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Martin Luther hat zwar in den Jahren nach 1522 die Bibel ins Deutsche übersetzt. Doch an den Fürstenhöfen sprach man weiterhin Französisch, und die Kunst und die Wissenschaft bedienten sich weiterhin der lateinischen Sprache. Paul Fleming (1609 bis 1640) war einer der ersten, welche ihre Gedichte in deutscher Sprache verfassten und damit der deutschen Sprache zum Durchbruch verhalfen. Erst danach verfassten Komponisten wie Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) oder Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832) ihre Werke in deutscher Sprache.
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geboren am 5. Oktober 1609 in Hartenstein im Erzgebirge,
gestorben am 2. April 1640 in Hamburg
der Dreißigjährige Krieg
und seine Reisen nach Russland und Persien
- mehr als eine Biografie
Auf dem Marktplatz des kleinen Erzgebirgsstädtchens Hartenstein steht seit 1896 ein Denkmal von Paul Flemming; nur mit seinem Namen versehen, nicht aber mit einem seiner zahlreichen Gedichte. Das Denkmal des Barockdichters hat die Zeit des Nationalsozialismus ebenso wie die Zeit des Sozialismus der DDR überlebt; - mehr noch, man feierte 1959 in Hartenstein sogar seinen 350. Geburtstag mit zwei Festtagen.
Der Dichter Paul Flemming war mir als Kind nur durch zwei Lieder bekannt.
Besonders beliebt war ein Liebeslied des Dichters Paul Flemming, der 1609, also weniger als ein Jahrzehnt vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, in meinem Geburtsort geboren wurde. Dieses Liebesgedicht, vertont von Joseph Gersbach, durfte ich oft mit meiner Knabenstimme in der Kirche bei Trauungen singen. Noch heute, nach über siebzig Jahren, weiß ich den Text des von mir gesungenen Liedes von Paul Fleming:
Ein getreues Herze wissen
Hat des höchsten Schatzes Preis
Der ist selig zu begrüßen,
Der ein treues Herze weiß.
Mir ist wohl bei höchstem Schmerz,
Denn ich weiß ein treues Herz.
Läuft das Glücke gleich zu Zeiten
Anders, als man will und meint,
Ein getreues Herz hilft streiten
Wider alles, was ist feind.
Mir ist wohl bei höchstem Schmerz,
Denn ich weiß ein treues Herz.
Sein Vergnügen steht alleine
In des andren Redlichkeit,
Hält des andern Not für seine,
Weicht auch nicht in böser Zeit.
Mir ist wohl bei höchstem Schmerz,
Denn ich weiß ein treues Herz.
Gunst, die kehrt sich nach dem Glücke,
Geld und Reichtum, das zerstäubt,
Schönheit lässt uns bald zurücke,
Ein getreues Herze bleibt.
Mir ist wohl bei höchstem Schmerz,
Denn ich weiß ein treues Herz.
Eins ist: Dasein und geschieden,
Ein getreues Herze hält,
Gibt sich allezeit zufrieden
Steht auf, wenn es niederfällt.
Mir ist wohl bei höchstem Schmerz,
Denn ich weiß ein treues Herz.
Nichts ist süßer, als zwei Treue,
Wenn sie eines worden sein.
Dies ist's, des ich mich erfreue,
Und sie gibt ihr Ja auch drein.
Mir ist wohl bei höchstem Schmerz,
Denn ich weiß ein treues Herz.
Als zweites ist mir ein geistliches Lied von 1633 bekannt, welches erstmals 1642, zwei Jahre nach seinem Tod, ins Dresdener Gesangbuch aufgenommen wurde und noch heute, wenn auch um einige Strophen gekürzt, im Evangelischen Gesangbuch (EG) von 1993 unter Nummer 368 zu finden ist:
In allen meinen Taten
lass ich den Höchsten raten,
der aIles kann und hat;
er muss zu allen Dingen,
soll's anders wohl gelingen,
mir selber geben Rat und Tat.
2. Nichts ist es spät und frühe
um alle meine Mühe,
mein Sorgen ist umsonst;
er mag's mit meinen Sachen
nach seinem Willen machen,
ich stell's in seine Vatergunst.
3. Es kann mir nichts geschehen,
als was er hat ersehen
und was mir selig ist.
Ich nehm es, wie er's gibet;
was ihm von mir beliebet,
dasselbe hab auch erkiest.
4. Ich traue seiner Gnaden,
die mich vor allem Schaden,
vor allem Übel schützt;
leb ich nach seinen Sätzen
so wird mich nichts verletzen,
nichts fehlen, was mir ewig nützt.
5. Er wolle meiner Sünden
in Gnaden mich entbinden,
durchstreichen meine Schuld;
er wird auf solch Verbrechen
nicht stracks das Urteil sprechen
und haben noch mit mir Geduld.
6. Ihm hab ich mich ergeben:
Zu sterben und zu leben,
sobald er mir gebeut;
es sei heut oder morgen,
dafür lass ich ihn sorgen,
er weiß allein die rechte Zeit.
7. So sei nun Seele, deine
und traue dem alleine,
der dich erschaffen hat.
Es gehe, wie es gehe.
Dein Vater in der Höhe,
der weiß zu allen Sachen Rat.
Im Evangelischen Kirchen-Gesangbuch (EKG) von 1950 sind unter Nr. 292 noch sämtliche Strophen des Liedes erhalten:
8. Leg ich mich später nieder,
erwach ich frühe wieder,
lieg oder zieh ich fort,
in Schwachheit und in Banden
und was mir stößt zuhanden,
so tröstet mich allzeit sein Wort.
9. Hat er es denn beschlossen,
so will ich unverdrossen
an mein Verhängnis gehn;
kein Unfall unter allen
wird je zu hart mir fallen,
ich will ihn männlich überstehn.
(auf der Reise – nach 1633)
10. Ich zieh in ferne Lande,
zu nützen einem Stande,
an den er mich bestellt.
Sein Segen wird mich lassen,
was gut und recht ist, fassen,
zu dienen treulich seiner Welt.
11. Bin ich in wilder Wüste,
so bin ich doch bei Christo,
und Christus ist bei mir.
Der Helfer in Gefahren,
der kann mich doch bewahren,
wie dorten, ebenso auch hier.
12. Er wird zu diesen Reisen
gewünschten Fortgang weisen,
wohl helfen hin und her,
Gesundheit, Heil und Leben,
Zeit, Wind und Wetter geben
Und alles, was ich noch begehr.
13. Sein Engel, der getreue,
macht meine Feinde scheue,
tritt zwischen mich und sie.
Durch seinen Zug, den frommen,
sind wir soweit nun kommen
und wissen selber fast nicht wie.
14. Gefällt es seiner Güte
und sagt mir mein Gemüte
nicht was Vergeblichs zu,
so werd ich Gott noch preisen
mit manchen schönen Weisen
daheim in meiner stillen Ruh.
15. Indes wird er den meinen
mit Segen auch erscheinen,
ihr Schutz wie meiner sein;
wird beiderseits gewähren,
was unser Wunsch und Zähren
ihn bitten werden überein.
die Paul-Fleming-Schule in Hartenstein im Erzgebirge (erbaut 1913)
Selbst während der Zeit des Nationalsozialismus durfte das Denkmal auf dem Hartensteiner Marktplatz stehen bleiben, und auch die nach ihm benannte Gasse und die nach ihm benannte Schule durften ihre Namen behalten. Das hatte seinen Grund nicht darin, dass der Barock-Dichter in seinen Gedichten völlig unpolitisch war, sondern darin, dass er als einer der ersten Dichter viele seiner Gedichte nicht wie die meisten seiner Dichterkollegen in lateinischer Sprache verfasste, sondern in deutscher Sprache. – In der Zeit des Barock sprach man trotz der Übersetzung der Bibel ins Deutsche durch Martin Luther weiterhin vor allem an den katholischen Fürstenhöfen fast ausschließlich Französisch. Und die Sprache der Gelehrten und der Dichter war Latein. Luther war mit seiner Bibelübersetzung und damit mit der Schaffung einer einheitlichen deutschen Sprache bei ihnen nicht angekommen. Dem Protestanten Paul Fleming dagegen war es ein Anliegen, die deutsche Sprache in der Öffentlichkeit zu verankern und ihre Reichhaltigkeit den Menschen bewusst zu machen. Er war aktiv in Sprachgesellschaften, welche ihre Aufgabe darin sahen, die deutsche Sprache zur Nationalsprache zu machen. So war es geradezu eine Selbstverständlichkeit, dass nach ihm Goethe, Schiller, Lessing und alle berühmten Dichter und Schriftsteller ihre Werke in deutscher Sprache verfassten.
Und auch zu DDR-Zeiten galt Paul Flemming als ein bedeutender Dichter. So durfte sein Denkmal auf dem Marktplatz seines Geburtsortes Hartenstein im Erzgebirge weiterhin stehen bleiben, obwohl die Zeit des Barock, etwa 1575 bis 1770, auch als die Zeit des Absolutismus und der Feudalherrschaft galt und von den Kommunisten mehr als kritisch betrachtet wurde. Alles, was an diese Zeit erinnerte, war bei den Kommunisten verpönt. So wurde beispielsweise das barocke Berliner Stadtschloss auf Walter Ulbrichts Befehl hin abgerissen. Aber das Fleming-Denkmal auf dem Hartensteiner Marktplatz blieb stehen.
Als Arzt begleitete Paul Fleming noch im Dreißigjährigen Krieg eine holsteinische Handelsdelegation nach Russland, um dort die im Krieg versiegten Handelsbeziehungen wieder zu knüpfen und die Handelsrouten auf dem Landwege zu erkunden. Damit galt er in der DDR als Vordenker der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Und er galt auch als „Friedensfreund“, weil er den Satz prägte:
Denke, dass der Krieg zerstöret,
Denke, dass der Frieden nähret.
Nach der Brandschatzung Meißens 1631 durch den Söldnerführer Heinrich Holk mit seinem aus 13.000 Söldnern bestehenden Heer bittet Paul Fleming die Göttin des Friedens für Meißens Wohl:
Göttin, thronst du auch in des Himmels Frieden,
neige dich herab zu der Mulden Ufer
und der Elbe Strand und dein gütig Antlitz gönn uns zu schauen!
Widerhallend tönt durch die Luft dein Name,
aus dem Käfig ruft ihn der Vogel zwitschernd,
jauchzend schreit ihn aus jeder Hütte, blökt ihn schallend der Schafstall.
Und der Landesherr, das Gedeihen bedenkend
seines Volkes, befiehlt, dass du hier verweilst,
allen von der Flucht wieder Heimgekehrten Ruhe gewährend.
Als der Söldnerführer Heinrich Holk mit seinen Söldnern zwei Jahre später, 1633, Meißen erneut brandschatzend, raubend, mordend und vergewaltigend heimsucht, schreibt Paul Fleming:
Als aber gleich der Krieg,
Erbarm es Gott! Der Krieg, mit welchem wir uns Deutschen
von so viel Jahren Herr nun ganz zu Tode peitschen,
mein liebes Meißen traf, so gab ich mich der Flucht,
die niemand schelten kann und ich mir oft gesucht,
ganz einem Vogel gleich, der flügg ist, auszufliegen.
In der heutigen Zeit darf man Paul Flemings Weltoffenheit und Offenheit für Fremdes nicht unerwähnt lassen. So hat ihn die Stadt Moskau, deren Menschen und die goldenen Türme, welche er in einem Sonett mit Elsabens blondem Haar vergleicht, auf seiner Reise so stark beeindruckt, dass er, als er aus Moskau scheiden musste, über diese Stadt dichtete:
Prinzessin deines Reichs, die Holstein Muhme nennt,
du wahre Freundin du, durch welcher Gunst wir wagen,
was Fürsten ward versagt, und Kön’gen abgeschlagen,
den Weg nach Aufgang zu. Wir haben nun erkennt,
wie sehr dein freundlich Herz in unsrer Liebe brennt;
die Treue wollen wir mit uns nach Osten tragen,
und bei der Wiederkunft in unsern Landen sagen:
Das Bündnis ist gemacht, das keine Zeit zertrennt.
Des frommen Himmels Gunst, die müsse dich erfreuen,
und alles, was du tust, nach Wunsche dir gedeihen.
Kein Mars und kein Vulcan dir überlästig sein.
Nimm itzo dies Sonett. Komm ich mit Glücke wieder,
so will ich deinen Preis erhöhn durch stärkre Lieder,
dass deiner Wolga Schall auch hören soll mein Rhein.
Und als die Gesandtschaft nach Persien kommt, das mit seinen Sitten und seiner Religion den Reisenden völlig fremd ist, hat Paul Fleming der Gastfreundschaft, den Bewohnern, dem Regenten und der Landschaft hohe Achtung gezollt. Am „goldenen Fluss“ Isperut schreibt Flemming in ein Stammbuch:
Du aller Trefflichkeit des ganzen Perserlandes
in diesen engen Raum zusammenbrachte Zier,
groß, seltsam, herrlich, reich, ich neige mich vor dir,
nimm diesen tiefen Gruß zum Zeichen eines Pfandes
für deine Gottheit an, die eine gleichen Standes
hier nicht hat und nicht weiß, und sei so günstig mir,
dass ich mich setze hin an diesem Wasser hier
das Gold heißt und Gold führt im Schutze deines Sandes.
Indem ich Persien nun sage Gute Nacht.
Und auf mein Vaterland so schleunigst bin bedacht,
so muss ich gleichwohl dir die Zeit vergünnen
und froh sein über dir. Sobald der Tag erwacht,
so bleibest du zwar hier, ich mache mich von hinnen,
doch werd‘ ich deiner Gunst mich ewiglich entsinnen.
Es gibt also viele Gründe, sich mit dem Leben und Wirken Paul Flemings näher zu befassen und seine barocken, uns an mancher Stelle unverständlichen Dichtungen in unserer so nüchternen Sprache und Zeit neu bekannt zu machen.
Klaus-Rainer Martin
Klein Wesenberg, im März 2019