Der Butler 04: Die Puppe - Curd Cornelius - E-Book

Der Butler 04: Die Puppe E-Book

Curd Cornelius

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Beschreibung

Ein Mitarbeiter einer streng geheimen US-Organisation findet seinen Arbeitsplatz nicht wieder. Schnell wird ihm klar, dass etwas Schreckliches von schier unglaublicher Tragweite passiert sein muss. Er bittet Lady Marbely und ihren Butler um Hilfe.

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Seitenzahl: 165

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DER BUTLERBand 4

In dieser Reihe bisher erschienen:

2401 J. J. Preyer Die Erbin

2402 J. J. Preyer Das Rungholt-Rätsel

2403 Curd Cornelius Das Mädchen

2404 Curd Cornelius Die Puppe

In Vorbereitung:

2405 Andreas Zwengel Die Insel

2406 Andreas Zwengel Die Bedrohung

2407 Andreas Zwengel Teneriffa-Voodoo

Curd Cornelius

DIE PUPPE

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!

 Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag, www.blitz-verlag.de, in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt bis zu einer Höhe von 23 %.© 2017 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckNach einer Idee von Jörg KaegelmannRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mark FreierIllustrationen: Ralph KretschmannIllustration (Seite 5): Jörg NeidhardtSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenwww.BLITZ-Verlag.deISBN 978-3-95719-505-0

Im Gegensatz zu ihrer Tochter, hatte Claudia Monot eine gewisse Abneigung gegen Handys entwickelt. Wegen dieser zum Teil unerklärlichen Funktionen, deren Anzahl und Vielfältigkeit unüberschaubar waren. Jetzt aber starrte auch sie unentwegt auf ihr Smartphone. Sie hatte bereits drei Nachrichten an ihren Mann versandt und entgegen jeder Gewohnheit hatte Kevin ihr nicht geantwortet. Das war nicht seine Art. Er schrieb stets zurück, und wenn es nur ein kurzer Gruß mit Info war. Dies tat er, wenn im Büro Hochbetrieb herrschte und sich keine Gelegenheit für ein kurzes Gespräch fand.

Und Claudia hatte stets darauf verzichtet, ihren Mann während der Arbeitszeit anzurufen. In der Regel fiel nichts an, was nicht auch bis zum Abend warten konnte. Doch nun war Abend. Kevin hätte längst hier sein müssen. Eigentlich schon vor über einer Stunde. Und dieser Umstand in Kombination mit der fehlenden Rückantwort ließ Claudia nervös werden.

„Hat sich Paps immer noch nicht gemeldet?“, fragte ihre Tochter Nina, ohne von ihrem eigenen Smartphone aufzublicken. Sie lag bäuchlings auf dem Sofa, beide Ellenbogen angewinkelt. Ihre Finger huschten dabei unentwegt über das Display und über die dort integrierte Tastatur.

„Ich versteh das nicht.“ Claudia blickte gedankenverloren in Richtung Wand. „Irgendetwas muss passiert sein.“

„Es muss doch nicht immer gleich etwas passiert sein.“ Nina sah zu ihrer Mutter. „Vielleicht ist sein Akku leer.“

Ihre Mutter schüttelte den Kopf. Auf solche Dinge achtete ihr Mann. Und wenn doch irgendetwas mit seinem Smartphone nicht in Ordnung war, dann machte er es möglich, um sie davon zu unterrichten. Nein, es musste etwas passiert sein. Dieses bohrende ungute Gefühl hatte sie inzwischen komplett in Besitz genommen. Zumindest kam es ihr so vor. Etwas wirklich Furchtbares! Sie konnte das nahende Unglück fast körperlich spüren. Sie hörte sich laut aufseufzen.

„Mama!“

„Ja?“ Claudia blickte zu ihrer Tochter und strich sich fahrig durch das schulterlange Haar. „Du hast recht, Kind. Es wird schon alles in Ordnung sein.“

„Nenn mich doch nicht immer noch Kind“, antwortete ihre Tochter und spielte beleidigt. Dann lachte sie. „Ach mach ruhig. Ich sag ja auch noch Mama zu dir, Mama.“

Für einen kurzen Moment konnte Claudia lächeln. Sie erhob sich und ging zum Fenster. Zum wievielten Mal? Sie wusste es nicht, sie hatte nicht mitgezählt. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte sie, dass sich ihre Tochter vom Sofa rollte und auf Strümpfen zu ihr tapste. Gemeinsam schauten sie aus dem Wohnzimmerfenster.

„Jetzt kann Paps aber wirklich kommen.“ Nina nahm ihre Mutter in den Arm. Irgendwie war ihr danach, die gedrückte Stimmung aufzuheitern. „Vielleicht hat er auf seine alten Tage was nebenbei laufen, und muss das erst mal erledigen.“

Claudia sah ihre Tochter mürrisch an und Nina wurde klar, dass diese Art zu scherzen im Augenblick eher unpassend war. „Sollte ein Spaß sein, Mama, mit vierzig ist er doch noch nicht alt“, plapperte sie weiter. „Und er würde nie ...“

„Da!“ Der laute Ausruf ihrer Mutter unterbrach die Zwanzigjährige.

Gebannt starrten beide Frauen nach draußen. Licht aus zwei Scheinwerfern kroch die schmale Auffahrt hoch.

„Ist er das?“ Nina drückte sich näher an die Scheibe.

Ihre Mutter neben ihr hielt den Atem an. „Das muss er sein.“

Das eingeschaltete Fernlicht blendete sie. Der Wagen kam langsam näher.

Claudia ging in die Hocke, um besser sehen zu können. „Er ist es!“, rief sie erleichtert aus.

Jetzt hatte auch ihre Tochter den weiß lackierten Familienwagen erkannt. „Na also, unser Familienoberhaupt ist wieder da.“

Claudia war schon auf dem Weg zu Tür.

„Du fängst jetzt aber keinen Streit an, Mama?“, fragte Nina und lief ihrer Mutter hinterher.

„Unsinn!“ Claudia war mehr als nur erleichtert, aber keinesfalls wütend.

Durch das Fenster zum Hof konnten die beiden Frauen erkennen, dass der Wagen angehalten hatte. Die Fahrertür öffnete sich und eine dunkle Gestalt kletterte heraus. Erst jetzt bemerkten sie, dass es draußen zu nieseln begonnen hatte. Wenige Sekunden später wurde der Regen stärker.

„Wäre Papa nur fünf Minuten früher gekommen“, meinte Nina. „Jetzt wird er richtig nass.“ Sie hielt ihre Mutter fest, die nach draußen wollte. „Mein Gott, Mama, bleib hier. Dein geliebter Mann kommt doch schon.“

Kevin, Claudias Mann und Ninas Vater, hatte die Kapuze seines königsblauen Pullovers wegen des Stark­regens tief ins Gesicht gezogen. Seine Kleidung war bereits Sekunden nach dem Aussteigen dunkel vor Nässe. Doch er schien es nicht eilig zu haben. Auffällig war sein mechanischer Gang. Er stakste wie ein alter Mann.

„Was ist mit Papa?“, fragte Nina und zog die Stirn kraus.

Ihre Mutter hatte die Haustür bereits aufgerissen. „Kevin!“

Ihr Mann antwortete nicht. Schwerfällig wie ein angeschlagener Boxer stapfte er den Kiesweg hoch.

„Kevin!“, rief Claudia erneut. „Ist etwas passiert?“

Keine Antwort. Ihr Mann trottete langsam näher.

Nina hatte ein Badetuch aus der Ablage neben der Tür genommen und verharrte etwas ratlos neben ihrer Mutter. „Papa ist nass wie ein Hund.“ Der schwerfällige Gang ihres Vaters war auch ihr aufgefallen, doch sie sagte nichts dazu.

Noch ein paar Meter. Kevins Schritte wurden zusehends langsamer.

„Nun komm doch endlich rein!“ Claudias Stimme klang plötzlich weinerlich. „Was hast du denn?“

„Willst du im Regen aufweichen?“, rief Nina ihrem Vater entgegen.

Doch ihr Vater blieb plötzlich stehen. Claudia hatte genug. Trotz des peitschenden Regens, denn inzwischen hatte es auch noch zu stürmen begonnen, lief sie nach draußen. „Kevin!“ Ihre Stimme klang schrill. „Hast du etwa getrunken? Was ist mit dir?“

Ihr Mann bewegte sich keinen Meter mehr weiter. Seine Gestalt begann zu schwanken. Claudia stand jetzt dicht vor ihm. „Kevin!“ Sie fasste an seine Schultern und zog die nun vornübergebeugte Gestalt hoch. Dabei rutschte die klatschnasse Kapuze über Kevins Stirn nach oben. Claudia stockte der Atem. Das Gesicht ihres Mannes war kalkweiß, über seine Wangen lief heller Schleim.

„Mama!“, rief ihre Tochter hinter ihr. „Mama!“ Sie schrie wie von Sinnen immer wieder nach ihrer Mutter. Nur wenige Meter vor ihr schwankte ihr Vater im Sturm. Sein Körper erschlaffte, der Kopf kippte erneut vornüber, doch Nina hatte auch gesehen, was ihre Mutter aus nächster Nähe ertragen musste. Kevin, ihr Vater, verlor beide Augen. Sie rannen in schmierigen Fäden über sein Gesicht.

*

Der Butler sah, wie sich ein Schatten seitlich über seine Schulter legte.

„Danke, Mylady“, sagte der Spezialagent des SSI ohne aufzublicken. „Was sind das nur für Zeiten, in denen sich der Butler von seiner Herrin bedienen lässt.“

Lady Marbely hatte das Zimmer mit zwei Tassen dampfenden Tees betreten. Eine hielt sie in der Hand, die andere hatte sie auf dem riesigen Schreibtisch abgestellt. „So wie ich Sie verstanden habe, James, bewegen wir uns momentan in sehr schweren Zeiten.“

Der Butler lehnte sich zurück und zog sein Heißgetränk zu sich heran, griff nach der Tasse und setzte sie an seine Lippen. Kaum merklich blies er hinein und nippte daran. „Irgendetwas ist passiert, Mylady.“ Er war umgeben von mehreren sich ständig verändernden Bildschirmen, einer Tastatur und einem Headset.

„Ihre amerikanischen Freunde melden sich nicht mehr?“, fragte Mylady und tunkte einen großen Keks mit der Spitze in ihren Tee.

„Keine der gewohnten Verbindungen existiert noch. Sie sind tot, als hätte es sie nie gegeben, Mylady.“

Lady Marbely sah ihn mit großen Augen an. „Was hat das zu bedeuten, James?“

Der Butler zuckte mit den Schultern. „Dass tatsächlich schier unglaubliche Dinge zwischen Himmel und Erde geschehen. Dinge, unter denen wir Normalsterblichen uns nichts vorstellen können.“

„Ihre Kollegen standen tatsächlich im Clinch mit der Unterwelt?“

Der Butler registrierte still die etwas verfehlte Wortwahl von Lady Marbely. „Sie bekämpfen die negativen Mächte aus dem Jenseits. So hat man es mir erklärt.“

Lady Marbely nahm zwei große Schlucke. „Mir ist das nicht geheuer. Seien Sie mir nicht böse, James, aber mit diesen Dingen kann ich nur wenig anfangen. Doch ich bin mir sicher, dass Sie bald wieder mit Ihren Freunden sprechen können.“

Das hoffte der Butler ebenfalls, obwohl er sich inzwischen sicher war, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste. Neben seinen eigenen Versuchen war er zahlreiche andere Wege gegangen, um den bekannten Kontakt herzustellen. Sogar den offiziellen Weg über das Außenministerium hatte er beschritten. Doch diese Möglichkeit hatte sich als die erwartete Farce erwiesen. Eine Organisation, die das Übersinnliche bekämpfte, war in den USA angeblich komplett unbekannt. Wer seinen Job professionell betrieb und geheim sein wollte, der schaffte es auch. Nur wie sollte man helfen, wenn es nichts gab, an dem man ansetzen konnte. Der Butler wollte etwas tun, doch er war im Augenblick chancenlos. Er wusste nichts, außer, dass die internationalen Geheimagenten von einer Sekunde zur anderen wie vom Erdboden verschwunden waren.

„Habt ihr Probleme?“ Claire hatte ebenfalls das Büro des Butlers betreten und die letzten Worte von Lady ­Marbely aufgeschnappt.

Mylady klatsche vergnügt in die Hände und breitete dann ihre Arme aus. „Komm her mein Kind. Wie war dein Training?“

„Wunderbar, Amanda.“ Claire ließ sich knuddeln. Ihre blonden Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, wackelten dabei auf ihrem Rücken hin und her. „Vielen Dank, dass du das hier alles für mich eingerichtet hast.“

Claire musste beschäftigt werden. Damit sie nicht unnötig und unpassend durch die Gegend flog, hatte Mylady zwei Privatlehrer eingestellt, die mit der hübschen Dänin nun gleich mehrere Kampfsportarten trainierten. Die beiden Männer wussten nichts über Claires Fähigkeiten, die sich auch in allen Spielarten der Kampftechnik als außerordentlich talentiert erwies. Gleichzeitig lernte sie, sich in jeder Situation zu kontrollieren. Zu keiner Zeit sollte sie sich, auch nicht in Gefahrensituationen, durch ihre unerklärlichen Fähigkeiten einen Vorteil verschaffen.

„Claire möchte gerne Supergirl werden.“ Lady ­Marbely lachte. „Wir werden noch viel Freude an unserem Mädchen haben.“

Der Butler sah kurz auf. „Supergirl muss es ja nun nicht gleich sein.“

Claire befreite sich aus der Umarmung von Lady Marbely, die sie gar nicht mehr loslassen wollte. „Dem Supergirl aus den Comics stehe ich in nichts nach“, meinte sie und stemmte dabei ihre Fäuste in die Hüften.

Jetzt zeigte sich auch der Butler für einen Moment amüsiert. „Nein, Claire, du machst deine Sache wirklich gut. Wir sind alle sehr stolz auf dich.“

„Und was ist nun passiert?“, wollte Claire wissen. „Irgendetwas ist doch, James. Willst du es mir erzählen?“

Der Butler berichtete ihr. Viel gab es nicht. Er schilderte die Situation in kurzen Stichworten. Eine komplette Geheimorganisation hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst. „Sie sind offenbar von einer Sekunde zur anderen aus unserer Welt verschwunden, Claire.“

Die junge Dänin sah besorgt drein. „Sie sind alle tot. Richtig?“

Der Butler zuckte mit den Schultern. „Da bin ich im Augenblick überfragt. Vermutlich ist es so.“

*

Kurz vor Mitternacht hatte sich der Butler dann doch schlafen gelegt. Es gab keine Neuigkeiten, und irgendwie ahnte er, dass sich an diesem Zustand nichts mehr änderte. Am nächsten Morgen eilte er an seinen Arbeitsplatz und überprüfte auf seinen Rechnern alle ausgelegten virtuellen Köder, die er mit Bedacht platziert hatte.

Nichts! Keine Reaktion auf seine Anrufe und Recherchen. Die Zentrale aus New York mit all ihren Ablegern über den gesamten Erdball verteilt blieb inexistent. Dennoch war der Butler froh, dass wenigstens dieses dämliche Babylachen, das ihn unlängst auf allen digitalen Kanälen so genervt hatte, ausblieb. Obwohl er glaubte, dass die Stimme aus dem Jenseits kam, dass sie zumindest eine Art Bindeglied zwischen den Ebenen war. Dies meinte er auch aus den Gesprächen mit den Psycho-Agenten aus New York herausgehört zu haben.

Den Vormittag verbrachte der Butler mit Diskussionen innerhalb der SSI-Struktur. Irgendwann meldete sich sein Smartphone. Mit einem unguten Gefühl dachte er wieder an das widerliche Babylachen. Er wartete einen Moment, dann nahm er angespannt das Gespräch entgegen. „Wer ist da?“

*

Der Körper von Kevin Monot fiel förmlich in die zierliche Figur seiner Frau hinein. Schreiend brach Claudia unter der Last zusammen und stürzte auf den Kiesweg.

„Mama!“ Nina stolperte panisch ebenfalls in den Regen hinaus. Dass ihre Füße nur in dünnen Strümpfen steckten, hatte sie vergessen. Für eine Sekunde musste sie sich überwinden, den sterbenden Körper ihres Vaters anzufassen. Doch die Rationalität ihres Handelns gewann rasch die Oberhand. Sie befreite ihre Mutter und drehte das, was einmal ihr Vater gewesen war, zur Seite.

Ihre Mutter riss sich neben Nina die Hände auf, als sie hysterisch rückwärts über den Kies rutschte. Nur weg von dem Grauen, das nicht zu fassen war. Ihr Mann löste sich soeben im wahrsten Sinne des Wortes auf. Das Fleisch unter der Kleidung pulsierte, wurde weich, verklumpte, ging in Schleim über, verklebte Jeans und Kapuzen­sweatshirt, wurde flüssiger und sickerte in den Boden. Der heftige Regen beschleunigte den unglaublichen Vorgang. Der kräftige Wind wurde zum ausgewachsenen Sturm und spritzte Kevin wütend in alle Himmelsrichtungen. In die Sträucher, gegen die Hauswand, bis hin zum Familienwagen, einem hell lackierten SUV. Der Rest verlor sich in der Dunkelheit. Nur wenige Minuten später hatten Sturm und Regen die Existenz eines Menschen vollständig ins Nichts gewischt.

*

Mutter und Tochter wussten nicht, wie lange sie schon im nassen Sturm vor den verklebten Kleidungsstücken auf dem Kiesweg knieten. Ihr Schreien konnte niemand hören, die Nachbarhäuser waren zu weit entfernt, das Unwetter zu laut. Ihr Wehklagen war in ein gequältes Jammern übergegangen und hatte dann in einem stumpfen Wimmern geendet.

Claudia nahm das klatschnasse Sweatshirt ihres Mannes in beide Hände und starrte es an, als hätte sie soeben eine außerirdische Lebensform entdeckt. Sie konnte nicht fassen, was sie eben erleben musste. Ihr Mann war vor ihren Augen gestorben. Schlimmer noch, er war im Boden versickert. Wie sollte sie so etwas erklären? Und erklären musste sie es. Kevin war tot. Doch – um Himmelswillen – sie hatte nichts, um ihn zu beerdigen. Claudia heulte noch einmal auf, verfluchte ihre Überlegungen, mit denen sie lediglich versuchte, alles rational zu erklären.

„Mama ...“ Ihre Tochter legte beide Arme um ihre Mutter. „Was ist passiert? Was ist mit Papa?“ Ihr Körper zitterte. Sie wollte weinen, konnte aber nicht. Der Schock blockierte alle erlösenden Regungen.

„Ich weiß es nicht, Kind.“ Claudia zog Ninas Kopf an ihre Schulter. „Ich weiß nicht, was da eben passiert ist.“ Sie hoffte inbrünstig, aus einem Albtraum erwachen zu können. Doch dieser Traum wollte einfach nicht aufhören. Da stand ihr Auto, mit dem war Kevin angekommen. Alles war real, bis ins kleinste Detail. Sie sah den kleinen Kratzer, den sie vor einer Woche beim Rangieren auf dem Parkplatz vor ihrem Supermarkt verursachte. Danach hatte sie versucht, die Beschädigung mit Nagellack zu kaschieren. Offenbar war es ihr gelungen, denn Kevin hatte nichts erwähnt. Ein erneuter Weinkrampf schüttelte ihren Körper. Was würde sie jetzt dafür geben, wenn Kevin den Kratzer entdeckte. Sie versuchte, es sich vorzustellen. Er hätte nicht viel dazu gesagt, sie nur angesehen, den Kopf geschüttelt, und wenn sie unschuldig wie Bambi ihre Augen niederschlug, dann hätte er sie liebevoll in den Arm genommen und gestreichelt.

Claudia begann wieder zu weinen, wollte nie wieder mit Weinen aufhören, verharrte aber entsetzt, als sie einen Schatten im Wohnzimmer bemerkte. Ruckartig richtete sie sich auf, dadurch verstummte auch Nina. Traurig sah sie ihre Mutter an. Ihr fransiger Haarpony klebte in Strähnen über ihren Augen. Erst jetzt realisierte sie, dass ihr Körper langsam vor Kälte taub wurde. „Wir müssen zurück ins Haus, Mam.“

Als sie keine Antwort erhielt, folgte sie den Blicken ihrer Mutter. Und nun bemerkte auch sie den Schatten, der in ihrem Haus hin und her huschte. „Da ist jemand in der Wohnung, Mama!“

Beide Frauen erhoben sich, indem sie sich gegenseitig abstützten.

„Was passiert hier nur?“, flüsterte Claudia.

Beide Frauen sahen aus, als wären sie übermütig in einen Pool gesprungen. In Sekt- oder in Urlaubslaune. Doch wenn man in ihre Gesichter sah, dann war klar, dass nicht überbordende Glücksgefühle in den Frauen tobten, sondern lediglich nackte Verzweiflung. Panische Angst flackerte in den Augen der beiden Frauen.

Nina stürzte zur Haustür.

„Nicht!“, rief Claudia ihrer Tochter nach. Sie bemühte sich um Standfestigkeit. „Geh nicht rein!“

„Da ist doch jemand bei uns!“ Nina stieß die Worte aus sich heraus. Es war ein Aufschrei aus Verzweiflung, Angst und Unsicherheit. „Das geht doch nicht!“

Der Schatten am Fenster verharrte.

„Oh Gott ...“, flüsterte Claudia leise und hielt ihre Tochter am Arm fest.

„Hat ... Er ... Es hat uns gesehen“, stotterte Nina.

Der Schatten am Fenster wurde größer. Ein Arm zeichnete sich ab, dann wurde der Vorhang mit einem Ruck zur Seite gerissen. Beide Frauen schrien gleichzeitig auf. In ihrem Wohnzimmer stand ein Kind, geschminkt wie ein Horror-Clown. Bitterböse Augen starrten durch die Fensterscheibe nach draußen.

*

Robert Linder

Robert Linder starrte die drei halben Tomaten auf seinem Teller nachdenklich an. Er hatte die Woche Urlaub in dem Westerwalder Mönchskloster als Erholung gebucht, und nicht vorgehabt, sich durch Unterernährung erneuten Gefahren auszusetzen.

Er schmunzelte, um gleich darauf wieder ernst zu werden. Die letzten Wochen an seinem Arbeitsplatz kamen der Hölle sehr nah. Die permanente Bedrohung der anderen Ebene war ständig und allgegenwärtig. Er und seine Kollegen, als normal sterbliche Menschen, hatten den finsteren Mächten aus dem Jenseits nur sehr wenig entgegenzusetzen. Auch die langjährigen Top-Agenten kochten nur mit Wasser, waren aber auch ordentlich damit ge­­waschen und hatten gelernt, mit schier unglaublichen Dingen umzugehen.

Robert Linder seufzte, pikste eine Tomate auf, tunkte sie in mit Leinöl angerührten Magerquark und führte alles zusammen in seinem Mund. Frisches Dinkelbrot erleichterte diesen Essensvorgang. Robert schloss die Augen und stellte sich vor, was all die gesunden Dinge in seinem ­Körper wohl anstellen mochten. Doch dann schweiften seine Gedanken wieder ab. Zurück zur Arbeit. Er dachte an all die unglaublichen Dinge, die er in den letzten zehn Jahren an seinem Arbeitsplatz erleben musste. Er dachte an den Dämonenbeißer. Wolf Winter verfügte über einen besonders intensiven Zugang zur anderen Ebene. Doch Robert verlor die Verbindung zu ihm. Dies war für ihn ein Grund mehr, um die zwei Londoner Spezialagenten von Scotland Yard zu kontaktieren. Das Material, dass er über Mick Bondye und Cassandra Benedikt sammeln konnte, reichte aus, um die beiden als wertvolle Helfer zu rekrutieren.

Robert versorgte beide mit ausreichend Infomaterial und Geld. Seine Offerte war mehr als großzügig gewesen. Und bereits vor drei Wochen hatte er in Köln ein erstes Treffen angesetzt. Der Termin war morgen. Die beiden mussten unbedingt in sein Team. Je eher, umso besser. Mit der anderen Ebene war es wie mit Vulkanausbrüchen und schweren Erdbeben. Es war sicher, dass etwas Schreckliches geschah, doch man wusste nicht wann.