Der Buddhismus in Süd- und Südostasien - Heinz Bechert - E-Book

Der Buddhismus in Süd- und Südostasien E-Book

Heinz Bechert

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Beschreibung

Der Buddhismus hat sich im Laufe seiner langen Geschichte über den größten Teil von Süd-, Südost-, Zentral- und Ostasien ausgebreitet und ist bis heute in vielen Ländern Asiens die bedeutendste Religion geblieben. In dieser Vielfalt von Kulturen hat sich der Buddhismus dank seiner großen Anpassungsfähigkeit entwickeln und erhalten können. So sucht man an der Oberfläche oft mit Mühe die Einheitlichkeit, die sich in Christentum und Islam in Grundzügen findet. Gleichwohl gibt es so etwas wie eine "Welt des Buddhismus", in der gemeinsame Grundsätze Geltung haben. Bechert stellt dies am Beispiel des Theravada-Buddhismus mit seinen Entwicklungen von den Anfängen bis in die Gegenwart meisterlich dar. Der vorliegende Text basiert auf einer in den Jahren 2004 und 2005 von Heinz Bechert an der Universität Wien gehaltenen Vorlesung, bearbeitet und herausgegeben von Ernst Steinkellner.

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Der Buddhismus hat sich im Laufe seiner langen Geschichte über den größten Teil von Süd-, Südost-, Zentral- und Ostasien ausgebreitet und ist bis heute in vielen Ländern Asiens die bedeutendste Religion geblieben. In dieser Vielfalt von Kulturen hat sich der Buddhismus dank seiner großen Anpassungsfähigkeit entwickeln und erhalten können. So sucht man an der Oberfläche oft mit Mühe die Einheitlichkeit, die sich in Christentum und Islam in Grundzügen findet. Gleichwohl gibt es so etwas wie eine 'Welt des Buddhismus', in der gemeinsame Grundsätze Geltung haben. Bechert stellt dies am Beispiel des Theravada-Buddhismus mit seinen Entwicklungen von den Anfängen bis in die Gegenwart meisterlich dar. Der vorliegende Text basiert auf einer in den Jahren 2004 und 2005 von Heinz Bechert an der Universität Wien gehaltenen Vorlesung, bearbeitet und herausgegeben von Ernst Steinkellner.

Heinz Bechert (1932-2005) war von 1965 bis 2000 Professor für Indologie an der Universität Göttingen.

Heinz Bechert

Der Buddhismus in Süd- und Südostasien

Geschichte und Gegenwart

Herausgegeben von Ernst Steinkellner

Verlag W. Kohlhammer

Umschlagabbildung: Sāñcī, Osttor, Innenseite, 1. Jh. v.u.Z.: Stūpa-Verehrung durch wilde Elefanten Alle Rechte vorbehalten © 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Satz: Andrea Siebert, Neuendettelsau Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-022429-2

E-Book-Formate

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epub:

978-3-17-027116-6

mobi:

978-3-17-027117-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Einleitung: der Buddhismus – eine Weltreligion

Kapitel 2 Frühe Begegnungen des Buddhismus mit dem Abendland

Kapitel 3 Vorgeschichte des Buddhismus in Indien: die vedische Tradition

Kapitel 4 Die Anfänge der modernen Buddhismus-Forschung

Kapitel 5 Grundlagen des frühen Buddhismus: der historische Buddha und seine Lehre

Vier Heilige Wahrheiten

Ethik

Meditation

Nirvāṇa

Kosmologie

Kapitel 6 Der Orden der buddhistischen Mönche und Nonnen

Die buddhistischen Laien

Kapitel 7 Anfänge der Buddhistischen Literatur und Diversifikation im frühen Buddhismus

Heilige Texte in buddhistischer Überlieferung

Anfänge der buddhistischen Textüberlieferung

Der Begriff „nikāya“

Ordensspaltung (saṅghabheda) und Nikāya-Gliederung (nikāyabheda)

Der Ursprung der frühen Nikāyas: Vinaya-Schulen und dogmatische Schulen

Kapitel 8 Aśoka, die erste Reform des Saṅgha und die Anfänge der buddhistischen Weltmission

Aśoka und die Anfänge der buddhistischen Weltmission

Die uposatha-Feier im Edikt von Sarnath

Beseitigung des saṅghabheda

Die Bedeutung des Ediktes

Die ceylonesischen Berichte von der Ordensreinigung des Aśoka

Kapitel 9 Die Religionssoziologische Buddhismus-Interpretation Max Webers

Kapitel 10 Die Kommentatoren und die Anfänge der buddhistischen Historiographie in Sri Lanka

Kapitel 11 Die Datierung des Buddha – ein Problem der Weltgeschichte

Kapitel 12 Der Traditionelle Theravāda-Buddhismus in Sri Lanka und Südostasien

Die Rechtsverhältnisse der Klöster in Sri Lanka

Kapitel 13 Theravāda-Buddhismus und Volksreligion

„Große“ und „Kleine“ Tradition

„Volksreligion“ in Sri Lanka

Kapitel 14 Überblick über die Entwicklung des indischen Mahāyāna-Buddhismus

Tantrismus

Schaktistischer Tantrismus

Der Untergang des indischen Buddhismus

Kapitel 15 Buddhistischer Modernismus und Buddhismus in der modernen Welt

Der Niedergang des Buddhismus und die Auswirkungen des Kolonialismus

Die Anfänge des abendländischen Buddhismus

Der buddhistische Modernismus im internationalen Rahmen

Die Wiederbelebung des Buddhismus in Indien

Das Wiederaufleben des Buddhismus in Indonesien

Buddhismus in Deutschland

Buddhismus in England

Buddhismus in den Vereinigten Staaten

Die internationale buddhistische Bewegung

Kapitel 16 Neue Entwicklungen im Theravāda Birmas und Thailands

Einleitende Bemerkungen

Der Saṅgha in der traditionellen Gesellschaft Birmas

Der Saṅgha im unabhängigen Birma

Die Saṅgha-Reform von 1980 und ihre Folgen

Neueste Entwicklung in Birma

Die Stellung des SaṄgha in Thailand

Widersprüche im modernen Saṅgha Thailands

Suan Mokh und Buddhadāsa

Dhammakāy

Santi Asoke

Kapitel 17 Theravāda-Minderheiten

Überblick

Ethnographische Vorbemerkungen

Geschichtliche Entwicklungen

Die Geschichte der Cākmās

Tibetische Quellen

Die Religion der Cākmās vor 1856

Die Reform des bengalischen Saṅgha

Ausblick

Kapitel 18 Rückblick und Ausblick

Bibliographie

Vorwort

Heinz Bechert (1932–2005) hat als Emeritus der Universität Göttingen diese seine letzten Vorlesungen in den Jahren 2004 und 2005 am Institut für Tibetologie und Buddhismuskunde der Universität Wien gehalten. Obwohl sich seither in den betroffenen Gebieten unserer Welt viel zugetragen hat, sind Becherts Erkenntnisse von den Gründen und Hintergründen immer noch mehr als aktuell. Die Vorlesungen fassen in beeindruckend klarer Weise seine jahrzehntelangen Forschungen zur Geschichte, Sozial- und Rechtsgeschichte des Buddhismus am Beispiel der am längsten und bis heute lebendigen Tradition des Theravāda-Buddhismus zusammen. Als Einführung gedacht und daher im narrativen Stil gehalten, sind sie durch eine unmittelbare Nähe zu den literarischen und historischen Zeugnissen der Tradition ausgezeichnet, die in Genauigkeit der Interpretation und Klarheit der Darstellung kaum ihresgleichen hat.

Gewicht und Stärke gewinnt diese Einführung durch die Zusammenführung der Ergebnisse und Einsichten vor allem von Becherts eigenen Forschungsarbeiten, die sich im Besonderen auf die Strukturen und Funktionen des buddhistischen Ordens in ihren Motiven und Entwicklungen gerichtet haben. Für die Interpretation der religiösen und theoretischen Inhalte der Tradition neigte er zur Vereinfachung und hielt sich mit gutem Gefühl an die erste, schon 1881 sorgfältig aus den kanonischen Quellen des Theravāda-Buddhismus erarbeitete Darstellung der Lehre des Buddha durch Hermann Oldenberg. Die ganze Fülle der Ideenwelt des Buddhismus in ihren verschiedenen gemeinsamen und regionalen Ausbildungen bleibt weitgehend ausgeblendet und wird durch die in dieser Hinsicht eher statische Tradition der Theravādin vertreten. Mit dem Theravāda-Buddhismus, Becherts bevorzugtem Arbeitsbereich, bot sich ihm eine Tradition, die nicht nur als einzige aus der Frühzeit des Buddhismus bis in die Gegenwart reicht, sondern auch eine originale Geschichtsschreibung entwickelt hat.1

Das für den hier publizierten Text verwendete Manuskript Becherts ist über viele Jahre des Gebrauchs für einführende Vorlesungen an der Universität Göttingen gewachsen. Der Grundbestand wurde in verschiedenen Zeiten mit der Schreibmaschine geschrieben. In diesen wurden viele kleinere und größere Abschnitte aus eigenen, bereits publizierten Arbeiten hineinkopiert und mit Streichungen und Ergänzungen dem Vorlesungsgang angepasst, und eine Vielzahl von handschriftlichen Ergänzungen sind erst für die Vorlesungen in Wien dazugekommen.

Ein Blick auf die einzelnen Kapitel 6–8, 11–13, oder 15 und 16, die den wesentlichen Teil der Vorlesungen darstellen, macht ferner auch deutlich, dass die ursprüngliche Eigenständigkeit dieser Zusammenfassungen seiner Forschungen nicht verloren gegangen ist. Bechert hat viele, im Kontext der einzelnen Kapitel notwendige, für die Vorlesung als ganze inhaltliche oder auch wörtliche Wiederholungen aus dem Vorlesungsmanuskript ausgeschieden und in einer eigenen Mappe „Ausgeschiedenes“ gesammelt. Ich habe mich dennoch dafür entschieden den Charakter der Eigenständigkeit dieser Kapitel durch Wiederaufnahme dieser Texte zu erhalten, weil so diese Zusammenfassungen auch jeweils für sich gelesen werden können, was den Nutzen für den nur an einzelnen Themen interessierten Leser erhöhen wird. Andererseits werden diese Redundanzen den Leser des ganzen Buches nicht allzu sehr stören.

Die nicht immer einfache Arbeit, dieses gewachsene Kompositum unter Beachtung der Konsistenz in Einzelheiten der Terminologie und Schreibungen in ein für den Druck bearbeitbares Manuskript zu formen, hat Mag. Edgar Leitan, einer von Becherts Hörern, in den Jahren 2006 und 2007 unternommen, wofür ich ihm herzlich danken möchte. Auch für die Mühe der Identifikation der oft nur kurz angedeuteten bibliographischen Hinweise und die Zusammenstellung der Bibliographie gebührt ihm mein Dank. Leider konnten nicht alle Hinweise Becherts verfolgt werden. Leitans Ergänzungen stehen in eckigen Klammern. Ohne seine Leistung wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Ich selbst konnte mein Lektorat daher auf Stilistisches und Korrektheit beschränken, wobei ich aber den Stil der Vorlesungssprache nicht verändert habe. Natürlich habe ich auch inhaltlich nichts verändert. In einzelnen Abschnitten, etwa in Kapitel 10, habe ich auch den Wechsel in der Bezeichnung der Insel als Ceylon oder Sri Lanka beibehalten, schon wegen des einfacheren Adjektivs „ceylonesisch“.

Mein ganz besonderer Dank gebührt vor allem Frau Marianne Bechert, die mir die gesamten Unterlagen zu diesen Vorlesungen mit dem Recht zu ihrer Veröffentlichung überlassen hat. Ich hoffe auf ihr Verständnis dafür, dass es so lange gedauert hat. Herzlich dankbar bin ich auch Herrn Jürgen Schneider vom Verlag W. Kohlhammer für sein Interesse an dieser letzten Zusammenfassung von Becherts eigener Hand und Frau Julia Zubcic für ihr sorgfältiges Lektorat des Textes.

Die der Welt von heute in ihrer Widersprüchlichkeit zwischen buddhistischen Idealvorstellungen und den latenten oder in gewaltsamen Auseinandersetzungen immer wieder aufbrechenden Spannungen meist unverständliche soziale und politische Wirklichkeit in Sri Lanka oder Myanmar kann nur auf Grundlage einer Analyse und Interpretation der Entwicklungen in der Geschichte dieser Gesellschaften verstanden werden. Dieses Verständnis hat Bechert mit seinen Arbeiten gefördert und zum Beispiel in den Kapiteln 12, 13 und 16 wie kein anderer in klaren Worten vermittelt.

Kann man hoffen, dass Becherts Worte Wirkung haben werden? Für seine Ergebnisse in Bezug auf die Lebenszeit des Buddha ist Bechert im Abschluss des Kapitels 11 realistisch skeptisch. Aber da geht es nicht um die Leiden eines Volkes. Der Buddha lehrt, dass die Erkenntnis des Leidens und seiner Ursachen einen Weg zu seiner Beseitigung öffnet. Es ist meine Hoffnung, dass auch diese Vorlesungen in diesem Sinne wirksam sein können.

Wien, im September 2012

Ernst Steinkellner

1 Für erste kurze Darstellungen von Becherts Leistungen für die Erforschung des Buddhismus siehe die Nachrufe von Oscar von Hinüber in Indologica Taurinensia 32 (2006), 197–202 und von Jens-Uwe Hartmann in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 158.1 (2008), 1–7.

Kapitel 1 Einleitung: der Buddhismus – eine Weltreligion

Zu Beginn dieses Buches ist die Frage nach der Stellung des Buddhismus in der allgemeinen Systematik der Religionen zu erörtern. Die Religionswissenschaft unterscheidet Stammesreligionen, Volks- oder Nationalreligionen und Weltreligionen. Ohne auf die Unterscheidung der beiden erstgenannten hier näher eingehen zu wollen, sei daran erinnert, dass die Definitionen von Stamm, Volk und Nation keineswegs eindeutig sind und damit auch die Abgrenzung gegenüber den Weltreligionen durchaus problematisch bleibt. Dazu trägt natürlich in erster Linie die Vieldeutigkeit der Begriffe „Volk“ und „Nation“ bei: im Falle des Judentums hat man gerade die Religionszugehörigkeit als eine mögliche Definition der Nation benutzt, und umgekehrt kann man im Falle des Hinduismus feststellen, dass dieser, jedenfalls in seiner traditionellen Ausprägung, die Zugehörigkeit zur indischen Volksgemeinschaft im weitesten Sinne voraussetzt. Deshalb hat man argumentiert, dass auch der Hinduismus eher als Nationalreligion und nicht als Weltreligion einzuordnen ist. Andererseits ist der Hinduismus, wenn man die Sachlage genauer betrachtet, nicht die indische Nationalreligion schlechthin; denn ein großer Teil des indischen Volkes bekennt sich zu anderen Religionsgemeinschaften, vor allem zum Islam, oder auch zum Christentum. Die beiden weiteren in Indien verbreiteten bedeutenden Religionen, Buddhismus und Jinismus hingegen sind nach orthodoxem Hindu-Verständnis nichts anderes als heterodoxe Formen des Hinduismus. Traditionell wurde der Hinduismus nach dem Selbstverständnis seiner Anhänger nicht als Religionsgemeinschaft im strengen Sinne des Wortes definiert. Die Hindus betrachten ihre Welt als die Gesamtheit der zivilisierten Welt, außerhalb deren es nur mlecchas, „Barbaren“ geben kann. Durch die Übernahme der hinduistischen Sozialordnung, also des Kastensystems, und seiner rituellen Implikationen, konnten ganze Volksgemeinschaften in diese Hindu-Welt aufgenommen werden. Dagegen konnte man nicht als Einzelperson Hindu werden; erst in den neo-hinduistischen Bewegungen der letzten hundert Jahre ist das anders geworden.

Man sieht aus diesen Bemerkungen, wie schwer die Abgrenzung des Begriffs „Weltreligion“ ist, denn wir haben festgestellt, dass eines ihrer wesentlichen Merkmale, nämlich die individuelle Freiheit der Entscheidung zur Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, im traditionellen Hinduismus ebenso eingeschränkt ist, wie im traditionellen Judentum. Trotzdem gilt der Hinduismus im Allgemeinen als Weltreligion, das Judentum als Nationalreligion. Man könnte natürlich darauf hinweisen, dass Indien – trotz seiner grundsätzlichen kulturellen Einheit innerhalb gewisser Grenzen – ein Vielvölkerstaat ist. Aber man muss doch einräumen, dass letztlich ganz äußerliche Merkmale, wie z. B. die Zahl der Anhänger, für diese Klassifikation ausschlaggebend gewesen sind.

Obwohl also manche Autoren von fünf, andere von vier oder sogar nur von drei Weltreligionen sprechen, so steht doch fest: in jedem Falle zählen dazu Buddhismus, Christentum und Islam. Sie sind über große Teile der Welt verbreitet, verfügen über eine sehr große Zahl von Anhängern, und das Bekenntnis zu ihnen steht allen Menschen offen, gleichgültig, welcher Volks- oder Sprachgemeinschaft sie angehören.

Der Buddhismus hat sich im Laufe seiner langen Geschichte über den größten Teil von Süd-, Südost-, Zentral- und Ostasien ausgebreitet. In großen Teilen Asiens, vor allem in den westlich von Indien gelegenen Gebieten sowie in Teilen Zentralasiens, ist der Buddhismus durch den Islam, und in seinem Ursprungsland Indien selbst durch den Hinduismus verdrängt worden. Jedoch ist er auch heute noch in vielen Ländern Asiens die bedeutendste Religion geblieben. Auch ist seine Missionskraft noch nicht erloschen: gerade im Laufe der letzten Jahrzehnte hat der Buddhismus in großen Teilen der westlichen Welt, in der das Christentum Jahrhunderte lang eine Monopolstellung als einzige Religion innegehabt hatte, eine beachtliche Zahl von Anhängern gefunden. So hat der Buddhismus als religiöses Bekenntnis z. B. in Deutschland eine bis ins Jahr 1903 zurückreichende Geschichte und eine bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu verfolgende Vorgeschichte.

Der Buddhismus ist – im Gegensatz zum Judentum und Hinduismus – eine Stifterreligion, also eine Religion, die ihren Ursprung auf das Wirken einer bestimmten Persönlichkeit zurückführen kann. Von den drei großen Stifterreligionen – Buddhismus, Christentum und Islam – ist sie die älteste. Ihr Ursprung ist in eben die historische Periode zu datieren, die Karl Jaspers als „Achsenzeit der Geschichte“ bezeichnete, und in die auch die Lebenszeit anderer großer Philosophen und Religionsstifter – Zarathustra, Konfuzius, Laotse, Plato usw. – fällt.

Eine wesentliche Besonderheit unterscheidet den Buddhismus von den übrigen Weltreligionen: das ist seine Fähigkeit und seine Bereitschaft, sich an verschiedene Gesellschaftsordnungen anzupassen. Die Lehre des Buddha ist ihrem eigentlichen Wesen nach eine Lehre zur Erlösung aus der Welt, keine Lehre für die Gestaltung des Lebens in dieser Welt. Zwar hat der Buddhismus sich auch in dieser Hinsicht im Laufe seiner Geschichte gewandelt: es gibt verschiedenste Formen eines politischen, in die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse aktiv eingreifenden Buddhismus. Gleichwohl ist festzuhalten, dass der Buddha selbst nicht eine neue Ordnung für die Welt verkündet hat, jedenfalls nicht im Sinne Muhammads, ja nicht einmal im Sinne von Christus, der immerhin auch eine Art Koexistenz von Religion und eigenständiger Staatsgewalt hinzunehmen bereit war.

Der Buddha selbst hat jedoch für die von ihm begründete Kongregation eine feste Ordnung geschaffen. Diese Kongregation ist der Saṅgha, die Gemeinde der buddhistischen Mönche und Nonnen. Sie war – wie andere altindische Kongregationen – eine Gemeinschaft von Weltflüchtigen. Aber auch diese leben in der Gesellschaft, und so war es unumgänglich, das Verhältnis des Saṅgha zur Gesellschaft und zur weltlichen Macht zu regeln. Ferner waren die wirtschaftlichen Grundlagen der Existenz der buddhistischen Ordensgemeinschaft zu sichern. Waren alle Mönche und Nonnen der Zeit des Buddha noch religiöse Bettler, so hat sich auch in dieser Hinsicht im Laufe der Geschichte ein großer Wandel vollzogen: chinesische Klöster des Mittelalters sind mächtige Wirtschaftszentren geworden, in Tibet ist sogar ein buddhistische Kirchenstaat entstanden.

Die außerordentliche Vielfalt der Kulturen in den buddhistischen Ländern hat sich nur dank der angedeuteten großen Anpassungsfähigkeit des Buddhismus entwickeln und erhalten können. So suchen wir vergebens nach einer Einheitlichkeit der buddhistischen Welt in dem Sinne, wie wir sie im Bereich des Christentums und des Islam wenigstens in Grundzügen finden. Gleichwohl darf gesagt werden, dass mit der Ausbreitung des Buddhismus auch die gesamte Kultur der unter seinen Einfluss geratenen Länder eine besondere Prägung erfahren hat, dass es also doch so etwas wie eine „Welt des Buddhismus“ gibt.

Was nun die Zahl der Buddhisten anbetrifft, so ist es eher schwer, dazu einigermaßen zuverlässige Angaben zu machen. Die Schätzungen gehen außerordentlich weit auseinander. Dies liegt nicht nur an der Ungenauigkeit des Zahlenmaterials aus Ländern, in denen die Religionszugehörigkeit nicht amtlich gezählt wird, sondern zunächst einmal schon an der Schwierigkeit, genau zu bestimmen, wer eigentlich Buddhist ist. Wir werden auf die Gründe dafür im Laufe der weiteren Ausführungen stoßen. Sie liegen insbesondere in der schon von Buddha selbst erteilten Erlaubnis, dass sich seine Laienanhänger auch an nicht-buddhistischen religiösen Kulten beteiligen dürfen, solange diese bestimmte Voraussetzungen erfüllen. In den südostasiatischen Ländern hat dies zu einer geregelten Koexistenz buddhistischer und nicht-buddhistischer religiöser Praxis geführt. Dabei wird dem Buddhismus die überlegene oder bestimmende Position in diesem System eingeräumt. Deshalb werden auch alle betreffenden Personen als Buddhisten gezählt. In China liegen die Dinge viel komplizierter – aber dies gehört nicht zum Gegenstand dieses Buches.

Die Frage nach der Zahl der Buddhisten kann also jeweils nur für einzelne Länder beantwortet werden: in Thailand wurden nach der im Jahre 1960 durchgeführten Volkszählung 24,6 Mill. von insgesamt 26,3 Mill. Einwohnern als Buddhisten gezählt, in Nepal dagegen 1952 nur 707 000 von 8,2 Mill. Einwohnern. Die absoluten Zahlen haben sich seither, natürlich, erheblich geändert, aber die prozentualen Verhältnisse weniger. So gab es nach dem Census of India 1991 in Indien 6,3 Mill. Buddhisten, die aber nur 0,77 % der indischen Bevölkerung bildeten. Über vierzig Jahre früher, im Jahr 1961, waren es 3,2 Mill. – damals 0,73 % der indischen Bevölkerung. Die Zunahme von 3,1 Mill. in dieser Zeit betrug mithin prozentual nur 0,05 %.

Wir kommen nun zur Frage nach den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Buddhismus. Selbstverständlich sind alle heute existierenden Formen des Buddhismus Ergebnis langer historischer Entwicklung. Die meisten der üblicherweise gebrauchten Klassifikationsschemen sind historisch, z. B. Hīnayāna oder Śrāvakayāna, Mahāyāna und Vajrayāna. Davon soll später noch die Rede sein. An dieser Stelle geht es mir aber um die religionsphänomenologische Gliederung, die auf der Beobachtung der heute noch lebendigen Formen des Buddhismus beruht, also um die Frage, welche Formen des Buddhismus wir in der Gegenwart beobachten können. Es empfiehlt sich, dabei in erster Linie das Selbstverständnis der Anhänger dieser Religionsformen zu berücksichtigen sowie ihren Zusammenhang mit den traditionellen Kulturen und die Frage nach den für sie jeweils maßgeblichen Heiligen Schriften zu stellen.

Man kann heute die vier Haupttraditionen des Buddhismus mit unterschiedlichen charakteristischen Merkmalen beschreiben, nämlich

den Theravāda-Buddhismus, der auch als „Südlicher Buddhismus“ bezeichnet wird;

den „Tibetischen Buddhismus“, der früher auch als „Lamaismus“ bezeichnet wurde;

den „Ostasiatischen Buddhismus“;

den „Traditionellen Nepalischen Buddhismus“ oder „Newar-Buddhismus“ und

den „Śiva-Buddhismus“, der eine Verbindung mit Religionstraditionen des Hinduismus zu einem eigenartigen Religionssynkretismus darstellt.

Jede dieser Religionsformen ist durch charakteristische Merkmale gekennzeichnet, die ich im Folgenden kurz zusammenfassen möchte.

Ich beginne mit dem Theravāda-Buddhismus. Dies ist eine Selbstbezeichnung. Diese Religionsform ist charakterisiert durch

eine bestimmte Sammlung Heiliger Schriften des Buddhismus, nämlich eine bestimmte Rezension des Tripiṭaka in der Pāli-Sprache. Diese Textsammlung ist eine verbindliche Quelle der Lehrinhalte. Dazu kommt bei den traditionellen Anhängern dieser Religionsform noch die Anerkennung der zugehörigen Kommentarwerke (

Aṭṭhakathā

) zu diesen Heiligen Schriften sowie der Subkommentare (

Tīkā

), d. h. die Anerkennung der traditionellen Interpretation der Werke des Kanons durch die anerkannten Lehrautoritäten der Theravāda-Tradition.

Zu den Merkmalen des Theravāda gehört seit der spätmittelalterlichen Periode die konsequente Ablehnung der Lehren des Mahāyāna-Buddhismus. Dieses Merkmal hat zwar nicht für die gesamte Geschichte des Theravāda gegolten, doch sind sich darin seit vielen Jahrhunderten bis heute alle Theravāda-Anhänger einig.

Zu den Merkmalen des Theravāda gehören ferner deutlich sichtbare Unterschiede zwischen Mönchsgemeinde und Laiengemeinde in Kleidung, Lebensführung usw., vor allem der Zölibat für die Mitglieder des Saṅgha.

Die Theravāda-Tradition geht davon aus, dass es zum heutigen Zeitpunkt keinen Nonnenorden mehr gibt, sondern dessen Tradition bereits vor Jahrhunderten abgerissen sei; der genaue Zeitpunkt ist umstritten. Erst in jüngster Zeit haben einige Gruppen von Theravāda-Anhängern versucht, den Nonnenorden wieder zu begründen. Dies ist jedoch kontrovers geblieben.

Charakteristisch für die Theravāda-Tradition ist die Tatsache, dass sich die einzelnen Richtungen des Theravāda nicht als dogmatische Sekten, sondern als unterschiedliche Kongregationen darstellen. Es handelt sich um separate Mönchsgruppen, wogegen die Laienanhänger von diversen Unterschieden nicht betroffen sind. Man kann den Theravāda daher als eine ziemlich einheitliche Religionsform beschreiben.

Der Theravāda-Buddhismus ist in verschiedenen Ländern eine Art Koexistenz mit lokalen nicht-buddhistischen Kulten eingegangen. Diese Kulte sind national und regional verschieden, d. h. sie sind in Birma ganz anders als in Thailand oder in Sri Lanka (Ceylon). Vieles an der Unterschiedlichkeit der äußeren Erscheinungsform, auch der buddhistische Tempel in diesen Ländern übrigens, beruht ebenfalls auf Anpassung an überlieferte nationale Eigenheiten und ältere lokale Traditionen.

Man beobachtet ein überregionales Zusammengehörigkeitsgefühl aller Theravāda-Buddhisten, zumal in den meisten Gemeinden

bzw.

Klöstern Pāli auch heute noch als Kultsprache dient und infolgedessen auch als übernationales Verständigungsmittel benutzt werden kann, ähnlich wie früher das Lateinische in der römisch-katholischen Kirche. Wie in der katholischen Kirche, ist aber in neuester Zeit ein Vordringen der modernen Nationalsprachen mit allen seinen Konsequenzen zu beobachten.

Alle Theravāda-Buddhisten verwenden eine gemeinsame Zeitrechnung, die vom Jahre 544/543 v. Chr. als dem von ihnen angenommenen Jahr des Parinirvāṇa, d. h. des Todes des Buddha ausgeht.

Für alle Mönchsgemeinden des Theravāda-Buddhismus gilt die Tradition, dass sie heute noch überlieferte

upasampadā

, d. h. die Mönchsweihe, die die Zugehörigkeit zur buddhistischen Ordensgemeinschaft begründet, auf die Traditionen der Mönchsweihe in einer bestimmten Klostergemeinschaft, nämlich im Mahāvihāra in Anurādhapura in Sri Lanka, zurückgeführt wird.

Anhänger des Theravāda leben heute in Sri Lanka (ca. 65 % der Bevölkerung), Birma (88 %), Thailand (90 %), Laos (80 %) und Kambodscha (vor der Machtübernahme der Kommunisten ca. 90 %, nach dem Ende des kommunistischen Regimes wohl wieder 80 %) als Mehrheitsgruppen. Größere Theravāda-Minoritäten leben in Bangladesch (mehr als 500 000), Indien (ca. 8 Mill.). In Indien gehören dazu vor allem die Neo-Buddhisten, also die seit Ambedkars öffentlichem Übertritt zum Buddhismus 1956 bekehrten Angehörigen niederer Kasten (Unberührbare oder Harijans). Auch von dieser radikalen Reformbewegung, die eine völlige Abschaffung des Kastenwesens anstrebt und einen weit größeren politischen Einfluss ausübt als die Zahl ihrer in der Statistik erfassten Anhänger vermuten lässt, soll später noch ausführlicher die Rede sein.

Kleinere Gruppen von Theravāda-Buddhisten leben in Singapur, Malaysia und Indonesien; diese Gemeinden sind überwiegend durch Bevölkerungswanderungen, z. T. auch durch Neubekehrungen, entstanden.

Theravāda-Minoritäten mit langer Geschichte gibt es in Vietnam (und zwar im Süden des Landes), in Südchina (und zwar die Thai-Minorität), in Assam und in einigen anderen Gebieten des nordöstlichen Indien. Die Theravāda-Anhänger in Nepal sind zum Theravāda bekehrte frühere Anhänger der nepalischen Form des Buddhismus, da der Übertritt von Hindus zum Buddhismus in Nepal nicht zulässig wäre. Unter den europäischen Buddhisten überwogen bis vor etwa zwanzig Jahren ebenfalls die Anhänger des Theravāda; sie sind heute hier wie unter den amerikanischen Buddhisten nur noch eine Minderheit gegenüber den Anhängern anderer Formen des Buddhismus.

Im Übrigen lässt sich sowohl in Indonesien wie unter den europäischen und den amerikanischen Theravāda-Anhängern ein Abrücken von einem Teil der oben beschriebenen traditionellen Charakteristika beobachten; dies gilt insbesondere für die konsequente Ablehnung von Ideen des Mahāyāna und für die umstrittene Frage der Wiedergründung des Nonnenordens. Sowohl unter indonesischen wie unter britischen Buddhisten, die sich zunächst zum Theravāda bekannten, haben sich synkretistische Formen des Buddhismus verbreitet, in denen Mahāyāna-Lehren Eingang gefunden haben.

Der Theravāda-Buddhismus wird in älterer Literatur meist auch als „Südlicher“ Buddhismus bezeichnet, weil er in Süd- und Südostasien verbreitet ist.

Ich komme nun zu den anderen in der Gegenwart noch lebendigen Traditionen des Buddhismus.

Dabei beginne ich mit dem Tibetischen Buddhismus. Er heißt auch „Lamaismus“, so genannt nach der Bezeichnung bla-ma (skt. guru) für die Geistlichen dieser Religion. Er ist charakterisiert durch

die Anerkennung der Autorität des Kandschur (

bka’-’gyur

, wörtl. „Übersetzung [

’gyur

] der Anweisung [

ājñā

]“, sc. des Buddha); diese Sammlung gilt mithin als

buddhavacana

, „Wort des Buddha“. Dies ist die schon im 13. Jahrhundert von

Bu-ston

redigierte Sammlung buddhistischer Schriften, die zum ganz überwiegenden Teil aus dem Sanskrit, zu einem geringen Teil aus dem Chinesischen oder aus dem Pāli ins Tibetische übersetzt worden sind. Im Prinzip akzeptieren alle tibetischen Buddhisten auch den Tendschur (

bstan-’gyur

, „Übersetzung der Lehrbücher“), obwohl seinem Inhalt keine vergleichbare Verbindlichkeit zukommt.

den Gebrauch des Tibetischen als Kultsprache.

die Tatsache, dass die Mönchsweihe aller Mönche dieser Form des Buddhismus nach dem Ritual der Mūlasarvāstivāda-Schule erfolgt und auf die Lehrsukzession dieser Richtung zurückgeht. Die Mūlasarvāstivāda-Schule ist eine der bedeutendsten Traditionen des frühen indischen Buddhismus gewesen.

Die Lehrüberlieferungen des Tibetischen Buddhismus beruhen historisch auf den Missionserfolgen indischer Buddhisten, und zwar von Anhängern der Mahāyāna- und Vajrayāna-Lehren. Die Schriften des Śrāvakayāna oder Hīnayāna, also des frühen Buddhismus, blieben als Grundlage der Ordensdisziplin in den Klostergemeinschaften auch des Mahāyāna maßgeblich. Sie wurden, wie der Historiker Bu-ston berichtet, seit der Zeit des Königs Ral-pa-can (817–836) nur noch in der Rezension der Mūlasarvāstivāda-Schule benützt. In einer frühen Periode haben auch chinesische Traditionen den tibetischen Buddhismus stärker beeinflusst, doch ist dieser Einfluss seit dem Konzil von Lhasa (wahrscheinlich 781 n. Chr.) zurückgedrängt worden. Damals wurde die Streitfrage nach der Möglichkeit einer „plötzlichen Erleuchtung“, die von chinesischen Meditationslehrern vertreten worden war, zugunsten der indischen These der stufenweisen Erleuchtung entschieden. Der Tibetische Buddhismus blieb der indischen Tradition bis in die Jahrhunderte des Untergangs des indischen Buddhismus im 11. – 14. Jahrhundert treu verbunden und hat sich danach eigenständig weiterentwickelt.

Der Lamaismus war als missionierende Religion besonders erfolgreich: die Mongolen, die Mandschu und mehrere verwandte Völker im heutigen Russland wurden bekehrt, bis hin zu den Kalmücken an der Wolga. Da mongolische und mandschurische Eroberer chinesische Dynastien begründeten, wurde der Lamaismus mehrere Jahrhunderte lang auch zur Religion der chinesischen Kaiserfamilie.

Innerhalb des Tibetischen Buddhismus bildete sich eine Vielzahl von Schulrichtungen heraus. Insbesondere die jüngeren dieser Richtungen entwickelten eine hierarchische Ordnung der Geistlichkeit. Die jüngste der großen Richtungen des Tibetischen Buddhismus ist die von Tsong-kha-pa (1357–1419) begründete dGe-lugs-pa-Schule. Sie hat maßgeblich die erwähnte Missionstätigkeit nach Osten und Norden, zu Mongolen, Mandschus usw. getragen.

Im heutigen Königreich Bhutan, in Sikkim und in Ladakh, also Gebieten, die nicht oder nur vorübergehend der politischen Kontrolle der tibetischen Zentralregierung unterstanden, verbreiteten sich andere Schulrichtungen des Tibetischen Buddhismus. Vor allem seit der Unterwerfung Tibets durch die chinesische kommunistische Regierung im Jahr 1950 und noch mehr seit der Unterdrückung des Buddhismus in Tibet selbst ab 1959 gelangte der Tibetische Buddhismus durch Flüchtlinge in zahlreiche Länder der Welt. Die Oberhäupter mehrerer Richtungen des Tibetischen Buddhismus, darunter der Dalai Lama, leben heute in Indien im Exil und vermögen so die kulturelle Entwicklung der tibetischen Diaspora zu beeinflussen.

In der heutigen westlichen Welt hat keine andere Form des Buddhismus in so kurzer Zeit so erhebliche Missionserfolge aufzuweisen. Unter den österreichischen und deutschen Buddhisten bilden seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Anhänger des Tibetischen Buddhismus die Mehrheit.

Ich komme nun zur dritten Haupterscheinungsform des heutigen Buddhismus, zum Ostasiatischen Buddhismus. Mit diesem Terminus umschreibt man eine Vielzahl von Religionsformen, deren gemeinsames Merkmal lediglich darin besteht, dass sie in irgendeiner Weise die Traditionen des chinesischen Buddhismus zugrunde legen, d. h. die ins Chinesische übersetzten indischen Texte, dazu aber weitgehend auch zusätzlich bestimmte ältere Originaltexte chinesischer buddhistischer Meister.

Die Sammlung der chinesischen buddhistischen Texte ist weit weniger verbindlich festgelegt, als der Pāli-Kanon oder der tibetische buddhistische Kanon. Soweit es im Bereich des Ostasiatischen Buddhismus gültig ordinierte Mönche gibt, erfolgt ihre Mönchsweihe nach dem Ritual der Dharmagupta-Schule, deren klösterlicher Tradition sie aufgrund der entsprechenden Zugehörigkeit der frühen aus Indien kommenden Missionare angehören. Die Dharmagupta-Schule ist eine der alten Schulen des indischen Hīnayāna, die sich im Nordwesten Indiens verbreitet hatte und deren Traditionen offenbar über Ostturkestan nach China gelangt waren.

Innerhalb des Ostasiatischen Buddhismus haben sich sehr unterschiedliche Religionsformen herausgebildet. Viele von ihnen haben keine ununterbrochene Tradition der Mönchsweihe, d. h. sie haben keinen Saṅgha im strengen Wortsinn mehr und sind reine Laiengemeinden. Der Ostasiatische Buddhismus verbreitete sich schon früh, außer in China auch in Korea, Japan und Vietnam. Japanische Einwanderer brachten ihn schon im 19. Jahrhundert nach Hawaii und in die USA. Vor allem der Meditationsbuddhismus chinesisch-japanischer Prägung, der Zen-Buddhismus, fand in westlichen Ländern viele Anhänger. Daneben haben aber auch andere Formen des Ostasiatischen Buddhismus im Abendland erfolgreich missioniert. In Norddeutschland lässt sich Buddhismus ostasiatischer Prägung zurzeit am besten in der Form einer Klostergemeinschaft vietnamesischer Flüchtlinge in Hannover beobachten.

Die vierte Form des Buddhismus mit selbständiger Überlieferungstradition ist der „traditionelle nepalische Buddhismus“ oder Newar-Buddhismus. Es handelt sich um die überlieferte Religion eines Teiles der in Nepal lebenden Volksgruppe der Newars. Die Newars betrachten sich als die Ureinwohner Nepals. Sie sprechen eine tibeto-birmanische, aber stark mit Sanskrit-Lehnwörtern angereicherte Sprache. Die Newars überliefern keinen Kanon buddhistischer Texte im strengen Sinne des Wortes. Über diese eigenartige, stark vom Hinduismus beeinflusste Form des Buddhismus unterrichten am besten die Arbeiten von Siegfried Lienhard, so dass ich an dieser Stelle nicht weiter auf sie eingehen muss.

Schließlich sei noch der Śiva-Buddhismus in Java und Bali erwähnt. In dieser synkretistischen Tradition sind Elemente des Hinduismus und des Buddhismus eng miteinander verknüpft.

Die genannten fünf unterschiedlichen Hauptformen des Buddhismus haben sich viele Jahrhunderte lang eigenständig entwickelt. Zwar gab es stets Kontakte zwischen tibetischen und chinesischen Buddhisten, doch bestand lange eine ziemlich scharfe Trennung zwischen Anhängern des Theravāda einerseits und der übrigen Traditionen andererseits. Insbesondere der „Verlust der Mitte“, also der Untergang des indischen Buddhismus in der Zeit vom 11. bis zum 14. Jahrhundert, wirkte sich hier stark aus. Auch in den späteren Jahrhunderten sind immer wieder einzelne Pilger zu den heiligen Stätten des Buddhismus in Indien gelangt. So haben z. B. birmanische Könige Klöster und Rasthäuser an der Stätte der Erleuchtung des Buddha in Bodh Gaya erbauen lassen. Die Funktion aber, die der indische Buddhismus als geistiges Ausstrahlungszentrum für alle buddhistischen Traditionen gehabt hat, war nicht zu ersetzen. Die Eigendynamik der fünf genannten Religionsformen war so stark, dass sich gelegentliche Einflüsse anderer buddhistischer Traditionen kaum mehr wesentlich auf ihre weitere Entwicklung auswirken konnten.

Dies hat sich im 19. und 20. Jahrhundert wieder geändert, als die Überwindung der durch die Kolonialzeit eingeleiteten großen religionspolitischen Krise einsetzte. 1891 hat in Adyar bei Madras die erste internationale buddhistische Konferenz der Neuzeit unter Teilnahme von Delegierten aus Ceylon, Birma, China, Japan und aus dem Bergland von Chittagong (heute Bangladesch) statt. Man formulierte „vierzehn grundlegende Glaubenssätze“ als gemeinsames, für alle Richtungen des Buddhismus akzeptables Bekenntnis. Seither hat die Entwicklung einer buddhistischen Ökumene zu einer intensiven gegenseitigen Beeinflussung verschiedener Formen buddhistischer Religiosität geführt, wie sie vorher undenkbar gewesen wäre. Die von westlichen Gelehrten begonnene wissenschaftliche Erforschung der ältesten buddhistischen Quellen hat ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zur buddhistischen Erneuerung geleistet.

Kehren wir nun noch einmal zum Theravāda-Buddhismus zurück. Dabei ist die Frage zu stellen, unter welchen Bedingungen und Umständen sich diese besondere Erscheinungsform des Buddhismus herausgebildet hat. Dies ist eine religions-historische Fragestellung, die zunächst mit philologischen und historischen Methoden zu beantworten ist. Da es aber zu den charakteristischen Merkmalen des Theravāda gehört, ein besonderes Staats- und Gesellschaftssystem entwickelt zu haben, dürfen die religionssoziologischen Fragestellungen, die zuerst Max Müller in seinen berühmten „Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie“ aufgeworfen und diskutiert hat, nicht unberücksichtigt bleiben. Für das Verständnis der Kontinuität des Theravāda sind seine Thesen von grundsätzlicher Bedeutung.

Eine bedeutende Leistung der Theravāda-Buddhisten war die Schaffung einer buddhistischen Historiographie mit zielgerichteter Umdeutung älterer Überlieferungen sowie die Durchsetzung eines eigenständigen chronologischen Systems, währen uns sonst im indischen Kulturkreis keine systematische Geschichtsschreibung aus vorislamischer Zeit bekannt ist.

Von Haus aus eine Erlösungslehre neben anderen Religionen in einer pluralistischen Gesellschaft, ist der Theravāda schon verhältnismäßig früh zur Religion ganzer Völker geworden. Dadurch hat sich die Notwendigkeit einer Regelung des Verhältnisses religiöser Lehren und Institutionen zur weltlichen Macht ergeben. Der Theravāda wurde zu einem bestimmenden Faktor für die historische Entwicklung dieser Völker. Seine Erforschung ist damit aus einer rein religionsgeschichtlichen Fragestellung zu einem Thema auch der politischen und sozialen Geschichte geworden. Das Selbstverständnis der Theravādins als Bewahrer der Buddhalehre in ihrer ursprünglichen Form hat also nicht verhindert, dass es zu tief greifenden Veränderungen in der religiösen Praxis gekommen ist. Daher müssten wir für die Theravāda-Tradition die folgenden Fragen stellen: wie sind die Traditionen der frühen Gemeindeverfassung in die weltlichen Rechtssysteme der vom Theravāda-Buddhismus geprägten traditionellen Rechtssysteme integriert worden? Welche Folgen haben sich aus neuzeitlichen Entwicklungen – also der „Kolonialzeit“ und der „postkolonialen Ära“ dafür ergeben?

An dieser Stelle möchte ich noch auf eine für den Buddhismus – und zwar in allen seinen traditionellen Formen – wichtige Unterscheidung aufmerksam machen, den Unterschied zwischen „weltlich“ (skt. laukika, p. lokika) und „überweltlich“ (skt. lokottara, p. lokuttara). „Weltlich“ ist alles, das der vom Gesetz des Entstehens, Sichveränderns und Vergehens gehörenden Sphäre zuzurechnen ist – also die Welt der irdischen Lebewesen, aber auch die Welt der Götter.

„Überweltlich“ im Sinn dieser Terminologie ist dagegen alles, was zur Erlösung aus dieser Welt führt, also die Lehre des Buddha und ihre Institutionen.

Kapitel 2 Frühe Begegnungen des Buddhismus mit dem Abendland

Im Allgemeinen beginnen unsere Darstellungen der Forschungsgeschichte auf dem Gebiet des Buddhismus mit dem 19. Jahrhundert. Dem sind meist nur kurze Anmerkungen über die ältere Zeit vorangestellt. Soweit ich sehe, fehlt aber bisher eine wirklich umfassende Darstellung dessen, was man vor der Zeit des Beginns der wissenschaftlichen Buddhismusforschung der Neuzeit über den Buddhismus wusste. Dabei ist die Bezeichnung „wissenschaftliche Buddhismusforschung“ ein Synonym für die auf der Auswertung von Primärquellen, d. h. in diesem Fall vor allem der Heiligen Schriften der Buddhisten beruhende Forschung. Im Allgemeinen gilt das zweibändige Werk von Eugène Burnouf (1801–1852) zuletzt Lehrer am Collège de France und Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, als Anfang der modernen Buddhologie: „Introduction à l’histoire du bouddhisme indien“. Teil 1: Paris 1844 (Darstellung) und Teil 2: Paris 1852 („Le Lotus de la Bonne Loi“, Saddharmapuṇḍarīkasūtra-Übersetzung). Es lohnt sich aber, einen Blick auf die Geschichte der älteren Kontakte der Buddhisten mit dem Abendland zu werfen.

Ob die Antike etwas über den Buddhismus gewusst hat, ist umstritten. Das große Indien-Werk des Megasthenes ist nicht als Ganzes erhalten; wir kennen es nur aus Zitaten in Werken anderer antiker Autoren. Megasthenes war etwa im Jahr 302 v. Chr. als Gesandter des Diadochenkönigs Seleukos Nikator an den Hof des Begründers der Maurya-Dynastie, Candragupta Maurya (321– ca. 297), in Pāṭaliputra gelangt. In den erhaltenen Fragmenten seines ausführlichen Berichtes werden Brahmanen und σαμανoι d. h. śramaṇas, erwähnt. Der Terminus śramaṇa bezeichnet jedoch nicht nur buddhistische Mönche, sondern ganz allgemein Wanderasketen im alten Indien.

Sehr umstritten ist auch, ob sich buddhistische Einflüsse auf das Neue Testament nachweisen lassen. Dies ist ebenso nachdrücklich behauptet wie entschieden bestritten worden. Das klassische Werk zu dieser Frage verdanken wir Richard Garbe: „Indien und das Christentum“ (Tübingen 1914). In zahlreichen Abhandlungen sind viele Argumente pro und contra vorgetragen worden; hier sei noch hingewiesen auf N. Klatt: „Literaturkritische Beiträge zum Problem christlich-buddhistischer Parallelen“ (Bonn 1982). Nach meiner Überzeugung darf man vom Vorliegen indischer Einflüsse, wenn auch in sehr beschränktem Umfang, ausgehen, kann aber nicht nachweisen, dass diese speziell buddhistisch gewesen sind.

Auch ist behauptet worden, dass Plotin „wesentliche Elemente seiner Philosophie“ aus Indien übernommen habe, nach neueren Thesen durch Vermittlung seines Lehrers Ammonios Sakkas. Dieser u. a. von Ernst Benz in seiner Abhandlung „Indische Einflüsse auf die frühchristliche Theologie“ (Wiesbaden 1951) behauptete intensiven Gedankenaustausch zwischen der hellenistischen Welt und indischem, auch buddhistischem Denken, ist von anderen Gelehrten als „voreilige Schlussfolgerung“ bezeichnet worden, aber dies war vielleicht auch wieder etwas voreilig geurteilt.

Um 200 n. Chr. begegnen wir bei dem christlichen Theologen Clemens von Alexandrien einem Hinweis auf den Buddha: „Es gibt in Indien diejenigen, die den Geboten des Buddha (Boutta) folgen, den sie wegen seiner Heiligkeit wie einen Gott verehren“ (Stromata 1,15).

Sicher ist auch, dass der Religionsstifter Mani (3. Jh. n. Chr.) etwas über den Buddhismus gewusst hat. So sind bestimmte Lehren des Buddha und auch sein Name in den Manichäismus eingegangen, der bekanntlich in der Spätantike eine zeitlang ein ernstzunehmender Konkurrent für das Christentum gewesen ist. Es ist aber insgesamt überraschend, wie wenig Konkretes der westlichen Antike über Indiens Religionen, speziell über den Buddhismus, bekannt war.

Umgekehrt war es auch nicht viel anders. Indische Quellen berichten wenig historisch Brauchbares über die Yonas (Griechen) und über andere Völker des Westens, obwohl wir bereits in der Zeit des Aśoka griechische Inschriften im äußersten Nordwesten des indischen Kulturgebiets finden, und obwohl griechische Siedler die Entwicklung der indischen Kunst tiefgehend beeinflusst haben. Auf dem Gebiet der Philosophie ist der Milindapañha ein Sonderfall. Dieses Werk, „Fragen des Milinda (Menandros)“, enthält philosophische Gespräche zwischen dem König Menandros und dem buddhistischen Mönch Nāgasena. Menandros regierte ein indo-griechisches Königreich im Nord-Westen des Subkontinents. Ohne auf dieses höchstinteressante Dokument an dieser Stelle näher einzugehen, sei es als Beleg dafür angeführt, dass in jener Zeit tatsächlich ein geistiger Austausch der hellenistischen und der buddhistischen Welt stattgefunden hat. Erwähnt werden soll ferner, dass Hieronymus (ca. 347–419) berichtet, dass der Buddhas aus der Seite einer Jungfrau geboren worden sei („Traditur quod Buddam, principem dogmatis eorum, e latere suo virgo generavit“).

Aus mittelalterlichen literarischen Quellen des Westens erfahren wir nicht viel über den Buddhismus. Christliche Missionare, und zwar Nestorianer, gelangten zwar im 7. und 8. Jahrhundert bis nach Ostturkestan und China, aber auf diesem Weg scheinen keine genauen Informationen über den Buddhismus in den Westen gedrungen zu sein.

Erwähnt werden soll hier ferner die Heiligenlegende von Barlaam und Josafat. Dies ist eine christianisierte Version der Buddha-Legende. Josafat wurde sogar als christlicher Heiliger verehrt, ist aber der Entrümpelung der katholischen Heiligenregister in jüngster Zeit zum Opfer gefallen. Auch zu diesem Thema gibt es eine unübersehbare Fülle von Literatur. Man glaubt heute, dass die älteste erhaltene Version dieser Legende eine georgische Fassung des 9. oder 10. Jahrhunderts ist, und dass diese wiederum auf einer arabischen, inzwischen ebenfalls veröffentlichten Rezension der Erzählung beruht. Diese soll auf eine mittelpersische, möglicherweise manichäische Fassung der Geschichte zurückgehen. Jedenfalls ist die Erzählung in der hoch- und spätmittelalterlicher Zeit in alle Kultursprachen des damaligen Europa übersetzt und sehr viel gelesen worden, nachdem sie ca. 1000 ins Griechische und 1048 ins Lateinische übersetzt worden war.

Für den Kulturaustausch des Abendlandes mit Zentral- und Ostasien hat die Seidenstraße zentrale Bedeutung gehabt. Einige unerwartete Zeugnisse des Buddhismus in Nordeuropa geben davon Kunde, dass auch auf den Handelsstraßen der Wikinger indisches Kulturgut in den Westen gelangt ist. Bei den Ausgrabungen in Haithabu wurden zwei indische Buddha-Figuren ausgegraben; die erste wurde unverständlicherweise in den Kunsthandel gegeben, ohne dass man sie vorher fotografierte. Erst bei dem zweiten Fund merkte man, dass es sich um eine sensationelle Entdeckung handelte. Zunächst hatte man nämlich gemeint, die Figur sei zufällig und später an den Fundort gekommen. Außerdem hat man eine aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. stammende nordindische Buddha-Figur in Helgö im schwedischen Uppland ausgegraben. Es besteht kein Zweifel, dass auf dem Weg über Russland auch Elemente indischer Kunst ins mittelalterliche Europa gelangten.

Die Ausbreitung des Islam hat über mehrere Jahrhunderte den direkten Kontakt des Abendlandes mit den buddhistischen Ländern unterbrochen. Dies änderte sich mit der Entsendung von Dominikanern und Franziskaner an den mongolischen Hof unter dem Papst Innozenz IV. und dann mit dem Reisebericht von Marco Polo. Die damals vermittelten Informationen beziehen sich jedoch auf den Lamaismus, nicht auf den Südlichen Buddhismus.

Seit Vasco da Gama’s Indienreise (1497/8) war der Weg für direkte Kontakte offen. Bereits im 16. Jahrhundert haben Missionare die buddhistischen Länder Südostasiens und Japan besucht. Seit 1624 sind Missionare auch nach Tibet gelangt. Ihre Berichte sind von Luciano Petech in 7 Bänden ediert worden („I missionari Italiani nel Tibet e nel Nepal“, Roma 1954–56). Die Masse der frühen Berichte von Reisenden, seit dem 17. Jahrhundert erweitert durch Berichte von Gesandten, ist fast unübersehbar und bisher nur zu einem kleinen Teil ausgewertet.

Zu den berühmtesten Berichten gehört die „Description du royume de Siam“ (Paris 1691) von Simon de la Loubère. Er war 1687–1688 vom König Ludwig XIV. als außerordentlicher Gesandter nach Siam geschickt worden. La Loubère gibt eine für die Verhältnisse seiner Zeit sehr gute Beschreibung des Buddhismus, aus der ich hier einige Auszüge zitiere. Es handelt sich dabei um die erste genauere Beschreibung des Theravāda-Buddhismus in der europäischen Literatur überhaupt.

Ich zitiere hier einige Auszüge aus diesem Gesandtschaftsbericht nach einer im Jahr 1752 erschienenen deutschen Bearbeitung (Die von H. Bechert angeführte deutsche Bearbeitung war nicht zugänglich, daher vgl. eine spätere und etwas abweichende deutsche Übersetzung des Werkes von Simon de la Loubère: Loubère 1800), die im Band 10 des Sammelwerkes „Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande, oder Sammlung aller Reisebeschreibungen … durch eine Gesellschaft gelehrter Männer … zusammen getragen und … übersetzt“ enthalten sind; die auf La Loubère zurückgehenden Informationen sind darin einer Bearbeitung durch Guido Tachard entnommen und stehen auf den Seiten 295–297 (hier in der sprachlichen Form des Originals zitiert). Der Wiedergabe der Darstellung der Religion der Siamesen seien einige erläuternde Bemerkungen vorausgeschickt:

Die „balische“ Sprache ist nichts anders als das Pāli, „Talapoinen“ ist eine (aus der Sprache der im heutigen südlichen Birma lebenden Mon abgeleitete) Bezeichnung buddhistischer Mönche, „Niruppan“ ist das Nirvāṇa, die „Naang Phratorani“ ist die Erdgöttin (dharaṇī), die bei der Erleuchtung des Buddha die bösen Geister durch eine große Flut wegspült – und „Gott“ ist niemand anderes als der Buddha selbst. Der Text lautet:

„Die siamische Religion ist ein seltsames Wesen, das man nicht anders, als nur aus ihren balischen Büchern recht einsehen kann. Zwar wird die Sprache, welche diesen Namen trägt, nur von wenigen gelehrten Talapoinen verstanden, die sich auf nichts anders legen. Nichts desto weniger hat der Eifer der Missionarien diese Hindernisse aus dem Wegen geräumt. Was man nun … in dieser dunkeln Sache entdecken konnte, das besteht in folgendem: die Siamer glauben zwar einen Gott, sie verstehen aber unter diesem hohen Namen ein Wesen, das aus Geist und Leib besteht, und die Eigenschaft hat, dem menschlichen Geschlechte zu helfen. Diese Hülfe besteht darinnen, daß es ihnen ein Gesetz giebt, die Mittel zu einem frommen Leben vorschreibt, die wahre Religion und alle zu ihren Bedürfnissen erforderliche Wissenschaften lehret. Seine Vollkommenheiten bestehen nach ihrer Meynung in dem höchsten Grade aller sittlichen Tugenden; und besagtes Wesen hat selbigen dadurch erlangt, daß es dieselbigen in unendlich vielen Leibern, in die es nach und nach fuhr, ausübte. Es ist frey von allen Leidenschaften. Es verspüret nicht die geringste Veränderung, die seine Ruhe stören könnte. Eher es aber in diesen erhabenen Stand gelangte, verursachte die ungemeine Bemühung, die es auf die Ueberwindung seiner Leidenschaften wendete, eine so große Veränderung an seinem Leibe, daß sein Geblüte davon weiß wurde. Es hat die Macht, vor den Augen der Menschen zu erscheinen, oder unsichtbar zu werden. Seine Geschwindigkeit ist erstaunlich. Es kann durch die bloße Kraft seines Willens in einem Augenblicke von einem Ende der Welt bis an das andere fahren. Er weis alles; seine Wissenschaft besteht nicht, wie die unserige, in einer Reihe Vernunftschlüsse, sondern in einem klaren und einfachen Anschauen, das ihm die Vorschriften des Gesetzes, Tugend und Laster, ja alle Geheimnisse der Natur, das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige, den Himmel und die Erde, das Paradies und die Hölle, alles, was zu unserer sichtbaren Welt gehöret, ja auch alles, was in den andern Welten, davon wir keine Nachricht haben, vorgeht, auf einmal vorstellet. Es stellet sich alles deutlich vor, was seit der ersten Wanderung seiner Seele, bis auf die letzte mit ihm vorgieng.

Unterdessen gelanget dieser Gott nicht eher zu seiner vollkommenen Glückseligkeit, als er bis zum letzten Male stirbt, und hernach nicht mehr gebohren wird. Denn indem er sodann nicht mehr auf der Welt erscheint, so ist er keinem elende mehr unterworfen. Die siamischen Lehrer vergleichen dieses Absterben mit einer ausgelöschten Fackel, oder mit dem Schlafe, der uns alle Empfindungen unsers Unglücks wegnimmt; nur mit dem Unterschiede, daß unser Schlaf unser eine vergängliche Ruhe ist, dahingegen ihr Gott bey seinem Absterben alles Elendes auf ewig los wird. Hernach kömmt ein anderer Gott an seine Stelle. Die Regierung einer jedweden Gottheit währet eine gewisse Anzahl Jahre; nämlich so lange, bis eine gewisse Zahl der Auserwählten voll ist, welche durch ihre Verdienste heilig werden sollten. Ist dieses geschehen, so verschwindet er von der Welt, und fällt in eine ewige Ruhe, die man aber keineswegs für eine Vernichtung halten darf. Die nachfolgende Gottheit tritt in die Rechte der vorigen, und regieret die Welt an ihrer Statt.

Zwar können die Menschen zu Göttern werden, sie müssen aber durch lange Uebung bis auf den höchsten Gipfel er Tugend gestiegen seyn. Ja es ist nicht einmal genug, wenn sie in den Leibern, darein ihre Seele nach und nach fährt, eine Menge guter Werke thun, sondern sie müssen bey jedem guten Werke den Vorsatz fassen, die Gottheit zu verdienen (d. h. das Gelübde ablegen, ein Buddha zu werden), auch die Schutzgeister der vier Völker der Welt, zu Zeuge ihrer guten Werke anrufen; ferner müssen sie auch Wasser ausgießen, und dabey den Beystand der Schutzgeistin unserer Erde, namens Naang Phratorani (s. oben) anrufen. … Wer nun Willens ist, dermaleinst ein Gott zu werden, der nimmt dieses alles fleißig in Acht.

Nebst dem Götterstande, als der höchsten Stuffe der Vollkommenheit, glauben sie noch eine andere geringere, welche sie den Stand der Heiligkeit, (d. h. den Status eines Erlösten, der die Lehre des Buddha befolgt hat) benennen. Ein Heiliger zu werden, ist es schon genug, wenn man bey seiner Wanderung durch allerley Leiber sehr tugendhaft geworden ist, und bey jeder Handlung Heiligkeit zur Endabsicht gehabt hat. Dieser Stand hat mit dem göttlichen einerley Eigenschaften, doch mit dem Unterschiede, daß ein Gott dieselbigen durch seine eigene Kraft, die Heiligen aber sie vermittels der Lehren, die er ihnen giebt, von ihm erhalten. Die Heiligkeit erlanget ihre Vollkommenheit nicht eher, als wenn die Heiligen absterben, und nicht wieder auf die Welt kommen, sondern ihre Seelen ins Paradies getragen werden, und daselbst einer ewigen Glückseligkeit genießen.

Weil die Siamer nach ihrem guten Verstande wohl begreifen, das Böse müsse bestrafet, das Gute hingegen belohnet werden: so glauben sie ein Paradies, und setzen es in den allerhöchsten Himmel. Gleichfalls glauben sie eine Hölle, und setzen sie in den Mittelpunct der Erde. Nur können sie nicht glauben, dasz weder eines noch das andere ewig währen solle. Sie theilen die Hölle in acht Wohnungen, das ist, in acht Stuffen der Pein, gleichwie den Himmel in acht Stuffen der Seligkeit. … In der vierten sind sie über alle sinnliche Lüste weg, und die Reinigkeit wächst dergestalt in jedwedem Himmel, bis auf den letzten, welcher in ihrer Sprache Niruppan [d. h. Nirvāṇa] heißt, und eigentlich das rechte Paradies ist.“

Über dieses „Niruppan“, also über das Nirvāṇa, sagt La Loubère (übersetzt nach dem 1691 in Paris erschienenen Originaltext [vgl. Loubère 1691]; der entsprechende Abschnitt fehlt der zitierten deutschen Bearbeitung):

„Sie glauben, dass die Seele, wenn sie durch zahlreiche Wanderungen und durch eine große Menge guter Taten so viel Verdienst erworben hat, dass es keine ihrer würdige Welt gibt, dann von der Seelenwanderung befreit wird, und von jeder Form des Lebens, dass sie keine Tätigkeit mehr ausübt, weder wiederbelebt wird, noch erneut stirbt, sondern ewiges Nicht-Handeln und wirkliche Befreiung vom Leiden erreicht. Niruppan, sagen sie, bedeutet, dass die Seele verschwunden sei; sie kehre nicht wieder in die Welt zurück. Und es ist dieses Wort (niruppan), das die Portugiesen so übersetzt haben: „es ist vernichtet“, und gleichzeitig als „ist es Gott geworden“, aber nach Ansicht der Siamer es ist weder wirkliche Vernichtung noch der Erwerb einer göttlichen Natur.“

La Loubère beschreibt auch das Karma-Gesetz, nach dem „alles Glück und Unglück, das einem Menschen begegnet, die Wirkung seiner guten und bösen Handlungen sei, indem einem Unschuldigen niemals Unglück widerfahren könne.“

In seiner Darstellung begegnet man auch einigen Vorstellungen des volkstümlichen Buddhismus, wie dem – noch heute im Birma lebendigen – Glauben an Waldeinsiedler (bezeichnet als „Pra Rasi“, birmanisch yatheit (rase), aus skt. ṛṣi), die über übernatürliche Fähigkeiten verfügen und schließlich zu vijjādharas (birmanisch weiktha) werden. Dazu wird uns auf p. 298 der zitierten Reisebeschreibungen Folgendes berichtet:

„Sie erzählen Wunderdinge von gewissen Einsiedlern, die sie Pra-Rasi nennen. Dieses Einsiedlergeschlecht führet an Orten, die von aller menschlichen Gesellschaft abgesondert sind, ein sehr heiliges und strenges Leben. Die siamischen Bücher schreiben ihnen eine vollkommene Erkenntnis der allerverborgensten Naturgeheimnisse zu, die Kunst Gold und andere Metalle zu machen. Kein Wunderwerk ist so groß, daß sie nicht thun können. Sie verwandeln sich in jede beliebige Gestalt. Sie fliegen durch die Luft, sie fahren im Augenblicke aus einem Orte in den andern. Aber, ob sie gleich sich unsterblich machen können, weil sie die Kunst wissen, ihr Leben zu verlängern: so opfern sie es dennoch alle tausend Jahre Gott auf, indem sie sich bis auf einen, der sie hernach wieder aufwecket, auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Es ist so wohl äußerst schwer, als gefährlich, diese mächtigen Einsiedler zu finden. Gleichwohl lehren die Bücher der Talapoinen, welchen Weg man nehmen, und wie man es machen müsse, wenn man ihre Wohnungen finden wolle.“

Diese vollendeten Magier leben, so glaubt man, bis zum Erscheinen des nächsten Buddha und gehen dann erst ins Nirvāṇa ein.

Ich übergehe die ausführliche Darstellung der traditionellen buddhistischen Kosmographie, zitiere aber noch eine hochinteressante Stelle, in der die Geschichte von Devadatta, dem Widersacher des Buddha, dargestellt wird. Sie erfährt hier eine eigentümliche Prägung und beleuchtet die buddhistische Reaktion auf das Christentum, das bekanntlich in buddhistischen Ländern kaum Anhänger gewinnen konnte. Übrigens ist diese besondere Interpretation der Devadatta-Geschichte mittlerweile aus keinem anderen Land als aus Siam bekannt. „Sommono-Khodom“ ist Samaṇa Gautama, also der Buddha, „Tonppo“ – der Bodhi-Baum, d. h. der Baum, unter dem der Buddha seine Erleuchtung erreicht hat. „Pputhang, Thamang und Sankhang“ sind die s. g. Drei Juwelen Buddha, Dhamma und Saṅgha, also die drei Grundpfeiler der buddhistischen Religion. So lesen wir im Text von La Loubère in der genannten deutschen Bearbeitung (p. 300f., leicht gekürzt):

„Sie nennen ihren Gott Sommono-Khodom. Man giebt vor, er sey durch seine eigene Kraft als ein Gott auf die Welt gekommen; habe unmittelbar nach seiner Geburt, ohne die geringste Unterweisung, sondern durch das bloße Anschauen seines Verstandes, eine vollkommene Wissenschaft erlangt, von allem, was den Himmel, die Erde, das Paradies, die Hölle und alle Geheimnisse der Natur betrifft; in eben diesem Augenblicke sey ihm alles beygefallen, was er ehemals gethan, als er, wer weis wie oft, auf der Welt gelebet. Nachgehends habe er das Volk sehr tiefe Geheimnisse gelehret, auch solche der Nachwelt zum Besten in seine Bücher aufgezeichnet. Nachdem er zum Gotte geworden, so hätte er eines Tages gewünschet, seine Gottheit durch ein besonders Wunder der Welt zu zeigen. Er saß eben damals unter einem gewissen Baume, Tonppo (d. h. dem Bodhi-Baum) genannt, welchen die Siamer um dieser Ursache willen sehr heilig achten. Sogleich wurde er in einem goldenen mit Edelgesteinen besetzten Throne in die Luft erhaben; die Engel stiegen vom Himmel herab, und erzeigten ihm die Ehre der Anbethung, die sie ihm schuldig waren. Diese Herrlichkeit erweckte den Neid seines Bruders Thevathat, und seiner Anhänger. Sie reizeten alle Thiere gegen ihn, und verbanden sich mit selbigen zu seinem Untergange. Nichts destoweniger erhielt er einen vollkommenen Sieg. Allein Thevathat, welcher gleichfalls zum Gotte werden wollte, blieb bey seinem Ungehorsame und führte eine neue Religion ein, welche auch viele Könige und Völker zum Beyfalle bewegte. Dergestalt entstund eine Glaubensspaltung, welche die Welt in zwo Meynungen theilte. Die Siamer machen uns zu Anhängern des Thevathat, und schließen daraus, es sey kein Wunder, daß wir, als die Schüler desselbigen, von allem den, was Sommonokhodom sie lehrete, nicht das geringste wüssten, und daß unsere Schriften voll dunkeler ungewisser Dinge wären. Aber obgleich Thevathat kein rechter Gott war: so gestehen sie doch, er habe viele Wissenschaften ungemein wohl verstanden, insonderheit die Mathematik und Geometrie: daher komme es auch, daß wir hierinnen besser wären, als sie, indem er sie uns gelehret habe.

Endlich wurde dieser gottlose Thevathat in die tiefste Hölle gestürzet. Sommonokhodom erzählet selbst, da er einstens die acht höllischen Wohnungen besichtiget, so habe er den Thevathat in der achten, das ist, in dem Peinigungsorte der allergrößten Missethäter, angetroffen. Er beschreibt auch, wie er gepeiniget wurde. Er war mit großen Nägeln an Händen und Füßen an ein Kreuz geheftet, und musste unaussprechliche Schmerzen ausstehen. Auf dem Haupte trug er eine Dornkrone, der ganze Leib war zerfleischt, über das alles brennete ihn ein heftiges Feuer, ohne ihn zu verzehren. Dieser Anblick erweckte Sommonokhodoms Mitleiden so sehr, daß er alles von diesem schelmischen Bruder empfangene Unrecht vergaß, und ihm vorschlug: er sollte folgende drey Worte anbethen: Pputhang, Thamang, Sankhang, welches gewisse heilige und geheimnißvolle Worte sind, dafür die Siamer große Ehrerbiethung hegen. Das erste bedeutet Gott; das andere Wort Gottes; das dritte Nachahmung Gottes. Hätte Thevathat sie angebetet, so wäre er begnadiget worden. Aber er that es nur mit den beyden ersten, das dritte wollte er nicht anbethen, weil es einen Nachahmer Gottes, oder einen Priester bedeutet, die Priester aber sündige Menschen sind, welche dergleichen Ehrerbiethung nicht verdienen. Er wurde demnach seiner Hartnäckigkeit überlassen, und seine Quaal dauert noch immer.

Unter allen Hindernissen, welche die Siamer von Ergreifung des Evangelii abwendig machen, ist diese wunderliche Einbildung die allerstärkste. Indem sie zwischen ihrer und unserer Religion einige Aehnlichkeit zu finden vermeynen: so halten sie Christum für diesen Thevathat. Ein Crucifix ist in ihren Augen die leibhaftige Abbildung von des Thevathats Bestrafung, und so bald ihnen ein Heydenbekehrer unsere Glaubensstücke erklären will: so sagen sie, sie brauchten seine Unterweisung nicht, sondern wüßten ohnedieß schon, was er ihnen sagen wollte.“

Auch die 550 Jātakas (Vorgeburtsgeschichten) werden erwähnt, darunter besonders das Vessantarajātaka, das die „Vollkommenheit der Freigiebigkeit“ exemplifiziert, die fünf grundlegenden Sittengebote usw. Eine besonders interessante Nachricht von La Loubère ist die „Geschichte von dem Mönch, der sich selbst verbrannte“:

„Vor sechs oder sieben Jahren verbrannte sich ein Mönch (hier: „Peguin“, d. h. ein Mönch aus Pegu) selbst, in einem der Tempel die sie Sam-Pihan nennen. Er setzte sich mit gekreuzigten Beinen hin, beschmierte seinen ganzen Körper mit dickem Öl und zündete Feuer an … Nachdem er zu Asche verbrannt war, wurden die Überreste mit einer Art Überzug versehen und daraus eine Statue gemacht und hinter die Statue des Buddha auf den Altar gestellt. Man nennt diese Heilige ‚wahre Heilige‘.“

Solche Selbstverbrennungen kennt man sonst aus dem Bereich des Mahāyāna-Buddhismus. Während des Vietnam-Krieges sind sie sogar ein Kampf-Mittel des politischen Buddhismus gewesen. In Siam wurden sie im 19. Jahrhundert ausdrücklich verboten.

Wie Guy Richard Welbon in seinem wissenschaftsgeschichtlichen Werk „The Buddhist Nirvāṇa and ist Western Interpreters“ (Chicago u. London 1968) zu Recht feststellte, bietet das Werk von La Loubère nicht nur die wohl älteste Erwähnung des Nirvāṇa-Begriffes in westlicher Literatur, sondern auch eine Interpretation dazu. Diese, aufgrund von Auskünften siamesischer buddhistischer Mönche formulierte Interpretation ist, – so Welbon – „amazingly modern“, d. h. sie entspricht dem neuesten Stand der Forschung auf diesem Gebiet. Ich zitiere noch einmal verkürzt die wesentliche Aussage:

„Nirvāṇa, so sagen sie, bedeutet, dass die Seele verschwunden sei: sie kehre nicht wieder in die Welt zurück. Und es ist dieses Wort, das die Portugiesen so übersetzt haben: es ist vernichtet, und gleichzeitig: es ist Gott geworden – aber nach Ansicht der Siamer (Siamesen) ist es weder wirkliche Vernichtung noch der Erwerb der göttlichen Natur.“

Diese Erkenntnis hat in der abendländischen Literatur über den Buddhismus nach La Loubère erst wieder Hermann Oldenberg, der Begründer der modernen Buddhismus-Forschung ausgesprochen, und zwar in dem Buch, das genau 190 Jahre nach dem Buch von La Loubère erschien, nämlich im Jahre 1881 [vgl. Oldenberg 1881].

Es gibt noch einen zweiten grundlegend wichtigen Bericht über die Religion eines Landes des Theravāda-Buddhismus, nämlich den von Robert Knox über Ceylon. Während die Küsten-Region der Insel unter holländischer Herrschaft stand, war das Hochland von Kandy bis 1815 ein unabhängiges Königreich geblieben, und dort war der Buddhismus Staatsreligion. König Rājasimha II. (1635–1687) hatte ein besonderes Hobby, nämlich die Einrichtung einer Art von Menagerie europäischer Gefangener. Seine Sammlung war im Lauf der Zeit ziemlich groß geworden. Zu den unfreiwillig Festgehaltenen kam noch eine Anzahl katholischer Asylanten, die von der äußerst repressiven protestantischen Religionspolitik der holländischen Kolonialherrn in den Küstengebieten der Insel ins Reich von Kandy flüchteten, wo ihnen Religionsfreiheit gewährt wurde. Die insgesamt etwa tausend Europäer im Königreich wurden sehr gut behandelt. Es wurde ihnen nahegelegt, einheimische Frauen zu heiraten, Landgüter zu bewirtschaften, und es wurden ihnen viele Privilegien gewährt. Nur durften sie das Land nicht verlassen, dessen Grenzen gegenüber dem holländischen Machtbereich gut abgesichert waren. Die meisten dieser Europäer fanden sich mit dieser Situation ab, und ihre Familien gingen in der singhalesischen Bevölkerung auf. So trifft man heute noch die recht einflussreichen „de Lanerolle“ und andere Singhalesen mit europäischen Ahnen aus jener Zeit. Robert Knox aber hielt an der Absicht fest, nach Hause zurückzukehren. Knox war 1641 als Sohn eines wohlhabenden britischen Schiffsunternehmers geboren worden. Er wurde durch eine List an der Küste Ceylons gefangen genommen und ins Hochland gebracht. Nach 19 Jahren Aufenthalt im Königreich Kandy gelang ihm die Flucht und die Heimkehr nach England.

Nach seiner Rückkehr schrieb er sein berühmtes Buch „Historical Relation of Ceylon“, das in zahllosen Auflagen erschienen ist. Die erste Auflage wurde 1681 in London gedruckt; ein Nachdruck erschien 1957 in Colombo als Band 6 des „Ceylon Historical Journal“. Es blieb bis zur Besetzung Kandys durch die Engländer 1815 die Hauptquelle für die Kenntnis des Königreichs Kandy, und es ist heute noch eine Quelle wertvoller Informationen. Durch die weit überdurchschnittliche, ja geniale Beobachtungsgabe seines Verfassers ragt es über alle anderen Werke der damaligen Asien-Literatur hinaus.

Was kann uns Knox nun über den Buddhismus berichten? Das Bild des Buddhismus, das wir von ihm erhalten, hat auf den ersten Blick kaum etwas gemeinsam mit dem von La Loubère entworfenen. Knox fehlt im Grunde jedes Interesse an dem Weltbild der geistigen Oberschicht des Landes, wie es die hochgebildeten französischen Beobachter des Buddhismus in Siam gezeigt hatten. Knox berichtet, was er gesehen hat; er ist Positivist durch und durch. Gerade darin liegt der besondere Wert seiner Informationen, und gerade deshalb haben die Angaben ein so hohes Maß an Aktualität behalten können.

Knox sagt zunächst lapidar: „The religion of the country is idolatry. There are many both gods and devils, which they worship, known by particular names“. Dann folgt ein Satz, der evidentermaßen Ergebnis eines Missverständnisses ist. Man muss dazu wissen, dass Knox stets seine Bibel bei sich behalten hatte und regelmäßig in ihr las, so dass er nach der Vorstellung eines höchsten Gottes auch dort suchte. Er sagt nämlich:

„They do acknowledge one (god) to be the Supreme, whom they call Ossa polla maupt Dio (ākāśa poḷa mavu deviyō), which signifieth the Creator of Heaven and Earth; and it is he also, who still ruleth and governeth the same. This great Supreme God, they hold, sends forth other Deities to see his Will and Pleasure executed in the World; and these are the petty and inferior gods“ (p. 115).

Diese Mitteilung von Knox ist selbstverständlich nicht korrekt; die Buddhisten in Sri Lanka kennen keinen „Schöpfer des Himmels und der Erde“, der die Bezeichnung ākāśa poḷa mavu deviyō, also „Muttergott von Himmel und Erde“ tragen würde.

Über den Buddha selbst hat Knox Folgendes zu berichten:

„There is another great God, whom the call Buddou, unto whom the Salvation of Souls belongs. Him they believe once to have come upon the Earth. And when he was there, that he did usually sit under a large shady Tree, called Bogahah. Which Trees ever since are accounted holy, and under which with great Solemnities they do to this day celebrate the Ceremonies of his Worship. He departed from the Earth from the top of the highest Mountain of the Island, called Pico Adam: where there is an Impression like a foot, which, they say, ist his …“ (p. 115).

In den weiteren Ausführungen beschreibt er die Tempel, berichtet über Klöster und Mönche, Zeremonien, sowie sehr ausführlich über die „Devis“ und „Devils“ und die mit ihrem Kult verbundenen Rituale.

Die Interpretation dieser Berichte von Robert Knox im Lichte der heutigen Buddhismus-Forschung führt zu interessanten Ergebnissen. Vergleichen wir nämlich unser Wissen über die Religion in Sri Lanka, so fällt zunächst auf, dass Buddhismus und Volksreligion bei Knox nicht voneinander getrennt sind, jedenfalls nicht in einer für den Leser sofort einsichtigen Art und Weise. In den meisten neueren Darstellungen werden die Glaubenssätze und Einrichtungen des Buddhismus zunächst einmal für sich betrachtet, und dann der Götter- und Geisterkult in Gegensatz dazu gesetzt. So schreibt Heinrich Hackmann in seinem berühmten dreibändigen Buddhismus-Werk „Der Ursprung des Buddhismus und die Geschichte seiner Ausbreitung“ (vgl. Hackmann 1906: Teil 2, Halle 1905, p. 28):

„Innerlich ist es eben nicht der Buddhismus, durch welchen der einfach Singhalese sich wirklich berührt fühlt, sondern vielmehr sein alter Natur- und Dämonenkultus. Der Buddhismus hat nichts dafür getan, denselben zu beseitigen, hat vielmehr durch seine mythologischen Elemente allerlei Handhaben geboten, ihn zu erhalten.“

Erst die religionssoziologischen Forschungen der 60-er Jahre des 20. Jahrhunderts haben das Bild zurechtgerückt und gezeigt, dass Buddhismus und Volksreligion ein integriertes System darstellen, in dem die Volksreligion nicht vom Buddhismus zu trennen ist, der Buddhismus aber andererseits in keiner Weise von der Volksreligion abhängig ist. Das Bild von „Basis und Überbau“ passt also nicht: beide sind in einer besonderen, charakteristischen Weise miteinander verbunden.

Nun wird uns die Darstellung von Knox verständlich; zwar hat er die Funktion des Buddha an der zuerst zitierten Stelle missverstanden – der Buddha ist als gleichsam oberster Herr aller Götter der Volksreligion weder „Creator of Heaven and Earth“ noch „sendet“ er die Götter aus. Er gibt den Göttern bzw. vielmehr den höchsten Göttern vielmehr eine Art „Vollmacht“ (varama) für ihre Wirksamkeit, die sie dann auf einem oft mehrstufigen Weg von „Untervollmachten“ in einem streng hierarchischen, also sozusagen feudalistischen System auf die niederen Götter und die „devils“ – also die yakṣas – weitergeben.