Den Zweifel umarmen - Anselm Grün - E-Book

Den Zweifel umarmen E-Book

Anselm Grün

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Beschreibung

Zwischen Zweifel und Gewissheit

Oft wird „Zweifel“ negativ gesehen. Wer zweifelt oder zaudert, verpasst sein eigenes Leben und wird verunsichert. Im Zweifel wird man passiv und verpasst das eigene Leben. Oft heißt es: „Erfolgreich wird nur, wer sich nicht hinterfragt“. Anselm Grün geht der Frage nach, wie sich Zweifel und die Sehnsucht nach Gewissheit einander ergänzen und welche Rolle der Zweifel in unserem Leben spielt und wie wir mit der Verzweiflung umgehen, die immer wieder über uns kommt. Denn der Zweifel kann auch den Menschen weiterbringen, so Anselm Grün. Er kann verkrustete Strukturen aufbrechen und Neues erfahrbar machen.

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Oft wird »Zweifel« negativ gesehen. Wer zweifelt oder zaudert, verpasst sein eigenes Leben und wird verunsichert. Im Zweifel wird man passiv und verpasst das eigene Leben. Oft heißt es: »Erfolgreich wird nur, wer sich nicht hinterfragt«. Anselm Grün geht der Frage nach, wie sich Zweifel und die Sehnsucht nach Gewissheit einander ergänzen und welche Rolle der Zweifel in unserem Leben spielt und wie wir mit der Verzweiflung umgehen, die immer wieder über uns kommt. Denn der Zweifel kann auch den Menschen weiterbringen, so Anselm Grün. Er kann verkrustete Strukturen aufbrechen und Neues erfahrbar machen.

Anselm Grün

Den Zweifel umarmen

Die eigene Krise als Zeichen des Vorankommens

Kösel

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Copyright © 2019 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlag: Weiss Werkstatt, München

Inhalt

Einleitung

Zweifel und Wissen

Zweifel in der Beziehung

Zweifel an der Fähigkeit von Mitarbeitern

Zweifel an sich selbst

Zweifel und Glauben

Der Zweifel in Krankheit und Not

Zweifel an den Dogmen

Mit den Zweifeln der Kinder umgehen

Glaube und Verzweiflung

Verzweiflung als Grunderfahrung des Menschen

Schlussbemerkung

Literatur

Einleitung

Manchmal klagen sich Menschen in der Beichte an: Ich habe an Gott gezweifelt. Oder ich habe am Glauben gezweifelt. Sie meinen, Zweifel sei eine Sünde. Doch der Zweifel gehört wesentlich zum Glauben. Der Zweifel will den Glauben stärken und herausfordern, damit wir uns immer wieder neu fragen: Was glaube ich eigentlich? Was heißt das: Gott existiert, Christus ist auferstanden, wir sind durch Christus erlöst? Was bedeutet für mich das ewige Leben? Da der Mensch nicht das wahre Wesen Gottes erkennen kann, bleibt der Zweifel ein wichtiger Begleiter auf der Suche, das Geheimnis Gottes immer tiefer zu verstehen.

Doch es gibt auch den Zweifel, der alles anzweifelt, nicht um tiefer glauben zu können, sondern um sich den Glauben vom Leib zu halten. Man zweifelt alles an, um in der Distanz zu allem, was Glauben heißt, leben zu können, um unverbindlich leben zu können. Das Anzweifeln bezieht sich nicht nur auf den Glauben, sondern auf jede Erkenntnis. Die Philosophie nennt das den absoluten Zweifel. Dieser Zweifel führt zur Skepsis. Er leugnet jedes Erkennen und begründet damit das Nicht-Handeln. Der Skeptiker bleibt immer in Distanz zu allem. Er lässt sich weder auf den Glauben, noch auf das Erkennen, noch auf die Verantwortung in unserem Handeln ein. Er bleibt Zuschauer.

Die Philosophie kennt auch den existenziellen Zweifel, der am Sinn des Daseins zweifelt. Er führt zur Verzweiflung. Die Verzweiflung stürzt den Menschen in eine tiefe Krise. Aber diese Krise birgt auch die Chance in sich, sein Leben auf einer neuen Grundlage aufzubauen und auf seinem Reifungsweg voranzukommen.

Zweifel gibt es nicht nur im Glauben, sondern auch in der Beziehung. Wenn ein Mann sich in eine Frau verliebt, kennt er immer auch den Zweifel, ob die Frau wirklich die richtige für ihn ist. Und auch wenn er sich dann in der Ehe an diese Frau gebunden hat, kommen Zweifel in ihm hoch. Und es gibt den Zweifel als Stachel zur Wissenschaft. So sagt ein iranisches Sprichwort: »Zweifel ist der Schlüssel zum Wissen.« Der Zweifel drängt uns, genauer zu erforschen, was uns als zweifelhaft erscheint. Man nennt diesen Zweifel den methodischen Zweifel. Er dient dazu, in der Erkenntnis immer weiter fortzuschreiten. Dagegen aber gibt es auch den moralischen Zweifel, der alle sittlichen Maßstäbe leugnet und so zum Relativismus führt.

Das deutsche Wort »Zweifel« kommt von der Zahl »zwei« und von »falten«. Etwas ist doppelt gefaltet. Zweifel meint dann: »Ungewissheit bei zweifacher Möglichkeit« (Duden). Wenn wir über den Zweifel nachdenken, so stoßen wir daher auf eine grundlegende Erfahrung des Menschseins. Wir erfahren, dass alles doppelt ist: Es gibt Licht und Dunkel, Himmel und Erde, Mann und Frau, Glauben und Unglauben. Es gibt die Dualität im Leben. Und zugleich sehnen wir uns nach Einheit, nach Einssein. Diese Sehnsucht war vor allem bei den Griechen sehr stark. So führt uns der Zweifel zum Wesen unserer menschlichen Existenz. Wir sind als Menschen selbst Seele und Leib, Geist und Materie, Mann und Frau. Wir haben immer zwei Pole in uns. Und doch sehnen wir uns nach Einssein, mit uns selbst in Einklang zu kommen. Aber dieser Weg in die Einheit geht immer wieder über die Dualität, über das Zweifache. Und daher gibt es im Menschen nicht nur die Erfahrung des Zweifels und der Ungewissheit, sondern auch die Sehnsucht nach Einheit und Gewissheit. Gerade in unserer pluralistischen Welt, in der uns so viele Sinnangebote gemacht werden, die die Menschen verwirren, sehnen sich die Menschen nach einem Halt, nach Klarheit, nach Sicherheit im Glauben und in ihrer Lebensauffassung.

Daher möchte ich nicht nur über den Zweifel und die Verzweiflung nachdenken, sondern auch über die Erfahrung von Gewissheit, über die Erfahrung, dass wir etwas sicher wissen, dass uns etwas auf einmal ganz klar bewusst wird. Die Gewissheit kann eine spirituelle Erfahrung sein, so wie sie Pascal in der Nacht des 23. November 1654 hatte. Dort erlebte Pascal Gottes Gegenwart als Gewissheit und Freude. Er hat diese Erfahrung in seinem berühmtem Memorial festgehalten: »Feuer. Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Gott Jesu Christi.« Solche Erfahrungen von Gewissheit sind Erfahrungen der Gnade. In solchen Augenblicken ist der Zweifel aufgehoben. Da ist auf einmal alles klar. Da fühlen wir eine innere Sicherheit: Das ist die Wahrheit. Darauf können wir bauen. Nach solchen Erfahrungen sehnen wir uns alle.

Aber es gibt nicht nur diese mystischen Erfahrungen einer tiefen Gewissheit. Es gibt auch Menschen, die sich ihres Glaubens gewiss sind. Sie stellen ihn nicht infrage. Sie sind nicht unbeweglich und stur. Es ist eine natürliche Gewissheit, die sie ausstrahlen. Solche Menschen sind geprägt von einem tiefen Vertrauen ins Leben und von einem festen Verankertsein in Gott. Sie sind den Herausforderungen des Lebens dadurch gewachsen, dass sie auf einem festen Grund stehen. Nach solcher Gewissheit sehnen wir uns alle, nach einem Glauben, in dem wir feststehen können, wie es Paulus uns wünscht: »Steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark!« (1 Kor 16,13) Bei allem Zweifel und aller Ungewissheit in unserem Leben sehnen wir uns nach einem Glauben, so wie ihn der Hebräerbrief beschreibt: »Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft; Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.« (Hebr 11,1) Wir brauchen mitten in der Unsicherheit und Ungewissheit, die uns von allen Seiten umgibt, auch ein sicheres Fundament, auf dem wir stehen können.

So möchte ich in diesem Buch darüber nachdenken, wie Glauben und Zweifel zusammengehören, wie Zweifel und die Sehnsucht nach Gewissheit sich einander ergänzen, welche Rolle der Zweifel in unserem Leben spielt, wo der Zweifel den Glauben und das Wissen stärkt und wo der Zweifel uns am Leben und am Glauben hindert und wie wir mit der Verzweiflung umgehen, die manchmal über uns kommt.

Zweifel und Wissen

Die Philosophie beginnt mit dem Staunen, sagen die einen. Die anderen: sie fängt mit dem Zweifel an. Denn der Zweifel zwingt uns, mehr über das Leben, über den Menschen und über Gott nachzudenken. So meint der mittelalterliche Philosoph und Theologe Abaelard: »Durch Zweifeln kommen wir nämlich zur Untersuchung; in der Untersuchung erfassen wir die Wahrheit.« Für Abaelard war es notwendig, alle philosophischen Grundsätze, aber auch die Sätze des Glaubens anzuzweifeln, um genauer zu erkennen, was die eigentliche Wahrheit ist. In der Untersuchung erkennen wir, was die Glaubenssätze eigentlich meinen. Einfach nur die Worte für wahr zu halten, ohne sie zu untersuchen, das ist gegen die Würde des menschlichen Geistes. So hat Abaelard die Methode des Sic et Non entwickelt, um durch Zweifeln hindurch zu erkennen, was wirklich trägt.

Die Philosophie unterscheidet verschiedene Formen des Zweifels. Da ist der Zweifel an der Einsichtigkeit einer Aussage. Eine Aussage wird also bezweifelt. Die zweite Form ist der Zweifel am Wert einer Handlung (Zweifel an moralischer Qualität), und die dritte Form ist der Zweifel am Sinn und Ziel des menschlichen Lebens (Zweifel an existenzieller Bedeutsamkeit). (Vgl. Beiner, Zweifel in TRE 767) Zweifel kommt von »zwiefältiger Sinn«. Alles kann also einen zweifachen Sinn haben. So können wir immer an der einen Aussage zweifeln. Es könnte ja auch noch eine andere Aussage geben, die den Sachverhalt besser trifft.

Einer der Philosophen, die den Zweifel zum methodischen Prinzip erhoben haben, war René Descartes. Bei allem Zweifel an allen Aussagen hält er doch an einem festen und unbeweglichen Ausgangspunkt fest, »der nicht mehr bezweifelt werden kann«. Sein berühmter Ausspruch heißt: »Cogito ergo sum – Ich denke, also bin ich.« Melanie Beiner erklärt das so: »Der Zweifel als Akt des Denkens kann zwar jeden Denkinhalt infrage stellen, nicht aber die Tätigkeit des Denkens selbst.« (Ebd. 769) Descartes bezeichnet als wahr, das was »ich klar und deutlich einsehe«. Damit wird die »Selbstgewissheit des denkenden Subjekts zum unbezweifelbaren Fundament aller Erkenntnis gemacht«. (Ebd. 769) Das hat in ähnlicher Weise schon lange vor Descartes der hl. Augustinus gesehen. Er meint, der Zweifel braucht Bedingungen, die nicht bezweifelbar sind. So sagt Augustinus: »Die Tatsache zu leben, sich zu erinnern, zu wollen, zu denken, zu wissen und zu urteilen: wer zweifelt daran? … Wer also an allem übrigen zweifelt, darf an diesen Dingen jedenfalls nicht zweifeln. Denn wenn sie nicht feststünden, könnte er an überhaupt nichts zweifeln.« (Ebd. 768: Augustinus, trin. X, 1914)

Der deutsche Sozialphilosoph Max Weber meint: »Der radikalste Zweifel ist der Vater der Erkenntnis.« Wenn wir an etwas zweifeln, setzen wir uns hin und wollen genauer wissen, wie es sich verhält. So ist der Zweifel der Antrieb nicht nur für die Philosophie, sondern auch für die Naturwissenschaft. Jedes naturwissenschaftliche Experiment geht vom Zweifel am bisherigen Wissensstand aus. Wir zweifeln die bisherigen Ergebnisse an und wollen genauer erforschen, was der Wirklichkeit entspricht. Die Physiker Heisenberg und Pauli haben durch ihre Experimente Zweifel daran bekommen, dass die Physik, wie sie Newton gelehrt hat, stimmt. So haben sie eine neue Physik entwickelt: die Quantenphysik. Aber auch hier gibt es immer wieder Zweifel, die die Naturwissenschaftler dazu drängen, noch genauer die Natur und ihre Gesetze zu erforschen.

Ein Sprichwort aus Indien drückt das sehr schön aus: »Der Zweifel ist das Wartezimmer der Erkenntnis«. Der Zweifel gibt sich nicht zufrieden mit den bisherigen Erkenntnissen. Er möchte mehr wissen. So ist der Zweifel wie ein Motor, der Philosophen, Theologen und Naturwissenschaftler angetrieben hat, immer weiterzuforschen. Ohne Zweifel hätten wir den heutigen Wissensstand niemals erreicht.

Der naturwissenschaftliche Forscher beginnt damit, dass er das bisher Erreichte in der Forschung anzweifelt: Ist das schon die letzte Wahrheit? Oder haben wir immer nur die Oberfläche erforscht? Der Zweifel zwingt den Naturwissenschaftler, Experimente zu machen, um entweder das bisher Gelehrte zu bestätigen oder aber es anzuzweifeln. Dann zwingt der Zweifel noch tiefer die Dinge zu erforschen, bis der Forscher zufrieden ist. Aber diese Zufriedenheit ist nie eine letzte Zufriedenheit. So wird der Forscher immer wieder neu das bisher Erreichte anzweifeln, um noch genauer die Wirklichkeit zu erkunden.

Einer der großen Zweifler unter den Philosophen war E. M. Cioran. Er stammte aus Rumänien, hat in Berlin Philosophie studiert und dann in Frankreich gelebt. Für ihn war Friedrich Nietzsche nicht radikal genug. Cioran zweifelt an allem, auch am Sinn des Lebens. Aber an einem zweifelt er nicht: an der Kraft der Musik. So schreibt er in einem Aphorismus: »Der Zweifel dringt überall ein, mit einer bemerkenswerten Ausnahme jedoch: es gibt keine skeptische Musik.« (Cioran, Werke 1976) Und in einem anderen Aphorismus sagt er: »Mit Ausnahme der Musik ist alles Betrug, sogar die Einsamkeit, sogar die Ekstase.« (1924) Und als er einmal in der Kirche Saint-Séverin die Kunst der Fuge auf der Orgel hörte, sagte er sich immer wieder vor: »Das ist die Widerlegung aller meiner Verfluchungen.« (Ebd. 1921)

Wo hat dir der Zweifel geholfen, zu neuen Erkenntnissen zu kommen? Kennst du den Zweifel an dem, was die Zeitungen schreiben? Nimmst du die verschiedenen Forschungsergebnisse an, die heute z. B. für die gesunde Ernährung angeführt werden? Was wäre, wenn du alles annehmen würdest, was dir als Forschungsergebnis dargelegt wird? Es gibt ja soviele verschiedene Anregungen, wie wir uns ernähren sollen. Wenn du alle unbesehen akzeptieren würdest, müsstest du jedes Jahr deine Ernährung umstellen. Aber was hilft dir, bei allen Zweifeln den richtigen Weg für dich und deine Ernährung zu finden? Du wirst sehen, dass die Zweifel dich dazu herausfordern, dich trotzdem für einen Weg der Ernährung und der Lebensweise zu entscheiden. Dabei helfen offensichtlich nicht die verschiedenen Forschungsergebnisse, die ja oft von Interessenverbänden in Auftrag gegeben worden sind. Sondern es hilft dir dein eigenes Gespür, unter all den Angeboten das herauszusuchen, das deinem Wesen am besten entspricht.

Was ist für dich der Punkt, der nicht mehr bezweifelt werden kann? Für Descartes ist er das »Cogito ergo sum«. Wie würdest du den Grund definieren, auf dem du stehst und den du nicht mehr anzweifelst? Ist es wie bei Cioran die Musik? Oder spürst du eine innere Gewissheit im Glauben, wenn du im Gottesdienst bist?

Überlege, wo der Zweifel dich zu neuen Erkenntnissen geführt hat. Wo war der Zweifel angebracht, um die Wahrheit zu erfahren?

Du kennst den philosophischen Zweifel von deinen Kindern. Die Kinder fragen bei allem: warum ist das so? Die Kinder zweifeln alles an. Sie geben sich nicht mit den üblichen Antworten zufrieden. Sie möchten durch die Zweifel die Erwachsenen herausfordern, ihnen genau zu erklären, was stimmt und worauf sie bauen können. Wie gehst du ein auf die Zweifel deiner Kinder? Stellst du dich ihren zweifelnden Fragen oder tust du sie als unsinnig ab? Du tätest gut daran, dich den Zweifeln der Kinder zu stellen. Das schenkt dir selber Klarheit über dich und deinen Weg und über vieles, was du bisher nicht angezweifelt, sondern fraglos angenommen hast.

Zweifel in der Beziehung

In Gesprächen höre ich oft: »Ich weiß nicht, ob wir zusammenpassen. Ich zweifle daran, ob die Freundin/der Freund der richtige Partner für mich ist, ob wir wirklich glücklich miteinander werden.« In jeder Beziehung gibt es Zweifel. Ich soll den Zweifel ernst nehmen und nicht einfach überspringen. Aber ich sollte mich fragen, ob der Zweifel etwas über mich selbst aussagt, über meine Unsicherheit, mich auf einen Menschen einzulassen, über meine zu hohen Erwartungen, die den perfekten Partner oder die perfekte Partnerin möchten. Insofern ist der Zweifel eine Einladung, sich zu verabschieden von übertriebenen Erwartungen an den Partner, den ich heiraten möchte. Der Zweifel zwingt mich dann, den Partner realistisch anzuschauen und ihn so anzunehmen, wie er ist. Diese Art von Zweifel zweifelt nicht am Partner an sich, sondern nur daran, ob er den Vorstellungen entspricht, die ich mir von ihm gemacht habe.

Aber ich soll den Zweifel auch befragen, ob er mir eine wichtige Information über den Partner gibt. Mein Zweifel drängt mich dann dazu, den Partner genauer anzuschauen. Was ist es, das mich an ihm zweifeln lässt? Ist es mein Bauchgefühl, dass in ihm irgendetwas nicht stimmt? Oder strahlt er etwas aus, das mich zweifeln lässt, ob er ehrlich ist, ob er treu bleiben wird, ob ich mich auf ihn verlassen kann? Stimmt sein äußeres Erscheinungsbild überein mit seinem Wesen? Stimmen seine Worte mit dem überein, was er ausstrahlt? Dieser Zweifel drängt mich dazu, das Vertrauen zu testen. Ich beobachte, ob der Freund das, was ich ihm sage, für sich behält. Wenn er das, was ich ihm im Vertrauen sage, anderen weitererzählt, dann bestärkt das meinen Zweifel. Ich werde ihm dann nichts Persönliches mehr anvertrauen. Ich teste das Vertrauen auch noch auf andere Weise. Ich achte auf meine Gefühle, wenn ich mit ihm zusammen bin. Fühle ich mich wohl, sicher, geborgen? Oder steigen in mir Zweifel auf, ob das alles nur Schein ist, ob unsere Liebe wirklich hält? Ich kann auch von Mal zu Mal beobachten, ob unsere Liebe und das Vertrauen wächst oder aber der Zweifel stärker wird.

Es gibt aber auch eine andere Art von Zweifel am Partner. Ich spüre, dass der Partner nicht richtig zu mir passt. Doch ich verdränge den Zweifel mit Argumenten wie: Wir kennen uns doch schon so lange. Es lohnt sich nicht, sich auf die Suche nach einem anderen Partner zu machen. Da habe ich ja auch keine Garantie, den richtigen zu finden. Wenn ich Ehepartner nach einer Trennung frage, ob sie beim Kennenlernen und zu Beginn der Freundschaft Zweifel am Partner hegten, dann bejahen es die meisten. Aber sie wollten dem Zweifel keinen Raum geben. Sie waren froh, jemanden gefunden zu haben, mit dem sie sich verstehen. Es ist ja auch nicht selbstverständlich einen guten Partner zu finden. So hat man die Zweifel mit rationalen Argumenten zum Schweigen gebracht. Die Fehler des anderen sind nicht so schlimm. Er wird sich schon durch meine Liebe anders entwickeln. Eine Frau erzählte mir, sie hatte Zweifel, ob der Partner zuviel Alkohol trinkt und zum Alkoholiker werden könnte. Aber sie hat den Zweifel weggeschoben. Sie meinte, durch ihre Liebe könne sie das Problem ihres Mannes lösen. Doch damit hat sie sich überfordert. Sie hat ihren Zweifel nicht ernst genommen. Und so ist sie in ihrer Beziehung gescheitert.

Eine andere Frau wollte unbedingt einen gläubigen Mann heiraten. Dann hat sie in einem Gebetskreis einen Mann getroffen, der sehr fromm war. Sie hat sich angefreundet mit ihm. Doch je näher sie ihm kam, desto mehr spürte sie, dass er nicht nur die fromme Seite hat, sondern hinter der frommen Fassade sehr unreife, egozentrische, narzisstische Züge. Doch sie meinte, der Glaube würde alles verwandeln. So hat sie ihren Zweifel übersprungen. Doch irgendwann musste sie sich sagen: Ich kann mit diesem Mann nicht zusammenleben. Die Frömmigkeit allein genügt nicht. Ja, die Frömmigkeit meines Mannes verdeckt nur seine narzisstische Persönlichkeit. Er verschanzt sich hinter seiner Frömmigkeit, sodass ich dahinter den Menschen gar nicht wirklich wahrnehmen kann. So erkannte sie, dass eine Beziehung zu diesem Mann nicht möglich ist. Das hat sie dazu geführt, dass sie ihren Zweifel ernster nehmen muss. Der Zweifel ist oft eine wichtige Information über den Menschen, an dem ich zweifle. Ich soll den Zweifel ernst nehmen, aber ihn nicht absolut setzen. Ich muss mit dem Zweifel sprechen, um Klarheit zu finden.