Der dressierte Nachwuchs - Michael Meyen - E-Book

Der dressierte Nachwuchs E-Book

Michael Meyen

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Beschreibung

Dieses Buch entlastet Eltern und Großeltern - vor allem die, die sich fragen, warum der Nachwuchs nicht mitmarschiert, wenn es um Grundrechte geht oder um Krieg und Frieden. Was ist mit unseren Kindern passiert? Warum müssen wir schon wieder die Kastanien aus dem Feuer holen, genau wie einst im Bonner Hofgarten oder im Herbst 1989 in der DDR? Die Antwort in einem Satz: Die Jugend von heute wurde eingefangen mit einer Ideologie, die Herrschaftsverhältnisse verschleiert, das Band zu den Älteren kappt und die Aufmerksamkeit auf Felder lenkt, die niemandem wehtun, der über Macht und Ressourcen verfügt und deshalb etwas verlieren würde, wenn tatsächlich alle mitreden dürften. Natürlich: Ideologie und Erziehung sind nur die halbe Miete. Junge Leute wissen, dass wir auf sie warten. Und sie haben ihr ganzes Leben mit Geräten verbracht, die Narzissmus triggern, Konformität belohnen und so konzipiert sind, dass alle großen Rätsel zu einer Frage der Moral schrumpfen. Schule, Uni, Internet: So wird die Jugend auch dann formatiert, wenn sich Mütter und Väter nach Kräften wehren.

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Seitenzahl: 101

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In dieser Reihe bereits erschienen:

Matthias Rude: Die Grünen

Von der Protestpartei zum Kriegsakteur

Berlin, 2023, ISBN 978-3-910568-04-4 (Ebook)

Georg Auernheimer: Der Ukrainekonflikt

Wie Russlands Nachbarland zum Kriegsschauplatz wurde

Berlin, 2023, ISBN 978-3-910568-03-7 (Ebook)

Wolf Wetzel: Der Anti-Antifaschismus.

Antifa, angebliche Nazis, rechtsoffener Staat und geheimdienstliche Neonazi-Verbrechen

Berlin, 2023, ISBN 978-3-910568-06-8 (Ebook)

Michael Meyen: Cancel Culture

Wie Propaganda und Zensur Demokratie und Gesellschaft zerstören

Berlin, 2024, ISBN 978-3-910568-08-2 (Ebook)

Stefan Kreutzberger: Nachhaltigkeitsschwindel

Wie sich mit »Klimaschutz« viel Geld verdienen lässt

Berlin, 2024, ISBN 978-3-910568-10-5 (Ebook)

Patrik Baab: Propaganda-Presse

Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben

Berlin, 2024, ISBN 978-3-910568-12-9 (Ebook)

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, einschließlich der Vervielfältigung, der Übersetzung, der Mikroverfilmung oder der Speicherung und Verarbeitung unter Verwendung elektronischer oder mechanischer Verfahren, ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Herausgebers vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, mit Ausnahme von kurzen Zitaten in Rezensionen und bestimmten, nichtkommerziellen Verwendungen, die nach dem Urheberrecht zulässig sind.

ISBN 978-3-910568-14-3

© Hintergrund GmbH, Berlin, 2024

1. Auflage, 2024

www.hintergrund.de

Inhalt

1. Ein Medienforscher auf Abwegen

2. Das Problem: Herrschaft und Kontrolle

3. Ideologie, Akademisierung, Abhängigkeiten

4. Schule und Hochschule: Abschaffung der Urteilskraft

5. Digitallogik: Eins oder null und nichts dazwischen

6. XYZ: Der Aufstieg der Ichlinge. Und was nun?

1. Ein Medienforscher auf Abwegen

Dieser Text ist bei meinen Vorträgen gewachsen. Ich spreche dort über »Journalismus und Macht« oder über »Cancel Culture« – über Themen, die zu meinem Fachgebiet gehören und zu denen ich seit mehr als einem Vierteljahrhundert lese, schreibe, lehre.1 Was machen die Medien mit den Menschen? Was machen die Medien vor allem mit der Gesellschaft? Eine Antwort sitzt vor mir, wenn ich rede. Es kommen deutlich mehr Menschen als vor zehn Jahren, das schon, aber es kommen immer noch die gleichen: Ältere vor allem, die das Berufsleben schon hinter sich gelassen oder dort gelernt haben, für sich selbst zu sorgen. Herr Meyen, werde ich bei nahezu jeder Veranstaltung gefragt, was ist mit der Jugend los?

Ich muss gar nicht mehr in die Gesichter schauen, um zu sehen, dass dann ein Ruck durch den Saal geht. Ich kenne die Geschichten. Kinder, die bei der Flüchtlingshilfe sind, bei irgendeiner NGO oder bei der Antifa und die nur noch nach Hause kommen, wenn die Politik vermieden wird und die Tochter gendern darf, ohne dass Papa mit der Faust auf den Tisch haut und Mama weint. Was ist mit der Jugend los, Herr Meyen? Warum sind wir bei den Corona-Demos fast unter uns gewesen und jetzt sogar da, wo es um Krieg und Frieden geht und damit doch auch um das Leben unserer Jungs? Was haben wir falsch gemacht?

Ich frage mich das auch selbst. Mein Sohn, 1995 geboren, arbeitet für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Im Sommer 2023 war er bei Rammstein im Münchner Olympiastadion, um am nächsten Morgen im Radio über Awareness-Teams zu sprechen und über den Trotz der Fans. Selbst Kollegen von weither wollten wissen, was denn mit unserer Familie los sei. Ein paar Tage später hat er mit der Kamera in Erding festgehalten, wie Hubert Aiwanger die Aufregung über das Heizungsgesetz nutzte, um die »schweigende große Mehrheit dieses Landes« aufzufordern, »sich die Demokratie« zurückzuholen, und wie Monika Gruber, Kabarettistin und Mitorganisatorin, Markus Söder gegen Buhrufe verteidigte. Der TV-Beitrag zieht ein paar Teilnehmer durch den Kakao, findet aber »sogar am Demo-Ort« einige »höfliche, abwägende Bürger alter Schule« – Menschen, die kein »AfD-Kapperl« im Vorgarten mögen und »für die Umwelt« gern in die Tasche greifen. Fazit, untermalt mit Biergartenidylle: Die »wirkliche bürgerliche Mitte« sei halt doch nicht da, »wo am lautesten gebrüllt wird«.2 Man muss dazu wissen, dass unsere Kinder mit Rammstein großgeworden sind und nur ein Zufall verhindert hat, dass ihre Eltern auf besagter Demo waren.

Das Gebührenfernsehen hat den Luxus, mit Archivbildern spielen zu können. Der Erding-Beitrag zeigt »die Jugend« von »früher« – am Megafon und unter Transparenten um 1968, untergehakt und in dichten Reihen, mit einem Sprechchor auf den Lippen, oder auf der Flucht vor Tränengas, in Wackersdorf vielleicht oder an der Startbahn West. Die Alten, so wird uns suggeriert, haben damals im Büro malocht, »bescheiden, zurückhaltend, gesetzestreu«, und ansonsten ihren Garten gewässert oder sich mit Schlips und Kragen, Bluse und Rock auf der Terrasse verlustiert.

Ganz abgesehen davon, dass das Image jeder Generation von den wenigen geprägt wird, die es erst in das öffentliche Bewusstsein schaffen und dann in das kollektive Gedächtnis: Jugend schien auf ewig verklammert mit Aubfegehren und Rebellion, mit Protest und Revolution. Die Demokraten von 1848/49? Jung. Amalie Struve, Ferdinand Lassalle und Georg Weerth gerade volljährig, Louise Otto-Peters Ende 20, Emma und Georg Herwegh Anfang 30. Selbst Veteranen wie Friedrich Hecker, Robert Blum und Wilhelm Weitling, Gustav Struve oder Ludwig Feuerbach würden in meinem Publikum als jugendlich durchgehen.3 Dort sitzen Menschen, die in den 1980ern im Bonner Hofgarten waren, in Mutlangen und in Brokdorf4 oder das Hier und Jetzt mit dem vergleichen, was sie in der späten DDR erlebt haben, oft frei nach dem Motto: Und jetzt sind wir wieder auf der Straße. Dass sie dort ohne ihre Kinder stehen, macht viele traurig und ratlos. Was ist da passiert, Herr Meyen? Warum machen die jungen Leute nicht das, was wir früher gemacht haben?

Jede Erklärung verweist zuallererst auf den, der spricht. Etwas allgemeiner: Es gibt kein »Wissen« und keine »Wahrheit« ohne uns, ohne einen Menschen. Wie wir die Wirklichkeit sehen, hängt davon ab, was wir bisher erlebt haben, mit wem wir uns austauschen können und wohin wir noch wollen im Leben. Ich schicke das aus zwei Gründen vorweg. Zum einen sollte der Leser den Autor kennen. Wer erzählt mir hier etwas? Zu meiner akademischen Disziplin habe ich deshalb ein »biografisches Lexikon« ins Netz gestellt.5 Die Idee: Angaben zu jedem Professor und überhaupt zu jedem, der etwas beigetragen hat. Kein Student sollte mehr blind einen Aufsatz lesen. Elternhaus des Schreibers, Religion, Netzwerke, Parteinähe, Macht. Das Projekt ist vom ersten Tag an bekämpft worden,6 weil es am Lack »Objektivität« kratzt und den Heiligenschein zerstört, der Wissenschaft vor Fragezeichen schützt.

Das führt zum zweiten Grund. Auch dieser Text ist nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern ein Produkt meines Werdegangs, meiner Interessen, meiner Scheuklappen. Ich bin in der DDR aufgewachsen, wollte dort Sportreporter werden und habe deshalb ab 1988 Journalistik am »Roten Kloster« studiert, einer Kaderschmiede der SED.7 Im dritten Semester war es damit vorbei. Aus der Euphorie des Anfangs wurde schnell Zukunftsangst, verbunden mit der Frage: Warum bist du ausgerechnet dort gelandet, lieber Michael? Ich hatte das Glück, an der Universität nach Antworten suchen zu dürfen. Research ist immer auch Me-Search.8 Die DDR, das habe ich dabei schnell gelernt, lässt sich besser verstehen, wenn man die Generationen mitdenkt – verstanden als Schicksalsgemeinschaften, zusammengeführt durch eine Jugend, die anders war als bei den Älteren und sich so eingeschrieben hat in das, was später folgte. Das heißt nicht, dass Gleichaltrige zwingend das Gleiche tun, im Gegenteil.9 Die DDR-Gründer um Ulbricht, Mielke und Honecker waren durch ähnliche Höllen gegangen wie ihre Gegenspieler oder Herausforderer Hans Mayer, Robert Havemann und Walter Janka. Das Denken all dieser Männer aber, das ist hier der Punkt, war nicht zu trennen von den politischen Kämpfen in Weimar und dem Leiden danach.

Getragen wurde der ostdeutsche Staat von der Aufbaugeneration, geboren um 1930 und so zwar noch verführt von der NS-Ideologie, mit den Antifaschisten an der Spitze aber freigesprochen und zugleich in jungen Jahren hinaufgeschubst in Führungsetagen, die leer geworden waren durch Schuld, Kriegstod, Abgang in den Westen.10 Dieses Angebot hat zwei Generationen aneinander gekettet und die Kinder der Aufbaugeneration, hineingeboren in die DDR der 1950er und 1960er, vor den Kopf gestoßen. Wonach soll man streben, wenn Vater und Mutter ihren Posten nicht räumen? Warum soll man ein Land verteidigen, das einen abspeist mit Parolen, Häuslichkeit und Langeweile? Ich weiß: Geschichte ist wie ein Ameisenhaufen, faszinierend und unergründlich. Wer den Stock an einer Stelle ansetzt, der verpasst, was auf der anderen Seite geschieht. Das Ende des SED-Projekts, darauf kommt es mir hier an, hat auch mit dieser Konstellation zu tun. Die Aufbaugeneration, immer noch dankbar für das unverhoffte Glück des Aufstiegs, ging auf die Rente zu, die Jugend und die jungen Erwachsenen aber, auserkoren für die Fortsetzung, waren schon weg, viele sogar im Wortsinn.

Sorry für diesen Ausflug in die Vergangenheit, der den Medienforscher Michael Meyen in den Augen seiner Leser nicht nur als Historiker etablieren soll, sondern vor allem als jemanden, der dieses Büchlein über den Nachwuchs der Gegenwart nicht aus einer Laune heraus schreibt. Das Verhältnis von Jung und Alt beschäftigt mich, seit ich als Sozialwissenschaftler arbeite. Die Brille Generation hat mir erst geholfen, die DDR und ihren Journalismus zu deuten11 und dann mein Fach, die Kommunikationswissenschaft, die als Propagandaforschung gegründet und dann lange getragen wurde von Männern und einigen wenigen Frauen, die nie zu träumen gewagt hätten, einmal eine Professur zu bekommen.12 Das Muster ist in beiden Fällen gleich: Karriere gegen Dankbarkeit. So haben die Nationalsozialisten ab 1933 ein ganzes Land umgebaut und die Kommunisten nach 1945 ein halbes. Um das nur mit einem Beispiel zu illustrieren: Der Leipziger Lehrstuhl für Zeitungswissenschaft, damals der einzige in Deutschland, ging 1934 an Hans Amandus Münster, Jahrgang 1901, nicht habilitiert, aber seit 1932 Mitglied der NSDAP und von Studenten unterstützt, die genauso überzeugt waren von der Bewegung wie er. Als ich über ein halbes Jahrhundert später an diese Uni kam, waren viele meiner Lehrer reif für den Vorruhestand – die erste Studentengeneration der DDR, Arbeiterkinder, in den 1950ern auserwählt, eine sozialistische Journalistikwissenschaft zu erfinden.13

Geschichte wiederholt sich doch. Ohne die Jugend, das lehrt gerade in Deutschland ein Blick in die Bücher über das 20. Jahrhundert, lässt sich keine neue Welt bauen. Mehr noch: Wenn es mir gelingt, die Energie der Heranwachsenden zu bündeln und auf meine Ziele zu richten, dann muss ich nicht fürchten, dass der Geist von 1848/49 aufersteht. Unerhört, diese »Märzforderungen«, auch wenn es die »soziale Frage« – »Wohlstand und Bildung für alle Klassen« – nur in den Prolog geschafft hat: »1. Volksbewaffnung mit freien Wahlen der Offiziere. 2. Unbedingte Preßfreiheit. 3. Schwurgerichte nach dem Vorbilde Englands. 4. Sofortige Herstellung eines deutschen Parlaments.«14 Noch einmal langsam. Bürger, die Waffen haben, selbst Recht sprechen und die Besten aus ihren Reihen beraten und entscheiden lassen, wie sie leben wollen – beobachtet von einem Journalismus, der dem Auftrag Öffentlichkeit verpflichtet ist15 und sonst niemandem. Wer sich wenig vorstellen kann unter »Demokratie« und wissen möchte, wie das denn gedacht sei mit Freiheit, Gleichheit und Mitbestimmung überall da, wo es für uns wichtig ist:16 Hier hat er eine Antwort. Eine »Leitidee«, verankert bei den alten Griechen und den Aufklärern, die »rigorose Elitenkontrolle« erlaubt, genau deshalb »unnachgiebig bekämpft« wird und wenig mit dem zu tun hat, was die Bewusstseinsindustrie gerade unter dem Namen »Demokratie« verkauft.17

Die Jugend von heute, das ist meine wichtigste These, wurde eingefangen mit einer Ideologie, die Herrschaftsverhältnisse verschleiert, das Band zu den Älteren kappt und die Aufmerksamkeit auf Felder lenkt, die niemandem wehtun, der über Macht und Ressourcen verfügt und deshalb etwas verlieren würde, wenn tatsächlich alle mitreden dürften. Ich werde in den nächsten beiden Kapiteln die Motive erläutern und dabei auch einen Link zu den Achtundsechzigern setzen, einer Studentenbewegung, die in den USA mit der Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King und Protesten gegen den Vietnamkrieg verknüpft war und von den westlichen Eliten als existentielle Bedrohung wahrgenommen wurde,18 obwohl sie allenfalls ein schaler Aufguss der »Märzforderungen« von 1848/49 war, will aber vorher wenigstens auf vier Punkte hinweisen, teilweise Selbstverständlichkeiten, die meine These abmildern und nuancieren.

Erstens. DIE Jugend gibt es nicht – und das nicht nur, weil sich die Wissenschaft niemals darauf einigen wird, wann diese Lebensphase beginnt und wann sie aufhört,19 oder weil der BR-Redakteur, verheiratet, um die 30 und mit Platz für ein Homeoffice, Greta Thunberg, Corona und Krieg anders erlebt und erlebt hat als der Lehrling, gerade 17, oder die Studentin, Anfang 20, mit Kleinkind. Der Blick auf die Wirklichkeit wird auch gelenkt von den Bahnen, in denen wir uns bewegen, und von den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Stadt vs. Land, »Innenraum« vs. Peripherie,20