Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Franz Xaver Meusel war ein echter deutscher Dichter, denn er wohnte in einer Dachkammer, hatte wenig zu beißen und zu brechen und ging selten nur zum Friseur, weil der nicht auf Pump die Haare schnitt. Er war auch darum ein echter deutscher Dichter, weil er trotz des betrüblichen Mißstandes seiner irdischen Verhältnisse fast ausschließlich Dinge schrieb, für welche sich weder unter den Verlegern noch unter den Theaterdirektoren ein rechter Liebhaber finden ließ ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 151
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
w
idb
ISBN 9783961507955
Franz Xaver Meusel war ein echter deutscher Dichter, denn er wohnte in einer Dachkammer, hatte wenig zu beißen und zu brechen und ging selten nur zum Friseur, weil der nicht auf Pump die Haare schnitt. Er war auch darum ein echter deutscher Dichter, weil er trotz des betrüblichen Mißstandes seiner irdischen Verhältnisse fast ausschließlich Dinge schrieb, für welche sich weder unter den Verlegern noch unter den Theaterdirektoren ein rechter Liebhaber finden ließ; heute ein fürchterlich naturalistisches Drama über das Motiv: »Hungertuch und Lustmord«, morgen ein metaphysisches Epos. Natürlich hatte er ein Kaffeehaus oder wenigstens einen Winkel in einem Kaffeehaus, wo er Gott war und drei bis sieben andächtigen Jünglingen nebst einigen wilden Jungfrauen sein Evangelium predigte. Im übrigen war er weiteren Kreisen unbekannt. Außer Gedichten und geistreich frechen Aufsätzen in etlichen literarischen Cliquenblättern der achtziger Sturmjahre war noch nichts von ihm gedruckt, und wie er sein Leben eigentlich fristete, war selbst seinen nächsten Freunden ein Rätsel.
Wenn Franz Xaver Meusel rasiert und sein alter Bratenrock gebürstet war, dann sah er aus wie ein englischer Reverend; war er aber unrasiert und ungebürstet, was häufiger der Fall, so glich er eher einem entsprungenen Sträfling, der sich lange in Wind und Wetter herumgetrieben und die Nase erfroren hat. In solcher Verfassung suchte er möglichst obskure Kneipen auf, wo er für fünfzig Pfennige mittagmahlte und zu mitternächtiger Stunde den dicken Tabaksqualm mit Geißelhieben grimmigen Hohns auf Gott und alle Welt spaltete. Da machte er Studien zur Psychologie und Physiologie des Proletariers und trank Brüderschaft mit philosophischen alten Süffeln.
War ihm aber einmal aus geheimnisvoller Quelle Geld zugeflossen, dann konnte man ihn glatt frisiert und frisch gebügelt in feinen Restaurants und in reputierlicher Gesellschaft sitzen sehen, und er wußte solche Gesellschaft durch seine geistreichen Paradoxe aufs köstlichste zu unterhalten, zumal die Ohren hübscher Frauen durch allerliebste Schmeicheleien zu kitzeln und mit dem heißen Hauch unterdrückter Leidenschaft ihre Herzen zu entzünden.
Außerdem war er neunundzwanzig Jahre alt und, wie er behauptete, der Sohn eines hohen Justizbeamten in Wien.
Manchmal brachte er auch sein Mädel mit ins Café. Das war ein stilles, blasses, demütiges Ding. Man wußte über sie noch weniger als über ihren Gebieter. Sie stammte aus den Balkanländern, Rumänien, Serbien, Bulgarien oder da so herum, und studierte in München Musik. Sie trug sich ganz absonderlich. Schlafrockartige Gewänder in bleichen Pastellfarben mit selbstgefertigten, aparten Stickereien, die zu ihrer überschlanken, scheinbar knochenlosen Gestalt, dem schmalen, blassen Gesichtchen mit den großen Mandelaugen und dem auffallenden Kopfschmuck ihres reichen rotbraunen Haares wunderbar gut paßten. Biche nannte er sie; wie sie sonst hieß, wußte man nicht. Man redete sie Mademoiselle an oder in vorgerückter Intimität »Mademeusele«, was eine scherzhafte Korruption von Madame Meusel sein sollte.
Biche war eigentlich nicht hübsch, aber alle Freunde ihres wilden Gatten mochten sie gut leiden – zum mindesten genoß sie allgemeiner Achtung, weil sie mit ihren aristokratischen kleinen Händen und Füßen und ihrer aparten Erscheinung eine stille Vornehmheit ausdrückte, die jede plumpe Annäherung fein zurückwies. Niemand vermochte zu sagen, ob sie dumm oder gescheit, unwissend oder gebildet sei, denn sie sagte sehr selten etwas und war der deutschen Sprache nur unvollkommen mächtig; aber sie hing mit scheuer Bewunderung an den Lippen ihres Franz Xaver, und wenn seine Witze die laute Heiterkeit oder seine geistreichen Einfälle das Erstaunen des Stammtisches erregten, so huschte mit flüchtigem Erröten ein glückseliges Lächeln über ihr blasses Gesicht, als ob sie alles verstanden hätte, und als ob sie sagen wollte: »Ja, staunt nur, ihr! Ich weiß doch, was in ihm steckt. Er ist der Klügste und Bedeutendste von euch allen, und ihr werdet noch euer blaues Wunder an ihm erleben.«
Franz Xaver pflegte von ihr zu sagen: »Biche hat eine goldene Hundeseele, es fehlt ihr zur Vollkommenheit nur ein Schweiferl. Wenn sie wedeln könnte, würde ihre Ausdrucksfähigkeit staunenerregend sein.« Das war ein hohes Lob im Munde Franz Xavers, denn er war ein großer Hundefreund, und der einzige wirkliche Schmerz seines Daseins war der, daß ihm seine Mittel nicht erlaubten, sich einen Hund zu halten. – – –
Das war eines Mittags um ein Uhr, im Jahre 1896, als Biche an der Kammertür ihres Geliebten klopfte. Da keine Antwort erfolgte, drückte sie auf die Klinke – die Tür war offen. Er hatte wieder einmal vergessen, zuzuriegeln. Schließlich – wozu auch? Fortzutragen gab es kaum etwas in dem ärmlichen Dachstübchen, und seine mächtige Persönlichkeit hätten auch vier klobige Einbrecherfäuste schwerlich von der Stelle gebracht.
Die helle Wintersonne schien herein und dem Langschläfer gerade auf die Nase. Er lag im Oberhemd im Bett, und die übrigen oberen und unteren Hüllen wüst verstreut auf dem Strohstuhl mit dem durchlöcherten Sitzteil und auf dem blanken Fußboden. Mademoiselle Biche rüttelte ihn am Arm.
»Franzi! Xaverl! Uff! Honte! C'est midi!«
Der große Kerl ermunterte sich langsam. Erst grunzte er, dann blinzelte er das Mädchen an, dann gähnte er, dann richtete er sich schwerfällig auf. Sein Kopf mit dem wüst verdrückten Schopf neigte heute mehr dem entsprungenen Sträfling als dem englischen Reverend zu.
»No, Biche, was schaffst denn schon in aller Früh da heroben?«
»No, is eine Uhr,« versetzte sie mit mildem Vorwurf, »sollste kummen, is Zeit für Diner. Haste du Geld? Moi je n'ai pas le sou.«
Franz Xaver unterbrach sich im Gähnen und horchte auf: »Was, du hast auch nix? Zwanzig Pfennig hab' ich noch im Sack, das ist der Rest von gestern. Hast du deine Wirtin schon angezapft?«
Mit einem wehmütig drolligen Gesicht schüttelte Biche den Kopf und bewegte ihren kleinen Zeigefinger zur Verstärkung der Verneinung hin und her: »Nix, nix, sagte sie traurig, »hab' schon alle Kollegen gebettelt, niemand hat mehr bissel Geld.«
»No freilich, am Siebenundzwanzigsten!« bestätigte Franz Xaver verständnisvoll. »Ja, da werden wir uns halt das Diner verkneifen müssen; hast nix mehr zum Versetzen?«
Das Mademoisellchen schüttelte den Kopf, dann trat es mit einem raschen Schritt herzu, setzte sich auf den Bettrand, schlang seine dünnen Ärmchen um den breiten plumpen Mann und brach, an seine Schulter gelehnt, in heftiges Schluchzen aus.
»No, was is, Bischibischerl, was wär' denn jetzt des! Geh', schau', sei stad, Köpferl hoch! 's wär' doch net 's erstemal. Ich mein' doch, man gewöhnets mit der Zeit.«
Aber das arme Ding war diesmal nicht so leicht zu beruhigen. Unaufhaltsam strömten die Tränen, so daß Franz Xaver ehrlich erschrocken war. Er saß aufgerichtet im Bett, drückte das arme zuckende Hascherl an sich und streichelte ihm zärtlich das Haar. Er redete immer so fort in guten, zärtlichen Worten, aber sein Trost wollte diesmal durchaus nicht verfangen: »Ja, so sag mir doch,« rief er endlich schier verzweifelt, »was is jetzt des mit dir, Hundel? So hab' ich dich ja noch nie gesehen!«
Da richtete sie sich endlich auf und tupfte das nasse Antlitz mit ihrem Tüchlein ab und kämpfte mit Anstrengung das würgende Schluchzen hinunter. Endlich brachte sie mühsam hervor: »Papa hat mir Brief geschreibt.«
»No, und...?!« Franz Xaver war ganz Auge und Ohr.
»Ich soll – dich verlassen – und heimkummen, oder er will mir nie kein Geld nimmer geben.«
Der Poet wußte eine ganze Weile nichts zu sagen. Mit einem beinahe dummen Ausdruck starrte er sein still weinendes Mädchen an. Endlich stieß er mit komischer Entrüstung die Worte zwischen den Zähnen hervor: »Stumpfsinniger Banause! Elende Krämerseele!« Er ereiferte sich und lachte höhnisch auf: »Ja, gelt, wenn ich dich heiraten tät, dann wär' alles gut; wenn ich dem Pegasus abschwören und daheim bei euch Roßdieb oder Räuberhauptmann werden wollt' – oder womöglich gar in seine Firma eintreten, dann wär' ich ihm als Schwiegersohn hochwillkommen, gelt?«
Biche ließ wieder ihr Fingerchen hin und her gehen als Zeichen absoluter Verneinung: »Non, pas comme ça,« sagte sie, ohne ihn anzusehen, ganz leise: »ich soll ganz weg von dir, oder überhaupt nie wieder in Vaterhaus kummen.«
»Ah, so!« rief der Poet gedehnt. Und dann entstand eine lange bängliche Pause. Endlich ließ sich Franz Xaver wieder in die Kissen fallen, kroch bis an den Hals unters Federbett und sagte: »Kalt is' hier.« Und wieder eine längere Pause. Sobald er warm geworden war, arbeitete sich der große Kopf mit dem wüsten Schopf auf der hohen Denkerstirn wieder ein wenig empor, und Franz Xaver wandte sich nach seinem stummen Liebchen um.
»Also du, Bischibischerl, ich sag' der noch was: daß du mi gern hast, weiß ich, obst jetzt bei mir bist oder net – und eh' daß d' jetzt ganz und gar den Halt verlierst und dein junges Leben an so einen unsicheren Kerl hängst – eh' geh schon heim und laß mich laufen. Ich bin dir net bös drum. Ich seh' ein, es geht net anders.«
Da stand sie wieder vor seinem Bett, und ihre beiden Händchen haschten nach seiner großen, warmen Tatze: »Ich kann doch nicht,« jammerte sie ganz hilflos, »du haste wohl ganz vergessen, was sich passier'n wird in paar Monate.«
Franz Xaver fuhr sich verlegen mit der freien Hand durch den Schopf: »Also deswegen. Traust dich wohl net, dem Papa das einzugestehen? – Weißt, ich setz' mich hin und schreib' ihm einen rechten schönen Brief und schreib' ihm, was du für ein liebes einziges Hundel bist, und daß das Unglück amal passiert is, und daß das Natürliche nie eine Schande sein kann unter denkenden Menschen – und überhaupts, daß dieses die Bestimmung des Weibes ist, und daß du ein echtes Weib eben bist und er dir daraus keinen Vorwurf machen kann. Und wenn's einen Sinn hätt', würde ich dich ja heiraten, was aber zurzeit eben ein Blödsinn wäre. Und das müßte er doch einsehen und dir wieder deine Rente schicken oder lieber gleich dein mütterliches Erbteil herauszahlen, wenn er sich nicht in den Augen aller gebildeten und anständigen Menschen selber als einen ausgemachten Bazi und geschmacklosen Komödienwüterich darstellen wollte. Das werde ich ihm schreiben, und du wirst sehen, dieser Logik wird er nicht widerstehen können.«
Ein trauriges Lächeln huschte über ihre abgehärmten Züge. Sie zog ihre Hand aus der seinen und sagte: »Tu es fou, mon ami.«
Da polterte ein schwerer Männertritt die letzte Stiege zum vierten Stock empor, und beide horchten gespannt nach der Tür hin. Nun schlug gar einer mit der Faust gegen die Tür. Biche floh in eine Ecke und drückte sich ängstlich gegen die Wand – Franz Xaver aber brüllte ein mächtiges: »Herein!« Im nächsten Augenblick zottelte ein unförmiges Pelztier über die Schwelle. Man sah wirklich nur Pelz. Ein schwarzes Sealskin auf dem Kopf und einen bis über die Ohren hochgeschlagenen Kragen von Marder- oder Otterfell oder was es war, und dann einen langen rauchverbrämten Sack bis auf die Füße hinunter; nur gerade die Stiefel schauten noch hervor. Menschlich war an dem kleinen Ungeheuer nur das rotgefrorene, fette, runde Gesicht mit dem mächtigen, blonden Schnurrbart darin und dem goldenen Kneifer auf der Nase. Und weil die Brillengläser beim Eintritt in das Zimmer feucht anliefen, nahm das Ungeheuerchen sie herunter und glotzte mit weit aufgerissenen Äugelchen blöde gegen das Licht.
»Verflucht auch, ich seh' nix! Franz Xaver Meusel, Mensch, bist du da oder net?«
»Freilich bin ich da, du Rammel, du g'scherter! Wer bist denn du, Knallprotz, elendiger, daß du hier aufdrahst mit deinem hochnobligen Pelzwerk? Ich bitte, sich gefälligst vorzustellen oder wenigstens anzudeuten, wo und wann wir Brüderschaft getrunken haben.«
Jetzt endlich entdeckte der kurzsichtige Fremdling seinen Freund im Bette und schritt mit ausgestreckter Hand auf ihn zu: »Ja, ich bin doch der Balzer Theo; willst du mich etwa gar verleugne, du Urviech, du miserables?«
»Ja, da schau her, der Balzer Theo! Ja, Herrgott sakra, wo blast denn dich der Wind daher? Hat sich dieser Schmalzbariton einen dermaßen vorschriftswidrigen Schnauzer stehen lassen! Singst du damit den Amonasro?«
»Wohl, wohl, wird alles gemacht,« versetzte der Blonde. Er hatte inzwischen seinen Pelzrock aufgeknöpft, mit Mühe sein Sacktuch hervorgeholt und putzte nun eifrig die Brillengläser. »No, sag' mir bloß um Gottes wille, was schaffst denn du am Mittag noch im Bett? Hast ebbe dei Sauglück mit Sekt begosse, du Lotterbub du?«
»Sauglück, ich?« Franz Xaver fuhr empor und stützte beide Arme auf den Bettrand. »Du, sei so gut und red' keine Rebusse, so Frotzeleien kann ich net leiden. Ich bin schon seit acht Tagen wieder ganz blank; kommst gerade recht.«
»Ja, Mensch, weißt denn du noch von nichts?«
»Nix weiß ich – was soll's denn sein?«
»Ei, du alte Pappschachtel, wir zwei sind seit vorgestern Naböbse.«
Franz Xaver holte mit der Hand weit aus: »Du, wannst mi eppa derblecken willst...!«
»Aber nein, da schau her, wenn du's net glaubst.« Er fummelte aus der Brusttasche einen Bogen Zeitungspapier hervor, der mit lauter Zahlen bedruckt war. »Unsere Nummer ist doch mit hundertundfünfzigtausend Mark herausgekommen.«
»Wa...??«
»Da überzeug dich.« Er setzte seinen Kneifer auf, nahm das Blatt dicht vor die Nase, und als er die Glücksnummer gefunden hatte, legte er den Zeigefinger darauf und hielt so seinem Freunde das Blatt hin.
Franz Xaver sah mit eignen Augen und mußte nun wohl glauben; aber fassen konnte er es doch nicht gleich. Der freudige Schreck schien ihm zunächst die Sprache verschlagen zu haben. Er stammelte wie ein Idiot immer wieder die prachtvolle Zahl vor sich hin: »Hundertundfünfzigtausend!«
»Begreifst du jetzt endlich?« brüllte Balzer mit seinem mächtigen Seldenbariton. »Ein Jammer, daß wir nur e Viertelche zusamme gespielt hawwe! No, kommt nach alle Abzüg immer noch 18–19 000 auf den Kopf.«
Da sprang Franz Xaver Meusel mit einem plötzlichen Satz aus dem Bett, faßte seinen kleinen, fetten Freund unter den Armen und tanzte wie unsinnig mit ihm in der hellen, kalten Dachkammer herum. Das nahm sich aus wie ein groteskes Stück mittelalterlicher Justiz: der Malefikant im Armsünderhemdlein in die Bärengrube geworfen und nunmehro zum Gaudium blutgieriger Gaffer von Meister Petz zum Tanz herausgefordert. Alle beide brüllten sie wie die wilden Bestien, diese ausgewachsenen Mannsen, der verkannte Poet mit dem haarigen Gebein und dem zerknitterten Oberhemd und der wohlbestallte Hofopernsänger im Protzenpelz.
Und aus der Schattenecke des Dachkämmerleins mischte sich ein drittes Stimmchen zaghaft in das wüste Duett, ein schluchzender Triller zwischen Lachen und Weinen. Das war das vergessene Mademoisellchen, das die Hauptsache verstanden hatte und dem plötzlich eine wundersüße Hoffnung aufging.
Der Balzer ward ihrer zuerst gewahr, hielt in dem wüsten Indianertanz inne und verschloß Franz Tavern, der wie ein Derwisch heulte, mit der flachen Hand den Mund: »Pst, Silentium, eine Dame! Pardon, daß ich nicht früher bemerkte ... Willst du mich nicht dem Fräulein ... oder vielleicht – deiner Frau Gemahlin vorstellen?«
»Warum net gar,« rief Franz Xaver lustig, »das ist die Biche, das ist mein Hundel. Geh her, Biche, sprich auch – gib Laut, Biche! Ich hab' das große Los gezogen, mir san Millionär – neunzigtausend Mark!«
»Neunzehntausend,« verbesserte der Freund, und dabei zog er seine Sealskinkappe ab und entblößte, sich verbeugend, seinen blanken, rosigen Schädel vor dem verlegen lächelnden Mademeusele. »Mein Name ist Theodor Balzer, Hofopernsänger aus Stuttgart,« stellte er sich vor.
»Und da bist du gleich von Stuttgart hierher, um uns das Geld auszahlen zu lassen? Du hast doch das Los bei dir?« Franz Xaver hielt die beiden offenstehenden Klappen des Pelzes gepackt und beutelte so den kleinen Blankschädel hin und her.
»Gott sei Dank, ja, ich hab's« versetzte Herr Balzer, »du hättest es ja doch längst verloren oder versetzt.«
»Höchstwahrscheinlich,« lachte der Dichter. »Und jetzt kommst du her, um das viele, viele Geld zu erheben und mir ehrlich meine Hälfte abzugeben?«
»Natürlich!«
»Das ist gar nicht natürlich, das ist im Gegenteil höchst unnatürlich; wenn du mir gar nichts gesagt hättest und heimlich damit nach Amerika durchgebrannt wärst, hätte ich mich keinen Augenblick gewundert; ich hab' dich immer für einen ganz ordinären Menschen gehalten.«
»No, sei so gut!«
»Das geht auch net mit rechten Dingen zu. Hast du deine Frau mit?«
Der kleine Heldenbariton funkelte den Freund mit ehrlicher Entrüstung durch seine blanken Gläser an und rief: »Eine Beleidigung nach der andern! Meine Frau hat selbstverständlich keine Ahnung von dem Glücksfall. So dumm bin ich doch nun wirklich auch net; die tät's doch gleich auf die Bank schleppe und in sichere Staatspapiere zu dreieinhalb Prozent anlege, und ich könnt' mich als krümme wie so e Wurm und kriegt vonwege dem Vermögenszuwachs noch ka Gläsle Bier mehr am Sonntag bewilligt. Nei, Freundche, ich hab' Urlaub genomme zur Wiederherstellung meiner angegriffenen Stimmritz – und jetzt kriege mich ka siebenundsiebzig Teufel mehr heim, eh' bis net der letzte Bläuling verjuckt is.«
»Ich hätte nie geglaubt, daß dir der Sinn des Lebens in solcher Schönheit jemals aufblühen würde,« rief Franz Xaver pathetisch aus, dann umarmte er den kleinen Freund, gab ihm viele schöne Titel wie: »Bruderherz«, »süßer père noble», »goldiger Hofdarstellungsbeamter« und dergleichen mehr, und wollte dann wieder den wilden Indianertanz anheben, als das kleine Fräulein aus seiner Ecke herauskam und mit raschen Schritten das helle Zimmer durchquerte, um dem wüsten Wesen zu entfliehen. Ohne ein Wort zu sprechen, ging sie hinaus.
Franz Xaver gewahrte es: »Ach so,« sagte er, an sich hinunterschauend. Er ward sich jetzt erst seiner unanständigen Verfassung bewußt, sprang zur Tür, steckte den Kopf hinaus und rief der kleinen Freundin nach: »Du Bischibischerl, wart' a bissel unten im Café, ich mach' geschwind Toilette, in fünf Minuten bin ich fertig. Laß dir einen Schnaps geben derweil. Wir speisen heut mitsammen beim Schleich, und dann wickle ich dich in Samt und Seiden wie eine Königin.« Er brüllte die »Königin« so großartig hinaus, daß das ganze Treppenhaus davon widerhallte.
Während er sich nunmehr Hals über Kopf wusch und ankleidete, unterzog ihn der kleine Bariton einem freundschaftlichen Verhör: »Ist das dein Mädchen?« fragte er.
»Ja, das ist das Bischibischerl, ein recht ein liebes Hundel,« erwiderte Franz Xaver, indem er in der Waschschüssel ein eifriges Geplansche und Gepruste erhob.
Herr Balzer drehte seinen Schnurrbart, runzelte die Stirn und brummte vor sich hin: »Schlecht genährt – wär' nix für mich. Seit wann ist denn das dein Geschmack?«
Meusel hatte die letzten Worte verstanden. Während er sich abtrocknete, erwiderte er obenhin: »Geschmack oder nicht, sie pickt, weißt. Die andern sind immer bald wieder abgefallen – oder ich von ihnen – aber die pickt fest. Einfach nicht loszuwerden, ob mir's gut geht oder schlecht – sie pickt. Begreife nicht, was sie an mir find't. So ein zartes Seelchen – und kann sie doch nichts irremachen. – Was soll man dagegen tun? – Sie hat sich schon meinetwegen mit ihren Leuten überworfen; und jetzt nun gar, wo was in Aussicht ist...«