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Im lärmenden Getriebe unserer Zeit wird das Schweigen immer mehr Menschen zu einem tiefen Bedürfnis. Lärm macht krank, Stille dagegen öffnet für die eigenen Sehnsüchte. Ruhig zu sein fällt vielen jedoch schwer und wird sogar manchmal als Belastung empfunden. Dabei kann Schweigen ein Heilmittel sein. Es ist die Voraussetzung für einen inneren Weg zu persönlicher Veränderung und zugleich der erste Schritt, um sich selbst wirklich kennenzulernen. Durch das Stillsein findet der Mensch zu sich selbst und auch zum Dialog mit Gott. Anselm Grün beschreibt diesen Weg auf dem Hintergrund der Erfahrungen der Wüstenväter und eröffnet so neue Möglichkeiten, sie für heute fruchtbar zu machen.
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Seitenzahl: 87
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 1980/2020
ISBN 978-3-7365-0304-5
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2023
ISBN 978-3-7365-xxxx-x
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr
Lektorat: Marlene Fritsch
Covergestaltung: Finken und Bumiller
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Anselm Grün
Der Anspruch des Schweigens
Vier-Türme-Verlag
Einleitung
Der Anspruch des Schweigens
Mitten im Lärm unserer Tage ist es für viele zum Bedürfnis geworden, sich dem lauten Getriebe zu entziehen und zur Stille zu finden. Eine Flut von Büchern über das Schweigen zeugt von der Sehnsucht vieler Menschen nach Stille. Der Lärm droht sie krank zu machen. Und so haben sie mit dem dänischen Religionsphilosophen Sören Kierkegaard das Schweigen als Heilmittel für ihre innere Erkrankung wiederentdeckt. Sie schwärmen von der Wohltat des Schweigens und singen Lobeshymnen darauf. Viele haben die heilende Wirkung des Schweigens in der Begegnung mit östlichen Meditationstechniken gefunden und stellen das Schweigen nun höher als alle anderen religiösen Ausdrucksformen, höher als Gebet und Gottesdienst.
Andere tun sich schwer mit dem Schweigen. Wenn sie hören, dass sie in Exerzitien während der ganzen Tage ihrer inneren Einkehr schweigen sollen, erleben sie das als Reglementierung. Bei Schweigekursen erlebe ich immer wieder beide Pole. Die einen sind dankbar, dass sie einige Tage nicht reden müssen, dass sie auch beim Essen schweigen können. Für andere ist das belastend. Sie meinen, das sei unnatürlich. Und sie brechen dann bei Tisch das Schweigen. Die anderen, die gerne schweigen möchten, fühlen sich dadurch verletzt.
Als ich einmal einen Kurs auf das Schweigen ansprach und einige sich beklagten, dass zu wenig Stille sei, bat ich alle, den Raum des gemeinsamen Schweigens zu achten. Denn wer das Schweigen bricht, übt damit Macht aus. Er nimmt den anderen den Raum der Stille. Umgekehrt erlebe ich manche bei Schweigekursen auch so extrem introvertiert und streng, dass ihr Schweigen eher abschreckt. Sie meinen, sie müssten ein pathetisches Schweigen vor sich hertragen und allen kundtun, wie spirituell sie sind. Wenn ich innerlich still bin, dann kann ich dem anderen freundlich begegnen, ohne das Schweigen zu brechen. Schweigen ist nicht Beziehungslosigkeit, sondern eine eigene Qualität von Beziehung. Das freundliche Schweigen schafft eine heitere Stille.
Im heute fast einhelligen Lobpreis des Schweigens fehlt ein Aspekt, der in der klösterlichen Tradition immer wieder betont wird: das Schweigen als Aufgabe, als Anspruch, an sich zu arbeiten, sich zu ändern. Im folgenden sollen daher die Erfahrungen der alten Mönche (3. bis 6. Jahrhundert) mit dem Schweigen zu Wort kommen. Sie mögen helfen, etwas Klarheit in die heute oft recht undifferenzierte Sicht des Schweigens zu bringen, die mehr der Sehnsucht als der Erfahrung entspringt. Vor allem aber soll deutlich werden, dass das Schweigen eine geistliche Aufgabe ist, die den Einsatz des ganzen Menschen fordert. Schweigen ist für die Mönche weniger eine Entspannungs- oder Versenkungstechnik oder eine Kunst, abzuschalten. Das Schweigen ist vielmehr die Einübung wesentlicher Haltungen, es erhebt einen moralischen Anspruch an uns: wir sollen unsere Fehlhaltungen abbauen, unseren Egoismus bekämpfen und uns für Gott öffnen.
Die Mönche schwärmen nicht vom Schweigen. Schwärmen ist ja immer ein Zeichen, dass man zu viel unbewusste Wünsche in das Objekt des Schwärmens hineinprojiziert. In den monastischen Schriften wird sehr nüchtern vom Schweigen gesprochen. Und es wird nie als einziges Mittel des geistlichen Weges hingestellt, sondern immer im Zusammenhang mit all den anderen Methoden gesehen, die der Mönch erlernen muss: Beten, Meditieren, Aussprechen der innersten Gedanken einem geistlichen Vater gegenüber, Arbeiten, Fasten, Almosengeben, Gastfreundschaft und Liebe zum Bruder. Das Schweigen als geistlicher Weg weist drei Schritte auf: den Schritt der Selbstbegegnung, des Loslassens und des Einswerdens mit Gott und mit mir selbst. Diese drei Schritte wollen wir im folgenden nachgehen.
Kapitel1
Schweigen als Kampf mit den Leidenschaften
Das Schweigen wird von den Mönchen als ein Mittel im Kampf um die Reinheit des Herzens, um innere Lauterkeit und Rechtschaffenheit verwendet. Zunächst dient es dazu, die vielen Sünden zu vermeiden, die wir täglich mit der Zunge begehen. Benedikt begründet in seiner Regel (RB 6,4) das Schweigen mit dem Satz aus dem Buch der Sprüche:
Beim vielen Reden wirst du der Sünde nicht entgehen.
Sprüche 10,19
Das scheint eine sehr negative Begründung zu sein. Vom Lob des Schweigens ist da nichts zu spüren. Man soll nur schweigen, weil man sonst ständig sündigen würde. Im Schweigen vermeide ich die Sünden der Zunge. Die Mönche haben offensichtlich sehr negative Erfahrungen mit dem Reden gemacht. Sobald man den Mund auftut, ist man schon in Gefahr zu sündigen. In einem Väterspruch kommt das zum Ausdruck:
Einmal sprach der Altvater Sisoes voll Zuversicht: »Siehe, jetzt sind es dreißig Jahre, dass ich nicht mehr wegen einer Sünde zu Gott bete, aber darum bitte ich: Herr Jesus, schütze mich vor meiner Zunge – und trotzdem falle ich noch täglich durch sie und sündige.«
Apophthegmata patrum, 808
Gefahren des Redens
Es sind vor allem vier Gefahren, die nach der Erfahrung der Mönche das Reden mit sich bringt: Die erste Gefahr ist die Neugier.
Ein Altvater pflegte zu sagen: Ein Mönch soll nie zu wissen verlangen, wie dieser oder jener beschaffen sei; solche Nachforschungen halten ihn nur vom Gebete ab und führen zu Ehrabschneidungen und Schwätzereien; daher ist es am besten, ganz zu schweigen.
Apophthegmata patrum, 996
Neugier führt zu Zerstreuung. Der Zerstreute kümmert sich um alles mögliche. Er ist ausgegossen, leer, oberflächlich. Der Gedanke an Gott kann sich in ihm nicht halten. Es kann in ihm überhaupt nichts reifen. In einem der Apophthegmata – so nennt man die Aussprüche der Mönchsväter, die uns aus dem 4. bis 6. Jahrhundert überliefert werden – wird das drastisch geschildert:
Brüder besuchten von der Sketis aus den Altvater Antonios. Sie bestiegen ein Schiff, um zu ihm zu kommen. Dort trafen sie einen Alten, der auch dorthin kommen wollte, doch die Brüder kannten ihn nicht. Als sie im Schiffe waren, unterhielten sie sich über Aussprüche der Väter, über Worte der Schrift und auch über ihre Handarbeit. Der Alte aber schwieg. Als sie nun am Landeplatz waren, zeigte es sich, dass der Alte auch auf dem Weg zum Altvater Antonios war. Als sie dann bei diesem ankamen, sprach Antonios zu ihnen: »An diesem Alten habt ihr einen guten Begleiter gefunden.« Er sagte aber auch zu dem Greis: »Treffliche Leute hast du bei dir.« Der Greis erwiderte: »Gut sind sie schon, aber ihr Gehöft hat kein Tor, und jedermann kann in den Stall hineingehen und den Esel losbinden.« Das sagte er, weil sie alles herausschwätzten, was ihnen in den Mund kam.
Apophthegmata patrum, 18
Wenn einer nichts für sich behalten kann, sondern alles herausreden muss, Gutes wie Schlechtes, dann hat man von ihm den Eindruck, er hat keinen Tiefgang. Er kennt keine Geheimnisse. Er kann nicht mit Geheimnissen leben, er kann sie nicht aushalten. Deshalb kann er auch nicht tiefer in ein Geheimnis eindringen. Er zerstört es, indem er sofort davon reden will. Letztlich äußert sich in diesem ständigen Reden eine Angst vor dem Geheimnis, eine Angst vielleicht vor Gott selbst. Im Reden will man alles benennen, alles durchschaubar, mitteilbar und damit beherrschbar machen. Worüber ich rede, das habe ich in der Hand. Ich werfe es einem anderen zu. Also kann es mich nicht umwerfen. Manchmal hat man den Eindruck, dass manche sofort zu reden beginnen, um sich den anderen vom Leib zu halten, um einem wirklichen Gespräch aus dem Weg zu gehen.
Die zweite Gefahr des Redens ist das Urteilen über andere. Wenn wir unser Reden genau beobachten, stellen wir fest: wir reden zu einem großen Teil über andere. Wir verbreiten ständig etwas über andere. Die anderen sind ja so interessant. Sie liefern stets neuen Gesprächsstoff. Auch wenn man positiv über andere reden will, man ertappt sich doch dabei, wie man urteilt, einstuft oder sich selbst mit ihnen vergleicht. Häufig ist das Reden über andere ein Reden über sich selbst, ohne dass es einem bewusst ist. Man redet über die Dinge, die man selbst gerne hätte, oder über Dinge, die einem auf die Nerven gehen oder einen verunsichern und provozieren. Doch im Reden über andere bin ich mir eben nicht bewusst, dass ich über mich selbst und meine Probleme spreche. Und so führt es meist nicht zu größerer Selbsterkenntnis, sondern im Gegenteil zu einer Abwehr ehrlicher Selbstbeobachtung. Man geht der eigenen Wirklichkeit aus dem Weg, indem man vom anderen spricht. Und doch ist es unschwer für jeden Beobachter zu erkennen, dass man ständig sich selbst verrät. Unser Reden verrät einem aufmerksamen Zuhörer, wie es um uns steht, woran wir denken, womit wir uns beschäftigen, womit wir innerlich nicht fertig werden. Unsere Sprache verrät den anderen unsere Gefühle und Wünsche, unsere Pläne, unsere Motivationen, unsere Probleme und Komplexe. Wenn die Magd zu Petrus sagt: »Deine Sprache verrät dich ja« (Matthäus 26,73), dann meint das nicht nur den Dialekt, sondern sein ganzes Sprechen. Alles, was wir aussprechen, verrät unser Herz.
Die dritte Gefahr des Redens ist für die Mönche die Ruhmsucht. Wer viel redet, stellt sich häufig selbst in den Mittelpunkt. Er redet immer wieder auch von sich, rückt sich in das rechte Licht, damit man ihn auch gebührend beachtet. So sagt der griechische Mönch Johannes Climacus:
Die Schwatzhaftigkeit ist der Thron der eitlen Ruhmbegierde, auf welchem sie über sich selbst zu Gerichte sitzt und sich in alle Welt hinaus-posaunt.
Die Leiter zum Paradiese, 163
Wer redet, will beachtet werden. Wer spricht, der erwartet, dass man ihm zuhört, dass man ihn ernst nimmt. Und häufig genug erwartet er, dass man ihn anerkennt oder gar bewundert. Ohne dass man es merkt, dreht man die Worte so, dass man damit Anerkennung hervorrufen kann. So dient das Reden häufig der Befriedigung der Ruhmsucht.
Die vierte Gefahr des Redens ist die Vernachlässigung der inneren Wachsamkeit. Beim Reden fällt man ständig aus der Wachsamkeit sich selbst gegenüber heraus. Ein Väterspruch drückt das so aus: