Death Marked - Die Magierin der Assassinen - Leah Cypess - E-Book

Death Marked - Die Magierin der Assassinen E-Book

Leah Cypess

4,5
7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn Geheimnisse tödlicher sind als Schwerter

Ileni ist der aufgehende Stern am Magierhimmel der Renegai – bis sie auf unerklärliche Weise ihre Kräfte verliert, und damit ihr Ansehen, ihre Zukunft und sogar ihre große Liebe. Gemäß einem alten Abkommen wird sie alleine ins Höhlenreich der verfeindeten Assassinen gesandt, um diese in Magie zu unterrichten. Ein Himmelfahrtskommando, wurden ihre beiden Vorgänger doch ermordet! Als Ileni Nachforschungen anstellt, findet sie in dem gut aussehenden Assassinen Sorin einen unerwarteten Verbündeten. Doch dann kommt sie einem furchtbaren Geheimnis auf die Spur, das alles erschüttert, woran sie je geglaubt hat – und steht vor einer tödlichen Entscheidung …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 358

Bewertungen
4,5 (16 Bewertungen)
11
2
3
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DIE AUTORIN

© Tova Suslovich

Leah Cypess schrieb ihre erste Kurzgeschichte – erzählt aus der Sicht einer Portion Eis in der Tüte – mit sechs Jahren und brachte schon auf der Highschool ihren ersten Text unter Vertrag. Sie hat Abschlüsse in Biologie, Jura und Journalismus und hat unter anderem Island, Jordanien und Costa Rica bereist. Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann und drei Kindern in Boston. Ihre Bücher schreibt sie größtenteils auf dem Spielplatz.

LEAH CYPESS

DEATH

MARKED

DIE MAGIERIN DER ASSASSINEN

Aus dem amerikanischen Englisch

von Katja Theiß

Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe September 2015

© 2015 der deutschsprachigen Ausgabe:

cbj, Kinder- und Jugendbuch Verlag in der

Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel

»Death Sworn« bei Greenwillow Books, HarperCollins Children’s Books,

einem Teil der Verlagsgruppe HarperCollins Publishers, New York.

© 2014 by Leah Cypess

Published by Arrangement with Leah Cypess

Aus dem amerikanischen Englisch von Katja Theiß

Außenlektorat: Julia Przeplaska

Umschlagbild: Shutterstock (Mädchen © Aleshyn_Andrei,

Landschaft © Andrew Mayorsky)

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design

kk · Herstellung: ReD

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-14985-7

www.cbj-verlag.de

Für Aaron

Das hier ist das erste Buch, das ich angefangen und

beendet habe, während wir verheiratet sind.

Außerdem habe ich beschlossen, das Buch mit der

rothaarigen Wissenschaftlerin wegzuwerfen.

Deshalb ist das hier für dich.

Kapitel 1

Am schwersten sollte ihr der erste Schritt fallen. Der Höhleneingang bog so scharf um die Ecke, dass es nur eines Schrittes bedurfte: Sie tauchte vom Licht in die Dunkelheit, vom frischen Duft des Schnees in den modrigen Geruch der Erde, trat aus der Leichtigkeit einer Brise unter das Gewicht von feuchtem Stein. Ileni hielt kurz an, und das nicht nur, damit sich ihre Augen anpassen konnten. Geschmolzener Schnee rann ihr Haar hinab und tropfte in ihren Nacken. Ihre Haut war spröde vom Wind, doch im Inneren des Eingangs zu den Höhlen der Assassinen war die Luft trocken und still. Sie konnte das langsame Tropfen des schmelzenden Schnees auf Felsen hören, doch mit den nächsten Schritten würde sie den Schnee für immer hinter sich lassen – und den Wind und das Sonnenlicht und die fallenden Blätter und alles, was sie bisher gekannt hatte.

Sie machte einen weiteren Schritt nach vorne und drängte das wilde Verlangen zurück, einfach umzukehren und nach draußen zu rennen, weiter und immer weiter. Die letzten Tage hatte sie sich ganz auf ihren Weg konzentriert und nicht darauf, wo sie landen würde. Sie hatte die Anweisungen der Ältesten durch dichte Wälder und über schmale Pfade genau befolgt, so, wie sie bisher jede Herausforderung in ihrem Leben mit wilder Entschlossenheit verfolgt hatte.

Doch wozu? Sie hatte auf eine Zukunft hingearbeitet, die es jetzt nicht mehr gab. Ihre Schultern sackten herab, und plötzlich war ihr Fuß zu schwer, um ihn zu heben. Sie war siebzehn und fühlte sich so alt wie die Felsen, die sie umgaben.

Und für sie gab es keinen anderen Weg als vorwärts, tiefer in diese Felsen hinein, wo der Tod bereits auf sie wartete.

Bei ihrem dritten Schritt vertiefte sich die Dunkelheit. Ileni ballte die Fäuste so fest, dass ihre Fingernägel in den Handballen schnitten. Sie hatte genau gewusst, auf was sie sich eingelassen hatte, als sie die Mission der Ältesten angenommen hatte; sie hatte ohne Zögern mit Ja geantwortet und sich der Aufgabe gestellt. Sie würde in den Schwarzen Bergen leben, inmitten von Assassinen, ohne eine Verteidigungsmöglichkeit, wenn sie sich dazu entschlössen, sie zu töten. Nur weil die Felsen sich enger um sie zogen, würde sie jetzt nicht aufgeben. Sie zwang sich weiter voran.

Eine Gestalt schoss lautlos aus den Schatten und sie krachte mit ihr gegen die raue Steinwand.

Ileni schrie, kurz und schrill, und keuchte dann in der Stille. Ein muskelbepackter Arm presste sich gegen ihre Brust und etwas Scharfes und Kaltes wisperte über ihre Kehle. Eine Messerklinge.

Aber sie war immer noch am Leben. Das Messer berührte nur ihre Haut und ritzte sie nicht. Ilenis Herz schlug gegen ihre Rippen, und sie beschwor instinktiv ihre Magie, bevor ihr wieder einfiel, dass sie das nicht tun sollte. Stattdessen hob sie ihre Hände und presste mit aller Kraft gegen den Arm, der sie gefangen hielt. Sie hätte genauso gut versuchen können, die Mauer hinter sich zu bewegen. Ihr Angreifer nahm ihren Versuch noch nicht einmal zur Kenntnis.

Ileni zwang ihre Hände zurück an ihre Seite und sagte in ihrer kältesten Stimme: »Das Messer ist eigentlich überflüssig oder sehe ich das falsch?«

Während sie sprach, rief sie ein Magierlicht herbei.

Ihre Schultern verkrampften sich unter der Anstrengung und ihre Augen brannten. Nur ein paar Monate zuvor hätte sie so einen kleinen Spruch kaum gespürt. Sie ignorierte die Schmerzen und konzentrierte sich auf das Gesicht ihres Angreifers, das durch die Kugel von weißem Licht über ihm beleuchtet wurde.

Es war ein scharf geschnittenes, fast dreieckiges Gesicht mit hohen Wangenknochen, die sich vom Kinn bis hoch zu den kohleschwarzen Augen zogen. Er sah etwas jünger aus als sie, aber etwas Hartes lauerte in diesen Augen, etwas, das ihn als Assassinen auszeichnete.

»Ich entscheide, was notwendig ist«, sagte er. Seine Stimme war tief mit einem rauen Klang. »Wie hast du den Eingang zu unseren Höhlen gefunden?«

Es kostete sie etliche Mühe, trotz der scharfen Klinge am Hals ungezwungen zu reagieren, aber Ileni rollte nur die Augen. »Was glaubst du denn? Die Ältesten haben es mir verraten.«

Er trat so abrupt zurück, dass Ileni das Gleichgewicht verlor. Als sie sich wieder gefangen hatte, war das Messer in seiner grauen Tunika verschwunden.

Ileni atmete tief durch, dankbar dafür, dass sie nun die kühle Luft anstatt des Stahls auf ihrer Haut spürte. Nicht dass er sie nicht auch mit bloßen Händen töten könnte, … und niemand wusste schließlich, wie Absalm und Cadrel gestorben waren. »Ich bin eine Renegai-Magierin«, schnappte sie. »Was hast du denn geglaubt, wer ich bin?«

»Ich habe nicht …« Seine dunklen Augen verengten sich. »Die Renegai haben noch nie eine Frau als Lehrerin zu uns geschickt.«

»Gibt es etwas in unseren Vereinbarungen, was dagegenspricht?« Ihre Worte hingen wie eine Herausforderung zwischen ihnen.

Geschmolzener Schnee kroch ihren Nacken und den Rücken hinunter, schlängelte sich träge ihr Rückgrat entlang, und es juckte sie, danach zu fassen und ihn wegzureiben. Sie zwang sich, nichts zu sagen einfach nur, um das Schweigen zu brechen. Schließlich wandte sich der Assassine um und sagte: »Komm mit.«

Ileni atmete tief durch und hoffte, er würde es nicht mitbekommen. Sie folgte ihm den dunklen Korridor entlang. Das Magierlicht schwebte über ihrer Schulter, und sie fragte sich, ob es wirklich angebracht war, sich so erleichtert zu fühlen. Zwei Minuten nach ihrer Ankunft nicht getötet worden zu sein … nun ja, das war doch schon einmal etwas. Ein Anfang.

Wahrscheinlich besser als alles, was man zu Hause von ihr erwartete.

Die Ältesten hatten freundlich, aber unumwunden erklärt, dass sie sie schickten, da sie ersetzbar war. Wenn sie herausfand, wer ihre Vorgänger ermordet hatte, dann war das sicher hilfreich, doch wenn ihr das nicht gelang – und sie hatten ihr keine großen Hoffnungen gemacht – dann erkaufte sie ihnen zumindest Zeit. Im Grunde musste sie ihnen dankbar sein für ihre Ehrlichkeit und den ihr erwiesenen Respekt, aber sie konnte sich nicht dazu durchringen. Wie eine Mauer hielt die Bitterkeit in ihr jegliche versöhnlichen Gedanken fern.

Mehr als alles andere war sie es leid, verbittert zu sein. Verbittert und traurig und wütend. Sie vermisste ihr früheres Ich – ein Ich, an das sie kaum Erinnerungen hatte, obwohl es erst vor sechs Monaten verschwunden war –, sie vermisste ihr Leben, das glücklich gewesen war und einen Sinn gehabt hatte.

Der Assassine lief mit sicherem, unerbittlichem Schritt voraus. Ileni weigerte sich, schneller zu gehen, um mit ihm mitzuhalten. Innerhalb von Sekunden hatte ihn die Dunkelheit verschluckt. Das Magierlicht reiste mit ihr und spendete genug Licht, um die schartigen Felswände zu erkennen. Stalaktiten hingen von der niedrigen Decke. Wie Klingen – gerade hoch genug, dass sie ihren Kopf nicht berührten, aber dennoch so niedrig, dass sie fürchtete, es könnte doch passieren. Wahrscheinlich waren sie extra so entworfen worden, um jeden, der die Höhlen der Assassinen betrat, in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie zog den Kopf nicht ein.

Hinter einer Biegung im Gang verschwand die Dunkelheit. Sie stand an der Schwelle zu einer großen Höhle, einem einzigen Labyrinth aus Säulen, die von Dutzenden von leuchtenden Steinen angestrahlt wurden, die in die aufragenden Mauern eingelassen waren und nicht von dieser Welt zu sein schienen. Zapfen aus vielfarbigen Steinen hingen von der Decke und stiegen vom Boden empor, griffen wie Finger nacheinander. Das Ganze wirkte wie eine majestätische Halle, jedoch waren die Formen der Steine und ihre unerwartet schimmernden Farben nichts, was sich der menschliche Geist hätte ausdenken können.

Der Assassine kauerte auf einer kürzeren, dickeren Säule, sein Körper bildete einen Bogen von gespannten Muskeln unter den unscheinbaren grauen Kleidern. Er sah mehr wie eine Waffe denn wie ein Mensch aus. »Schön, nicht wahr?«, sagte er. »Haben dir die Ältesten davon nichts gesagt?«

»Aber ja doch«, antwortete Ileni steif, während sie das Magierlicht ziehen ließ. Was sie tatsächlich gesagt hatten, war: Teile der Höhlen sind wunderschön, doch lass dich dadurch nicht von dem Bösen ablenken, das sie enthalten. »Ich habe nur nicht erwartet, es schon so bald zu sehen.«

»Wir haben den Eingang absichtlich hierher gebaut«, sagte er. »Es beeindruckt die … Beeindruckbaren.«

»Was für ein scharfer Verstand«, sagte Ileni. »Bring mich am besten zu meiner Unterkunft, damit ich mich davon erholen kann.«

Er blinzelte. Vielleicht hatten die anderen Lehrer trotz ihrer Stellung und ihrer vermeintlichen Immunität gezögert, ausgebildete Killer offen anzugehen. Doch Ileni hatte die letzten sechs Monate eine schicksalsergebene Sorglosigkeit an den Tag gelegt. Einen großen Teil ihrer selbst würde es nicht kümmern, wenn er sie töten würde.

Der Rest von ihr war dagegen sehr erleichtert, als er nur den Kopf neigte und sagte: »Selbstverständlich. Ich werde diesmal langsamer gehen, aber sag mir ruhig, wenn du nicht mitkommst.«

Als er von seinem Sitzplatz aufsprang, ging auch sie weiter, und als er die andere Seite der Höhlen erreichte, war sie nur einen Schritt hinter ihm. Sie schnippte die Finger gegen seinen Nacken und zog dabei eine winzige Haarsträhne heraus. Blitzschnell wirbelte er herum und spannte eine Hand über ihrer Kehle, bevor sie überhaupt begriff, dass er sich bewegt hatte.

Seine Finger legten sich ohne Druck um ihren Hals, doch sie konnte in seinen gnadenlosen Augen erkennen, dass es ein Leichtes für ihn wäre, den Griff zu verstärken. Es kostete sie allen Mut, ihre Stimme nicht nur gleichmäßig, sondern auch noch irritiert klingen zu lassen, und ihn so abzulenken, während sie ein Haar in den Ärmel ihrer Tunika gleiten ließ. Mit etwas Glück würde er denken, sie hätte ihn nur angeschnipst, um seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. »Angriffe mit vorgehaltenem Messer sind eine Sache. Unverschämtheit ist eine andere. Ich werde das von meinen Schülern nicht dulden.«

Er ließ sie los, ließ seine Hände wieder herabsinken. »Es ist nicht sonderlich weise, einen Assassinen zu überraschen.«

»Manchmal bin ich nicht weise.«

Er begutachtete sie kalt, als würde er abwägen, ob er sie nicht doch noch töten sollte. Dann wandte er ihr den Rücken zu und ging weiter.

Ileni griff sich vorsichtig an die Kehle und folgte ihm. »Bringst du mich zu … zum Meister?«

Er neigte leicht den Kopf, ohne ihr das Gesicht zuzudrehen. »Nein. Ich bringe dich auf dein Zimmer.«

Ileni durchlief ein Schauer der Erleichterung. Die Ältesten hatten sie vor dem Meister der Assassinen gewarnt, der alles wusste, was in diesen Höhlen passierte, und absolute Kontrolle über seine Schüler ausübte. Er war so alt, dass keiner wusste, wann er wirklich geboren war, und hatte viele Namen – die Schwunghand der Hundert lebenden Klingen, der Puppenspieler, der Architekt –, doch wenn die Menschen »Meister« sagten, wusste jeder, wer damit gemeint war. Selbst unter den Renegai. Er war der gefährlichste Mann überhaupt.

Ileni wollte ihm nicht begegnen. Doch sie wusste, dass sie ihm gegenübertreten musste, irgendwann … aber jetzt, nachdem sie gerade erst die Höhlen betreten hatte, war dieser Augenblick nicht gekommen. Noch nicht.

Drei Gänge taten sich am Ende der majestätischen Höhle auf, und der Assassine schwenkte geschmeidig ab, um sie in den zur Rechten liegenden Gang zu geleiten. »Danach zeige ich dir den Trainingsraum, wo du diejenigen von uns unterrichten wirst, die in Magie bewandert sind.«

»Gehörst du auch dazu?«

»Ja.« Er ließ das »selbstverständlich« unausgesprochen. »Ich habe mich unter deinem Vorgänger am geschicktesten angestellt.«

Das konnte stimmen. Ileni spürte zwar keine große Zauberkraft in ihm, aber manchmal besaßen selbst Menschen mit geringer Kraft große Geschicklichkeit.

»Das bedeutet nicht viel«, war alles, was sie sagte. »Er war nicht lange genug am Leben, um wirklich aussagekräftige Tests durchzuführen.«

Der geschmeidige Gang des Assassinen stockte für den Bruchteil einer Sekunde. Da sie hinter ihm ging, erlaubte sie sich ein Lächeln.

Er sah über die Schulter zurück. Das Licht fiel auf sein Haar und ließ es so golden wie das von Tellis aussehen – was ihr Herz schneller schlagen und schließlich schmerzen ließ. »Ich habe auch bei seinem Vorgänger das größte Potenzial bewiesen, und dieser hat viel länger durchgehalten. Außerdem war er ein besserer Lehrer. Mit der Qualität unserer Ausbilder scheint es abwärts zu gehen.«

»Parallel zu ihrer Lebenserwartung vielleicht?«, hielt Ileni dagegen. »Diese Höhlen sind für Magier gefährlich geworden.«

»Diese Höhlen waren niemals ein sicherer Ort, Lehrerin.«

War das eine Warnung oder eine Drohung? »Ich heiße Ileni«, sagte sie schließlich.

»Mein Name ist Sorin.«

Die Mauern waren auf beiden Seiten glatt und eben, mit glimmenden eingelassenen Steinen, die ein sanftes weißes Licht durch den Gang warfen. Abgesehen von der trockenen Luft und dem beklemmenden Gefühl, dass über ihrem Kopf bedrohlich schwere Felsmassen hingen – beides möglicherweise Produkte ihrer Fantasie –, hätte sie genauso gut auch in einem von Menschen erschaffenen Gebäude sein können. In den steinernen Gefängnissen des Imperiums etwa, wo – so sagte man – all jene hingeschickt wurden, die sich dem Imperator entgegenstellten, und wo man nie wieder das Licht der Sonne sah.

Sie war zu müde, um sich die unzähligen Kurven und Abzweigungen, denen sie folgten, einzuprägen – der Weg führte sie durch geschwungene Torbögen und glatte rechteckige Öffnungen, die in weitere kurvige Gänge mündeten. Als Sorin schließlich vor einer echten Holztür anhielt, hatte sie den Eindruck, dass sie bereits tief unter der Erde vergraben sein mussten, mit Tonnen von Felsen, die drückend über ihr lagerten.

»Das hier wird deine Unterkunft sein«, sagte Sorin, während er die Tür aufstieß. Kein Schloss, wie Ileni bemerkte – aber sie spürte das Vibrieren von Schutzsiegeln durch die hölzerne Tür, Schichten von ineinandergreifenden Sprüchen, immer wieder verstärkt von verschiedenen Magiern, die hier gelebt hatten. Eine der Aufgaben der Renegai-Lehrer bestand darin, die Assassinenhöhlen gegen magische Angriffe zu schützen, doch diese Siegel, kleiner und dichter, waren gegen alles und jeden gerichtet. Wenn sie erst einmal drinnen war, würde niemand sonst mehr die Tür öffnen können.

Sie schluckte schwer und war unglaublich dankbar für diesen sicheren Ort – wie klein und begrenzt er auch sein mochte.

Natürlich hatte Cadrel noch vor ein paar Wochen hier gelebt, und vor ihm Absalm. Die Siegel hatten keinen der beiden vor dem Tod bewahrt.

Zu ihrer Überraschung war der Raum mit einem freundlich bunten Teppich ausgestattet, der über den Steinboden geworfen worden war, und ein Webteppich hing an der Wand bei ihrem Bett. Nichts Besonderes, keineswegs – auf die meisten würde der Raum sicher spartanisch wirken –, aber er war im Vergleich zu ihrem Zimmer auf dem Ausbildungsgelände für Magier geradezu opulent. Dort hatte sie eine rechteckige Zelle gehabt mit einem Bett, einer Kleidertruhe, einem winzigen Fenster und sonst gar nichts. Und die Betten waren erst kürzlich eingeführt worden. Nach langen, heiß ausgefochtenen Kämpfen hatte man sie letztendlich erlaubt, aber nur, weil die Matratzen auf dem Boden viel schneller von Insekten befallen wurden. Entbehrung, so war ihnen immer wieder gesagt worden, war notwendig, um Magie aufzubauen.

Sie spürte, wie ihre Lippen leicht bebten, und wandte sich zur Ablenkung Sorin zu, damit die Bitterkeit sie nicht überflutete. Sie erwischte ihn dabei, wie er sie abschätzend musterte, und es schien ihr erneut, als würde er über ihr Schicksal entscheiden. Sie begegnete seinem Blick und fühlte sich dabei wie Beute. Sie hatte gesehen, wie schnell er sich bewegen konnte. Wenn er sich entschließen würde, sie zu töten, dann würde sie es wahrscheinlich erst begreifen, wenn sie bereits starb.

Vielleicht war das eine Gnade.

Doch er lehnte sich nur an den Türrahmen und sagte: »Ich zeige dir jetzt den Trainingsbereich. Du fängst morgen mit dem Unterrichten an.«

»Gleich. Ich würde vorher gerne auspacken.«

Sorin begutachtete ihr Bündel, das kaum die Größe eines Kochtopfes hatte, und sah dann sie an. Ileni lächelte höflich.

»In Ordnung«, sagte er. »Ich komme zurück, wenn ich deine Ankunft gemeldet habe.«

Ileni wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann zog sie eine Rolle Kleider aus ihrem Packen und leerte den Rest des Inhalts auf den Boden.

Zwölf flache schwarze Steine schlugen dumpf auf den Teppich. Ileni warf das leere Bündel aufs Bett, ließ sich in den Schneidersitz fallen und arrangierte die Steine sorgsam in einem asymmetrischen Muster. Sie arbeitete schnell, ihre halbe Konzentration war auf die Tür gerichtet, doch es dauerte ein paar Augenblicke, bis die Muster absolut richtig lagen. Schließlich wollte sie ihr Zimmer nicht schon am ersten Tag in die Luft sprengen. Später vielleicht, wenn es notwendig würde.

Falls sie es dann überhaupt noch konnte.

Sie schob den Gedanken von sich, schloss ihre Augen und stellte sich die Worte vor, die sie sagen wollte. Sie erschienen ihr immer in Farbe, schimmerten leicht von innen und waren in der melodischen Abfolge ineinander verschlungen, die sie gelernt hatte. Sie holte das Haar hervor, das sie aus Sorins Nacken gezupft hatte, und hielt es in den Fingerspitzen.

Während sie die Silben des Spruches zwischen ihren Zähnen zusammensetzte, berührte sie jeden der Steine mit dem Haar und hielt es dann gespannt zwischen ihren Händen. Die Worte des Spruchs waren geräuschlos, obwohl sie sie sprach; doch anstelle eines Tons entwich reine Kraft ihrem Mund. Sie splitterte in der Luft, und Ileni spuckte die Worte schneller und schneller aus, stieß sie von sich. Als sie den Höhepunkt des Zaubers erreichte, schrie sie, obwohl der Raum still blieb.

Mit der letzten Silbe ließ sie auch das Haar los. Statt zu Boden zu schweben, verschwand es so geräuschlos wie die Überreste des Zaubers.

Ileni senkte die Hände, ihre Kehle war rau. Ein Schweißtropfen kitzelte sie am äußeren Rand ihres einen Auges. Es wurde immer schwieriger. Noch vor einem Jahr war dieser Zauber nicht mehr als eine Aufwärmübung für sie gewesen. Damals hatte sie ihn ohne die Steine geschafft. Tellis hatte sich dankenswerterweise jeglichen Kommentar verkniffen, als er sie ihr gegeben hatte.

Sie hatte sich seit Tagen nicht erlaubt, auch nur an Tellis zu denken, und die plötzlich aufflammende Erinnerung tat weh wie ein Schlag in die Magengrube. Bevor sie es verhindern konnte, durchfluteten Bilder ihren Kopf: Tellis’ hageres, zerfurchtes Gesicht, die blonden Haare, die ihm über die dunkelblauen Augen fielen. Wie diese Augen ihr einst den Atem geraubt hatten.

Sein Blick, als sie von ihrer zweiten Prüfung zurückgekehrt war. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, der ihr verriet, dass er bereits wusste, was die Ältesten gesagt hatten. Dass er akzeptierte, was nun passieren würde.

Dieser Blick hatte sie dazu bewogen, die Mission der Ältesten anzunehmen, hierherzukommen in diese Höhlen voller Mörder, wo innerhalb eines halben Jahres zwei ihrer eigenen Leute gestorben waren. Sie hatte geschworen herauszufinden, warum sie gestorben waren, bevor sie selbst diesem Schicksal erliegen würde, aber es war ein leeres Versprechen. Wie standen die Chancen, dass sie – eine 17-Jährige mit rasch schwindenden Kräften – das überleben konnte, was zwei ältere, erfahrene Magier das Leben gekostet hatte?

Doch es hatte sie nicht gekümmert, wie gefährlich oder wie einsam es werden würde. Sie wollte vor allem Abstand zu denen, die sie für wertlos hielten. Hier sah sie sicher niemand mitleidig an.

Ilenis Mundwinkel hoben sich – zwar nur ein klein wenig, aber seit dem Treffen mit den Ältesten konnte sie ihre Situation zum ersten Mal mit Humor sehen. Die Leute hier würden ihr nicht mit Mitleid begegnen, da sie zu sehr damit beschäftigt waren, sie umzubringen. Das war doch schon mal etwas.

Jetzt, wo Meilen zwischen ihr und ihrem beschämenden Abschied lagen, war sie dankbar dafür, dass Tellis ihr nicht erlaubt hatte, die Schutzsteine – sein letztes Geschenk – zurückzuweisen. Sollte Sorin sie in irgendeiner Art und Weise verletzen wollen, würde er auf größeren Widerstand stoßen als erwartet.

Die Steine schlugen gegeneinander, als sie sie in ihr Bündel packte. Eine Gefahr weniger, aber ihr standen noch etliche bevor.

Sie schob ihr Bündel unters Bett und wartete auf die Rückkehr des Assassinen.

Kapitel 2

Hoch oben aus einem winzigen schwarzen, aus Stein geschnittenen Raum beobachtete der alte Mann die glatten Felsen vor den Höhlen der Assassinen, die verlassen dalagen, seit die Magierin ihren Weg hinein gefunden hatte. Leichter Schnee wirbelte durch die kalte graue Luft und verdeckte bereits ihre Spuren.

Die Renegai hatten zum allerersten Mal eine Frau geschickt und zum ersten Mal war es jemand Junges. Das Mädchen war nicht sonderlich auffällig, jedenfalls nicht aus der Ferne: Sie war dünn und klein und die zurückgeworfene Kapuze hatte glanzlose braune Locken offenbart. Der Schnee, der über ihr Gesicht wisperte, schien ihr nichts auszumachen. Und sie hatte sich dem Eingang vorsichtig, aber ohne jegliches Zögern genähert.

Ihr Vorgänger war dagegen sichtbar angespannt gewesen, als er über die Felsen kletterte. Und sein Vorgänger wiederum, von Anfang an ganz theatralisch, war mehrere Fuß über den Felsen emporgeschwebt und dann unbeeindruckt zum Eingang gesegelt.

Die Tür hinter ihm öffnete sich. Das Geräusch überraschte den alten Mann nicht; er wusste genau, wie lange Sorin brauchte, um die Magierin in ihr Quartier zu begleiten, und er war sich sicher, dass sie um etwas Zeit für sich gebeten hatte. Er wusste nur nicht, ob der Junge sich umgezogen hatte, bevor er hierherkam. Darüber hatte er mehr als eine Minute nachgedacht und dann getippt, dass Sorin es wohl tun würde.

Er hatte falsch geraten – etwas, was ihm nur noch äußerst selten passierte. Er konnte den feuchten Schweiß riechen, der in der Tunika des Jungen hing, als Sorin den schmalen Raum durchquerte und sich tief verbeugte. »Meister.«

»Sorin«, begrüßte ihn der Meister der Assassinen, und sein Schüler erhob sich mit geschmeidiger Anmut aus seiner Verbeugung.

»Die neue Renegai-Lehrerin ist hier«, sagte Sorin. »Ich hatte den Eingang im Auge, als sie auftauchte, also habe ich sie zu ihrer Unterkunft gebracht.«

Seine Stimme verriet keine Wut darüber, dass man ihn nicht über die mögliche Ankunft eines Magiers informiert hatte, was seinem Meister gefiel. Sorin schien zu wissen, dass es sich um eine Prüfung handelte: Dass man ihn dazu auserkoren hatte, den Eingang zu bewachen, und ihn absichtlich nicht informiert hatte, was ihn erwartete.

»Was hältst du von ihr?«

»Nichts«, antwortete Sorin, ohne zu zögern. »Ich hatte mit ihr nicht mehr als ein paar Minuten zu tun. Jegliche Einschätzung wäre voreilig und würde mich später beeinflussen.«

»Sehr gut«, sagte der Meister. »Das ist die richtige Antwort. Und jetzt sag mir, was du wirklich denkst.«

Sorin wandte sich ihm zu und junge dunkle Augen starrten geradewegs in alte blaue. Nicht viele seiner Schüler in den Höhlen hielten dem Blick ihres Meisters mehr als ein paar Sekunden stand. »Das ist, was ich wirklich denke, Meister«, sagte er.

Der Meister glaubte ihm und damit hatte er zum zweiten Mal in nur einer Stunde falschgelegen. Einen weniger starken Mann mochte das irritieren, doch er war fasziniert. Es gab herzlich wenig, was ihn noch überraschen konnte. »Du wirst es weit bringen, Sorin«, sagte er. »Und dann wird der Tag kommen, an dem du nicht in der Lage sein wirst, alle Informationen zu bekommen, die du haben möchtest – und du wirst eine Entscheidung treffen müssen, die auf nicht mehr basiert als auf dem, was du heute gesehen hast.«

»Selbstverständlich«, antwortete Sorin. »Aber es gibt keinerlei Anlass, davon auszugehen, dass dieser Tag heute ist.«

Erfreut und belustigt lächelte der Meister. »Nun, dann sammle so schnell du kannst Informationen. Ich übertrage sie deiner Verantwortung.«

»Ja, Meister.«

Der alte Mann betrachtete ihn und fragte sich insgeheim, wie viel der Junge ahnte. Er erinnerte sich noch gut an jenen Tag, als Sorin in die Höhlen gebracht worden war, halb verrückt und vollkommen ungebändigt, bereit, nur um seines Zornes willen zu sterben. Nun, da die Wut gebändigt und kanalisiert war, war Sorin ein mustergültiger Assassine, einer der besten, aber dennoch nur ein Mittel, ein Werkzeug, selbst wenn er ein fein geschliffenes war. Scharf, tödlich, und geradlinig.

So dachte sein Meister, jedenfalls meistens. Doch dann gab es diese Momente, in denen seine Voraussagen sich als falsch erwiesen.

Er hatte immer noch nicht herausgefunden, warum das so war, weshalb er Sorin weiterhin testete. Wenn sonst nichts dabei herauskam, so versorgte es ihn zumindest mit neuen und interessanten Informationen über den Jungen. Selbst wenn Sorin sterben würde, wären die Informationen hilfreich.

Das waren Informationen immer.

»Geh jetzt«, sagte er. »Bring sie unbedingt erst in den Trainingsbereich, wenn die fortgeschrittenen Schüler dort üben, damit sie sieht, wozu wir fähig sind.« Er kicherte mehr für sich als für den Jungen. »Oder vielmehr einen Teil dessen, wozu wir fähig sind. Der Rest kann noch ein paar Tage warten.«

»Ja, Meister.«

Weil er einen Hauch von Zweifel in Sorins Stimme spürte, wurde der alte Mann ernst und suchte den Blick des Jungen. Sorin zuckte zusammen und beugte dann seinen Kopf wie unter einer unerwarteten Last.

»Geh«, sagte der Meister kalt. »Du trägst die Verantwortung für sie. Nimm diese Aufgabe sehr ernst. Ich möchte nicht, dass ihr dasselbe zustößt wie den anderen.«

Worüber redete man, wenn man mit einem ausgebildeten Killer durch unterirdische Gänge spazierte? Während sie Sorin durch einen von Glimmsteinen erhellten Durchgang folgte, spielte Ileni mehrere Möglichkeiten, ein Gespräch anzufangen, durch und verwarf sie gleich wieder, darunter Das Wetter hier unten ist erstaunlich freundlich sowie Und, wie viele Menschen hast du umgebracht? Sorin schritt grimmig immer einen Schritt vor ihr her und machte keine Anstalten, von sich aus ein Gespräch zu beginnen.

Der Gang neigte sich in einer beständigen Kurve nach unten, weshalb es Ileni leicht übel wurde. Als sie schließlich den richtigen Treppenstieg erreichten, waren sie einmal komplett im Kreis gegangen, da war sie sich sicher. Das wiederum bedeutete, dass sie sich eine ganze Ebene unter ihrem Zimmer befanden. Und jetzt gingen sie sogar noch tiefer. Die Felswände näherten sich bedrohlich. Ihre Sicht verschwamm und sie konnte nicht atmen.

Lass das! Es konnte gut sein, dass sie den Rest ihres Lebens unterirdisch verbrachte. Besser, sie gewöhnte sich rasch daran.

Der Treppenstieg bestand aus einer steilen Spirale aus rauem weißem Stein, die sich manchmal so eng zuzog, dass Ileni langsamer machen musste, um sich durchzuzwängen. In unregelmäßigen Abständen unterbrachen gleichermaßen enge Durchgänge mit etlichen scharfen Windungen die Wendeltreppe. Die glimmenden Steine in den Wänden leuchteten den Weg gut aus, doch der Effekt war eher unheimlich. Jedes Mal, wenn Ileni um eine Ecke bog, musste sie sich zwingen, nicht zurückzuzucken, denn ihr Körper erwartete, dass irgendjemand – oder irgendetwas – ihr auflauerte.

Wie sie feststellte, waren die Stufen gut zu verteidigen. Im Falle eines Angriffs konnten ein paar Männer das Innere der Höhlen leicht gegen eine Armee sichern. Die viel gerühmte Uneinnehmbarkeit dieser Höhlen war keine Legende.

Am Ende des dritten Treppenabsatzes traten sie in eine große Höhle. Von ihr zweigten drei Gänge ab und nur die Mitte war erleuchtet.

»Die linke Abzweigung führt in den Haupttrainingsbereich«, sagte Sorin.

Ileni kniff die Augen zusammen. Sie konnte keine Steine in den Wänden erkennen. »Es ist dunkel.«

»Das stimmt.«

Sie würde ihm keine Gelegenheit geben, sich auf ihre Kosten lustig zu machen. »Na, dann du zuerst.«

Sorin hob die Hand und auf seiner Handfläche glomm ein gelbes Licht auf. Er betrat den Gang mit erhobener Hand, um den Weg auszuleuchten.

Ileni folgte vorsichtig. Der Durchgang wurde immer enger, je weiter sie kamen, bis sie nicht mehr nebeneinanderher laufen konnten. »Ein normales Magierlicht wäre viel einfacher.«

»Manchmal bin ich nicht einfach.«

Sie blinzelte. Er blickte flüchtig ohne auch nur einen Hauch von Flapsigkeit über seine Schulter zu ihr und wandte sich dann wieder nach vorne.

Ileni beobachtete seinen Rücken, da das alles war, was sie erkennen konnte. Die graue Tunika straffte sich über seinen Schultern, wenn er sich bewegte, und ein ungebändigtes blondes Haarbüschel stand am Schopf ab. »Welcher meiner Vorgänger hat dich diesen Trick gelehrt?«

»Absalm«, sagte Sorin. »Cadrel war nicht lange genug da, um mir irgendetwas beizubringen.«

Absalm war vor seinem Tod zehn Jahre Lehrer der Assassinen gewesen, weshalb niemand misstrauisch wurde, als er dieses Jahr gestorben und die Anfrage nach seinem Ersatz eingetroffen war. Die Ältesten hatten Cadrel geschickt, einen Magier mittleren Ranges mit freundlichem Lächeln und einem Talent zum Kochen. Er war entsandt worden, kurz nachdem die Ältesten beschlossen hatten, Ilenis schwindende Kräfte einer weiteren Prüfung zu unterziehen, weshalb sie dem Ganzen keine große Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

Als zwei Monate später ein Bote ankam und berichtete, dass auch Cadrel tot war, hatte die Prüfung bereits ihre schlimmsten Ängste bestätigt. Selbst die Gerüchte, wie Cadrel gestorben war, hatten den Nebel nicht durchbrochen, der sie umgab. Erst als die Ältesten sie herbeizitierten, war ihr Interesse geweckt. Doch da war es selbstverständlich längst zu spät gewesen.

Sie hätte dem Ruf nicht entrinnen können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Seit die Ältesten ihr offenbart hatten, dass ihre Aufnahme auf das Gelände der Magier ein Fehler gewesen war, dass ihre Kräfte schwinden würden, wie sie das bei Massen von gewöhnlichen Renegai taten, hatte sie nur überlebt, indem sie sich ganz auf den jeweils vor ihr liegenden Schritt konzentriert hatte. Die Ältesten hatten ihr dabei geholfen, indem sie ihr eine neue, fast unlösbare Aufgabe übertragen hatten: herauszufinden, was den zwei Lehrern widerfahren war, die vor ihr diese Höhlen betreten hatten.

Vielleicht waren ihre Tode Unfälle, hatten die Ältesten gesagt, doch es hatte nicht so geklungen, als wären sie auch nur annähernd überzeugt. Um ehrlich zu sein, wollte Ileni nicht, dass ihre Tode Unfälle waren. Denn sonst hätte sie kein Ziel mehr, keine Aufgabe für die Zeit, in der sie auf ihren eigenen Tod wartete. Dann war sie wahrhaftig entbehrlich. Eine Assassinenverschwörung aufzudecken war ihr um ein Vielfaches lieber.

Falls ihr das gelingen würde.

Eigentlich konnte sie gleich loslegen. »Cadrel hat hier fast zwei Monate gelebt, oder? Da hatte er doch sicher Zeit, dir irgendetwas beizubringen.«

»Nicht viel«, sagte Sorin. »Während er hier war, war ich die meiste Zeit in einer Mission unterwegs.«

In einer Mission. Sie wusste, was das bedeutete. »Weißt du, wie er gestorben ist?«

Sorin blieb stehen und wandte sich zu ihr um. Das gelbe Glimmen erhellte sein Gesicht und ließ ihn hart und gefährlich erscheinen … oder vielleicht war das auch das Wissen, dass er vor ein paar Wochen jemanden umgebracht hatte. »Er ist hier den letzten Treppenabsatz hinuntergestürzt und hat sich am Kopf verletzt. Die Höhlen sind gefährlich, wenn man sie nicht gut kennt.«

»Dann werde ich vorsichtig sein«, sagte Ileni. Sie schnippte aus dem Handgelenk heraus, und auf einmal erhellte ein weißes Licht, das von nirgendwo zu kommen schien, den Gang. Der Zauber war nicht viel schwieriger als das Heraufbeschwören eines Magierlichtes, doch sie fühlte in der Magengrube, wie ihre Kraft schwach flackerte. »So erkenne ich besser, wo ich hintrete.«

ENDE DER LESEPROBE