Der arme Heinrich - Gerhart Hauptmann - E-Book

Der arme Heinrich E-Book

Gerhart Hauptmann

0,0

Beschreibung

Hauptmann adaptiert mit seinem Drama das mittelhochdeutsche Versepos "Der arme Heinrich" von Hartmann von Aue. Erzählt wird die Leidensgeschichte des Edelmannes Heinrich, der schwer erkrankt und sich aus der Gesellschaft zurückzieht. Er entschließt sich zu sterben, besucht jedoch zuvor den Hof einer Meiersfamilie. Besonders die Meierstochter Ottegebe ist Heinrich sehr zugetan. Doch Heinrich will sterben...-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 108

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gerhart Hauptmann

Der arme Heinrich

Eine deutsche Sage

Saga

Der arme Heinrich

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1898, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726956825

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

»Dem Andenken meines Bruders Georg Hauptmann gewidmet«.

Dramatis Personae

Heinrich von AueHartmann von der AuePächter GottfriedBrigitteOttegebePater BenediktOttackerRitter und Schloßbedienstete

Erster Akt

Das Hausgärtchen des Meiers Gottfried. Der Giebel des Wohnhauses mit Eingangstür und den hinanführenden Stufen links. Davon nicht weit eine alte Ulme, darunter ein Steintisch mit einer Rasenbank. Unter der Ulme fort übersieht der Blick weite grüne Hochflächen. Vorne abgeerntete Felder und am Horizont bewaldete Hügelungen. Gruppen von Tannen hie und da vereinzelt.

Der Meier Gottfried kehrt mit einem Besen das Laub von dem Steintisch. Ottacker, ein gewappneter Knecht, etwa vierzig Jahre alt, fertig, aufs Pferd zu steigen, kommt, sorgfältig bemüht, mit Sporen und Harnisch nicht laut zu werden, durch den Garten geschlichen; er stutzt, wie er Gottfried gewahrt, und sein schwarzbärtiges, bleiches Gesicht wechselt die Farbe in Betretenheit.

Gottfried Gelobt sei Jesus Christ!

Ottacker                                         In Ewigkeit.

Gottfried Wo wollt Ihr hin in dieser frühen Stunde?

Ottacker Ei, beizen, reiten, pirschen, was weiß ich –

Gottfried Wird Euch der Herr nicht missen?

Ottackerkraut sich verlegen                             Schwerlich! Ja

vielleicht! ein Auftrag, Meister. Denkt doch an . . .

Das heißt, so Gott will und sich alles wendet,

und auch wohl, wenn es sich ganz schlimm erweist,

kehr' ich zurück – doch . . .

Gottfried                                   Ich versteh' Euch nicht:

ist irgend von den Euren wem daheim

ein Unglück zugestoßen?

Ottacker                                   Pst. Gewiß.

Still! Ja doch! ich muß fort – die Mutter – auch

die Schwester – heikle Dinge! Ihr versteht.

Sonst, seht Ihr, will ich mit dem Satan fechten!

und lebten die noch, die ich überrannt

im Heidenlande, könnten sie's bestät'gen.

Gottfried Was ist Euch? seid Ihr krank?

Ottacker                                                   Nein! Gott behüte

uns vor den schlimmen Süchten, bösen Flüssen

und aller Sündenschuld und Pestilenz.

Noch bin ich standfest, heil und rein im Blut,

und heil und standfest hoff ich auch zu bleiben.

Die Welt ist schlimm und voller Teufel, doch:

Christ ist mein Hort. Mit manches Türken Blut

kauft' ich mir Ablaß – manches Plunderstück

schenkt' ich den Pfaffen, und ein Span vom Kreuz

aus dem Gelobten Land feit meine Brust:

allein, mich schauert's, ich muß fort, mir träumte

ein Ding von übler Vorbedeutung und –

was sterblich ist, das wehrt sich seiner Haut!

Ottacker ab.

GottfriedOttacker nachblickend

Bei Gott, er zerrt den Schecken aus dem Stall,

klirrt in den Sattel und – spornstreichs davon!

Aus dem Hause kommen Brigitte und hinter ihr Ottegebe. Brigitte ist eine ehrwürdige, nicht sehr bäurisch aussehende Matrone, Ottegebe ein bleichsüchtiges Kind an der Grenze der Jungfräulichkeit, ihre Augen sind groß und dunkel, ihr Haar aschblond, mit rotgoldnen und gelbgoldnen Glanzfäden untermengt. Mutter und Tochter tragen Linnenzeug und Tischgerät.

Brigitte Wo deck' ich unserm gnädigen Herrn den Tisch?

Gottfried! He, Gottfried . . .

Gottfriedaus der Verblüffung erwachend

                                            Was denn? Riefst du mich?

Brigitte Ja freilich, denn mein Warmbier ist bereit,

der Fisch gesotten und der Rahm geschlagen.

Wo, meinst du, deck' ich unserm Herrn den Tisch?

Gottfriedauf den Steintisch weisend

Komm nur. Dies ist von alten Zeiten her

sein Platz. Gelt, Kind, hier saß er immer gern?

Ottegebenickt eifrig

Ja, Vater! Frischen Honig, Vater, noch . . .!

Du sagtest doch, du wolltest welchen zeideln!?

Gottfriedbefremdet

Wer band dir denn die Schleife so ins Haar?

Ottegebe Die Schleife?

Gottfried                       Ja, die rote Schleife, Kind!

Ottegebepurpurrot, verlegen

Wo denn?

Gottfriedungeduldig

                  In deinem Haar . . .!?

Ottegebe bleibt sprachlos.

Brigitte                                               Sagt' ich dir's nicht,

der Vater schilt dich aus, wenn er dich sieht!?

Ottegebe wird wieder blaß, kämpft mit dem Weinen, reißt die Schleife aus dem Haar, schleudert sie zu Boden und läuft fort.

Brigitte Es war zu Ehren unseres gnädigen Herrn.

Nun schämt sie sich.

Gottfried                           Acht auf das Kind, Brigitte,

daß es zudringlich nicht den Herrn erzürnt.

Er ist kein Knabe mehr, wie dazumal

vor Jahren, als sie noch am Bande ging

und er nach Knabenweis' sich mit ihr neckte.

Brigitte Mir scheint, er ist nicht fröhlichen Gemüts.

Gottfried Ich weiß es nicht. Wer gestern morgen ihn

sah, unter den Reitern, auf der Jägersmatte,

als er lachenden Auges unsern Hof

im Moos mit seinem Schwertknauf ihnen zeigte

und fröhlich grüßend dann von ihnen schied,

der mochte freilich bei sich selber denken,

wie diesen edelstolzen jungen Mann

des Kummers Schatten niemals doch gestreift.

Heut sah ich einen Mann, den ich nicht kannte.

Brigitte Mich wundert's, daß er itzt um diese Zeit –

weil es doch hieß, er werde Hochzeit halten –

zu uns kommt, in das weltentlegene Moos.

Gottfried Die Großen haben sonderbare Launen.

Was geht's uns an!

Brigitte                           Gewiß! Allein, der Knecht

hat unter dem Gesinde gestern nacht,

nachdem er sich am Sauser übernommen,

mit dunklen Worten wunderlich gescherzt

und vom mosaischen Gesetz gesprochen,

wonach man kranke Häusermauern wäscht,

um sie von Gift und Aussatz heil zu machen.

Gottfried Wer sagt das?

Brigitte                           Ottegebe, unser Kind.

Gottfried Höre, Brigitte, schließe deine Ohren

vor allem üblen Leumund. Unser Herr

steht hoch in Glanz und Gunst, ist kaiserlich

und also bei Sankt Petri Schlüsselhalter

nicht wohl beliebt –: die Bettelmönche treiben

Lügen ins Volk, und keine ist so plump,

daß sie nicht in der Menge Gläubige fände.

Brigitte Mir scheint, er kommt den Erlenweg herauf.

Gottfried Er ist's.

Brigitte                 Er geht gebeugt, nicht strack wie sonst.

Gottfried Wenn du so gaffst, das wird den Herrn verdrießen!

Brigitte Sieh – wie er starrt – gebannt – ins Morgenrot.

Gottfried Er ist's – ich gehe nun, und du, Brigitte,

bitt' ihn zu Tisch, gezogentlich, doch kurz,

hernach nimm Urlaub und entferne dich.

Brigitte Sei ohne Sorgen, Alter.

Heinrich von Aue kommt langsam und nachdenklich; seine Erscheinung ist schlank und ritterlich; freies Gelock, rötlicher, wohlgepflegter Spitzbart; große, blaue, unruhige Augen stehen in seinem ein wenig fahlen Gesicht.

Brigitte                                       Grüß' Euch Gott!

Heinrichblickt auf, scheint sie erst jetzt zu bemerken und sagt hastig und leichthin

Gott grüß' dich, Mutter!

Brigitte                                 Das ist Euer Tisch;

so wenig und so viel steht just darauf,

als ein entlegener Meierhof kann bieten.

Heinrich Mich dünkt, ich hörte gestern abend noch

Maultiere klingeln in den Hof, Brigitte.

Brigitte Nein, Herr.

Heinrich                 Nicht? Etwa gegen Mitternacht?

    Brigitte schüttelt den Kopf.

's ist schade, mich verlangt nach meinen Büchern.

Brigitte Habt Ihr noch irgendeinen Wunsch?

Heinrich                                                         Ja: . . . viele!

Brigitte Ich meine einen, den ich kann erfüllen.

Heinrich Den du erfüllen kannst, Brigitte nein!

vielleicht – wir wollen sehn – jetzt nicht – vielleicht.

Schon gut, ich danke dir.

Brigitte                                   Bekomm's Euch wohl.

    Ab.

Heinrichallein, legt seine flache Hand an den Ulmenstamm, blickt hinauf und sagt für sich, mit verhaltener Bewegung

Noch ganz in Blättern steht die Ulme, und

gleichwie aus Erz erhebt sie regungslos

sich in des klaren Morgens kalte Luft:

des nahen Frostes scharfer Silberhauch,

vielleicht schon morgen, macht sie nackt und bloß –:

sie regt sich nicht! – Ringsum ist gottergeben,

worauf das Auge fällt, nur nicht der Mensch,

nur ich nicht. – Friede! kehre her zu mir!

Du bist mir nah: auf stillen Wiesenflächen

ruhst du . . . du wehst vom dunklen Vlies der Tannen –

der alten Schwarzwaldtannen meiner Kindheit –

mir um mein Haupt. Ja, zwischen diesen Bergen

in meiner Heimat bist auch du daheim:

so werde mir ein Bruder und ein Freund.

Gottfried tritt in die Haustür.

Gottfried Gott grüß' Euch, Herr!

Heinrich                                       Hab guten Morgen, Alter.

Gottfried Ich habe einen besseren nicht gesehn

zeit meines Lebens, Herr, als dieser ist:

erblick' ich doch beim ersten Schritt ins Freie

den liebsten Gast und meinen edlen Herrn;

doch Ihr beschämt uns und vor allem mich!

Ich bin ein Siebenschläfer, gegen Euch

gehalten, und dazu ein schlechter Wirt.

Heinrichbeginnt die Mahlzeit

Freund, sorge nicht um mich. Einst schlief ich wohl

im wildesten Getümmel eines Lagers,

an manches Fürsten Hof, wo Tag und Nacht

der Tore Flügel in den Angeln knarrten . . .

beim Rossestampfen, beim Geschrei der Knechte:

lag wie ein Klotz und schlief. Hier ist es still,

doch in der Stille wird mein Inneres laut,

und während draußen über Moor und Wiesen

der Mond sein totes Licht ergießt und etwa

am Feldrain eine Grille mit ihm wacht,

gibt's ein Getöse hier in meinem Haupt

von Reigentänzen, ritterlichen Spielen,

Schlachtrufen, fremden Sprachen, Flüsterstimmen,

die ich nicht kann beschwichtigen.

Gottfried                                               Ihr habt

nicht gut geruht die Nacht?

Heinrich                                     Schlaf ist ein Obdach.

Wehe dem Obdachlosen! Meinst du nicht?

Gottfried Ja, gnädiger Herr.

Heinrich                               Im Ernst: Gewohnheit peitscht

seit vielen Jahren mich vom Lager auf,

meist vor der Sonne, oft schon mitternachts.

Und wenn ihr dies erfahrt, so bitt' ich euch,

laßt mich gewähren, es befremd' euch nicht.

Gottfried Herr, Euer ist das Haus, darin wir wohnen,

und Euer auch der Grund, auf dem es steht –

wie mögt Ihr sagen: lasset mich gewähren?

Nur weckt uns, wenn's zu wachen Euch beliebt.

Heinrich Schlaft, schlummert friedlich! die ihr Ruhe euch

durch arme, schwere Tagesmühn verdient:

was frommt mir euer Wachen? – Habe Dank!

Dankbar erkenn' ich wieder, was ich längst

gekannt in dir – als Knabe schon –, dein Herz!

Doch nicht dein Herz zu stehlen komm' ich her

noch auszurauben seinen goldenen Hort:

nur bittend, Alter, daß du mir nicht wehrst,

an deinem Herd – mit mir allein zu sein.

Gottfriednach einigem Stillschweigen

Wollt Ihr mir Urlaub geben?

Heinrich                                       Setze dich!

Falsch deutest du, was ich dir sagte; komm!

Es tut mir wohl, dein weißes Haupt zu sehn

und deine liebe, väterliche Stimme

nach so viel Jahren wiederum zu hören.

Laß dich's nicht kümmern, wenn ich fremd dir scheine

auf diesem kargen Grunde, den du baust,

ich bin verwelscht und seltsam freilich, doch,

so hoff ich, wird noch eine deutsche Hand –

wenn deine Hand sie drückt – den Druck erwidern.

Gottfriedwill kniend mit beiden Händen die nicht dargebotene Rechte Heinrichs erfassen, dieser zieht sie heftig zurück

Ihr, Herr, verwelscht? Verhüt's der süße Christ!

Wenn Ihr nicht deutscher Sitte Meister seid

und deutscher Rittertugend Spiegelglas,

wo sollt' ich Mildigkeit und hohen Mut,

Treu' ohne Wank in deutschen Landen suchen?

Euch nenn' ich deutsch wie diese Tanne, rein

aus deutschem Blut entsprungen, rein bewahrt.

Des Vogts von Rome blaue Augensterne

funkeln nicht heller, und der Waise stünde

ob Eures Scheitels Flachsgespinste wohl

so stolz als über seinem!

Heinrichverfinstert                   Hm, mag sein!

Auch bleibt der Demant freilich, wie du sagst,

ein Demant, trägt ein armer Lazarus

die Spange auch ums Haupt, darin er brennt.

    Schnell ablenkend

Doch nun dem Kaiser, was des Kaisers ist!

Genug davon! Sitz und erzähle mir

von anderen Dingen. Was der Haushahn schwatzt

mit seinen Hennen zwischen Stall und Scheuer,

dünkt meinen Ohren jetzt ein beßrer Schmaus

als selbst des Vogelweiders Königsweise.

Wie viele Pferde hast du? Wieviel Kühe?

Lohnt dir der Acker Schweiß und Mühe, wie?

Wie war die Ernte, Obst und Korn und Wein?

Das ist die Zeitung, sieh, wonach mich dürstet.

Von Türk und Christ, von Gibellin und Guelf

und von dem Vogt von Rome sprich mir nicht.

Gottfried Herr, ungezogentlich ist meine Weise,

ich merk' es wohl. Doch wenn sie Euch verdrießt,

erwäget doch in Gnaden, bitt' ich Euch,

ob ich im Zirkel meines Tagewerks

höfischer Sitte mich befleißen kann.

Heinrich Das oberste Gelände hoch am Berge,

wo Ackerland und Wald zusammenstoßen:

ist's nicht ein Wickenfeld?

Gottfried                                 Ja, gnädiger Herr!

Heinrich Als wir am Abend gestern, nah dabei –

ich und mein Rößlein – sorgsam abwärts stiegen,

hört' ich im Chor von leisen Kinderstimmen

ein Ave-Maria singen, und zugleich

sah ich, nicht weit von mir, am Rand des Steigs,

im Steinwall flackern eine kleine Brunst.

Ich ließ mein Rößlein stehn und pirschte mich

behutsam näher; so gewahrt' ich dann

Mägdlein und Knaben, die ums Feuer schafften;

just schien mir's wie ein Spuk und Schattenspiel.

Da sagt' ich: »Kleine Hexlein, grüß' euch Gott!

Was braut und backt und kocht ihr hier im Dunklen?«

Doch kaum gesagt – hui! stob der Schwarm davon.

Einzig ein Mägdlein blieb am Feuer stehn,

aufrecht und zögernd, schwieg und sah mich an.

»Hast du gesungen?« fragt' ich. Doch sie schwieg.

Gottfried Vergebt's dem Kinde, lieber gnädiger Herr,

denn Ottegebe war es, meine Tochter,

ein seltsamliches Ding, das ihrer Mutter

und mir schlaflose Nächte schon gemacht.

Heinrich Ein seltsamliches Ding! da hast du recht! . . .

Gottfried Und Herr, Ihr kanntet sie, nahmt sie zu Euch

aufs Roß, so manches Mal, in alter Zeit.

Denn war sie scheuer auch schon dazumal

als eine Wachtel, die im Kornfeld nistet: