Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Hauptmann adaptiert mit seinem Drama das mittelhochdeutsche Versepos "Der arme Heinrich" von Hartmann von Aue. Erzählt wird die Leidensgeschichte des Edelmannes Heinrich, der schwer erkrankt und sich aus der Gesellschaft zurückzieht. Er entschließt sich zu sterben, besucht jedoch zuvor den Hof einer Meiersfamilie. Besonders die Meierstochter Ottegebe ist Heinrich sehr zugetan. Doch Heinrich will sterben...-
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 108
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Gerhart Hauptmann
Eine deutsche Sage
Saga
Der arme Heinrich
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1898, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726956825
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
»Dem Andenken meines Bruders Georg Hauptmann gewidmet«.
Das Hausgärtchen des Meiers Gottfried. Der Giebel des Wohnhauses mit Eingangstür und den hinanführenden Stufen links. Davon nicht weit eine alte Ulme, darunter ein Steintisch mit einer Rasenbank. Unter der Ulme fort übersieht der Blick weite grüne Hochflächen. Vorne abgeerntete Felder und am Horizont bewaldete Hügelungen. Gruppen von Tannen hie und da vereinzelt.
Der Meier Gottfried kehrt mit einem Besen das Laub von dem Steintisch. Ottacker, ein gewappneter Knecht, etwa vierzig Jahre alt, fertig, aufs Pferd zu steigen, kommt, sorgfältig bemüht, mit Sporen und Harnisch nicht laut zu werden, durch den Garten geschlichen; er stutzt, wie er Gottfried gewahrt, und sein schwarzbärtiges, bleiches Gesicht wechselt die Farbe in Betretenheit.
Gottfried Gelobt sei Jesus Christ!
Ottacker In Ewigkeit.
Gottfried Wo wollt Ihr hin in dieser frühen Stunde?
Ottacker Ei, beizen, reiten, pirschen, was weiß ich –
Gottfried Wird Euch der Herr nicht missen?
Ottackerkraut sich verlegen Schwerlich! Ja
vielleicht! ein Auftrag, Meister. Denkt doch an . . .
Das heißt, so Gott will und sich alles wendet,
und auch wohl, wenn es sich ganz schlimm erweist,
kehr' ich zurück – doch . . .
Gottfried Ich versteh' Euch nicht:
ist irgend von den Euren wem daheim
ein Unglück zugestoßen?
Ottacker Pst. Gewiß.
Still! Ja doch! ich muß fort – die Mutter – auch
die Schwester – heikle Dinge! Ihr versteht.
Sonst, seht Ihr, will ich mit dem Satan fechten!
und lebten die noch, die ich überrannt
im Heidenlande, könnten sie's bestät'gen.
Gottfried Was ist Euch? seid Ihr krank?
Ottacker Nein! Gott behüte
uns vor den schlimmen Süchten, bösen Flüssen
und aller Sündenschuld und Pestilenz.
Noch bin ich standfest, heil und rein im Blut,
und heil und standfest hoff ich auch zu bleiben.
Die Welt ist schlimm und voller Teufel, doch:
Christ ist mein Hort. Mit manches Türken Blut
kauft' ich mir Ablaß – manches Plunderstück
schenkt' ich den Pfaffen, und ein Span vom Kreuz
aus dem Gelobten Land feit meine Brust:
allein, mich schauert's, ich muß fort, mir träumte
ein Ding von übler Vorbedeutung und –
was sterblich ist, das wehrt sich seiner Haut!
Ottacker ab.
GottfriedOttacker nachblickend
Bei Gott, er zerrt den Schecken aus dem Stall,
klirrt in den Sattel und – spornstreichs davon!
Aus dem Hause kommen Brigitte und hinter ihr Ottegebe. Brigitte ist eine ehrwürdige, nicht sehr bäurisch aussehende Matrone, Ottegebe ein bleichsüchtiges Kind an der Grenze der Jungfräulichkeit, ihre Augen sind groß und dunkel, ihr Haar aschblond, mit rotgoldnen und gelbgoldnen Glanzfäden untermengt. Mutter und Tochter tragen Linnenzeug und Tischgerät.
Brigitte Wo deck' ich unserm gnädigen Herrn den Tisch?
Gottfried! He, Gottfried . . .
Gottfriedaus der Verblüffung erwachend
Was denn? Riefst du mich?
Brigitte Ja freilich, denn mein Warmbier ist bereit,
der Fisch gesotten und der Rahm geschlagen.
Wo, meinst du, deck' ich unserm Herrn den Tisch?
Gottfriedauf den Steintisch weisend
Komm nur. Dies ist von alten Zeiten her
sein Platz. Gelt, Kind, hier saß er immer gern?
Ottegebenickt eifrig
Ja, Vater! Frischen Honig, Vater, noch . . .!
Du sagtest doch, du wolltest welchen zeideln!?
Gottfriedbefremdet
Wer band dir denn die Schleife so ins Haar?
Ottegebe Die Schleife?
Gottfried Ja, die rote Schleife, Kind!
Ottegebepurpurrot, verlegen
Wo denn?
Gottfriedungeduldig
In deinem Haar . . .!?
Ottegebe bleibt sprachlos.
Brigitte Sagt' ich dir's nicht,
der Vater schilt dich aus, wenn er dich sieht!?
Ottegebe wird wieder blaß, kämpft mit dem Weinen, reißt die Schleife aus dem Haar, schleudert sie zu Boden und läuft fort.
Brigitte Es war zu Ehren unseres gnädigen Herrn.
Nun schämt sie sich.
Gottfried Acht auf das Kind, Brigitte,
daß es zudringlich nicht den Herrn erzürnt.
Er ist kein Knabe mehr, wie dazumal
vor Jahren, als sie noch am Bande ging
und er nach Knabenweis' sich mit ihr neckte.
Brigitte Mir scheint, er ist nicht fröhlichen Gemüts.
Gottfried Ich weiß es nicht. Wer gestern morgen ihn
sah, unter den Reitern, auf der Jägersmatte,
als er lachenden Auges unsern Hof
im Moos mit seinem Schwertknauf ihnen zeigte
und fröhlich grüßend dann von ihnen schied,
der mochte freilich bei sich selber denken,
wie diesen edelstolzen jungen Mann
des Kummers Schatten niemals doch gestreift.
Heut sah ich einen Mann, den ich nicht kannte.
Brigitte Mich wundert's, daß er itzt um diese Zeit –
weil es doch hieß, er werde Hochzeit halten –
zu uns kommt, in das weltentlegene Moos.
Gottfried Die Großen haben sonderbare Launen.
Was geht's uns an!
Brigitte Gewiß! Allein, der Knecht
hat unter dem Gesinde gestern nacht,
nachdem er sich am Sauser übernommen,
mit dunklen Worten wunderlich gescherzt
und vom mosaischen Gesetz gesprochen,
wonach man kranke Häusermauern wäscht,
um sie von Gift und Aussatz heil zu machen.
Gottfried Wer sagt das?
Brigitte Ottegebe, unser Kind.
Gottfried Höre, Brigitte, schließe deine Ohren
vor allem üblen Leumund. Unser Herr
steht hoch in Glanz und Gunst, ist kaiserlich
und also bei Sankt Petri Schlüsselhalter
nicht wohl beliebt –: die Bettelmönche treiben
Lügen ins Volk, und keine ist so plump,
daß sie nicht in der Menge Gläubige fände.
Brigitte Mir scheint, er kommt den Erlenweg herauf.
Gottfried Er ist's.
Brigitte Er geht gebeugt, nicht strack wie sonst.
Gottfried Wenn du so gaffst, das wird den Herrn verdrießen!
Brigitte Sieh – wie er starrt – gebannt – ins Morgenrot.
Gottfried Er ist's – ich gehe nun, und du, Brigitte,
bitt' ihn zu Tisch, gezogentlich, doch kurz,
hernach nimm Urlaub und entferne dich.
Brigitte Sei ohne Sorgen, Alter.
Heinrich von Aue kommt langsam und nachdenklich; seine Erscheinung ist schlank und ritterlich; freies Gelock, rötlicher, wohlgepflegter Spitzbart; große, blaue, unruhige Augen stehen in seinem ein wenig fahlen Gesicht.
Brigitte Grüß' Euch Gott!
Heinrichblickt auf, scheint sie erst jetzt zu bemerken und sagt hastig und leichthin
Gott grüß' dich, Mutter!
Brigitte Das ist Euer Tisch;
so wenig und so viel steht just darauf,
als ein entlegener Meierhof kann bieten.
Heinrich Mich dünkt, ich hörte gestern abend noch
Maultiere klingeln in den Hof, Brigitte.
Brigitte Nein, Herr.
Heinrich Nicht? Etwa gegen Mitternacht?
Brigitte schüttelt den Kopf.
's ist schade, mich verlangt nach meinen Büchern.
Brigitte Habt Ihr noch irgendeinen Wunsch?
Heinrich Ja: . . . viele!
Brigitte Ich meine einen, den ich kann erfüllen.
Heinrich Den du erfüllen kannst, Brigitte nein!
vielleicht – wir wollen sehn – jetzt nicht – vielleicht.
Schon gut, ich danke dir.
Brigitte Bekomm's Euch wohl.
Ab.
Heinrichallein, legt seine flache Hand an den Ulmenstamm, blickt hinauf und sagt für sich, mit verhaltener Bewegung
Noch ganz in Blättern steht die Ulme, und
gleichwie aus Erz erhebt sie regungslos
sich in des klaren Morgens kalte Luft:
des nahen Frostes scharfer Silberhauch,
vielleicht schon morgen, macht sie nackt und bloß –:
sie regt sich nicht! – Ringsum ist gottergeben,
worauf das Auge fällt, nur nicht der Mensch,
nur ich nicht. – Friede! kehre her zu mir!
Du bist mir nah: auf stillen Wiesenflächen
ruhst du . . . du wehst vom dunklen Vlies der Tannen –
der alten Schwarzwaldtannen meiner Kindheit –
mir um mein Haupt. Ja, zwischen diesen Bergen
in meiner Heimat bist auch du daheim:
so werde mir ein Bruder und ein Freund.
Gottfried tritt in die Haustür.
Gottfried Gott grüß' Euch, Herr!
Heinrich Hab guten Morgen, Alter.
Gottfried Ich habe einen besseren nicht gesehn
zeit meines Lebens, Herr, als dieser ist:
erblick' ich doch beim ersten Schritt ins Freie
den liebsten Gast und meinen edlen Herrn;
doch Ihr beschämt uns und vor allem mich!
Ich bin ein Siebenschläfer, gegen Euch
gehalten, und dazu ein schlechter Wirt.
Heinrichbeginnt die Mahlzeit
Freund, sorge nicht um mich. Einst schlief ich wohl
im wildesten Getümmel eines Lagers,
an manches Fürsten Hof, wo Tag und Nacht
der Tore Flügel in den Angeln knarrten . . .
beim Rossestampfen, beim Geschrei der Knechte:
lag wie ein Klotz und schlief. Hier ist es still,
doch in der Stille wird mein Inneres laut,
und während draußen über Moor und Wiesen
der Mond sein totes Licht ergießt und etwa
am Feldrain eine Grille mit ihm wacht,
gibt's ein Getöse hier in meinem Haupt
von Reigentänzen, ritterlichen Spielen,
Schlachtrufen, fremden Sprachen, Flüsterstimmen,
die ich nicht kann beschwichtigen.
Gottfried Ihr habt
nicht gut geruht die Nacht?
Heinrich Schlaf ist ein Obdach.
Wehe dem Obdachlosen! Meinst du nicht?
Gottfried Ja, gnädiger Herr.
Heinrich Im Ernst: Gewohnheit peitscht
seit vielen Jahren mich vom Lager auf,
meist vor der Sonne, oft schon mitternachts.
Und wenn ihr dies erfahrt, so bitt' ich euch,
laßt mich gewähren, es befremd' euch nicht.
Gottfried Herr, Euer ist das Haus, darin wir wohnen,
und Euer auch der Grund, auf dem es steht –
wie mögt Ihr sagen: lasset mich gewähren?
Nur weckt uns, wenn's zu wachen Euch beliebt.
Heinrich Schlaft, schlummert friedlich! die ihr Ruhe euch
durch arme, schwere Tagesmühn verdient:
was frommt mir euer Wachen? – Habe Dank!
Dankbar erkenn' ich wieder, was ich längst
gekannt in dir – als Knabe schon –, dein Herz!
Doch nicht dein Herz zu stehlen komm' ich her
noch auszurauben seinen goldenen Hort:
nur bittend, Alter, daß du mir nicht wehrst,
an deinem Herd – mit mir allein zu sein.
Gottfriednach einigem Stillschweigen
Wollt Ihr mir Urlaub geben?
Heinrich Setze dich!
Falsch deutest du, was ich dir sagte; komm!
Es tut mir wohl, dein weißes Haupt zu sehn
und deine liebe, väterliche Stimme
nach so viel Jahren wiederum zu hören.
Laß dich's nicht kümmern, wenn ich fremd dir scheine
auf diesem kargen Grunde, den du baust,
ich bin verwelscht und seltsam freilich, doch,
so hoff ich, wird noch eine deutsche Hand –
wenn deine Hand sie drückt – den Druck erwidern.
Gottfriedwill kniend mit beiden Händen die nicht dargebotene Rechte Heinrichs erfassen, dieser zieht sie heftig zurück
Ihr, Herr, verwelscht? Verhüt's der süße Christ!
Wenn Ihr nicht deutscher Sitte Meister seid
und deutscher Rittertugend Spiegelglas,
wo sollt' ich Mildigkeit und hohen Mut,
Treu' ohne Wank in deutschen Landen suchen?
Euch nenn' ich deutsch wie diese Tanne, rein
aus deutschem Blut entsprungen, rein bewahrt.
Des Vogts von Rome blaue Augensterne
funkeln nicht heller, und der Waise stünde
ob Eures Scheitels Flachsgespinste wohl
so stolz als über seinem!
Heinrichverfinstert Hm, mag sein!
Auch bleibt der Demant freilich, wie du sagst,
ein Demant, trägt ein armer Lazarus
die Spange auch ums Haupt, darin er brennt.
Schnell ablenkend
Doch nun dem Kaiser, was des Kaisers ist!
Genug davon! Sitz und erzähle mir
von anderen Dingen. Was der Haushahn schwatzt
mit seinen Hennen zwischen Stall und Scheuer,
dünkt meinen Ohren jetzt ein beßrer Schmaus
als selbst des Vogelweiders Königsweise.
Wie viele Pferde hast du? Wieviel Kühe?
Lohnt dir der Acker Schweiß und Mühe, wie?
Wie war die Ernte, Obst und Korn und Wein?
Das ist die Zeitung, sieh, wonach mich dürstet.
Von Türk und Christ, von Gibellin und Guelf
und von dem Vogt von Rome sprich mir nicht.
Gottfried Herr, ungezogentlich ist meine Weise,
ich merk' es wohl. Doch wenn sie Euch verdrießt,
erwäget doch in Gnaden, bitt' ich Euch,
ob ich im Zirkel meines Tagewerks
höfischer Sitte mich befleißen kann.
Heinrich Das oberste Gelände hoch am Berge,
wo Ackerland und Wald zusammenstoßen:
ist's nicht ein Wickenfeld?
Gottfried Ja, gnädiger Herr!
Heinrich Als wir am Abend gestern, nah dabei –
ich und mein Rößlein – sorgsam abwärts stiegen,
hört' ich im Chor von leisen Kinderstimmen
ein Ave-Maria singen, und zugleich
sah ich, nicht weit von mir, am Rand des Steigs,
im Steinwall flackern eine kleine Brunst.
Ich ließ mein Rößlein stehn und pirschte mich
behutsam näher; so gewahrt' ich dann
Mägdlein und Knaben, die ums Feuer schafften;
just schien mir's wie ein Spuk und Schattenspiel.
Da sagt' ich: »Kleine Hexlein, grüß' euch Gott!
Was braut und backt und kocht ihr hier im Dunklen?«
Doch kaum gesagt – hui! stob der Schwarm davon.
Einzig ein Mägdlein blieb am Feuer stehn,
aufrecht und zögernd, schwieg und sah mich an.
»Hast du gesungen?« fragt' ich. Doch sie schwieg.
Gottfried Vergebt's dem Kinde, lieber gnädiger Herr,
denn Ottegebe war es, meine Tochter,
ein seltsamliches Ding, das ihrer Mutter
und mir schlaflose Nächte schon gemacht.
Heinrich Ein seltsamliches Ding! da hast du recht! . . .
Gottfried Und Herr, Ihr kanntet sie, nahmt sie zu Euch
aufs Roß, so manches Mal, in alter Zeit.
Denn war sie scheuer auch schon dazumal
als eine Wachtel, die im Kornfeld nistet: