Gespenster-Krimi 6 - Curd Cornelius - E-Book

Gespenster-Krimi 6 E-Book

Curd Cornelius

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Beschreibung

Die Riesenwespe vom Edersee

Sie wusste nicht, wie lange sie das Bild an der Wand schon anstarrte. Minuten? Stunden?
Dafür wusste sie, dass ihre Gabe, Kontakt mit dem Jenseits aufnehmen zu können, ein Fluch war. Wie oft schon hatte sie versucht, zu vergessen, welche Fähigkeit in ihr steckte. Sie wollte nicht mehr die Tür zur anderen Ebene öffnen müssen, doch diesmal war es anders. Irgendetwas zwang sie dazu ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Riesenwespe vom Edersee

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati/BLITZ-Verlag

Illustration Innenteil: Ralph Kretschmann

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7502-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Riesenwespe vom Edersee

von Curd Cornelius

Sie wusste nicht, wie lange sie das Bild an der Wand schon anstarrte. Minuten? Stunden? Dafür wusste sie, dass ihre Gabe, Kontakt mit dem Jenseits aufnehmen zu können, ein Fluch war.

Wie oft schon hatte sie versucht, zu vergessen, welche Fähigkeit in ihr steckte. Sie wollte nicht mehr die Tür zur anderen Ebene öffnen müssen, doch diesmal war es anders. Irgendetwas zwang sie dazu …

Die Kräfte der anderen Ebene benutzten sie!

Inka Roll sprang auf, schaltete alle Lichter in ihrer Wohnung an, drehte Fernseher und Radio gleichzeitig auf volle Lautstärke, setzte ihre Spülmaschine und den Staubsauger in Gang, schaltete ihre Mikrowelle auf zehn Minuten, stellte sich mitten in ihren kleinen Flur und begann zu schreien.

Sie schrie, bis ihr die Sinne schwanden, dann fiel sie auf die Knie, schloss ihre Augen und hielt sich die Ohren zu. So wollte sie die nächsten Stunden verharren. Den Stimmen aus dem Jenseits sollte der Kontakt mit ihr verwehrt sein. Für immer! Egal ob gut oder böse. Sie wollte ihre Ruhe, endlich ein normales Leben führen. Sonst nichts.

Irgendwann schwächelte ihr Kreislauf, Inka Roll musste sich abstützen und schon malträtierten die Geräusche der Haushaltsgeräte ihr Gehör. Sie ließ es geschehen, immer noch besser als die flüsternden, hypnotischen Stimmen der anderen Ebene. Doch sie konnte ihnen nicht entkommen. Die Stimmen wurden bereits lauter, drängten sich auf, breiteten sich in ihrem Kopf aus, tobten und schienen miteinander zu streiten.

Inka Roll schleppte sich zu ihrem Spiegel, der direkt neben der Garderobe hing. Entsetzt musste sie erkennen, dass ihre Augen wie weiße Tischtennisbälle in ihrem Gesicht rotierten.

»Nein!« Ein hilfloser Schrei entlud sich aus ihrer Kehle. Egal, ob die Nachbarn den Lärm aus ihrer Wohnung hörten. Sollten sie doch die Polizei rufen, sollten sie klopfen. Vielleicht wird man mir helfen … Sie brach in Tränen aus. Niemand kann mir helfen!

Sie war verloren, ein Opfer der anderen Ebene.

Ihre Beine begannen selbstständig zu tanzen, vollführten kraftvolle, rhythmische Bewegungen, hatten plötzlich ein Eigenleben, während der restliche Körper schlaff hin und her schlackerte. Ihre Beine trabten mit ihr durch die gesamte Wohnung, durch jeden Raum, rein und wieder raus.

Inka Roll fühlte nur noch ihren Kopf, der wie ein kleiner Jockey auf einem Pferd im Drogenrausch hockte. Sie stöhnte auf, als ihre Beine gegen die Wand stießen und ihre Füße sich wie Magneten senkrecht nach oben bewegten. Sie fiel bis zu den Hüften nach hinten, schlug mit dem Kopf auf den Dielenboden und rutschte mit dem Nacken und Haaransatz schmerzhaft über den verfilzten Teppich.

Die Füße wanderten weiter nach oben, der Schmerz im Rücken wurde unerträglich, sie glaubte, in der Mitte zerbrechen zu müssen. Vergeblich versuchte sie, nach oben zu greifen, doch es gelang ihr nicht. Ihre Füße wanderten weiter auf der Flurdecke entlang. Am anderen Ende der Wand angekommen schlug ihr Kopf gegen den Schuhschrank.

Inka Rolls Brüllen übertönte das Klingeln der Mikrowelle und das summende Poltern der Spülmaschine. Sie schrie, bis ihr die Sinne schwanden.

Als sie wieder erwachte, war sie nicht mehr allein.

Die winzige Sprechanlage an seinem Kragen summte, Martin Anderson war sofort hellwach. Die innere Last, die in den letzten Tagen und Wochen wie ein Klotz an seiner Seele gezerrt hatte, war seit dem Kontakt am Vorabend mit Jalo, dem Wesen aus der anderen Ebene, wie weggeblasen.

»An!«, sagte Martin zu seiner Jacke, die über einer Stuhllehne direkt vor dem Hotelbett hing.

»Was?«, fragte Leila schläfrig neben ihm.

»Es ist fünf Uhr, Martin«, kam es aus der Com, während sich die Lautstärke nach oben regelte. »Sie wollten geweckt werden.«

»Eigentlich nicht, Richard.« Martin fuhr sich gähnend durch sein blondes Haar.

Der Tag zuvor war lang gewesen. Der Angriff des Dämonenkinds in seinem Einsatzwagen steckte dem Agenten noch in den Knochen. Doch dieses Albtraumwesen war nur der Vorbote eines Hölleninfernos gewesen, das kurz darauf im Siegerland ausgebrochen war.

Riesenwürmer hatten eine Autobahnbrücke nahe Siegen belagert. Und Leila war mitten in das Kampfgetümmel einiger Spezialkommandos der Polizei geraten. Gemeinsam hatte man versucht, die meterlangen Würmer zu bekämpfen.

»Leila und ich sind gestern erst kurz vor Mitternacht zur Ruhe gekommen.«

»Ich weiß, doch wir befinden uns im Krieg«, erinnerte Richard Wallburg. »Da ist für Ruhe kein Platz.«

Der ehemalige Spezialagent der SSI und des BND war im Begriff, eine neue schlagkräftige Organisation aufzubauen, um das entstandene Vakuum im Kampf gegen die negativen Mächte der anderen Ebene zu füllen. Weitgehend losgelöst von jeglichem Behördenkram, fast nur mit Hilfe von Lady Marbely, der steinreichen englischen Lady. An finanziellen Mitteln sollte das ambitionierte Projekt, das den Namen Schattenchronik trug, jedenfalls nicht scheitern.

»Wir mussten in den letzten Stunden sehr intensive Gespräche mit dem deutschen Innenministerium führen. Der gestrige Wurmangriff in aller Öffentlichkeit hat die Politik tatsächlich von ihrem Kompetenzgerangel abgelenkt.«

»Ach ja? Das hat ausgereicht, um die internen Machtkämpfe zu unterbrechen?«, fragte Martin spöttisch.

»Keine Ahnung, wie das bei Ihnen in Schweden ist, doch hier in Deutschland erleben wir das reinste Affentheater. Und um davon abzulenken, setzt man mich unter Druck.«

»Das hört sich nicht gut an, Richard.«

»Man hat herausgefunden, dass ich gemeinsam mit Robert Linder eine autonome Agentenorganisation aufbaue. Die Hintergründe sind für die hausbackenen Politiker natürlich höchst suspekt. Leila wurde auf der Autobahnbrücke als unsere Mitarbeiterin geoutet, somit sind wir ins Visier geraten. Zu diesem Zeitpunkt mehr als lästig. Um etwas zu bewirken, müssen wir in aller Ruhe arbeiten. Doch nun soll unsere Schattenchronik die Wurzel allen Übels sein, zumindest was diese monströsen Würmer betrifft.«

»Man gibt uns die Schuld an diesen Viechern?«, fragte Leila Dahlström, sie war längst hellwach.

»Irgendwie, ja. Eine Verbindung liegt doch auf der Hand. Ich rekrutiere höchst eigenwillige Agenten aus aller Welt, und gleichzeitig tauchen ungewöhnliche Tiere auf, die niemand zuvor auf dieser Erde wahrgenommen hat. Dass die Schattenchronik gegründet wurde, um genau das zu bekämpfen, das muss erst mal vermittelt werden.«

»Da ist Diplomatie gefragt«, meinte Martin. »Das hält nur unnötig auf.«

»Berlin hat Druck gemacht, meine Hoffnung ist Mister Prince von der SSI. Er verfügt über beste Verbindungen zum BKA, BND, zu New Scotland Yard, zum FBI, zur CIA und so weiter. Er wird alles dafür tun, damit es bei uns geschmeidig weitergeht.« Wallburg machte eine kurze Pause. »Gut und Böse ringen im Jenseits miteinander und tragen ihre Kämpfe nun teilweise in unserer Welt aus. Wir stehen vor der Riesenaufgabe, uns davor zu schützen. Doch damit nicht genug, haben wir jetzt auch noch die Politik am Hals.«

»Man wird versuchen, die Würmer in Abschiebehaft zu nehmen«, versuchte Martin einen müden Witz.

»Ich wünschte, dass ich Ihren Humor teilen könnte«, sagte Richard Wallburg, diesmal perfekt in seiner Rolle als Butler von Lady Marbely. »Dieser mysteriöse Tierangriff ist überall in den Nachrichten. Die Bundesregierung steht unter Zugzwang. Das Hotel ist weiträumig durch Polizei und Militär abgeriegelt, eine Hubschrauberstaffel wurde in Alarmbereitschaft versetzt und einiges mehr. Sie werden gerade von zwei getrennten Satelliten überwacht.«

»Das darf doch nicht wahr sein!« Martin und Leila stießen unisono einen Fluch in ihrer Heimatsprache aus.

»Gab es in den letzten Stunden weitere Wurmattacken?«, fragte Leila.

»Zum Glück nicht. Im Augenblick scheint alles ruhig zu sein.«

»Es muss aber doch klar sein, dass wir gegen diese Würmer gekämpft haben«, sagte Martin.

»Sollte es«, entgegnete der Leiter der Schattenchronik. »Doch leider sind die Auswüchse der anderen Ebene ebenso wenig wie die deutsche Politik zu verstehen.« Wallburg räusperte sich. »Wenn ich es mal so ausdrücken darf.«

»Dann müssen wir wohl gleich mit Besuch rechnen?«, mutmaßte Martin.

»Der deutsche Innenminister erscheint persönlich.«

»Der Mann bemüht sich hierher?«, fragte Martin und sah Leila zu, wie sie sich in Shirt und Jeans zwängte. Im Gegensatz zu ihrem Kollegen verfügte die blonde Schwedin nur über einen minimal ausgeprägten Ordnungssinn und hatte die Angewohnheit, ihre Kleidung direkt vor dem Bett liegen zu lassen.

»Deutschland ist ohnehin in Aufruhr, da muss ein Innenminister raus an die Front«, sagte Wallburg. Gleich darauf hörte Martin, wie sein Boss ein anderes Gespräch nebenher führte. »Achtung, Martin! Gleich geht es los. Die Sicherheitskräfte wurden informiert, dass Sie und Kollegin Dahlström allein im Zimmer sind. Persönlich habe ich mich jetzt selbst noch einmal davon überzeugt.« Den letzten Satz hatte er lauter gesprochen und war somit nicht nur für Martin bestimmt.

Es klopfte. Martin ging zur Tür und öffnete. Vor ihm stand ein Klotz von einem Mann, der Martin, Leila und dann das Zimmer musterte. Danach trat er zur Seite, und zum Vorschein kam ein grauhaariger Mann, der wie ein leitender Versicherungsangestellter aussah, durchaus aber auch Politiker sein konnte. Martin kannte kaum die schwedischen Staatsmänner, erst recht nicht die deutschen.

Der Mann im grauen Anzug machte ein Gesicht, als hätte er eine höchst unangenehme Aufgabe vor sich. »Herr Anderson?«

»Bitte einzutreten.« Martin nickte und hielt die Zimmertür weit geöffnet, während er in den Hotelflur spähte. Mindestens ein Dutzend Sicherheitskräfte tummelten sich in dem Korridor und warfen misstrauische Blicke in Martins Richtung.

»Wir sind informiert, Herr …« Martin unterbrach sich. »Jetzt hab ich doch glatt Ihren Namen vergessen. Egal. Kommen Sie rein, wir beißen nicht, sind auch sonst nicht gefährlich.«

Der Politiker trat mit einem langen Schritt ein und verharrte dann misstrauisch. Seine Blicke huschten im Zimmer hin und her, um schließlich auf Leila und Martin hängen zu bleiben.

»Schön, dass Sie beide deutsch sprechen.« Jovial gab er zuerst Leila und dann Martin die Hand. »Sie gehören also, äh, zu diesen Geisterjägern?«, fragte der Politiker umständlich.

Bevor die beiden Schattenchronik-Agenten antworten konnten, kam ein Hotelangestellter und brachte ein ansehnliches Frühstück auf Rollen.

»Bitte, bedienen Sie sich!« Der Minister griff nach einer wertvoll aussehenden Thermoskanne und schüttete dampfenden Kaffee in eine der bereitstehenden Tassen. »Also gut.« Mit gespitzten Lippen nahm er einen Schluck. »Wie auch immer man Ihren Beruf bezeichnen mag. Bisher habe ich nicht gewusst, dass so etwas existiert.«

Martin musterte den schlürfenden Gast und entschied sich für ein Glas kalten Orangensaft. »Es gibt so einiges …«

Leila griff nach einer Banane und schälte sie aufreizend langsam. »Mit diesen Tausendfüßlern konnte niemand rechnen«, sagte sie und biss herzhaft in die Frucht.

»Schreckliche Bilder!« Der Politiker stellte seine Tasse ab. »Was, um Gottes willen, meine Damen und Herren, haben Sie damit zu tun?«

»Wir ermitteln noch«, antwortete Martin knapp.

»Ich war mehr oder weniger zufällig am Ort des Geschehens«, erklärte Leila wahrheitsgemäß. »Wir sind Agenten der Schattenchronik, solche Aufgaben müssen wir übernehmen. Über unsere Tätigkeit hat man Sie doch gewiss unterrichtet.«

Der Politiker machte eine wippende Bewegung. »Ja, ja, ich weiß. Ich möchte Sie dafür auch nicht persönlich verantwortlich machen. Darüber hinaus wurde ich unterrichtet, dass Sie erst vor wenigen Tagen aus Schweden eingereist sind. Kurz danach kam es zu diesem, äh, außergewöhnlichen Vorfall.«

Martin und Leila sahen sich an. Sie verstanden sich blind und empfanden die Rede des Politikers als widersprüchlich. Martin schlürfte seinen Orangensaft, Leila kaute nachdenklich die Banane durch.

Der Minister schien zu merken, dass sein Gespräch mit den beiden so nicht in Gang kommen wollte. »Es gibt interne Infos, dass Ihre Vorgängerorganisation, also diese, äh, Dings aus Amerika, in den letzten Jahren, ja sogar Jahrzehnten, wiederholt in unserem Land ermittelt hat. Jedes Mal waren schier unglaubliche Ereignisse der Hintergrund, häufig kamen dabei Menschen zu Schaden. Die eine Mannschaft verschwindet spurlos, so wurde mir berichtet, nun gibt es diese … diese … äh …«

»Schattenchronik«, half Martin.

»Ja, diese offenbar verschworene Gemeinschaft namens Schattenchronik, und nun sterben schon wieder Menschen.«

Es war offensichtlich, dass der Politiker die neue Geheimorganisation nicht anerkannte und sie als einen zusammengewürfelten Haufen aus verwirrten Geisterjägern und Phantasten darstellen wollte.

»Warum sprechen Sie nicht mit unseren Vorgesetzten?« Martin stellte sein Glas etwas zu heftig zurück auf den Teewagen. »Wir helfen nur, damit solche Dinge nicht überhand nehmen!«

Der Politiker wippte mechanisch weiter, verdrehte kurz die Augen und sagte: »Das tun wir bereits, Herr Anderson. Wir sprechen und besprechen ununterbrochen. Aber ich bitte Sie, hier geht es doch offensichtlich um mehr. Angeblich haben hier im Hotel … Geister getobt.« Da die beiden Schattenchronik-Agenten schwiegen, versuchte er das Gespräch abzukürzen: »Die gestrigen Vorgänge kann ich mir beim besten Willen nicht erklären, Herrschaften. Und ich mag, schon allein aus Zeitgründen, jetzt auch nicht näher ins Detail gehen. Sollen sich doch die Fachleute damit beschäftigen. Wie auch immer, Ihnen beiden lege ich nahe, unser Land umgehend zu verlassen. Sollte es tatsächlich so etwas wie Geister geben, dann nehmen Sie diese bitte wieder mit in Ihre Heimat.« Sein Gesicht wurde rund wie ein Fußball, als er sich zu einem Lächeln zwang. »Wären Sie so freundlich?«

Martin fixierte die Augen seines Gegenübers und erwiderte: »Wir sind eigentlich immer freundlich.«

»Wunderbar!«, rief der Politiker sichtlich erleichtert und hatte plötzlich tatsächlich etwas von einem Versicherungsvertreter, der soeben einen lukrativen Abschluss getätigt hatte. »Mit Ihrem Vorgesetzten … So, nun hab ich mal wieder was vergessen. Wie hieß er doch gleich? Egal, mit Ihren Leuten ist jedenfalls alles abgesprochen. Ein Helikopter wartet draußen, er wird Sie zum Flughafen bringen.«

»Wann soll’s denn losgehen?«, fragte Leila und warf die Bananenschale zielgenau in das kleine Abfallkörbchen auf dem Teewagen.

»Wenn möglich, gleich!« Der Minister ging um Martin herum. »Bitte verzeihen Sie, aber Sie sehen so wunderbar normal aus. Also, was stimmt denn nicht mit Ihnen? Riesenwürmer, Geister … Was haben Sie damit zu tun?«

»Früher oder später werden wir es herausfinden«, antwortete Martin steif.

Für einen Moment sah der Mann aus, als wolle er wieder Wunderbar! rufen, doch er sagte nur: »Die beiden Autos …« Er lächelte wohlwollend. »Übrigens, nicht übel, die Geschosse. Also, Ihre Autos wurden bereits verladen und sind schon auf dem Weg nach Frankfurt.«

Ein deutscher Innenminister hat ständig Feinde, egal aus welcher Ecke. Monsterwürmer? Nein, am schlimmsten waren die Feinde aus den eigenen Reihen. Um mehr sollte sich ein Minister auch nicht kümmern. Schlimm genug, dass man die vorgefertigten Reden auswendig lernen musste. Allein das erforderte die gesamte Konzentration eines Mannes im hohen Alter.

So dachte der Politiker. Hätte er sich mehr für seinen augenblicklichen Job interessiert, so wäre ihm die Arbeit der Schattenchronik weniger suspekt vorgekommen.

Nach seiner Unterredung mit den – wie der Minister positiv für sich vermerken konnte – durchaus sympathischen schwedischen Agenten im Hotel Pfeffermühle nahe Siegen bestieg er seinen Helikopter, der auf dem angrenzenden Fußballplatz gelandet war, um seinen Flug nach Frankfurt anzutreten. Dort wartete ein Jet der Bundesregierung, der ihn zu einer Frühstückssitzung nach Berlin bringen sollte.

Bei seinem Abgang eben hatte er noch vor einigen bestellten Journalisten posiert. Wer nett über ihn berichtete, der wurde rechtzeitig von seinem Büro unterrichtet, wenn es etwas Interessantes durchzuhecheln gab.

Eine Hand wäscht schließlich die andere.

Und sein Besuch bei den sogenannten Geisterjägern, die möglicherweise mysteriöse Riesenwürmer nach Deutschland eingeschleppt hatten, war unbestritten eine Sensation. Die Hauptsender der einzelnen TV-Stationen berichteten in ihren Frühstücksprogrammen ausführlich von den gestrigen Vorfällen. Dazu dann gleich eine begleitende Stellungnahme des Innenministers. Perfekt!

Der Politiker beglückwünschte sich zu seinem guten Timing. Ja, dafür hatte er schon immer ein gutes Gespür gehabt.

Unter ihm leuchtete Bad Homburg, und weiter vorne konnte man bereits die Wolkenkratzer von Frankfurt erkennen. Neben ihm gönnte sich einer seiner Leibwächter, Reithmeyer, der als Einziger mit ihm in den Heli gestiegen war, ein kurzes Nickerchen. Der zweigeteilte Tross seiner bundeseigenen Security raste unter ihm auf der A45 nach Frankfurt, der Rest erwartete ihn dort am Flughafen.

Der Politiker fühlte sich emotional zu aufgewühlt, um selbst ein wenig die Augen zu schließen. Geisterjäger! Er schüttelte den Kopf. Was immer das gestern im Dreiländereck bei Haiger gewesen war, er hatte die Gefahr gebannt. Zumindest konnte er auf diese Weise sein Image in der Öffentlichkeit etwas aufpolieren. Die Monsterwürmer waren verschwunden, hatten sich buchstäblich in Luft aufgelöst.