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Die Bedrohung aus der anderen Ebene ist allgegenwärtig. Die Geheimorganisation Schattenchronik erwartet den nächsten Angriff.In Edinburgh werden Pestopfer gemeldet. Ein Virus, der seit Jahrhunderten gebannt zu sein schien, breitet sich rasend schnell aus.
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Seitenzahl: 142
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SCHATTENCHRONIK – GEGEN TOD UND TEUFELBand 4
In dieser Reihe bisher erschienen:
2901 Curd Cornelius Die andere Ebene
2902 Curd Cornelius Die Riesenwespe vom Edersee
2903 Curd Cornelius & D. J. Franzen Die Ruine im Wald
2904 Curd Cornelius & Astrid Pfister Das Geistermädchen
Curd Cornelius & Astrid Pfister
DAS GEISTERMÄDCHEN
© 2019 BLITZ-VerlagRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierInnenillustration: Ralph KretschmannSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenwww.BLITZ-Verlag.deISBN 978-3-95719-564-7
Emily fühlte sich nicht wohl. Sie wünschte, sie hätte sich nie auf diese Sache eingelassen. Es kam ihr so vor, als irrte sie schon seit Stunden durch diese dunklen Katakomben, die nur durch ein paar flackernde Lichter erhellt wurden. Immer enger schnürte sich ihre Brust zu, und sie glaubte, kaum noch atmen zu können. Man hatte sie gewarnt, dass diese Tour nichts für Menschen war, die unter Platzangst litten, aber Emily hatte lachend entgegnet, dass sie die Letzte wäre, die sich schnell fürchtete.
Und jetzt stand sie in diesem düsteren Raum und wünschte sich nichts sehnlicher, als ihre Entscheidung wieder rückgängig machen zu können. Zitternd umschlang sie ihren Oberkörper, als das ohnehin nur spärliche Licht der Fackeln gänzlich erlosch. Ihr Herz stockte, nur um Augenblicke später doppelt so schnell weiterzuschlagen. Sie musste weg von hier, und zwar sofort!
Trotz der Stille hörte sie ihren eigenen keuchenden Atem und dann ein seltsames Flüstern. Sie hielt die Luft an und lauschte. Wer war da?
„Abigaiiillll! Abigaiiiillll!“, rief eine tiefe und düstere Stimme immer deutlicher.
Eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus. Sie wünschte sich weit fort von hier, nur raus aus diesem dunklen Irrgarten.
„Abigail, komm zu mir! Ich vermisse dich so sehr“, flüsterte die Stimme.
In der Dunkelheit vollkommen hilflos, drehte sich Emily im Kreis. Sie spürte, wie etwas oder jemand ihren Arm umklammerte.
„Abigail, endlich habe ich dich gefunden. Nie wieder wirst du mir entkommen.“ Die Stimme war jetzt so nah, dass sie den Lufthauch spüren konnte.
Emily verlor ihre mühsam aufrechterhaltene Beherrschung und stieß einen lauten Schrei aus. Unvermittelt ging das Licht der Fackeln wieder an und sie starrte in die belustigten Gesichter ihrer Mitreisenden, die aus dem Nebenraum herbeigeeilt kamen. Ihr Herz hämmerte. Sie schämte sich vor den anderen. Zwar hatte sie sich vorher informiert und darüber gelesen, dass es bei der Führung durch Mary King’s Close einige Attraktionen und Special Effects gab, doch ihre immer stärker aufwallende Platzangst hatte dieses Wissen komplett verdrängt. Dann war auch noch die Phantasie mit ihr durchgegangen. Die anderen Besucher der Führung amüsierten sich. Selbst jetzt, im hellen Licht, wich die bedrückende Enge nicht von ihrer Brust, und auch der Mann, der sie erschreckt hatte, wirkte keinen Deut weniger bedrohlich.
Walter King, der Führer ihrer Reisegruppe, erzählte gerade, dass es sich bei dem geheimnisvollen Fremden, der sie berührt hatte, um einen Arzt handelte. Emily warf noch einen Blick auf die komplett in Leder gekleidete Gestalt. Sie sah in eine riesige Gesichtsmaske mit einem langen, gekrümmten Vogelschnabel. Dieses Utensil hatte man in Zeiten der Seuchen als Schutz vor Krankheiten mit Kräutern gefüllt. Und obwohl Emily wusste, dass es sich bei dem Mann um einen Schauspieler handelte, war alles an ihm so realistisch, dass ihre Angst einfach nicht weniger wurde. Wie musste es erst den Menschen der damaligen Zeit ergangen sein, die von tödlichen Krankheiten befallen und von Fieber und Wahnvorstellungen geplagt worden waren und deren einzige Hilfe ein Schauerwesen gewesen war.
Die junge Frau wandte ihren Blick von der Vogelmaske ab und sah sich in dem Raum um, in dem sie sich gerade befanden. Sicher, für jemanden wie sie, der sich schon von klein auf für Geschichte interessiert hatte und das Fach jetzt sogar studierte, war diese Woche in Edinburgh und vor allem diese Führung durch Mary King’s Close etwas Unglaubliches, aber trotz allem wollte sie jetzt nur noch so rasch wie möglich hier raus. Das Licht war durch die Fackeln viel zu dämmerig, und es schien hier unten nicht genug Luft vorhanden zu sein. Schon seit einiger Zeit hatte sie das Empfinden, als hätte jemand einen Stein auf ihre Brust gelegt. Dem Tourguide hörte sie nur noch mit halbem Ohr zu und hoffte, dass die Führung bald zu Ende ging. Alles hier unten wirkte für sie zu real. Sie hatte das Gefühl, als würde sie an der nächsten Ecke ein Geist erwarten, und das Flüstern eben hatte ihr den Rest gegeben. Wahrscheinlich war sie einfach zu sensibel.
Emily verspürte wenig Lust, unversehens das Opfer einer übersinnlichen Wahrnehmung zu werden, was laut den Berichten, die sie vor ihrer Reise gelesen hatte, in Mary King’s Close gar nicht so ungewöhnlich war. Schon zahlreiche Besucher hatten von Stimmen, Schreien und vermeintlichen Berührungen berichtet. Bisher hatte sie sich immer für eine halbwegs stabile Person gehalten, und wenn sie hätte wetten sollen, wer aus dieser Gruppe während der Führung auffällig werden würde, hätte sie auf den ein oder anderen ihrer Mitreisenden getippt, nur nicht auf sich selbst.
Das Pärchen aus Österreich zum Beispiel, beide Mitte oder Ende fünfzig. Er ein gemütlicher Rentner mit Karo-Hemd und Schnauzbart, der kein Wässerchen zu trüben schien; seine Gattin aufgetakelt wie eine Frau Mitte zwanzig, hochtoupierte, weißblond gebleichte Haare, in Pink gekleidet. Bei ihrem Anblick würde jeder Geist sofort Reißaus nehmen. Allerdings behauptete die Dame von sich selbst, ein Medium zu sein, das außergewöhnliche Schwingungen wahrnehmen konnte.
Das andere Pärchen in der Gruppe hingegen sah aus, als ob es hier perfekt hinpasste. Beide leichenblass, mit Kajal umrandete Augen, ganz in Schwarz gekleidet, dazu eine tiefgrüblerische Miene. Emily hatte schon gehört, dass das Betreten solcher Spukorte für Gothic-Anhänger ein wahres Freudenfest sein sollte.
Der einzig Normale in der Gruppe schien ein Mann Ende dreißig zu sein, mit dem sie sich, als sie auf den Beginn der Führung gewartet hatten, ein wenig unterhalten hatte. Er kam aus England und war dort Professor an einer renommierten Universität. Er interessierte sich genau wie sie für Geschichte und liebte es, in seiner Freizeit und im Urlaub historische Sehenswürdigkeiten zu besichtigen. Dieser Mann schien nicht nur gebildet zu sein, er war zudem äußerst gut aussehend, und Emily hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, ihn zu fragen, ob sie beide im Anschluss an diese Führung einen Kaffee trinken gehen sollten. Nachdem sie sich gerade allerdings bis auf die Knochen blamiert hatte, wollte sie darauf lieber verzichten.
Die Tour wurde fortgesetzt, doch Emily war der Spaß daran vergangen. Auch im aktuellen Raum wurde mit Spezialeffekten gearbeitet und das Licht begann zu flackern, bis es wenige Sekunden später vollends erlosch. Jemand schrie, aber dieses Mal war sie innerlich darauf vorbereitet und blieb zumindest nach außen hin ruhig. Auch als sie dann wieder unerwartet berührt wurde, schaffte sie es, sich zu beherrschen.
Während alle anderen Teilnehmer verstummten, merkte Emily, dass es im Raum kälter geworden war. Die Temperatur sank. Emily fragte sich, wie die Veranstalter diesen Effekt herbeiführten. Ihre Fingerspitzen fühlten sich unangenehm an, als das Licht wieder anging und sich die Luft schlagartig erwärmte. Die Teilnehmer der Führung begannen eine aufgeregte Plauderei. Eine ältere Dame lächelte verlegen, vermutlich hatte sie geschrien. Zumindest war Emily jetzt nicht mehr die Einzige, die sich blamiert hatte, aber ihre Zufriedenheit erlosch, als sie in das entsetzte Gesicht und die weit aufgerissenen Augen ihres Tourguides Walter King sah, dem offenbar die Worte fehlten. Sollte dies etwa doch kein sorgfältig geplanter Trick gewesen sein?
Der Fremdenführer räusperte sich übertrieben. „Obwohl wir einiges zur Unterhaltung während unserer Führung beitragen, gehörte dies eben nicht hinzu“, bestätigte er Emilys Verdacht. „Aber wie ich ihnen schon am Anfang der Tour geschildert habe, kann man Derartiges in Mary King’s Close immer wieder erleben. Zahlreiche Ereignisse lassen darauf schließen, dass hier unten mehrere Geister von verstorbenen Einwohnern dieses Stadtteils hausen, die sich von Zeit zu Zeit auf die eine oder andere Weise bemerkbar machen.“
Walter King versuchte ein Lächeln, das ihm aber misslang. Der Tourguide schien genau wie sie selbst kein besonders mutiger Mensch zu sein, aber mal ehrlich – Geister? Emily war schon immer von historischen Bauten fasziniert gewesen, und Geschichte war ihr stets lebendig erschienen. In zahlreichen Schlössern, die sie in den vergangenen Jahren besucht hatte, spukte es angeblich, doch die junge Frau war sich sicher, dass dies lediglich ein perfider Trick war, um ahnungslose Touristen anzulocken und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Auch hier würde es nicht anders sein. Dennoch fühlte sie sich unwohl, aber das lag sowohl an der düsteren und beklemmenden Atmosphäre hier unter der Erde, als auch an dem Schauspiel der Führung und nicht etwa an Ketten rasselnden oder Nachthemd tragenden Gestalten, die einem Roman von Charles Dickens entsprungen sein könnten. Was ihr allerdings ein gewisses Unbehagen bereitete, war die Reaktion des Fremdenführers. Der Mann wirkte ernsthaft entsetzt. Oder war er ebenfalls nur ein guter Schauspieler?
Die Führung näherte sich langsam ihrem Ende, und Emily warf einen kurzen Blick auf den Professor. Seit ihrer letzten Beziehung hatte sie niemanden mehr gehabt, und wenn sie ehrlich war, fühlte sie sich oft einsam. Sicher, sie genoss den Urlaub, aber wenn sie abends allein in ihrem Hotelzimmer lag, sehnte sie sich manchmal doch nach jemandem an ihrer Seite. Und dieser Mann da könnte ihr durchaus gefallen. Er war intelligent, hatte die gleichen Interessen wie sie und sah obendrein noch gut aus. Was wollte eine Frau mehr? Hastig senkte sie ihre Augen, als der junge Professor zu ihr hinübersah. Mein Gott, wie peinlich! Erst führte sie sich auf wie eine hysterische Irre, und dann verschlang sie fremde Männer mit Blicken.
Langsam setzte sich die Truppe wieder in Bewegung und machte sich auf den Weg nach oben. Die blond Toupierte vor ihr erklärte ihrem Mann eifrig, dass sie die Schwingungen eines Geistes in diesen Katakomben auffing und unentwegt das Gefühl hatte, von etwas berührt zu werden. Emily schmunzelte, als sie den resignierten und erschöpften Gesichtsausdruck des offenbar leidgeplagten Mannes betrachtete.
Als Emily wieder an der Oberfläche war und vor dem Eingang von Mary King’s Close in der Sonne stand, kam sie sich albern vor. Wovor hatte sie dort unten nur solche Angst gehabt?
*
Mary King’s Close, 1645
Abigail eilte durch die engen Gassen. Ihre Schritte hallten unnatürlich laut auf dem Kopfsteinpflaster wider, sie war auf dem Weg zum Haus von Andrew Chesney, dem Sägenmacher. Einmal mehr wünschte sie sich, wohlhabender zu sein, um in einer besseren Wohngegend leben zu können. Mary King’s Close verbreitete sogar tagsüber eine beklemmende und deprimierende Atmosphäre, was zum Teil an den hohen, mehrstöckigen Gebäuden lag, die kaum Tageslicht in die Gassen ließen und eine klaustrophobische Enge erzeugten. Die Gassen der Close waren so gebaut, dass sie, wäre sie in der Mitte stehen geblieben, mit ausgebreiteten Armen die Häuser auf beiden Seiten hätte berühren können.
Hunderte von Menschen lebten hier eingepfercht mit- und nebeneinander, wobei sich die Reichen die obersten Stockwerke von Mary King’s Close gesichert hatten. Die ärmeren Bewohner mussten unten leben und den Gestank, das Ungeziefer und die Fäkalien ertragen. Und seit die Pest ausgebrochen war, war Mary King’s Close erst recht zur Hölle auf Erden geworden. Natürlich wütete die Seuche auch in anderen Teilen der Stadt, doch nirgendwo so gnadenlos wie in diesem ärmlichen Viertel.
Während Abigail hastig weiterging, warf sie einen Blick auf all die Häuser, an denen sie vorbeikam. Fast an jedem zweiten Gebäude wehte ein weißer Stofffetzen am Fenster als Zeichen dafür, dass in diesem Haus die Pest einen oder mehrere Bewohner befallen hatte. Waren es am Anfang nur wenige vereinzelte Tücher gewesen, so sah die Stadt mittlerweile auf makabre Art geschmückt aus. Abigail hätte es besser gefunden, wenn die Stadtväter sich für die alte Kennzeichnung in Form eines Kalkkreuzes an jedem infizierten Haus entschieden hätten. Die wehenden Tücher erschienen ihr grotesk, denn sie vermittelten beinahe ein fröhliches Aussehen.
Die junge Frau musste schlucken, als sie an all das Leid dachte, das sich in Mary King’s Close gebündelt hatte. So viele Menschen, mit denen sie Tag für Tag zu tun gehabt hatte, waren inzwischen erkrankt oder gestorben, und ihr Tod war grauenvoll gewesen. Nicht, dass Abigail sich absichtlich in die Nähe eines Infizierten begeben hätte, aber die markerschütternden Schreie und das qualvolle Stöhnen waren mittlerweile grausamer Bestandteil ihres Lebens geworden. Gerade nachts, wenn die Stadt eigentlich zur Ruhe kommen sollte, drangen die Schreie der zahllosen Opfer, die bis zum letzten Atemzug litten, durch die dunklen Gassen.
Endlich hatte Abigail das Haus von Andrew Chesney erreicht, vor dessen Tür sich mit der Zeit eine Art Treffpunkt gebildet hatte, an denen die Bürger Alltägliches besprachen und über Probleme diskutierten. Als sie dort ankam, befand sich bereits eine kleine Menschenmenge vor dem Laden. Manch ein Außenstehender hätte sie wahrscheinlich für verrückt gehalten, sich ständig einer so großen Gefahr auszusetzen, und ihr geraten, Menschenmengen zu meiden. Aber sie war davon überzeugt, dass man vor der Pest nicht davonlaufen konnte. Wenn der Schwarze Tod jemanden wollte, dann holte er ihn sich, egal, wie sehr man versuchte, sich zu schützen. Sie hatte von reichen Leuten gehört, die sich komplett von der Außenwelt abgeschottet hatten und überzeugt gewesen waren, dass die Seuche sie in ihren oberen Stockwerken nicht erreichen konnte. Sie waren letzten Endes genauso qualvoll gestorben wie die Ärmsten der Armen. Die Pest ließ sich nicht von Geld und Wohlstand beeindrucken.
Abigail lebte nun schon ihr gesamtes Leben in Mary King’s Close, auch ihre Freunde waren hier. Wohin sollte sie fliehen? Wenn es ihr Los war, zu sterben, dann wollte sie vorher zumindest so viel Zeit wie möglich mit den Menschen verbringen, die ihr am Herzen lagen.
„Schaut mal, da kommt Abigail!“, rief eine ältere Frau.
„Was gibt es Neues, Elisabeth?“, fragte Abigail und lächelte. Jeder in Mary King’s Close wusste: Wollte man etwas erfahren, musste man nur zu Elisabeth gehen. Sie hatte ihre Augen und Ohren überall, und man konnte sicher sein, wenn es irgendwo etwas Neues oder auch nur ein Gerücht gab – Elisabeth kannte es.
Die Frau beugte sich zu Abigail und flüsterte: „Ich habe heute etwas Beunruhigendes gehört. Angeblich geben die Stadtväter uns die Schuld für die Pest. Sie behaupten, die Seuche hätte in Mary King’s Close ihren Anfang genommen, sie würde sich durch uns weiter ausbreiten.“
Abigail schüttelte erbost den Kopf. „Das ist doch Unsinn! Die Pest wütet in der ganzen Stadt und greift überall rasend schnell um sich. Dass wir bei uns in der Close so viele Infizierte haben, liegt an den ärmlichen Verhältnissen. Schau dich doch mal um. Die Straßen sind verdreckt, fast alle Bewohner unterernährt, und einen Arzt kann sich auch kaum einer leisten. Natürlich haben wir die meisten Pestopfer. Außerdem habe ich gehört, dass es ein Schiff gewesen sein soll, das die Pest zu uns gebracht hat.“
Einige nickten zustimmend.
„Was mich an diesem Gespräch besonders beunruhigt hat, ist eine andere Sache“, sagte Elisabeth. „Ich habe gehört, dass die Stadt erwägt, Mary King’s Close unter Quarantäne zu stellen. Sie wollen auf diese Weise verhindern, dass die Bewohner in die anderen Stadtviertel kommen und so die Pest verbreiten.“
Abigail sah Elisabeth skeptisch an. „Wie soll das denn funktionieren? Wer raus will, kommt auch raus. Wollen die etwa Tag und Nacht Wachposten aufstellen?“
„Ich weiß es nicht, aber sie sprachen von außergewöhnlichen Maßnahmen, die getroffen werden müssten. Mir macht das Angst.“
*
Emily wollte sich gerade auf den Weg Richtung Hotel machen, als der junge Professor zu ihr kam. „Ich fand unser Gespräch vor der Führung sehr interessant und habe mich gefragt, ob Sie nicht vielleicht Lust hätten, irgendwo mit mir gemeinsam zu speisen, sodass wir uns noch weiter über unsere Hobbys und Leidenschaften unterhalten können.“
Ihr Herz begann zu rasen, dieses Mal aus purer Freude. „Aber natürlich! Ich würde gerne erfahren, welche historischen Sehenswürdigkeiten Sie im Laufe der Jahre schon besucht haben.“ Sie schwieg einen Moment und fügte dann mit einem schiefen Lächeln hinzu: „Außerdem sterbe ich vor Hunger.“
Nach einem kurzen Spaziergang in der Edinburgher Innenstadt fanden sie ein gemütliches Lokal, das sehr einladend aussah und von so vielen Menschen frequentiert wurde, dass sie nicht sofort als neugierige Touristen auffielen.
George, so hieß der sympathische Professor, gab ihr vom ersten Augenblick an ein gutes Gefühl, und im Verlauf des Essens merkte Emily, dass sie beide viele Gemeinsamkeiten hatten. Ihre Liebe zur Geschichte hatte sie zu den gleichen Sehenswürdigkeiten geführt, und auch ihre zweite Leidenschaft, das Lesen von Büchern, teilte George. Sie sprangen von einem Thema zum anderen, und nachdem das Mittagessen und der Nachtisch verzehrt waren, gingen sie zum Kaffee über. Als Emily endlich einen Blick auf die Uhr warf, saßen sie bereits seit fünf Stunden beisammen. George schlug vor, noch ein wenig spazieren zu gehen, schließlich bot Edinburgh eine Fülle an Sehenswürdigkeiten. Emily hatte nichts einzuwenden.
Während sie durch die alten Gassen schlenderten, griff George unter dem Vorwand, ihr irgendetwas zeigen zu wollen, nach ihrer Hand, ließ sie dann aber nicht mehr los. Seine Berührung jagte einen Schauer nach dem anderen durch Emilys Körper und weckte den Wunsch nach mehr. Sie fühlte sich plötzlich wieder wie ein Teenager.