Den Schmerz verwandeln - Anselm Grün - E-Book

Den Schmerz verwandeln E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Schmerz oder vielmehr die Erlösung von Schmerzen ist für viele Menschen heute ein zentrales Thema. Dabei geht es weit seltener um physische als eher um psychische Schmerzen: Verletzungen aus der Kindheit, Abschiede, Verluste, aber auch Schuldgefühle sowie die Sehnsucht nach Vergebung spielen dabei eine große Rolle. Doch Schmerz ist nicht nur ein Thema unserer Zeit. Als grundlegend humane Empfindung verbindet er Menschen über alle Grenzen wie Religion, Herkunft, Wohlstand, Generation oder Weltgeschichte hinweg miteinander. Wenn von Schmerz die Rede ist, spricht man eine Sprache, die auf der ganzen Welt verstanden wird. Der bekannte Benediktinerpater Anselm Grün und der renommierte islamische Autor Ahmad Milad Karimi widmen sich in diesem Buch daher der kulturübergreifenden Bedeutung, aber auch der spirituellen Dimension von Schmerz. Sie zeigen einen Weg auf, wie es gelingen kann, Schmerz zuzulassen, ihn dann aber auch zu überwinden, sich mit ihm auszusöhnen, ihn zu akzeptieren und auf diese Weise Heilung zu finden.

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Seitenzahl: 139

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0577-3

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024

ISBN 978-3-7365-0635-0

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Lektorat: Antonie Hertlein

Covergestaltung: Finken und Bumiller

Covermotiv: bürosüd, München

www.vier-tuerme-verlag.de

Anselm GrünAhmad Milad Karimi

Schmerz verwandeln

Eine interreligöse Reise zur spiritueller Heilung

Vier-Türme-Verlag

Inhalt
Vorwort
Anselm Grün Ahmad Milad Karimi
Der Schmerz über den Verlust eines Kindes – Adam und Eva
Anselm Grün
Der Schmerz über das Böse in der Welt – Noah
Anselm Grün
Der Schmerz über die eigenen Abgründe und Grenzen – Abraham
Ahmad Milad Karimi
Der Schmerz von Ohnmacht und Verlassenheit – Jakob und Josef
Ahmad Milad Karimi
Der Schmerz, der aus Überforderung und Verantwortung entsteht – Mose
Ahmad Milad Karimi
Der Schmerz von Verrat und Neid – David
Anselm Grün
Der Schmerz der Verblendung und der Entfernung von sich selbst – Salomo
Ahmad Milad Karimi
Der Schmerz über Lebenskatastrophen und Verluste – Hiob
Anselm Grün
Der Schmerz der Sinnlosigkeit – Jona
Anselm Grün
Der Schmerz der Überlastung und der Verleumdung – Maria
Ahmad Milad Karimi
Der Schmerz, zerbrochen zu werden und zu scheitern – Jesus
Anselm Grün
Der Schmerz der Hingabe – Muhammad
Ahmad Milad Karimi
Mitfühlen – Mitleiden – Barmherzigkeit
Anselm Grün Ahmad Milad Karimi
Anmerkungen

Vorwort

ANSELM GRÜNAHMAD MILAD KARIMI

Schmerzen gehören zum Menschsein dazu. Diese uralte Erfahrung findet sich daher schon ganz zu Beginn der Bibel, als Gott zu Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies sagt: »Unter Schmerzen gebierst du Kinder« (Genesis 3,16). Schmerzen sind also ein Zeichen dafür, dass wir uns außerhalb des Paradieses befinden. Die Verheißung ist, wieder dorthin zu gelangen und ohne Schmerzen zu sein. Doch solange wir leben, werden wir immer Schmerzen erfahren, körperliche wie seelische. Ärzte haben die Aufgabe, diese zu lindern, doch häufig gelingt es nicht, sie ganz zum Verschwinden zu bringen. Das ist vor allem für Menschen, die an chronischen Schmerzen leiden, eine tägliche Realität.

Körperlichen Schmerzen gegenüber fühlen wir uns oft ohnmächtig. Und viele seelische Schmerzen, Verletzungen, die wir in der Kindheit erlebt haben, brechen heute immer wieder auf, wenn wir auf ähnliche Weise verletzt werden. Da hat ein Mensch, der als Kind Verlassenheit erfahren hat, immer wieder Angst, das könne ihm wieder geschehen. So bereitet ihm jeder Abschied große Schmerzen. Jemand, der sich als Kind übersehen fühlte, hat den Eindruck, dass er auch heute nicht gesehen wird. Wer als Kind beschämt wurde, den verunsichert jede Kritik und er fühlt sich von Neuem beschämt und abgelehnt.

Wir können theologisch, philosophisch oder medizinisch auf den Umgang mit Schmerzen schauen. Doch in diesem Buch gehen wir einen anderen Weg. Wir wollen die verschiedensten Arten von Schmerz beispielhaft an Menschen sichtbar werden lassen, die sowohl in der Bibel wie auch im Koran vorkommen. Die biblischen Figuren und die Gestalt Muhammads zeigen uns, welche Formen von Schmerzen es gibt und wie es gelingen kann, sie zu überwinden und sich mit ihnen auszusöhnen. Dabei geht es nicht darum, gegen die Schmerzen zu kämpfen, sondern freundlich mit ihnen umzugehen, sie anzunehmen. Denn nur was wir annehmen, kann verwandelt werden. Die biblischen Gestalten, die auch im Koran vorkommen und die dieser auf seine Weise beschreibt, zeigen uns viele Wege, den Schmerz umzuwandeln. Es gibt nicht den einen für alle. Jeder Leser und jede Leserin kann für sich den Weg aussuchen, der seinem oder ihrem Wesen am meisten entspricht. So schenken uns Bibel und Koran die innere Freiheit, im Blick auf die biblischen Gestalten unseren je eigenen Weg zu entdecken, mit den Schmerzen umzugehen.

Hildegard von Bingen nutzt das schöne Bild von den Wunden, die in Perlen verwandelt werden. Darum geht es auch, wenn wir die Schmerzen der biblisch-koranischen Gestalten betrachten. Menschen, die Schmerzen erlitten und versucht haben, damit umzugehen, berühren uns alle. Ihre Schmerzen sind ein Spiegel für uns.

Auch wenn wir heute wissen, dass viele Arten von Schmerz einen psychischen Hintergrund haben, sollten wir vorsichtig sein mit deren Deutung. Selbst wenn die Schmerzen keine körperliche Ursache haben, sind sie deshalb nicht eingebildet. Der Patient erlebt sie als real. Daher ist es wichtig, sich der Schmerzen auf angemessene Weise anzunehmen und die bestmögliche Linderung anzustreben.

Biologisch betrachtet ist der Schmerz ein Warnzeichen für Menschen, das auf Krankheiten hinweist und auf Gefahren. Wenn eine bestimmte Körperhaltung mir Schmerzen bereitet, lädt mich das zudem ein, eine andere Haltung einzunehmen. Der Schmerz hat also einen Sinn. Er will mir auf der einen Seite helfen, den Schaden zu erkennen, den der Schmerz anzeigt. Zum andern will er mich ermutigen, den Schaden abzuwehren. Aber es gibt auch Schmerzen, die nicht mehr verschwinden, selbst wenn ich ihre Botschaft gehört und verstanden habe. Dazu zählen zum Beispiel chronische Schmerzen. Im Umgang damit kommt auch die Medizin an ihre Grenzen. Daher versucht man häufig, sich hier eher mental mit dem Schmerz auseinanderzusetzen, sich mit ihm anzufreunden, auszusöhnen und sich auf diese Weise von ihm distanzieren zu können. Die Botschaft der Schmerztherapie lautet heute: Nicht gegen den Schmerz leben, ihn nicht bekämpfen, sondern mit ihm leben.

Der Schmerz erinnert mich immer wieder daran, dass ich als Mensch endlich bin, verwundbar. Ich muss mich von der Illusion verabschieden, dass es ein schmerzfreies Leben geben kann. Es gibt auch keine schmerzfreie Liebe. Liebe ist immer beides: das Beglückende, aber auch das, was mir Schmerzen bereitet. Je intensiver wir leben, desto glücklicher, aber desto schmerzanfälliger sind wir auch. Wer die Schmerzen als Einladung sieht, sich mit seiner Menschlichkeit und Brüchigkeit auszusöhnen, der kann gelassener damit umgehen.

Es gibt, wie schon erwähnt, dabei verschiedene Wege. Einer davon ist der spirituelle Umgang mit dem Schmerz. Das bedeutet, in den Schmerz hineinzugehen, sich hineinzufühlen, aber dann auch hindurchzugehen, um unterhalb des Schmerzes den Raum der Stille in mir zu entdecken, den Raum, von dem die Mystiker sagen, dass dort Gott selbst in mir wohnt. Jesus sagt dazu: dort, wo das Reich Gottes inwendig in uns ist. Hier hat der Schmerz keinen Zutritt, können die Menschen mich nicht verletzen mit ihren Worten und Sticheleien. Hier ist auch der körperliche Schmerz nicht zu spüren. Viele haben das Gefühl, wenn sie zum Beispiel starke Zahnschmerzen oder Migräne haben, sie wären ganz und gar Schmerz. Der Schmerz würde jede Faser ihres Leibes durchdringen. Auch in solchen Momenten kann es helfen, sich vorzustellen, dass man durch den Schmerz hindurchgeht auf den Grund der Seele als einem Ort, den der Schmerz nicht bewohnt, zu dem er keinen Zutritt hat. Das nimmt ihn nicht weg, aber es relativiert ihn. Vielleicht kann ich dann auch aufhören, gegen den Schmerz zu kämpfen. Ich lasse mich vielmehr von ihm in den inneren Raum der Stille führen. Dort kann ich mich geborgen fühlen, geschützt vor dem Schmerz. Es braucht allerdings auch Übung in Meditation, um in diesen Grund der Seele zu gelangen.

Im Koran ist ein berührendes Gebet zu lesen: »Unser Herr, lade uns nichts auf, wozu wir keine Kraft haben.«1 Der Schmerzsoll uns nicht überfordern, sondern uns öffnen für Grenzerfahrungen, die uns in Berührung mit uns selbst bringen. Rumi sagt: »Es ist Schmerz, der den Menschen leitet. Solange es in einem Werk keinen Schmerz, keine Leidenschaft und keine sehnsüchtige Liebe gibt, wird er nicht danach streben. Ohne Schmerz bleibt ihm die Sache unerreichbar, sei es diese Welt oder das Jenseits, sei es Handel oder Königtum, Gelehrsamkeit oder Sternkunde.«2 Es geht um dieses Brennen, diese Leidenschaft, die uns treibt, wenn wir offen dafür sind, diesen inneren Schmerz anzunehmen und ihn als Quelle der Verwandlung zu erleben.

Spannend an den Gestalten, um die es in diesem Buch geht, ist vor allem die Art und Weise, wie sie mit ihrem Schmerz umgehen: Sie beklagen sich bei Gott, sie ringen mit dem Schmerz. Aber immer wieder gelingt es ihnen, ihn anzunehmen, sich damit auszusöhnen und sich von ihm in den inneren Grund der Seele führen zu lassen, zu dem der Schmerz keinen Zutritt hat. Der Schmerz wird dann für sie zum Weg, der sie immer näher zu Gott führt und sie immer tiefer in den inneren Grund ihrer Seele eindringen lässt, in dem Gott in ihnen wohnt. Es geht hier aber nicht darum, in diesen Gestalten ein Vorbild zu sehen, das uns unter Druck setzt, und uns vorzuschreibt, dass wir auf gleiche Weise mit dem Schmerz fertig werden müssten. Vielmehr laden sie uns ein, im Blick auf sie unseren eigenen Weg zu entdecken, wie wir mit unserer Veranlagung, mit unserer Empfindlichkeit, mit unseren Grenzen auf die Schmerzen reagieren können und einen Weg für uns finden, uns mit den Schmerzen auszusöhnen und sie in Perlen zu verwandeln.

Der Schmerz über den Verlust eines Kindes – Adam und Eva

ANSELM GRÜN

Wenn ich von den Schmerzen Adams und Evas schreibe, möchte ich den Blick auch auf uns heutige Menschen richten. Adam und Eva lebten im Paradies. Man könnte es vergleichen mit einem Ehepaar, das frisch verheiratet ist und sich in der Phase des Verliebtseins gleichsam im Paradies, in einer heilen Welt fühlt. Doch dann werden beide schuldig. Zunächst wollen sie sich das nicht eingestehen. Sie schieben die Schuld, in die sie geraten sind, auf das Gegenüber, und tun das, was auch wir oft tun: Wir verstecken uns hinter unserer vermeintlichen Unschuld und schieben die Schuld auf die anderen. Und wenn das nicht funktioniert, dann suchen wir in den Umständen die Schuld. Bei Adam und Eva ist es die Schlange, die schuld ist am Übertreten des göttlichen Gebotes.

Doch nachdem sie von der verbotenen Frucht gegessen haben, müssen sie erkennen, dass sie nackt sind. Sie müssen sich eingestehen, dass sie schuldig geworden sind. Gott fragt Adam: »Wo bist du?« (Genesis 3,9). Er kann sich nicht mehr verstecken. Er muss sich seiner Schuld stellen und kann sie nicht mehr verdrängen. Viele Menschen leiden unter der Schuld, die sie auf sich geladen haben. Sie zerfleischen sich mit Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen. Wenn sie gläubig sind, vertrauen sie darauf, dass Gott ihnen ihre Schuld vergibt. Aber manchmal können sie sich selbst nicht vergeben. In den Seminaren, die ich gebe, erlebe ich immer wieder, dass es Menschen leichter fällt, anderen zu vergeben als sich selbst. Wenn ich nach den Gründen frage, erkenne ich oft: Wir alle haben eine Vorstellung von uns, wir halten uns für gute und anständige Menschen. Wir glauben, dass wir gut leben. Doch wenn wir Schuld auf uns laden, wird dieses Bild von uns selbst zerstört. Das kann uns sehr schwer treffen. Die Theologie sagt, die Ursünde des Menschen bestand darin, dass er wie Gott sein wollte. Er konnte es nicht ertragen, von Gott abhängig zu sein. Wir haben in uns oft auch das Bild, wie Gott zu sein: fehlerlos, souverän, klar, gut. Doch wenn wir in Schuld geraten, zerbricht dieses Idealbild, das wir von uns aufgebaut haben.

Manche meinen, die Kirche wecke in uns Schuldgefühle. Natürlich hat die Kirche oft Schuldgefühle verstärkt. Aber unabhängig davon, ob jemand religiös ist oder nicht: Manchmal kann man sich selbst nicht verzeihen, wenn man einen Fehler gemacht hat, wenn man sich blamiert oder einem anderen geschadet hat. Eine Frau kam nicht von ihren Schuldgefühlen los, weil sie einsah, dass sie ihrem Sohn als Kind nicht die nötigen Medikamente gegeben hatte. Sie fühlt sich schuldig, dass er jetzt als Erwachsener Gesundheitsprobleme hat. Dabei wollte sie doch immer eine gute Mutter sein und ihrem Kind alles geben, was es braucht. Ihr war nicht bewusst, was das fehlende Medikament hervorrufen könnte. Ein anderes Beispiel: Ein Mann erkennt, dass er seine verstorbene Frau verletzt hat, weil er sehr egoistisch seinen eigenen Hobbys nachgegangen ist und zu wenig Zeit für sie hatte. Beide dargestellten Personen quälen sich mit ihren Schuldgefühlen und kommen nicht davon los. Es sind seelische Schmerzen, die ihnen die Schuldgefühle bereiten. Auch wenn ich diesen Menschen sage, sie sollten ihre Schuldgefühle Gott hinhalten und darauf vertrauen, dass er ihnen alles vergibt, und sie sollten sich selbst vergeben, gelingt es ihnen nicht. Es ist ein schmerzlicher Prozess, bis man frei wird von solchen Schuldgefühlen.

Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben. Menschen, die aneinander schuldig geworden sind, werden aus dem Land der Unschuld vertrieben. Das Land, in das sie nun geraten, ist voller Mühsal und Schmerzen. Gott verflucht den Ackerboden und spricht zu Adam: »Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen und die Pflanzen des Feldes wirst du essen. Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst« (Genesis 3,17–19). Hier ist von der Arbeit auf dem Feld die Rede. Doch die Worte beschreiben das Leben, das Adam nach der Vertreibung aus dem Paradies prägt. Die Dornen stehen für die Verletzungen, die er in der Partnerschaft und auch im Umgang mit anderen Menschen immer wieder erleben wird. Und sie stehen – so deutet sie Jesus in Markus 4,19 – für die Gier nach Reichtum, für die ängstlichen Sorgen um den Lebensunterhalt. Die Frau wird andere Schmerzen erleben. Zu ihr spricht Gott: »Viel Mühsal bereite ich dir und häufig wirst du schwanger werden. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Nach deinem Mann hast du Verlangen und er wird über dich herrschen« (Genesis 3,16). Die Schmerzen beziehen sich nicht nur auf die Geburt. Die Mutter freut sich am Wachsen des Kindes. Sie hat aber auch Schmerzen, wenn es sich nicht so verhält oder entwickelt, wie sie es sich wünscht. Sie sehnt sich nach dem Mann, wird aber oft genug auch von ihm verletzt.

Die Schmerzen, die Kinder nicht nur der Mutter, sondern auch dem Vater bereiten, kommen auf dramatische Weise in der Geschichte von Kain und Abel zur Sprache. Eltern möchten, dass ihre Kinder sich gut untereinander verstehen. Sie tun alles, damit Harmonie in der Familie herrscht. Doch dann erleben sie, dass die Geschwister streiten. Sie versuchen, sie miteinander zu versöhnen, aber das gelingt oft nicht. Ich habe Eltern erlebt, die darunter litten, dass ihr Sohn und ihre Tochter nicht mehr miteinander sprachen. Beim Geburtstag der Mutter oder des Vaters setzten sie die Eltern unter Druck: Entweder sie kommt oder ich. Wenn die Schwester oder der Bruder kommt, komme ich nicht. Alle Versuche, die Geschwister miteinander zu versöhnen, schlugen fehl. Ähnlich ergeht es Adam und Eva. Sicher wollen sie Kain und Abel gerecht behandeln, aber Kain hat das Gefühl, dass er als Ackerbauer die schwerere Arbeit hat als sein jüngerer Bruder Abel, der nur die Schafe zu hüten braucht. Und so kann Kain es nicht ertragen, dass sein Bruder offensichtlich von den Eltern mehr geliebt wird. Das drückt die Bibel aus in dem Bild, dass Gott auf das Opfer Abels schaut, auf das Opfer Kains aber nicht. Wir dürfen das nicht Gott in die Schuhe schieben, als sei er daran schuld, dass Kain wütend wird. Von Kain heißt es: »Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich« (Genesis 4,5). Gott hat Verständnis dafür, dass der Dämon des Neids über Kain kommt. Es wäre Kains Aufgabe, ihn zu überwinden: »… wenn du nicht gut handelst, lauert an der Tür die Sünde. Sie hat Verlangen nach dir, doch du sollst über sie herrschen« (Genesis 4,7). Doch Kain wird nicht Herr über den Neid, sondern der Neid beherrscht ihn so, dass er seinen Bruder Abel erschlägt.

Das ist ein weiterer Schmerz, den Eltern erleiden können: der Tod eines Kindes. Ich halte immer wieder Kurse für verwaiste Eltern. Da spüre ich, welche schmerzliche Trauer die Eltern überfällt und lange Zeit beherrscht, wenn ein Kind stirbt. Sie haben so viel Hoffnung auf das Kind gesetzt. Jetzt ist es gestorben, entweder durch Krankheit, durch einen Unfall oder auch durch Suizid. Ich nenne das Seminar »Tod zur Unzeit«. Wenn Eltern im Alter sterben, ist es oft an der Zeit. Doch wenn ein Kind vor den Eltern stirbt, ist es immer zur Unzeit. Da ist nicht nur die enttäuschte Hoffnung, sondern auch der Schmerz, dass das geliebte Kind auf einmal nicht mehr da ist. Es fehlt der Familie. Sein Lachen fehlt, seine Lebendigkeit, die die Eltern angesteckt hat. Das Haus kommt ihnen leer vor. Es braucht lange Zeit, bis die Trauer der Eltern sich langsam in Dankbarkeit wandelt, dass sie dieses Kind hatten und es erleben durften. Die Hoffnung für die Eltern besteht dann darin, dass das Kind zum inneren Begleiter für die ganze Familie wird.