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Die Abenteuer von zwei Kindern, die dem blauen Vogel folgen, der sie an geheime Plätze führen wird. Der Weg birgt viele Gefahren, und sie durchleben - gemeinsam wie auch getrennt - viele glückliche, wie auch unglückliche Situationen, in einer ganz anderen Welt. Wie wird alles enden? Übersetzung des märchenhaften Romans von Mildred Kennedy, erschienen in New York im Jahre 1921, der auch Erwachsene zum Träumen einlädt.
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Seitenzahl: 99
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Für Florence A. Browne, Mutter von Ken und Dick, für die diese Geschichte geschrieben wurde.
Mildred Kennedy
DAVID
DER PFAD DES BLAUEN VOGELS
DIE KLEINE TÜR IM BAUMSTAMM
IN DER HÜTTE DES SCHUSTERS
DAS HAUS DER GLÜCKSELIGKEIT
DER PALAST DES BRONZEKÖNIGS
IM PALAST
EINE NACHRICHT VON RUTH
DIE HÜTTE IM FORST
DAS GEFLÜGELTE PFERD
DER TAG VOR DER HOCHZEIT
DIE RETTUNG
DER BRENNENDE BERG
DER GARTEN
David war der Sohn eines rechtschaffenen Holzfällers. Er lebte bei seinem Vater, in einer kleinen Hütte am Rande des Waldlands. Weit, weit dahinter, soweit die Augen reichten, erstreckten sich große, mit Bäumen bedeckte Hügel und Berge. Dieses in der Ferne liegende, weitläufige Areal, wurde von der Landbevölkerung 'der dunkle Forst' genannt.
Einige von ihnen fürchteten die Geheimnisse dieser unbekannten und unerforschten Gegend, zumal es auch viele Geschichten und einiges an Aberglauben gab, was Riesen, Wichtel und Elfen betraf, die inmitten seiner schattigen Wildheit leben würden. Aber David, solange er sich erinnern konnte, hatte immer die raue, harte Rinde einer Kiefer oder Eiche geliebt, und die fransige Weichheit einer Papierbirke hatte ihm stets Vergnügen bereitet, schon von dem Tag an, als er zum ersten Mal ihre zerklüftete Schönheit bemerkte – es war an einem Nachmittag im Spätsommer, an dem er zur Hütte seines Vaters zurückkehren wollte. Die untergehende Sonne berührte die weiße Blässe ihres Stamms unterhalb des strahlenden Grüns ihrer schillernden Blätter.
Eines Tages werde ich in den Forst gehen, sagte er oft zu sich selbst. Wer weiß, welche Schätze ich dort finden werde?
David wuchs schnell heran. Er war sehr kräftig geworden, da das Leben im Waldland dafür geschaffen war, einen Jungen gesund und glücklich heranwachsen zu lassen. Er erlernte in kürzester Zeit den Beruf seines Vaters, obwohl er noch längst nicht ausgewachsen war. Bald aber konnte er eine Axt schwingen, so gut wie ein erwachsener Mann.
In der Tat war es so, dass er einige Männer beschämte, da seine Fertigkeiten viel größer waren als die eines durchschnittlichen Jungen seines Alters.
Eines Tages, als er gerade auf einem engen Pfand entlangging, den die Holzfäller gewöhnlich benutzten, traf er eine sehr alte Frau. Ihr Kleid war braun und aus einem groben, selbst gestrickten Material. Ein großer, auf ihrem Rücken festgebundener Korb war voll mit Stücken von Feuerholz, das sie gesammelt hatte. Als sie David entdeckte, rief sie nach ihm. Er kam näher und erkannte, wie schön sie war – trotz ihrer zerlumpten Kleidung, die dabei kaum eine Rolle spielte. Ihr Gesicht war gütiger und schöner, als er ein solches je gesehen hatte. Ihr Haar – von dem eine Locke aus ihrer Kopfbedeckung heruntergefallen war – erschien weiß wie der reinste Schnee. Ihre Augen hatten die weiche Farbe von Eichenblättern im Winter, dazu war sie so voller Lieblichkeit, dass David nur dastehen und sie betrachten konnte.
Kannst du mir sagen, fragte sie, in einer Stimme, die klang, als würde der Wind durch die Nadeln der Kiefer rauschen, kannst du mir sagen, wo ich ein wenig Wasser finden kann? Ich war den ganzen Tag über im Wald und habe weder eine Quelle noch einen Bach gefunden. Ich bin durstig, so durstig, nach einem Schluck reinem, kühlen Bergwasser.
Ja!, sagte David. Es gibt da eine wunderbare Quelle, nicht weit von hier. Ich gehe und hole etwas von dem Wasser für dich. Bleibe hier im Schatten und ruhe dich aus, bis ich wiederkomme. Es dauert nur einen kurzen Augenblick.
Als sie sprach, hob er ihren Korb an, damit sie leichter mit ihren Armen aus den ledernen Trageriemen herausschlüpfen konnte, die dazu dienten, das Behältnis auf ihrem Rücken am rechten Platz zu halten. Sie schwang ihre schwerfällige Last auf den Boden und dankte ihm.
Sobald er sah, dass sie es sich auf einem Belag aus Moos unter einem Schatten spendenden Baum bequem gemacht hatte, begab er sich eiligst auf den Weg zur Quelle.
Während er so einher lief, holte er sein Jagdmesser heraus. Als Erstes musste er eine Birke finden. Er brauchte etwas von ihrer weißen Rinde, um einen Behälter zu machen, in dem er das Wasser transportieren wollte. Schon bald kam er an einen schönen, großen Baum. Er schnitt einen sauberen, weißen Streifen der Rinde ab und formte ihn zu einem schüsselartigen Gefäß. Als Nächstes steckte er die Ecken mit Zweigen zusammen, die er vorher so angespitzt hatte, dass sie die Rinde durchstoßen und zusammenhalten würden. Dann eilte er hastig zur Quelle und füllte den Birkenbecher bis zum Rand mit sauberem, kühlem und kristallklarem Wasser. Kurz danach stand er wieder vor der alten Frau und übergab ihr den tropfenden Becher. Sie ergriff ihn, nahm einen kräftigen Schluck und hatte sich erfrischt.
David starrte sie an. Sie hatte etwas an sich, das er sich nicht erklären konnte; genauso wenig konnte er sein seltsames Verlangen erklären, mit ihr sprechen zu wollen. Sie betrachtete ihn und lächelte. Dann bat sie ihn, sich neben ihr auf das Moos zu setzen, und David folgte dem Wunsch.
Lebst du in diesen Wäldern?, fragte er schüchtern. Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals zuvor gesehen zu haben.
Nein, antwortete die alte Frau. Mein Haus steht weit, weit entfernt von hier – jedoch auch nicht so weit weg, wenn jemand schlau genug ist, dem Pfad zu folgen, und keine Abkürzungen sucht.
Führt der Pfad, auf dem wir uns befinden, zu deinem Haus?, fragte David und zeigte auf den Waldweg, der sich vor ihnen erstreckte und so erschien, als würde er sich in der Ferne verlieren.
Ja und Nein, antwortete die alte Frau. Er führt dich hin, wenn du weißt, wie man ihm folgen soll – aber es gibt viele Abzweigungen. Es ist nicht immer einfach, zu wissen, welche man nehmen soll, und wenn du die falsche nimmst, führt dich das weit vom Weg ab.
Ach du liebe Zeit!, sagte David, es ist zu schade, dass der Weg nicht besser markiert ist.
Das ist er nie, sagte die alte Frau, und das geht auch nicht, da jedes Jahr neue Blätter wachsen, die den alten Pfad bedecken, und jedes Jahr muss ein neuer Pfad gefunden werden. In der Tat, es muss jeder seinen eigenen Pfad entlang gehen, auch wenn er glaubt, er würde dem eines anderen folgen und sich dann selbst in die Irre führt, indem er das glaubt.
Es ist das Gesetz des Forstes, dass jeder Pfad, der nicht der eigene ist, uns dorthin führen kann, wo wir gar nicht hinwollen. Dann befinden wir uns ganz plötzlich tief im Wald, der Pfad ist verloren, so wie wir. Nein: Wir müssen wissen, wohin wir gehen und warum wir dorthin gehen. Dann, wenn wir das begriffen haben, gibt es immer irgendein Zeichen, dem wir folgen können und das uns davon bewahrt, den Weg zu verlieren. Siehst du, obwohl ich auf diesem Pfad losgehe, heißt das nicht, dass ich ihm auf ganzem Wege folge; es hängt davon ab, wie der Vogel fliegt.
Was für ein Vogel?, fragte David.
Der blaue Vogel, antwortete die Frau.
Es gibt keine blauen Vögel in diesem Waldland, sagte David. Ich lebe schon mein ganzes Leben hier und habe niemals einen gesehen. Es gibt gelbe Vögel und rote Vögel, braune Vögel und grüne Vögel, weiße Vögel und schwarze Vögel, aber ich habe noch nie einen blauen gesehen – ich wusste gar nicht, dass es einen in dieser Farbe gibt.
Nun, sagte die alte Frau, vielleicht wirst du eines Tages einen blauen Vogel sehen. Wenn du es tust – lass mich dir nur ein paar Worte als Ratschlag mitgeben – folge ihm, egal wo du entlangläufst, egal wie eben und schön dein Pfad sein mag, egal, durch welche Gegenden der Vogel dich führen mag. Folge ihm, folge ihm, kleiner Junge, denn er wird dich dorthin begleiten.
Wohin?, fragte David.
Zum Baum, antwortete die Frau.
Was für ein Baum?, fragte David.
Zu dem Baum mitten im Garten.
Was für ein Garten?
‘Der Garten in den Tiefen des Forstes.
Was für ein Forst?
Der Forst hinter dem Waldland.
Wohnst du dort?, fragte David.
Nicht weit entfernt davon‘, sagte die alte Frau. Eines Tages wirst du einen blauen Vogel sehen, kleiner Junge. Da bin ich mir sicher. Ich bin froh, dich getroffen zu haben. Ich danke dir dafür, dass du mir das kalte, erfrischende Wasser gebracht hast.
Nun muss ich aber wieder meines Weges gehen, nachdem ich dir von dem blauen Vogel erzählt habe. Denk dran, David, halt Ausschau nach ihm und folge ihm. Du wirst wissen, was das alles bedeutet, wenn du das Ende des Pfads erreicht hast. Komm, hilf mir den Korb wieder auf meinen Rücken zu heben.
Ich danke dir, sagte sie dann. Nun muss ich aber gehen.
Hier, sagte David, nimm diesen Birkenbecher. Du könntest wieder Durst haben, bevor du dein Zuhause erreicht hast, und wenn du an einen Bach oder eine Quelle kommst, wirst du froh sein, ihn zu haben.
Ich danke dir, mein Junge. Ich bin sicher, dass du eines Tages den blauen Vogel sehen wirst, da du das Licht des Sehens in deinen Augen hast. Denk aber auch daran, selbst nach ihm Ausschau zu halten.
Sie drehte sich herum und ging langsam den Waldweg entlang.
David ging zurück zum Haus seines Vaters. Für viele, viele Tage blieb ihm die alte Frau im Gedächtnis. In der Tat hatte er sie niemals richtig vergessen, obwohl eine lange Zeit vergangen war und seltsame Dinge passierten, bevor er sie wiedersah, was seine Erinnerungen manchmal verblassen ließ.
Eines Tages – es muss einige Monate nach seinem Treffen im Wald gewesen sein – hatte David Bäume gefällt und Reisigbündel gesammelt, was seine tägliche Aufgabe gewesen war.
Plötzlich unterbrach der helle, heitere Gesang eines Vogels die Ruhe der Nachmittagsstimmung. Es war ungewöhnlich, dass man überhaupt einen Gesang eines Vogels zu dieser Stunde vernehmen konnte. Dieser Tatsache hatte David aber keine Bedeutung beigemessen, da ihn die reine, große Lieblichkeit der Melodie verzaubert hatte.
Er machte eine Pause, legte seine Axt auf den Boden, warf seinen Kopf zurück und lauschte. Er schloss die Augen, da die Schönheit der Musik von einer Art war, dass er sich wünschte, nur an diese zu denken und alle anderen Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen.
Eine tiefe Stille fiel auf das Waldland. Dann, plötzlich, aber doch so sanft wie eine Brise, die die Blütenblätter einer Rose bewegt, kam das Lied zurück – helle, süße Töne, die durch das Herz von David drangen.
Auf einmal, als die Musik wieder verklungen war, schoss ein Vogel vom obersten Ast einer danebenstehenden Birke. Das Sonnenlicht umspielte seine Flügel und seine Brust und die himmlische Schönheit der kleinen Kreatur blendete Davids Augen. Er konnte einen Blick darauf erhaschen, bevor sie in den tiefen Schatten der kieferbewaldeten Hügel verschwand. Aber in diesem flüchtigen Moment sah er die Farbe des Vogels.
Sie war blau – das tiefe himmlische Blau des wolkenlosen Himmels.
Hier, sagte David, nimm diesen Birkenbecher
Eines Tages, wie in einer Vision, erschienen vor Davids Augen der moosbedeckte Platz und die wunderschöne, kleine, alte Frau, die er vor einigen Monaten getroffen hatte. Ihm kam es so vor, als würde er die Worte hören: Wenn du den Vogel siehst, kleiner Junge, folge ihm.
Ein Gedanke schoss ihm sofort durch den Kopf und er sagte zu sich selbst: Das ist der blaue Vogel – ich werde ihm folgen!