Dead - Alex Cross 13 - - James Patterson - E-Book

Dead - Alex Cross 13 - E-Book

James Patterson

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Beschreibung

Auge um Auge, Blut für Blut …

Zwei kaltblütige Psychopathen, ein Ziel: Alex Cross muss sterben! Der 13. Fall für den weltberühmten Profiler Alex Cross.

Washington D.C. ist geschockt und fasziniert von einem Mörder, der seine Taten spektakulär und mit größtmöglichem Publikum in Szene setzt. In Colorado plant ein anderes kriminelles Superhirn in einem Hochsicherheitsgefängnis seine triumphale Rückkehr in die Freiheit. Beide Psychopathen haben einen Mann im Fadenkreuz: den Profiler Alex Cross. Sie spielen ein Katz-und-Maus-Spiel, eiskalt, rachsüchtig, medienwirksam. Sie halten sich für diabolischer, als alle anderen Massenmörder je zuvor. Und sie sind sich ihrer Sache sehr sicher. Zu sicher?

Ein diabolischer Thriller mit höchstem Blutgerinnungsfaktor - noch nie hat Patterson die Spannung gnadenloser auf die Spitze getrieben!

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Seitenzahl: 414

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Inhaltsverzeichnis
 
Autor
Widmung
Prolog
 
Erster Teil - Die ganze Welt ist eine Bühne
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
 
Copyright
Buch
Gerade als Alex Cross hoffte, dass mit seinem Rückzug in eine Privatpraxis sein Leben etwas ruhiger würde, da wird er brutal zurück ins Mörderspiel gerissen. Ganz Washington D.C. ist geschockt und fasziniert von einem Serienmörder, der das größtmögliche Publikum für seine bizarren Inszenierungen braucht. Profiler Alex Cross und seine Freundin Detective Bree Stone analysieren jeden kleinsten Hinweis auf den Psychopathen, der aber eine perfekte Performance abliefert. Sein Profil zeigt nur eine Schwäche: Er will Ruhm! Größeren Ruhm als jeder andere Massenmörder zuvor. Mehr sogar als sein Idol: Kyle Craig. Im Hochsicherheitsgefängnis von Colorado plant dieser seit vier Jahren das Unmögliche: seinen Ausbruch, um sich an einem Mann zu rächen, der vom Freund zum Todfeind wurde: Alex Cross. Und er ist sich seiner
Sache sehr, sehr sicher...
Autor
James Patterson, geboren 1949, war Kreativdirektor bei einer großen amerikanischen Werbeagentur. Seine Thriller um den Kriminalpsychologen Alex Cross machten ihn zu einem der erfolgreichsten Bestsellerautoren der Welt. Inzwischen erreicht auch jeder Roman seiner neuen packenden Thrillerserie um Lieutenant Lindsay Boxer und den »Women’s Murder Club« regelmäßig die Spitzenplätze der internationalen Bestsellerlisten. James Patterson lebt mit seiner Familie in Palm Beach und
Westchester, N.Y.
 
Weitere Informationen finden Sie unter: www.jamespatterson.com
Liste lieferbarer Titel
Die Alex-Cross-Romane: Stunde der Rache (7; 35892) · Mauer des Schweigens (8; 35988) · Vor aller Augen (9; 36167) · Und erlöse uns von dem Bösen (10; 36232) · Ave Maria (11; 36406) ·
Blood (12; 36855)
 
Der Women’s Murder Club:
Der 1. Mord (36919) · Die 2. Chance (36920) · Der 3. Grad (36921) ·
Die 4. Frau (36756) · Die 5. Plage (37037) ·
Die 6. Geisel (geb. Ausgabe, Limes Verlag 2543)
Für Kyle Craig, den wahren Kyle, einen der aufrechtesten Menschen überhaupt und guten Freund.
Prolog
Dir zu Ehren

1

Bei der förmlichen Urteilsverkündung in Alexandria, Virginia, wegen elffachen Mordes bekam der ehemalige FBI-Agent und Serienmörder Kyle Craig, genannt das Superhirn, von der US-Bezirksrichterin Nina Wolff eine herablassende Gardinenpredigt zu hören. So fasste er zumindest die richterliche Schelte auf: als eindeutige persönliche Kränkung, die er sich sehr zu Herzen nahm.
»Mr Craig, Sie sind in jeder nur denkbaren Hinsicht das bösartigste menschliche Wesen, das mir in diesem Gerichtssaal je gegenübergestanden hat, und ich habe schon etliche abscheuliche Charaktere …«
Craig unterbrach sie. »Ganz herzlichen Dank, Frau Richterin. Ich fühle mich von Ihren freundlichen und, dessen bin ich mir gewiss, wohl bedachten Worten geehrt. Wer wäre nicht erfreut, der Beste zu sein? Fahren Sie fort, bitte. Das ist Musik in meinen Ohren.«
Die Richterin Wolff nickte bedächtig, dann fuhr sie fort, als hätte Craig kein Wort gesagt.
»Als Wiedergutmachung für die unaussprechlichen Morde und die vielen Misshandlungen, die Sie begangen haben, verurteile ich Sie hiermit zum Tode. Die Zeit bis zum Vollzug der Strafe werden Sie in einem Hochsicherheitsgefängnis zubringen. Dort müssen Sie auf sämtliche normalen zwischenmenschlichen Kontakte verzichten. Sie werden niemals wieder die Sonne sehen. Schafft ihn mir aus den Augen!«
»Sehr dramatisch«, rief Kyle Craig der Richterin Wolff zu, während er aus dem Gerichtssaal geführt wurde. »Aber Sie irren sich gewaltig. Sie haben sich soeben selbst zum Tod verurteilt.
Ich werde die Sonne sehr wohl wieder sehen, und dann werde ich Sie sehen, Frau Richterin Wolff. Darauf können Sie Gift nehmen. Ich werde auch Alex Cross wieder sehen. Mit Sicherheit werde ich Alex Cross wieder sehen. Und seine reizende Familie. Ich gebe Ihnen mein Wort, mein feierliches Versprechen vor dieser versammelten Zeugenschar, diesem jämmerlichen Publikum aus sensationslüsternen Gaffern und Pressehyänen und allen anderen, die mich heute mit ihrer Anwesenheit beehren. Kyle Craig wird euch keine Ruhe lassen.«
Im Auditorium, inmitten der »sensationslüsternen Gaffer und Pressehyänen«, saß auch Alex Cross. Er hörte die leeren Drohungen seines einstigen Freundes. Er konnte nur hoffen, dass das Hochsicherheitsgefängnis in Florence wirklich so sicher war, wie es angeblich sein sollte.

2

Auf den Tag genau vier Jahre später saß, oder besser ausgedrückt, schmorte Kyle Craig noch immer im Hochsicherheitsgefängnis in Florence, Colorado, rund hundertsechzig Kilometer von Denver entfernt. Während der ganzen Zeit hatte er die Sonne kein einziges Mal gesehen. Er hatte so gut wie keine menschlichen Kontakte gehabt. Seine Wut wurde größer, trieb Blüten, und das war, wenn man es sich recht überlegte, eine fürchterliche Vorstellung.
Zu seinen Mitgefangenen gehörten unter anderem der »Unabomber« Ted Kaczynski, der Drahtzieher des Bombenattentats von Oklahoma City, Terry Nichols, sowie die Al-Kaida-Terroristen Richard Reid und Zacarias Moussaoui. Auch sie hatten in letzter Zeit nicht viel Sonnencreme gebraucht. Die Gefangenen waren dreiundzwanzig Stunden am Tag in schalldichten, zwei mal vier Meter großen Betonzellen eingesperrt, vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, sieht man von ihren Rechtsanwälten und den Wachen ab. Irgendjemand hatte die Erfahrung der Einsamkeit im Hochsicherheitsgefängnis von Florence einmal als ein »tagtägliches Sterben« bezeichnet.
Sogar Kyle musste zugeben, dass die Flucht aus Florence eine beängstigende Herausforderung und vielleicht sogar unmöglich war. Um die Wahrheit zu sagen: Noch nie war sie einem Insassen geglückt, noch nicht einmal ansatzweise. Und doch konnte man hoffen, man konnte träumen, man konnte tüfteln und gelegentlich ein wenig die Fantasie bemühen. Man konnte auf jeden Fall eine kleine Revanche planen.
Sein Fall war derzeit im Revisionsverfahren, und er bekam einmal in der Woche Besuch von Mason Wainwright, seinem Anwalt aus Denver. Auch heute kam er wieder pünktlich um 16 Uhr, so wie jedes Mal.
Mason Wainwright trug einen langen, silbergrauen Pferdeschwanz, abgewetzte schwarze Cowboystiefel und einen keck in den Nacken geschobenen Cowboyhut, dazu eine Wildlederjacke, einen Gürtel aus Schlangenleder sowie eine große Hornbrille, die ihn wie einen gebildeten Country-and-Western-Sänger oder aber wie einen College-Professor mit einer Schwäche für Country and Western aussehen ließ, je nachdem. Für einen Rechtsanwalt war er wirklich eine ziemlich merkwürdige Erscheinung, aber Kyle Craig eilte der Ruf der Genialität voraus, und so wurde seine Entscheidung für Wainwright von niemandem ernsthaft in Frage gestellt.
Craig und Wainwright umarmten sich zur Begrüßung. Wie jedes Mal flüsterte Kyle dabei dem Rechtsanwalt ins Ohr: »Hier drin sind keine Videoaufnahmen gestattet, richtig? Diese Vorschrift ist immer noch in Kraft? Sind Sie sicher, Mr Wainwright?«
»Keine Videoaufnahmen«, erwiderte Wainwright. »Selbst hier in diesem erbärmlichen Höllenloch gilt das Anwaltsgeheimnis. Ich bedaure, dass ich nicht mehr für Sie tun kann. Ich möchte mich wirklich aufrichtig dafür entschuldigen. Sie wissen, was ich für Sie empfinde.«
»Ihre Loyalität steht für mich außer Frage, Mason.«
Im Anschluss an die Umarmung setzten sich Craig und der Rechtsanwalt einander an einen grauen Metalltisch, der fest im Betonboden verankert war, gegenüber. Auch die Stühle standen unverrückbar.
Jetzt richtete Kyle acht gezielte Fragen an den Anwalt, immer dieselben Fragen, Woche für Woche. Er stellte sie in schneller Folge, ohne seinem Rechtsbeistand Zeit für eine Antwort zu lassen. Dieser saß in respektvollem Schweigen da.
»Truman Capote, der große Tröster aller eingekerkerten Massenmörder, hat einmal gesagt, dass er sich vor zwei Dingen und nur vor diesen beiden Dingen fürchtet. Also was ist schlimmer, verraten oder verlassen zu werden?«, begann Kyle Craig, um sofort zur nächsten Frage überzugehen.
»Wann haben Sie sich zum allerersten Mal gezwungen, nicht zu weinen, und wie alt waren Sie da?«
Und dann: »Verraten Sie mir mal, Herr Rechtsanwalt, wie lange dauert es im Durchschnitt, bis ein Ertrinkender das Bewusstsein verliert?
Was mich neugierig macht: Finden Morde eigentlich überwiegend im Inneren oder im Freien statt?
Warum gilt Lachen bei Beerdigungen als anstößig, während man bei Hochzeiten ungestraft weinen darf?
Kann man eine Hand auch dann noch klatschen hören, wenn man alles Fleisch von ihr entfernt hat?
Auf wie viele Arten kann man eine Katze häuten, wenn man will, dass sie während der ganzen Prozedur am Leben bleibt?
Und, ach ja, was machen eigentlich meine Boston Red Sox?«
Dann herrschte Schweigen zwischen Kyle und dem Rechtsanwalt. Gelegentlich stellte der verurteilte Mörder noch ein paar weiterführende Fragen - irgendwelche Einzelheiten über die Red Sox zum Beispiel oder die New York Yankees, die er abgrundtief hasste, oder über irgendeinen interessanten Killer, der draußen gerade am Werk war und von dem ihm sein Rechtsanwalt berichtet hatte.
Bevor Mason Wainwright den Raum verließ, folgte noch eine zweite Umarmung.
Den Mund an Kyles Wange gelegt, flüsterte der Rechtsanwalt: »Es ist alles bereit. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. In Washington, D.C., werden bedeutende Dinge geschehen, schon bald. Die Rache ist nahe. Wir rechnen mit einem großen Publikum. Alles dir zu Ehren.«
Kyle Craig nahm diese Neuigkeiten wortlos zur Kenntnis, doch er legte die beiden Zeigefinger zusammen und drückte sie fest an den Schädel des Rechtsanwaltes. Sehr fest drückte er zu und hinterließ einen eindeutigen Abdruck, der ohne Umwege direkt in Mason Wainwrights Gehirn übertragen wurde.
Die beiden Zeigefinger hatten ein Kreuz geformt.
Erster Teil
Die ganze Welt ist eine Bühne
1
Washington, D.C.
In der ersten Geschichte, einem Thriller, geht es um einen irakischen Soldaten und eine Krimiautorin. Der Soldat beobachtete ein zwölfstöckiges Gebäude mit Luxusapartments, er dachte: So leben also die Reichen und Berühmten. Im besten Fall bescheuert und auf jeden Fall sehr gefährlich.
Dann ging er Punkt für Punkt seine Liste durch und überprüfte, wie er in das Gebäude eindringen konnte.
Der Dienstboteneingang auf der Rückseite des luxuriösen Apartmenthauses namens Riverwalk wurde von den Bewohnern praktisch gar nicht benutzt, nicht einmal von ihren trägen Lakaien. Er lag deutlich abgeschiedener als der Haupteingang oder die Tiefgarage und war auch deutlich verwundbarer.
Eine einzige, verstärkte Tür ohne zusätzliche, von außen erkennbare Sicherungsmaßnahmen. Der Türrahmen war rundherum mit einem Alarmdraht versehen.
Jeder Versuch eines gewaltsamen Eindringens würde gleichzeitig Alarm in der Riverwalk-Zentrale und bei einem nur wenige Querstraßen entfernt angesiedelten, privaten Sicherheitsdienst auslösen.
Fest montierte Kameras überwachten bei Tag sämtliche Lieferungen und andere Aktivitäten.
Nach 19 Uhr war die Benutzung des Eingangs verboten. Dann wurden auch die Bewegungsmelder scharf geschaltet.
Der Soldat war überzeugt, dass all das ihm keine Probleme bereiten würde. Im Gegenteil, es brachte ihm sogar eher einen Vorteil.
Yousef Qasim hatte zwölf Jahre lang als Captain des irakischen Geheimdienstes unter Saddam Hussein gedient. Er besaß einen siebten Sinn für alles, was mit der Illusion der Sicherheit zusammenhing. Qasim konnte erkennen, was die Amerikaner nicht erkannten, dass sie nämlich durch ihre Technologie-Verliebtheit selbstgefällig und für Gefahren blind wurden. Der beste Weg ins Riverwalk war gleichzeitig auch der einfachste.
Die Antwort lag im Müll. Qasim wusste, dass er regelmäßig jeden Montag-, Mittwoch- und Freitagnachmittag nach draußen gestellt wurde. Die amerikanische Effizienz, die hierzulande so hoch geschätzt wurde, war ebenfalls eine der großen Schwächen des Luxusgebäudes.
Effizienz bedeutet Vorhersehbarkeit.
Vorhersehbarkeit bedeutet Schwäche.
2
Wie auf Kommando wurde um 16.34 Uhr die Tür des Dienstboteneingangs von innen geöffnet. Ein groß gewachsener, schwarzer Lakai in einem fleckigen, grünen Overall und mit einem silberfarbenen Afro machte eine Kette, die an der Innenseite der Tür befestigt war, an einem Wandhaken außerhalb fest. Der mit Müllbeuteln aus Plastik voll geladene Rollwagen war zu breit und passte nicht durch die Tür.
Mit trägen Bewegungen schleppte der Mann immer zwei Säcke gleichzeitig zu zwei Müllcontainern am hinteren Ende einer überdachten Laderampe.
Dieser Mann ist immer noch ein Sklave der Weißen, dachte Qasim. Schau ihn dir an - dieses erbärmliche Schlurfen, der gesenkte Blick. Er weiß es selbst. Er hasst seinen Job, und er hasst die widerlichen Leute im Riverwalk.
Qasim schaute genau zu und zählte. Zwölf Schritte von der Tür bis zum Container, neun Sekunden, um die Müllsäcke hineinzuwerfen, dann wieder zurück.
Beim dritten Mal schlüpfte Qasim im Rücken des Mannes unbemerkt ins Haus. Falls sich die Kamera durch seine Mütze und den grünen Overall nicht täuschen ließ, dann war das nicht weiter schlimm. Bis irgendjemand sich aufmachen und die Sicherheitslücke genauer untersuchen würde, war er längst wieder über alle Berge.
Ohne Mühe entdeckte er die spärlich beleuchtete Hintertreppe. Vorsichtig erklomm Qasim den ersten Absatz, dann nahm er die nächsten drei im Laufschritt. Durch das Laufen wurde das aufgestaute Adrenalin freigesetzt, und das war gut so, damit er sich wieder ganz unter Kontrolle hatte.
Auf dem Absatz im vierten Stock befand sich ein leer stehender Putzmittelschrank. Dort verstaute er den mitgebrachten Kleidersack und lief bis in den zwölften Stock hinauf.
Keine dreieinhalb Minuten nach dem Betreten des Luxushauses stand er vor der Eingangstür zum Apartment 12F. Er suchte den richtigen Standort in Relation zum Türspion. Sein Finger schwebte über dem weißen, in den gestrichenen Backstein eingelassenen Klingelknopf.
Dabei beließ er es. Heute klingelte er nicht.
Lautlos machte er auf dem Absatz kehrt und verließ das Haus auf dem Weg, auf dem er auch hereingekommen war. Wenige Minuten später stand er draußen auf der belebten Connecticut Avenue.
Die Probe war ziemlich gut gelaufen. Er hatte keine entscheidenden Schwachstellen bemerkt und keine Überraschungen erlebt. Jetzt ließ sich Qasim im feierabendlichen Fußgängerstrom dahintreiben. In dieser Herde war er nicht zu erkennen, unsichtbar, genau wie es sein musste.
Er empfand keine Ungeduld, was die Hinrichtung im zwölften Stock anging. Zeit spielte für ihn keine Rolle. Die Vorbereitung, der richtige Zeitpunkt, der Abschluss, der Erfolg: Das waren die Dinge, auf die es ankam.
Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, dann wäre Yousef Qasim bereit, seine Rolle zu spielen.
Ein Amerikaner nach dem anderen käme dran.
3
Ich war schon seit einer ganzen Weile nicht mehr bei der Polizei. Und bis jetzt hatte ich damit auch keine Probleme.
Ich lehnte mit dem Rücken an der Küchentür, nippte an einem Becher mit Nanas Kaffee und überlegte, ob es womöglich an unserem Wasser lag, jedenfalls war klar: Meine drei Kinder wurden viel zu schnell groß. Im Handumdrehen sozusagen. Entweder kann man den Gedanken, dass die Kinder irgendwann das Haus verlassen, nicht ertragen, oder man kann es nicht erwarten. Ich gehörte eindeutig und entschieden zum ersten Lager.
Mein Jüngster, Alex junior - Ali - kam demnächst in die Vorschule. Er war außerdem ein ziemlich gerissenes Kerlchen, der eigentlich nie den Mund hielt, es sei denn, man wollte wirklich etwas von ihm wissen. Zu seinen Leidenschaften gehörten derzeit Tiersendungen, das Baseball-Team der Washington Nationals, die Michael-Jordan-Biographie Salt in His Shoes und alles, was irgendwie mit dem Weltall zu tun hatte, darunter auch eine sehr merkwürdige Fernsehserie mit dem Titel Gigantor und einer noch merkwürdigeren Titelmelodie, die ich einfach nicht mehr aus dem Kopf bekam.
Meine knapp dreizehnjährige Tochter Jannie hatte angefangen, ihrem dünnen Mädchenkörper die ersten zarten Rundungen hinzuzufügen. Sie war unsere Künstlerin und Schauspielerin und belegte Kurse im Rahmen eines von der Stadt Washington geförderten Malprojektes.
Und schließlich Damon, der gerade die Marke von einem Meter fünfundachtzig erreicht hatte und sich auf die Highschool freute. Bis jetzt hatte er noch nicht angefangen, irgendwelche Schreie, Brülllaute oder Flüche von sich zu geben, er schien seine Umgebung überhaupt etwas rücksichtsvoller zu behandeln als seine Altersgenossen. Damon wurde sogar von einigen »Prep-Schools« - Privatschulen mit besonders anspruchsvollen Lehrplänen - umworben. Besonders hartnäckig machte sich eine Schule aus Massachusetts bemerkbar.
Auch bei mir befand sich vieles im Umbruch. Meine psychotherapeutische Privatpraxis lief recht gut. Zum ersten Mal seit Jahren stand ich ganz offiziell nicht mehr im Dienst der Strafverfolgungsbehörden. Ich gehörte nicht mehr dazu.
Nun ja, zumindest fast nicht. Es gab da eine gewisse Brianna Stone in meinem Leben, Detective Brianna Stone, auch bekannt als »der Felsblock«, wenn man sich mit ihren Kollegen und Untergebenen aus dem Morddezernat über sie unterhielt. Bree und ich hatten uns auf der Abschiedsfeier eines gemeinsamen Bekannten kennen gelernt, eines Polizisten, der sich in den Ruhestand verabschiedet hatte. Die erste halbe Stunde an jenem Abend haben wir über unsere Arbeit geredet und die nächsten paar Stunden dann über uns - zum Teil auch über sehr merkwürdige Dinge wie ihren Schlagzyklus als Paddlerin eines Drachenboot-Teams. Am Ende des Abends musste ich eigentlich gar nichts mehr sagen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann war wahrscheinlich sie diejenige, die etwas gesagt hat. Dann führte eines zum anderen, und ich ging an diesem Abend mit Bree nach Hause. Wir haben nie wieder einen Gedanken daran verschwendet, wie es dazu gekommen ist. Na ja, ich glaube, dass Bree mich an jenem Abend gefragt hat, ob ich noch mit zu ihr komme.
Bree hatte sich absolut im Griff, sie besaß eine enorme Stärke, die ausschließlich positiv und in keiner Weise negativ war. Dazu kam, dass sie einen ganz natürlichen Zugang zu den Kindern zu haben schien. Sie waren verrückt nach ihr. Gerade eben jagte sie Ali im Olympiasiegertempo durch das Erdgeschoss unseres Hauses in der Fifth Street und brüllte, als wäre sie tatsächlich der Kinder verschlingende Alien, der sie vorgab zu sein, während Ali sie mit einem Star-Wars-Laserschwert in Schach hielt. »Dieses Schwert kann mir nichts anhaben«, rief sie. »Gleich spürst du den Geschmack des Teppichs auf deinen Lippen!«
Bree und ich hielten uns an diesem Morgen nicht allzu lange in der Fifth Street auf. Um ehrlich zu sein... wären wir länger dort geblieben, ich hätte mich höchstwahrscheinlich gezwungen gesehen, sie nach oben zu locken, um ihr meine nicht existierende Briefmarkensammlung zu zeigen oder vielleicht mein Laserschwert.
Zum ersten Mal, seit wir zusammen waren, hatten wir es geschafft, unsere Dienstpläne so zu gestalten, dass wir ein paar Tage gemeinsam wegfahren konnten. Ich ging zur Haustür hinaus und sang dabei laut die letzten Zeilen von Stevie Wonders allererstem Hit »Fingertips Part 2«: »Good-bye, good-bye. Good-bye, good-bye. Good-bye, good-bye, good-bye.« Ich kannte den ganzen Text auswendig, eine meiner herausragenden Begabungen.
Ich zwinkerte Bree zu und kniff sie in die Wange. »Man sollte sie immer mit einem Lachen zurücklassen«, sagte ich.
»Oder zumindest verwirrt«, erwiderte sie und zwinkerte ebenfalls.
Unser Ziel, der Catoctin Mountain Park in Maryland, befindet sich im Osten der Appalachen, nicht allzu weit von Washington entfernt … und auch nicht zu dicht daran. Die Catoctin Mountains sind wahrscheinlich in erster Linie deshalb bekannt, weil sich dort Camp David befindet, das Wochenendrefugium der US-Präsidenten. Bree kannte einen Campingplatz, der auch gewöhnlichen Sterblichen wie uns zugänglich war. Ich konnte es kaum erwarten, endlich da und mit ihr alleine zu sein.
Je weiter wir nach Norden kamen, desto mehr konnte ich geradezu spüren, wie das Dröhnen der Hauptstadt aus meinem Schädel wich. Die Fenster meines Mercedes R 350 waren heruntergelassen, und ich genoss die Fahrt in diesem wunderbaren Fahrzeug. Der beste Kauf, den ich seit Langem gemacht hatte. Aus der Stereoanlage drang die klagende Stimme des bereits verstorbenen, großen Jimmy Cliff. Das Leben war ziemlich schön im Augenblick. Kaum zu überbieten.
Während wir so dahinzischten, fragte Bree: »Warum dieser Mercedes?«
»Er ist bequem, stimmt’s?«
»Sehr bequem.«
Ich trat aufs Gas. »Leichtfüßig, schnell.«
»Okay, ich hab’s kapiert.«
»Aber was das Wichtigste ist: Er ist sicher. Ich habe in meinem Leben schon genügend gefährliche Situationen erlebt. Das muss ich nicht auch noch haben, wenn ich auf der Straße unterwegs bin.«
An der Einfahrt zum Nationalpark, wo wir den Stellplatz bezahlen mussten, beugte sich Bree über mich hinweg und sagte zu dem Parkaufseher: »Vielen Dank. Wir werden Ihrem Park mit großem Respekt begegnen.«
»Was sollte das denn?«, fragte ich sie, als wir weiterfuhren.
»Was soll ich machen, ich bin eben Umweltschützerin.«
Der Zeltplatz war ganz eindeutig spektakulär und hatte unseren gesamten Respekt wahrlich verdient. Er befand sich auf einer kleinen Landzunge, die von drei Seiten mit blau schimmerndem Wasser umgeben war, während sich dahinter nichts als dichter, grüner Wald erhob. In weiter Ferne war der Chimney Rock zu sehen, der Felsen, zu dem wir am nächsten Tag wandern wollten. Was jedoch nirgendwo zu sehen war, das waren andere Menschen.
Nur der eine, auf den es mir ankam. Bree, die ganz zufälligerweise die aufregendste Frau war, die ich jemals kennen gelernt hatte. Allein ihr Anblick genügte, um mich in Fahrt zu bringen, vor allem in der Einsamkeit dort draußen.
Sie legte ihre Arme um meine Hüften. »Was könnte schöner sein als das hier?«
Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was uns das Wochenende in den Wäldern hätte vermiesen können.
4
Die Geschichte, der Thriller, geht weiter. Achtundvierzig Stunden nach der Probe, einem reibungslosen Durchlauf, kehrte Yousef Qasim in das Riverwalk-Apartmenthaus mit seinen reichen und sorglosen amerikanischen Bewohnern zurück.
Doch dieses Mal war es keine Übung, dieses Mal war es ernst, und sein Magen fühlte sich ein wenig unruhig an. Heute war wirklich ein großer Tag für ihn und für seine Sache.
Wie bestellt ging um 16.34 Uhr die Tür zum Dienstboteneingang auf, und derselbe groß gewachsene, schwarze Müllsackschlepper schleifte lethargisch seine Müllsäcke an den Straßenrand. Der gute alte Onkel Tom, dachte Qasim. Immer noch in Ketten. In Amerika ändert sich eben im Grunde genommen gar nichts, nicht wahr? Nicht in Hunderten von Jahren.
Keine fünf Minuten später stand Qasim oben im zwölften Stock vor der Wohnungstür einer Frau namens Tess Olsen.
Dieses Mal klingelte er. Zweimal. So lange hatte er auf diesen einen Augenblick gewartet - Monate, vielleicht sogar sein ganzes Leben lang, wenn er ehrlich war.
»Ja?« Hinter dem Türspion von Apartment 12F tauchte Tess Olsens Auge auf. »Wer ist da?«
Yousef Qasim stellte sich so hin, dass sie seinen Overall und die Mütze mit der Aufschrift MO sehen konnte. Für diese Frau - die von Berufs wegen sehr auf Details achten musste - war er garantiert nur einer von vielen dunkelhäutigen Handwerkern. Schließlich war sie eine bekannte Krimiautorin, das war wichtig für die Geschichte. Ein entscheidendes Detail.
»Mrs Olsen. In Ihre Wohnung ist Gasleck. Hat Biero Ihnen angerufen?«
»Wie bitte? Können Sie das wiederholen?«
Er hatte einen unglaublich starken Akzent, die englische Sprache schien die reinste Folter für ihn zu sein. Er sprach langsam, wie eine Art Idiot. »Gasleck? Bitte, Madam? Ich Leck reparieren? Hat angerufen jemand? Sagen, dass ich kommen?«
»Ich bin gerade erst nach Hause gekommen. Hier hat niemand angerufen«, erwiderte sie. »Davon weiß ich nichts. Ich glaube nicht, dass jemand eine Nachricht hinterlassen hat. Aber vielleicht kann ich ja kurz nachschauen.«
»Ich sollen später wiederkommen? Dann Gasleck reparieren? Sie riechen Gas?«
Die Frau seufzte mit der unverhüllten Verdrossenheit eines Menschen, der zu viele banale Dinge zu erledigen und zu wenig helfende Hände zur Verfügung hat. »Also gut, in Gottes Namen«, sagte sie. »Dann kommen Sie eben rein. Aber beeilen Sie sich. Das ist wieder mal genau der richtige Zeitpunkt. Ich muss mich noch umziehen, und in zwanzig Minuten muss ich schon wieder los.«
Als er den Türriegel aufschnappen hörte, machte Yousef Qasim sich bereit. In dem Augenblick, in dem die Frau die Tür einen Spalt weit geöffnet hatte und er beide Augen sehen konnte, stürmte er los.
Extreme Gewaltanwendung war in diesem Fall im Grunde genommen überflüssig, erwies sich aber doch als sehr nützlich. Tess Olsen stolperte mehrere Schritte nach hinten und landete dann auf dem Rücken. Dabei verlor sie ihre hochhackigen Pumps, und leuchtend rote Zehennägel und lange, knochige Füße kamen zum Vorschein.
Noch bevor der Schreck und die Überraschung so weit gewichen waren, dass sie hätte schreien können, hatte Qasim sich auf sie gestürzt und sich mit seinem ganzen Gewicht auf ihren Brustkorb gelegt. Das rechteckige Stück Paketband, das er sich an das Hosenbein geklebt hatte, landete schnell auf dem Mund der Frau. Er zog das Klebeband sehr stramm, um ihr zu zeigen, dass er es ernst meinte und dass es dumm von ihr wäre, sich zu wehren.
»Ich will dir nichts tun«, sagte er. Die erste von vielen Lügen.
Dann drehte er sie auf den Bauch, holte eine rote Hundeleine aus seiner Tasche und legte sie ihr um den Hals. Die Leine war ein entscheidender Teil des Plans. Sie bestand zwar nur aus billigem Nylongewebe, war aber trotzdem bei Weitem stabil genug.
Die Leine war ein Hinweis und zwar der erste von mehreren, die er hier für die Polizei und alle, die sonst noch Interesse entwickeln sollten, hinterlassen würde.
Die Frau war vielleicht vierzig Jahre alt, besaß blond gefärbte Haare und war nicht besonders stark, obwohl sie allem Anschein nach regelmäßig ins Fitnessstudio ging, um schlank zu bleiben.
Jetzt zeigte er ihr etwas. Ein Teppichmesser! Sieht sehr unangenehm aus. Überzeugend.
Ihre Augen weiteten sich.
»Steh auf, du feiges Stück«, sagte er, den Mund dicht an ihrem Ohr. »Oder ich schneide dir das Gesicht in Scheiben.« Er wusste, dass der weiche Tonfall eine bedrohlichere Wirkung hatte als alles Schreien. Auch die Tatsache, dass sein Englisch schlagartig besser geworden war, dürfte sie zusätzlich in Verwirrung und Angst stürzen.
Als sie aufstehen wollte, packte er sie überraschend und mit festem Griff an ihrem dürren Genick. Er ließ sie auf der Stelle erstarren - immer noch auf allen vieren.
»Das reicht schon, Mrs Olsen. Keine Bewegung, keinen Zentimeter mehr. Ganz ruhig bleiben, ganz ruhig. Ich nehme jetzt das Teppichmesser.«
Ihr teures, schwarzes Kleid fiel zu Boden, als er es den Rücken entlang aufschnitt. Jetzt fing sie an unkontrolliert zu zittern und versuchte, trotz des Knebels zu schreien. Unbekleidet war sie hübscher - fest, irgendwie ganz attraktiv, wenn auch nicht für ihn.
»Keine Sorge. Ich mach’s nicht wie die Hunde. Jetzt gehen Sie vorwärts, auf allen vieren. Tun Sie, was ich sage! Das ist doch bestimmt nicht zu viel verlangt.«
Ihre Reaktion bestand lediglich in einem Stöhnen. Erst ein Absatztritt in den Hintern machte ihr klar, was jetzt von ihr erwartet wurde.
Dann fing sie endlich an zu krabbeln.
»Und, wie gefällt Ihnen das?«, wollte er wissen. »Spannung. Ist das nicht das, worüber Sie schreiben? Deshalb bin ich hier, müssen Sie wissen. Weil Sie in Ihren Büchern Verbrechen beschreiben. Schaffen Sie es, das hier aufzuklären?«
Langsam kamen sie durch die Küche und das Esszimmer und dann in ein weitläufiges Wohnzimmer. Eine ganze Wand bestand nur aus Büchern, viele davon ihre eigenen. Eine gläserne Schiebetür am hinteren Ende des Zimmers führte auf eine Terrasse hinaus, auf der schmucke Gartenmöbel und ein glänzender, schwarzer Grill standen.
»Meine Güte, so viele Bücher! Ich bin schwer beeindruckt. Das alles haben Sie geschrieben? Sogar ausländische Ausgaben! Übersetzen Sie die eigentlich selbst? Aber nein, natürlich nicht! Amerikaner sprechen ja nur Englisch.«
Qasim zog einmal heftig an der Leine, und Mrs Olsen kippte zur Seite.
»Sie rühren sich nicht von der Stelle. Liegenbleiben! Ich habe etwas zu erledigen. Hinweise zu platzieren. Sogar Sie sind ein Hinweis, Mrs Tess Olsen. Sind Sie schon dahintergekommen? Haben Sie das Rätsel gelöst?«
Schnell hatte er das Wohnzimmer so hergerichtet, wie er es haben wollte. Dann kehrte er zu der Frau zurück. Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt und schien ihre Rolle mittlerweile kapiert zu haben.
»Sind Sie das? Auf diesem Bild da?«, wollte er unvermittelt und mit verblüffter Stimme wissen. »Das sind tatsächlich Sie.«
Qasim stieß sie mit dem Fuß am Kinn, damit sie seinem Blick folgte. Über dem mit kunstvollen Schnörkeln verzierten Sofa hing ein großes Ölporträt. Es zeigte Tess Olsen in einem langen, silbernen Umhang, ihre Hand ruhte auf einem polierten runden Tisch mit einem exquisiten Blumenarrangement. Ihre Miene war ernst und voll des ungerechtfertigten Stolzes.
»Das sieht Ihnen aber nicht besonders ähnlich. In Wirklichkeit sind Sie hübscher. Und reizvoller, ohne die Kleider«, sagte er. »Jetzt aber raus! Auf den Balkon. Bald sind Sie eine sehr berühmte Frau. Das verspreche ich Ihnen. Ihre Fans warten bereits.«
5
Nachdem Qasim noch einmal kräftig an der Leine gezogen hatte, kam Tess Olsen mühsam auf die Beine, streckte die Arme zu beiden Seiten aus und hatte endlich so weit das Gleichgewicht gefunden, dass sie wenigstens gehen konnte.
Das alles kam ihr so unwirklich vor. Zitternd ging sie rückwärts auf den Balkon, bis sie das Eisengeländer an ihrem unteren Rücken spürte.
Sie zitterte am ganzen Körper. Zwölf Stockwerke unterhalb schob sich der Feierabendverkehr die Connecticut Avenue entlang. Hunderte Fußgänger lenkten ihre Schritte über die Bürgersteige, meistens mit gesenktem Kopf und ohne zu wissen, was da oben im Riverwalk-Hochhaus gerade geschah. Es war ein perfektes Symbol für das Leben in Washington, D.C.
Yousef Qasim riss der Frau das Klebeband vom Mund.
»Und jetzt, schrei«, sagte er. »Schrei aus voller Kehle! Schrei, als hättest du vor Angst den Verstand verloren! Ich will, dass sie dich in ganz Virginia hören können! In Ohio! In Kalifornien!«
Doch stattdessen sprach die Frau ihn an, so hastig, dass es wirklich kaum zu verstehen war. »Bitte. Das muss bestimmt nicht sein. Ich kann Ihnen helfen. Ich habe sehr viel Geld. Sie können alles aus der Wohnung mitnehmen, was Sie wollen. Ich habe da auch einen Safe, im zweiten Schlafzimmer. Bitte, sagen Sie mir nur …«
»Was ich will, Mrs Tess Olsen«, sagte Qasim und hielt die Mündung einer Pistole direkt auf einen der diamantenen Stecker in einem ihrer Ohrläppchen gerichtet, »ist, dass Sie schreien. Sehr, sehr laut. Auf der Stelle! Aufs Stichwort, sozusagen. Haben Sie mich verstanden? Das ist doch eine ganz einfache Anweisung - schrei!«
Aber ihr Schreien war wenig mehr als ein Schluchzen, ein jämmerliches Wimmern, das vom Winde verweht wurde.
»Also gut«, sagte Qasim und packte die Frau an ihren nackten Beinen. »Dann machen wir’s eben auf deine Art!« Mit einem einzigen, kraftvollen Schwung hatte er sie über das Geländer gehievt, sodass sie nun mit dem Kopf nach unten hing.
Jetzt waren die Schreie plötzlich zu hören, hoch und schrill wie eine Alarmanlage. Tess Olsen suchte mit fliegenden Händen nach einem Halt, der schlicht und einfach nicht existierte.
Die rote Hundeleine wehte im Wind, wie ein Blutstrahl aus der Halsschlagader. Ein hübscher Effekt, wie im Film, dachte Qasim. Genau das, was er wollte. Alles Teil des Plans.
Sofort begann sich unten eine Menschenmenge zu versammeln. Die Leute blieben stehen und deuteten nach oben. Manche holten ihre Handys hervor und telefonierten. Andere nutzten die Telefone zum Fotografieren - pornographische Fotos, wenn sie auch nur einen Augenblick lang darüber nachgedacht hätten.
Schließlich zog Qasim Tess Olsen wieder übers Geländer und setzte sie auf den Balkon.
»Das hast du sehr gut gemacht«, sagte er und gab seiner Stimme einen weichen Klang. »Wunderbar gemacht, das meine ich wirklich ernst. Aber diese Leute mit den Kameras, ja, ist denn das zu glauben? In was für einer Welt leben wir eigentlich?«
Die nächsten Worte brachen wie ein Sturzbach aus ihr hervor. »Oh, lieber Gott, bitte, ich möchte nicht so sterben. Es muss doch etwas geben, was Sie haben wollen. Ich habe mein ganzes Leben lang niemandem etwas getan. Ich verstehe das alles einfach nicht! Bitte... hören Sie auf!«
»Wir werden sehen. Geben Sie die Hoffnung nicht auf. Tun Sie genau das, was ich Ihnen sage. Das ist das Beste.«
»Das mache ich. Ich versprech’s. Ich mache, was Sie sagen.«
Er beugte sich nach vorne und blickte auf die Connecticut Avenue und zu all den Leuten hinab.
Die Menge dort unten war größer und größer geworden. Ob die, die da mit ihren Handys telefonierten, wohl die Polizei anriefen oder vielleicht einfach jemanden, den sie beeindrucken oder ein bisschen kitzeln wollten? Du wirst nicht glauben, was ich hier gerade sehe. Hier, sieh mal!
Das Publikum würde auch nicht glauben, was es gleich noch zu sehen bekommen sollte. Niemand würde es glauben, und genau deshalb würden Millionen diese Bilder im Fernsehen verfolgen, immer und immer wieder.
Bis er diesen Mord mit seinem nächsten noch übertrumpfte.
»Dir zu Ehren«, flüsterte er. »Alles dir zu Ehren.«
6
»Du machst das Feuer«, schlug Bree vor, »und ich bringe unsere Suite auf Vordermann.«
Ich zuckte mit den Schultern und zwinkerte ihr zu. »Ich glaube … ähm … das Feuer brennt schon lichterloh. Ich weiß es sogar.«
»Geduld«, sagte Bree. »Das ist es wert. Ich bin es wert, Alex. Aber für den Augenblick sollten wir das alte Pfadfinder-Motto beherzigen: Die Vorbereitung ist alles, aber ohne Vorbereitung ist alles nichts.«
»Ich war nie bei den Pfadfindern«, erwiderte ich. »Für einen Pfadfinder bin ich viel zu scharf.«
»Geduld. Aber falls es dich interessiert: Ich bin auch scharf.«
Während ich mich also auf die Suche nach Feuerholz begab, holte Bree das restliche Gepäck aus dem Kofferraum. Die Sachen, die ich aus dem Dachkämmerchen zu Hause hervorgezerrt hatte, wirkten neben ihrer Ausrüstung wie Relikte aus einer längst vergangenen Ära. Schnell hatte sie ein ultraleichtes Zelt aufgebaut und legte dann eine Luftmatratze, eine Thermodecke und ein paar Gaslaternen hinein. Sie besaß sogar einen Wasserfilter, falls wir aus einem Gebirgsbach trinken wollten. Zum Schluss hängte sie ein kleines Windspiel in den Eingang. Wie hübsch.
Was mich anging, ich hatte zwei Hummerschwänze und zwei sehr schön durchwachsene, marinierte Lendensteaks in der Kühltasche liegen, die nur darauf warteten, auf den Grill gelegt zu werden. Zwar musste man hier draußen durchaus mit Schwarzbären rechnen, aber dehydriertes Essen kam für uns nicht in Frage.
»Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«, fragte ich, nachdem das Feuer lodernd Funken gen Himmel schleuderte. Bree hatte gerade ein großes Segeltuch von der Rückbank geholt, vermutlich um es als Sonnendach oder etwas Ähnliches zu verwenden.
»Ja, mach doch mal den Cabernet auf. Bitte, Alex. Jetzt haben wir’s fast geschafft.«
Als der Wein atmete, hatte Bree die Plane bereits an drei Ästen befestigt. Die Knoten ließen sich vom Boden aus lösen oder fester zurren, je nachdem, ob die Plane ein Stück höher oder tiefer hängen sollte.
»Wir müssen mit dem Essen vorsichtig sein«, sagte sie. »Luchse und Bären, du weißt schon. Es gibt hier in der Gegend tatsächlich Bären.«
»Das habe ich auch schon gehört.« Ich reichte ihr ein Glas. »Weißt du, du scheinst dich im Haushalt ja recht geschickt anzustellen.«
»Und du bist bestimmt ein guter Koch, da könnte ich wetten.«
Manchmal bekam ich Brees Worte gar nicht mit, weil ihre hinreißenden haselnussbraunen Augen mich viel zu sehr in ihren Bann zogen. Sie waren mir als Allererstes an ihr aufgefallen. Manche Menschen haben einfach fantastische Augen. Aber natürlich waren ihre Augen nicht das Einzige, was mir die Konzentration erschwerte. Im Augenblick, jedenfalls. Die Schuhe hatte sie bereits abgestreift, jetzt öffnete sie die Knöpfe an ihrer abgeschnittenen Jeans. Und an ihrer Bluse. Dann stand sie in blassblauem BH und Höschen vor mir. Ihre Augen, so wunderbar sie auch sein mochten, interessierten mich in diesem Augenblick nicht mehr.
Sie reichte mir ihr Glas. »Weißt du, was das Beste an diesem Örtchen ist?«
»Nicht so ganz, aber ich werde es bestimmt gleich rausfinden. Stimmt’s?«
»O ja, ganz bestimmt.«
7
Eigentlich hatte ich schon immer das Gefühl, dass das Leben sich auf der Grenze zwischen Absurdität und Bedeutungslosigkeit abspielt, trotzdem kann es, im rechten Licht betrachtet, ganz nett sein.
Der Rest des späten Nachmittags war einfach perfekt. Bree und ich liefen Hand in Hand zu dem wunderbar einladenden Big Hunting Creek hinunter. Wir legten auch unsere restlichen Kleider ab und wateten hinein. Es dauerte vielleicht eine unangenehme Minute, aber dann fühlte sich das Wasser wie eine zweite Haut an.
Jetzt war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob ich das Wasser jemals wieder verlassen konnte. Ich wollte es auch gar nicht. Wir küssten uns und umarmten uns, dann schwammen und planschten wir herum wie zwei Kinder in den Sommerferien. Irgendwo in der Nähe versuchten ein paar Ochsenfrösche uns mit ihrem gleichmäßigen Quaak, Quaak, Quaak ein Ständchen zu bringen.
»Findet ihr das vielleicht witzig?«, rief Bree den Fröschen zu. »Na ja, ehrlich gesagt, irgendwie schon. Quaak, Quaak!«
Wir küssten uns wieder, dann führte ein sehr schönes Ereignis zum nächsten, bis zu dem Punkt, an dem in den alten Filmen ein Zug mit Volldampf in den Tunnel rast. Nur, dass Bree und ich es kein bisschen eilig hatten, in den Tunnel zu kommen. Sie flüsterte mir ins Ohr, dass ich die zärtlichsten Hände der Welt habe und dass ich sie am ganzen Körper ganz sachte streicheln soll und nicht aufhören. Das alles bereitete mir großes Vergnügen, und ich sagte, dass sie den zartesten Körper der Welt hat - irgendwie seltsam angesichts der Tatsache, wie durchtrainiert sie war. Jedenfalls musste eine solch sinnliche Entdeckungsreise unweigerlich zu Konsequenzen führen und genau so war es auch.
Wir gingen ein paar Schritte zurück, bis wir bis zur Brust im Wasser standen. Dann schwebte Bree nach oben und umschlang mich mit ihren Beinen, während ich in sie eindrang. Dadurch, dass wir im Wasser standen, dauerte alles länger, aber früher oder später hat alles einmal ein Ende. Bree schrie auf, ich tat es ihr gleich, und sogar die verdammten Ochsenfrösche hielten eine Minute lang die Klappe.
Danach lagen wir auf einer Decke am grasbewachsenen Strand, ließen uns von der Abendsonne trocknen und machten ein paar Sachen, die leicht zu erneuten, schwerwiegenden Konsequenzen hätten führen können. Schließlich zogen wir uns ganz gemächlich an und machten uns etwas zu essen. »Daran könnte ich mich gewöhnen«, sagte ich zu Bree. »Ehrlich gesagt, ich habe mich schon daran gewöhnt.«
Nach dem Steak, dem Hummer und meinem ziemlich berühmten Salat gab es zum Nachtisch ein paar köstliche Brownies. Sie waren ein Gruß von Nana, die große Stücke auf Bree hielt. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, gemeinsam mit meiner Begleiterin das Zelt auszuprobieren.
Als es dunkel geworden war, fühlten wir uns ziemlich entspannt und glücklich. Die Arbeit war nichts weiter als eine blasse Erinnerung. Die Bären und die Luchse bereiteten uns kaum irgendwelche Sorgen.
Ich blickte sie an, wie sie so an mich geschmiegt im Schlafsack lag. Sie kam mir jetzt genauso zart und verletzlich vor, wie sie bei der Arbeit stark und unerschütterlich war.
»Du bist einfach unglaublich«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Der ganze Tag war ein einziger Traum. Weck mich nicht auf, okay?«
»Ich liebe dich«, sagte sie. Und fügte hinzu: »Hoppla.«
Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Double Cross« bei Little, Brown and Company, Hachette Book Group USA, New York.
 
 
 
 
 
 
Verlagsgruppe Random House
 
 
 
1. Auflage
Deutsche Erstausgabe Mai 2009 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München.
Copyright © James Patterson, 2007
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
Redaktion: Regine Kirtschig
MD ∙ Herstellung: RF
Druck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck
eISBN : 978-3-641-02611-0
 
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