Seite der Stirn, einer einzelnen goldenen Kreole hoch oben am Ohr. Strohfarbenes Haar, glatt rasiertes Gesicht. Und ein Grübchen in der Mitte des Kinns.

Meine erste Tötung.

Ich tue so, als träfe das auf sie alle zu, damit es sich immer wieder genießen lässt.

Wie angewiesen lege ich den Dolch auf die Haut von Vordans Hals und halte inne. Seine Lider zucken zweimal, ehe er sie öffnet. Ohne den Kopf zu bewegen, blickt er nach rechts, um mich anzusehen. »Du«, sagt er. »Du bist eine von ihren.«

»Die Piratenkönigin entsendet ihre besten Wünsche. Du wirst sie brauchen, da, wo du hingehst.«

»War…«

Ehe er seine Bitte aussprechen kann, mache ich einen tiefen Schnitt, der seine Halsschlagader öffnet. Blut tränkt die Laken, tropft lautlos zu Boden.

Und ich sehe zu, wie das Leben zum neunundachtzigsten Mal aus Samvin Carroter entfleucht.

Ich wische meinen Dolch an einem sauberen Stück Decke ab und schiebe ihn in die Scheide zurück. Dann hole ich mein Rapier und stecke es an meine Taille. Die meisten Piraten tragen Säbel, aber ich ziehe das Rapier vor, weil ich mit ihm wendiger bin und schneller zuschlagen kann. Außerdem bin ich von edler Abstammung und möchte mir dieses Gedenken an meine Familie bewahren.

Ich verlasse Vordans Zimmer, husche in einen der Gänge des prachtvollen Herrenhauses hinaus, in dem er gelebt hat. Er hat die Familie, der es gehört hat, umgebracht und ihr gesamtes Personal bestochen oder bedroht, um bald darauf seine wenigen Männer in den behaglichen Räumen unterzubringen. Das war das Muster, nach dem ich Ausschau halten musste, während ich auf der Suche nach ihm war.

Er hat schon beim ersten Mal begriffen, dass Alosa ihn, wenn er zu lange an einem Ort bliebe, auf jeden Fall aufspüren würde, also nistete er sich in irgendeinem schicken Anwesen ein, blieb maximal einen Monat dort, besuchte die größeren Städte und versuchte, Unterstützer zu werben. Anschließend ist er einer neuen Stadt entgegengezogen, die auf einem neuen Eiland der Siebzehn Inseln liegt, um dort das Gleiche zu tun.

Zu seinem Pech ist ein erkennbares Muster genauso ungünstig wie zu langes Verweilen an einem Ort.

Die Tür klickt kaum hörbar, als ich sie hinter mir schließe, ehe ich den mit Teppich ausgelegten Korridor hinuntergehe. Ich biege um eine Ecke und nehme die Haupttreppe nach unten, darauf bedacht, stets am äußeren Rand der Stufen zu bleiben, wo die Wahrscheinlichkeit, dass sie knarren, am geringsten ist. Drei Stockwerke hinab, und ich bin im Erdgeschoss. In der Absicht, auf demselben Weg, den ich gekommen bin, auch wieder zu verschwinden, durchquere ich die Küche.

»Hallo?«, ruft eine Stimme und ich knie mich sofort auf den Boden.

Eigentlich sollten hier alle schlafen, aber da muss wohl jemand in der Nacht Hunger bekommen haben.

Womöglich bin ich mit dem Töten noch nicht ganz fertig, ein Gedanke, der mir einen köstlichen Schuss Wärme durch den Schwertarm jagt. Meine Finger kribbeln, so sehr verlangt es sie, nach einer Waffe zu greifen. Während ich hinter den nächsten Tisch krabbele, rast mein Herz. Es ist ein wilder Trommelschlag, an den ich mich schon gewöhnt habe und nach dem ich mich bisweilen sogar sehne. Das ist die Aufregung der Jagd.

»Hast du was gehört?«, fragt dieselbe Stimme.

»Nein. War wahrscheinlich nur Miss Nyles, die in die Küche wollte und Fersengeld gegeben hat, nachdem sie uns entdeckte.«

Der erste Mann grunzt. »Der haben wir gestern Nacht eine hübsche Tracht Prügel verabreicht, was?«

»Nicht so hübsch wie die, die wir ihr am Abend vorher verpasst haben.«

Ihr Gelächter dringt in jede Ecke des Raums wie eine Seuche, die einen Körper infiziert. Ich luge über die Kante des Tisches, um sie mir anzusehen. Zwei Wüstlinge, von denen in dem schwachen Licht der Kerze, die auf dem Tisch zwischen ihnen brennt, außer dunklen Silhouetten nicht viel erkennbar ist. Sie spießen kaltes Fleisch mit einem Messer auf, stopfen es sich ins Maul und reichen eine Flasche hin und her.

Ich könnte jetzt an ihnen vorbeischleichen und das Herrenhaus verlassen, ohne dass irgendjemand von meiner Anwesenheit erfahren würde.

Aber nach dem Gespräch, das ich gerade mit angehört habe, werde ich das nicht tun.

Es ist riskant, die beiden anzugreifen, während sie hellwach sind, aber das ist ein Risiko, das ich gern auf mich nehme.

Ich krieche unter den Tisch und zwischen die beiden Stühle. Als ich mich hinter die zwei schiebe und mein Rapier ziehe, bin ich nichts als ein Schatten. Den Größeren nehme ich mir zuerst vor und ziehe ihm den Knauf über den Hinterkopf. Der Zweite dreht sich um und bringt noch den ersten Ton eines Schreis zustande, als ich seinen Kopf auf die Tischplatte ramme. Beide stehen nicht wieder auf, nachdem sie bewusstlos zu Boden gegangen sind.

Schritte hämmern über meinem Kopf, angelockt durch den kurzen Laut, und jetzt muss ich eine Entscheidung treffen. Ich kann immer noch abhauen und sie in den kurvenreichen Straßen der Stadt abhängen.

Oder …

Ich starre das Duo auf dem Boden an.

Oder ich übe Rache.

Da gibt es eigentlich gar nichts zu entscheiden.

Nachdem ich mich vergewissert habe, dass noch niemand auf dieser Etage eingetroffen ist, schlüpfe ich wieder in den dunklen Eingang. Ein Geländer säumt die Treppe, durch Traljen mit jeder Stufe verbunden. Ich strecke den Arm aus, um nachzusehen, ob meine Hände zwischen die Stangen passen.

Sie passen.

Als die Männer die Wendeltreppe herunterrennen und dabei ihre Laternen hoch in die Luft halten, klettere ich an der Seite empor, ziehe mich Tralje um Tralje hinauf. Ausgreifen, zupacken, ziehen. Wiederholen.

Meine Beine sind längst zu hoch über dem Boden, um den Männern noch aufzufallen, als sie unten angekommen sind. Vier Gestalten gehen unter mir vorbei zur Küche. Als der letzte in der richtigen Position ist, lasse ich mich fallen. Unter meinem Gewicht geht er zu Boden, und ich breche ihm das Genick, ehe er hochkommen kann.

Die ersten beiden Männer sind bereits in der Küche, aber der dritte dreht sich um, als sein Kamerad stürzt. Ihm schlitze ich mit der Spitze meines Degens die Kehle auf, bevor er überhaupt begreift, was er vor sich sieht. Mit einer raschen Bewegung schnippe ich das Blut von meiner Klinge, während ich zur Tür laufe und mich von außen flach an die Wand zur Küche stelle. Ich stecke das Rapier weg und ziehe den Dolch.

»Alle beide bewusstlos«, sagt einer der Männer. »Schlag Alarm.«

Der Befehlsempfänger saust aus der Küche. Ich packe seinen Arm, schleudere ihn gegen die Wand und ziehe ihm die Klinge über die Kehle.

»Hallo?«, ruft der andere Mann, der vermutlich gesehen hat, wie sein Kamerad aus seinem Blickwinkel gezogen wurde, bevor die Tür zugefallen ist.

Warum grüßen die Leute bloß, wenn etwas höchst Verdächtiges passiert? Denken die denn, dass wir Monster uns dann brav melden?

Er lässt ein »Wer ist da?« folgen.

Ich korrigiere meine Handhaltung am Heft des Dolchs, während ich warte, um zu sehen, was er tun wird.

Er brüllt um Hilfe und verrät mir damit seine ungefähre Position in der Küche.

Ich stoße die Tür weit auf, visiere mein Ziel an und werfe die Waffe. Der Dolch findet ihn und bohrt sich in seine Kehle. Ich nehme ihn vorerst nicht wieder an mich. Zeit ist jetzt kostbar.

Ich schwenke nach rechts, wo sich die versteckte Dienstbotentreppe befindet. Inzwischen erheben sich weitere Männer aus ihren Betten und platzen auf die Korridore hinaus. Ich sehe sie auf jedem Treppenabsatz, während ich zurück in den obersten Stock steige. Die Dunkelheit gereicht mir zum Vorteil. Ich bin ihre Liebkosung gewohnt. Ich bezweifle, dass es irgendeine lebende Seele gibt, die bei Nacht besser sehen kann als ich. Während ich die Silhouetten von Vordans Männern erkenne, haben die keine Ahnung, dass ich nur ein paar Fuß von ihnen entfernt bin.

Keine Seele guckt auch nur in meine Richtung. Niemand denkt daran, die Dienstbotentreppe zu benutzen. Vielleicht wissen sie nicht einmal, dass es sie gibt. Diese Kerle sind Mörder, Diebe und was es an miesem Abschaum sonst noch so gibt. Die sind die Aufteilung solch schicker Unterkünfte wie dieser hier gar nicht gewohnt. Und da Vordan das vorhandene Personal behalten hat, hat sich für seine Männer nie eine Notwendigkeit ergeben, diesen Weg zu nutzen.

Ich erreiche den zweiten Stock, in dem Vordans Leichnam inzwischen zu rotten begonnen hat, und sehe nacheinander in jedes Schlafzimmer.

Als ich einen Mann entdecke, den das Geschrei nicht geweckt hat, trete ich ein, schleiche mich zum Bett und schlitze ihm die Kehle auf. Das mag nicht die kreativste Art sein, ein Leben zu beenden, aber es ist sicher die effizienteste und kostet am wenigstens Mühe. Und ich habe noch viele Kehlen aufzuschlitzen, also muss ich mit meiner Kraft haushalten.

»Sechs kaltgemacht«, ruft jemand von unten. »Verteilt euch und durchsucht das Haus, und du, geh und weck den Captain.«

Ich sause in Vordans Räumlichkeiten zurück und krieche wieder unter das Bett. Das Blut hat aufgehört zu tropfen. Auf dem Boden auf der anderen Seite des Bettes ist es schon teilweise geronnen.

Die Tür schwingt auf, bestiefelte Füße treten an Vordans Ruhestätte. »Captain, wir haben einen Eindringling.« Dann weicht er zurück, vermutlich, weil etwas Klebriges an seiner Hand haftet.

Ich ziehe ihm die Füße weg, klettere auf seinen zappelnden Körper, bereit, mir seine Kehle vorzunehmen.

Im letzten Moment drehe ich die Hand aber noch zur Seite und schlage, die Finger nach wie vor um das Heft des Dolchs gewickelt, mit den Knöcheln zu, genau an die Stelle, die Mandsy mir für den Fall empfohlen hat, dass ich jemanden lediglich bewusstlos hauen will.

Der Bursche kann nicht älter als zwölf sein. Groß und schlaksig, aber ohne Muskeln an den Gliedern. Er hat sich mit schlimmen Leuten eingelassen, aber nicht einmal ich töte Kinder.

Wieder draußen auf dem Gang schleiche ich durch das Haus, leiser als ein Gespenst. Unter mir höre ich Türen knallen, Schwerter gleiten aus Scheiden und Männer murmeln miteinander. Ich kontrolliere die restlichen Zimmer auf dieser Etage, schlitze noch drei weitere Kehlen auf, kehre dann zur Dienstbotentreppe zurück und gehe in das nächste Stockwerk hinunter.

Nur den Kopf in den Gang gereckt, sehe ich zu, wie ein Pirat ein Zimmer betritt, um es zu kontrollieren. Ich folge ihm, schleiche mich hinter ihm an, halte ihm mit einer Hand den Mund zu und ziehe ihm mit der anderen den Dolch über die Kehle. Wieder im Flur fällt mir auf, dass nur ein paar von Vordans Männern Lampen herumtragen. Sollten sie meine Silhouette entdecken, würde ich lediglich wie irgendein Pirat für sie aussehen, der wie alle anderen das Haus durchkämmt.

Ich folge einem weiteren Mann in ein weiteres Zimmer und wende die gleiche Taktik an wie zuvor. Dieser geht in die Knie, um unter dem Bett nachzusehen, und hört nicht, wie ich mich von hinten nähere. Blut tropft von der Klinge auf meine Finger, als ich mich wieder aufrichte, also nehme ich mir die Zeit, den Dolch und meine Hand am Laken abzuwischen, ehe ich wieder hinausgehe.

Zwei Gestalten kommen auf dem Gang ohne eigene Lichtquelle auf mich zu, also presse ich mich flach an die Wand, um sie passieren zu lassen.

Ich ziehe ein zweites Messer, als ich den beiden in ein Zimmer folge. Der erste Mann bekommt meinen Dolch in den Rücken, da, wo sein Herz sich unter Haut und Muskeln versteckt. Der zweite dreht sich um, aber da stürze ich mich schon auf ihn und schlitze ihm mit dem zweiten Messer die Kehle auf.

Als ich mich wieder aufrichte, versuche ich, mich zu erinnern, wann ich zum letzten Mal so viele Männer in nur einer Nacht getötet habe. Tatsächlich glaube ich, das ist noch nie zuvor passiert.

Ich schaffe mir neue Erinnerungen.

Einige Männer steigen weiter hinauf in das zweite Obergeschoss, wo sie noch mehr Tote finden werden. Andere sind auf dem Weg ins Erdgeschoss. Ich nehme mir zuerst diejenigen vor, die nach oben gehen.

Dann erreiche ich den Letzten in der Reihe der Männer, halte ihm den Mund zu, töte ihn und fange ihn auf, ehe er mit hörbarem Aufschlag zu Boden fallen kann. Der Nächste ist zu schwer zum Auffangen, also presse ich mich an eine geschlossene Tür, als sich ein paar der Männer umschauen.

»Mist!«, flucht jemand. »Findet sie.«

Ich weiß nicht recht, ob er nun eine Sie meint oder viele. Soll ich mich gekränkt oder geschmeichelt fühlen? Ich stürze aus meinem Versteck, als jemand vorübergeht, und ramme seinen Kopf an die gegenüberliegende Wand. Dann höre ich, wie der Hahn einer Pistole gespannt wird, also drehe ich den Mann vor mich und überlasse ihm die Kugel.

Ich greife zum nächsten Dolch, ehe ich die Leiche fallen lasse, und schleudere ihn auf die Person mit der Laterne. Als sie fällt, erlischt das Licht.

Mehr Schritte donnern die Stufen herauf und bringen noch mehr Laternen mit sich, also lasse ich mich auf den Boden fallen, als wäre ich nur eine weitere Leiche in dem Schlamassel.

»Wo ist er?«, fragt einer der Neuankömmlinge.

»Verschwunden wie Rauch«, sagt jemand aus der ersten Gruppe.

Gekränkt, eindeutig.

Der Mann schreitet an mir vorbei und ich halte absolut still. Einer meiner Arme liegt so über meinem Kopf, dass mein langes Haar nicht zu sehen ist, sollte einer den Blick senken wollen.

Ein Stiefel trifft mich, und jetzt unterdrücke ich ein Grunzen, während ich darauf warte, dass mich die Neuankömmlinge hinter sich lassen.

Als es so weit ist, nehme ich sie mir einen nach dem anderen vor. Schlitze Kehlen auf. Schlage Köpfe ein. Fange Leichen auf. Töten. Wiederholen. Töten.

Wieder einmal sind meine Hände schlüpfrig vor Blut. Meine Vorderseite ist voller Blutspritzer. Ich weiche einem auf mich zusausenden Säbel aus, um den nächsten Piraten anzugreifen. Meinen ersten Vorstoß wehrt er noch ab, aber er rechnet nicht damit, dass ich so schnell nachsetze. Meine Klinge bohrt sich in sein Herz.

Ich wirbele herum, als von hinten ein Mann mit gezücktem Schwert auf mich zukommt; ich mache einen Satz zur Seite, lande aber auf einem der Toten und knicke mit dem Fuß um. Auf dem gesunden Bein wirbele ich herum, ducke mich unter einem Hieb hinweg und ramme ihm die Klinge in den Leib. Mit einem Schnitt durch die Kehle mache ich ihm ein Ende.

Danach ist es im Herrenhaus vollkommen still.

Ich richte mich auf, betrachte das Blutbad. Ein pulsierender Schmerz rast durch mein Bein, als ich versuche, das Fußgelenk voll zu belasten. Er hält mich auf, während ich all meine Dolche wieder an mich nehme und mir ein sauberes Tuch suche, um sie abzuputzen. Ich wische auch meine Hände ab, die danach allerdings noch immer rot sind. Getrocknetes Blut hat sich einen Weg in jede Hautfalte gebahnt. Ich stecke Rapier und Dolche in ihre jeweiligen Scheiden, löse das Band von dem lockeren Pferdeschwanz, zu dem ich meine Zöpfe gebunden habe, und binde ihn neu.

Dann durchsuche ich das Herrenhaus, bis ich die Dienstbotenquartiere gefunden haben. Die meisten haben sich in ihren Räumen verbarrikadiert oder verstecken sich unter ihren Betten.

Es dauert eine Weile, aber schließlich finde ich Miss Nyles’ Zimmer.

»Die sind für dich«, sage ich und zerre die beiden bewusstlosen Männer aus der Küche herein, einen nach dem anderen, ohne auf den stechenden Schmerz in meinem Fußgelenk zu achten. Glücklicherweise befinden sich die Quartiere der Bediensteten im Erdgeschoss; anderenfalls wäre es mir auch nicht möglich gewesen, die Männer zu ihr zu bringen.

Ich ziehe einen meiner Dolche und reiche ihn Miss Nyles mit dem Heft voran.

Die junge Frau blickt zwischen meinem Dolch und den beiden bewusstlosen Rohlingen auf dem Boden ihres Zimmers hin und her. Dann nimmt sie die angebotene Waffe.

»Ich schlage vor, du wartest, bis sie aufwachen«, bemerke ich. »Auf diese Art ist es befriedigender.«

Dann lasse ich das Herrenhaus hinter mir und segle nach Hause.

Kapitel 2 

Warm streicht die Seebrise über meine Haut, als das Schiff gleich vor der tropischen Küste von Queen’s Keep, einer Insel, die die Piratenkönigin von ihrer Sirenenmutter geschenkt bekommen hat, Anker setzt. Ursprünglich hatte Alosa die Insel Alosa-Eiland nennen wollen.

»Ich bin schließlich die Königin. Warum sie also nicht nach mir benennen?«, fragte sie.

»Weil es ein kleines bisschen eitel wirkt«, antwortete Niridia, ihr Erster Maat.

»Na und? Wenn ein Mann eine Insel nach sich selbst benennt, kräht kein Hahn danach.«

»Du bist kein Mann.«

»Nein, ich bin viel besser.«

»Was aber bedeutet, dass du zu gut bist, um eine Insel nach dir selbst zu nennen.« Alosa starrte Niridia nur finster an.

»Warum nicht etwas Subtileres?«, warf Mandsy, Alosas beste Heilerin, ein. »Also so etwas wie Queen’s Keep?«

Alosa verzog das Gesicht, als hätte sie Saures auf der Zunge, ehe sie sich zu mir umwandte. »Was meinst du?«

»Nenn sie Queen’s Keep.«

»Uff. Na schön.«

Eine segensreich stille Gruppe rudert mich mit einem Dingi an Land. Als ich den Fuß auf den Strand setze, wird irgendwo in der Ferne ein Schuss abgefeuert.

Das ist nicht zwingend ein Anzeichen von Gefahr. Vielleicht war nur jemand auf dem Schießstand. Trotzdem verlangen meine Instinkte von mir, mich zu vergewissern, also mache ich mich auf den Weg zum Ausgangspunkt des Geräuschs. Palmen säumen die Sandstrände, während ein ausgetretener Pfad ins Innere der Insel führt, dorthin, wo Alosa noch immer damit beschäftigt ist, ihre Festung zu erbauen. Die Handwerker sind fleißig, hämmern und sägen. Ich gehe an ihnen vorbei und höre, wie ein zweiter Schuss fällt, dieses Mal gefolgt von einem Wimmern, das mich veranlasst, schneller zu gehen.

Am Schießstand wartet ein sonderbarer Anblick auf mich. Ein Mann ist an eines der Ziele gefesselt worden, ungefähr zwanzig Schritte entfernt von der Stelle, an der Alosa und Riden stehen. Drum herum hat sich eine Menge versammelt, und ich drängele mich hindurch, um besser sehen zu können.

Die Königin spannt gerade den Hahn ihrer Pistole, zielt und feuert. Oberhalb der rechten Schulter des Mannes explodiert etwas Stroh und regnet auf ihn herab. Er versucht, sich davor wegzuducken.

»Das war bisher am dichtesten«, stichelt Alosa und wendet sich Riden zu.

Das Lächeln, das er ihr schenkt, sorgt dafür, dass ihr eigenes breiter wird, und ich verkneife mir ein Stirnrunzeln. Mir hat Alosa besser gefallen, bevor sie einen Gefährten hatte. Jetzt scheint es für sie außer ihm und viel zu viel Gelächter kaum noch etwas anderes zu geben und ich muss Riden den ganzen Tag ertragen.

Der Pirat, der beauftragt worden ist, die Waffen nachzuladen, reicht ihm seine Pistole. Riden lässt Alosa nicht aus den Augen, als er den Arm ausstreckt und feuert.

Der Hut fliegt vom Kopf des gefesselten Mannes und die Menge applaudiert.

»Bist du jetzt bereit zu reden?«, ruft Alosa ihm zu. »Oder lässt du mich erst meine Wette gewinnen?«

Der Gefangene zieht die Lippen zwischen die Zähne, um den Mund fest geschlossen zu halten, und Alosa ist begeistert. Sie nimmt eine weitere Pistole entgegen, stellt sich mit dem Rücken zum Ziel auf und legt die Pistole auf ihre Schulter.

»Warte!«, ruft der Mann. »Schon gut, schon gut. Es war Draxen. Draxen hat mich geschickt, um seinen Bruder zu entführen und …«

Alosa feuert, und die Menge keucht auf, als der Schuss den Stoff am Kragen des Mannes erwischt, keinen Zoll entfernt von seinem Hals. Die Nervenprobe raubt ihm das Bewusstsein. Alosa dreht sich nicht einmal um, um nachzusehen, ob sie ihn getroffen hat oder nicht. Sie ist einfach eine gute Schützin.

»Immer mit der Ruhe«, sagt Riden zu ihr.

»Du musst nicht den Spielverderber geben, nur weil du verloren hast. Also«, sagt Alosa und wendet sich an die Menge. »Wer ist der Nächste?«

Nein, nicht an die Menge, sondern an die Reihe der Männer und Frauen, die mit einem Seil gefesselt ganz vorn stehen und von der Menge bewacht werden.

Alosa nähert sich ihnen und bläst unterwegs den Rauch von ihrer Pistole. »Ihr seid alle auf dem Schiff mit den neuesten Rekruten gekommen. Dieser Mann war unter euch und wurde in Ridens Räumlichkeiten erwischt.« Mit dem Daumen deutet Alosa über ihre Schulter auf den Mann, der ihnen als Ziel gedient hat. »Draxen neigt viel zu sehr zur Übertreibung, um nur einen Mann mit seiner Schmutzarbeit zu beauftragen. Also, wer möchte sich freiwillig anbieten? Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ich bin gut gelaunt, nachdem ich die Wette gewonnen habe.«

Keine Seele gibt einen Ton von sich, und ich weiß genau, was als Nächstes passieren wird.

Die Königin fängt an zu singen.

Alosa singen zu hören, ist mit nichts, was ich je erlebt habe, zu vergleichen. Auf mich hat ihr Gesang keine Auswirkungen, weil ich eine Frau bin, aber er hat dennoch eine unsagbar schöne Wirkung. Soweit ich es beurteilen kann, erklingen mit der Melodie keine erkennbaren Worte, aber der erste an Händen und Füßen gefesselte Mann sagt: »Nein.«

Der zweite sagt: »Nein.«

Der dritte: »Ja.«

Riden tritt vor und trennt diesen Mann von allen anderen.

Und weiter geht es, Alosa singt sich an der Reihe der Gefangenen entlang, zerrt die Spione aus ihrer Mitte mit nur ein paar gesungenen Noten. Unter dem Einfluss ihrer Magie müssen Männer die Wahrheit sagen. Sie müssen genau das tun, was sie verlangt. Sie sind ihrem Willen hilflos ausgeliefert. Und obwohl sie das Furcht einflößend macht, habe ich noch nie erlebt, dass sie ihre Macht für eigennützige Zwecke missbraucht hat. Alosa sorgt für ihre eigene Sicherheit und die von denen, die ihr dienen. Nicht mehr und nicht weniger.

Sie ist eine Königin, und ich bin stolz darauf, ihr zu dienen.

Mir fällt eine knappe Bewegung am Ende der Reihe auf. Im nächsten Augenblick läuft einer der Piraten davon, nachdem er sich die Fesseln mit etwas durchgeschnitten hat, das er irgendwie hat versteckt halten können. Alosa könnte ihn mühelos mit ihrer Stimme aufhalten, stattdessen aber wirft sie Riden einen knappen Blick zu.

Er verfolgt den Flüchtigen, während sie ihre Arbeit fortsetzt und dabei die beiden Frauen in der Reihe auslässt. Die wird sie mir vermutlich später zur Befragung übergeben. Ich habe meine eigenen Methoden, Informationen aus Leuten herauszuholen, ohne selbst auch nur ein einziges Wort von mir zu geben.

Ein anderer Pirat versucht, vor Riden zu dem flüchtenden Verräter zu gelangen. Stattdessen wird er entwaffnet, womit der Flüchtende nun eine Waffe hat.

Das ist hoffentlich ein Neuling. Wie unbedarft muss man sein, um seine Waffe an jemanden zu verlieren, der selbst keine hat?

Riden ist schneller. Der Gefährte der Königin kann laufen und kämpfen, was einer der Gründe dafür ist, dass er so unerträglich wirkt. Er gibt sich großspurig, und es gibt vieles, worauf er stolz sein kann.

Ich bringe weit mehr Respekt für diejenigen auf, die ihre Fähigkeiten kennen und es trotzdem für sich behalten.

Endlich hat der Flüchtende keine andere Wahl mehr, als sich umzudrehen und zu kämpfen oder von Riden von hinten niedergeschlagen zu werden. Sie duellieren sich, Stahl auf Stahl, während Alosa weiter durch die Reihe geht.

In diesem Augenblick entdeckt sie mich in der Menge.

»Sorinda! Du bist zurück?«

»Gerade eben. Hab die Schüsse gehört und bin gleich hergekommen, um nachzusehen.«

Alosa nimmt mich in die Arme und führt mich von den anderen weg. Ihre Frauen sind bereits dabei, die Verräter wegzutragen und die beiden Frauen zur Befragung abzuführen. Die anderen werden entlassen. Wir gehen an Riden vorbei, der immer noch mit dem Flüchtigen kämpft.

»Das ist das erste Mal, dass sich jemand auf der Insel eingeschlichen hat. Und wer steckt dahinter? Nicht der Landkönig. Nein, dafür ist Ladell zu dumm. Es ist der weinerliche, nutzlose, verfluchte Draxen. Der dauerhafte Dorn in meinem Fleisch. Riden, hör auf, mit ihm zu spielen. Du kommst ja nicht mal ins Schwitzen.«

»Er hat sich von seinen Fesseln befreit. Das Mindeste, was ich tun konnte, war, ihm das Gefühl zu geben, er hätte wenigstens eine kleine Chance.«

»Bring ihn einfach zu den anderen. Beaufsichtigst du die Gefangenen, während ich mir überlege, was ich mit ihnen machen soll?«

Mit einer raschen Bewegung tritt Riden dem Mann die Beine unter dem Leib weg, rammt den Fuß auf seine Waffenhand und hält ihm den Säbel an die Kehle.

»Sicher, Liebling.«

Alosa kämpft gegen ein Grinsen an, als sie sich vorbeugt, um Riden etwas ins Ohr zu flüstern. Er nickt ein Mal, ohne auch nur für einen Augenblick die Bedrohung zu seinen Füßen aus den Augen zu lassen. Dann führt Alosa Kalligan, Königin der Piraten, mich in ihr Arbeitszimmer – in einen der wenigen Räume innerhalb der Festung, die bereits fertiggestellt sind.

»Wie ist es gelaufen?«, fragt sie mich, und ich weiß sofort, worum es geht.

»Er ist tot.«

»Hat er gewusst, dass ich dich geschickt habe?«

»Hat er.«

»Gut. Irgendwelche Komplikationen?«

Ich zucke mit den Schultern. »Nichts, womit ich nicht fertig geworden wäre.«

Glücklicherweise humpele ich nicht mehr, und die paar Kratzer, die ich mir eingefangen habe, sind während des Monats, den ich von den Siebzehn Inseln zur Festung gebraucht habe, verheilt.

Alosa deutet auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch, lädt mich ein, Platz zu nehmen.

»Wie geht es dir?«, fragt sie.

Das ist eines der Dinge, die ich an Alosa liebe. Ihr liegt wirklich jede Person in ihrer Mannschaft am Herzen, und es ist ihr wichtig, das Wohlergehen von allen sicherzustellen, sei es nun physisch oder emotional.

»Mir geht es gut«, antworte ich. Das tut es immer. Mir geht es einfach gut. Nie besser und nie schlechter.

Ich halte aus. Ruhig und stabil, solange ich etwas zu tun habe.

Sie sagt nichts dazu, hofft vermutlich, dass ich ihr wenigstens noch ein weiteres Informationshäppchen zukommen lasse.

»Ich schlafe besser«, sage ich, weil sie sich darüber freuen wird. Und es ist auch keine richtige Lüge. Ich habe in den Nächten, in denen mein Körper heilen musste, viel länger geschlafen.

»Das ist gut.«

»Und du?«, frage ich, verzweifelt bemüht, die Aufmerksamkeit von mir abzulenken.

Sie schürzt die Lippen. »Viel zu tun.«

»Soll das etwa heißen, ein Piratenimperium zu leiten, wäre anstrengend?«

Das entlockt ihr ein Lächeln. Nach dem Sirenengesang, den sie heute angewandt hat, sind ihre Augen fast vollständig grün, und sie trägt ein purpurnes Korsett, das fantastisch zu ihrem roten Haar passt.

»Es gibt so viele Dinge, die nach meiner Aufmerksamkeit verlangen. Beispielsweise die Festung, die wir hier bauen. Dann die konstante Überwachung des Geldstroms, der unserer Zuflucht zu- oder abfließt. Teniri ist so glücklich wie nie. Sie zählt das Gold und zählt es dann noch einmal. Ich knüpfe neue Beziehungen zu den alten Kunden meines Vaters, damit alle, die die See befahren wollen, mir meinen Anteil bezahlen. Und frag mich gar nicht erst nach den Feinden, die ich im Auge behalten muss, um sicherzustellen, dass niemand auf dumme Gedanken kommt.«

»Ist Königin zu sein nicht so wunderbar, wie du gedacht hast?«, frage ich.

Ihr Lächeln wird breiter. »Es ist sogar noch wundervoller, als ich es mir jemals hätte ausmalen können. Ich beklage mich nur über die weniger schönen Dinge. Das ist der Preis für den Reichtum, den Respekt, die Berühmtheit und den Spaß, den diese Position mit sich bringt.«

»Da wir gerade von Spaß reden, hast du einen neuen Auftrag für mich?«, frage ich. »Vielleicht ein paar Gefangene, die ich befragen kann?«

»Du bist doch gerade erst zurückgekommen.«

»Ich habe gern zu tun, und du hast eine Menge Feinde, weißt du noch?«

»Ich weiß. Ich habe dich eben vermisst, als du fort warst.«

Meine Lippen zucken, aber ich finde keine passenden Worte, um ihre Offenheit zu erwidern. Ich bin nicht die Art Mensch, die über Gefühle spricht oder lange Reden schwingt, wenn es auch ein paar Wörter tun würden. Außerdem weiß Alosa bereits, wie sehr ich unsere Freundschaft schätze. Und Mandsy ist ja gewöhnlich auch dabei und die kann genug Liebe für fünf Leute zum Ausdruck bringen.

»Wenn du sicher bist …«, sagt Alosa, bricht ab und denkt über etwas nach. »Weißt du, was ich am meisten hasse?«

»Männer, die nicht tun, was man ihnen sagt?«

»Ja, aber danach.«

Ich schüttele einmal den Kopf.

»Delegieren.«

»Delegieren«, wiederhole ich ausdruckslos.

»Ich bin zwar gern federführend, aber ich erledige die Dinge dann auch gern mit eigener Hand. Und jetzt? Ich habe nicht genug Zeit, um alles selbst zu machen, ich muss delegieren.«

»Ist das nicht der Grund, warum man sich Lakaien anschafft?«

»So denkst du über dich?«

»Kaum. Lakaien sind ersetzbar.«

»Das bist du ganz sicher nicht.«

»Was willst du nicht delegieren?«, frage ich, um uns zum Thema zurückzubringen.

Sie erhebt sich, als könnte sie es nicht aushalten, auch nur eine Sekunde länger zu sitzen. Ihre Stiefel scharren über den Boden, als sie anfängt, auf und ab zu gehen. Sie sehen neu aus, makellos, aber das könnte auch daran liegen, dass Alosa sich hervorragend um ihre Habe kümmert. »Ich habe ein Problem.«

»Erzähl.«

»Du weißt doch, dass ich den Landkönig im Auge behalten möchte.«

»Natürlich.« Er will die Piratenmonarchie schon zerschlagen, seit er auf dem Thron sitzt.

»Ich hatte sechs Mädchen auf eines seiner Schiffe geschmuggelt.«

»Warum? Ich dachte, du hättest lediglich jemanden an seinem Hof haben wollen?«

»Diese Reise war anders als die anderen. Ladell hat eine größere Mannschaft als sonst zusammengestellt. Und das Schiff war enorm hochgerüstet. Harpunen, genug Musketen und Pistolen, um eine ganze Armee damit auszustatten, Kanonen, die an Land gebracht werden können. Er hat damit gerechnet, auf Gefahr zu stoßen, und ich wollte wissen, was dahintersteckt.«

»Und?«

»Sie sind vor über drei Monaten abgereist. Während der letzten zwei Monate habe ich keinen Ton von ihnen gehört. Es ist, als hätte sich das Schiff in Luft aufgelöst.«

»Und du brauchst nun jemanden, der es sucht.«

»Allerdings.« Sie sieht mich ostentativ an.

Zuerst denke ich, sie scherzt. Alosa neigt zum Sarkasmus (was ich mir bei ihr abgeschaut habe). Ich bin nicht der Mensch, den man ausschickt, um andere zu retten. Ich bin eher das Gegenteil davon – eine der Assassinen in Piratenkreisen. Aber Alosa starrt mich immer noch an, und jetzt wird mir klar, dass sie tatsächlich vorhat, mich um Unterstützung zu bitten.

»Warum ich? Warum schickst du nicht Niridia?«

»Niridia ist bereits auf einer Mission.«

Ich ziehe eine Braue hoch.

Alosa knurrt nur ein Wort. »Draxen.«

Alosa liebt Riden Allemos mehr als alles andere auf der Welt. Bedauerlicherweise hat er den verabscheuungswürdigsten aller Menschen zum Bruder.

»Das ging aber schnell«, sage ich. Sie hatte diesen Mann doch gerade erst an das Ziel gefesselt, um ihm zu entlocken, wer ihn geschickt hat.

»Ich habe sie schon vor diesem kleinen Trotzanfall von Draxen ausgesandt, dessen Ergebnis wir heute erlebt haben. Ich wusste ja immer, dass er mir meine Regentschaft streitig machen und sich selbst zum König der Piraten krönen will.«

»Jungs wissen einfach nicht, wann es genug ist.«

»Allerdings.«

»Warum beauftragst du nicht mich damit, mich mit Draxen zu befassen, und Niridia mit der Suche nach den verschwundenen Mädchen?«

Alosa seufzt sehnsüchtig. »Es ist mir nicht gestattet, Draxen zu töten. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund liebt Riden ihn immer noch. Und da mir Riden am Herzen liegt, bin ich gezwungen, diesen Abschaum von einem Mann weiter durch die Weltgeschichte spazieren zu lassen. Darum habe ich Niridia entsandt.«

»Mandsy?«, frage ich.

»Ist bei Niridia. Ich dachte, das könnte eine Aufgabe für zwei Frauen sein.«

»Kluger Gedanke«, sage ich.

»Danke.«

Stille senkt sich über den Raum.

»Sorinda, du bist die einzige andere Person, der ich etwas so Wichtiges anvertrauen kann. Ich weiß, das gehört nicht zu deinen üblichen Pflichten, aber würdest du es bitte in Betracht ziehen? Mir zuliebe?«

Ich kann nicht fassen, dass sie überhaupt fragen muss. Ich würde alles für Alosa tun. Sie hat mich in meiner dunkelsten Stunde aufgestöbert. Sie hat mir einen Lebenszweck gegeben. Eine Familie. Es gibt nichts, was ich nicht für sie tun würde.

»Ich mach es.«

Sie muss mich klar und deutlich gehört haben, aber noch entspannt sie sich nicht. Tatsächlich wirkt sie sogar noch angespannter als vorher.

»Was ist?«, frage ich.

»Du müsstest über unbekannte Gewässer segeln.«

»Das ist mir bewusst. Ich fürchte mich nicht davor.«

»Ich weiß, dass du dich nicht fürchtest. Aber für diese Art von Reise wirst du einen erfahrenen Steuermann brauchen …«

Sie verstummt und überlässt es mir, die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Und, oh, das tue ich. Ich weiß genau, von wem sie spricht.

Mein Blut fängt an zu kochen, das Verlangen, zu töten, scheint an meiner Haut zu zupfen, und ich kann nicht verhindern, dass sich ein finsterer Ausdruck auf mein Gesicht legt.

»Ich weiß, ich weiß«, sagt Alosa und reckt abwehrend die Hände hoch. »Ich weiß wirklich, wie sehr du ihn hasst, aber er ist der Beste, den wir haben. Ich kann diese Mädchen nicht mit weniger abspeisen. Wenn es überhaupt irgendeine Hoffnung gibt, sie zu finden, dann wird Kearan es schaffen.«

»Er starrt mich an.«

»Du bist wunderschön«, sagt sie, als wäre das eine Art Kompliment.

»Er versucht, mit mir zu sprechen.«

»Du bist eine gute Gesprächspartnerin.«

»Er will mich, Alosa.«

Sie tippt zweimal mit dem Fuß auf den Boden, lässt sich von meinem starren Blick aber nicht abschrecken. »Ja, wahrscheinlich.«

»Definitiv«, betone ich. »Er hat sich rausgeputzt. Er hat aufgehört zu trinken. Er hat sogar angefangen, sich körperlich zu betätigen. Er hat sich verändert, Alosa.«

»Das sind doch gute Dinge«, wendet sie ein.

»Aber nicht, wenn er sich einbildet, damit bekäme er ein Anrecht auf mich. Ich bin keine Belohnung für gutes Benehmen.«

Bei diesen Worten richtet sich Alosa auf. »Hat er dich angefasst?«

»Nein.«

»Hat er irgendwelche zweideutigen oder lüsternen Bemerkungen von sich gegeben?«

»Nein.«

»Hast du Grund zu der Annahme, dir könnte in irgendeiner Weise Gefahr von ihm drohen?«

Ich stutze, denke ernsthaft über ihre Worte nach. »Nein.«

Sie neigt den Kopf zur Seite. »Was ist dann das Problem?«

Endlich lasse ich die sorgsam beherrschte Miene fallen. In ihrer Gegenwart scheine ich meine stoische Haltung nie allzu lange beibehalten zu können. »Ich bin nicht wie du, Alosa. Ich bin es nicht gewohnt, dass mich Männer anstarren, dass sie mich begehren. Ich möchte mich verstecken. Ich möchte unsichtbar sein. Ich will einfach nicht, dass irgendwer überhaupt einen Gedanken an mich verschwendet. Aber Kearan? Er sieht mich. Wo ich mich auch verstecke, er scheint mich immer zu finden.«

Es klopft an der Tür, aber Alosa macht keine Anstalten, zu öffnen. »Es ist über ein Jahr her, seit er während unserer Reise zur Isla de Canta aufgehört hat zu trinken. Nun aber, da er schon so lange nüchtern ist, zeigt er erst wirklich, was er draufhat.«

Ich starre sie nur wortlos an.

Sie zuckt mit den Schultern. »Eigentlich ist er ein lustiger, kluger, vertrauenswürdiger Bursche. Außerdem denkt er vermutlich gar nicht mehr an dich. Aus den Augen, aus dem Sinn … oder so.«

Ich blinzele nicht einmal.

Sie seufzt. »Hast du je in Erwägung gezogen, dass es vielleicht Zeit für dich wäre, dich nicht länger zu verstecken?«

Wieder klopft es, und Alosa überlässt mich meinen Gedanken, während sie zur Tür geht.

Nicht länger verstecken? Haarsträubend. Ich bin doch Assassinin. Da ist Verstecken genau das, was ich zu tun habe. Deshalb bin ich so gut in meinem Beruf. Und ich muss gut sein, wenn ich für Alosa nützlich bleiben will.

Sie lässt niemand anderen herein als Kearan.

Sofort schießen meine Mauern hoch.

Als er mich sieht, erstarrt er. Dann huscht ein Lächeln über seine Lippen. »Du bist zurück.«

»Offensichtlich«, sage ich.

Er mustert mich einmal kurz von Kopf bis Fuß, aber nichts daran wirkt begierig. Es ist beinahe so, als … suchte er nach Wunden? Wie auch immer, ich richte vielsagend den Blick auf Alosa. Siehst du?

»Kearan«, sagt sie und lenkt damit erfolgreich seinen Blick von mir ab.

»Du hast nach mir geschickt?«, fragt er, und nun erst wird mir klar, dass es wohl das gewesen sein muss, was sie Riden zugeflüstert hat.

»Ich habe eine Aufgabe für dich. Ich stelle eine Mannschaft zusammen, angeführt von Captain Sorinda Veshtas, um ein vermisstes Schiff zu suchen, und ich hätte dich gern als Navigator für diese Reise.«

Kurz tritt Stille ein, und ich spüre, wie Kearans Blick flüchtig zu mir schweift, ehe er wieder bei Alosa landet. Ich verziehe keine Miene.

»Wenn Captain Veshtas bereit dazu ist, freue ich mich, ihr zu dienen«, sagt Kearan.

Natürlich freut er sich. Am liebsten möchte ich die Stirn runzeln, aber ich bleibe stark.

Alosa wendet sich an mich. »Und, bist du bereit, Captain?«

Ich blinzele sie an, lasse zu, dass Stille den Raum ausfüllt, bis sie eine unbehagliche Intensität erreicht. Endlich drehe ich mich zu Kearan um. Oh, Sterne, was ist er für ein großer Mann! Breit genug für zwei, groß genug, um jeden zu überragen. Seine weiße Haut ist nach der vielen Zeit in der Sonne ein wenig gebräunt, aber er sieht beim besten Willen nicht gut aus. Zwar sind Haar und Bart nun endlich gekürzt, doch seine Nase ist immer noch groß und schon viele Male gebrochen worden, und seine Augen stehen zu weit auseinander.

Das ist eines der Dinge, die ich an ihm mag: die Tatsache, dass er eigentlich nicht attraktiv ist. Dagegen sieht er echt aus, so wie ein Mann, geformt durch das harte Leben auf See. Allerdings würde ich das niemals zugeben. Nicht einmal Alosa gegenüber.

Er trägt einen schwarzen Mantel, der nun aber – aufgrund des Gewichtsverlusts – eine Nummer zu groß für ihn ist. Muskeln haben den größten Teil des Fetts ersetzt, und was an Fett geblieben ist, sieht gut an ihm aus. Und auch das lässt ihn echt wirken. Der Mantel ist mit Dutzenden von Taschen ausgestattet, die er früher dazu benutzt hat, all seine Rumflaschen zu verstauen.

Die treiben nun irgendwo im Ozean. Dank mir.

Er ist nicht viel älter als ich. Ehe ich abgereist war, um mich um Vordan zu kümmern, hatte Enwen eine Überraschungsparty auf die Beine gestellt, um Kearans zwanzigsten Geburtstag zu feiern (was er gehasst hat). Ich bin gerade in der letzten Woche in der Fremde achtzehn geworden, was nett war. An Bord meines Schiffs gab es niemanden, der mich gut genug kannte, um deswegen irgendwas auf die Beine zu stellen.

Kearan weicht meinem harten Blick nicht aus, was beeindruckend ist. Es gibt nur wenige Männer, die es wagen, meinem Blick standzuhalten. Das kann ich respektieren, trotz allem, was ich über ihn weiß.

»Wenn du Befehle befolgen kannst, habe ich kein Problem damit, dich in meiner Mannschaft zu haben.« Wenn es mir gelingt, so zu tun, als kümmere er mich überhaupt nicht, dann wird es ihm sicher irgendwann langweilig werden und er wird weiterziehen. Das funktioniert bei Fieslingen, warum also nicht bei schwärmerischen Typen?

Kearan nickt ein Mal und fragt: »Wo soll es denn hingehen?«

»Nordwestlich der Siebzehn Inseln«, sagt Alosa, greift in eine der tiefen Schubladen ihres Schreibtischs und zieht eine Karte hervor. Sie wickelt sie ab und zeigt auf die neuen Markierungen, die den Kurs des vermissten Schiffes bis zu seinem Verschwinden kennzeichnen müssen. »Die Wanderer sollte Land in unbekannten Gewässern suchen. Das Letzte, was ich über sie gehört habe, war, dass sie hier gewesen ist.« Alosa zeigt auf die Stelle, an der die Spur endet.

Kearan richtet sich schnurgerade auf.

»Was ist?«, fragt ihn Alosa.

»Dahin bin ich schon früher gesegelt.«

Alosa zeigt auf den Stuhl, den ich bei Kearans Eintreten frei gemacht hatte. »Erzähl mir alles darüber.«

In einer Ecke des Raums stelle ich mich auf. In der Nähe der Tür werde ich hören können, falls jemand versucht, uns zu belauschen. Außerdem bin ich gern möglichst nahe am nächsten Fluchtweg. Das ist eine Gewohnheit aus meiner Jugend.

»Sie haben es Panazee genannt«, beginnt Kearan. »Die zu suchen, wurden wir angeheuert. Es war nicht wichtig, ob wir sie finden oder nicht; unser Auftraggeber hat uns ein Vermögen allein dafür versprochen, dass wir in diese Richtung segeln und ausgraben, was immer wir können.«

»Wer war der Auftraggeber?«, fragt Alosa.

»Irgendein reicher Erbe, der von Ruhm geträumt hat. Hat gesagt, er stamme von einer Reihe von Forschern ab und er wolle derjenige sein, der die Panazee am Ende findet.«

»Und das ist?«

»Totaler Firlefanz, wenn du mich fragst. Der Depp hat gesagt, es wäre ein geheimnisvoller Gegenstand, der Wunden und Krankheiten heilen kann, ganz egal, wie schlimm sie auch sein mögen. Angeblich soll sie dem, der sie in seinen Besitz bringt, Unsterblichkeit verleihen, Immunität vor dem Tod. Was bedeutet: Man kann denjenigen dann nicht mit einer Klinge töten oder so was.«

»Ich verstehe«, sagt Alosa.

»Wir sind also nach Nordwesten gesegelt, um das Ding zu suchen. Gefunden haben wir aber nur Probleme. Je weiter wir gekommen sind, desto kälter wurde es, und die See begann, immer wieder unstet zu brodeln. Leute sind mitten in der Nacht vom Schiff verschwunden. Einfach spurlos … fort. Aber all ihre Habe war noch an Bord, alle Rettungsboote an ihrem Platz. Es war merkwürdig.«

»Wie ging es weiter?«

»Nachdem acht Personen verschwunden waren, hat sich die Mannschaft gegen unseren Geldgeber gewandt. Wir haben kehrtgemacht und nie zurückgeblickt.«

Alosa reibt sich die Stirn. »Das zu wissen, wäre hilfreich gewesen, bevor ich ein halbes Dutzend Mädchen auf das Schiff des Landkönigs entsendet habe.«

»Hätte ich das gewusst, dann hätte ich etwas gesagt.«

»Ich weiß. Niemand trägt hier Schuld, aber das ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass diese Mädchen verschwunden sind.« Alosa blickt mich an.

»Ich habe gesagt, ich suche sie, und so habe ich es auch gemeint. Ich fürchte mich nicht vor Kearans Gespenstergeschichten.«

»Das sind keine Geschichten. Es ist wirklich passiert«, beharrt Kearan.

»Wie betrunken bist du bei dieser Reise gewesen?« Mein Ton verändert sich zwar nicht, aber die Worte leisten ganze Arbeit.

Er dreht sich zu mir um und ein harter Ausdruck tritt in seine Augen. »Das war, bevor ich an der Flasche gehangen habe.«

Hmm. Ich hatte angenommen, er wäre mit einer Flasche in der Hand geboren worden.

»Wir überlassen niemanden dem Tod«, sagt Alosa. »Sollte es eine Chance geben, dass sie noch am Leben sind, dann werde ich alle Mittel, die ich habe, einsetzen, um sie zu lokalisieren. Ich möchte wöchentlich über dein Wohlergehen und das deiner Mannschaft informiert werden, Captain. Sollte irgendetwas Merkwürdiges passieren, hast du mich umgehend zu informieren.«

Es ist seltsam, Captain genannt zu werden. Alosa hat mich befördert, kurz nachdem wir ihren Vater vom Thron gestoßen hatten, dabei habe ich nie ein eigenes Schiff oder Frauen unter meiner Befehlsgewalt gewollt. Ich habe mir gar nicht die Mühe gemacht, eine Mannschaft für mein Schiff zu heuern, und ich habe das Schiff, das Alosa mir überlassen hat, bisher noch nicht einmal angeschaut.

»Wer segelt mit mir?«, frage ich. »Wallov?«

»Nein. Wo Wallov hingeht, da geht auch Roslyn hin. Das ist keine geeignete Reise für sie.«

Ich hätte ihr gar nicht eindringlicher zustimmen können. Das Mädchen ist noch keine acht.

»Du wirst ein paar vertraute Gesichter um dich haben. Radita wird als Bootsmann dabei sein, Philoria und Bayla als Schützinnen. Vor allem aber werden viele neue Frauen an Bord sein, die du erst noch kennenlernen musst. Aber sei unbesorgt, ich werde niemanden mitschicken, dem ich nicht vertraue. Du wirst eine gute Mannschaft bekommen.«

»Wer wird mein Erster Maat sein?«

»Ihr Name ist Dimella. Du wirst sie mögen, ich verspreche es.«

Das werden wir sehen. Ich mag nicht sehr viele Menschen. »Wann stechen wir in See?«

»Sobald das Schiff bereit ist. Ich habe schon angefangen, es mit Vorräten beladen zu lassen, da ich mit deiner baldigen Rückkehr gerechnet habe.«

»So sicher, dass ich Ja sagen würde?«, frage ich lächelnd.

»Gar nicht sicher. Nur hoffnungsvoll. Danke, Sorinda. Das meine ich ernst. Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen.«

Mir wird klar, dass Alosa selbst ein wenig Aufmunterung nötig hat, also sage ich: »Schlag dir das aus dem Kopf, Captain. Ich übernehme das. Ich werde sie finden.«

Sie nickt. »Ich weiß, dass du das wirst.« Dann, als fiele ihr plötzlich etwas ein, greift sie unter den Schreibtisch und holt eine lange, schmale Kiste hervor. »Beinahe vergessen. Ich hab was für dich.«

Ich trete langsam näher und bemühe mich dabei nach Kräften, möglichst viel Abstand zu Kearan zu halten, der immer noch unmittelbar vor dem Schreibtisch sitzt.

»Nur zu. Mach es auf«, ermutigt mich Alosa.

Ich entdecke eine Verriegelung an der Vorderseite und öffne den Deckel.

Was darin liegt, raubt mir den Atem.

Es ist ein Rapier. Lang und schmal, scharf wie der Tod. Der Korb glänzt, als wären gemahlene Juwelen in das geschmolzene Eisen gerührt worden. Die Parierstange am Ende der Klinge ist geformt wie … Meereswellen. Als ich nach dem Heft greife, streifen meine Hände über Leder, so weich, dass man es für Samt halten könnte. Und als ich es heraushebe, fühlt es sich unglaublich leicht an. Beim Austesten in der Luft ist es kaum zu sehen. Es bewegt sich, als wäre es wahrhaftig eine Verlängerung meines Arms.

»Du hast doch nicht gedacht, ich würde deinen Geburtstag vergessen, oder?«, fragt Alosa.

Ich habe Probleme, meine Stimme wiederzufinden. »Danke.«

»Nur das Beste für dich.«

»Du hast Geburtstag?«, fragt Kearan.

Alosas Blick zuckt zu ihm. »Du kannst jetzt gehen, Kearan. Bereite dich auf die Abreise vor.«

Er ragt hoch genug auf, um den Raum zu beherrschen, als er sich erhebt. »Aye, aye.«

Alosa und ich sehen ihm nach, bis er die Tür hinter sich geschlossen hat.

»Also«, sagt sie, »wenn ich so kühn sein darf, dir einen Rat anzubieten, ehe du dich mit deiner Mannschaft bekannt machst?«

»Natürlich«, sage ich und bewundere dabei immer noch meine neue Waffe.

»Ich bezweifle nicht, dass du einen guten Captain abgeben wirst, Sorinda, aber versuch, nicht zu vergessen, dass die Mannschaft immer auf dich bauen und zu dir aufsehen wird. Sei ihnen gegenüber nicht so schweigsam. Versteck dich nicht die ganze Zeit. Deine Gegenwart wird ihnen in schweren Zeiten Sicherheit geben. Deine ermutigenden Worte werden ihnen Courage verleihen. Denk daran, wie wichtig es für dich ist, gesehen und gehört zu werden.«

Ich sehe Alosa an. »Ich werde einen schrecklichen Captain abgeben.«

Alosa schüttelt den Kopf. »Wir können das Unmögliche schaffen, wenn andere von uns abhängig sind. Du wirst Fehler machen. Daran führt gar kein Weg vorbei. Aber du wirst dir selbst verzeihen und es beim nächsten Mal besser machen. Ich bin überzeugt, wenn es am meisten darauf ankommt, wirst du dich der Lage gewachsen zeigen.«

»Du hast als Captain nie Fehler begangen.«

Alosa lacht. »In der Flotte meines Vaters zu segeln, soll kein Fehler gewesen sein? Oder was ist mit der Geschichte, als ich die ganze Mannschaft in Gefahr gebracht habe, um meine Mutter zu retten? Oder damit, dass Lotiya gestorben ist, weil ich darauf bestanden habe, dass wir auf einer unbekannten Insel haltmachen, um uns einen neuen Mast zu beschaffen? Oder dass Deros umgekommen ist, weil ich die Fragen meines Vaters nicht rasch genug beantwortet habe?«

Ich erwidere nichts.

»Schuldgefühle sind gesund, wenn sie uns helfen, besser zu werden, aber lass dich nicht von ihnen auffressen.«

Kapitel 3 

Das neue Rapier fühlt sich an meiner Seite unglaublich an, der Bügel schimmert bei jedem meiner Schritte im Sonnenschein. Ich korrigiere den Sitz meines Gürtels ein wenig, sodass sich das Sonnenlicht nicht mehr im Metall fängt. Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist, dass meine Feinde mich kommen sehen.

Ein Junge, der kaum der Kindheit entwachsen sein kann, rudert mich zu meinem Schiff raus. Unterwegs verliert er kein einziges Wort, was mir sehr zusagt. Als wir dort sind, entlohne ich ihn großzügig und er kehrt zur Küste zurück und wartet auf die nächste Person, die er rausrudern kann. Irgendwann will Alosa Anleger bauen, die sich weit genug von der Insel ins Meer erstrecken, damit die Schiffe dort anlegen können, aber bis dahin müssen wir uns mit dem begnügen, was wir haben.

Als mir Alosa den Zweimaster geschenkt und mich gefragt hat, wie ich ihn nennen möchte, habe ich »Vengeance« gesagt, aber das war eigentlich ein Scherz, der sich auf eine Unterhaltung bezog, die wir eine Weile zuvor geführt hatten.

»Ihr drei seid schon eine tolle Truppe«, sagte Alosa, während Mandsy, Niridia und ich auf Queen’s Keep um ein Lagerfeuer herumsaßen und uns nach einem harten Arbeitstag auf dem Bau oder bei der Einteilung der Männer und Frauen ausruhten.

»Weil wir so hübsch sind?«, fragte Mandsy.

»Nee«, widersprach Niridia. »Weil wir ihre Lieblinge sind.«

Ich sagte gar nichts.

»Ihr habt beide recht«, verkündete Alosa und setzte sich zu uns ans Feuer. Sie griff zu einem Zweig und stocherte in den Flammen herum, die ebenso leuchteten wie ihr Haar. In ernsthaftem Ton fügte sie hinzu: »Ihr seid mein innerer Kreis, das wisst ihr doch, oder? Ihr seid genau das, was ich brauche, um all das zu erhalten, was wir uns aufgebaut haben. Dieses Piratenreich kann nur erfolgreich bestehen, weil ich mich auf euch drei verlassen kann.«

»Oooh, danke, Captain«, gurrte Mandsy.

»Wenn du so weitermachst, laufe ich noch rot an«, bemerkte Niridia.

Ich schwieg wie gewohnt.

»Das ist mein Ernst«, sagte Alosa. »Also, passt gut auf, dass euch nie etwas Schlimmes passiert.«

Niridia gestikulierte mit ihrem Arm, der immer noch in einer Schlinge steckte. »Ich könnte vorbringen, dass das deine Schuld war.«

Alosa verzog das Gesicht und für diesen Kommentar hätte ich Niridia am liebsten eine verpasst.

»Das war nur ein Witz, Alosa«, stellte Niridia klar. »Der Piratenkönig ist weg, und wir können alles, was er getan hat, hinter uns lassen.«

Aber Niridia litt immer noch unter den Folgen zweier Schusswunden, die sie während des Wettrennens mit dem König zum Sirenenschatz hatte einstecken müssen. Ihre Verletzungen waren schwer zu übersehen, solange sie die Verbände trug.

Alosa starrte in die Flammen. »Wir werden dieses Reich zu einem besseren machen, als er es je hätte schaffen können.«

»Weil es jetzt dein Reich ist«, sagte Mandsy. »Und du bist besser, als er es je gewesen ist.«

»Nein, weil es mit der Kraft hart arbeitender, guter Frauen erbaut wird. Piraten, die Ehre und Stärke höher schätzen als alles andere.«

»Und Gold«, flüsterte Niridia.

Alosa schüttelte den Kopf. »Solange ihr drei ein Beispiel für alle anderen setzt, weiß ich, dass alles gut laufen wird. Ihr seid das Beste an mir.«

»Ich erinnere mich nicht, dich je so rührselig erlebt zu haben, Captain«, sagte Mandsy.

»Ich meine das ernst. Ihr seid das Beste an mir. Du, Mandsy, bist ein Segen für mich.«

Als Heilerin und Piratin teilt Mandsy Hilfe und Tod gleichermaßen effizient aus. Segen ist genau die passende Bezeichnung für sie.

»Niridia«, fuhr Alosa fort. »Du bist die Gerechtigkeit.«

Niridia ist ausgleichend und vernünftig, mehr als jeder andere, den ich kenne. Ich fand, Alosa hatte sie ziemlich passend beschrieben. Und dann richtete sie ihren Blick auf mich.

»Und du, Sorinda, du bist die Rache.«

Schweigen kehrte ein.

»Vergesst das nie«, sagte Alosa dann. »Vergesst nie, wie wertvoll ihr für mich seid.«

Während ich nun die Seite des Zweimasters anstarre, als ich die Strickleiter hinaufklettere, erkenne ich, dass Alosa meinen Namensvorschlag beherzigt hat. In kühnen schwarzen Lettern hat jemand Vengeance – Rache – an den Rumpf gepinselt. Ich nehme an, damit muss ich mich nun abfinden, womit ich nicht sagen will, dass es ein schlechter Name wäre.