Den Wind im Haar, das Meer im Blick - Manuela Warda - E-Book

Den Wind im Haar, das Meer im Blick E-Book

Manuela Warda

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Beschreibung

»Wenn Sie Lust auf eine Herausforderung haben und mit beiden Beinen im Leben stehen, dann melden Sie sich bitte.« Als Manuela Warda diese Zeilen liest, bahnt sich in ihrem Leben ein Umbruch an. Lange hatte sie an einer Schule in Niedersachsen unterrichtet. Nun sucht die Halligschule auf Hooge eine neue Lehrkraft, und kurzerhand ergreift die Pädagogin ihre Chance. Lehrerin in Nordsee-Idylle mit kleinen Klassen und altmodischen Kreidetafeln – schöner kann es nicht werden, oder? Manuela Warda macht das Rennen und zieht mit ihrer Tochter auf die kleine Hallig Hooge mit ihren knapp hundert Bewohner*innen. Auch wenn das Wattenmeer eine beruhigende Wirkung auf die Neuankömmlinge hat, so ist die Stimmung in der chaotischen Gruppe, die im Klassenzimmer auf sie wartet, alles andere als idyllisch. Da heißt es: Ärmel hochkrempeln und anpacken! Mit viel Mut und Durchhaltevermögen bestreitet Manuela Warda ihr Halligabenteuer und zeigt ihren 13 Schüler*innen, wie sie die Freude am Lernen wiederfinden – dabei immer fest im Blick: das Treiben der Nordsee.

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Seitenzahl: 238

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Aufbruchsstimmung

Wege entstehen beim Gehen

Ankunft auf Hooge

Porrenpann

Von Postadressen, Klingeln und Herzklopfen

Wat mutt, dat mutt

Stranger Things

Der erste Schultag

Die Wilde 13

Das gibt’s nur auf Hooge

Von Stundentafeln und Klassenbüchern

Wie schön, dass du geboren bist

Novemberdepressionen und Heimweh

Landunter

Ich bin die Halliglehrerin

Die Weihnachtsfeier

Lewer duad üs Slav

Crime time

Biike – Petrus brennt

So sehen Sieger aus

Der Halligwinter fordert seinen Tribut

Frühlingserwachen

Eine nie endende Wintersaison

Einfach mal durchatmen

Watt en Schlick

Sommerbräune

Zwischen dem Hier und dem Dort

Should I stay or should I go now?

 

 

 

 

Für Begebenheiten in meinem Leben ist es von besonderer Bedeutung, wann sie meinen Weg kreuzen. Es ist wie mit der bläulich angelaufenen Eisenkugel in einem alten Flipper. Die Kugel tritt aufs Tableau, und je nachdem, wo sie anschlägt, gibt es Bonuspunkte oder Verluste, nimmt sie Fahrt auf oder wird gänzlich gehalten, ändert die Richtung oder bleibt unbeeindruckt. Dabei ist die Kugel immer dieselbe.

 

Egal welches Ereignis mir begegnet, welche Kugel mir zugespielt wird, es zählt der Augenblick, in dem es in mein Leben tritt.

Aufbruchsstimmung

Es war g anz ruhig im Gebäude. Meine Hände strichen liebevoll über die kleinen, unförmigen, bunten Hartplastikknubbel, die mit starker Verschraubung an der Wand im Flur angebracht waren und zum Klettern einluden. Wie viele kleine Hände hatten sich hier schon festgehalten. Ich warf einen letzten Blick in das vertraute Klassenzimmer, das mir vorwurfsvoll entgegenstarrte – leer und verlassen. Auf einem der Tische lag verloren ein gelber Bleistift mit stumpfer Mine. Der hintere Teil des Stiftes war übersät mit Bissspuren als Folge starken Nachdenkens. Einst glitt er, geführt von leicht verkrampfter Hand, über das Papier, vollführte Schwungübungen und erste Schreibversuche.

»Das macht voll Spaß«, hatte der kleine Blondschopf gesagt und mich auf dem Weg in den Flur angestrahlt. Er hatte eine Seite im Schreibheft bewältigt. Seine Zungenspitze hatte all die Bewegungen unterstützt. Nun durfte er auf den Bewegungsparcours. Flink kletterte er die Wand entlang, sprang über die Bank, rollte im Purzelbaum über die Matte, hinkte durch die Ringe und vollführte noch fünf Hampelmänner. Mit leuchtenden Wangen und ein wenig aus der Puste kam er wieder in den Klassenraum, trank einen Schluck Wasser und machte sich an die Arbeit, um die nächste Schreibarbeit zu bewältigen. Es war ein dynamisches und zugleich konzentriertes Lernen gewesen. Ich steckte den Bleistift in die Tasche und schloss die Tür.

Ein letztes Mal trat ich auf den hinteren Schulhof – Pausenaufsicht ohne Kinder.

Die zahlreichen Spielgeräte standen verwaist zwischen Bäumen und Grünflächen. Die aufgemalten Hüpfkästchen auf der Pflasterung waren bereits verblasst. Bald würden die Baufahrzeuge anrücken, um die kleine Grundschule in eine große Kindertagesstätte umzufunktionieren. Lange hatten wir um den Erhalt dieser kleinen Schule gerungen und gekämpft. Mit Vorständen, Ratsherren und Bauausschüssen diskutiert. Doch die Kapazitäten einer kleinen Gemeinde waren begrenzt, der Luxus von mehreren Grundschulen nicht haltbar. »Solang Ihre finanziellen Argumente gegen unsere pädagogischen stehen, haben wir keine Diskussionsgrundlage. Wir wissen alle, wer dann verliert.« Mein Herz hatte wie wild geklopft, als mein Satz in der großen Versammlung zu Protokoll genommen wurde.

Wir hatten bis zum Schluss die Stellung gehalten, die letzte verbliebene Klasse, 15 Schülerinnen und Schüler, und ich. Meine Stimme hallte durch die leere Pausenhalle, als ich leise ein Abschiedslied summte. Oft hatten wir es schon zur Verabschiedung der vierten Klassen gesungen. Oft tränenreich und emotional, doch immer auch mit Zuversicht, denn meine Kinder, die ich vier Jahre begleiten durfte, betraten einen neuen Weg in ihre Zukunft.

Alte Schule, altes Haus, du siehst heute anders aus, und ich geh zum letzten Mal durch diese Tür. Neue Schule, neues Glück, und es führt kein Weg zurück. Alte Schule, altes Haus, wir danken dir …

Noch nie zuvor hatte dieses Lied eine solche Schwere und Tragweite gehabt.

Ich setzte mich in mein Auto und drehte das Radio auf, um den Ohrwurm loszuwerden, und während der starke Rhythmus von The Prodigy den kleinen Raum und meinen Kopf erfüllte, atmete ich tief durch. Das letzte Mal war ich durch diese Tür gegangen. Ich verließ nicht nur einen Dienstort, sondern auch einen Ort der Vertrautheit. Es war ein Rettungsanker gewesen nach der Trennung von meinem Mann. Als mein Leben ein Scherbenhaufen war, als ich plötzlich alleinerziehend war, die jüngste Tochter gerade ein Jahr alt, die beiden älteren kurz davor, Teenager zu werden, als ich das große Haus und den verwilderten Garten allein zu pflegen hatte, als ich Vollzeit arbeiten musste, damit ich das alles stemmen konnte, als ich nicht wusste, ob meine Kraft reichen würde, da wurde ich an diese kleine, ländliche Grundschule versetzt. Der Unterricht beschränkte sich auf den Vormittag, die Vor- und Nachbereitung auf die Abend- und Nachtstunden, am Nachmittag konnte ich für meine Töchter da sein. Immer auf Vollzeit, immer hundert Prozent und niemals jammern.

»Du wolltest doch die Trennung. Du hast das so gewollt!«, war eine der verbalen Ohrfeigen dieser Zeit.

Diese Schule war mein Hafen, meine Werft. Das Mutterschiff wurde restauriert. Eltern wurden zu Freunden, Kolleginnen zu Vertrauten und Kinder zu Weggefährten.

Inzwischen war ich 43 Jahre alt, meine jüngste Tochter Ella ging in die zweite Klasse, während ihre älteste Schwester gerade das Abitur bestanden hatte und zum Studieren ins Ausland ging. Meine mittlere Tochter steckte mitten im Abiturstress, und es war noch nicht klar, wohin ihre Reise gehen würde. Wie bei mir.

Was nun? Wie würde mein Weg aussehen? Ich musste die Segel setzen und einen neuen Kurs einschlagen. Es gab bereits einen Plan. Ich würde an einer Gesamtschule ganz in der Nähe arbeiten können. Ich hätte weiterhin einen kurzen Anfahrtsweg, mit einigen Kollegen war ich bereits bekannt, ich kannte die Schulform und hatte Erfahrungen als Gesamtschullehrerin. Es war ganz einfach, im Grunde genommen. Unspektakulär nahezu. Die eine Tür schließen, ein kleines Stück weiterziehen, eintreten und weitermachen, als sei nichts gewesen. Doch es sollte ganz anders kommen.

Die Kugel rollte.

Hätte ich den Hilferuf auf der Social-Media-Seite zehn Jahre zuvor gesehen, hätte ich ihn einfach überlesen, wäre ich zehn Jahre später darüber gestolpert, wäre die Wahl vermutlich auch keine Option gewesen. Doch es waren dieser bestimmte Augenblick, die Lebensumstände und meine emotionale Befindlichkeit, die dazu führten, dass ich näher hinschaute. Und so begann das Halligabenteuer …

»Wenn Sie Lust auf eine Herausforderung haben und mit beiden Beinen im Leben stehen, dann melden Sie sich umgehend.«

Sollte ich dieses Abenteuer wagen? Mein Leben komplett drehen? Auf einer Hallig leben? Überhaupt – was war das eigentlich? Ich erinnerte mich an das Bremerhavener Klimahaus, das ich sowohl mit Schulklassen als auch mit meinen eigenen Kindern mehrfach besucht hatte. Dort hatte ich auf einer nachgebildeten Hallig gestanden. Eine kleine, mit Kunstrasen überzogene Erhebung umgeben von stehendem Gewässer. Das war also eine Hallig, eine Miniinsel irgendwo im Wattenmeer.

Dass es sich bei Halligen keineswegs um Inseln handelte, sollte ich noch lernen. Wer nämlich Insel zur Hallig sagte, musste einen ausgeben. Sicherlich lagen Halligen ebenso wie Inseln mitten im Meer, doch sie waren mehr als das. Sie waren Teil des Meeres. In den Herbst- und Wintermonaten, wenn es kräftig stürmte, beim sogenannten Landunter, stieg das Wasser und überflutete das Land in schöner Regelmäßigkeit. Mit jedem Landunter spülte die See Schlick und Sedimente über das Land und ließ es wachsen. Die Menschen, die dort lebten, hatten sich Warften gebaut, Hügel, auf denen ihre Häuser standen. Sie waren das Einzige, was bei einem Landunter aus der wilden See ragte. Kleine Archen mitten im Meer.

Zehn solcher Halligen gab es im nordfriesischen Wattenmeer, und sie waren einzigartig auf der Welt. Auch in den Sommermonaten gab es eine Art Landunter, wenn Zehntausende begeisterte Besucherinnen und Besucher die Halligen überfluteten, meist nur als Tagestouristen.

Einige Halligen waren bewohnt, einige nicht. Ihre Bewohner trotzten den Stürmen und waren sich ihres besonderen Lebensraumes mitten im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer bewusst. Sie hatten sich ihr Leben dort eingerichtet und sich mit Wind, Wellen, Watt und Wetter arrangiert. Und natürlich gab es auch Halligkinder im schulpflichtigen Alter, sodass es winzig kleine Halligschulen gab. Halligschulen, die Lehrkräfte brauchten.

Was für ein Gedanke. Ich dachte an den Kunstrasen unter meinen Füßen im Klimahaus. Was wäre, wenn? Dort leben? Nicht einfach nur am Meer, sondern mitten im Meer? Als Halliglehrerin?

Die Kugel hatte angeschlagen.

Wege entstehen beim Gehen

»Fährst du mit mir zur Hallig?«, fragte ich meine Freundin Lene.

»Ja klar! Ist das ein Festival?«

»So was Ähnliches«, lachte ich und erzählte ihr von der Stellenausschreibung.

Als wir dann in Nordstrand auf dem Deich standen, war jegliche Begeisterung für diesen Trip bei meiner Freundin verflogen.

»Ich hab ganz furchtbar geträumt, Ela. Du darfst da nicht hingehen! Da waren Zombies, die haben dich gebissen. Du wurdest auch ein Zombie. Das war voll schrecklich!«

Wir blickten nach Lüttmoor, wie Nordstrandischmoor auch genannt wird. Um uns herum blökten Schafe. Es sah eigentlich alles recht friedlich aus. Schrittchen für Schrittchen folgte ich den Schienen der Lorenbahn, die das Eiland über den Damm mit dem Festland verbinden. Dort in der Ferne war ein Rückzugsort, fernab vom Trubel, vom Termindruck, von Stress und Hektik, von Diskussionen und Machtkämpfen. Schwer erreichbar für neugierige und fordernde Menschen. Ohne Schiff oder Lore schien mir diese Distanz unüberwindbar. Dort wollte ich hin. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich verwandeln würde, fasste ich den Entschluss, dieses Abenteuer anzugehen. Mit dieser Entscheidung war der erste Schritt getan, doch bis sie in die Tat umgesetzt wurde, mussten noch zahlreiche weitere Schritte gegangen und viele Türen geöffnet werden.

»Das gibt’s doch nicht«, murmelte ich vor mich hin. Ich saß im Lehrerzimmer der Schule, die mir und meinen Kindern für das letzte Schuljahr Asyl bot. Es war niemand sonst im Raum, und so weckte meine Entrüstung auch kein Aufsehen. Bei Recherchen im Internet fand ich die Information, dass es für die Position der Halliglehrerin überhaupt keine offizielle Stellenausschreibung gab. Ich erfuhr, dass die Anzeige, die ich entdeckt hatte, lediglich ein Hilferuf besorgter Eltern war, die sich über die sozialen Netzwerke eine rasche Lösung erhofften. Die einzige Lehrkraft vor Ort war erkrankt, und der Platz sollte so schnell wie möglich wieder besetzt werden. Wenn das so einfach wäre. In der personalen Schullandschaft unseres Landes gab es Planstellen, unbefristete und befristete Stellen, Feuerwehrlehrkräfte, Springer, Abordnungen und jede Menge Bürokratie. Erkrankte eine Lehrkraft, bedeutete das nicht zwangsläufig, dass diese Stelle frei war. Sie musste zunächst unter bestimmten Voraussetzungen vertreten werden. Ich kannte das System, aber war froh, nicht in einer Position zu sein, die in solchen Belangen Entscheidungen treffen musste. Da hätte ich wahrscheinlich weitaus mehr unruhige Nächte gehabt.

Das Für und Wider hin und her gewälzt, die Konsequenzen abgewogen. Alles gestützt auf eine Fehlinformation. Die Tür, die sich hier in ein gänzlich anderes Leben geöffnet hatte, fiel einfach wieder zu.

»Na toll«, seufzte ich und stand auf. Ich nahm den Stapel Mathearbeiten, die ich meinen Kindern zurückgeben wollte. »Dann eben nicht. Es wird sich eine andere Tür öffnen.«

Doch dass diese Tür nicht wirklich geschlossen war, zeigte sich nur wenige Tage später. Als sich der Tag zur Ruhe legte, stöberte ich vor dem Einschlafen noch einmal durch die Internetseiten, die mich in den vergangenen Tagen so sehr in ihren Bann gezogen hatten. Darunter die Seite des Bildungsministeriums Schleswig-Holsteins mit den aktuellen Stellenausschreibungen – und dort stand es, ganz offiziell und klar bezeichnet. Das Land brauchte eine Halliglehrerin. Alles wieder auf Anfang.

Als ich am darauffolgenden Tag die Nummer des Schulamtes in Schleswig-Holstein wählte, zitterte meine Hand. Ich wollte es hören, wollte sichergehen, dass sich meine Pläne nicht auf irgendwelche Fake News stützten.

»Ist dies tatsächlich eine richtige Stellenausschreibung, auf die ich mich bewerben kann?«

»In der Tat, ja. Schicken Sie Ihre Bewerbungsunterlagen online, und wenn Sie aus einem anderen Bundesland kommen, benötigen Sie außerdem die Freistellung.«

»Das wird gar nicht so einfach«, meinte eine Kollegin, der ich meine Pläne anvertraut hatte. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher und schüttelte den Kopf. »Bei dem Lehrermangel zurzeit. Überall fehlt es an Kollegen und Kolleginnen. Es gibt nicht genug Anwärter. Gerade an den Grundschulen. Ich glaub nicht, dass Niedersachsen dich dann gehen lässt.«

Ich schwieg und nippte an meinem Tee. In Gedanken formulierte ich aber bereits meine Sätze aus, mit denen ich die Dezernentin überzeugen wollte.

»Aufgrund der Schulschließung wurde mir mein Dienstort genommen, an dem ich weiß Gott sehr gern gearbeitet habe. Ein Wechsel steht mir so oder so bevor. Ich hinterlasse keine Lücke, wenn ich gehe. Diese Stelle auf der Hallig ist eine ganz besondere Gelegenheit, eine Chance auf eine ganz außergewöhnliche Arbeit. So möchte ich gern an dieser Stelle über meinen beruflichen Werdegang mitbestimmen dürfen und bitte inständig um die Freistellung, damit ich mich bewerben kann.«

Ich weiß nicht, ob meine Worte ausgereicht hatten oder ob mich die frisch im Amt sitzende Dezernentin einfach glücklich machen wollte, jedenfalls erhielt ich zwei Tage später die Freistellung und bewarb mich in Schleswig-Holstein.

Nun stand ich vor der nächsten und alles entscheidenden Tür – Ella. Während meine zwei älteren Töchter bereits ausgezogen waren, wohnte die Achtjährige bei mir. Wo ich hinging, ging auch sie hin. Doch ich wollte nicht über ihren Weg entscheiden und sie mit mir zerren, sondern gemeinsam Schritt für Schritt ins Abenteuer gehen.

Es war ein ruhiger Nachmittag. Die Hausaufgaben waren erledigt, und ich lümmelte mit Ella auf dem Sofa herum. Die Sonne schien und schickte ihre Strahlen durch die kleinen Butzen unserer Holzfenster, die das Wohnzimmer in ein wohliges Leuchten tauchten.

»Duuuu, Ella, ich habe die Möglichkeit, einen Job an einer ganz anderen Schule an einem sehr speziellen Ort zu bekommen.«

Auf meinem Handydisplay fuhr Hallig-Postschiffer-Legende Fiede Nissen mit der Lore nach Langeneß, Ringelgänse weideten auf den grünen Flächen, und das Meer spülte ans Land. Ella warf einen kurzen Blick darauf. Sie schaute mich an. Ich sah keine Angst in ihren Augen, aber auch kein Interesse. Sie sah mich einfach nur ruhig an, und ich glaube, dass sie in meinen Augen viel mehr wahrnahm, als es für ein achtjähriges Mädchen üblich ist.

Schließlich zuckte sie mit den Achseln und meinte: »Wenn du da gern hinmöchtest, komme ich natürlich mit. Aber meine Kuscheldecke kommt auch mit.«

Damit war für sie die Entscheidung gefällt, die nächste Tür geöffnet.

»Glaubst du wirklich, dass sie in ihrem Alter überhaupt überblicken kann, was das bedeutet?« Ihre große Schwester sprach aus, was auch mir durch den Kopf ging. Würde ich Ella aus ihrem sicheren Leben reißen? Sie war in keinem Verein, ihre engste Freundin war vor Jahren nach Berlin gezogen, eine weitere zog in diesen Tagen nach Süddeutschland. Die Schule langweilte sie, die vielen Kinder und die Lautstärke nervten. Was nahm ich ihr weg?

»Na, dann wird das aber schwierig mit jedem zweiten Wochenende. Das ist ja viel zu weit«, sagte ihr Vater. Wir gingen seit Jahren getrennte Wege.

Vielleicht würde uns der Abstand guttun, vielleicht auch nicht. Ob er für unsere Tochter gut war, konnte ich noch nicht sagen.

»Was wird aus dem Haus? Wer kümmert sich drum?«, fragte er.

»Ein guter Freund wohnt hier, solang wir weg sind, und kümmert sich um alles.«

»Wie lange bleibt ihr da?«

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Mehrfach hatte das Leben mich gelehrt, dass Pläne durchkreuzt werden und es meist anders kam, als man dachte. Wie lange sollte unser Abenteuer dauern? Was, wenn es nicht klappen sollte? Wenn Ella krank vor Heimweh würde? Wenn ich die Aufgaben nicht würde bewältigen können? Plötzlich alle Altersklassen gleichzeitig in allen Fächern zu unterrichten – wie sollte ich das allein schaffen? Wann würde ich Ella als einzige Lehrerin nicht mehr genügen? Und was wäre, wenn es perfekt würde?

»Erst mal ein oder zwei Jahre, würde ich sagen. Dann schauen wir mal, wie es mit Ella und der Schule geht. Vielleicht auch länger, vielleicht auch gar nicht. Das Bewerbungsgespräch steht ja noch aus.«

Die nächste Tür, die ich zu durchschreiten hatte, war die des Schulamtes in Husum, wo man mich zum Bewerbungsgespräch erwartete.

Lene und ich glitten über die Autobahn. Ich achtete peinlich genau darauf, ausreichend Abstand zu den Fahrzeugen vor mir zu halten. Lene hasste schnelle Fahrten auf der Autobahn. Im Normalfall bremste sie vehement im Beifahrerfußraum mit und klammerte sich am Haltegriff fest. Doch aufgrund meiner umsichtigen Fahrweise war sie diesmal sehr entspannt. Vermutlich auch, weil ihre Gedanken ganz woanders waren. Die Zombies geisterten noch in ihrem Kopf herum. Morgen würde mein Bewerbungsgespräch stattfinden. Bis dahin genossen wir unseren Wochenendtrip, richteten uns in der Pension ein, fuhren spazieren, tranken Roséwein und lachten über das Leben.

Am nächsten Tag regnete es. Mit schnellen Schritten hastete ich zum Schulamt, während Lene im Auto auf mich wartete. Offensichtlich war ich nicht die einzige Bewerberin, denn vor mir verließ eine junge Frau das Büro, das ich nun betrat. Es war ein angenehmes Gespräch, positiv, gut strukturiert und interessant. Ich ging mit einem guten Gefühl. Eine Frage nahm ich mit ins Auto zu Lene. Die Scheiben waren beschlagen.

»Was würden Sie als Ihre Schwäche bezeichnen?«

Diese Frage fand ich schwierig. Nicht weil ich meine Schwächen nicht zugeben wollte, sondern weil es mir schwerfiel, diejenige zu formulieren, die mir das Leben beschwerlich machte. Meine Schwächen gehörten zu mir, ich hatte mich mit ihnen arrangiert und empfand sie nicht mehr als solche, eher als Entwicklungschancen. Also hatte ich dort im Büro ein wenig hin- und hergeschwankt, meinte, ich würde manchmal vielleicht ein wenig zu viel machen. Es war Lene, die mir die einzig richtige Antwort gab.

»Du kannst schlecht Hilfe annehmen. Bist manchmal einfach zu stolz.«

So einfach war das. Wie sehr diese Schwäche auf der Hallig zum Tragen kommen würde, ahnte ich noch nicht.

Bereits am darauffolgenden Tag erhielt ich den Anruf, dass man mich gern als Halliglehrerin einstellen wolle und ob ich mir vorstellen könne, meinen Dienst nicht auf Nordstrandischmoor, sondern auf Hallig Hooge anzutreten. Ganz bewusst hatte ich mich für Nordstrandischmoor entschieden, war verzaubert von diesem winzigen Eiland, drei bewohnte Warften, ein Lorendamm, sonst nichts. Hallig Hooge, war das nicht Tourismus pur? Waren da nicht hundert Menschen, mehrere Autos, viele Häuser? Aber vielleicht wäre es sogar eine bessere Wahl für uns. Mehr Kinder, Einkaufsmöglichkeiten, etwas mehr von allem. Die Umstellung wäre nicht so extrem für Ella und mich. Ich bat um einen Tag Bedenkzeit.

Bis spät in die Nacht hinein versank ich in Bildern und Berichten über Hallig Hooge. Im Netz fand ich jede Menge Artikel, Webseiten und Fernsehberichte. Ich erfuhr, dass Hooge deutlich größer war als Nordstrandischmoor. Sie war die zweitgrößte Hallig mit einer Fläche von 5,78 Quadratkilometern und rund hundert Einwohnern. Wollte man einmal um die Hallig laufen, maß die Strecke etwa elf Kilometer. Auf Nordstrandischmoor hingegen wohnten nur 18 Menschen auf circa 1,9 Quadratkilometern. Unwillkürlich erschien der Kunstrasenhügel aus dem Bremerhavener Klimahaus vor meinen Augen. Natürlich fand ich Hooge in dieser Hinsicht deutlich attraktiver, doch eines ließ mich zurückschrecken – die Lage. Während Lüttmoor über einen Lorendamm erreichbar war und die Schulwarft sogar über eine eigene Lore verfügte, konnte Hooge ausschließlich mit dem Schiff angefahren werden. Dort würde ich vom Fahrplan der Fähre vollkommen abhängig sein. Was bedeutete das? Welchen Einfluss würde das auf unser alltägliches Leben haben? Ein Fernsehbericht zeigte eine Autoschlange am Hooger Fähranleger. Es war Donnerstag, im Winter der einzige Tag in der Woche, an dem man die Hallig morgens verlassen und am Abend wieder zurückkehren konnte. Die Menschen, die dort warteten, lachten in die Kamera.

»Stau auf Hooge«, witzelten sie. Ihre Ziele: Ärzte, Einkaufsmärkte, Baumärkte, Verwandte, Freunde. Am Abend würden sie mit gefüllten Kofferräumen wiederkehren. Ein Mann von vielleicht fünfzig Jahren grinste in die Kamera. Er zuckte mit den Schultern und strich sich über den Bart. »Tja, donnerstags fahren wir rüber. Das war immer schon so. Wir fahren sogar im Sommer meist nur am Donnerstag, obwohl wir da täglich könnten. Hat sich irgendwie so eingebürgert. Nu geiht dat los.« Er winkte und setzte sein Auto in Bewegung Richtung Fähre.

Irgendwann fielen mir schließlich doch die Augen zu. Die Gesichter und der Ort waren mir mittlerweile so vertraut, dass ich das Gefühl hatte, dort unbedingt mal wieder auf ein Tässchen Tee, auf einen Schnack hinzumüssen.

Und so öffnete ich die entscheidende Tür, entschied mich für Hooge, wagte die entscheidenden Schritte und machte mich auf den Weg.

Wir würden nach Hallig Hooge auswandern.

Ankunft auf Hooge

Der Muskel an meinem Unterkiefer zuckte. Das tat er immer, wenn ich nervös war. Im Auto roch es nach scharfen Chips, fruchtigen Kaubonbons und Kaninchen. Die beiden Teddyzwergkaninchen hockten in ihrer Transportbox auf dem Rücksitz und harrten geduldig der Dinge, die da kommen sollten. Neben mir auf dem Beifahrersitz redete Ella gerade von Figuren einer Netflixserie. Was bei mir das Muskelzucken war, äußerte sich bei ihr in einem kaum endenden Redefluss. Hin und wieder nickte ich oder gab einen bestätigenden Laut von mir, während ich auf die vor uns im Hafen liegende Fähre starrte. Eine Stahlkonstruktion, die auf dem Wasser schwamm.

»Wann bin ich eigentlich das letzte Mal mit meinem Auto auf eine Fähre gefahren?«, schoss es mir durch den Kopf. »Was, wenn ich nicht den richtigen Abstand halte oder den Wagen abwürge oder irgendwo anschlage oder mich einfach total dämlich anstelle?« Ich wusste nicht, wann ich drauffahren sollte. Schon längst hatten alle Fahrzeuge und Passagiere, die heute Vormittag die Hallig hinter sich ließen, das Schiff verlassen. Meine Knöchel waren schon weiß, da ich seit geraumer Zeit das Lenkrad umklammerte und meinen Blick starr auf den Mann am Anleger hielt, der zur Besatzung der Fähre gehörte. Die Haut wettergegerbt, die Haare zerzaust, genoss er mit eingezogenem Kopf eine Zigarette im Wind. Plötzlich hob er die Hand und winkte mir zu. Auf dieses Zeichen hin startete ich den Motor und setzte mich in Bewegung. »Jetzt geht’s rüber.«

Ich lächelte Ella an. Für einen kurzen Moment hielt sie inne und schaute aufs Meer. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, doch in den Augen schimmerte ein wenig Angst.

»Sehr verehrte Fahrgäste, herzlich willkommen auf der Hilligenlei zur Überfahrt nach Hallig Hooge und Weiterfahrt nach Langeneß …«, schallte es aus dem Lautsprecher. Nachdem ich den Wagen ordnungsgemäß und ohne größeres Chaos anzurichten abgestellt hatte, verließen wir das Auto und stellten uns ganz nach vorn. Hier verlor sich die Hitze des Julitages im Wind, der uns vom Meer her streichelte. Tausende Lichtpunkte tanzten auf den Wellen. Möwen kreisten über unseren Köpfen. Und dann ging es los. Gut eine Stunde Überfahrt stand uns bevor. Das Schiff glitt an Bäumchen und auf dem Kopf stehenden Reisigbesen vorbei, die aus dem Wasser ragten und uns den Weg wiesen. In meinem Kopf rauschte es. Das Stampfen des Schiffsmotors, das Schreien der Möwen, das Wehen des Windes, der in meinen Ohrmuscheln tanzte. Und hier spürte ich das erste Mal dieses erhabene Gefühl. Erhobenen Hauptes stand ich dort im Wind, mit stolzem Blick, standfest und voller Tatendrang. Wir fuhren in das Land der Wikinger, mitten im Meer. Was würde uns dort wohl alles erwarten?

»Die stehen bestimmt am Hafen und begrüßen dich mit Pauken und Trompeten«, hatte Lene gesagt, als wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge unseren Abschied gefeiert und auf unsere Freundschaft, das Abenteuer und unser Wiedersehen angestoßen hatten. Wer weiß? Vielleicht stünde dort am Hafen eine Blaskapelle und spielte Seemannslieder oder irgendetwas Kirchliches. Menschen würden Fähnchen schwingen und uns jubelnd zuwinken. »Hoch!«, würden sie rufen. »Unsere neue Halliglehrerin ist da!«

In den vergangenen zwei Jahren hatte es in der Halligschule personelle Engpässe mit viel Vertretungsunterricht gegeben. Die Eltern und ihre Kinder waren durch eine harte Zeit gegangen. Das sollte sich nun also ändern. Schmunzelnd ging ich zurück zum Auto. Vielleicht sollte man sich mal nicht zu wichtig nehmen.

Wir näherten uns dem Fähranleger. Parken mit dem Auto war ja schon eine Kunst für sich, aber eine voll beladene Fähre im Wellengang gegen die Strömung zwischen riesigen Pollern zu manövrieren, dafür verdiente der Fährenkapitän meine absolute Hochachtung. Über uns ragte das eiserne, gelbe Tor mit der Aufschrift »Willkommen auf Hallig Hooge« in den Himmel. Etwas misstrauisch fuhr ich über die knallblaue Rampe, und wir rollten das erste Mal auf die Hallig. Eine Blaskapelle war nicht in Sicht, ebenso wenig ein Empfangskomitee. Die Halligbewohner hätten für solche Dinge auch kaum Zeit gehabt, denn hier am Anleger ging es zu wie am Lehrter Hauptbahnhof zur Rushhour. Touristenmassen strömten von der Fähre, Kutschen standen bereit, um die Tagesgäste zu den Hauptattraktionen zu fahren, unzählige Fahrräder funkelten in der Sonne, bereit, ausgeliehen zu werden, Kinder rannten umher, die Fähren kamen und gingen, brachten Menschen und nahmen sie wieder mit im Rhythmus des Wellenschlages. Es war Hauptsaison auf Hallig Hooge, das bedeutete bis zu 90.000 Tagesgäste im Jahr.

Vorsichtig bahnte ich mir den Weg durch den Trubel und folgte der Straße, immer darauf gefasst, dass ein Fußgänger oder ein Fahrradfahrer auf meiner Motorhaube Platz nahm. Als die erste Abzweigung kam, bog ich nach rechts ab, und langsam wurde der Weg freier.

Kontemplation war ein Begriff, dem ich in meiner Schulzeit im Religionsunterricht begegnet war, dessen Bedeutung ich aber nie ganz begriffen hatte. Eben dieses Wort erfüllte mich, als ich die schmale Straße entlangrollte. Rechts grüne Wiesen, die sogenannten Fennen, auf denen Kühe gemütlich grasten, links ein Priel, der sich durch das Land zog und so blau erstrahlte wie ein königliches Banner, und direkt vor uns die Kirchwarft, auf die wir zusteuerten. Während ich behutsam den Wagen lenkte, versank ich zugleich in einer tiefen Betrachtung dieses wunderschönen Stückchens Erde. Wäre ich eine Malerin, ich hätte hier mein Motiv gefunden.

Als wir an der Schleuse auf die enge Brücke zuhielten, rief Ella: »Das passt doch nie!«

»Die Halligbewohner fahren da sogar mit ihrem Trecker rüber«, erwiderte ich zuversichtlich. Nun war es aber eine Sache zu wissen, dass es passte, aber eine ganz andere, das Auto auch sicher drüberzulenken. Das Muskelspiel meines Kiefers hatte wieder gut zu tun.

Schließlich erreichten wir unsere Warft, die Schulwarft, auf der sich neben dem Schulgebäude noch fünf weitere Häuser befanden. Ich stellte den Wagen unten am Straßenrand ab. Zuallererst mussten die armen Kaninchen aus dem heißen Auto raus. Ella und ich griffen uns die Transportbox und die Gitterelemente für den kleinen Auslauf und stiegen rasch den Weg zur Warft hinauf. Auf einem imposanten Holzschild stand in geschwungenen Buchstaben »Ockelützwarft«. Dahinter befanden sich einige ziemlich neu aussehende Spielgeräte der Schule. Gräser und kleine Blumen hatten sich ihren Weg durch die Fugen des gepflasterten Weges gebahnt. Unter ein paar Holunderbäumchen vor dem Haus, die von den Herbststürmen arg zerzaust waren, bauten wir den Auslauf auf und ließen die beiden Tiere im Schatten umhertollen und auslüften. Sie hatten die Anreise offenbar unbeschadet überstanden und hoppelten recht unternehmungslustig durch das saftige, grüne Gras.

Und da standen wir vor der zweiflügligen Schultür. Die Farbe auf dem wettergegerbten Holz blätterte an einigen Stellen ab. Vor den großen Fenstern des Klassenraums ragten Stockrosen in voller Blütenpracht empor. Was für ein Ausblick! Konnte es einen schöneren Arbeitsplatz geben? Es war ein sehr großes und solides Haus aus roten Klinkersteinen, das nicht nur den Klassenraum beherbergte, sondern auch den Kindergarten, einen Bewegungsraum, eine Einliegerwohnung und nicht zuletzt unsere Dienstwohnung. Auf dem Dach zählte ich nicht weniger als sieben Blitzableiter. Besonders schön waren die zwei Dachgauben, die gen Süden blickten. Hinter der einen verbarg sich mein Büro.

Es war das zweite Mal, dass wir das Gebäude durch diese Tür betraten. Vor wenigen Wochen an einem windigen, verregneten Tag hatte uns die Bürgermeisterin die Wohnung gezeigt. Alles musste damals sehr schnell gehen, der Aufenthalt war äußerst kurz, da die Fährzeiten aufgrund der Wetterlage verlegt wurden. Ein Umstand, der uns zukünftig noch häufiger beschäftigen sollte. Bei dem Besichtigungstermin bedauerte die Bürgermeisterin das unschöne Wetter.

»Schönes Wetter kann doch jeder«, tat ich es lachend ab. Mir gefiel das Graue und Raue, nichts wurde beschönigt, alles war echt. Bei unserer Wohnungsbesichtigung betrat ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Hallig, abgesehen von dem kleinen Kunstrasenhügel im Bremerhavener Klimahaus. Ich betrat also zum ersten Mal eine echte Hallig – und war tief berührt. Als hätte ich soeben meinen Anker ausgeworfen, und er hatte Halt gefunden. Wir waren wirklich hier. Gekommen, um zu bleiben – jedenfalls fürs Erste.

Im Schulflur roch es ein wenig nach Abfluss und Staub. Es war niemand in Sicht, der uns in die Wohnung lassen würde. Da ich vom ersten Besuch wusste, an welcher Stelle ich im Schlüsselkasten den Haustürschlüssel fände, nahm ich die Schlüsselübergabe selbst in die Hand. Dabei war dieser Schlüssel völlig überbewertet, denn die Türen auf Hooge waren offen und sollten es auch bleiben. Etwas zögernd und zugleich neugierig betraten wir die Wohnung. Im Wohnzimmer stand die Luft, auf dem Fußboden lagen tote Fliegen, und der Staub tanzte in den Strahlen der einfallenden Sonne.