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Pflichtbewusst, unschuldig und weit schöner als sie weiß, willigt Zosina als älteste Tochter des Königs von Lützelstein zögerlich ein als ihr Vater ihr mitteilt dass sie den König Gyorgy des angrenzenden Dorsia heiraten muss um eine Alliance gegen das machthungrige Deutschland nach dem deutsch-französischen Krieg zu bilden. Als sie zum Staatsbesuch in Dorsia eintrifft, wird sie vom Regenten des Landes begrüßt, ein freundlicher, gutaussehender und sehr einfühlsamer Prinz. Im Vergleich dazu und sehr zu Zosina's Schock ist ihr zukünftiger Ehemann Gyorgy ein wilder und unangenehmer Zeitgenosse. Aber zum Wohl ihres Landes muss sie sich in ein Leben ohne Liebe ergeben... bis dramatische Ereignisse ihr Leben in eine andere Bahn lenken.
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Seitenzahl: 211
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Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2022
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
www.m-ybooks.co.uk
»Zosina, wach auf!«
Das angesprochene Mädchen schrak zusammen und hob den Blick von dem Buch, in dem es gelesen hatte.
»Hast du mit mir gesprochen?« fragte sie.
»Schon zum dritten Mal!« antwortete ihre Schwester Helsa.
»Das tut mir leid. Ich habe gerade gelesen.«
»Das ist ja nichts Neues. Fräulein sagt, du wirst dir die Augen verderben und blind werden, ehe du vierzig bist.«
Zosina lachte, ein sanftes, wohlklingendes, lustiges Lachen.
»Obwohl es Fräuleins Aufgabe ist, uns zu unterrichten, findet sie doch immer ausgezeichnete Ausreden, damit wir nichts lernen.«
»Natürlich tut sie das«, bemerkte Theone, die eines der Modejournale mit Wasserfarben anmalte. »Fräulein weiß selbst so wenig, daß sie Angst hat, wir könnten erkennen wie wenig sie uns beibringen kann.«
»Das finde ich ziemlich unfreundlich«, meinte Zosina.
»Freundlich oder nicht«, erklärte Helsa, »wenn du nicht schnell nach unten gehst, wirst du Ärger bekommen. Papa erwartet dich nämlich.«
»Papa?« Zosina war überrascht. »Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?«
»Ich habe es doch die ganze Zeit versucht. Margit kam gerade herein und erklärte, Papa erwarte dich in seinem Arbeitszimmer. Du weißt, was das bedeutet!«
Zosina seufzte leise.
»Wahrscheinlich habe ich etwas vergessen, was er mir aufgetragen hat, aber ich kann mir nicht denken, was das gewesen sein könnte.«
»Du wirst es früh genug erfahren«, bemerkte Theone. »Ich bin froh, daß er nicht mich hat rufen lassen.«
Zosina erhob sich von ihrem Platz am Fenster und durchquerte das Schulzimmer, um sich im Spiegel über dem Kamin zu betrachten.
Sie ordnete ihr Haar, ohne sich ihres lieblichen Spiegelbildes mit den großen grauen Augen, die in diesem Moment ziemlich besorgt dreinschauten, bewußt zu sein.
Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern, was sie falsch gemacht oder vergessen haben könnte.
Was immer es auch war, ihr Vater würde die Gelegenheit ergreifen, um ausgesprochen unangenehm zu werden, Das war immer so, wenn er unter seiner Gicht litt.
Ohne noch ein Wort zu ihren Schwestern zu sagen, verließ Zosina das Zimmer.
Katalin, die bislang geschwiegen hatte und erst zwölf Jahre alt war, hob den Kopf: »Viel Glück, Zosina. Ich wünschte, ich könnte mit dir kommen.«
»Das würde Papa nur noch wütender machen, als er ohnehin schon ist.«
Zosina lächelte.
Dann eilte sie die langen Gänge entlang, die im Winter unangenehm kalt waren, bis sie schließlich die Haupttreppe des Palastes erreichte.
Erzherzog Ferdinand von Lützelstein lebte in großem Stil, was die Adligen unter seinen Untertanen beeindruckte, aber von denjenigen kritisiert wurde, die vermuteten, daß sie dafür bezahlen mußten.
Seinen Kindern gönnte er jedoch nur wenig Beachtung und Komfort, und sie wußten, daß das so war, weil sie die unverzeihliche Sünde begangen hatten, Töchter statt Söhne zu sein.
Es gab keinen Zweifel daran, daß der Erzherzog sehr enttäuscht und verbittert war, weil er keinen direkten Erben hatte.
»Du bist seine Lieblingstochter«, erklärte Katalin häufig, an Zosina gewandt, »weil du seine erste Enttäuschung warst. Helsa war Nummer Zwei und Theone Nummer Drei. Als dann ich geboren wurde, hat er mich so gehaßt, daß es mich eigentlich überrascht, daß er mich nicht in kleine Stücke geschnitten und in alle Winde verstreut hat!«
Katalin verfügte über eine dramatische Phantasie und sah sich immer in tiefer Liebe zu einem der jüngeren Gesandten im Palast oder einem der Offiziere der Garde entbrannt, vielleicht, weil ihr die Liebe ihres Vaters und ihrer Mutter fehlten.
Zosina war in mancher Hinsicht anders als ihre Schwestern. Sie sahen das Leben nüchtern und praktisch und konnten so die Schwierigkeiten und die kleinen, aber anstrengenden Entbehrungen in ihrem Leben als Fügungen des Schicksals hinnehmen.
„Wenn ich die Wahl hätte, wäre ich lieber als Tochter eines Försters geboren worden«, hatte Theone einmal erklärt, »als als Königliche Prinzessin, ohne den Glanz und das aufregende Leben, die damit zusammenhängen sollten.«
»Das wirst du alles bekommen, wenn du erwachsen bist«, hatte Zosina geantwortet.
Theone hatte nur gelacht.
»Und was ist mit dir? Du durftest zu deinem Debüt-Ball gehen, aber du mußtest mit den ältesten und langweiligsten Beamten des Landes tanzen. Seitdem hat Mama keinen Versuch mehr unternommen, dir etwas Abwechslung zu bieten. Außer du nennst es Abwechslung, wenn du im Wohnzimmer sitzen darfst, wenn sie die Frauen der Ratsherren empfängt, und sie sich über ihre Wohltätigkeitsveranstaltungen oder ähnlich tödlich langweilige Dinge unterhalten!«
Zosina mußte zugeben, daß das nicht gerade besonders unterhaltsam war. Aber sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, sich nicht zu langweilen, wenn sie der steifen Unterhaltung zuhören mußte, die alles war, was die Etikette des Palastes erlaubte.
»In letzter Zeit war es recht kalt«, würde ihre Mutter zum Beispiel sagen, um die Konversation zu eröffnen, wie es das Protokoll vorschrieb.
»Das war es tatsächlich, Königliche Hoheit.«
»Ich sage oft zum Erzherzog, daß der Wind um diese Jahreszeit besonders heimtückisch ist.«
»So ist es, Königliche Hoheit.«
»Wir werden alle dankbar sein, wenn es wieder wärmer wird.«
»Darauf freuen wir uns alle, Königliche Hoheit.«
Zosina hörte dabei nicht zu. Ihre Gedanken führten sie weit fort in eine Phantasiewelt, in der sich die Menschen intelligent und witzig unterhielten.
Oder sie befand sich auf dem Olymp, mischte sich unter die Götter und Göttinnen des alten Griechenland und grübelte über Probleme nach, deren Lösung die Menschen seit Urzeiten zu finden suchten,
Die Erzherzogin wäre überrascht gewesen, hätte sie gewußt, wieviel ihre älteste Tochter über die griechischen Götter wußte. Ebenso erstaunt wäre sie gewesen, hätte sie gewußt, daß Zosina über Büchern französischer Autoren saß, die ihr Einblick in die sonderbaren Möglichkeiten des Zeitvertreibs gewährten, die während des Zweiten Kaiserreichs Eingang in die französische Literatur gefunden hatten.
Zosina konnte von Glück sagen, daß die Palastbibliothek, die ihr Urgroßvater angelegt hatte, als einer der Schätze Lützelsteins galt. Deshalb wurde dem derzeitigen Herrscher, Erzherzog Ferdinand, alljährlich vom Parlament eine gewisse Summe zur Erhaltung des Bestandes zur Verfügung gestellt.
Neue Bücher wurden erworben und den Tausenden hinzugefügt, und der Bibliothekar, ein ältlicher Mann, ließ sich von Prinzessin Zosina leicht dazu überreden, seiner Liste auch die Bücher hinzuzufügen, die sie besonders gern lesen wollte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Ihre Königliche Hoheit das gutheißen würde«, pflegte er gelegentlich zu bemerken, wenn Zosina um das Werk eines Autoren bat, dessen zweifelhafter Ruf selbst Lützelstein erreicht hatte.
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, mein Herr«, sagte Zosina dann. »Mama hat niemals Zeit zu lesen, und es ist deshalb unwahrscheinlich, daß sie an irgend etwas Anstoß nehmen wird, das in Ihren Regalen steht.«
Sie lächelte bei diesen Worten, und der Bibliothekar ertappte sich dabei, daß er zurücklächelte und allem zustimmte, was dieses außergewöhnlich hübsche Mädchen von ihm verlangte.
Zosina hatte jetzt die Halle erreicht und öffnete die Tür, die ins Arbeitszimmer ihres Vaters führte.
Es war ein eindrucksvoller Raum, dessen Wände mit dunklem Holz getäfelt waren. Schwere Samtvorhänge waren vor den Fenstern drapiert,, und die Möbel waren wuchtig und altmodisch.
Es war ein Raum, den alle vier Prinzessinnen aus tiefstem Herzen verabscheuten, weil ihr Vater sie immer dort für ihre Missetaten schalt, und in dem sie jedes Mal ängstlich auf den Moment warteten, in dem er einen seiner Wutanfälle bekam, der gewöhnlich damit endete daß er sie anbrüllte: »Geht mir aus den Augen! Ich habe genug von euch Vieren. Gott weiß, warum ich mit so dummen Weibern gestraft worden bin, anstatt mit einem einzigen intelligenten Sohn gesegnet zu sein!«
Das war das Zeichen für sie, daß sie gehen durften, und obwohl die Erleichterung darüber fast nicht in Worte zu fassen war, klopften doch immer ihre Herzen, und ihre Lippen waren trocken.
Sie fühlten sich erst wieder sicher, wenn sie ins Schulzimmer zurückgekehrt waren.
»Was kann ich nur getan haben, um Papas Zorn zu erregen?« fragte sich Zosina jetzt.
Instinktiv reckte sie das kleine Kinn und trat ein.
Ihr Vater saß, wie sie es erwartet hatte, in seinem Lieblingssessel am Kamin.
Weil es Sommer war, brannte kein Feuer, und es war typisch, fand Zosina, daß in diesem Raum keine Blumen die leere Feuerstelle füllten, so daß die klaffende schwarze Öffnung den düsteren Eindruck des Zimmers noch verstärkte.
Der Erzherzog hatte sein gichtkrankes, mit Bandagen umwickeltes Bein auf einen Fußschemel gelegt, und Zosina stellte herzklopfend fest, daß er grimmig und streng aussah.
Sie ging auf ihn zu und fragte sich immer noch verzweifelt, was wohl nicht in Ordnung sein mochte, als er zu ihrer Überraschung aufblickte und sie anlächelte.
Der Erzherzog war in seiner Jugend ein außerordentlich gutaussehender Mann gewesen, und so überraschte es nicht sonderlich, daß seine vier Töchter allesamt hübsch waren.
Zosina war schon vor langer Zeit zu dem Schluß gekommen, daß ihre ebenmäßigen Züge teils von ihrer Urgroßmutter stammten, die Griechin gewesen war, und einige andere Merkmale Erbe der Mutter ihres Vaters waren, einer geborenen Ungarin.
»Wir sind eine Mischung aus Nationalitäten«, hatte sie einmal gesagt, »aber wir sind klug genug gewesen, von jedem Land, dessen Blut sich mit unserem gemischt hat, nur das Beste zu nehmen.«
»Wenn wir wirklich schlau gewesen wären, wären wir nicht in Lützelstein geboren worden«, erklärte daraufhin Katalin.
»Warum nicht?« wollte Helsa wissen.
»Nun, wenn wir die Wahl gehabt hätten, hätten wir doch gewiß Frankreich, Italien oder England ausgesucht!«
»Ich verstehe, was du meinst. Also, ich hätte mir Frankreich ausgesucht. Ich habe gehört, wie fröhlich es in Paris zugehen soll!«
»Unser Botschafter hat Papa erzählt, daß das Verhalten der Franzosen während des Zweiten Kaiserreichs skandalös gewesen sei!«
»Das ist jetzt alles vorbei«, antwortete Theone. »Aber ich wette, man hat immer noch eine Menge Spaß dort. Wir hätten in Frankreich geboren sein sollen!«
»Setz dich, Zosina«, forderte der Erzherzog seine Tochter auf. »Ich will mit dir reden.«
Gehorsam nahm Zosina auf dem Sofa neben ihm Platz, und er sah sie so lange an, daß sie sich schon fragte, ob er ihr Kleid mißbilligte oder vielleicht ihre neue Frisur.
Doch schließlich sagte er: »Ich muß dir etwas sagen, Zosina, das dich vielleicht überraschen wird. Aber in deinem Alter mußt du es erwartet haben.«
»Was denn, Papa?«
»Du wirst heiraten!«
Einen Augenblick lang dachte Zosina, sie hätte nicht richtig gehört. Ihre Augen weiteten sich, bis sie das ganze kleine Gesicht auszufüllen schienen.
»Wir sind dankbar, daß die Verhandlungen unseres Botschafters, Graf Csaky, sich als fruchtbar erwiesen haben. Ich werde ihn natürlich angemessen belohnen.«
»Willst du damit... sagen, Papa … daß der Graf meine Hochzeit vorbereitet hat?«
»Auf meine Veranlassung natürlich. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich gestehen, daß der Vorschlag einer solchen Verbindung ursprünglich vom Regenten von Dorsia kam.«
Zosina schien verwirrt, und als würde ihr Vater sie verstehen, erklärte er bedeutsam:
»Meine Liebe, du wirst König Gyorgy heiraten!«
Zosina brachte kaum ein Wort hervor.
»Aber... Papa, ich habe ihn… nie gesehen, und warum sollte er wünschen... mich zu heiraten?«
»Genau das will ich dir erklären. Also hör mir gut zu. Du weißt natürlich, daß ich mir schon seit geraumer Zeit Sorgen wegen der wachsenden Macht des Deutschen Kaiserreichs mache.«
»Ja, Papa«, murmelte Zosina.
Ihr Vater hatte zwar nie mit ihr darüber gesprochen, aber Zosina erinnerte sich, daß im Palast über kaum etwas anderes gesprochen worden war als über die Politik des Ministerpräsidenten von Preußen, Otto von Bismarck, die bei Ausbruch des französisch-deutschen Krieges vor fünf Jahren Lützelsteins Unabhängigkeit zu bedrohen schien.
Preußen hatte sich schon lange auf diesen Krieg vorbereitet, und Bismarck hatte die Situation geschickt so gelenkt, daß der Gegner Frankreich in der Öffentlichkeit als Angreifer dastand.
Im Juli 1870 hatte Frankreich Preußen den Krieg erklärt, Bayern und andere süddeutsche Königreiche und kleine Fürstentümer hatten sich auf die Seite Preußens gestellt.
Im Januar des folgenden Jahres, nach einer schrecklichen, 11 Tage währenden Belagerung, hatte das hungernde Paris dem Feind die Tore geöffnet.
Die kleinen Königreiche im Süden, die nicht in den Krieg verwickelt gewesen waren, wie Lützelstein und Dorsia, hatten gehofft, daß ihr großer Nachbar Bayern sie vor Bismarcks ehrgeizigen Zielen schützen würde.
Doch König Ludwig von Bayern, der als unberechenbar galt, war krank gewesen und deshalb nicht in der Lage, sich dem Druck zu widersetzen, den Preußens Gesandte ausübten.
All dies schoß Zosina jetzt durch den Kopf, und so war sie nicht überrascht als ihr Vater sagte: »Es ist in der derzeitigen Situation absolut notwendig, daß Lützelstein und Dorsia unabhängig bleiben. Nur so kann das Gleichgewicht der Mächte in Europa erhalten bleiben.« Nach kurzer Pause fuhr er eindringlich fort: »Wir haben ein angeschlagenes Österreich auf einer Seite, ein geschwächtes Bayern auf der anderen, und das Deutsche Reich wird von Tag zu Tag mächtiger, bereit, uns in das eiserne Netz eines starren Kaiserreiches zu ziehen!«
»Ich verstehe, Papa«, murmelte Zosina.
»Nichts verstehst du!« polterte der Erzherzog. »Aber ich will es dir erklären. Die politische Lage ist der Grund dafür, daß eine enge Allianz durch die Ehe des Königs von Dorsia mit einer meiner Töchter geschlossen werden soll. Dadurch bekommen die Politiker in beiden Ländern mehr Macht und Gewicht.«
Wieder wollte Zosina sagen, daß sie es verstand, aber statt dessen nickte sie nur.
»Begreifst du überhaupt, was ich dir zu erklären versuche? Bei Gott, wenn ich einen Sohn hätte, würde er die Lage schnell genug erfassen!« polterte der Erzherzog.
»Ich verstehe den Grund für die Hochzeit, Papa. Aber ich habe mich gefragt, ob der König... mich wirklich heiraten möchte.«
»Natürlich will er dich heiraten!« antwortete der Erzherzog ungeduldig. »Er kann die Situation begreifen, weil er ein Mann ist, und noch dazu ein Monarch!«
»Ich dachte nur, Papa, daß der König und ich... uns hätten treffen sollen ... ehe alles entschieden würde«, wandte Zosina mit ihrer sanften Stimme ein.
»Treffen? Natürlich werdet ihr euch treffen!« fuhr der Erzherzog sie an. »Genau das will ich dir ja erzählen. Wenn du mich nicht dauernd unterbrechen würdest, Zosina, könnte ich zur Sache kommen.«
»Es tut mir... leid, Papa.«
»Deine Hochzeit soll so bald wie möglich stattfinden, als Warnung an Deutschland, sich nicht mit uns anzulegen«, erklärte der Erzherzog. »Aber weil wir alles in der vorgeschriebenen Weise hinter uns bringen müssen, habe ich arrangiert, daß die Königinmutter Dorsia einen Staatsbesuch abstatten und dich mitnehmen wird.«
Zosinas Gesicht hellte sich auf.
»Ich soll mit Großmama nach Dorsia fahren, Papa? Das wird ja aufregend!«
»Es tut mir leid, daß ich nicht selbst reisen kann. Deine Mutter und ich würden das natürlich beide vorziehen, aber wie du siehst, macht mein verdammtes Bein es mir unmöglich.«
Er zuckte zusammen, und Zosina fragte hastig: »Hast du große Schmerzen, Papa?«
Der Erzherzog unterdrückte einen Fluch und sagte statt dessen barsch: »Ich wünsche nicht darüber zu sprechen. Ich sagte, daß du deine Großmutter auf einem Staatsbesuch begleiten wirst, an dessen Ende deine Verlobung öffentlich bekanntgegeben wird.«
Zosina schwieg einen Moment. Dann sagte sie: »Angenommen .... Papa, der König... mag mich nicht, und ich .... mag ihn nicht? Würden wir dann ... trotzdem heiraten?«
Ihr Vater funkelte sie böse an, ehe er antwortete: »Eine dümmere Frage habe ich selten gehört! Was macht es schon, ob ihr euch mögt oder nicht? Es ist eine politische Angelegenheit, wie ich dir gerade erklärt habe. Wenn du mir nur zugehört hättest!«
»Ich habe zugehört, Papa. Aber Politik hin oder her, ich bin es, die den König... heiraten muß.«
»Und du kannst dich deshalb glücklich schätzen!« brüllte der Erzherzog. »Mein Gott, ich muß vier Töchter unter die Haube bringen. Du kannst nicht erwarten, daß ich für alle einen König finde!«
Zosina holte Luft.
»Ich nehme an ... Papa, du möchtest nicht, daß ... Helsa an meiner Statt geht? Sie möchte sehr gern ... heiraten, während ich … gern hier bei... dir und Mama bliebe.«
Sie sprach zögernd und leise, und doch trieben diese Worte ihrem Vater das Blut ins Gesicht: »Wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen!« fuhr er sie an. »Wie kannst du es wagen anzudeuten, daß du nicht tun wirst, was man dir sagt! Du solltest Gott auf Knien danken, daß du einen Vater, hast, der dich so sehr liebt, daß er dir einen Thron schenken will, den man schließlich nicht jeden Tag bekommt!«
Vor Zorn wurde seine Stimme immer tiefer, als er fortfuhr: »Du wirst das tun, was ich dir sage! Du wirst mit deiner Großmutter nach Dorsia fahren und nett zum König sein, hast du mich verstanden?«
»Ja, Papa... aber...«
»Keine Einwände mehr! Es ist schrecklich, daß ich nach allem, was ich für dich getan habe, feststellen muß, daß ich eine Schlange an meiner Brust genährt habe! Du bist nicht nur dumm, du bist auch noch undankbar! Im ganzen Herzogtum gibt es kein Mädchen, das nicht freudig eine solche Gelegenheit ergreifen würde. Aber du nicht! O nein, nicht du! Du mußt dich beklagen und hast an allem etwas auszusetzen! Allmächtiger! Was glaubst du denn, wer dich heiraten will, der Erzengel Gabriel?«
Der Erzherzog ließ sich jetzt von seinem Wutanfall mitreißen, und Zosina wußte, daß sie nichts tun konnte, um den Sturm zu mildern. So erhob sie sich.
»Es tut mir ... leid, daß du ... böse bist, Papa. Aber danke, daß .... du an mich ... gedacht hast.«
Sie machte einen Knicks und verließ das Zimmer, während er ihr nachbrüllte: »Undankbar und dumm! Warum bin ich nur mit solchen Kindern gestraft?«
Zosina schloß die Tür und war froh, daß sie den Gang entlangeilte und nicht mehr hören konnte, was er sagte.
»Ich hätte schweigen sollen«, schalt sie sich.
Ihr Vater hatte sie überrumpelt, und sie wußte, daß es außerordentlich dumm gewesen war, Einwände gegen seine Pläne zu erheben. Das ärgerte ihn jedes Mal.
Außerdem ist er wütend, dachte sie, weil er den Staatsbesuch nicht selbst machen kann. Er hätte ihn so genossen. Aber es wird Spaß machen, mit Großmutter zu reisen.
Königin Szofia, die Königinmutter, wurde von ihren vier Enkelinnen geliebt und bewundert. Da sie über entwaffnenden ungarischen Charme verfügte, hatte sie den Großteil der Bevölkerung für sich eingenommen, als sie noch in Lützelstein regierte.
Aber es gab bei Hofe auch einen kleinen Kreis, der sie leichtlebig fand, zu frei und locker in ihrer Art.
Selbst jetzt, mit über sechzig, schien sie noch öfter zu lachen als alle anderen, und das Leben in dem kleinen Palast, in den sie sich zurückgezogen hatte, schien für Zosina immer voller Glück und Fröhlichkeit zu sein.
Sie hatte jetzt die Halle erreicht und ging auf die Treppe zu, als Graf Csaky, Lützelsteins Botschafter in Dorsia, aus dem Schatten auftauchte.
Er war ein älterer Mann, den Zosina schon ihr Leben lang kannte. Als sie bemerkte, daß er sie sprechen wollte, ging sie mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
»Wie schön, Sie zu sehen, Euer Exzellenz!« rief sie aus. »Ich wußte nicht, daß Sie in Lützelstein sind!«
»Ich bin erst vor zwei Tagen zurückgekehrt, Königliche Hoheit.« Er beugte sich über ihre Hand. »Ich nehme an, Seine Königliche Hoheit hat Euch erzählt, welche Neuigkeit ich mitgebracht habe?«
»Wir haben gerade darüber gesprochen.« Zosina hoffte, daß der Botschafter den Wutausbruch ihres Vaters nicht gehört hatte.
Er lächelte und meinte: »In dem Fall möchte ich Euch etwas zeigen.«
Sie ging mit ihm in eines der Vorzimmer, in dem für gewöhnlich die vornehmen Persönlichkeiten saßen, wenn sie auf eine Audienz bei ihrem Vater warteten.
Der Graf trat an einen Tisch, auf dem ein Diplomatenkoffer lag. Er öffnete ihn, holte ein kleines Lederetui hervor und reichte es ihr. Sie wußte, ohne daß man es ihr sagen mußte, daß es eine Miniatur des Königs von Dorsia enthielt.
Er war ein gutaussehender Mann mit dunklem Haar und dunklen Augen. Er trug eine weiße Jacke, auf der Orden funkelten, und wirkte sehr beeindruckend.
»Ich dachte, Ihr würdet das gern sehen«, sagte der Botschafter.
»Das ist sehr freundlich, Exzellenz. Ich hatte mich schon gefragt, wie der König wohl aussehen mag, aber eigentlich dachte ich, auch wenn ich es Papa gegenüber nicht erwähnte, daß er zum Heiraten zu jung sei!«
»Seine Majestät wird in einem Monat volljährig«, erwiderte der Graf. »Dann wird er in der Lage sein, ohne den Regenten zu regieren, und der Premierminister und der Rat halten es für sehr wichtig, daß er eine Frau zur Seite hat, die ihn unterstützt, wenn sich sein Onkel zurückzieht.«
»War sein Onkel lange Zeit Regent?« erkundigte sich Zosina in der Annahme, daß das von ihr erwartet wurde.
»Ja, acht Jahre. Der König war erst zwölf, als sein Vater starb, und sein Onkel wurde zum Regenten ernannt. Er hat Dorsia, wie ich wohl sagen darf, im Namen seines Neffen außerordentlich gut regiert. Er hat es zu einem reichen Land gemacht. Königliche Hoheit werden allen Komfort haben, abgesehen davon, daß Ihr in einem Land leben werdet, das meiner Meinung nach zu den schönsten der Welt zählt.«
In der Stimme des Botschafters lag so viel Wärme, daß Zosina ihn überrascht ansah.
»Ich bin Lützelstein gegenüber nicht unloyal, Königliche Hoheit«, erklärte der Graf hastig, »aber zufällig kam meine Mutter aus Dorsia. Das ist einer der Gründe dafür, warum ich so entzückt war, zum dortigen Botschafter ernannt zu werden.«
Zosina blickte auf die Miniatur hinab, die sie in der Hand hielt.
»Ich habe meinen Vater gefragt, ob der König ... mich wirklich heiraten will, aber... es hat ihn wütend gemacht. Ich würde Ihnen gern ... dieselbe Frage stellen.«
Sie blickte den Grafen fragend an.
Jeder Mann würde nur zu gerne eine solch liebliche und reizende Person heiraten, dachte der Graf bei sich.
Er hatte Zosina immer für ein außerordentliches Mädchen gehalten, und er war sicher, daß sie mit ihrer Intelligenz, ihrer Schönheit und ihrem Charme jedes Land, über das sie regierte, und jeden Mann, den sie heiratete, glücklich machen würde.
Er begriff, daß sie auf eine Antwort von ihm wartete.
»Zufällig habe ich eine Miniatur von Euch mit nach Dorsia genommen, Königliche Hoheit, weil ich dachte, der König wünschte sie zu sehen.«
»Und was hat Seine Majestät gesagt?« fragte Zosina leise.
»Ich kenne die Reaktion Seiner Majestät nicht, aus dem einfachen Grund, weil meine Verhandlungen bezüglich der Hochzeit mit dem Regenten stattfanden. Ich gab ihm die Miniatur, damit sie auch gewiß in die Hände Seiner Majestät gelangte.«
Zosina war enttäuscht. Sie hätte gern genau gewußt, was der König gesagt hätte, als er ihr Portrait sah.
»Ich sehe ein«, meinte der Graf mit dem Takt, der zu seinem Beruf gehörte, »daß es für Eure Königliche Hoheit schwierig ist, die Ehe mit jemandem in Erwägung zu ziehen, den Ihr niemals gesehen habt, selbst wenn Ihr Euch im Klaren darüber seid, wie wichtig diese Ehe für Lützelstein und Dorsia ist.«
»Ich... akzeptiere, daß ich gewisse Pflichten habe«, meinte Zosina stockend, »aber gleichzeitig…«
Sie brach ab. Wie wollte sie dem Botschafter erklären, daß sie ihrem zukünftigen Mann mehr als nur ein politischer Schachzug bedeuten wollte?
»Erzählen Sie mir vom König«, bat sie, ehe der Botschafter etwas sagen konnte.
»Er sieht, wie Ihr feststellen könnt, sehr gut aus.«
Zosina spürte, daß der Graf seine Worte ausgesprochen vorsichtig wählte.
»Er ist jung, aber das ist etwas, was die Zeit von selber heilt, und er genießt das Leben in vollen Zügen.«
»Wie meinen Sie das?«
Zosina hatte das Gefühl, daß es dem Grafen schwerfiel, diese Frage zu beantworten.
Zögernd erwiderte er: »Alle jungen Männer finden das Leben aufregend, wenn sie ihre Lehrer und Studien endlich hinter sich lassen, und der König bildet da keine Ausnahme. Aber ich denke, Königliche Hoheit, es wäre ein Fehler, wenn ich zu viel sagen würde. Ich möchte, daß Ihr Euch selbst ein Urteil bildet und nicht voreingenommen nach Dorsia fahrt.«
Wieder blickte Zosina auf die Miniatur hinab.
Der König sah gut aus, und mehr zu sich selbst sagte sie: »Er ist... sehr jung.«
»Zwei Jahre älter als Königliche Hoheit«, bemerkte der Botschafter. »Menschen, die ihn kennen, sagen, daß er in mancher Hinsicht sehr viel älter wirkt, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, daß er schon seit vielen Jahren König ist.«
»Aber es ist der Regent, der alle Arbeit leistet!« protestierte Zosina.
»Nicht alle. Prinz Sandor hat großen Wert darauf gelegt, daß auch der König viele Pflichten übernimmt, die ihm sonst vielleicht erlassen worden wären.«
»Verabscheut Seine Majestät den Gedanken, daß ein Regent das Land für ihn regiert?«
»Diese Frage kann ich nicht beantworten, Königliche Hoheit. Wie ich Prinz Sandor kenne, kann ich mir nicht vorstellen, daß irgend jemand ihn verabscheut, aber bei jungen Leuten weiß man ja nie. Ich denke jedoch, daß Seine Majestät sehr froh sein wird, alle Einschränkungen mit Ausnahme des Parlaments ablegen zu können, sobald er volljährig wird.«
»Er könnte auch eine ... Ehefrau als Last empfinden.«
Der Graf lächelte.
»Ich glaube, Hoheit, daß kein Mann Euch jemals als eine solche empfinden würde.«
Zosina legte die Miniatur auf den Diplomatenkoffer zurück.
»Ich danke Ihnen, Exzellenz, daß Sie so liebenswürdig gewesen sind. Werden Sie mich und die Königinmutter nach Dorsia begleiten?«
Ihr Ton war fast bittend, und der Blick, den sie dem Botschafter zuwarf, verriet ihm, daß es für sie Hilfe und Trost wäre, ihn bei sich zu haben.
»Ich werde Eure Königliche Hoheit begleiten, und Ihr wißt, ich stehe Euch jederzeit zur Verfügung, wenn Ihr mich benötigt.«
Zosina hielt ihm die Hand hin und verließ dann ohne ein weiteres Wort das Vorzimmer, durchquerte die Marmorhalle und stieg die Treppe empor.
Auf halbem Wege fing sie an zu laufen und platzte schließlich schwer atmend ins Schulzimmer.
»Danke.«
Drei besorgte Gesichter wandten sich ihr zu.
»Was ist los? Was ist passiert?« fragte Helsa.
»War Papa sehr unangenehm?« wollte Theone wissen. Einen Moment lang brachte Zosina kein Wort hervor. Da sprang Katalin auf, lief zu ihr und schlang die Arme um ihre Taille.