Der Aufstieg Manticores: Zwischen den Fronten - David Weber - E-Book

Der Aufstieg Manticores: Zwischen den Fronten E-Book

David Weber

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Beschreibung

Der verheerende Angriff auf den Heimatplaneten des Sternenkönigreichs von Manticore konnte abgewehrt werden, doch die Royal Manticoran Navy erlitt schwere Verluste. Und der unbekannte Feind ist noch lange nicht geschlagen. Jederzeit könnten die Söldnertruppen zurückkehren. Die Offiziere Travis Long und Lisa Donnelly müssen unbedingt mehr über den mysteriösen Auftraggeber der Söldner und seine Pläne herausfinden. Sie haben nicht mit einer Galaxis umspannenden Verschwörung gerechnet ...

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumBUCH EINS – 1543 P. D.123456789101112BUCH ZWEI – 1544 P. D.13141516171819202122BUCH DREI – 1544 P. D.2324252627282930313233343536EpilogPersonenverzeichnis

Über dieses Buch

Der verheerende Angriff auf den Heimatplaneten des Sternenkönigreichs von Manticore konnte abgewehrt werden, doch die Royal Manticoran Navy erlitt schwere Verluste. Und der unbekannte Feind ist noch lange nicht geschlagen. Jederzeit könnten die Söldnertruppen zurückkehren. Die Offiziere Travis Long und Lisa Donnelly müssen unbedingt mehr über den mysteriösen Auftraggeber der Söldner und seine Pläne herausfinden. Sie haben nicht mit einer Galaxis umspannenden Verschwörung gerechnet …

Über den Autor

David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der Honor-Harrington-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.

DAVID WEBER & TIMOTHY ZAHN MIT THOMAS POPE

Zwischen den Fronten

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Dr. Ulf Ritgen

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2015 by Words of Weber, Inc., Timothy Zahn and Thomas Pope

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»A Call to Vengeance: Book III of Manticore Ascendant«

Originalverlag: Baen Books, USA

Published by Arrangement with Baen Books, Wake Forest, NC, USA

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Beke Ritgen, Bonn

Titelillustration: Arndt Drechsler, Leipzig

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-6107-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

BUCH EINS

1543 P. D.

1

In Alterdes gewaltgetränkter Geschichte war die spanische Inquisition keineswegs die erste Institution, die politisch-religiös motiviert Hexenjagd betrieben hatte – und auch nicht die letzte. Mitnichten aber war sie die Institution, die am meisten Blut vergossen hatte. Doch aus irgendeinem Grund war gerade jene lange Schreckensherrschaft hartnäckig im kollektiven Gedächtnis der Menschheit haften geblieben, und das weit über die Zeit der Diaspora hinaus, durch alle seither vergangenen Jahrhunderte.

Den Grund dafür kannte Lieutenant Travis Uriah Long, zuletzt mit Verwendung auf HMSCasey, nicht. Vielleicht lag es ja an der einprägsamen, aber fantasieanregenden Verknüpfung von Adjektiv, ›spanisch‹, und Substantiv, ›Inquisition‹. Doch auch ohne den Grund zu kennen, war Travis Long mit der Geschichte dieser speziellen Verkörperung menschlicher Grausamkeit und Niedertracht vertraut, und die Frage hatte ihn von jeher umgetrieben, wie sich die Opfer unter den mitleidlosen Blicken der Ankläger gefühlt hatten.

Vermutlich so ähnlich wie er selbst gerade.

»… das schwöre ich feierlich«, soufflierte ihm der Schreiber.

»Das schwöre ich feierlich«, wiederholte Travis.

Der Schreiber nickte knapp und hob die Stimme. »Lang lebe der König!«

»Lang lebe der König!«, wiederholte Travis.

Dieses Mal stimmten sämtliche Anwesenden ihm gegenüber im Anhörungssaal mit ein, und sie alle waren sich zweifellos der Ironie der Situation bewusst.

Lang lebe der König …

Auf seinem Platz in der Mitte des langen, geschwungenen Pultes räusperte sich nun Premierminister Davis Harper, Herzog von Burgundy. »Wir haben uns heute hier versammelt«, setzte er an, »um die Geschehnisse und Entscheidungen zu begutachten, die zum Verlust Seiner Majestät Korvette Hercules führten sowie …«, er legte eine merkliche Pause ein, »… zum Tod von Kronprinz Richard Winton. Haben Sie das verstanden, Lieutenant Long?«

»Jawohl, Euer Gnaden«, bestätigte Travis. Nobody expects the Spanish Inquisition.

In diesem Fall allerdings rechneten nicht nur alle mit der spanischen Inquisition, sie war bereits im Gange.

Dass vier weitere Schiffe der Royal Manticoran Navy zerstört und deren gesamte Besatzungen ums Leben gekommen waren, spielte für den Ausschuss keine Rolle. Dass ein halbes Dutzend weiterer Schiffe zum Teil schwere Schäden davongetragen hatte und auch dort zahlreiche Besatzungsmitglieder gestorben oder schwer verletzt worden waren, spielte ebenfalls keine Rolle. Tote und Traumatisierte hatte es bei der Schlacht von Manticore ja wahrhaftig genug gegeben.

All die Gefallenen aber waren namenlos geblieben – außer für ihre Angehörigen und Freunde, von denen sie schmerzhaft vermisst wurden. Richards Name hingegen, Richards Gesicht war jedem im Sternenkönigreich von Manticore geläufig. Er war zum Symbol für die verzweifelte Gegenwehr der Navy geworden und deshalb zum Dreh- und Angelpunkt des Wie, Wo und Warum.

Im ganzen Sternenkönigreich fokussierte man sich auf Richard. Für Abgeordnete galt das gleich doppelt … und dreifach für jene unter ihnen, die im Flottenausschuss saßen.

Zweifellos waren die Ausschussmitglieder fest entschlossen, Travis’ Kommandierenden, Commodore Rudolph Heissman, unter dem Travis gern diente, persönlich für den Tod des Kronprinzen verantwortlich zu machen.

Lächerlich, und völlige Zeitverschwendung obendrein! Der Navy-Untersuchungsausschuss hatte Heissman bereits von jeglichen Vorwürfen des Fehlverhaltens freigesprochen. Die restlichen langwierigen offiziellen Anhörungen hatten schließlich vor einer Woche ein Ende gefunden. Was hier und jetzt geschah, war nichts anderes als politisches Tamtam.

Politisches Tamtam aber verabscheute Travis.

Burgundy ging gerade die gesamte Höflichkeitsroutine durch, dankte Travis dafür, der Krone zu dienen, und betonte erneut die Wichtigkeit seiner Zeugenaussage. Travis hörte nur halb zu und ließ währenddessen den Blick über die Männer und Frauen schweifen, die ihm gegenübersaßen, und bei jedem machte er sich Gedanken darüber, wie sie die Lage jeweils einschätzten.

Der Schatzkanzler des Sternenkönigreichs, Anderson L’Estrange, Earl von Breakwater, wollte offenkundig Blut sehen. Dabei war nicht wichtig, dass Commodore Heissman auf dem heißen Stuhl saß – Travis bezweifelte, dass der Schatzkanzler Heissman überhaupt kannte. Entscheidend war für Breakwater allein, dem Ruf der Royal Manticoran Navy zu schaden und damit seinen eigenen Manticoran Patrol and Rescue Service automatisch in ein besseres Licht zu rücken. Der Beitrag des MPARS zur Schlacht von Manticore war minimal gewesen. Schließlich waren überhaupt nur zwei Schiffe dieses systemweit tätigen Patrouillen- und Rettungsdienstes dem Geschehen nahe genug gewesen, um einzugreifen. Aber diese beiden Schiffe hatten ihre Bewährungsprobe bestanden.

Damit aber, die Lorbeeren einzuheimsen, gab Breakwater sich nicht zufrieden. Nein, er zog es vor, und das immer schon, sich mit der einen Hand den Lorbeerkranz aufzusetzen und mit der anderen dem Gegenspieler dessen Kranz vom Haupt zu schlagen.

Besagter Gegenspieler war Verteidigungsminister James Mantegna, Earl von Dapplelake: Dapplelake würde versuchen, die Anhörung in die genau entgegengesetzte Richtung zu lenken – aus ähnlichen, nur sozusagen spiegelverkehrt gelagerten Motiven. Die Navy hatte bei der Schlacht gewaltige Verluste hinnehmen müssen, und Dapplelake hatte nicht die Absicht, zuzulassen, dass von ohnehin nur sehr beschränkt vorhandenen Fachkräften und Werftkapazitäten mehr als unbedingt unerlässlich für den MPARS abgeschöpft würden.

Mittlerweile diente Travis schon seit vierzehn T-Jahren in der Navy. Seitdem und wahrscheinlich sogar noch länger waren die beiden Politiker Rivalen, ihre Weltanschauungen hätten gegensätzlicher nicht sein können. Die meisten Ausschussmitglieder waren zumindest seit einem Großteil dieser Zeit in der Politik und auf Posten und Pöstchen. Schon lange wussten sie, welchem der beiden Teams sie die Treue zu halten gedachten. Lisa Tufele, ihres Zeichens Baronin von Coldwater und Ministerin für Biowissenschaften, stellte sich gemeinhin ebenso hinter Dapplelake wie Werftenbeauftragter John Garner, Baron von Low Delhi: Die Familien Low Delhi und Dapplelake waren eng miteinander befreundet, deshalb die Allianz der beiden. Coldwater hingegen stand auf Dapplelakes Seite, weil die Erhöhung von Navy-Zuwendungen häufig auch ihr Budgetsteigerungen einbrachte. Erster Gerichtslord Deborah Scannabecchi, Herzogin von New Bern, und Carolynne Jhomper, Direktorin für Schürfvorhaben im Gürtel, stimmten dagegen in der Regel für Breakwater: New Bern war Verfechterin rechtlicher Ausgewogenheit und vertrat die Ansicht, die Navy nehme sich viel zu wichtig, und für Jhomper galt: Je mehr MPARS-Schiffe sich in ihrem Zuständigkeitsbereich fanden, desto besser. Wirtschaftsminister Julian Mulholland, seines Zeichens Baron von Harwich, und Außenministerin Susan Tarleton hegten keine Vorlieben: Harwich freute sich über jedes sich ergebende Schiffbauprojekt, und Tarleton war sich bewusst, dass ihr Posten vornehmlich repräsentativer Natur war, Außenministerin nur ein Ehrentitel. Also würde ohnehin kaum jemand auf sie achten.

Premierminister Burgundy nun, der Ausschussvorsitzende, würde sich nach Kräften um Neutralität bemühen. Doch als enger Verbündeter und persönlicher Freund Seiner Majestät König Edwards war er, dessen war sich Travis sicher, zumindest in gewissem Maße voreingenommen.

In welche Richtung die Voreingenommenheit ging, war eine andere Frage. In der Öffentlichkeit hatte der König sorgsam vermieden, mehr verlauten zu lassen als die Bestätigung, sein Sohn sei gefallen. Was er im privaten Gespräch sagte, das wussten, so schätzte Travis, kaum mehr als eine Handvoll Menschen.

»Beginnen wir mit Grundsätzlichem, Lieutenant«, sagte Burgundy nun. »Wo befanden Sie sich, als offenkundig wurde, dass der Hilferuf, auf den Sie gerade reagierten, tatsächlich auf eine Invasion zurückzuführen war?«

»Diese Erkenntnis war eher die Folge eines fortwährenden Prozesses als die eines einzelnen Datensatzes oder eines spontanen Begreifens, Euer Gnaden«, erwiderte Travis. »Aber um Ihre Frage zu beantworten: Während der fraglichen Zeit habe ich mich auf der Brücke der Casey befunden.«

»Ich verstehe«, gab Burgundy zurück.

Travis glaubte, in den Augen des Premierministers kurz beifällige Zustimmung aufblitzen zu sehen. Es war natürlich allzu leicht, im Nachhinein Entscheidungen und Vorgehensweisen zu kritisieren. Doch für jeden, der sich mitten in einer solchen Situation befand, war die Lage nur selten offenkundig und eindeutig. Dass Travis eine entsprechende Ergänzung zu Burgundys Frage eingeworfen hatte, mochte dazu beitragen, dass auch der Rest des Ausschusses sich dieser oft unschönen Wahrheit bewusst würde.

»Als schließlich offenkundig geworden war oder man zumindest davon ausgehen musste, es tatsächlich mit einer Invasion zu tun zu haben: Wie sah die Reaktion von Commodore Heissman aus?«

»Insbesondere interessiert uns der Einsatz der vier Schiffe seiner Kampfgruppe Janus«, warf Breakwater ein. »Warum wurde die Gorgon als Signalrelais zur Nachhut bestimmt und nicht das Schiff des Kronprinzen, die Hercules?«

Kurz war Travis versucht, die sprichwörtliche Leine ein wenig schießen zu lassen – in der vagen Hoffnung, Breakwater würde es tatsächlich schaffen, sich damit früher oder später selbst zu erhängen. Doch er widerstand der Versuchung. Breakwater war ein Meister der Manipulation und ein Politiker, und sollte Travis versuchen, Spielchen mit ihm zu spielen, würde ihn der Schatzkanzler mühelos zum Frühstück verspeisen. Die besten Chancen hätte er hier mit der Wahrheit – der reinen, schlichten Wahrheit. »Die Hercules war eine Korvette, Mylord«, erklärte er. »Die Gorgon war ein Zerstörer. Damit verfügte die Gorgon über Heckgeschütze – insbesondere die Schnellfeuerkanone –, während das für die Hercules nicht galt. Da sich die Gorgon zu dem Zeitpunkt von Schubumkehr und Einleiten des Bremsmanövers bereits am weitesten vom Feind entfernt hatte und damit die größten Chancen besaß, die Eröffnungssalve des Feindes zu überleben, hat Commodore Heissman entschieden, sie dort zurückzulassen, weil sie so die besten Aussichten hätte, einen vollständigen Sensordatensatz an Kampfgruppe Aegis weiterzuleiten.«

»Tatsächlich?«, setzte Breakwater mit offenkundig gespieltem Erstaunen nach. »Ich hatte angenommen, die Casey selbst, mit einer Schnellfeuerkanone und einem Lasergeschütz am Heck, hätte die besten Überlebenschancen gehabt. Warum also hat Commodore Heissman nicht sein eigenes Schiff in besagte Position gebracht?« Er blickte der Reihe nach kurz alle am großen Pult versammelten Personen an, als suchte er nach Zustimmung. »Und das vielleicht, nachdem er zunächst den Kronprinzen an Bord genommen hätte?«

Dapplelake konnte kaum noch an sich halten. »Ein solcher Personentransfer hätte erfordert, dass die gesamte Kampfgruppe das Abbremsmanöver abbricht, damit ein Shuttle den Transport übernehmen könnte. Schon so hatten sie erschreckend wenig Zeit, sich auf die Lage einzustellen. Hätten wir eine weitere Stunde verloren, dann hätten sie …«

»Dann hätten sie … was?«, fiel ihm Breakwater ins Wort. »Commodore Heissman hat schon so drei Viertel seiner gesamten Mannstärke verloren – dreihundertfünfzig gute Männer und Frauen, darunter den Kronprinzen.«

Travis straffte die Schultern. Was zu viel war, war zu viel. »Wenn Sie gestatten, Mylord?«, ergriff nun er das Wort, während Dapplelake schon den Mund öffnete, um eine weitere verbale Salve abzusetzen.

Breakwater nahm Travis in den Blick. Einen kurzen Moment lang glaubte er schon, nun geharnischt zurechtgewiesen zu werden, hatte er es doch gewagt, die beiden Kontrahenten zu unterbrechen. Doch dann schien sich Breakwater wieder daran zu erinnern, wo er sich gerade befand, und die verblüffte Empörung verschwand aus seiner Mimik. »Selbstverständlich, Lieutenant«, sagte er. »Sie wollten gerade sagen …?«

»Ich wollte gerade erklären, warum Commodore Heissman so und nicht anders entschieden hat, Mylord«, sagte Travis. »Zunächst einmal hätte es, wie Earl Dapplelake soeben schon gesagt hat, eine Stunde gedauert, Prinz Richard zur Casey zu bringen, und während eines Großteils dieses Zeitfensters hätte unser Impellerkeil gesenkt sein müssen. Zu diesem Zeitpunkt bestand unser Auftrag darin, so lange wie möglich die Stellung zwischen den Invasoren und Manticore zu halten. Somit ließ es sich nicht vermeiden, dass wir nur für sehr kurze Zeit in Raketenreichweite zum Feind waren. Wäre dieses Zeitfenster noch weiter verkleinert worden, hätten wir noch weniger Gelegenheit gehabt, dem Feind Schaden zuzufügen.«

»Ganz genau«, murmelte Dapplelake, und aus dem Augenwinkel glaubte Travis erneut beifällige Zustimmung im Blick des Verteidigungsministers aufblitzen zu sehen.

»Wichtiger jedoch waren die taktischen Gegebenheiten der Lage«, fuhr Travis fort. »Die Casey verfügte zusätzlich zu ihrer Schnellfeuerkanone auch über Antiraketen. Die Gorgon, die Hercules und die Gemini hingegen besaßen nur Schnellfeuerkanonen. Die Casey zur Nachhut der Formation zu machen hätte bedeutet, dass wir unsere Antiraketen nicht zur Verteidigung der anderen Schiffe hätten zum Einsatz bringen können.«

Dann hielt er den Atem an und rechnete damit, Breakwater oder einer der anderen würde das als Unfug abtun. Theoretisch gesehen hatte Travis natürlich recht: Mit einer Salve Antiraketen konnte die Casey den anderen Schiffen tatsächlich ein wenig Schutz bieten. Doch praktisch wurde eine solche Abschirmformation meist nur dann genutzt, wenn ein Schlachtkreuzer oder ein anderes Schiff von gesteigertem Wert im Spiel war. Da die Casey selbst das größte und schlagkräftigste Schiff ihrer Kampfgruppe gewesen war, dienten ihre Antiraketen vornehmlich auch ihrem eigenen Schutz.

Doch niemand sagte etwas. Diejenigen, die mit derlei militärischen Details nicht vertraut waren – was vermutlich auf die Mehrheit der hier Versammelten zutraf –, waren offenkundig bereit, Travis’ Argumentation widerspruchslos hinzunehmen. Und Dapplelake, der ganz genau wusste, wie in solchen Situationen gemeinhin verfahren wurde, würde ganz gewiss nichts tun, was Travis’ Aussage in irgendeiner Weise unterminierte.

»Sie wollen damit also sagen«, fuhr Breakwater nach kurzem Schweigen fort, »dass sich Commodore Heissman ganz auf den bevorstehenden Kampf konzentriert hat … und dass das Leben des Kronprinzen damit in seiner gesamten Strategie gänzlich unberücksichtigt geblieben ist?«

»Berücksichtigt wurde in dieser Situation das Leben sämtlicher Offiziere und sämtlicher Mannschaftsdienstgrade, Mylord«, erwiderte Travis. »Doch sogar noch wichtiger waren hier das Sternenkönigreich und dessen Bevölkerung. Notfalls unser Leben dafür hinzugeben, das Sternenkönigreich und das Volk von Manticore zu beschützen, gehört zum Eid, den wir alle leisten, wenn wir die Uniform der Royal Manticoran Navy tragen.« Er blickte zu Burgundy hinüber. »Wir alle. Einschließlich des Kronprinzen.«

Mit Applaus für seine kurze Rede hatte er natürlich nicht gerechnet, ganz im Gegenteil. Aber auf Breakwaters nur wenig verhohlenen Sarkasmus war er nicht vorbereitet gewesen. »Ja, gewiss würde sich auch Prinz Richard darauf berufen, wenn er nun hier wäre«, sagte der Schatzkanzler. »Was nun einmal nicht der Fall ist. Mir scheint, Commodore Heissman ist doch ziemlich überrascht gewesen ob des unvermittelten Auftauchens von … wie wurden sie seinerzeit genannt? Ach ja, Sie hatten sie als Bogey zwo markiert. Die beiden feindlichen Zerstörer, die Ihnen die MPARS-Korvetten Aries und Taurus abgenommen haben.«

Travis biss die Zähne zusammen. So war es nicht gewesen. Nicht ganz zumindest. »Diese Schiffe sind im freien Fall, also antriebslos und mit gesenkten Keilen, in das System vorgestoßen, Mylord«, erklärte er steif. »Unter derartigen Bedingungen ist die Sensorreichweite extrem begrenzt.«

»Und trotzdem hat Commodore Heissman gewusst, dass sie sich dort draußen befanden«, versetzte Breakwater. »Hätte er da nicht vorsichtiger sein müssen?«

»Wir hatten mit den Schiffen des Haupt-Angriffsverbands genug zu tun.«

»Sie können sich nicht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren?«

»Das ist keine Frage der Konzentration, sondern der Feuerkraft«, erklärte Travis. »Wir wussten, wo sich der Hauptverband befand, und wenn wir uns nur einem potenziell von der Flanke aus angreifenden zwoten Verband zugewandt hätten, dann hätte uns das lediglich für den Angriff des Hauptverbands exponiert.« Er zögerte kurz. »Um ganz ehrlich zu sein, Mylord: Vermutlich hatte Commodore Heissman nicht damit gerechnet, dass überhaupt jemand von uns dieses Gefecht überlebt. Zu diesem Zeitpunkt war sein Ziel, dem Feind ein Maximum an Schaden zuzufügen und so viele Daten wie möglich zu Aegis zu übermitteln.«

Breakwater stieß ein Schnauben aus. »Also ziehen Offiziere der Royal Manticoran Navy heutzutage in die Schlacht und gehen schon im Vorfeld davon aus, dass sämtliche ihnen unterstellten Männer und Frauen in den Tod gehen?«

»Hin und wieder müssen Angehörige der Navy ganz genau das tun«, sagte Travis und spürte, wie Zorn in ihm aufstieg. »Vor allem, wenn unsere Schiffe unterbesetzt und unzureichend ausgestattet sind und von gewissen Personen schlichtweg nicht genug gewürdigt werden.«

Ein leises Raunen ging durch die Reihen der Anwesenden. Travis musste sich sehr zusammennehmen, nicht gequält das Gesicht zu verziehen: Erst jetzt begriff er, dass er zu weit gegangen war. »Ich bitte um Entschuldigung, Mylords and Myladys … Eure Gnaden«, sagte er. »Es sollte nicht so klingen, als wollte ich mich beschweren.«

»Haben Sie sich aber«, bemerkte Breakwater spitz. »Vielleicht sollten wir Ihnen gestatten, sich einen Augenblick zu sammeln, bevor wir fortfahren.« Er wandte sich Burgundy zu und neigte den Kopf. »Wenn Sie gestatten, heißt das natürlich, Euer Gnaden.«

»Ich meine, wir können den Rest von Lieutenant Longs Aussage auch auf morgen früh verschieben«, entschied Burgundy und warf einen Blick auf sein Tablet. »Morgen um null neun null null, Lieutenant. Wegtreten.«

»Jawohl, Euer Gnaden«, erwiderte Travis und ärgerte sich darüber, wieder einmal mit beiden Beinen ins Fettnäpfchen gesprungen zu sein. Er griff nach seinem Tablet und schob den Stuhl zurück.

»Oh, verzeihen Sie – eine letzte Frage noch«, war unvermittelt wieder Breakwater zu vernehmen. »Dieser Trick, mit der letztendlich der feindliche Schlachtkreuzer zerstört wurde – sehr clever, wirklich. Von wem genau stammte diese Idee?«

Travis spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Breakwater wusste ganz genau, wessen Idee das seinerzeit gewesen war. »Von mir, Mylord.«

»Nicht von Commodore Heissman?«, setzte Breakwater nach. »Oder von Commander Belokas oder vom Taktischen Offizier Woodburn? Wirklich von Ihnen?«

»Jawohl, Mylord.«

»Ich verstehe.« Erneut senkte Breakwater kurz den Kopf. »Ich danke Ihnen, Lieutenant. Sie dürfen jetzt gehen.«

»Jawohl, Mylord.«

Neunzig Sekunden später ging Travis den breiten Korridor hinab, auf dem Weg zum Ausgang, der dem Besucherparkplatz am nächsten lag. Dabei fragte er sich, auf was Breakwater mit dieser letzten Frage hinausgewollt hatte.

Vielleicht dachte er darüber sogar ein bisschen zu angestrengt nach. Dass irgendjemand seinen Namen rief, bemerkte er kaum.

»Wird hier gerade die ganze Welt ignoriert? Oder bloß ich persönlich?«

Travis zuckte zusammen, vor Überraschung, Schuldgefühlen und weil ihm die Situation peinlich war. »Nein, natürlich nicht«, erklärte er hastig. »Ich meine …«

»Entschuldigung angenommen, Travis«, fiel ihm Lieutenant Commander Lisa Donnelly ins Wort. Der warme Blick aus Augen, in denen eigentlich fast immer der Schalk blitzte, ließ jegliche Vermutung verfliegen, sie könnte ernstlich verärgert sein. »Ich bin ja schon erstaunt, dass nach so einer Tortur überhaupt noch genug Hirnschmalz zum Nachdenken vorhanden ist.« Mit dem Kinn deutete sie in Richtung des Saales, den er soeben verlassen hatte. »Schatzkanzler Breakwater hat wieder eines seiner üblichen Spielchen abgezogen, richtig geraten?«

»Jawohl … Ma’am«, setzte Travis noch ein bisschen verspätet hinzu. Lisa und er waren nun schon seit vier Jahren eng befreundet. Sie war vielleicht der einzige Mensch, bei dem er sich wirklich ganz und gar entspannen konnte. Soweit er das beurteilen konnte, fühlte sie sich in seiner Gegenwart ebenso wohl wie er in der ihren.

Zugleich war sie ihm gegenüber aufgrund ihres höheren Dienstranges auch weisungsbefugt, und zumindest hier in der Öffentlichkeit musste das militärische Protokoll strikt gewahrt bleiben. »Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er gewonnen hat.«

»Nur ziemlich sicher?«

»Ja – hauptsächlich allerdings, weil ich keine Ahnung habe, worum es bei seinen Spielchen überhaupt geht.«

»Ach so.« Lisa blickte sich um und deutete dann auf eine Reihe freier Sessel, die in einer Gesprächsecke gleich neben dem Korridor rings um einen kleinen Tisch aufgestellt waren. »Setzen wir uns, dann können wir in Ruhe darüber sprechen. Wenn die Zeit dafür reicht, heißt das.«

»Jawohl, Ma’am, auf jeden Fall«, erwiderte Travis und spürte schon, wie die Anspannung von ihm abfiel. Vor der Schlacht hatte er mehrere Wochen lang keinerlei Gelegenheit gehabt, Lisa zu sehen, und die Vorstellung, jetzt Zeit mit ihr zu verbringen, auch wenn es nur eine einzige Stunde wäre, sagte ihm sehr zu. »Ich werde erst morgen früh wieder hier erwartet.«

»Gut.« Verschwörerisch blickte sie sich nach beiden Seiten um, während sie auf die Nische zugingen. »Und wenn wir nicht allzu laut reden, brauchst du mich nicht einmal ›Ma’am‹ zu nennen, ja?«

Travis’ Wangen erhitzten sich merklich. Lisa zog ihn nicht ständig damit auf, dass er so viel Wert darauf legte, sich an die Regeln zu halten … aber wenn es geschah, dann traf sie dabei mit schmerzhafter Effizienz stets den Nagel auf den Kopf. »Jawohl, Ma’am … ich mein: ja, ist gut.«

»Morgen also, sagst du«, griff Lisa seine letzten Worte wieder auf. »Klingt ganz, als hätte Breakwater bekommen, worum es ihm gegangen ist. Okay, dann schauen wir doch mal, ob wir herausfinden, was er vorhat. Hat es irgendeinen Moment gegeben, an dem er mit der Situation irgendwie zufriedener gewirkt hat als sonst heute?«

»Na ja, nachdem eigentlich schon Wegtreten befohlen war, hat er mir noch ein paar letzte Fragen gestellt«, berichtete Travis, während sie beide Platz nahmen. »Und er hat sich redlich Mühe gegeben, noch einmal allen Anwesenden ins Gedächtnis zurückzurufen, dass seine zwo MPARS-Schiffe einen von Tamerlanes Zerstörern ausgeschaltet haben.«

»Er wird nicht zulassen, dass man das je vergisst«, pflichtete ihm Lisa bei. »Vor allem, nachdem Cazenestro den MPARS ausdrücklich angewiesen hatte, sich mit seinen Schiffen zurückzuhalten. Hätten Hardasty und Kostava das nicht ignoriert und nicht trotz dieses Befehls eingegriffen, hätte die Lage deutlich unschöner werden können.« Ihr Blick zuckte über Travis’ Schulter hinweg. »Wenn man vom Teufel spricht …« Sie hob die Hand und rief dann: »Townsend? Hier drüben!«

Travis spürte, wie sich schlagartig neuerliche Spannung aufbaute, während er sich in seinem Sessel umdrehte. Und natürlich: Der breitschultrige, muskelbepackte Sphinxianer, der mit schweren Schritten auf sie zukam, war niemand anderes als Petty Officer Charles Townsend. Für seine Freunde Chomps Townsend.

Zu diesen Freunden hatte auch ein gewisser Travis Long gehört. Aus und vorbei.

Chomps war schlau genug, sich seine Abneigung einem ranghöheren Offizier gegenüber zumindest in der Öffentlichkeit nicht anmerken zu lassen. Aus ein paar Schritt Entfernung lächelte er Lisa an und schenkte das gleiche freundliche Lächeln auch Travis. Schließlich nahm er zackig vor den beiden Haltung an und salutierte. »Commander Donnelly, Lieutenant Long«, begrüßte er sie. »Wenn die Frage gestattet ist: Welcher abscheulichen Verbrechen haben Sie sich schuldig gemacht, damit man Sie in diese Niederungen politischer Schlammschlachten und Verwirrspiele zitiert?«

»Ach, Sie wollen Ahnung von parlamentarischer Demokratie haben?«, gab Lisa zurück.

»Oh, ich durfte diese Gewässer erst kürzlich befahren, Ma’am«, beantwortete Chomps ihre Frage. »Tatsächlich sogar erst vor zwo Tagen. Und möglicherweise steht mir heute noch einmal Ähnliches bevor, sollten die Eierköpfe da drinnen wirklich eine Wiederholung wegen des großen Erfolgs durchziehen wollen.« Sein Blick glitt zum Chronometer an der Wand hinüber. »Aber vermutlich erst nach dem Mittagessen.«

»Dann müssen Sie wenigstens nicht mit leerem Magen in die Löwengrube«, meinte Lisa trocken. »Ich vermute, wir sind alle aus demselben Grund hier.«

»Und der wäre?«

»Genau das versuchen Lieutenant Long und ich gerade herauszufinden«, antwortete sie. »Haben Sie Lust, sich dazuzugesellen?«

»Ich danke Ihnen, Ma’am«, sagte Chomps. »Wenn ich mir einen Vorschlag gestatten darf: Es ist jetzt Mittagszeit. Hätten Sie beide wohl Lust, mir bei einem kleinen Imbiss Gesellschaft zu leisten? Selbstverständlich wären Sie eingeladen.«

»Hmm«, sinnierte Lisa und legte ihre Stirn in gespielter Unsicherheit in Falten. »Ich weiß nicht recht … Ein Mannschaftsdienstgrad und dann auch noch beim MPARS. Was meinen Sie, Long? Wäre es überhaupt rechtens von uns, eine derartige Einladung anzunehmen?«

»Wenn es hilft«, schlug Chomps vor, »könnten wir es als meine Wiedergutmachung dafür ansehen, Sie in Gegenwart Ihrer Offizierskameraden mit dem Vornamen angesprochen zu haben.«

Sofort setzte sich Travis im Sessel auf. »Wann das?«, fragte er vorsichtig.

»Ist schon okay«, versicherte Lisa ihm, und ihre Augen funkelten vor Belustigung. »Das war auf Casca, und die Cascaner legen nicht sonderlich viel Wert auf Förmlichkeit und militärisches Protokoll.«

»Wollte meinen Hals retten, Sir«, setzte Chomps an Travis gewandt hinzu. »Und eine ganze Weile hat es so ausgesehen, als würden die Cascaner auch darauf nicht sonderlich viel Wert legen.«

»Aber wie wir sehen, haben Sie es ja letztendlich überstanden«, brachte Lisa dieses Thema zum Abschluss und stand auf. »Also gut, Townsend, wir nehmen die Einladung an. In die Cafeteria?«

»Oder zu dem kleinen Restaurant gleich um die Ecke, Ma’am.« Chomps wölbte beide Augenbrauen und blickte zu Travis hinüber. »Ist ein Italiener, Sir. Ich meine mich zu erinnern, Sie würden italienische Küche mögen.«

»Stimmt«, bestätigte Travis misstrauisch und suchte in der Miene seines Gegenübers nach Anzeichen für Abneigung oder gar Hass – eines davon musste es sein, was sonst, nachdem es doch Travis’ Bericht über Chomps Computer-Hackerei gewesen war, der seiner Karriere so massiv geschadet hatte.

Sollte sein alter Kamerad – sie kannten einander immerhin schon seit Casey-Rosewood – eines der beiden Gefühle für ihn hegen, war ihm nichts dergleichen anzumerken. Chomps schien fröhlich und entspannt, ging mit Lisa ebenso wie mit ihm einfach freundlich und freundschaftlich um … und er schien sich der MPARS-Uniform, die er nun trug, keineswegs zu schämen.

Doch Travis war schließlich nie gut darin gewesen, andere Menschen zu durchschauen. Für ihn wäre es ebenso gut möglich, dass Chomps gerade hier und jetzt plante, wie, wann und wo er Travis am besten ein Messer zwischen die Rippen jagen könnte.

»Travis?«

Er blickte zu Lisa hinüber. Sie schaute ihn nachdenklich, ja sogar fragend an. Als wäre diese Sache mit einem gemeinsamen Lunch seine Entscheidung, nicht ihre.

Er straffte die Schultern und blickte wieder in Chomps’ Richtung. Falls sein Gegenüber tatsächlich Rachepläne hegte, könnten sie es genauso gut gleich jetzt hinter sich bringen. »Klingt gut«, sagte er. »Bitte nach Ihnen.«

2

Captain Trina Clegg betätigte den Auslöser. Augenblicklich glitt die Luke zur Seite und gewährte ihr Zutritt zur Brücke der Vanguard. Clegg packte den nächstgelegenen Handgriff, und wie jedes Mal bemerkte sie auf der Lukeninnenseite den winzigen Spalt zwischen zwei Paneelen der Wandverkleidung. Beizeiten gälte es das zu reparieren. Nun, die Vanguard zählte zu den betagteren Damen, und auf älteren Schiffen verzogen sich Wandverkleidungen im Laufe der Zeit – eine unvermeidbare Folge von Raketenstarts und hoher Beschleunigung.

Wie jedes Mal riss Clegg entschlossen den Blick von diesem Makel ihres Schiffes und zog sich durch die Luke hindurch. Es würde noch eine ganze Menge an der Vanguard getan werden müssen, bis sie wieder zu ihrer alten Kampfstärke zurückfände. Schönheitsfehler wie diese Innenverkleidung standen auf der Prioritätenliste nicht sonderlich weit oben.

Der Ensign an der Ortungsstation blickte auf und schrak zusammen. »Captain auf der Brücke!«, rief sie.

Im Kommandostuhl fuhr Commander Bertinelli herum. Kurz, aber gerade noch merklich, presste er die Lippen zusammen, ehe er seine Mimik wieder im Griff hatte.

»Willkommen, Captain«, begrüßte er Clegg gesetzt.

Es waren die richtigen Worte im richtigen Tonfall. Doch Clegg ließ sich nicht täuschen: In Bertinellis Augen war sie ein Eindringling, ein Neuling obendrein, und hatte auf seinem Schiff nichts zu suchen.

Flaggkommandantin der jüngst umstrukturierten Kampfgruppe Aegis zu sein stand ihr gewiss ebensowenig zu.

Clegg fand das bis zu einem gewissen Punkt leicht nachzuvollziehen. Bertinelli wünschte sich das Kommando über einen Schlachtkreuzer, so sehr, dass er sicher Fieberträume davon hatte. Vor wenigen Jahren hatte man ihm den Kreuzer Gryphon angeboten, doch er hatte abgelehnt. Er hatte es vorgezogen, stattdessen als Eins-O weiterhin an Bord der Vanguard zu bleiben. Wahrscheinlich hatte er sich gedacht, wenn er bliebe, wo er ohnehin schon war, brächte ihn das, was die Vanguard anging, an die Spitze der Warteschlange für den Kommandantenposten.

Sollte das tatsächlich sein Beweggrund gewesen sein, war er bitterlich enttäuscht worden: Vor sechs Monaten hatte der bereits ein wenig tatterige Captain Davison angekündigt, in den Ruhestand zu gehen. Vermutlich hatte Bertinelli gleich am nächsten Tag den Champagner bestellt, um seine unmittelbar bevorstehende Beförderung zum Captain und seinen neuen Posten als Kommandant der Vanguard angemessen zu feiern … und war vermutlich der Einzige, der überrascht gewesen war, als beides ausblieb.

Clegg hingegen überraschte, dass Bertinelli nach seiner Entscheidung, die Versetzung auf den Kreuzer abzulehnen, überhaupt noch eine Karriere hatte. Vermutlich hatte er es nur Beziehungen zu höchsten Kreisen zu verdanken, dass er nicht auf einem Abstellgleis gelandet war – was normalerweise all jenen bevorstand, die nicht sofort Platz nahmen, wenn ihnen zum ersten Mal der Sessel des Kommandanten zurechtgerückt wurde.

Alle, die ihn kannten, überraschte nicht, dass Bertinelli die Lage anders sah: Er gab allein Clegg die Schuld.

»Keine Vorkommnisse, Captain«, fuhr Bertinelli fort und löste seine Haltegurte. Wieder gab es an Wortwahl und Tonfall nichts auszusetzen. Doch Clegg wurde das Gefühl nicht los, der Commander wäre fest davon überzeugt, der aktuelle, höchst unmilitärische Zustand des Universums – völlige Entspanntheit! – sei ebenfalls irgendwie ihre Schuld. »Völlig ruhig dort draußen.«

»Ruhig ist gut, Eins-O«, gab Clegg zurück, und während sie an den Displays vorbeischwebte, nahm sie jeden der Bildschirme kurz, aber konzentriert in den Blick. »Das hat unsere jüngste Übung doch deutlich gezeigt, finden Sie nicht auch? Ach, wo wir gerade dabei sind: Was ist eigentlich mit dem Seitenschildschlamassel der Bellerophon?«

»Der letzten Meldung zufolge wurde noch daran gearbeitet, Ma’am.«

»Und von wann war diese Meldung?«

Sie blickte gerade rechtzeitig zu Bertinelli hinüber, um zu bemerken, wie erneut sein Mundwinkel zuckte.

»Von vor ungefähr drei Stunden, Ma’am.«

Drei Stunden. Clegg brachte das Kunststück fertig, nicht die Augen zu verdrehen, doch ihre Stimme klang ein wenig spitzer, als sie sich nun der Signalstation zuwandte.

»Signal, kontaktieren Sie die Bellerophon. Ich wünsche einen Statusbericht hinsichtlich ihres Seitenschilds.«

»Jawohl, Ma’am.« Rasch – vielleicht ein wenig zu rasch – wandte sich der Petty Officer seinen Instrumenten zu.

Bertinellis Miene war wie aus Stein gemeißelt.

»Haben Sie etwas anzumerken, Eins-O?«, fragte Clegg.

Der Commander atmete tief ein. »Nein, Ma’am«, sagte er dann steif. »Allerdings hatte ich die Bellerophon angewiesen, sich im Falle einer Statusänderung umgehend zu melden. Ich bezweifle, dass das dort drüben vergessen wurde.«

Nachdenklich blickte Clegg ihn an und fragte sich, wie dumm dieser Mann tatsächlich war. Vor mehr als zehn Stunden war Kampfgruppe Aegis von ihrer jüngsten Übung zu ihrer Sicherungsposition im Orbit von Manticore zurückgekehrt. Vieles hatte dafür gesprochen, einfach im Orbit zu verbleiben und dort nur Simulationsübungen durchzuführen. Doch was das betraf, teilte Clegg Admiral Kyle Eigens Ansicht: Wollte man wirklich wissen, ob man sich auf die Systeme eines Kriegsschiffs auch verlassen konnte, so musste man diese Systeme nutzen und nicht nur so tun, als würden sie genutzt. In ganz besonderem Maße galt das natürlich für Schiffe, die schon so viele Jahre auf dem Buckel hatten und für die Ersatzteile echte Mangelware geworden waren wie die Schiffe der Royal Manticoran Navy. Genau auf diesen Punkt war das gesamte Sternenkönigreich vor gerade einmal drei Wochen schmerzhaft deutlich hingewiesen worden, als ein nur allzu großer Teil eben dieser Navy unvermittelt in einen Trümmerhaufen verwandelt worden war.

Nun hatte sich der Captain der Bellerophon genötigt gesehen, zu melden, dass sein Seitenschildgenerator Nummer zwo aus Wartungsgründen deaktiviert werden musste. Commander Bertinelli war dabei die unbedeutende Kleinigkeit entgangen, dass Captain Stillman diese Meldung vor Beginn der Übung hätte einreichen müssen, nicht nach deren Beginn.

Leider war der Seitenschild beileibe nicht das einzige System, dessen Versagen erst im Zuge der Übung bekannt geworden war. Die uralte Kunst des ›Füße-Stillhaltens‹ – Unerfreuliches, was ein schlechtes Licht auf Schiff oder Offiziere werfen könnte, unerwähnt zu lassen – erfreute sich nach wie vor immenser Beliebtheit.

In der immer kleiner werdenden und unterfinanzierten Royal Manticoran Navy aus Friedenszeiten war derartiges Verhalten verachtenswert, mehr nicht. Doch vor drei Wochen war daraus sträfliche, schuldhafte Pflichtverletzung geworden.

Das allerdings schien sich noch nicht überall herumgesprochen zu haben. Deswegen hatte Clegg Statusberichte nach Ablauf jeder Wache an Bord der Bellerophon angefordert – wie sie es für jedes Schiff der Kampfgruppe befohlen hatte: Es ging um Ausfälle jedweder technischer Natur, den aktuellen Wartungs- und Reparaturstatus, die geschätzte und die tatsächliche Dauer bis zum Abschluss der Reparaturen. Da der Wachwechsel bereits vor über einer Stunde erfolgt war, hätte sie beim Eintreffen auf der Brücke Captain Stillmans Bericht in ihrem Eingangskorb mit den bislang noch unbearbeiteten Nachrichten vorfinden müssen. Ein Eins-O, der in der Lage wäre, auch ohne fremde Hilfe – außer vielleicht einem aktiven Radar – seinen eigenen Hintern zu finden, hätte sich längst, natürlich ganz respektvoll, bei Stillman erkundigen müssen, wo besagter Bericht denn bliebe.

Dann hätte er die Angelegenheit an die Flaggkommandantin des Kampfverbands weiterleiten müssen, die vielleicht auch ein bisschen weniger respektvoll hätte um den Bericht nachfragen können.

»Vermutlich hat sich nichts geändert«, räumte sie ein. »Aber es kann nie schaden, sich dessen auch zu vergewissern.«

Was Sie natürlich nur dank Ihrer langen und glorreichen Karriere bei der Navy so genau wissen! Bertinelli sprach es nicht aus, doch die beißende Bemerkung stand ihm überdeutlich auf die Stirn geschrieben.

»Verstanden, Ma’am«, sagte er, und wieder gelang es ihm, dabei einen Tonfall anzuschlagen, der hinreichend viel Abstand zur Insubordination wahrte. »Darf ich darauf hinweisen …«

»Brücke? OPZ hier«, drang Lieutenant McKenzies Stimme angespannt aus dem Brückenlautsprecher und unterbrach damit Bertinelli. »Commander, wir orten einen Hyperabdruck, relativ zum Planeten auf zwo acht neun zu null null zwo. Entfernung zehn Komma sechs zwo Lichtminuten – grob eins neun null Millionen Kilometer.«

»Verstanden, Lieutenant«, erwiderte Clegg. »Commander Bertinelli, ich habe das Schiff«, setzte sie dann förmlich hinzu, umschloss mit einer Hand den Haltegriff an der Rückenlehne der Werferstation. Bisher hatte sie entspannt in der Schwerelosigkeit geschwebt, jetzt verwandelte sie sich auf diese Weise geschickt in ein zielgerichtetes menschliches Projektil. Bertinelli blieb gerade noch genug Zeit, sich von der Kommandostation zurückzuziehen, bevor seine Kommandantin dort eintraf, ein rasches Abbrems- und Wendemanöver vollzog – das hatte sie während ihrer Zeit als Lieutenant entwickelt – und sich in einer fließenden Bewegung in den Kommandosessel gleiten ließ. »Astro: Berechnen Sie mir einen Abfangkurs. Maschinenraum: Impeller in sofortige Bereitschaft versetzen, aber den Keil noch nicht hochfahren. Signal: Informieren Sie die Bellerophon und die Gryphon über die Lage. Ordnen Sie Alarmstufe zwo an, aber informieren Sie beide Schiffe, dass sie nicht – ich wiederhole: nicht – ihre Keile hochfahren oder ihre Transponder aktivieren sollen.«

»Aye, aye, Captain.«

Clegg atmete tief durch und klappte dann die Schutzabdeckung über dem Alarmknopf zurück. Kaum hatte sie ihn berührt, drang auch schon das ohrenbetäubende Heulen der Sirenen aus sämtlichen Intercom-Lautsprechern. Drei Sekunden lang behielt sie die volle Lautstärke bei, dann reduzierte sie das Heulen auf ein nach wie vor deutlich zu vernehmendes Hintergrundgeräusch.

»Klar Schiff zum Gefecht, Klar Schiff zum Gefecht«, verkündete sie. »Auf dem gesamten Schiff gilt Alarmstufe zwo. Ich wiederhole: Auf dem gesamten Schiff gilt Alarmstufe zwo. Admiral Eigen, bitte melden Sie sich auf der Brücke.«

Sie schaltete ihr Mikrofon wieder auf den Kanal um, der für die Operationszentrale reserviert war. »Dann mal raus mit der Sprache, Lieutenant!«

»Jawohl, Ma’am«, erwiderte McKenzie. »Konkrete Zahlen liegen uns noch nicht vor, aber es sind eindeutig fünf oder mehr. Genaueres kann ich erst sagen, wenn sie dichter aufgekommen sind oder weit genug ausschwärmen, dass ich an den vordersten Keilen vorbeispähen kann.«

»Aber dieses Minimum ist belastbar?«

»Jawohl, Ma’am«, erklärte McKenzie. »Ortung ist sich sicher, mindestens fünf Impellersignaturen zu erkennen.«

Aus Cleggs Ohrhörer drang ein leises Klingeln. »Brücke? Eigen hier«, war dann die Stimme des Admirals zu hören. »Wie ist die Lage, Captain?«

»Unbekannte Schiffe sind auf manticoranisches Territorium vorgestoßen, Sir. Sie stehen derzeit etwa dreißigtausend Kilometer jenseits der Hypergrenze und ungefähr zwo Grad über der Ekliptik. Mehr haben wir derzeit noch nicht.«

»Ist System Command bereits verständigt?«

»Nein, Sir, noch nicht.«

»Na ja, denen liegen jetzt vermutlich die gleichen Informationen vor wie uns, aber Sie sollten denen trotzdem eine Vorwarnung zukommen lassen. Haben Sie die Gryphon und die Bellerophon schon informiert?«

»Jawohl, Sir. Zudem wurde Alarmstufe zwo verhängt.«

»Gut. Berechnen Sie einen Abfangkurs und sagen Sie OPZ, sie sollen aus dem Äther noch das letzte bisschen Information herausquetschen. Bin in fünf Minuten da.«

»Jawohl, Sir.«

Der Admiral schaltete ab, und Clegg blickte zu Bertinelli hinüber, der steif in der engen Nische zwischen ihr und dem Rudergänger schwebte.

»Wollten Sie etwas anmerken, Eins-O?«

Sein Blick zuckte zu dem Display über ihrem Kopf, das gerade von Statusdaten aus dem Maschinenraum auf die taktische Darstellung umschaltete.

»Nein, Captain«, sagte er, »nichts.«

Clegg nickte und widmete ihre Aufmerksamkeit dann dem Manövrierdisplay. In ihrer Magengrube breitete sich ein sonderbares Gefühl der Leere aus. Vor drei Wochen hatte sie sich an Bord der Vanguard befunden und dort gerade die jüngsten Arbeiten am Schlachtkreuzer beaufsichtigt, als Admiral Tamerlane ins System eingedrungen war, Kampfgruppe Janus zerstört hatte und das Gleiche beinahe auch noch mit Admiral Carlton Locatellis großer, prächtiger Kampfgruppe Aegis getan hätte. Fast augenblicklich hatte sich der sorgfältige Wiederaufbau der Vanguard in ein völlig anderes Problem verwandelt: Damals hatte es vor allem gegolten, in aller Hektik den Keil hochzufahren, damit sich Clegg anschließend mit dem unbewaffneten, unterbesetzten Schlachtschiff-Papiertiger dem Feind hatte entgegenstellen können. Ein reiner Bluff, doch in Kombination mit der unerwartet brillanten Abwehr, die Navy und MPARS aus dem Stegreif zusammenimprovisiert hatten, hatte es tatsächlich funktioniert.

Damals war Clegg enorm frustriert darüber gewesen, dass ihr Schiff und sie nichts anderes hatten tun können. Nun sah es ganz danach aus, als gäbe ihr das Universum tatsächlich eine zweite Chance.

Denn es gab keinen Grund, dass derart viele Schiffe gleichzeitig ins Manticore-System transistierten. Überhaupt keinen.

Es sei denn, das wäre Welle zwo der Invasion.

»System Command hat an alle Kommandos und Einheiten Fall Zulu ausgegeben, Ma’am«, meldete Signal.

»Sehr gut«, bestätigte Clegg.

»Alle Abteilungen melden Alarmstufe zwo«, kam die Meldung von der Taktischen Station.

»Bestätigt«, sagte Clegg und spürte, wie ihre Mundwinkel zu einem kühlen Lächeln ansetzten. Die Vanguard war immer noch unterbesetzt, und sie war immer noch deutlich unterbewaffnet.

Aber sie war kein Papiertiger mehr. Sie konnte kämpfen.

Und das würde sie auch, verdammt noch eins!

»… und so ist er entkommen«, beendete Lisa ihre Geschichte. »Mit ausgefallenen Emittern konnten wir nichts dagegen tun.«

»Hm«, sagte Travis und nahm eine Gabel Ravioli.

Um ehrlich zu sein, waren es sehr fade Ravioli. Aber das lag nicht an den Ravioli, sondern an ihm selbst. An diesem Tisch herrschte einfach zu viel unbehagliche Kameraderie, als dass er sich genug auf sein Essen konzentrieren könnte.

Schlimm genug, dass die beiden, Chomps und Lisa, während der Schlacht von Manticore ein wirklich cleveres Manöver ersonnen hatten. Denn damit hatten die beiden eine Verbindung und eine persönliche Geschichte, an der Travis niemals beteiligt sein würde.

Doch diese Casca-Sache machte alles noch schlimmer: Wie es vor Jahren zu diesen Morden gekommen war und was sich in der Folge ereignet hatte, hatte Lise ihm unmittelbar nach ihrer Rückkehr kurz geschildert. Doch erst jetzt hatte Travis begriffen, wie eng Chomps und sie zusammengearbeitet hatten, um die Geschehnisse zu diesem Abschluss zu bringen.

Es störte ihn. Es war ihm sogar sich selbst gegenüber peinlich, sich das einzugestehen, aber es störte ihn.

Natürlich war er froh, dass Lisa noch lebte. Ebenso froh war er, dass sie mit ihrer Klugheit Chomps’ Ableben verhindert hatte – auf Casca ebenso wie während dieses jüngsten Gefechts.

Aber warum mussten die beiden darüber so glücklich und so froh sein und einander so deutlich zeigen, wie eng befreundet sie waren?

Eine kindische Reaktion, das wusste er selbst. Das zu wissen aber, machte es umso schlimmer.

Er hatte sich so sehr bemüht, jemand zu werden, der in Lisas Leben eine einzigartige Rolle spielte. Und jetzt saß sie hier und lachte mit einem anderen über gemeinsame Insiderwitze!

»Travis?«

Er riss sich zusammen, blinzelte ein paar Male und vertrieb so sein grüblerisches Schweigen. Erstaunt und verwirrt starrten ihn Lisa und Chomps an.

Zwei identisch erstaunte und verwirrte Gesichter.

»Was ist?«, fragte er.

»Du warst irgendwie eine Million Lichtjahre weit fort«, sagte Lisa. »Alles in Ordnung?«

»Selbstverständlich«, sagte er. »Ma’am.«

Die Falten auf Lisas gerunzelter Stirn vertieften sich. Chomps’ Gesichtszüge hingegen entspannten sich. Belustigte ihn etwa Travis’ Verlegenheit? Wahrscheinlich.

»Wenn wir dich hier langweilen …«, setzte Lisa an, doch dann verstummte sie abrupt, hob ihr Handgelenk und tippte ihr UniLink an. »Donnelly«, meldete sie sich und runzelte die Stirn noch mehr.

Aufmerksam beobachtete Travis sie. Wie steif sie auf einmal wurde, wie sie die Augen eine Winzigkeit zusammenkniff …

»Verstanden, Sir«, sagte sie mit angespannter, förmlicher Stimme. »Ich bin schon auf dem Weg.« Sie deaktivierte die Verbindung und schob ihren Stuhl zurück. »Ich muss los, Travis.«

»Was ist los?«, setzte Travis nach, während Chomps und er ebenfalls aufstanden.

»Hyperabdruck«, erklärte Chomps und ließ den Arm sinken. Erstaunt blickte ihn Travis an; er hatte so sehr auf Lisa geachtet, dass ihm das Eintreffen einer Nachricht bei Chomps völlig entgangen war. »Kampfgruppe Aegis hat ihn unmittelbar vor der Hypergrenze aufgefangen. Ich gehe davon aus, dass die Excellent die Daten mittlerweile ebenfalls hat.«

»Wir wurden gerade zu unseren Schiffen zurückbeordert«, sagte Lisa und steuerte schon den Ausgang des Restaurants an. »Cazenestro möchte, dass alles, was den Orbit verlassen kann, schon vor dreißig Minuten aufgebrochen ist.«

Travis verbiss sich einen Fluch. Die Casey stand mit vollständig zerlegtem Seitenschildgenerator steuerbords im Raumdock, und ein Drittel ihrer Emitter wurde gerade gewartet. Was auch immer nun geschehen mochte: Sein Schiff und er würden daran nicht teilhaben.

»Oh, Moment … die Rechnung«, sagte Chomps und blieb unvermittelt stehen. »Ich muss noch …«

»Ich mach das schon«, fiel ihm Travis ins Wort. »Los jetzt.«

»Danke, Sir«, sagte Chomps; er war schon halb durch die Tür getreten, Lisa dicht hinter sich. »Natürlich gebe ich Ihnen das zurück.«

Wenn du überlebst, was euch da gerade bevorsteht. Travis verzog das Gesicht. Er schämte sich dafür, so abgebrüht und hartherzig über einen Kameraden zu denken. Er hatte Berichte über die Kampfbereitschaft der Navy gelesen: Gut sah es nicht aus. Praktisch jedes Schiff, das an der Schlacht beteiligt gewesen war, hatte Schäden davongetragen – entweder direkt durch den Feind verursacht, oder es waren Folgen von Verschleiß oder Systemversagen durch unzureichende Wartung – von Systemen, die weit über die viel zu kurzsichtigen Erwartungen der Verantwortlichen hinaus hatten belastet werden müssen.

Der Kellner war bereits auf dem Weg zu ihm, in der Hand seinen Tablet-Rechner. Travis legte den Daumen auf den Scanner und tippte dann für die Geldübermittlung auf das Tablet. Der Kellner und er nickten einander zu, dann eilte auch Travis in Richtung Tür …

… und stieß beinahe mit Lisa zusammen, die mit großen Schritten wieder hereinkam.

»Komm!«, sagte sie mit unverkennbarem Nachdruck. »Townsend holt schon seinen Flugwagen.«

»Ich?« Verwirrt blieb Travis stehen. »Aber ich wurde doch gar nicht …«

»Nein, du wurdest nicht zurückbeordert«, übernahm Lisa, packte ihn am Arm und schob ihn in Richtung Tür. »Weiß ich. Aber mir ist gerade eingefallen, dass unser Zwoter Taktischer Offizier auf die Vanguard versetzt worden ist, und bislang haben wir noch keinen Ersatz erhalten. Vielleicht kannst du ja seinen Posten übernehmen.«

Drei Sekunden später standen sie im Freien.

»Aber ich brauche doch einen Marschbefehl«, protestierte Travis, während ihn Lisa auf einen Flugwagen zuführte, der gerade vor ihnen aufsetzte. »Ohne Marschbefehl kann ich überhaupt nicht an Bord.«

»Sie kann während der Fahrt an Bord anrufen, Sir«, rief ihm Chomps durch das offene Seitenfenster zu. »Und wenn das nicht klappt, dann können Sie wenigstens die Fahrt genießen!«

»Okay«, entschied Travis.

Das hier ging alles entschieden zu schnell und widersprach entschieden der vorgeschriebenen Vorgehensweise. Aber während der Schlacht vor drei Wochen waren entschieden zu viele Menschen gefallen. Wenn nun tatsächlich eine Fortsetzung dieser Invasion anstand, würde die Navy jeden brauchen, den sie bekommen konnte, einen gewissen Travis Uriah Long eingeschlossen.

Noch vor einer Woche hatte Travis bei der Anhörung auf die Bereitschaft hingewiesen, notfalls sein Leben für das Sternenkönigreich hinzugeben, und man hatte ihn gewarnt, es könne sehr gut sein, dass er schon bald Gelegenheit dazu hätte.

Vielleicht war diese Gelegenheit gekommen.

Die mit der Transition einhergehende Übelkeit klang ab, und Jeremiah Llyn aktivierte die Wiederholdisplays in der privaten Kontrollzentrale der Pacemaker. Wenn sich bei der Transition alle an seine Anweisungen gehalten hatten …

Hatten sie. Weitestgehend zumindest. Sechs Schiffe hatten die avisierte Position minimal verfehlt. Angesichts der Schwierigkeiten, die jegliche Hyperastrogation nun einmal mit sich brachte, war das als Leistung anerkennenswert – auch und gerade von der Königlichen Sternenflotte des Freien Herzogtums Barca. Zu dieser Flotte mit dem lächerlich großspurigen Titel (für eine derart winzige Flotte jedenfalls, aber so war Barca nun einmal) gehörten nämlich die sechs Schiffe. Wenigstens standen die beiden Truppentransporter wunschgemäß hinter den Kreuzern und dem Kaperer, sie alle Llyns kompakt gebautem Kurierboot einige tausend Kilometer voraus.

Hinter der Pacemaker, weit im Hintergrund, befanden sich die beiden Frachter von recht bescheidener Größe.

Für Frachter waren sie tatsächlich von sehr bescheidener Größe, ja winzig: Jedes Schiff brachte es gerade einmal auf fünfhunderttausend Tonnen. Sie waren nicht annähernd so effizient wie die üblichen Ein- bis Zwei-Millionen-Tonnen-Schiffe, und wenn sie einen Raumhafen anliefen, bespöttelten die Besatzungen größerer Frachter sie – oft als Einstieg ins Frachtgeschäft für Leute, deren Ehrgeiz weit größer als die Kreditwürdigkeit sei.

Doch wenn man sich auf exotische – und kostspielige – Luxusgüter spezialisierte, vermochten auch kleinere Schiffe den Lebensunterhalt einzubringen. Wer aber über die Minifrachter lachte, vergaß sie anschließend rasch wieder, beschäftigt mit wichtigeren Dingen.

Genau deswegen mochte Llyn sie so sehr. Kriegsschiffe wurden niemals ignoriert. Aber niemand achtete auf kleine Frachter – selbst nicht auf kleine Frachter, die unbemerkt mit der Feuerkraft eines Zerstörer- oder Kreuzer-Spitzenmodells ausgestattet worden waren.

»Signal von der Shrike und der Banshee«, drang Captain Lionel Katuras Stimme aus dem Intercom der Pacemaker. »Sie melden ein halbes Dutzend ziviler Transponder in Reichweite, aber nichts Militärisches.«

»Ich danke Ihnen, Captain«, erwiderte Llyn, als die Transponderpositionen auf seinem Wiederholdisplay aufflammten. Die Sensoren der Pacemaker selbst hatten sie noch nicht aufgefangen, aber das war nicht weiter verwunderlich: Die Ortungssysteme der Frachter waren ebenso hochleistungsfähig wie das Smart-Material ihrer Schiffsrümpfe, ihre Waffen und ihre Eloka-Ausstattung.

Llyn war zu Ohren gekommen, einige Angehörige des Vorstandes der Axelrod Corporation hätten sich energisch gegen den Bau von Schiffen wie der Shrike und der Banshee ausgesprochen. Immerhin verschlang die Entwicklung dieser Schiffe Unsummen. Llyn selbst hingegen hätte sich keinen besseren Verwendungszweck für hohe Summen vorstellen können als für die Schattenkommando-Divisionen der Corporation.

Diplomatie, Bestechung, Schmeichelei, Druck, Manipulation und schiere Kaufkraft: Für das alles gab es bei geschäftlichen Verhandlungen den rechten Ort und die rechte Zeit. Manchmal jedoch lief es einfach auf pure Schlagkraft hinaus. War es dann so weit, dann war es stets ratsam, genau davon genug in der Hinterhand zu haben.

Abgesehen davon gab es für Frachter hier draußen im Nirgendwo immer wieder Momente, in denen man auf Verteidigungssysteme angewiesen war. Das bot natürlich eine sehr schöne Deckung, falls im Haifischbecken namens Axelrod doch jemand gezielte Fragen hinsichtlich bewaffneter Schiffe stellen sollte.

Nicht, dass heute sonderlich viel Schlagkraft erforderlich sein würde. Vor drei Wochen hatten die Volsung-Söldner das System mit mehr als genug Schiffen, Raketen und Kampferfahrung angegriffen, um mit der völlig veralteten Royal Manticoran Navy kurzen Prozess zu machen. Womöglich hatten einige der kleineren Schiffe der Mantys der Zerstörung entrinnen können und hielten sich nun verschreckt im Orbit von Gryphon und Manticore-B, aber Ärger würden sie gewiss nicht machen. Solange Landing City und der geliebte König des Sternenkönigreichs in die Mündungen der Volsung-Geschütze starrten, sollte Llyn problemlos Barcas Forderung nach Manticores bedingungsloser Kapitulation vor dem Freien Herzogtum übermitteln können.

Anschließend zöge sich Llyn zurück und überließe Major General Sigismund Haus und seinem Axelrod-Beraterstab das Feld. Wären die Barca-Besatzungstruppen erst einmal angelandet und hätte Haus den Königlichen Palast eingenommen, würden Llyn und die beiden Schattenkommando-Schiffe in aller Gemütsruhe das System bereisen und sicherstellen, dass es dort auch wirklich keinerlei ernst zu nehmende Gefahren mehr gab. Anschließend hieße es für Llyn, nach Barca zurückzukehren, um Truppen für die dauerhafte Besetzung des Systems sowie das zivile Verwaltungskorps zusammenzustellen und sie hierher zu geleiten. Danach wäre das Sternenkönigreich von Manticore Geschichte, dem frisch erweiterten Freien Herzogtum Barca einverleibt.

Anschließend würde Haven dann wohl ein bisschen Rabatz machen. Die Solare Liga nähme die Geschehnisse zumindest zur Kenntnis, aber mehr als ein paar erstaunt-missbilligend gewölbte Augenbrauen erwartete Llyn nicht als Reaktion. Doch selbst dieses bisschen Missbilligung würde sich schon rasch wieder legen. Eroberungsbestrebungen waren zwar nicht gerade gang und gäbe – schon gar nicht derart weit vom Territorium des Eroberersystems entfernt –, aber beispiellos waren sie nun wahrlich nicht. Letztendlich würden sich Manticores Nachbarn mit den neuen Gegebenheiten abfinden, und das Leben ginge einfach weiter seinen Gang.

Irgendwann würde dann das Freie Herzogtum hinsichtlich gewisser Rechte und Handelserleichterungen heimlich, still und leise zu einer Übereinkunft mit Axelrod kommen – einer Übereinkunft, von der wohl niemand etwas mitbekäme. Und wenn Barca dann den manticoranischen Wurmlochknoten ›entdeckte‹, befände sich Axelrod in der perfekten Position, diesen Knoten für das Freie Herzogtum zu ›verwalten‹.

Die Axelrod Corporation, schon jetzt immens erfolgreich und immens wohlhabend, würde dann noch viel, viel erfolgreicher und wohlhabender werden.

Llyn lehnte sich in seinem Sessel zurück, den Blick auf dem Wiederholdisplay, während seine Flottille systemeinwärts beschleunigte.

3

»Jetzt, wo die georteten Schiffe systemeinwärts vorrücken, ist es uns gelungen, die Originaldaten genauer auszuwerten«, erklärte Admiral (a.D.) Thomas P. Cazenestro, Erster Lord der Admiralität, kaum dass König Edward in seinem Sessel im Zentralen Kommandoraum unterhalb des Palastes Platz genommen hatte. »Bislang liegen uns noch keine Identifikationen vor, aber sie halten sich seit etwa elfeinhalb Minuten im N-Raum auf. Ohne jeden Zweifel steuern sie Manticore an, genauso zweifelsfrei sind es neun Schiffe. Bislang haben sie erst fünfhundertundvierzig Kps erreicht und sind immer noch mehr als einhundertneunzig Millionen Kilometer entfernt. Alles, was wir haben, wird gerade hastig einsatzbereit gemacht. Aber vorerst unterstützt Admiral Locatelli Rear Admiral Eigens Entscheidung, Kampfgruppe Aegis im Orbit stehen zu lassen, bis sie durch all das unterstützt wird, was ich in der verbleibenden Zeit herbeischaffen kann.«

»Locatelli ist immer noch mit der Inspektion von Thorson beschäftigt, nehme ich an?«, erkundigte sich Edward.

Cazenestro nickte. »Er ist alles andere als glücklich darüber, dort festzusitzen. Aber es ist völlig unmöglich, ihn dort abzuholen und zu Eigen zu schaffen. Aber dank der Excellent hat er wenigsten gute Kommunikationsmöglichkeiten.«

»Stimmt«, sagte Edward. Genau das konnte entscheidend sein, wo doch der derzeitige Flottenbestand über das gesamte System verteilt war.

»Wer auch immer die Eindringlinge sind«, fuhr Cazenestro fort, »sie beschränken sich bei ihrer Beschleunigung auf etwa achtzig Gravos. Also bleibt uns noch ein wenig Zeit. Sollte man es wirklich auf ein Rendezvous mit dem Planeten anlegen und diese Beschleunigung beibehalten, wird erst in mehr als vier Stunden der Schubumkehrpunkt erreicht.«

Edward nickte und spürte in seinen Handflächen ein unangenehmes Kribbeln, so fest umklammerten seine Finger die Armlehnen des Sessels – genau die gleichen Armlehnen, die er auch vor kaum drei Wochen umklammert hatte … als er hatte zusehen müssen, wie die manticoranische Flotte verzweifelt in die Schlacht gezogen und um das Leben ihres Sternenkönigreichs gekämpft hatte.

Als er hatte zusehen müssen, wie sein einziger Sohn starb.

Seitdem war es ihm gelungen, alles, was damit einherging, Gedanken, Gefühle, zu verbannen. Es hatte so viel Tod und Zerstörung gegeben, dass es wirkte, als hätte fast jeder auf Manticore mindestens einen Angehörigen oder Freund verloren. In Wahrheit war es natürlich nicht so: Dafür war die Navy des Sternenkönigreichs zu klein, zu unterbesetzt. Es war schlichtweg unmöglich, dass sämtliche seiner Untertanen einen direkten oder indirekten Verlust hatten hinnehmen müssen. Doch in gewisser Hinsicht waren Manticores Gefallene die Gefallenen des gesamten Volkes, und als König dieses Volkes durfte Edwards Trauer die Trauer der Nation nicht überschreiten und er sich von seinem persönlichen Verlust nicht überwältigen lassen.

Seine Ratgeber hatten ihm versichert, das Volk werde es verstehen, wenn er sich ein wenig Zeit für ganz persönliche Trauer nähme. Edward wusste das zu schätzen. Ebenso aber wusste er um seine Pflichten.

Das Leben eines Königs ist nicht dessen Privatangelegenheit. Das hatte ihm sein Vater Michael vor vier Jahren ins Gedächtnis zurückgerufen – an jenem Tag, als er zu Edwards Gunsten abgedankt hatte.

Michael durfte um seinen Enkel trauern. Edwards Tochter Sophie durfte ihren Bruder betrauern, Königin Cynthia ihren Sohn … und Edwards Halbschwester Elizabeth durfte über den Tod ihres Neffen klagen, doch Edward selbst nicht um seinen Sohn trauern. Nicht so, wie er gewollt hätte. Nicht jetzt.

Vielleicht niemals.

»Das Ironische an der Sache ist, dass Clegg eigentlich überhaupt nicht an Bord der Vanguard hätte sein sollen«, erklärte Lisa, während Chomps ihren Flugwagen durch den Verkehr von Landing lotste.

Natürlich übertrat er dabei jegliche Geschwindigkeitsbegrenzungen und ignorierte sämtliche Verkehrsregeln. Bei jeder Kreuzung, über die er hinwegraste, verzog Travis gequält das Gesicht. Doch hier und jetzt gab es eindeutig gute Gründe dafür, Regeln zu missachten.

»Ach, nicht?«, fragte er, um sich von Chomps’ Fahrstil abzulenken.

»Nein, eigentlich hätte es ihr zugestanden, als Locatellis Flaggkommandantin an Bord der Invincible zu gehen«, setzte Lisa ihre Erläuterung fort. Vielleicht war sie ebenso angelegentlich daran interessiert, nicht über Chomps’ Fahrweise nachdenken zu müssen wie Travis selbst. »Aber sie hat den Posten nicht bekommen.«

»Warum nicht? Was ist denn passiert?«

»Secour ist passiert«, antwortete Lisa. »Nach den Leistungen, die Metzger dort an den Tag gelegt hat, hat Locatelli wohl reichlich Beziehung spielen lassen, um sie auf der Liste weiter nach oben zu schubsen. Deshalb hat sie und nicht Clegg den goldenen Stern für die Invincible bekommen.«

»Ich könnte mir vorstellen, dass Clegg darüber ein wenig verstimmt gewesen ist.«

»Der richtige Ausdruck wäre wohl ›stinksauer‹, Sir«, rief ihm Chomps über die Schulter hinweg zu.

»Offiziere werden nicht stinksauer, Townsend«, tadelte ihn Lisa. »Und wo wir gerade dabei sind: Frauen schwitzen auch nicht – wir glänzen.«

»Verstanden, Ma’am. Verzeihen Sie.«

»Tatsächlich weiß ich gar nicht, ob sie verstimmt gewesen ist«, fuhr Lisa dann fort. »Nach allem, was ich gehört habe, war sie vor allem frustriert darüber, dass sie während der Schlacht mit der Überholung der Vanguard beschäftigt war und deswegen am Gefecht nicht teilnehmen konnte.«

»Na, vielleicht bekommt sie ja jetzt doch noch die Gelegenheit dazu«, versetzte Travis grimmig.

»Genau das habe ich mir auch gedacht«, meinte Lisa. »Daher ja auch die Ironie des Ganzen. Warte mal.« Sie hob ihr UniLink. »Donnelly.« Mehrere Sekunden lauschte sie konzentriert. »Verstanden Sir«, sagte sie dann. »Er ist hier – ich bringe ihn auf meinem Shuttle mit … Jawohl, Sir.«

Sie unterbrach die Verbindung.

»Du bist dabei«, sagte sie. »Dein Marschbefehl wird dich im Shuttle schon erwarten.«

Travis nickte. Ich habe das selbst so gewollt!, mahnte er sich innerlich. Ich wollte nicht einfach nur auf dem Boden herumhocken und tatenlos zusehen! Statt also von der Seitenlinie aus zuzuschauen, würde er nun geradewegs ins Gefecht zurückkehren.

Aber dass so etwas geschehen konnte, hatte er in dem Moment gewusst, da er sich für die Uniform entschieden hatte.

»Danke, Ma’am.«

»Danke mir bloß nicht zu früh«, warnte ihn Lisa. »Das Schiff verfügt nur über ein einziges funktionsfähiges Rohr. Was auch immer uns bevorstehen mag: Wir ziehen los und haben dabei praktisch einen Arm in Gips.« Sie beugte sich zu ihm hinüber und drückte ihm die Hand. »Aber das bisschen, was wir haben … ich bin mir sicher, dass dir irgend eine clevere Idee kommen wird, das optimal auszunutzen.«

Travis musste schlucken. »Jawohl, Ma’am. Ich werde mich bemühen.«

Llyns taktisches Wiederholdisplay zeigte nach wie vor keinerlei nützliche Informationen an. Nachdenklich runzelte er die Stirn.

In Ortungsreichweite fanden sich reichlich zivile Transponder – nun ja, zumindest für ein Hinterwäldler-Sonnensystem wie dieses. Aber er fand keine einzige militärische Kennung.

Das allerdings musste nicht unbedingt Anlass zur Beunruhigung sein. Admiral Cutler Gensonne, der derzeit Herr über dieses System war, konnte ja bei Neuankömmlingen nie wissen, um wen es sich gerade handelte. Gensonne kannte zwar den Zeitplan, aber Zeitpläne neigten nun einmal dazu, angesichts interstellarer Entfernungen durcheinanderzugeraten. Daher war nachvollziehbar, dass er Vorsicht walten ließ – zumindest, bis er die Neuankömmlinge eindeutig identifizieren könnte. Dafür hatte Llyn Verständnis.

Nun, überraschend war nur, dass Gensonne so viel Vernunft und Vorsicht an den Tag legte. Alltäglich war das beim Oberkommandierenden der Volsungs nun wahrlich nicht.

»Immer noch keine Identifizierung, Sir«, grollte Commander Bertinellis Stimme aus dem OPZ-Lautsprecher. »Darf ich den Admiral daran erinnern, dass Bogey eins jetzt seit mehr als fünfzehn Minuten systemeinwärts beschleunigt? Diese Zeit reicht mehr als aus, um die Transponder ans Laufen zu bringen.«

Hinter ihrer Konsole verzog Captain Clegg gequält das Gesicht. Wie stets hatte sich Bertinelli eines in jeglicher Hinsicht angemessenen Tonfalls befleißigt, und doch war sich die Kommandantin sicher, dass Admiral Eigen die in den Worten des Commanders mitschwingende Ungeduld nicht entgangen war.

Das war ein Problem – und zwar eines, das wohl nicht innerhalb kürzester Zeit einfach wieder verschwinden würde. Es war natürlich unerlässlich, dass Eigen zumindest offiziell nicht das Geringste von etwaigen Spannungen innerhalb der Weisungskette seines Flaggschiffs wusste, dessen war sich Clegg bewusst. Aber er hatte ihr dezent und doch unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er von ihr erwartete, ihre Leute besser im Griff zu haben.

Zu recht. Für Idioten hatte Clegg noch nie sonderlich viel übrig gehabt, und sie hatte sich auch nur äußerst selten darum bemüht, sich das nicht anmerken zu lassen.

Doch in den drei Wochen, die vergangen waren, nachdem Eigen das Kommando über Kampfgruppe Aegis zugefallen war, musste er ganz eigenständig zu dem Schluss gekommen sein, Bertinelli falle tatsächlich in genau diese Kategorie. Ganz offensichtlich glaubte dieser Mann allen Ernstes, die Brücke der Vanguard sei sein ganz persönliches Territorium – und ebenso offenkundig war, wie sehr er es der Kommandantin verübelte, von ihr in die Operationszentrale des Schiffes verbannt worden zu sein.

Clegg wusste noch nicht einzuschätzen, ob Bertinelli prinzipiell Veränderung ablehnte oder weil ihm auf diese Weise die Gelegenheit verwehrt wurde, vor den Augen seines neuen Verbandskommandeurs zu glänzen. Beides warf kein gutes Licht auf ihn.

»Danke, Commander«, entgegneten Admiral Eigen ruhig. »Ich habe die verstrichene Zeit im Blick.«

»Jawohl, Sir.«

Wieder verzog Clegg das Gesicht. Ein verbaler Treffer voll auf die Zwölf, und Bertinelli hatte es wahrscheinlich noch nicht einmal bemerkt.

Trotzdem fragte sie sich, ob sie sich nicht selbst in diese Lage gebracht hatte, zumindest teilweise: Vielleicht hätte sie ihren Vorgesetzten erklären sollen, warum sie die Besetzung der Gefechtsstationen verändert hatte. Der jüngst erfolgte Angriff nämlich war ein unerwarteter Leistungstest gewesen und hatte eines deutlich gezeigt: Die bisherige Vorgehensweise der Royal Manticoran Navy, sämtliche Leitenden Offiziere auf der Brücke zu konzentrieren, beschwor Katastrophen geradezu herauf. Die Schäden und Verluste während des Gefechts hatten belegt, wie unerlässlich es war, die Ressortoffiziere eines Schiffes so großflächig wie irgend möglich zu verteilen, um sicherzustellen, dass selbst dann noch jemand vor Ort war, der das Kommando übernehmen konnte, wenn die Brücke einen direkten Treffer erlitt.

Eigen hatte Cleggs Lageanalyse und auch deren Lösung dafür zugestimmt, und er hatte ihr auch versichert, früher oder später werde der gesamte Rest der Navy zum gleichen Schluss kommen. Bislang jedoch war das nicht geschehen. Und was noch bedauerlicher war: Auch Bertinelli war dieser Argumentation bislang noch nicht gefolgt.

Der Mann musste dringend eine paar goldene Worte zum Thema ›Karriere bei der Navy‹ zu hören bekommen! Aber hier und jetzt war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort dafür.

»Bereitschaftsstatus, Captain?«, erkundigte sich Eigen.

»Die Schiffe sind zur Gefechtsformation zusammengezogen, Sir«, meldete Clegg in aller Förmlichkeit, sobald sie sich ihrem Vorgesetzten zugewandt hatte. »Impeller sind in voller Bereitschaft.«

»Gut.« Eigens Lächeln wirkte freudlos. »Gewiss werden unsere Besucher in angemessenem Rahmen überrascht sein, wenn wir unsere Keile hochfahren und die Transponder aktivieren.«

Einen Moment lang fragte sich Clegg, ob seine letzten Worte eine dezente Kritik an ihrer Entscheidung wären, die Transponder von Kampfgruppe Aegis deaktiviert zu lassen. Die Dienstvorschriften verlangten nämlich, nachdem die Schiffe auf Alarmstufe zwo gegangen waren, maximale Sendeleistung anzulegen. Sie öffnete schon den Mund, um zu einer Erklärung anzusetzen …

»Es ist immer gut, eine Überraschung in der Hinterhand zu haben«, setzte der Admiral hinzu. »Wie ist der Status des Flaggschiffs?«