Der Blutjäger - Ed O'Connor - E-Book
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Der Blutjäger E-Book

Ed O'Connor

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Beschreibung

Zwei Detectives, die allein gegen das Verbrechen stehen: Der abgründige England-Thriller »Der Blutjäger« von Ed O’Connor jetzt als eBook bei dotbooks. Detective Inspector Alison Dexter ermittelt in Cambridgeshire in einem Fall von illegalen Boxkämpfen, als einer der Männer brutal getötet wird. An seiner Leiche entdeckt Alison seltsame Bissspuren – die von einem Menschen zu stammen scheinen! Schon bald regt sich in ihr der dunkle Verdacht, dass der geflüchtete Täter kein Fremder ist: Vor einigen Jahren war sie in London schon einmal einem Monster in Menschengestalt auf der Spur – die Bilder von seinen Opfern hat sie nie vergessen. Alison ist fest entschlossen, den Killer nun endlich zu stoppen, aber mehr und mehr beschleicht sie das Gefühl, niemandem mehr trauen zu können. Auch nicht ihrem alten Kollegen John Underwood, der immer öfter einfach verschwindet – und ihr doch wie ein Schatten überall hin zu folgen scheint … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Psycho-Thriller »Der Blutjäger« von Ed O’Connor ist der spannungsgeladene Abschluss seiner »Underwood und Dexter«-Reihe. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 448

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Über dieses Buch:

Detective Inspector Alison Dexter ermittelt in Cambridgeshire in einem Fall von illegalen Boxkämpfen, als einer der Männer brutal getötet wird. An seiner Leiche entdeckt Alison seltsame Bissspuren – die von einem Menschen zu stammen scheinen! Schon bald regt sich in ihr der dunkle Verdacht, dass der geflüchtete Täter kein Fremder ist: Vor einigen Jahren war sie in London schon einmal einem Monster in Menschengestalt auf der Spur – die Bilder von seinen Opfern hat sie nie vergessen. Alison ist fest entschlossen, den Killer nun endlich zu stoppen, aber mehr und mehr beschleicht sie das Gefühl, niemandem mehr trauen zu können. Auch nicht ihrem alten Kollegen John Underwood, der immer öfter einfach verschwindet – und ihr doch wie ein Schatten überall hin zu folgen scheint …

Über den Autor:

Ed O’Connor lebt in Hertfordshire, England, und arbeitet als Dozent für Geschichte in St. Albans. Er studierte in Oxford und Cambridge, danach arbeitete er mehrere Jahre in London und New York als Investmentbanker.

Bei dotbooks veröffentlichte Ed O’Connor seinen Psychothriller »Der Ritualmörder« sowie seine Underwood-und-Dexter-Reihe mit den Thrillern:

»Der Augenräuber«, Band 1

»Der Kopfsammler«, Band 2

***

eBook-Neuausgabe Juni 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2007 unter dem Originaltitel »Primal Cut« bei Allison & Busby, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Mit eiskalter Klinge« bei Lübbe.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2007 by Ed O’Connor

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2007 Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: © HildenDesign unter Verwendung mehrer Motive von Shuterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-227-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Ed O’Connor

Der Blutjäger

Thriller

Aus dem Englischen von Marion Sohns

dotbooks.

Für Esme Rose O’Connor

Wir sind nur Randfiguren –geboren, unsere Ressourcen zu verzehren.

Horaz, »Episteln«

Teil IHIRNBREI

Kapitel 1

Leyton, East London

Dezember 1995

Hirnbrei war ein überliefertes Heilmittel. Die alten Frauen aus Silvertown wussten davon ebenso zu erzählen wie die Fleischträger aus der Markthalle in Smithfield. Ein Arzt würde die Nase rümpfen – aber was wissen Ärzte schon? Bücher konnte jeder lesen, Wissen jedoch ist nicht gleich Weisheit.

Die Cockney-Frauen pflegten die Hirnanhangdrüse zu Brei zu zerdrücken und als Aufstrich auf Toast zu streichen. Es sei ein vortreffliches Mittel gegen Geisteskrankheiten und halte den Verstand auf Trab, sagten sie. Vor der Ära des Staatlichen Gesundheitswesens und der bunt gemischten Pillencocktails moderner Psychiatrie waren derartige Rezepturen im East End gang und gäbe. Sie wurden beim Plausch von Haustür zu Haustür und in schummrigen Kneipen als Anekdoten weitergereicht. Sie wurden von der Mutter an die Tochter, vom Vater an den Sohn weitergegeben.

Auch bei den Garrods hatte die moderne Wissenschaft versagt. Für Bartholomäus war das Verabreichen von Hirnbrei eine pure Verzweiflungsmaßnahme. Es gab allerdings Variationen: Mit gekochten Kartoffeln, Milch und Öl vermischt schmeckte die Masse zum Beispiel leicht nach Cornedbeef. Er hoffte, die fremde Hirnchemie werde die Tobsuchtsanfälle, Gedächtnis- und Verhaltensaussetzer seines Bruders lindern. Raymonds Anfälle wurden zur wachsenden Belastung, die ärztlich verordneten Medikamente zeigten keine Wirkung. Bartholomäus wusste, dass sein Bruder ständiger Aufsicht bedurfte, sträubte sich jedoch dagegen, ihn in ein Pflegeheim zu geben. Darüber hinaus ließ die Regierung überall im Land psychiatrische Kliniken schließen – er hatte diesbezüglich Informationen eingezogen. Ray würde innerhalb der Gemeinde versorgt werden müssen.

Bartholomäus versuchte, optimistisch zu sein. Dieser neue Brei war stärker, gehaltvoller als der, den er seinem Bruder früher verabreicht hatte. Die enthaltene Hirnanhangdrüse stammte nicht von Rindern.

»Zieh dein Lätzchen an, Ray. Kein Geklecker heute.«

»Ja, Bollameo«, erwiderte Raymond Garrod, unfähig, den komplizierten Namen seines Bruders korrekt über die Lippen zu bringen. »Glaub, den Brei hast du mir schon mal gemacht.«

»So einen ähnlichen. Der hier ist noch besser, noch gesünder.«

Mit einem Löffel gab Bartholomäus Garrod eine üppige Portion Brei auf den Teller seines Bruders. Ray mampfte selig vor sich hin. Öl rann von seinem Kinn.

»Schmeckt gut«, grinste Ray zwischen zwei Löffeln.

Seinem Bruder beim Essen zuzusehen weckte auch Bartholomäus’ Appetit. Plötzlich verspürte er einen Heißhunger auf Steak. Er ließ Ray allein am Tisch zurück und eilte die schmale Stiege zum Vorratsraum der Metzgerei hinab. In der Gefrierkammer knipste er das Licht an.

Eine Stunde zuvor hatte Bartholomäus ein paar unverkaufte Rindersteaks auf der Ablage im rückwärtigen Teil der Kammer deponiert. Sie waren noch nicht gefroren. Bartholomäus nahm das größte, das er finden konnte, und fuhr mit der Zunge über die Oberfläche des Fleisches. Der Geschmack nach Rinderblut war unverkennbar. Rind mochte er am liebsten. Rind hatte etwas Edles. Es gab ihm Kraft. Hühnerfleisch steigerte seine Schnelligkeit und sein Reaktionsvermögen. Schwein gab ihm Mut. Aber Rindfleisch – Rindfleisch verlieh ihm Macht.

An der Wand der Gefrierkammer lehnte der enthauptete Körper der Frau, die er getötet hatte. Der größte Teil ihres Blutes war durch den Abfluss in der Mitte des Raumes geflossen, nur auf dem Boden zu ihren Füßen war eine gefrorene Lache zurückgeblieben. Bartholomäus blickte nachdenklich auf die Leiche. Er war seit jeher von Tod umgeben gewesen. Sie war für ihn lediglich ein weiterer Kadaver, ein kopfloser. Ihre Präsenz in seiner Gefrierkammer konnte allerdings problematisch werden. Die Stadt führte oft Stichproben in Metzgereien durch und ließ übel beleumundete Geschäfte schließen. Bartholomäus wollte den guten Ruf von GARROD UND SÖHNE, FAMILIENMETZGEREI nicht aufs Spiel setzen. Darüber hinaus war es vermutlich unhygienisch.

Er schlug die Tür zur Gefrierkammer zu und stieg wieder nach oben. Die Allgemeinheit hatte sich die Erinnerung an Hirnbrei und an andere Grausigkeiten bewahrt. Die Leute sprachen noch immer vom »Flotten Jack«, der einst die Huren von Whitechapel aufgeschlitzt hatte. Man erinnerte sich an die Feuersbrunst von 1940, bei der hunderte auf dem Silvertown Way den Tod gefunden hatten. Selbst der »Bermondsey Horror« und die Verbrechen des John Christie waren nicht vergessen.

Jetzt gab es eine neue Geschichte zu erzählen. Der Leyton Ripper ermordete Menschen wegen ihres Fleisches.

Teil IIHUNDEKAMPF

Kapitel 2

Mittwoch, 9. Oktober 2002

Es war ein brutaler Kampf gewesen. Fast dreißig Minuten hatten die beiden Staffordshire-Bullterrier sich knurrend ineinander verbissen. Jetzt war Rampage tot, und die Zuschauer brachen auf. Keith Gwynne kletterte über die behelfsmäßige Holzabsperrung in die Arena, die einen Durchmesser von etwa sechs Metern hatte und durch ein silbernes Klebeband in zwei Hälften geteilt worden war. Damit die Hunde besser Halt fanden, war der Boden mit Teppichboden ausgelegt.

Gwynne kniete sich neben den Körper seines toten Tieres. Zu Beginn hatte Rampage eine erbärmliche Vorstellung hingelegt. Die große Arena und die Schreie des Publikums hatten ihn verunsichert. Nervös und gereizt war er von der Mittellinie zurückgewichen. Einen Moment lang hatte Gwynne gebangt, ob sein neuer Fighter seine Erwartungen überhaupt erfüllte. Aber nachdem ihre Halter den Ring verlassen hatten, waren die beiden Hunde mit ungebremster Wut aufeinander losgegangen. Für Gwynne lag im Hundekampf – von der potenziellen Einkommensquelle einmal abgesehen – etwas Erhabenes. In der sterilen Welt der Supermärkte und Fernseher, Tragetüten und Überwachungskameras vermittelte ihm sein blutiges Hobby das Gefühl, noch lebendig zu sein.

Rampage hatte seine Sache gut gemacht, aber letztlich hatte die körperliche Überlegenheit von Bob Woollards Pitbull den Kampf entschieden. Woollards Hunde waren nicht ohne Grund berühmt: Sie waren besser trainiert und bekamen besseres Futter als die meisten ihrer Konkurrenten. Gwynne hob den schweren Kadaver seines Hundes auf und steckte ihn in einen schwarzen Müllsack.

»Alles in allem hat sich der kleine Bastard wacker geschlagen, was?«, bemerkte Bob Woollard von der anderen Seite der Absperrung. »Zuerst dachte ich, der bepisst sich vor Angst.«

Gwynne verknotete die Tüte und blickte hoch. »Die Lichter ham ihn nervös gemacht. War sein erster Kampf im Ring. Er hat bis jetzt bloß ’n paar kleine Fights hinter sich gebracht, aber nie in ’nem Ring von der Größenordnung.«

»Trotzdem – war ’n wackerer Bursche«, räumte Woollard ein. »Hat’s dem alten Gizmo ordentlich gegeben.« Gizmo war Woollards Lieblingshund – ein Preiskämpfer, und über tausend Pfund wert.

»Wie gewonnen, so zerronnen.« Gwynne versuchte sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Nehm an, du willst deinen Gewinn kassieren?«

»Bist ’n wahrer Gentleman, Keith.« Woollard kletterte über die hölzerne Absperrung, um seinen Gewinn einzustreichen.

»Vierhundert, korrekt?«

»Korrekt.«

Gwynne zog ein Bündel Banknoten aus seiner Jackentasche und zählte die verlangte Summe ab. »Wenn das so weitergeht, werd ich mir wohl ’n anständigen Job suchen müssen.«

»Na, das wär’s doch mal!« Woollard grinste. »Die Zeiten sind für keinen von uns leicht, Keith. Wie viel Einkommensteuer haben du und deine Kumpels letztes Jahr eigentlich gezahlt, hm? Hab manchmal den Eindruck, als würd ich die gesamte britische Regierung allein finanzieren.«

»Dass ich nich’ lache. Ihr verdammten Farmer sahnt doch kräftig ab«, brummte Gwynne.

»Glaubst du das im Ernst?«

»Klar. Die von der EU bezahlen euch doch heutzutage dafür, dass ihr nix anbaut. Egal, was für ’n genetisch verändertes Unkraut ihr produziert, auszahlen tut sich’s allemal für euch!«

Woollard zuckte mit den Schultern. »Ham sich die Schlauköpfe der EU nun mal so ausgedacht. Aber glaubst du ernsthaft, ich gäb mich mit deinesgleichen ab, wenn ich durch die EU-Agrarpolitik absahnen würd? Ich hab ganz schöne Kosten.«

»Ham wir die nich’ alle?« Gwynne war fertig mit dem Abzählen der Geldscheine und gab Woollard das Bündel in die ausgestreckte Hand. »Immerhin hab ich meinen besten Hund und vier Riesen verloren.«

Woollard musterte Gwynne einen Augenblick. Er verspürte einen unerwarteten Anflug von Sympathie für den Mann. »Das Problem mit euch Zigeunern ist, dass ihr kein System habt.«

»System?«

Woollard steckte sich eine Zigarette an. »Nimm bloß mal den alten Rampage hier. War ’n scharfer kleiner Bastard, als es losging. Hat Courage gezeigt. Der Hund hatte Potenzial.«

»Jetzt nich’ mehr.«

»Weil du ihn nich’ richtig rangenommen hast. Bei dem Kampf heute gab’s einen Moment, wo er’s hätte packen können, aber er hat versagt. Und das is’ deine Schuld, nich’ die des Hundes.«

»Wie meinst ’n das?«

»Wie hast du ihn scharf gemacht?«

»Du meinst, mit welchen Tieren?«

»Yeah.«

»Er hat gegen ’n paar andere Hunde gekämpft.«

»Lass mich raten. Hast ihn auf ’n paar verdammte Pudel oder Cockerspaniels angesetzt. Ich geh jede Wette ein, du hast ihn gegen irgend’n asthmatischen Schoßhund antreten lassen, der so fett war, dass er sich nich’ mal selbst den Arsch ablecken konnte.«

Gywnne wirkte betreten. Woollard lag gar nicht so falsch mit seiner Vermutung. »Was spielt das für ’ne Rolle, wie man sie scharf macht?«

»’n Profiboxer sparrt ja auch nich’ mit ’nem Friseurlehrling. Die trainieren hart. Du musst mit deinem Hund arbeiten. Sein Durchhaltevermögen aufbauen. Ist der einzige Weg, in dem Geschäft Kohle zu machen.«

»Scheint was dran zu sein.«

»Komm mal mit. Lass das Viech hier liegen.« Woollard verließ den Ring und bedeutete Gwynne, ihm zu folgen. Die beiden Männer bahnten sich ihren Weg zwischen den Zechkumpanen – allesamt Woollards Farmarbeiter – hindurch, die dem Kampf zugesehen hatten. Sie verließen die Scheune und gingen über den Stallhof ins Hauptgebäude.

Neben der Treppe im Flur des Hauses stand ein deplatziert wirkender, klobiger Holzschrank. Ein geschmackloses Familienerbstück, wie Gwynne vermutete, doch wie so oft war Woollard wieder mal für eine Überraschung gut. Der Farmer hievte den schweren Schrank beiseite. In der Wandvertäfelung kam eine Tür zum Vorschein. Woollard schloss sie auf und stieg mit Gwynne die Treppe zum Keller hinunter.

»Da wär’n wir, Kumpel.« Der Farmer drehte den Lichtschalter an. »Erstklassige Vorbereitung verhindert ’ne erbärmliche Vorstellung.«

In dem Raum standen fünf Käfige. Zwei beherbergten Staffordshire-Bullterrier, die beiden anderen je einen American Pitbull. Im fünften Käfig war ein mächtiger, bedrohlich wirkender Tosa untergebracht. Die Hunde begannen wütend zu bellen. Gwynne blickte sich in dem Kellerraum um. In einem Regal an der Wand war eine Reihe datierter und mit Ortsangaben beschrifteter Videokassetten untergebracht. Er griff nach einer Kassette mit der Aufschrift GIZMO, ESSEX, JUNI 2002.

»Ich versuch alle Kämpfe aufzuzeichnen«, erklärte Woollard. »Is’ gutes Anschauungsmaterial. Und manchmal kaufen die Leute die Kassetten als Souvenir.«

»Hast du den Kampf heute auch aufgezeichnet?«

»Einer von meinen Jungs hat’s aufgenommen. Wie wär’s mit ’ner Kopie?«

»Nein, danke.« Gwynne trat in die Mitte des Raumes auf ein Trainingsgerät zu. »Is’ das ’ne Tretmühle?«

»Yep. Um die Hunde zu trainieren. Ihr Standvermögen. Steck sie zwei Stunden am Tag da rein. Die Köter werden hart wie Stahl.«

Gwynne schüttelte den Kopf. Ihm dämmerte, dass Woollard recht hatte. Der Mann ging wahrhaftig systematisch vor. Rampage und Gwynnes andere Kandidaten hatten stets unter ihrer Gewichtsklasse trainiert. »Is’ das der Grund für den großen Ring? Weil du weißt, dass deine Tiere mehr Stehvermögen ham?«

»Zum Teil.« Woollard hielt einen Moment inne und überlegte, wie weit er Gwynne ins Vertrauen ziehen sollte. »Allerdings zieh ich da nich’ bloß Hundekämpfe ab.«

»Was meinste denn damit? Sag bloß, du mischst auch beim Bare Knucklei mit?«

»Gelegentlich. Wie wär’s? Lust auf ’ne kleine Herausforderung, Gwynne?«

»Tu mir ’n Gefallen! Ich könnt nich’ mal meine Großmutter k.o. schlagen.«

»Dacht ich mir. Also dann, gehn wir.« Woollard deutete auf die offene Tür. »Und übrigens: Solltest du auf die Idee kommen, irgendjemand zu stecken, was du hier gesehen hast, endest du als Dünger auf meinen Feldern.«

In Gedanken versunken kehrte Gwynne zur Scheune zurück. Er war keineswegs auf den Kopf gefallen und konnte ausgesprochen findig sein – besonders, wenn es um Geld ging.

»Lässt du den Tosa oft antreten?«, erkundigte er sich bei Woollard und dachte dabei an den Kampfhund, den er im Keller gesehen hatte.

»Eher selten. Verdächtige Rasse. American Pitbulls kannst du notfalls als Irish Bullterrier oder so was in der Art durchgehen lassen. ’n Tosa ist zu auffällig. Gibt nich’ viele davon hier in der Gegend.«

»Mit so ’ner Show lässt sich bestimmt kräftig Kohle machen, was?«

Woollard lächelte. »Erzähl mir nich’, dass du ’nen Tosa hast?«

»Nee, aber ich wüsste da jemand. Hat genau so ’nen Tosa wie du. Der Hund ist schon älter, wär aber immer noch gut für ’nen Kampf. Könnte da vielleicht was für dich arrangieren.«

»Aus reiner Gutherzigkeit, nehm ich an.«

»Wohl kaum.«

Woollard runzelte die Stirn. »Weiß nich’ recht. Halte nich’ viel davon, Fremde mit ins Boot zu holen.«

»Und wenn ich die Sache für dich klarmache? Könntest zwei spektakuläre Shows hinternander abziehn. ’n echten Double Headerii!«

»Vergiss es.«

»Dieser Typ, von dem ich rede … Is’ selbst ’n ehemaliger Fighter. Großer, kräftiger Kerl. Wir könnten die Tosas antreten lassen und vielleicht hinterher noch ’nen Bare Knuckle nachschieben.«

Ein Funken Interesse flackerte in Woollards Blick auf. »Was bringt ’n dieser Kumpel von dir auf die Waage?«

»Hundertfünfzehn Kilo – vielleicht mehr.«

Woollard formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. »Hey, Lefty! Komm mal her!«, brüllte er den Zechbrüdern zu, die im Scheuneneingang herumlungerten.

Ein kräftiger Farmarbeiter folgte Woollards Aufforderung. Lefty Shaw war als beinharter Kerl berüchtigt. Gwynne hatte schon von ihm gehört. Shaw genoss seinen Ruf als härtester Kerl von Balehurst.

»Was liegt an, Boss?«, fragte er Woollard, die beiden Männer um Haupteslänge überragend.

»Hab vielleicht ’n Kampf für dich, Lefty. Gwynney hier meint, er weiß ’nen Kontrahenten für dich.«

»Aha?« Shaw starrte auf Gwynne hinunter. »Hoffentlich isser größer als du, Kumpel.«

Gwynne bemühte sich, die Beleidigung zu ignorieren. »Is’ nich’ ganz so groß wie du, aber schwerer, würd ich sagen. Hat ’nen Nacken wie ’n verdammter Baumstamm. Und er is’ in Form. Hat mir erzählt, dass er in London in Pubs angetreten is’.«

»Wie alt?«, wollte Woollard wissen.

»Mitte fünfzig.«

Shaw stieß ein trockenes, freudloses Lachen aus. »’n Rentner.«

»Der Kerl is’ stahlhart. Glaub mir. Würde sich auf jeden Fall für dich lohnen.«

Woollard hatte genug gehört. »Okay, red mit deinem Kumpel. Sagen wir, ’n Einsatz von fünfhundert für die Hunde und ’n Riesen für den Bare Knuckle.«

»Und was is’ mein Schnitt für die Organisation?«

»Wie wär’s, wenn ich dir hundert von dem zurückgeb, was du heute verloren hast?«

Gwynne nickte zufrieden.

»Wir hören dann von dir«, sagte Woollard. »Vergiss deinen toten Köter nich’.«

Gwynne griff nach dem Sack mit Rampage und warf die Überreste des Tieres in den Kofferraum seines Wagens. Es war kurz nach zehn. Wenn er sich beeilte, war er noch vor der Sperrstunde in Heydon. Er wollte George Norlington, der als Logiergast im Dog and Feathers kampierte, einen Vorschlag machen.

Er stieg in seinen Wagen und fuhr los. Die Scheinwerfer seines alten Fiats tasteten sich über den Traktorpfad der Farm und bogen auf die Hauptstraße ab.

Versteckt hinter einer Hecke beobachtete Detective Inspector Mike Bevan, wie der Wagen das Farmgelände verließ, und notierte sich das Kennzeichen. Etwa eine Stunde zuvor war er gezwungen gewesen, seinen Beobachtungsposten auf dem Farmgelände zu verlassen, denn Bob Woollard besaß nicht nur Kampfhunde. Er hielt sich auch einen Rottweiler als Wachhund. Dieses Furcht erregende Tier hatte im Wind Bevans Witterung aufgenommen und drohend in seine Richtung zu bellen begonnen. Gottlob war der Hund angeleint und sein Besitzer im Inneren der Scheune beschäftigt gewesen. Dennoch hatte diese unerwünschte Aufmerksamkeit Bevan zu einem Standortwechsel veranlasst. Mangels Gelegenheit, Fotos vom Treiben in der Scheune schießen zu können, begnügte er sich damit, die Nummernschilder aller Anwesenden zu notieren. Bob Woollards Zeit lief ab. Bevan sammelte Beweismaterial, das den Mann, wie er hoffte, für lange Zeit hinter Gitter bringen würde.

Kapitel 3

Für einen Mittwochabend herrschte im Dog and Feathers reger Betrieb. Der Pub war neuerdings sehr um betuchtere Gäste bemüht: junge Paare und Familien, die bereit waren, ihr Geld in ein Abendessen und Flaschenwein zu investieren, statt sich auf ein paar Pints zu beschränken. Während einige der alten Stammgäste dieser Veränderung mit Befremden begegneten, hätte sie einem Neuankömmling wie George Norlington nicht gleichgültiger sein können. Er saß in einer Ecke des Lokals und studierte die Cambridge Evening News und die New Bolden Gazette. Keith Gwynne entdeckte ihn sofort.

»George, alter Junge! Wie geht’s?«

Der Mann namens George Norlington blickte auf. »Was willst du?«

»Was liest ’n da?«

»’n Artikel über ’ne Psychoklinik, wenn du’s genau wissen willst. Wohin ich von Rechts wegen auch gehört hätte, nachdem ich deinem Kumpel diese elende Schrottkiste abgekauft hab, die ’n Lieferwagen sein sollte.«

Gwynne entging die Feindseligkeit in Norlingtons Bemerkung nicht. Er wollte den Mann auf keinen Fall gegen sich aufbringen. »Komm, ich spendier dir ’n Drink. Wollt dir ’n Vorschlag machen.«

»Hab schon ’n Pint. Spuck aus, was du zu sagen hast, und dann verpiss dich.«

Nervös unterbreitete Gwynne Norlington die Einzelheiten des geplanten Doppelwettkampfes. Norlington hörte schweigend zu.

»Ich lass den Hund nicht mehr kämpfen. Er wird langsam alt«, bemerkte er schließlich.

»Is’ ’ne Stange Geld, George. Willst doch nicht ewig in ’ner runtergekommenen Bude hinter irgendwelchen Pubs hausen, oder?«

Norlingtons Blick war ausdruckslos. »Is’ bloß ’ne Übergangslösung. Werd nicht lange hier bleiben.«

»Du könntest fünfzehnhundert Riesen an ’nem einzigen Abend einsacken. So viel Zeit wirst du doch investieren können.«

»Ich denk drüber nach.«

Gwynne betrachtete Norlingtons riesige Pranken, die auf der Zeitung ruhten. Die Fingerspitzen waren fleckig, dunkle Blutränder hafteten unter den Nägeln. Norlington war ein kräftiger Kerl von fast eins fünfundachtzig. Sein Haar war kurz geschoren und wurde allmählich grau, aber er besaß immer noch eine imposante Statur, hatte muskulöse Arme und einen Stiernacken.

»Du könntst den Bare Knuckle locker gewinnen«, fuhr Gwynne fort. »Lefty Shaw ist zwar groß, aber auch mächtig fett. Der Vorteil der Erfahrung wär auf deiner Seite.«

Norlington kippte den Rest seines Bieres hinunter und stand auf. »Samstag wär okay. Du kümmerst dich um die Einzelheiten. Hol mich Freitagabend hier ab.«

»Geht klar.« Gwynne blickte Norlington nach, als dieser den Pub verließ. Ein paar Zechbrüder, die er beim Hinausgehen anrempelte, drehten sich protestierend um, verzichteten aber auf jeden weiteren Kommentar, als sie die Statur des Mannes bemerkten. Lächelnd bahnte Gwynne sich einen Weg zur Bar und bestellte ein Pint Lager.

George Norlington steuerte über den Hinterhof des Pubs auf die Tür des kleinen Quartiers zu, das er gemietet hatte. Sein Tosa sprang ihm freudig bellend um die Beine, als er die Tür öffnete. Der kleine Raum diente Norlington zugleich als Wohn- und Schlafzimmer. Es war eng und schmutzig, überall türmten sich Stapel alter Zeitungen und dreckiger Kleidung.

Norlington befahl dem Hund, sich in den Pappkarton zu trollen, der dem Tier als Schlafplatz diente, und ließ sich auf das unbequeme Bett zurücksinken. Er dachte über Gwynnes Angebot nach. Die Sache war riskant. Seit Norlington einige Monate zuvor nach Cambridgeshire gekommen war, versuchte er sich möglichst unauffällig zu verhalten. Ein Preiskampf vor Publikum konnte problematisch werden. Andererseits waren fünfzehnhundert Pfund eine ansehnliche Summe. Genug, sich einen falschen Pass zu beschaffen, falls seine Aktionen dies erforderlich machen sollten. Er langte in die Gesäßtasche seiner Hose und zog einen zusammengefalteten Zeitungsausschnitt hervor. Vorsichtig faltete George Norlington das Papier im Dämmerlicht seiner beengten Behausung auseinander. Es war ein Inserat aus dem East London Advertiser. Er starrte eine Zeit lang auf die Worte, dann legte er das Papier zur Seite. Er konnte lange nicht in den Schlaf finden.

Kapitel 4

Donnerstag, 10. Oktober 2002

DI Alison Dexter trat blinzelnd aus dem Bezirksgericht Peterborough ins Sonnenlicht. Es war ein anstrengender Prozess gewesen, der Höhepunkt von fünf Monaten intensiver Polizeiarbeit. Dexter hatte die Ermittlungen geleitet, der Fall hatte an ihren Kräften gezehrt. Einen Moment lang fragte sie sich, ob dies ein Vorgeschmack auf den Rest ihres Lebens war: eine endlose Reihe aufeinander folgender Fälle und jeder davon arbeitsintensiver und aufreibender als der vorherige. Sie verdrängte den Gedanken, bevor er sich zu hartnäckig in ihrem Kopf festsetzen konnte.

Am Fuß der Treppe lauerte ein Pulk Reporter und Kameraleute. Dexter scheute die öffentliche Aufmerksamkeit, die gelegentlich mit ihrem Job einherging. Gewöhnlich mied sie sogar Pressekonferenzen – derartige Aufgaben delegierte sie an untergebene Beamte. Ihr eigenes Gesicht im Fernsehen zu sehen brachte sie in Verlegenheit, und – was noch schwerer wog – es machte sie verletzbar. Und Dexter hatte guten Grund, die Öffentlichkeit zu scheuen.

Dieses Mal kam sie allerdings nicht darum herum.

George Gardiner vom New Bolden Echo bemerkte sie zuerst.

»Sergeant Dexter!«, bellte er, »haben Sie einen Augenblick Zeit für uns?«

Dexter blieb vor ihm stehen und zwang sich zu einem Lächeln. »Inspector Dexter, George. Wenn Sie in Zukunft Ihre Fakten gründlicher recherchieren, winkt Ihnen vielleicht auch eine Beförderung.«

Gardiner grinste. »Können Sie einen Kommentar zu dem Fall abgeben? Bestimmt sind Sie äußerst zufrieden mit dem Ergebnis.«

Wenig begeistert registrierte Dexter, wie die BBC-Kameras auf sie schwenkten. »Ich gebe Ihnen gern unsere offizielle Stellungnahme bekannt: Die Kriminalpolizei von New Bolden ist erfreut über diesen Schuldspruch. Nicholas Braun aus der Gorton Row in Peterborough ist eine Gefahr für jede Frau, und wir hoffen, das für morgen erwartete Strafmaß wird der Schwere seiner Vergehen Rechnung tragen.« Dexter hatte sich das Statement beim Verlassen des Gerichtssaales zurechtgelegt – sie war ausgesprochen erfreut, wie flüssig es ihr jetzt über die Lippen kam.

»Können Sie etwas Näheres zu Mr Brauns Überfällen sagen?«, bohrte Gardiner weiter. »Und können Sie uns beschreiben, wie Sie ihn geschnappt haben?«

»Ich möchte dazu nur so viel sagen, dass er seine Opfer auf brutale Weise in ihren Häusern überfallen hat. Ihnen zu erklären, wie wir Mr Braun als Täter identifiziert haben, wäre zu kompliziert. Lesen Sie das Gerichtsprotokoll, da steht alles drin.« Dexter versuchte vergeblich, sich einen Weg durch die Gruppe der Reporter zu bahnen. Die Fernsehkamera bohrte sich in ihr Profil.

»Inspector Dexter«, fragte eine weibliche Reporterin und hielt ihr ein Mikrofon vor die Nase. »Suzy James von BBC East. Stimmt es, dass Sie DNA-Proben sämtlicher Mitarbeiter einer Fabrik in New Bolden genommen haben?«

»Es ist richtig, dass Mr Braun aufgrund einer DNA-Analyse als Vergewaltiger überführt wurde«, bestätigte Dexter.

»Was würden Sie als Durchbruch in Ihren Ermittlungen bezeichnen?«, setzte Suzy James ihre Befragung fort.

Dexter tat einen tiefen Atemzug. »Zwei Frauen, die von Braun vergewaltigt wurden, besuchten am Nachmittag des Tattages den Hypermarket in der Argyll Street in New Bolden. Beide wurden auf dem Heimweg verfolgt. Braun fiel über sie her, als sie ihre Haustür aufschlossen, und drängte sie ins Haus.«

»Sie haben im Gerichtssaal behauptet, der Tatzeitpunkt der beiden Überfälle sei ein wichtiger Faktor gewesen?«

Dexter wand sich innerlich angesichts der reißerischen Formulierung. Suzy James würde vermutlich niemals einen Pulitzerpreis gewinnen. »Beide Überfälle fanden an einem Wochentag zwischen dreizehn und vierzehn Uhr statt. Was uns Anlass zu der Vermutung gab, dass der Täter in der Nähe arbeitete und die Frauen während seiner Mittagspause überfiel.«

»Warum konnte keines der Opfer ihn identifizieren?«, warf Gardiner ein.

»Wären Sie im Gerichtsaal gewesen, wüssten Sie, dass er eine Maske getragen hat.«

»Genau«, Gardiner schnaubte. »Sie sagten, es habe sich um die Maske einer Comicfigur gehandelt. Würden Sie uns sagen, um welche?«

Dexter schüttelte den Kopf. »Dabei handelt es sich um ein überflüssiges Detail, das Sie vermutlich nur als Sensationsmeldung ausschlachten würden.«

»Wie haben Sie herausgefunden, wo der Täter arbeitet?«, wollte James wissen.

»Unsere forensische Analyse konnte winzige Kupferspuren an den Opfern nachweisen. Mikroskopisch kleine Mengen. Nachforschungen ergaben, dass diese Kupferart für komplexe elektronische Komponenten verwendet wird – was uns veranlasste, nach Maschinenbauunternehmen in der unmittelbaren Umgebung der Argyll Street Ausschau zu halten. Wie Sie wissen, gibt es dort nur ein solches Unternehmen. Wir nutzten die Gelegenheit und nahmen DNA-Proben von sämtlichen Mitarbeitern dieser Firma.«

»Hat Braun seine Probe freiwillig abgegeben?«

»Letztendlich ja.«

Dexter sah, dass Nicholas Brauns Bruder Henry, unbemerkt von den Reportern, von der anderen Straßenseite zu ihr herüberstarrte. Schon während ihrer Aussage im Gerichtssaal hatte sie seinen eindringlichen Blick gespürt. Sein säuberlich gebügeltes Hemd stand in sonderbarem Missklang zu dem rigoros geschorenen Kopf.

»Gibt es eine Verbindung zwischen Braun und anderen ungelösten Sexualdelikten in dieser Gegend?«, wollte James wissen.

Dexter blickte ihr direkt ins Gesicht. »Braun wurde in drei Fällen der Vergewaltigung und neun Fällen der sexuellen Belästigung für schuldig befunden. Es gibt zu diesem Zeitpunkt keinen Anlass, ihn mit anderen Fällen in Verbindung zu bringen.«

»Haben Sie Nicholas Brauns Ehefrau im Rahmen Ihrer Ermittlungen verhört?«, bohrte Gardiner.

»Das haben wir.«

»Wusste sie über das, wessen ihr Mann sich strafbar gemacht hatte, Bescheid?«

»Nein, das tat sie nicht«, log Dexter. »Ich muss jetzt gehen. Die Kriminalpolizei von New Bolden wird morgen nach der Urteilsverkündung eine offizielle Stellungnahme abgeben.«

Es gelang Dexter, sich zwischen den Reportern hindurchzuschieben, um über die Hauptstraße zu ihrem Wagen zu gelangen, der in der Draper Street, einer kleinen Seitenstraße, geparkt war. Eine Fernsehkamera folgte ihr. Während DI Dexter sich erleichtert auf den Fahrersitz ihres Mondeo sinken ließ, sah sie, wie sich die Reportermeute um Henry Braun scharte. Der schien seine plötzliche Popularität zu genießen. Dexter verdächtigte ihn, an den Vergehen seines Bruders beteiligt zu sein, hatte ihm jedoch nichts nachweisen können. Sie versuchte deswegen keine Frustration in sich aufkeimen zu lassen: Nicholas Braun aus dem Verkehr zu ziehen war ein zufrieden stellendes Ergebnis.

Mit aufheulendem Motor verließ Dexter Peterborough in Richtung New Bolden. Zum ersten Mal seit Monaten war sie nicht mit einem Fall beschäftigt, was ihr Gelegenheit zur Selbstbesinnung ließ. Sie öffnete das Seitenfenster und ließ sich den bitterkalten East-Anglia-Wind um die Nase wehen. Die frische Luft erfüllte ihren Zweck. Als Dexter zwanzig Minuten später die Außenbezirke von New Bolden erreichte, schien es ihr, als sei die Erinnerung an die brutalen Taten des Nicholas Braun und die anstrengende Gerichtsverhandlung zumindest vorübergehend aus ihren Gedanken gelöscht.

An diesem Tag würde sie nicht mehr ins Präsidium fahren. Ein freier Abend bedeutete eine zunehmend seltener werdende Annehmlichkeit für Alison Dexter, und so beschloss sie die Gelegenheit zu nutzen. Zuerst würde sie ins Fitness-Studio gehen, sich dann eine Flasche Wein besorgen und sich einen Absturz vor ihrem Guns-’n-Roses-live-at-Wembley-Video gönnen.

Kapitel 5

Fünfzehn Meilen entfernt regelte Keith Gwynne soeben die Einzelheiten für den Double Header mit Bob Woollard. Die Tosas würden zuerst gegeneinander antreten. Das Hauptereignis sollte direkt im Anschluss erfolgen.

»Dass dein Kumpel bloß nich’ kneift«, warnte Woollard am anderen Ende der Leitung. »In dem Fall müsstest nämlich du das Preisgeld ranschaffen.«

Der Gedanke verursachte Gwynne einen Moment lang unangenehmes Herzklopfen. »Er wird da sein, Bob.«

»Hoffentlich is’ er so gut, wie du behauptest. Hab ’n ausgesprochen verwöhntes Publikum eingeladen. Wenn Lefty ihn schon nach zehn Sekunden auf die Matte legt, stellen wir dich in ’n Ring, damit die Jungs auf ihre Kosten kommen.«

»Ich sag dir doch, Bob, dieser Bursche is’ ’n echter Brocken. Der is’ ’n verdammter Riese. Solltest mal seine Pranken sehen.«

»Dass er ’n Monster ist, heißt noch lange nich’, dass er ’n hartes Kinn hat. Hab schon ’ne Menge Fettsäcke gesehn, die nach ihrem ersten anständigen Kampf gleich den Löffel abgegeben ham.«

»Der Bursche is’ nicht fett, vertrau mir, Bob.«

Woollard lachte trocken. »Wer’s glaubt, wird selig, Gwynney.«

Gwynne schwieg einen Moment lang und legte sich seine nächsten Worte vorsichtig zurecht. »Bob, du erinnerst dich, dass du mir ’n Hunderter dafür versprochen hast, dass ich die Sache für dich klarmach?«

»Logo, aber glaub bloß nich’, dass mehr für dich drin is’.«

»Ich weiß, schon klar. Hab mich bloß gefragt, ob du vielleicht Interesse dran hättest, ’ne Wette auf die Summe abzuschließen.«

»Du lernst es nie, was Keith? Spuck’s schon aus! Worauf willst du hinaus?«

»’ne einfache Wette. Ich setz den Hunderter drauf, dass mein Bursche Lefty schlägt. Du bietest mir ’ne Quote. Wenn ich gewinne, zahlst du mir den Anteil plus die Quoten. Verlier ich, brauchste mir gar nichts zu zahlen.«

»Wie kann ich Quoten auf ’nen Kämpfer bieten, den ich noch nie gesehn hab?«, erwiderte Woollard.

»Dein Vertrauen in den guten alten Lefty sollte für den Deal genügen, oder?«

»Er hat mich noch nie hängen lassen«, überlegte Woollard. »Okay, ich biete dir den doppelten Einsatz auf deinen Burschen, wenn er Lefty k.o. schlägt.«

»Is’ nich’ gerade ’n großzügiges Angebot. Hast gerade gesagt, dass er noch nie geschlagen wurde.«

»Nimm’s oder lass es.«

»Okay, ich schlag ein.«

Als Gwynne den Hörer auflegte, fragte er sich, ob seine Entscheidung richtig gewesen war. In gewisser Weise hatte Woollard recht: Er war ein Zocker. Das Wettfieber hatte ihn fest im Griff. Er konnte keiner Gelegenheit widerstehen, sein Geld aus dem Fenster zu werfen. Andererseits hatte er George Norlington zwei Wochen zuvor bei der Arbeit auf einer örtlichen Farm beobachtet, wo er beim Stemmen von Hundertkilosäcken mit Viehfutter nicht mal Schweißperlen auf der Stirn gehabt hatte. Der Anblick hatte Gwynne in Ehrfurcht versetzt. Jetzt erfüllte ihn diese Erinnerung mit Zuversicht.

Kapitel 6

Um 18.45 Uhr beendete Alison Dexter ausgepowert ihr Training auf dem Ergometer, das sie seit zwanzig Minuten besetzt hielt. Das Studio hatte sich gefüllt, und abgesehen von ihrer Erschöpfung gingen ihr die anzüglichen Blicke der männlichen Besucher zunehmend auf die Nerven. Außerdem begann das Gerät sie zu langweilen. Sie beschloss aufzubrechen.

Nach einer kurzen Dusche betrat Dexter die Lobby des Sportcenters und zog sich am Automaten ein Lucozade. Aus der großen Halle klangen anfeuernde Rufe herüber. Neugierig erklomm sie die Stufen zur Haupttribüne und setzte sich. In der Halle fand gerade ein Fußballspiel zwischen zwei Damenmannschaften statt. Dexter erfasste rasch, dass in einem Team eine Spielerin fehlte. Als Kind des Londoner East End lag ihr Fußball im Blut. Aber das war nur einer der Gründe, warum eine blonde Spielerin, die das neueste West-Ham-United-Shirt trug, ihre besondere Aufmerksamkeit weckte.

Die beiden Teams spielten recht ordentlich. Dexter kam zu dem Schluss, dass dies vermutlich eine effektivere Trainingsmethode war, als sich auf dem Ergometer vor einem MTV-Monitor abzustrampeln. Während sie ihre Lucozade schlürfte, fragte sie sich, ob sie sich selbst gegenüber ehrlich war.

Als das Spiel beendet wurde und die Spielerinnen sich auf den Weg zu den Umkleideräumen machten, verließ Dexter die Zuschauertribüne. Das Mädchen mit dem West-Ham-T-Shirt stand am Fuß der Treppe und sah ihr entgegen.

»Du spielst nicht auch zufällig Fußball?«, erkundigte sie sich mit unverkennbarem Londoner Akzent.

»Wieso?«, erwiderte Dexter unsicher.

»Uns fehlt eine Spielerin. Hab gesehen, wie du uns zugeschaut hast. Ich dachte, du hättest vielleicht Interesse.«

Dexters Blick wanderte unsicher hin und her. »Ich hab schon eine Weile nicht mehr gespielt.«

»Macht nichts. Ist doch bloß zum Spaß.«

Dexter nickte. »Wie ich sehe, bist du West-Ham-Fan.«

»Mit Haut und Haaren. Und du?«

»Gleichfalls.«

»Nicht wahr!«

»Ich komme ursprünglich aus Walthamstow!«, erklärte Dexter, die sich allmählich für das Thema erwärmte. »Später hab ich in Leyton gewohnt.«

»Wo denn da?«

»In der Wilmot Road.«

»Du nimmst mich auf den Arm!«

»Nein.«

»Ich bin in der Dawlish Road aufgewachsen.«

»Wo die Grundschule ist?«

»Die hab ich als Kind besucht. Ich bin übrigens Kelsi. Kelsi Hensy.«

»Alison Dexter.«

Einen Augenblick lang herrschte verlegene Stille, die beiden Frauen wunderten sich über diese sonderbaren Übereinstimmungen. Kelsi brach schließlich das Schweigen.

»Wie sieht’s aus, Alison? Können wir nächste Woche auf dich zählen? Wir könnten hinterher zusammen was trinken und ein paar West-Ham-Erinnerungen austauschen.«

Dexter überlegte einen Moment. »In Ordnung, abgemacht.«

»Um fünf Uhr hier. Wir spielen immer montags und donnerstags.« Kelsi lächelte. »Bring Schienbeinschoner mit. Manchmal geht’s ein bisschen derb zu.«

»Bis nächste Woche dann.«

»Ich freu mich drauf«, fügte Kelsi Hensy hinzu, während sie bereits die Tür zum Damenumkleideraum öffnete.

Dexter verließ hastig das Sportcenter. Sie befürchtete plötzlich, einen Teil ihres Lebens offenbart zu haben, der sie noch immer schrecklich verletzlich machte. Sie würde ihre Unbedarftheit schon auf dem Parkplatz wieder bereuen.

Kapitel 7

DI John Underwood saß im Besprechungsraum im ersten Stock der Polizeiwache von New Bolden. Er blickte hinab auf das karge Rasenstück und die verwahrlost wirkende Hecke, die sich um das Polizeigelände schloss. Ein kleiner Vogelschwarm flatterte unbekümmert im Laternenlicht herum. Der Anblick entlockte ihm ein Lächeln. Ein tröstlicher Gedanke, dass ein belangloses Universum immer noch Glücksmomente in ihm auszulösen vermochte. Allerdings hatte dasselbe Universum ihm eine Geschwulst im Brustkorbbereich beschert, die, wie er befürchtete, alles andere als belanglos war.

Die Tür ging auf, und DI Mike Bevan vom Scottland-Yard-Sonderdezernat trat ein.

»John! Tut mir leid, dass Sie warten mussten!«

»Kein Problem. Hab ein bisschen Vogelbeobachtung betrieben.«

Vielleicht war es ja nur verhärtetes Gewebe.

»Euer Kopierer muss eine Erfindung von Fred Feuerstein sein. Das Ding braucht zwanzig Minuten, um zehn Seiten zu kopieren.«

Underwood bedeutete Bevan, sich zu ihm an den Tisch zu setzen. »Und – wie war Ihre Nacht im Untergrund? Neue Freunde gefunden?«

»Bloß einen Rottweiler von der Größe eines Ponys.«

Bevan reichte Underwood die Akte, die zu kopieren er die vergangene halbe Stunde gebraucht hatte. Darin befanden sich eine Hand voll unscharfer Fotografien und Bevans getippter Bericht. Underwood betrachtete eins der Fotos, das eine Gruppe Männer zeigte, die, miteinander palavernd, vor einer Scheune standen.

»Erkennen Sie einen davon?«, fragte Bevan.

»Nun ja, Bob Woollard«, antwortete Underwood, »aber das wussten Sie ja schon.« Er wandte sich einer anderen Aufnahme zu, auf der ein schmächtig gebauter Mann einen Müllsack in den Kofferraum seines Wagens hievte. »Das könnte der kleine Wichser Keith Gwynne sein. Von den anderen kann ich keinen erkennen.«

»Ich habe die Zulassung überprüfen lassen. Die Adresse lautet: 3 Simpson Road, Balehurst. Ein altes Gebäude, das zum Gemeindebesitz gehört. Hab auch die Adresse überprüft. Gwynne wohnt nicht mehr dort.«

»Ich kenne Gwynne. Ist ein alter Kunde von uns. Hehler, Dieb, Zocker. Hat überall seine Finger drin, treibt sich überall rum. Wir haben ihn vor zwei Jahren verhaftet, weil er heiße Videorecorder verhökert hat. Er kam mit einer Geldstrafe und Bewährung davon, wenn ich mich recht erinnere. Offen gesagt, wundert’s mich nicht besonders, seine Visage hier zu sehen. Hundekampf – das passt zu ihm. Versuchen Sie’s mal auf der anderen Seite von Balehurst. Ich wette, er lebt da – zusammen mit dem übrigen Abschaum.«

»Werd ich machen. Was wissen Sie über Woollard?«

Underwood lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Der ist schon ein anderes Kaliber. Nach unseren ersten Gesprächen habe ich mir seine Akte mal vorgenommen. Woollard wurde 1992 bei einem Hahnenkampf außerhalb von Cambridge verhaftet, kam aber mit einer Verwarnung und einer Geldstrafe davon. Wir konnten ihm weder nachweisen, dass er die Veranstaltung organisiert hatte, noch dass eins der Tiere ihm gehörte. Das nächste Mal ging er uns wegen Trunkenheit am Steuer ins Netz. Er ist geschieden, was mich nicht weiter wundert. Angeblich hat er seine Frau verprügelt, aber sie wollte unsere diesbezüglichen Erkenntnisse nicht bestätigen.«

Bevan nickte. »Wir sind im Zusammenhang mit einer anderen Sache das erste Mal auf ihn aufmerksam geworden: als wir gegen einen Händlerring in Irland ermittelten, der illegal Pferde nach England verschob. 2001 erhielt der RSPCAiii Hinweise, dass Woollard seine Pferde misshandelte. Angeblich waren die Tiere ständig angepflockt und wurden nicht anständig gefüttert. Das Problem war nur: Immer wenn die dort auftauchten, war nichts dergleichen zu erkennen. Als ob Woollard wusste, dass sie kommen würden.«

»Der Kerl hat teuflisches Schwein, so viel ist klar«, nickte Underwood. »Macht einen auf unschuldig, kennt seine Rechte aber ganz genau. Warum ist der RSPCA an euch herangetreten?«

»Aus zwei Gründen. Erstens: Denen sind juristisch die Hände gebunden. Sie haben nur eingeschränkte Befugnisse. Wir haben da etwas mehr Handlungsfreiheit. Zweitens: Eine ihrer Inspektorinnen hat sich vor sechs Monaten mal auf gut Glück auf Woollards Farm umgetan, als gerade niemand dort war. Als sie seine Scheune etwas genauer unter die Lupe nahm, fiel ihr auf dem Boden ein großes Stück Teppichboden auf. Ihrer Meinung nach waren darauf Blutspuren, aber bevor sie sich vergewissern konnte, ist Woollard aufgetaucht. Er muss ziemlich ausfallend geworden sein, hat sie rumgestoßen und ihr offenbar einen höllischen Schrecken eingejagt. Sie behauptet, er hätte sie gegen die Wand gepresst und sie begrapscht. Die Angelegenheit hatte dann aber kein Nachspiel. Jedenfalls bin ich auf eine Verbindung zwischen diesem irischen Pferdehändlerring und Woollard gestoßen. Und als ich der Sache genauer nachging, stellte sich raus, dass Woollard nicht bloß Pferde misshandelt.«

»Und was für eine Rolle spielt der Teppich dabei?«

»Erfahrene Hundekämpfer benutzen gelegentlich Teppiche in ihren Kampfarenen. Auf so einem Untergrund haben die Hunde besser Halt und können ihrem Gegner mehr Schaden zufügen. Gibt dem Spektakel noch mal ’nen zusätzlichen Kick.«

»Und man kann den Teppich nach dem Kampf verschwinden lassen, um sich die verräterischen Blutspuren vom Hals zu schaffen«, fügte Underwood hinzu.

»Genau«, nickte Bevan. »Nur dass Woollard in diesem speziellen Fall offenbar etwas nachlässig war. Und dadurch kamen wir dann ins Spiel.«

»Habt ihr genug gegen ihn in der Hand für einen Durchsuchungsbefehl?«

»Noch nicht. Diese Fotos beweisen leider nichts. Ich konnte nicht näher ran, weil der verdammte Rottweiler den ganzen Laden zusammengekläfft hat.«

Underwood dachte einen Moment nach und blickte wieder auf das Foto von Keith Gwynne. »Er ist die Schwachstelle. Gwynne ist ein kleiner Fisch und nicht besonders helle. Der Kerl hat kein Rückgrat. Wir könnten ihn uns schnappen und ihm ein bisschen die Hölle heißmachen.«

»Wir haben nichts Konkretes gegen ihn in der Hand. Sobald wir ihn wieder laufen lassen, hängt er sich an die Strippe und warnt Woollard, dann haben wir uns die Chance vermasselt, mehr herauszufinden.« Bevan überlegte einen Augenblick. »Wo hat Gwynne seine Finger sonst noch drin?«

Underwood zuckte mit den Schultern. »Was immer Sie wollen. Er motzt alte Karren auf und verhökert sie. Eine Zeit lang ist er mit einem frisierten Krankenwagen aus den Fünfzigern rumgefahren. Wie ich schon sagte, der Bursche ist ’n aalglatter Windhund.«

»Gehört er zu den Pikeys?«

»Das ist richtig.«

Bevan kratzte sich am Kopf. »Hat er Ponys? Die meisten von diesen Zigeunern halten sich welche.«

»Bin mir nicht sicher.«

»Überprüfen wir das. Wenn er welche hat, könnte ich ihm vielleicht ein wenig näher auf die Pelle rücken. Allerdings brauche ich Ihre Hilfe. Es wäre nicht schlecht, wenn Sie mir für den Tag ein paar von Ihren Leuten zur Seite stellen könnten.«

»Dürfte kein Problem sein. Jetzt, wo wir diesen Braun hinter Gitter gebracht haben, sollten ein paar Uniformierte übrig sein, die sich gern mal einen Pikey vorknöpfen.«

»Gut. Ich fahre nach Balehurst rauf und tu mich dort ein bisschen um, damit die Leute sich schon mal an mein Gesicht gewöhnen.«

»In Ordnung. Ich stelle Ihnen zwei Streifenbeamte zur Seite. Inwieweit kann ich sie einweihen?«

»So wenig wie möglich.«

»Verstehe.«

Bevan erhob sich vom Tisch und schüttelte Underwood die Hand. »Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen, John.«

»Um ganz ehrlich zu sein, Mike, bin ich ganz froh, bei der Sache dabei zu sein. Bekomme im Moment kaum was von Belang auf den Tisch.«

»Die berühmte Inspector Dexter?«

»Ich dümple sozusagen in ihrem Windschatten dahin.«

»Hab ein bisschen was über sie gehört. War früher bei der Metropolitan Police in London, oder? Soll ziemlich Haare auf den Zähnen haben.«

Underwood musste lächeln, als er sich vorstellte, wie Dexter bei Bevans Beschreibung explodiert wäre. »Ein Opfer ihres eigenen Erfolgs«, bemerkte er.

»Ich werde behutsam vorgehen.« Bevan zwinkerte Underwood zu, als er den Raum verließ.

Underwood verspürte ein schlechtes Gewissen, weil er sich über Dexter lustig gemacht hatte. Ihr die Schuld für seinen Frust in die Schuhe zu schieben wäre zu einfach gewesen. Dass sein Schützling ihn überflügelt hatte, war frustrierend, aber er konnte einzig sich selbst für seinen mangelnden Erfolg verantwortlich machen. Sein Blick fiel aus dem Fenster auf die Grünfläche vor der Wache. Die Vögel waren davongeflogen.

Kapitel 8

Alison Dexters Interview mit Suzy James wurde an diesem Abend in den Lokalnachrichten gesendet. Kelsi Hensy starrte verblüfft auf das Gesicht ihrer neuen Mannschaftskameradin, das vor ihr auf der Mattscheibe erschien. Sie hielt beim Abendessen inne und verfolgte die Nachrichtensendung aufmerksamer als gewöhnlich. Dexter wirkte vor der Kamera verunsichert, aber auch attraktiv. Wie gebannt beobachtete Kelsi, wie die Kamera Dexters Schritte bis zu ihrem Wagen verfolgte. Dann erschien die grimmige Visage von Henry Braun auf der Mattscheibe, der mit seinem auffälligen, vergilbten Gebiss alles andere als attraktiv wirkte.

»Hier liegt ein Justizirrtum vor«, knurrte Henry Braun in die Kamera. »Mein Bruder wurde das Opfer einer Hexenjagd der Kriminalpolizei von New Bolden. Das Verhalten von Inspector Dexter und ihrem Team ist ’ne wahre Schande. Wegen dieser arroganten Bullenschnepfe wurde heute ein Unschuldiger verurteilt.«

In einem anderen Teil von Cambridgeshire verfolgte noch jemand interessiert die Nachrichten. George Norlington saß in seiner verwahrlosten Absteige zwischen Zeitungsstapeln und stinkendem Hundefutter und starrte schweigend auf den Bildschirm.

Kapitel 9

Freitag, 11. Oktober 2002

Um 11.15 Uhr am darauf folgenden Vormittag wurde Nicholas Braun wegen drei Raubüberfällen und einer Reihe von Sexualdelikten zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. In der hintersten Reihe des dicht besetzten Gerichtssaales ballte Dexter triumphierend die rechte Hand zur Faust. Das Urteil war eine Bestätigung ihrer Anstrengungen. Doch unmittelbar darauf verspürte sie quälende Schuldgefühle. Zwölf Jahre waren für Brauns Opfer, jene Frauen, deren Leben er zerstört hatte, nur schwerlich von Bedeutung. Dexter fragte sich, wie sie so unsensibel hatte werden können. Früher hätte sie ihre brutale Kindheit dafür verantwortlich gemacht, doch mit der Zeit war sie des Selbstmitleids überdrüssig geworden. Vielleicht war es tatsächlich der Job, der ihre Gefühle langsam abstumpfen ließ. Sie musste an John Underwood denken, den dieser Beruf beinahe zerstört hatte. Wahrscheinlich machte auch sie allmählich eine Persönlichkeitsveränderung durch. In was für eine Art Mensch mochte sie sich wohl verwandeln? Die Frage beunruhigte sie.

In sonderbarer Stimmung fuhr Dexter zur Wache nach New Bolden zurück. Ausnahmsweise vergaß sie ihre Pläne für den Tag. Ihre Gedanken kreisten um Kelsi Hensy und die emotionale Verwirrung, die die Frau in ihr ausgelöst hatte. Alison Dexter war hin- und hergerissen. Sie war stets darauf bedacht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, sie zu zügeln; aus dieser Form der Selbstbeherrschung schöpfte sie ihre intellektuelle Energie, aber sie machte auch einsam. Ihr Verlangen nach Information war ihre größte Stärke und ihre ärgste Schwäche. Sie war darauf angewiesen wie auf eine Droge. Jede ihrer Entscheidungen beruhte auf dem kühlen Abwägen von Informationen. Dexter kam zu dem Schluss, dass sie mehr über Kelsi Hensy in Erfahrung bringen musste.

Auf der Wache in New Bolden nickte Dexter Underwood durch die Glaswand zu, die ihre beiden Büros voneinander trennte. Sie empfand diese Form der Transparenz stets als aufdringlich, deshalb hatte sie ihren Computerbildschirm so platziert, dass er Underwoods Blick entzogen war. Dexter loggte sich ein, wartete einen Moment, während das System hochfuhr, und rief dann die Onlinedatei der Polizei von Cambridgeshire auf. Innerhalb weniger Minuten hatte sie sich davon überzeugt, dass gegen eine Person namens Kelsi Hensy nichts vorlag.

Beschämt über sich selbst, aber unfähig aufzuhören, versuchte Dexter es mit einer anderen, geläufigeren Informationsquelle. Sie gab »Kelsi Hensy« als Suchkriterium in eine Internet-Suchmaschine ein.

Es wurden siebenundzwanzig Suchergebnisse angezeigt. Dexter überflog die Liste, bis ihr Blick an der Schlagzeile eines Computermagazins hängen blieb: ComBold ernennt neuen Leiter der Kommunikationsabteilung. Dexter klickte den dazugehörigen Link an und studierte sorgfältig den Artikel, der auf ihrem Bildschirm erschien.

Das in Cambridgeshire ansässige Unternehmen für Internetsicherheit ComBold hat Kelsi Hensy zur Leiterin der Kommunikationsabteilung ernannt. Es handelt sich um eine innerbetriebliche Beförderung. Miss Hensy war zuvor in einer untergeordneten Funktion innerhalb des Kommunikationsressorts tätig.

Dexter scrollte zum Ende der Seite. Neben einem kleinen Foto, das Kelsi Hensy in ihrem neuen Büro bei ComBold zeigte, standen ihre Kontaktdetails. Dexter notierte sich die Daten auf ihrem Notizblock. Es klopfte an der Tür. Ohne aufzublicken schloss sie rasch die Internetverbindung. Kelsi Hensys lächelndes Gesicht verschwand von ihrem Bildschirm. Als Dexter den Kopf hob, stand Underwood bereits in ihrem Büro.

»Ein echter Erfolg heute«, tastete er sich vor.

»Kann man wohl sagen. Gut, dass wir den Burschen aus dem Verkehr gezogen haben«, erwiderte Dexter lächelnd.

Underwood glaubte so etwas wie Schuldbewusstsein aus ihrer Miene zu lesen. Dexter lächelte sonst nie. Aber er hakte nicht weiter nach. »Ich habe mich gestern mit Mike Bevan getroffen.«

»Kommt er mit seinen Ermittlungen voran?«

»Mehr oder weniger. Er hat um ein paar Ihrer Ressourcen gebeten.«

»Okay.«

Jetzt war Underwood sicher, dass irgendetwas im Busch war. Dexter hütete ihre internen Ressourcen gewöhnlich wie ihren Augapfel, dennoch hatte sie seiner Bitte widerspruchslos stattgegeben. Underwood beobachtete Dexters Privatleben schon seit Längerem. Vor sich selbst rechtfertigte er sein Handeln damit, dass er sich verantwortlich für sie fühlte. Die bittere Wahrheit war jedoch, dass er nichts anderes besaß, womit er sein trübseliges Dasein füllen konnte. Irgendetwas hatte Dexter eindeutig aus der Fassung gebracht. Er würde sich bemühen, es herauszufinden.

Kapitel 10

Leyton, East London

Dezember 1995

Überrascht nahm Alan Moran wahr, dass er noch lebte. Zuerst spürte er die Kälte, seine rechte Körperhälfte fühlte sich wie erstarrt an. Es war dunkel, und er schien mit dem Rücken an der Wand eines Kühlraumes zu stehen. Seine ungewohnte Körperhaltung verwirrte ihn. Er versuchte sich zu bewegen, bis er merkte, dass eine Art Hundehalsband seine Kehle umschloss, das einen unangenehmen Druck ausübte.

Allmählich gewöhnten Alans Augen sich an die Dunkelheit. Von seinem Halsband führte ein Seil nach oben. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Alan kämpfte gegen die aufsteigende Panik an. Er war ein Exsoldat. Er versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Erinnerung an den vergangenen Abend tauchte lückenhaft aus den Tiefen seines Bewusstseins empor. Der Nachtclub hatte um zwei geschlossen. Danach hatte er noch einen Drink mit den anderen Türstehern genommen, bevor er sich über die Church Road auf den Weg zur Kreuzung Leyton High Street gemacht hatte. Dort war er nach links in Richtung Midland Road Station abgebogen. Er erinnerte sich noch an den stechenden Geruch nach der Pisse der Leytoner Obdachlosen in der Unterführung der Eisenbahnlinie und an das Geräusch einer zuschlagenden Autotür. Nach dem Überqueren der High Road hatte er den Weg zu seiner Wohnung in Abbots Park eingeschlagen. Hier endeten seine Erinnerungen.

Hatte er einen wichtigen Gast beleidigt? Irgendeinen kleinen Wichser vor dem Club abgewiesen, weil er seine Bedeutung verkannt hatte? Das East End hatte sich im Laufe seines Lebens gravierend verändert, aber es gab immer noch ein paar Figuren, denen man besser nicht auf den Schlips trat. Vielleicht hatte er einen von der Cowans-Sippe beleidigt? Oder einen der Moules? War das hier die Rache dafür? Alan zerrte an seinen Fesseln.

Plötzlich ertönte von draußen durchdringendes, schrilles Geschrei. Das Geräusch wurde lauter und durch Faustschläge gegen die Stahltür verstärkt. Dann vernahm Alan eine beschwichtigende, teils mahnende Männerstimme. Das Geschrei brach ab. Ein Riegel auf der anderen Seite der Tür wurde zurückgeschoben. Gleißend helles Lampenlicht erfüllte den Raum.

Ray Garrod rannte auf Moran zu und hüpfte erregt vor ihm auf und ab.

»Gib mir den Stift, Bollameo. Lass mich die Striche machen. Du hast’s mir versprochen.«

Alan Moran musterte die massige Gestalt, die in der Tür stand.

»Hör mal, Kumpel«, presste er hervor. »Hier muss ein Missverständnis vorliegen.«

Bartholomäus Garrod trat auf ihn zu. Aus der Nähe erkannte Alan vage die großflächige, zerfurchte Visage wieder, die ihn ausdruckslos anstarrte.

»Ich weiß nicht, für wen du arbeitest, aber ich habe nichts getan.« Alan sah jetzt, dass man ihn in einer großen Kühlkammer eingesperrt hatte. Rechts und links von ihm hingen Rinder- und Schweinehälften, und in den rundum angebrachten Regalen wurden Würste, Koteletts und Steaks aufbewahrt.

Bartholomäus Garrod erwiderte nichts. Er reichte seinem Bruder einen wasserfesten Markerstift, von dem er vorsorglich die Kappe abdrehte, weil er wusste, dass Ray damit Probleme hatte. Ray Garrod vermochte seine Erregung kaum zu zähmen. Mit der linken Hand packte er Alans Kopf, mit der rechten zog er zwei diagonale Linien über Alans Stirn, die sich genau in der Mitte kreuzten. Bartholomäus betrachtete das sorgfältige Kunstwerk seines Bruders. Morans Stirn erinnerte ihn jetzt an die schottische Flagge.

»Was soll das?«, stieß Moran verblüfft und verängstigt hervor. Er hatte mal einen Trip nach Nordirland gemacht und Storys darüber gehört, was IRA-Greiftrupps mit Deserteuren anstellten. Er verspürte wenig Lust, ein Auge, eine Kniescheibe oder seine Eier zu verlieren.

Bartholomäus Garrod hob das Schlachtbeil, das er in der rechten Hand hielt. Der Stahlkopf war auf einem Holzstiel befestigt, die Kante messerscharf gewetzt. Bartholomäus setzte die Spitze der Beilklinge auf den Schnittpunkt der beiden Linien auf Morans Stirn.

»Wird nicht sonderlich wehtun. Im Gehirn gibt’s kein Schmerzempfinden«, beruhigte er Moran.

Bartholomäus holte aus und rammte das Beil zielgenau in Morans Stirn. Er wartete etwa zehn Sekunden, bis Morans Körper in sich zusammensackte, dann zog er die Klinge wieder heraus. Ray Garrod klatschte begeistert in die Hände, als Blut auf den Steinboden tropfte.

»Das war eine veraltete Form der ›Betäubung‹, Ray. Wir haben das Schlachtbeil benutzt, heutzutage nimmt man eigentlich Bolzengewehre dafür.« Bartholomäus betastete die beeindruckenden Muskelpakete von Alan Morans zuckendem Körper.

»’n Bolzengewehr?«

»Richtig. Damit schießt man ein Loch ins Hirn. Aber manchmal muss man noch nachbohren.«

»Nachbohren?«

»Yep. Man führt einen Metallstab in das Loch und kratzt ein bisschen Hirnmasse heraus, um sicherzugehen, dass das Tier wirklich betäubt ist.« Bartholomäus sah sich suchend nach einem seiner Fleischmesser um. »Jetzt müssen wir es ausbluten lassen, weißt du. Blut enthält Schadstoffe, deshalb lassen wir es abfließen, damit das Fleisch sich länger hält.« Bartholomäus Garrod führte einen brutalen Schnitt an Morans Hals unterhalb des Lederbandes aus. Blut sprudelte aus dem vornübergesackten, in seiner Fessel hängenden Körper. Bartholomäus schob einen Stahleimer darunter, um das Blut aufzufangen.

»Aber Blut is’ doch auch nützlich, stimmt’s Ray?«

Ray starrte auf den sich füllenden Eimer. »Wofür ist das, Bollameo?«

»Wir können Brot damit backen, weißt du nicht mehr?«

»Blutbrot.«

»Ganz genau«, bestätigte Bartholomäus. »Sieben Teile Roggenmehl, drei Teile Blut. Das schmeckt sehr gut.«

»Und schwarzen Pudding, Bollameo, vergiss das nicht.«

»Wenn du möchtest, können wir auch Blutwurst machen.«

Bartholomäus wusste, dass die Organe in einer bestimmten Reihenfolge entfernt werden mussten, bevor er die Edelstücke heraustrennen konnte. Er würde das in seinem Handbuch des Fleisches nachschlagen müssen. Er hatte beschlossen, nach der Schlachtmethode für Rinder vorzugehen, statt nach der für Schweine, das war einfacher.

Er warf einen Blick auf seine Uhr. Noch zwei Stunden, dann musste er die Tagesware in Smithfield abholen. Auf dem Weg dorthin konnten sie sich der Reste entledigen.

Genau hinter dem Bow Industrial Park lag ein Landstrich, wo der Lea sich verengte. Dort führte eine Brücke über den Fluss, über die man auf die Dace Road gelangte. Auf dieser Brücke parkten die Garrods ihren Lieferwagen. Es war ein gottverlassener Ort. Vom Stratford Marsh pfiff ein eisiger Wind herüber. An einer defekten Straßenlaterne flatterte eine Bekanntmachung der Bezirksverwaltung. Das Geräusch ging Bartholomäus Garrod auf die Nerven. Während Ray, erschöpft von den nächtlichen Ereignissen und einem opulenten Mahl auf dem Beifahrersitz schlief, zerrte Bartholomäus zwei Müllsäcke mit den Überresten Alan Morans aus dem Heck seines Lieferwagens und hievte sie mühselig, einen nach dem anderen, über das Brückengeländer. Mit lautem Platschen versanken sie im trüben Flusswasser.

Bartholomäus verschnaufte einen Augenblick. Sein warmer Atem verdichtete sich zu kleinen Wölkchen vor seinem Gesicht. Die Bekanntmachung flatterte immer noch im Wind. Er versuchte das lästige Geräusch zu ignorieren und kletterte zurück in seinen Wagen. Er war spät dran. Wenn er Gas gab und gut durchkam, konnte er die verlorene Zeit vielleicht noch aufholen und rechtzeitig in Smithfield eintreffen.

Scheinbar bedeutungslose Momente haben oft ungeahnte Auswirkungen. Verweilt man zehn Minuten länger im Bett, überfährt man womöglich wenig später ein Kind, dem man bei pünktlichem Aufstehen gar nicht begegnet wäre; liest man die E-Mails seines Partners, weckt dies womöglich Mordgelüste an einer Person, die man nicht einmal kennt; einen bestimmten Fernsehbericht zu sehen kann einem unter Umständen das Leben retten.