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„Haltet eure Hände lieber still, Amigos!“, klirrte Jonathans Stimme. „Andernfalls schieße ich dir die Ohren ab, Dicker. Und das ist keine leere Drohung. Jetzt wendet eure Pferde und zieht Leine. Ich habe nichts übrig für Leute, die mir ihren Willen aufzwingen wollen.“ Unverrückbar und voll tödlicher Bedrohung war der Sechsschüsser auf Cash McLaren gerichtet. Der bullige Mann spürte, wie heißer Zorn in ihn hineinkroch, in die Höhe stieg und sein Denken und Fühlen zu beherrschen begann. Er setzte, als die Wut ihn übermannte, alles auf eine Karte und drosch seinem Pferd die Sporen in die Seiten. Gleichzeitig riss er den Colt aus dem Halfter.
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Dem Colt gehört das letzte Wort
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress
www.AlfredBekker.de
1. digitale Auflage 2014 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956173189
Cover
Titel
Impressum
Dem Colt gehört das letzte Wort
Als Jonathan Kincaid das Rudel Reiter über dem Hügelkamm auftauchen sah, fiel er seinem Grulla-Hengst in die Zügel. Das müde Tier blieb augenblicklich stehen und ließ den Kopf hängen. Jonathan kniff die Augen eng. Es waren vier Männer in Weidereitertracht, die jetzt den Abhang herunter und direkt auf Jonathan zustoben. Der Hufschlag rollte vor ihnen her wie eine Brandungswelle.
Bei Jonathan rissen sie die Pferde in den Stand. Die Tiere tänzelten. Ohne jede Freundlichkeit musterten die vier Kerle Jonathan. Dieser erwiderte ihre Blicke ruhig. Er sah ihre gebräunten, von Wind, Sonne und Regen gegerbten, derben Gesichter, die Lassoschwielen an ihren Händen, und ihm entging auch nicht, dass sie die Revolver ziemlich hochgeschnallt trugen.
Das waren keine Outlaws, keine Wegelagerer, die harmlose Reisende überfielen und Postkutschen ausraubten, das waren Cowboys, deren Job es war, den Sattel zu quetschen und das Lasso zu schwingen.
Die Art aber, wie sie ihn anstarrten, sagte Jonathan, dass diese Burschen ihm nicht freundlich gesinnt waren. Eine Warnung seines Instinkts durchzuckte seinen Verstand, seine Schultern strafften sich, die Anspannung in ihm wuchs und ergriff bis in die letzte Nervenfaser von ihm Besitz.
Sie zwangen ihre Pferde, ruhig zu stehen. Einer, ein breitschultriger, stiernackiger Bursche mit eingeschlagener Nase und narbigem Gesicht, ergriff das Wort. Er sagte unheilvoll grollend:
„Du reitest über Jim Murphys Land, Stranger, und die Nase deines Gauls zeigt nach Norden. Dort liegt Tulsa. Was willst du in der Stadt?“
Jonathans Brauen schoben sich zusammen. Über seiner Nasenwurzel entstand eine steile Falte. „Ich bin seit vielen Tagen auf dem Trail“, antwortete er, ohne einen der vier aus den Augen zu lassen. „Ist es nicht ganz normal, dass ich in eine Stadt möchte, an einem Tisch essen, in einem Bad entspannen und in einem richtigen Bett schlafen?“
Der Stiernackige grinste flüchtig. Der brutale Zug um seinen Mund löste sich dabei nicht. „Ist das der einzige Grund, der dich nach Tulsa treibt?“
„Sicher.“ Jonathan nickte.
„Wir wollen wissen, wer sich auf unserem Land herumtreibt. Sag mir deinen Namen.“
„Gerne“, murmelte Jonathan. „Ich heiße Kincaid - Jonathan Kincaid.“
Der Vierschrötige verschränkte seine Hände über dem Sattelhorn und krümmte seinen Oberkörper etwas nach vorne. Misstrauen flackerte in seinen Augen. Sein Gesicht war plötzlich wie versteinert. „Noch einmal“, bellte sein Organ, „was treibt dich über das Weideland der Broken Arrow? Weshalb benutzt du nicht die Poststraße? Hast du keines der Warnschilder gesehen, die wir an den Weidegrenzen aufgestellt haben? Darauf steht, dass es Unbefugten verboten ist, das Land der Broken Arrow zu betreten.“
„Tut mir leid, ich sah kein derartiges Schild. Es gab auch keinen Zaun, der mich abgehalten hätte, über diese Weide zu reiten. Ich habe auch keine Ahnung, dass ich mich auf Broken Arrow-Land befinde. Ich dachte immer, das wäre ein freies Land …“
„Sagt dir der Name Mackensy etwas?“ So fuhr der Stiernackige Jonathan ins Wort.
In Jonathans Zügen zuckte kein Muskel. „Nein.“
Einer der anderen mischte sich ein. „Was redest du so lange mit ihm, Cash? Nehmen wir ihm den Gaul und seine Waffen ab und jagen wir ihn zum Teufel. Sollte ihn tatsächlich Mackensy ins Land geholt haben, dann weiß er wenigstens gleich, woher hier der Wind weht.“
„Ich kenne diesen Mackensy nicht!“, stieß Jonathan mit Nachdruck und ziemlich ungeduldig hervor.
Cash McLaren - so hieß der Vierschrötige -, fixierte ihn nachdenklich. An Jonathans tiefsitzendem 45er blieb sein Blick länger als normal hängen. McLaren nagte an seiner Unterlippe. Plötzlich gab er zu verstehen: „Wir bringen ihn auf die Ranch. Soll sich der Boss selbst mit ihm befassen. Er wird ihm die Wahrheit schon aus der Nase ziehen. Es gibt Mittel und Wege …“ Er schaute in Jonathans Gesicht. „Gnade dir Gott, wenn du auf dem Weg zu Mackensy bist, Kincaid. - Dan, Fred, nehmt ihn in die Mitte. Und entwaffnet ihn.“ Ein kaltes Lächeln umspielte seinen Mund. „Wir wollen doch kein Risiko eingehen.“
Dan Harvey und Fred Moore trieben ihre Pferde an. Doch plötzlich lag in Jonathans Faust der Colt. Blitzschnell und glatt hatte er ihn gezogen. Es knackte trocken, als er den Hahn spannte. Dan und Fred zerrten an den Zügeln. Cash McLarens Rechte fuhr zum Coltknauf, als aber Jonathan die Waffe auf ihn anschlug, erstarrte McLaren.
„Haltet eure Hände lieber still, Amigos!“, klirrte Jonathans Stimme. „Andernfalls schieße ich dir die Ohren ab, Dicker. Und das ist keine leere Drohung. Jetzt wendet eure Pferde und zieht Leine. Ich habe nichts übrig für Leute, die mir ihren Willen aufzwingen wollen.“
Unverrückbar und voll tödlicher Bedrohung war der Sechsschüsser auf Cash McLaren gerichtet. Der bullige Mann spürte, wie heißer Zorn in ihn hineinkroch, in die Höhe stieg und sein Denken und Fühlen zu beherrschen begann. Er setzte, als die Wut ihn übermannte, alles auf eine Karte und drosch seinem Pferd die Sporen in die Seiten. Gleichzeitig riss er den Colt aus dem Halfter.
Das Tier unter McLaren sprang erschreckt aus dem Stand vorwärts. Die Absicht des grobschlächtigen Burschen war, Jonathans Pferd zu rammen und Jonathan aus dem Sattel zu werfen. McLaren verschwendete keinen einzigen Gedanken daran, dass seine Aktion selbstmörderisch war. Sein Verstand wurde vom Jähzorn ausgeschaltet.
Aber Cash McLaren war an den Falschen geraten. Jonathan handelte gedankenschnell. Als McLarens Pferd wie von einem Katapult geschleudert heranschoss, war er schon nicht mehr im Sattel. Er brachte sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit, rollte über die Schulter ab und kam augenblicklich wieder hoch.
Wie eine Naturgewalt prallte der schwere Braune gegen seinen Grulla-Hengst. Gequält aufwiehernd ging der Hengst zu Boden. Er keilte voll Panik mit den Hufen um sich, kam vorne hoch und warf den Kopf in den Nacken.
Von McLaren kam ein lästerlicher Fluch. Breitbeinig stand Jonathan einige Schritte von dem sich am Boden windenden Pferd entfernt. Jonathan hatte seinen Hut verloren. Er lag im Gras. McLaren schlug den Colt auf ihn an. Da stieß eine ellenlange Mündungsflamme aus dem Lauf von Jonathans Eisen. Die Kugel pflügte vor den Hufen des Braunen in den Boden, ließ Erdreich und Gras spritzen. Die Detonation schlug auseinander und entsetzte den Braunen McLarens noch mehr. Er stieg auf die Hinterhand. Unwillkürlich griff McLaren nach dem Sattelhorn. Er ließ den Revolver einfach fallen. Noch einmal feuerte Jonathan. Das Tier schnellte nach vorn. McLaren verlor das Gleichgewicht und flog rücklings vom Pferd. Krachend landete er am Boden. Verzweifelt japste er nach Luft, die ihm beim Aufprall aus den Lungen gedrückt worden war. Sein Gesicht verfärbte sich dunkel.
McLarens Begleiter waren wie gelähmt. Sie mussten das, was sich ihnen eben innerhalb weniger Sekunden geboten hatte, erst verstandesmäßig verarbeiten. Als sie aber begriffen und reagieren wollten, sprang sie Jonathans eisige und schneidende Stimme an:
„Der nächste, der es versucht, hat mein Blei in der Figur! - Abschnallen, Amigos. Meine Geduld mit euch Narren ist zu Ende. Abschnallen und runter von den Pferden. Ein kleiner Spaziergang wird eure erhitzten Gemüter sicherlich etwas abkühlen.“
McLaren stemmte seinen Oberkörper mit den Ellenbogen vom Boden weg. Er hustete erstickend, aber dann füllten sich mit einem befreienden Atemzug seine Lungen wieder mit frischem Sauerstoff. Aus unterlaufenen Augen starrte er Jonathan an - aus Augen, in denen mörderischer Hass glomm.
Wie hineingeschmiedet lag in Jonathans Faust der Sechsschüsser.
„Tut was er sagt!“, keuchte McLaren rasselnd. „Er ist ein verdammter Schießhund. Das ist mir jetzt klar. Und es ist kein Zufall, dass er nach Tulsa will. - Noch ist nicht aller Tage Abend, Kincaid“, drohte er. „Wirf Mackensy das Geld, das er dir bezahlt, vor die Füße und reite dorthin zurück, wo du hergekommen bist. Hier hast du die Broken Arrow zum Feind, und die Broken Arrow wird dich zerschmettern.“
Jonathan zeigte sich unbeeindruckt. Er wartete, bis die Gurte mit den Colts und die Gewehre im Gras lagen. Die drei Cowboys saßen ab. Ihre Mienen waren Spiegelbild ihrer Empfindungen. Zwei von ihnen halfen McLaren auf die Beine. Jonathan holte seinen Stetson und stülpte ihn sich auf den Kopf. Der Grulla-Hengst hatte sich erhoben. Mit zitternden Flanken und rollenden Augen stand er da und schielte fast tückisch in die Runde.
„Dieser Mackensy bezahlt mich nicht“, betonte Jonathan noch einmal. Und barsch fügte er hinzu: „Haut ab, ihr Dummköpfe. Und nehmt meinen Rat mit auf den Weg: seht euch die Leute, denen ihr auf die Zehen treten wollt, das nächste Mal besser an. Nicht jeder ist so nachsichtig wie ich.“
Sie antworteten nichts mehr. Aber in den Augen eines jeden war ein stummes Versprechen zu lesen, lag die düstere Prophezeiung, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen. Sie wandten sich um und stapften davon. Jonathan ahnte, dass sie hinter dem nächsten Hügel warteten, bis er diesen Platz verlassen hatte, um sich ihre Waffen und Pferde zu holen. Er würde also öfter einmal hinter sich blicken müssen auf seinem Weg nach Tulsa.
Als sie über dem Scheitelpunkt einer Anhöhe verschwunden waren, kletterte er aufs Pferd und setzte seinen Weg fort.
*
Jonathans Vermutung traf nicht zu. Die vier Kerle, die er zurechtgestutzt hatte, folgten ihm nicht. Er ließ seinen Gedanken freien Lauf. Es waren wenig erfreuliche Gedanken. Es ging um Tulsa und seinen Stiefbruder, der in der Stadt Sheriff gewesen war und der auf offener Straße aus dem Hinterhalt ermordet wurde …
Jonathan erreichte Tulsa am späten Nachmittag. Tulsa war eine verhältnismäßig große Stadt. Sie lag an der Überlandstraße von St. Louis nach Albuquerque in New Mexiko und war neben Oklahoma City ein wirtschaftlicher Knotenpunkt des Territoriums. Wells & Fargo unterhielt in Tulsa eine Station, eine Nebenstrecke der Union Pacific Railway, die von Omaha herunter führte, endete hier.
Auf der breiten, staubigen Main Street herrschte reger Betrieb. Auf den Bohlengehsteigen hasteten, schoben und drängten die Menschen. Hunde bellten, spielende Kinder lärmten. Auf der Fahrbahn wuchsen die Schatten. Im Westen begann sich der Himmel blutrot zu färben. Rötlicher Schein legte sich auf das Land. Abgesehen von der Hektik der Stadt wirkte alles ruhig und friedlich.
Jonathan wurde kaum beachtet. Fremde kamen und gingen. Bei einem Tränketrog hielt Jonathan an. Er wusch sich das Gesicht, trocknete es mit seinem Halstuch ab, dann ließ er das Pferd trinken. Aufmerksam schaute Jonathan sich um. Dann sah er das Schild mit der Aufschrift ‘Livery Stable’. Die Buchstaben waren schon ziemlich verwaschen. Der Name des Besitzers, der darunter gepinselt worden war, lautete Jack Mackensy. Harte Linien kerbten sich in Jonathans Mundwinkel.
Das Pferd hatte seinen Durst gestillt. Jonathan zog es am Zügel hinter sich her auf das geöffnete Tor des Mietstalles zu. Im Hof standen einige Wagen. Leichte Buggys, aber auch schwere Fuhrwerke. Neben dem Stall gab es einen Korral, in dem sich fast zwei Dutzend Pferde tummelten. Das hohe Stalltor stand ebenfalls offen. Drinnen war es düster. In den Boxen stampften und schnaubten Pferde. Ein Stallmann schleppte gerade einen Ballen Stroh durch den festgestampften Mittelgang. Er warf ihn neben einer Box zu Boden, als Jonathan ihn anrief: „Hallo, Stall, gibt es noch einen Platz für mein Pferd?“
Der Stallbursche musterte Jonathan scharf, durchdringend und helläugig wie ein jagender Bussard, schätzte ihn ein und knurrte knapp: „Gewiss, Stranger.“ Er wies mit der linken Hand auf eine leere Box.
Jonathan übergab dem Mann die Zügel. „Versorgen Sie ihn gut. Und füttern Sie ihn nicht nur mit Heu, sondern geben Sie ihm Hafer.“
Der Help nickte. „Bleiben Sie länger?“, fragte er fast beiläufig.
Jonathan zuckte mit den Achseln. Er schnallte die Satteltaschen los und warf sie sich über die Schulter. Dann zog er die Winchester aus dem Scabbard. „Das kommt ganz darauf an“, murmelte er ausweichend.
Die Brauen des Stallmannes zuckten in die Höhe. „Worauf?“
„Ob ich hier einen Job finde.“
„Sie sind Texaner, nicht wahr?“
„Yeah.“
Der Stallmann maß Jonathan von oben bis unten. „Die Art, wie Sie den Colt tragen, lässt darauf schließen, dass Sie es verstehen, damit umzugehen, Mister. Wenn Sie einen Revolverjob suchen, dann sollten Sie mal bei Jack Mackensy anklopfen. Er sucht Leute Ihres Schlages.“
Die letzten Worte hatten fast geringschätzig und herablassend geklungen.
„Ist Mackensy nicht auch Ihr Boss?“
Der Stallbursche lachte sarkastisch auf. „Natürlich. Der Stall gehört Mackensy, und ich versorge hier die Gäule. Mackensy gehört noch eine ganze Menge mehr in dieser Stadt. Das größte Hotel, die Spielhalle, der Cristal Palace … Er bekleidet das Amt des Town Majors und hält überhaupt die Fäden in dieser Stadt in seinen Händen. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn - und das kann sehr unangenehm werden.“
Der Stallmann schielte zum Tor, als fürchtete er einen unliebsamen Lauscher.
„Als ich von Süden heraufkam, ritt ich über Broken Arrow-Land“, erklärte Jonathan. „Vier Gentlemen stellten sich mir in den Weg und wollten mir heilige Mannesfurcht einjagen. Sie warnten mich, in Mackensys Sattel zu steigen. Mir scheint, die Leute von der Broken Arrow-Ranch sind nicht gut auf Mackensy zu sprechen. Und auch Sie sprechen nicht gerade mit Begeisterung von Ihrem Boss.“
„Ich arbeite für ihn, und er bezahlt mich“, sagte der Stallmann ausweichend. „Dass Mackensy und Jim Murphy von der Broken Arrow sich nicht freundlich gesonnen sind, rührt daher, dass Mackensy das Land zu beiden Seiten des Arkansas besiedeln möchte. Dagegen hat Murphy eine Menge einzuwenden. Er beansprucht das Weideland in dem Dreieck zwischen der Überlandstraße und dem Arkansas River für sich. Wenn sich am Fluss Heimstätter breitmachen, kann er einpacken. Es verläuft zwar weiter östlich noch ein kleinerer Creek, aber der trocknet in den heißen Sommern aus.“
„Das Land, auf dem Murphy sein Vieh stehen hat, gehört der Regierung, wie?“
„So ist es. Ich schätze, es wird hier bald Krieg geben. Immer mehr Burschen von Ihrer Sorte tauchen auf, Burschen von der schnellschießenden Gattung. Wir sitzen hier in Tulsa sozusagen auf einem Pulverfass, und die Lunte brennt bereits. Wenn der Zwist eskaliert, dann denke ich, bleibt kein Auge trocken.“
Grimmig verstummte der Stallmann und machte sich daran, die Sattelgurte zu lösen.
Lauernd sagte Jonathan: „In einer Stadt wie Tulsa muss es doch einen Sheriff geben. Sieht er tatenlos zu, wie sich hier eine wahrscheinlich blutige Auseinandersetzung anbahnt?“
Der Stallmann verzog den Mund. „Es gab mal einen Sheriff hier. Vor fünf Wochen wurde er am helllichten Tag auf der Main Street aus dem Hinterhalt niedergeknallt. Mackensy schiebt den Mord auf Murphy, Murphy schiebt ihn auf Mackensy.“
„Wem stand der Sheriff im Wege?“ Seltsam eindringlich fiel Jonathans Frage.
„Sowohl Murphy wie auch Mackensy. Lee Anderson behielt nämlich seine Neutralität. Er sorgte für Ruhe und Ordnung in der Stadt, er verschaffte dem Gesetz Geltung, und zwar ohne Ansehen der Person. Das war sein Todesurteil. Wer ihn ermordet hat, wird wohl niemals ans Licht kommen.“
„Gibt es keinen Nachfolger?“ fragte Jonathan.
„Wer ist schon verrückt genug, sich angesichts der drohenden Entwicklung den Stern anzustecken? Wer wahnsinnig genug ist, es dennoch zu tun, steht bereits mit einem Bein in der Grube.“
Jonathan versetzte dem Hengst einen leichten Schlag auf die Kruppe, wandte sich um und stakste zum Tor.
Nachdenklich blickte der Stallmann hinter ihm her.
*
Jonathan begab sich in einen kleinen Saloon, aß zu Abend, trank dazu ein Bier und beglich dann seine Rechnung. Das Wechselgeld ließ er dem Keeper. Er hielt den Mann am Ärmel zurück und fragte leise: „Wo finde ich das Haus John McAllisters?“
Die Brauen des Keepers zuckten überrascht in die Höhe. „Möchten Sie bei ihm wohnen?“, kam die Gegenfrage.
Jonathan schaltete schnell. „Ja. Seine Pension wurde mir empfohlen, für den Fall, dass ich einmal nach Tulsa komme.“
„Pension!“, lachte der Keeper verächtlich auf. „Sicher, er vermietet in seinem Haus Zimmer an Gäste, sonst müsste er verhungern. Kein Hund mehr in der Stadt nimmt noch ein Stück Brot von ihm, seit er sich öffentlich gegen den Town Major stellte und behauptete, dass Mackensy sein Amt missbrauche, um reich und mächtig zu werden. Sicherlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Mackensy ihn und seine Familie aus der Stadt jagt.“
„Das heißt, die Stadt duckt sich vor Mackensy“, knurrte Jonathan, zeigte aber sonst keine Reaktion.
Der Keeper hob die Schultern, wich Jonathans Blick aus, räusperte sich. „Wenn Sie länger bleiben möchten und Ärger vermeiden wollen, dann rate ich Ihnen, nicht bei McAllister abzusteigen, Mister“, sagte er mit verschwörerischem Gesichtsausdruck. „Es spricht sich nämlich schnell in Tulsa herum, wenn sich jemand mit einem Gegner Mackensys einlässt. Und es könnte auch Mackensys Gehör erreichen …“
Vielsagend und bedeutungsvoll brach der Keeper ab.
Jonathan machte eine wegwerfende Handbewegung. „Mackensy muss es schon mir überlassen, wo ich wohne. Also, wo finde ich McAllisters Haus?“
„Ich habe Sie gewarnt“, murmelte der Keeper, dann beschrieb er Jonathan den Weg.
Das Haus lag ziemlich am Ende einer Seitenstraße, die nach Norden aus der Stadt führte. Nicht weit davon entfernt war der Bahnhof. Es war jetzt ziemlich dunkel. Das glühende Rot über dem westlichen Horizont war verblasst. Einsam funkelte der Abendstern am Himmel. In den Häusern brannten die Lichter. Auch eines der Fenster von McAllisters Haus war erleuchtet. Die Vorhänge waren zugezogen. Ein Gartenzaun schloss das Grundstück zur Straße hin ab. Ein Schild an einem hohen Pfahl wies darauf hin, dass McAllister Zimmer vermietete.
Jonathan schritt über den Kiesweg zur Haustür und pochte einige Male dagegen.
„Wer ist da?“, klang es gleich darauf durch die Tür.
„Ich will ein Zimmer mieten!“, antwortete Jonathan.
Ein Riegel knirschte, die Tür wurde einen Spalt aufgezogen. Leise, aber dennoch deutlich vernehmbar, sagte Jonathan: „Mein Name ist Jonathan Kincaid. Machen Sie auf.“
Zischend stieß John McAllister die Luft durch die Nase aus. Dann zog er schnell die Tür auf. Laut gab er zu verstehen: „Wenn Sie ein Zimmer wollen, sind Sie bei mir richtig. Treten Sie näher, Stranger.“
Seine Stimme entfernte sich vom Haus, sickerte hinaus auf die Straße und versank in all den unbestimmbaren Geräuschen, die von der Main Street heranwehten.
Als Jonathan im Haus und die Tür wieder verriegelt war, stieß McAllister hervor: „Mein Brief hat Sie also erreicht. Sie haben sich Zeit gelassen, Kincaid. Ich befürchtete schon, das Schicksal Ihres Stiefbruders interessiert Sie nicht.“
„Ich erhielt den Brief erst vor zwei Wochen“, erwiderte Jonathan, „und ehe ich losreiten konnte, gab es noch einige Dinge zu regeln.“
„Es spielt auch keine Rolle“, murmelte McAllister. „Lee ist tot. Nichts mehr kann ihn lebendig machen. Hauptsache ist, dass Sie da sind, um seinen Mörder zu überführen und zur Rechenschaft zu ziehen.“
John McAllister nahm Jonathan die Satteltaschen und das Gewehr ab, deponierte die Dinge im Flur und geleitete Jonathan in die geräumige, gemütlich eingerichtete Wohnstube. Zwei Öllampen leuchteten den Raum bis in die Ecken aus. Mrs. McAllister saß in einem Sessel und blickte voller Erwartung auf die hohe Gestalt, die den Raum betrat. Vor ihr auf dem Tisch lag Strickzeug.