Der Bogen des Odysseus - Gerhart Hauptmann - E-Book

Der Bogen des Odysseus E-Book

Gerhart Hauptmann

0,0

Beschreibung

Die moderne Adaption des antiken Homerstoffes aus der Feder Gerhart Hauptmanns. In fünf Akten wird von der Heimkehr des Odysseus erzählt. Dabei entspinnt sich ein Dialog zwischen den Protagonistinnen Leukone und Melantho, die das Streben nach Luxus auf der einen Seite und das Leben in Bescheidenheit sowie die Treue zum Königshaus auf der anderen Seite verkörpern. Am Ende entscheidet Odysseus' Bogen über die Zukunft des Königreiches.-

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 109

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gerhart Hauptmann

Der Bogen des Odysseus

Drama

Saga

Der Bogen des Odysseus

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1914, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726956917

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Dramatis Personae

OdysseusTelemachLaertesAntinoos, Eurymachos, Amphinomos, Ktesippos, die Freier Eumaios, Sauhirt Leukone, seine Enkeltochter Melantheus, Ziegenhirt Melantho, seine Tochter Noemon, ein junger Schweinehirt Eurykleia, Glaukos, Lykurgos, Idomeneus, Hektor, Lamon, Dryas, Euphorion, Hirten Weitere Hirten

Erster Akt

Eine Gegend auf der Insel Ithaka, bergig, hoch gelegen, zum großen Teil mit Waldungen uralter Eichen bedeckt. Vorn ein felsiger Aufstieg, der an das Tor eines Gehöftes führt, das Gehöft des Eumaios.

Es ist um die Mittagszeit.

Eumaios, der Sauhirt, über die Sechzig, aber noch voller Kraft, sitzt auf der Bank neben dem Tor und beschäftigt sich mit einem schöngearbeiteten Bogen, den er mit Talg einreibt. Die Holzschale mit der Scheibe Talgs darin steht neben ihm, ferner Weinkrug und Becher.

Tiefer unten werden zwei schöngewachsene Mägde sichtbar, die mit Wassergefäßen auf dem Kopf die Felsenstiege hinansteigen. Die vorangehende der Wasserträgerinnen ist Melantho, Tochter des Ziegenhirten Melantheus, die andere Leukone, Enkeltochter des Eumaios.

Beide Mädchen halten eine Rast, indem sie die Wassergefäße von den Köpfen nehmen. Melantho hat rotbraunes Haar und ist rundlich und sinnlich. Leukone, schlank und dunkelhaarig, ist von vollkommenem Wuchs und edelster Schönheit.

Melantho

Schrecklich ist diese Mühsal. Niemals hatt' ich

so schlimme Tage als bei euch! – Nun freilich

gibst du mir keine Antwort. Bin ich etwa

schlechter als du? Mein Vater ist so viel

als dein Großvater: dieser hütet Säue,

mein Vater Ziegen! Das ist alles – und

kein großer Unterschied.

Leukone

Melantho, du

hast recht. Allein, was soll ich tun? Du klagst

und klagst, und doch kann ich die wasserlose Zeit,

die Vater Kronion über uns verhängt,

nicht wandeln, kann die heil'gen Wasserquellen,

die trockenen, nicht wieder springen machen.

Und steig' ich nicht wie du den steilen Pfad

hinab ans Meer zum Born der Arethusa?

Melantho

Es möchte gehn, wenn du nur reden wolltest. –

Ich bin ein Leben im Palast gewöhnt.

Reichlich genoß ich Gunst und gute Worte.

Sind diese Fürsten denn nicht mehr als du,

die um Penelopeias Hand sich streiten

und denen doch Melantho nicht zu schlecht war?

Leukone

seufzt

Nun bleibt mir wieder nur das Schweigen, Mädchen.

Melantho

Schweig, immer schweige nur, Hochmütige!

Die Wahrheit ist doch wahr. Ich könnte reden,

da solltest du erst recht die Augen auftun. –

Das Haupt der Werber ist Eurymachos!

Kein Mann auf Ithaka bestreitet das,

und auch kein Weib: selbst nicht Penelopeia.

Sie lechzt nach ihm wie eine Hündin, aber

das ist's: er gönnt sie dem Antinoos. –

Mir läuft er nach: Eurymachos. Mein Schatten

ist mir nicht halb so treu, das glaube mir.

Leukone

Wollt' ich nun reden, müßt' es dich verdrießen,

Melantho, und so laß uns weitergehn.

Melantho

Und weshalb hat man mich hierher verbannt?

Wer das nicht wüßte, wäre blind, Leukone.

Warum? Du weißt es ebenso wie ich.

Weil nicht allein Eurymachos mich gern hat,

sondern ein jeder, der mich sieht, und dies

Penelopeias Neid nicht dulden mag.

Leukone

Männern wie jenen zu gefallen, die

das Gastrecht schänden unten im Palast,

ist etwa nicht so schwer, als manche meinet:

was mich angeht, der Freier Wohlgefallen

beleidigt bittrer mich als wie ein Steinwurf.

Melantho

Bist du so keusch, Leukone? Ach, man weiß

von deiner Keuschheit, weiß es auch, weshalb

du jene Helden im Palast so sehr

verfolgst mit deinem Haß. Du kostest gern

den schwellenden Mund des noch nicht flüggen Jünglings.

Du liebst den Flaum mehr als den Bart, den Scheuen,

den zage Schüchternen mehr als den Starken,

der ohne viel zu seufzen packt und raubt.

Ich sage dir, dein Muttersöhnlein ist

weichlich und aller ganzen Männer Spott. –

Mag sein, man spürt ein Mitleid, möchte ihm

die runde Wange streicheln wie 'ner Schwester.

»O Telemach, wie bist du doch so hilflos

und dumm in deiner Unschuld«, denkt man wohl,

»wie sollst du gegen Helden dich denn wehren?«

Dann sagt er wohl: »Ruf mir die Schaffnerin,

daß sie – der Sandmann kommt – mich schnell zu Bett bringt.«

Sie will sich ausschütten vor Lachen.

Wie ist dein Schoßkind doch so wunderlich.

Leukone

indem sie Melantho den Wasserkrug auf den Kopf heben hilft

Irrtümer, die du liebst, mußt du behalten,

Melantho. Doch mein Schoßkind, wie du's nennst,

ist dein und mein und unsrer Eltern Herr.

Du wirst dich einstens dran erinnern müssen,

wenn du's auch jetzt vergessen hast. Genug.

Auch Leukone hat ihr Wassergefäß auf den Kopf gehoben, und beide schreiten hintereinander nach oben weiter. Bald sind sie im Begriff, an Eumaios vorüber ins Gehöft zu gehen, als der Hirt sie aufhält.

Eumaios

Melantho!

Melantho

Ja. Und was?

Eumaios

Leukone, eure

Augen sind jünger als meine: steigt dort nicht

ein Mann zu uns herauf?

Leukone

Ich sehe niemand,

Großvater.

Eumaios

Niemand siehst du?

Leukone

Niemand! Nein!

Eumaios

Nun, so verwirrt ein Dämon meine Augen.

Denn immer seh' ich Männer unsre Höh'

erklettern, deutlich! Dieser hatte weißes Haar,

und jener gestern war ein Jüngling. Doch

erheb' ich mich, sie zu begrüßen, ist's,

als löste sie ein Gott in Rauch und Luft.

Melantho schreitet weiter durch das Tor und verschwindet im Gehöft.

Eumaios

Nun sag mir, wie die neue Magd sich anläßt.

Leukone

Nicht gut, Großvater. Hätte doch die Fürstin

uns diese Dirne nicht ins Haus gesetzt!

Sie lästert alles, was uns lieb und wert ist.

Eumaios

Regierte jetzt auf Ithaka ein Mann,

er hätte diese Dirne stäupen lassen

und sie in Ketten den Phöniziern

verkauft für ihre Buhlschaft im Palaste,

nicht aber sie herauf zu uns gesandt.

Anders Penelopeia, die allmilde.

Was ist zu tun? Die Hündin haben wir

nun hier und alle Hunde auf dem Hals,

die hitzigen: jene, denen man sie wegnahm. –

Als jüngst zur Nacht Antinoos die Mauer

mit seinen Spießgesellen überstieg

und wie der Bergwolf einbrach ins Gehöfte,

erkannt' ich deutlich auch Eurymachos:

dieser vor allen ist Melanthos Buhle.

Sie hat ihn zu der frechen Tat verlockt

und er dazu die andern angestiftet.

Nun, sie empfingen einen blutigen Willkomm,

und schmählich endete ihr Bubenstück. –

Wie oft sahst du Antinoos, Leukone?

Leukone

Ich sah ihn unten in der Volksversammlung,

als Telemach das Schiff zu seiner Reise

erbat und er dawiderredete.

Dort sah ich ihn sowie er mich zuerst

und später niemals wieder. Doch er sprach

mich an mit ekelhaftem Blick und Wort.

Eumaios

Richtig! »Der Hirte Paris auf dem Ida«,

so sagte er, »sah dich nicht, schöne Hirtin!

Die heilige Aphrodite hätte sonst

im Wettstreit um den Apfel nicht gesiegt.« –

Leukone

So war's, Großvater. Freier! Räuber! Freier!

Sie alle wollen Telemachens Tod:

doch keiner wütend so wie er, ich weiß es!

so wie Antinoos, der widrige.

Eumaios

Hast du wohl Kunde aus der Stadt, Leukone,

ob Telemach von Pylos schon zurück ist?

Leukone

Schwerlich, denn noch erkenn' ich dort die Späher.

Eumaios

Wo siehst du Späher?

Leukone

Oh, ich sehe sie,

ob sie sich gleich verbergen, ganz genau!

Es sind die Späher des Antinoos.

Sie lauern auf den Vorgebirgen! Lauern

seit Wochen schon! Wie Räuber lauern sie

auf unsern – ihren Herrn, daß sie ihn töten.

Eumaios

der sich erhebt und betrachtet, was er gemacht hat

Vater Kronion, Hort der Unterdrückten!

geleite Telemach auf seiner Fahrt

und gib ihm guten Wind in seine Segel!

Leukone

Und bring ihn sicher durch die Bucht ans Land!

Sie und Eumaios spähen hinaus und hinab übers Meer.

Eumaios

Antinoos! muß man es glauben!? den

Odysseus selber auf den Knieen wiegte

und ihn als einen künft'gen Helden pries,

du trachtest seinem Sohne nach dem Leben,

von andrem zu geschweigen, was du vorhast.

Er steht auf.

O käme doch der mächtige Arm ins Land,

den Bogen hier, die Senne neu zu spannen!

Leukone

mit Bezug auf den Bogen in Eumaios' Hand, ohne die Last vom Kopfe zu nehmen

Ist dies der Bogen des Odysseus?

Eumaios

Ja,

er und kein andrer ist es, Mädchen. Sahst

du jemals einen zweiten so wie ihn?

Ich nicht! Ich niemals! Diesen Bogen spannte

dereinst Apoll, bevor Silen ihn führte,

der kundige Kentaur und Lehrer des

Dionysos. Im grauen Altertum

kam er nach Lakedaimon, und ihn fand

ein Jäger, ein Agid', und endlich kam er

bis auf Iphitos, der ihn unserm Herrn

dereinst als Gastgeschenk bescherte. – Du

blickst fragend, und du sahst die Waffe nie

in meiner Hand. Wisse: ich halte sie

seit Jahr und Tag verschlossen in der Lade.

Und wären nicht die Knechte draußen bei

den Herden, wäre das Gehöfte nicht

verlassen, hätt' ich endlich diese Nacht

nicht wunderlich geträumt, ich säße jetzt

nicht hier, mit dieser Waffe in den Händen.

Leukone

Was hast du wohl geträumt?

Eumaios

Ich weiß nicht. Niemand

darf es erfahren als der Seher, Kind!

Und morgen steig' ich in die Stadt hinab,

ihm alles zu eröffnen. – Sage mir:

Warst du heut nacht an meinem Lager?

Leukone

Ja.

Eumaios

Und hattest einen Speer im Arm?

Leukone

Ich hatte

den Speer ergriffen und im Arm.

Eumaios

Warum

nahmst du den Speer und tratst an meine Ruhstatt?

Leukone

Ich hörte Stimmen rufen und mir war,

die Wölfe kläfften wieder um die Mauer.

Eumaios

So hast du träumend meinen Traum bevölkert,

Leukone, denn auf deiner Schulter saß

der Vogel der Athene, und du sprachst

mit Götterstimme Göttliches. Genug:

Ich tat, was mir befohlen ward; mit Stiertalg

rieb ich den Bogen, auch die frische Senne

aus Schafsdarm liegt bereit. Mag er nun kommen,

der Schütz, dem ich die Pfeile aufbewahrt.

Man hört Hundegebell.

Was gibt's, was für ein Aufruhr?

Leukone

's ist der Bettler,

ich seh' ihn! – dort! – der aus dem Eichwald tritt.

Eumaios

He, Bettelmann! heb einen Stein auf, schleudre!

Er pfeift den Hunden, deren rasendes Gebell näher kommt, nimmt Steine auf und läuft ab.

He, Wächter! Wolf! Saupacker! Halt! Hierher!

Ein Bettler erscheint atemlos, gehetzt und stürzt vor Leukone nieder, ihre Knie umfassend. Es ist Odysseus selbst, unkenntlich vor Alter, Elend und Lumpen.

Odysseus

Du Hohe! Ob du eine Göttin seist,

ob eine von den Töchtern dieser Insel:

schutzflehend siehst du mich zu Füßen dir.

Von Antlitz gleichst du einer Himmlischen!

Selig dein Vater! selig deine Mutter!

Und dreimal selig, wer dereinst dich heimführt!

Leukone

Ich bin nur eine Hirtin, fremder Mann.

Odysseus

So wünscht' ich, dich nach Würde zu erhöhen,

mehr, als ich je es wünschte, das zu sein,

was ich, der beßre Tage sah, einst war.

Er läßt, scheinbar entkräftet, den Kopf sinken.

Leukone

zu Eumaios, der eilig wieder erscheint

Er atmet nicht mehr!

Eumaios

– Atmet nicht mehr?

Leukone

Nein!

Eumaios

Ins Haus, Leukone, eile, bring den Balsam,

den ich, du weißt es, in dem Schiffe der

Phönizier jüngst mir tauschte, und bring Wein.

Wein ist ein Arzt, wenn allzu bittre Mühsal

den Mann, wie diesen hier, entkräftet hat.

Leukone schreitet ins Haus. Odysseus und Eumaios bleiben allein; dieser, um ihn bemüht, fährt fort

Zu spät! Der Pfeile Freundin Artemis

hat ihn mit sanftem Bogenschuß erlöst.

Odysseus

Du irrst! Der hier vor dir im Staube Tränen

vergießt – ihn meidet Artemis' Geschoß!

Taub bleibt die Göttin seinem Flehn! Er muß

das Leben tragen! weitertragen! und

ein Elend schleppen ohne Maß und Ziel,

verhaßt den Himmlischen, von den Geschlechtern

der Menschen ausgestoßen und vergessen.

Eumaios

Wer du auch sein magst, Mann, verzage nicht!

Es ziemt mir nicht zu fragen, ehe du

mit Speise dich und einem Trunk erquickt,

von welcher Art dein Leiden sei und welcher

von allen Göttern dich zumeist verfolgt. –

Doch glaube mir: nur die Unsterblichen

sind frei von Trübsal! ... Ja, auch diese nicht

durchaus! – Steh auf! gedenk der Himmlischen!

und trink.

Leukone hat Wein in einen Becher gegossen und reicht ihn dar.

Odysseus

Soll ich der Himmlischen gedenken,

umringt von Schatten? ich? ein Toter? ein

Vergessener!? der aus Aïdes' Reich,

gewohnt an Finsternis, emportaucht! –? der

sie, die im Lichte wandeln, kaum noch kennt,

verschwornen Auges blinzelnd! – Soll ich opfern?

Wem soll ich opfern? Helios, der mich

mit seinem unbarmherzigen Glanze scheucht?

Poseidaon, dem Unversöhnlichen?

Wem soll ich opfern? – Aïdes und dir,

Persephoneia, opfr' ich, gieß' ich meine Spende aus!!

Er gießt Wein aus dem Becher, ihn mit beiden Händen haltend, dann trinkt er mit Gier. Nachdem er getrunken hat, gibt er das leere Gefäß an Leukone zurück.

Hab Dank, Ehrwürdige, daß du die Seele

mir labst mit diesem Trunk! So goß ich Blut

den Toten in die Grube, schwarz und süß

aufduftend, gleich dem Wein, und rauchend! – und

die Schatten tranken gierig, wie ich hier!

O meine Mutter! mit dem blanken Schwert

mußt' ich es dir verwehren, von dem Blut

zu schlürfen! Qual im Herzen, tat ich's! doch