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Die moderne Adaption des antiken Homerstoffes aus der Feder Gerhart Hauptmanns. In fünf Akten wird von der Heimkehr des Odysseus erzählt. Dabei entspinnt sich ein Dialog zwischen den Protagonistinnen Leukone und Melantho, die das Streben nach Luxus auf der einen Seite und das Leben in Bescheidenheit sowie die Treue zum Königshaus auf der anderen Seite verkörpern. Am Ende entscheidet Odysseus' Bogen über die Zukunft des Königreiches.-
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Seitenzahl: 109
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Gerhart Hauptmann
Drama
Saga
Der Bogen des Odysseus
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1914, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726956917
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Eine Gegend auf der Insel Ithaka, bergig, hoch gelegen, zum großen Teil mit Waldungen uralter Eichen bedeckt. Vorn ein felsiger Aufstieg, der an das Tor eines Gehöftes führt, das Gehöft des Eumaios.
Es ist um die Mittagszeit.
Eumaios, der Sauhirt, über die Sechzig, aber noch voller Kraft, sitzt auf der Bank neben dem Tor und beschäftigt sich mit einem schöngearbeiteten Bogen, den er mit Talg einreibt. Die Holzschale mit der Scheibe Talgs darin steht neben ihm, ferner Weinkrug und Becher.
Tiefer unten werden zwei schöngewachsene Mägde sichtbar, die mit Wassergefäßen auf dem Kopf die Felsenstiege hinansteigen. Die vorangehende der Wasserträgerinnen ist Melantho, Tochter des Ziegenhirten Melantheus, die andere Leukone, Enkeltochter des Eumaios.
Beide Mädchen halten eine Rast, indem sie die Wassergefäße von den Köpfen nehmen. Melantho hat rotbraunes Haar und ist rundlich und sinnlich. Leukone, schlank und dunkelhaarig, ist von vollkommenem Wuchs und edelster Schönheit.
Melantho
Schrecklich ist diese Mühsal. Niemals hatt' ich
so schlimme Tage als bei euch! – Nun freilich
gibst du mir keine Antwort. Bin ich etwa
schlechter als du? Mein Vater ist so viel
als dein Großvater: dieser hütet Säue,
mein Vater Ziegen! Das ist alles – und
kein großer Unterschied.
Leukone
Melantho, du
hast recht. Allein, was soll ich tun? Du klagst
und klagst, und doch kann ich die wasserlose Zeit,
die Vater Kronion über uns verhängt,
nicht wandeln, kann die heil'gen Wasserquellen,
die trockenen, nicht wieder springen machen.
Und steig' ich nicht wie du den steilen Pfad
hinab ans Meer zum Born der Arethusa?
Melantho
Es möchte gehn, wenn du nur reden wolltest. –
Ich bin ein Leben im Palast gewöhnt.
Reichlich genoß ich Gunst und gute Worte.
Sind diese Fürsten denn nicht mehr als du,
die um Penelopeias Hand sich streiten
und denen doch Melantho nicht zu schlecht war?
Leukone
seufzt
Nun bleibt mir wieder nur das Schweigen, Mädchen.
Melantho
Schweig, immer schweige nur, Hochmütige!
Die Wahrheit ist doch wahr. Ich könnte reden,
da solltest du erst recht die Augen auftun. –
Das Haupt der Werber ist Eurymachos!
Kein Mann auf Ithaka bestreitet das,
und auch kein Weib: selbst nicht Penelopeia.
Sie lechzt nach ihm wie eine Hündin, aber
das ist's: er gönnt sie dem Antinoos. –
Mir läuft er nach: Eurymachos. Mein Schatten
ist mir nicht halb so treu, das glaube mir.
Leukone
Wollt' ich nun reden, müßt' es dich verdrießen,
Melantho, und so laß uns weitergehn.
Melantho
Und weshalb hat man mich hierher verbannt?
Wer das nicht wüßte, wäre blind, Leukone.
Warum? Du weißt es ebenso wie ich.
Weil nicht allein Eurymachos mich gern hat,
sondern ein jeder, der mich sieht, und dies
Penelopeias Neid nicht dulden mag.
Leukone
Männern wie jenen zu gefallen, die
das Gastrecht schänden unten im Palast,
ist etwa nicht so schwer, als manche meinet:
was mich angeht, der Freier Wohlgefallen
beleidigt bittrer mich als wie ein Steinwurf.
Melantho
Bist du so keusch, Leukone? Ach, man weiß
von deiner Keuschheit, weiß es auch, weshalb
du jene Helden im Palast so sehr
verfolgst mit deinem Haß. Du kostest gern
den schwellenden Mund des noch nicht flüggen Jünglings.
Du liebst den Flaum mehr als den Bart, den Scheuen,
den zage Schüchternen mehr als den Starken,
der ohne viel zu seufzen packt und raubt.
Ich sage dir, dein Muttersöhnlein ist
weichlich und aller ganzen Männer Spott. –
Mag sein, man spürt ein Mitleid, möchte ihm
die runde Wange streicheln wie 'ner Schwester.
»O Telemach, wie bist du doch so hilflos
und dumm in deiner Unschuld«, denkt man wohl,
»wie sollst du gegen Helden dich denn wehren?«
Dann sagt er wohl: »Ruf mir die Schaffnerin,
daß sie – der Sandmann kommt – mich schnell zu Bett bringt.«
Sie will sich ausschütten vor Lachen.
Wie ist dein Schoßkind doch so wunderlich.
Leukone
indem sie Melantho den Wasserkrug auf den Kopf heben hilft
Irrtümer, die du liebst, mußt du behalten,
Melantho. Doch mein Schoßkind, wie du's nennst,
ist dein und mein und unsrer Eltern Herr.
Du wirst dich einstens dran erinnern müssen,
wenn du's auch jetzt vergessen hast. Genug.
Auch Leukone hat ihr Wassergefäß auf den Kopf gehoben, und beide schreiten hintereinander nach oben weiter. Bald sind sie im Begriff, an Eumaios vorüber ins Gehöft zu gehen, als der Hirt sie aufhält.
Eumaios
Melantho!
Melantho
Ja. Und was?
Eumaios
Leukone, eure
Augen sind jünger als meine: steigt dort nicht
ein Mann zu uns herauf?
Leukone
Ich sehe niemand,
Großvater.
Eumaios
Niemand siehst du?
Leukone
Niemand! Nein!
Eumaios
Nun, so verwirrt ein Dämon meine Augen.
Denn immer seh' ich Männer unsre Höh'
erklettern, deutlich! Dieser hatte weißes Haar,
und jener gestern war ein Jüngling. Doch
erheb' ich mich, sie zu begrüßen, ist's,
als löste sie ein Gott in Rauch und Luft.
Melantho schreitet weiter durch das Tor und verschwindet im Gehöft.
Eumaios
Nun sag mir, wie die neue Magd sich anläßt.
Leukone
Nicht gut, Großvater. Hätte doch die Fürstin
uns diese Dirne nicht ins Haus gesetzt!
Sie lästert alles, was uns lieb und wert ist.
Eumaios
Regierte jetzt auf Ithaka ein Mann,
er hätte diese Dirne stäupen lassen
und sie in Ketten den Phöniziern
verkauft für ihre Buhlschaft im Palaste,
nicht aber sie herauf zu uns gesandt.
Anders Penelopeia, die allmilde.
Was ist zu tun? Die Hündin haben wir
nun hier und alle Hunde auf dem Hals,
die hitzigen: jene, denen man sie wegnahm. –
Als jüngst zur Nacht Antinoos die Mauer
mit seinen Spießgesellen überstieg
und wie der Bergwolf einbrach ins Gehöfte,
erkannt' ich deutlich auch Eurymachos:
dieser vor allen ist Melanthos Buhle.
Sie hat ihn zu der frechen Tat verlockt
und er dazu die andern angestiftet.
Nun, sie empfingen einen blutigen Willkomm,
und schmählich endete ihr Bubenstück. –
Wie oft sahst du Antinoos, Leukone?
Leukone
Ich sah ihn unten in der Volksversammlung,
als Telemach das Schiff zu seiner Reise
erbat und er dawiderredete.
Dort sah ich ihn sowie er mich zuerst
und später niemals wieder. Doch er sprach
mich an mit ekelhaftem Blick und Wort.
Eumaios
Richtig! »Der Hirte Paris auf dem Ida«,
so sagte er, »sah dich nicht, schöne Hirtin!
Die heilige Aphrodite hätte sonst
im Wettstreit um den Apfel nicht gesiegt.« –
Leukone
So war's, Großvater. Freier! Räuber! Freier!
Sie alle wollen Telemachens Tod:
doch keiner wütend so wie er, ich weiß es!
so wie Antinoos, der widrige.
Eumaios
Hast du wohl Kunde aus der Stadt, Leukone,
ob Telemach von Pylos schon zurück ist?
Leukone
Schwerlich, denn noch erkenn' ich dort die Späher.
Eumaios
Wo siehst du Späher?
Leukone
Oh, ich sehe sie,
ob sie sich gleich verbergen, ganz genau!
Es sind die Späher des Antinoos.
Sie lauern auf den Vorgebirgen! Lauern
seit Wochen schon! Wie Räuber lauern sie
auf unsern – ihren Herrn, daß sie ihn töten.
Eumaios
der sich erhebt und betrachtet, was er gemacht hat
Vater Kronion, Hort der Unterdrückten!
geleite Telemach auf seiner Fahrt
und gib ihm guten Wind in seine Segel!
Leukone
Und bring ihn sicher durch die Bucht ans Land!
Sie und Eumaios spähen hinaus und hinab übers Meer.
Eumaios
Antinoos! muß man es glauben!? den
Odysseus selber auf den Knieen wiegte
und ihn als einen künft'gen Helden pries,
du trachtest seinem Sohne nach dem Leben,
von andrem zu geschweigen, was du vorhast.
Er steht auf.
O käme doch der mächtige Arm ins Land,
den Bogen hier, die Senne neu zu spannen!
Leukone
mit Bezug auf den Bogen in Eumaios' Hand, ohne die Last vom Kopfe zu nehmen
Ist dies der Bogen des Odysseus?
Eumaios
Ja,
er und kein andrer ist es, Mädchen. Sahst
du jemals einen zweiten so wie ihn?
Ich nicht! Ich niemals! Diesen Bogen spannte
dereinst Apoll, bevor Silen ihn führte,
der kundige Kentaur und Lehrer des
Dionysos. Im grauen Altertum
kam er nach Lakedaimon, und ihn fand
ein Jäger, ein Agid', und endlich kam er
bis auf Iphitos, der ihn unserm Herrn
dereinst als Gastgeschenk bescherte. – Du
blickst fragend, und du sahst die Waffe nie
in meiner Hand. Wisse: ich halte sie
seit Jahr und Tag verschlossen in der Lade.
Und wären nicht die Knechte draußen bei
den Herden, wäre das Gehöfte nicht
verlassen, hätt' ich endlich diese Nacht
nicht wunderlich geträumt, ich säße jetzt
nicht hier, mit dieser Waffe in den Händen.
Leukone
Was hast du wohl geträumt?
Eumaios
Ich weiß nicht. Niemand
darf es erfahren als der Seher, Kind!
Und morgen steig' ich in die Stadt hinab,
ihm alles zu eröffnen. – Sage mir:
Warst du heut nacht an meinem Lager?
Leukone
Ja.
Eumaios
Und hattest einen Speer im Arm?
Leukone
Ich hatte
den Speer ergriffen und im Arm.
Eumaios
Warum
nahmst du den Speer und tratst an meine Ruhstatt?
Leukone
Ich hörte Stimmen rufen und mir war,
die Wölfe kläfften wieder um die Mauer.
Eumaios
So hast du träumend meinen Traum bevölkert,
Leukone, denn auf deiner Schulter saß
der Vogel der Athene, und du sprachst
mit Götterstimme Göttliches. Genug:
Ich tat, was mir befohlen ward; mit Stiertalg
rieb ich den Bogen, auch die frische Senne
aus Schafsdarm liegt bereit. Mag er nun kommen,
der Schütz, dem ich die Pfeile aufbewahrt.
Man hört Hundegebell.
Was gibt's, was für ein Aufruhr?
Leukone
's ist der Bettler,
ich seh' ihn! – dort! – der aus dem Eichwald tritt.
Eumaios
He, Bettelmann! heb einen Stein auf, schleudre!
Er pfeift den Hunden, deren rasendes Gebell näher kommt, nimmt Steine auf und läuft ab.
He, Wächter! Wolf! Saupacker! Halt! Hierher!
Ein Bettler erscheint atemlos, gehetzt und stürzt vor Leukone nieder, ihre Knie umfassend. Es ist Odysseus selbst, unkenntlich vor Alter, Elend und Lumpen.
Odysseus
Du Hohe! Ob du eine Göttin seist,
ob eine von den Töchtern dieser Insel:
schutzflehend siehst du mich zu Füßen dir.
Von Antlitz gleichst du einer Himmlischen!
Selig dein Vater! selig deine Mutter!
Und dreimal selig, wer dereinst dich heimführt!
Leukone
Ich bin nur eine Hirtin, fremder Mann.
Odysseus
So wünscht' ich, dich nach Würde zu erhöhen,
mehr, als ich je es wünschte, das zu sein,
was ich, der beßre Tage sah, einst war.
Er läßt, scheinbar entkräftet, den Kopf sinken.
Leukone
zu Eumaios, der eilig wieder erscheint
Er atmet nicht mehr!
Eumaios
– Atmet nicht mehr?
Leukone
Nein!
Eumaios
Ins Haus, Leukone, eile, bring den Balsam,
den ich, du weißt es, in dem Schiffe der
Phönizier jüngst mir tauschte, und bring Wein.
Wein ist ein Arzt, wenn allzu bittre Mühsal
den Mann, wie diesen hier, entkräftet hat.
Leukone schreitet ins Haus. Odysseus und Eumaios bleiben allein; dieser, um ihn bemüht, fährt fort
Zu spät! Der Pfeile Freundin Artemis
hat ihn mit sanftem Bogenschuß erlöst.
Odysseus
Du irrst! Der hier vor dir im Staube Tränen
vergießt – ihn meidet Artemis' Geschoß!
Taub bleibt die Göttin seinem Flehn! Er muß
das Leben tragen! weitertragen! und
ein Elend schleppen ohne Maß und Ziel,
verhaßt den Himmlischen, von den Geschlechtern
der Menschen ausgestoßen und vergessen.
Eumaios
Wer du auch sein magst, Mann, verzage nicht!
Es ziemt mir nicht zu fragen, ehe du
mit Speise dich und einem Trunk erquickt,
von welcher Art dein Leiden sei und welcher
von allen Göttern dich zumeist verfolgt. –
Doch glaube mir: nur die Unsterblichen
sind frei von Trübsal! ... Ja, auch diese nicht
durchaus! – Steh auf! gedenk der Himmlischen!
und trink.
Leukone hat Wein in einen Becher gegossen und reicht ihn dar.
Odysseus
Soll ich der Himmlischen gedenken,
umringt von Schatten? ich? ein Toter? ein
Vergessener!? der aus Aïdes' Reich,
gewohnt an Finsternis, emportaucht! –? der
sie, die im Lichte wandeln, kaum noch kennt,
verschwornen Auges blinzelnd! – Soll ich opfern?
Wem soll ich opfern? Helios, der mich
mit seinem unbarmherzigen Glanze scheucht?
Poseidaon, dem Unversöhnlichen?
Wem soll ich opfern? – Aïdes und dir,
Persephoneia, opfr' ich, gieß' ich meine Spende aus!!
Er gießt Wein aus dem Becher, ihn mit beiden Händen haltend, dann trinkt er mit Gier. Nachdem er getrunken hat, gibt er das leere Gefäß an Leukone zurück.
Hab Dank, Ehrwürdige, daß du die Seele
mir labst mit diesem Trunk! So goß ich Blut
den Toten in die Grube, schwarz und süß
aufduftend, gleich dem Wein, und rauchend! – und
die Schatten tranken gierig, wie ich hier!
O meine Mutter! mit dem blanken Schwert
mußt' ich es dir verwehren, von dem Blut
zu schlürfen! Qual im Herzen, tat ich's! doch