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›Der Erwählte‹ ist eine Neuerzählung der Legende von Papst Gregorius: Gregorius ging aus der Liebe eines Geschwisterpaares hervor und wurde in einem Fässchen dem Meer ausgeliefert. Nach seiner Rettung druch Fischer erhält er eine klösterliche Erziehung und macht sich schließlich auf die Suche nach seinen Eltern. Durch einen Kampf erobert er sich das Herz der Königin, die später seine Gattin wird. Erst nach Jahren stellen sie fest, dass Gregorius seine Mutter geheiratet hat. Er flieht auf einen Felsen im Meer, wo er siebzehn Jahre ohne Nahrung und Schutz vor Sonne und Kälte verbringt. Zwei Römer erlösen ihn aus dieser Buße, und ihre Vision wird Realität: In Rom wird Gregorius zum Papst ernannt. Thomas Mann lernte diese Legende als Student in München bereits 1894 in der Fassung Hartmanns von Aue kennen. Während seiner Arbeit an ›Doktor Faustus‹ (1947) stieß er erneut auf den Stoff und formte daraus »dieses in Gott vergnügte Büchlein«. ›Der Erwählte‹ erschien 1951.
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Seitenzahl: 417
Thomas Mann
Der Erwählte
Roman
FISCHER E-Books
Glockenschall, Glockenschwall supra urbem, über der ganzen Stadt, in ihren von Klang überfüllten Lüften! Glocken, Glocken, sie schwingen und schaukeln, wogen und wiegen ausholend an ihren Balken, in ihren Stühlen, hundertstimmig, in babylonischem Durcheinander. Schwer und geschwind, brummend und bimmelnd, – da ist nicht Zeitmaß noch Einklang, sie reden auf einmal und alle einander ins Wort, ins Wort auch sich selber: an dröhnen die Klöppel und lassen nicht Zeit dem erregten Metall, daß es ausdröhne, da dröhnen sie pendelnd an am anderen Rande, ins eigene Gedröhne, also daß, wenn's noch hallt »In te Domine speravi«, so hallt es auch schon »Beati, quorum tecta sunt peccata«, hinein aber klingelt es hell von kleineren Stätten, als rühre der Meßbub das Wandlungsglöcklein.
Von den Höhen läutet es und aus der Tiefe, von den sieben erzheiligen Orten der Wallfahrt und allen Pfarrkirchen der sieben Sprengel zu Seiten des zweimal gebogenen Tibers. Vom Aventin läutet's, von den Heiligtümern des Palatin und von Sankt Johannes im Lateran, es läutet über dem Grabe dessen, der die Schlüssel führt, im Vatikanischen Hügel, von Santa Maria Maggiore, in Foro, in Domnica, in Cosmedin und in Trastevere, von Ara Celi, Sankt Paulus außer der Mauer, Sankt Peter in Banden und vom Haus zum Hochheiligen Kreuz in Jerusalem. Aber von den Kapellen der Friedhöfe, den Dächern der Saalkirchen und Oratorien in den Gassen läutet es auch. Wer nennt die Namen und weiß die Titel? Wie es tönt, wenn der Wind, wenn der Sturm gar wühlt in den Saiten der Äolsharfe und gänzlich die Klangwelt aufgeweckt ist, was weit voneinander und nahe beisammen, in schwirrender Allharmonie: so, doch ins Erzene übersetzt, geht es zu in den berstenden Lüften, da alles läutet zu großem Fest und erhabenem Einzug.
Wer läutet die Glocken? Die Glöckner nicht. Die sind auf die Straße gelaufen wie alles Volk, da es so ungeheuerlich läutet. Überzeugt euch: die Glockenstuben sind leer. Schlaff hängen die Seile, und dennoch wogen die Glocken, dröhnen die Klöppel. Wird man sagen, daß niemand sie läutet? – Nein, nur ein ungrammatischer Kopf ohne Logik wäre der Aussage fähig. »Es läuten die Glocken«, das meint: sie werden geläutet, und seien die Stuben auch noch so leer. – Wer also läutet die Glocken Roms? – Der Geist der Erzählung. – Kann denn der überall sein, hic et ubique, zum Beispiel zugleich auf dem Turme von Sankt Georg in Velabro und droben in Santa Sabina, die Säulen hütet vom greulichen Tempel der Diana? An hundert weihlichen Orten auf einmal? – Allerdings, das vermag er. Er ist luftig, körperlos, allgegenwärtig, nicht unterworfen dem Unterschiede von Hier und Dort. Er ist es, der spricht: »Alle Glocken läuteten«, und folglich ist er's, der sie läutet. So geistig ist dieser Geist und so abstrakt, daß grammatisch nur in der dritten Person von ihm die Rede sein und es lediglich heißen kann: »Er ist's.« Und doch kann er sich auch zusammenziehen zur Person, nämlich zur ersten, und sich verkörpern in jemandem, der in dieser spricht und spricht: »Ich bin es. Ich bin der Geist der Erzählung, der, sitzend an seinem derzeitigen Ort, nämlich in der Bibliothek des Klosters Sankt Gallen im Alamannenlande, wo einst Notker der Stammler saß, zur Unterhaltung und außerordentlichen Erbauung diese Geschichte erzählt, indem ich mit ihrem gnadenvollen Ende beginne und die Glocken Roms läute, id est: berichte, daß sie an jenem Tage des Einzugs sämtlich von selber zu läuten begannen.«
Damit aber auch die zweite grammatische Person zu ihrem Recht komme, so lautet die Frage: Wer bist du denn, der Ich sagend an Notkers Pult sitzt und den Geist der Erzählung verkörpert? – Ich bin Clemens der Ire, ordinis divi Benedicti, zu Besuch hier als brüderlich aufgenommener Gast und Sendbote meines Abtes Kilian vom Kloster Clonmacnois, meinem Hause in Irland, damit ich die alten Beziehungen pflege, welche seit Columbanus' und Gallus' Tagen fortwalten zwischen meiner Heimat und dieser festen Burg Christi. Ich habe auf meiner Reise eine große Anzahl von Stätten frommer Gelehrsamkeit und Musensitzen besucht, wie Fulda, Reichenau und Gandersheim, Sankt Emmeram zu Regensburg, Lorsch, Echternach und Corvey. Hier aber, wo das Auge sich in Evangeliaren und Psalterien an so köstlicher Buchmalerei in Gold und Silber auf Purpur mit Zutaten von Zinnober, Grün und Blau erlabt, die Brüder unter ihrem Sangesmeister so lieblich im Chor litaneien, wie ich es nirgends vernommen, die Refektur des Leibes vorzüglich ist, des herzigen Weinchens nicht zu vergessen, das dazu geschenkt wird, und man sich im Klosterhofe nach Tische so zuträglich um den Sprudelbrunnen ergeht: hier habe ich für etwas geraumere Zeit Station gemacht, von den immer bereiten Gastzellen eine bewohnend, in welche der hochehrwürdige Abt, Gozbert seines Namens, mir ein irisches Kreuz zu stellen die Aufmerksamkeit hatte, worauf man ein Lamm, von Schlangen umwunden, den Arbor vitae, einen Drachenkopf mit dem Kreuz im Rachen und Ecclesia abgebildet sieht, wie sie Christi Blut in einem Kelche auffangt, während der Teufel einen Schluck und Bissen davon zu erschnappen sucht. Das Stück zeugt vom frühen Hochstande unseres irischen Kunstgewerbes.
Ich bin meiner Heimat sehr anhänglich, Sankt Patricks buchtenreichem Eiland, seinen Weiden, Hecken und Mooren. Dort gehen die Lüfte feucht und mild, und milde auch ist die Lebensluft unseres Klosters Clonmacnois, will sagen: zugetan einer von mäßiger Askese gezügelten Bildung. Mit unserem Abte Kilian bin ich der wohlgeprüften Ansicht, daß die Religion Jesu und die Pflege antiker Studien Hand in Hand gehen müssen in Bekämpfung der Roheit, daß es die gleiche Unwissenheit ist, die von dem einen und dem andern nichts weiß, und daß, wo jene Wurzel schlug, immer auch diese sich ausbreitete. Tatsächlich ist die Bildungshöhe unserer Brüderschaft sehr beträchtlich und meiner Erfahrung nach derjenigen des römischen Klerus selbst überlegen, welcher von der Weisheit des Altertums oft allzuwenig berührt ist, und unter dessen Mitgliedern bisweilen ein wahrhaft beklagenswertes Latein geschrieben wird, – wenn auch kein so schlechtes wie unter deutschen Mönchen, von denen einer, allerdings ein Augustiner, mir neulich schrieb: »Habeo tibi aliqua secreta dicere. Robustissimus in corpore sum et saepe propterea temptationibus Diaboli succumbo.« Das ist ja schwer erträglich, stilistisch sowohl wie auch im übrigen, und niemals wohl könnte so bäurisches Zeug aus einer römischen Feder fließen. Überhaupt wäre es fehlerhaft, zu glauben, ich wollte Unrede führen gegen Rom und seine Suprematie, als deren getreuer Anhänger ich mich vielmehr bekenne. Mag es so sein, daß wir irischen Mönche stets auf Unabhängigkeit des Handelns gehalten und in vielen Gegenden des Festlandes zuerst die kristliche Lehre gepredigt, uns auch außerordentliche Verdienste erworben haben, indem wir überall, in Burgund und Friesland, Thüringen und Alamannien Klöster als Bastionen des Glaubens und der Mission errichteten. Das hindert nicht, daß wir seit alters den Bischof im Lateran als Haupt der kristlichen Kirche anerkannt und ein Wesen fast göttlicher Art in ihm gesehen haben, indem wir höchstens nur die Stätte der göttlichen Auferstehung für heiliger als Sankt Peter erachteten. Man kann sagen, ohne zu lügen, daß die Kirchen von Jerusalem, Ephesus und Antiochia älter sind als die römische, und wenn Petrus, bei dessen unerschütterlichem Namen man nicht gern an gewisse Hahnenschreie denkt, das Bistum Rom gestiftet hat (er hat es gestiftet), so trifft unstreitig für die Gemeinde Antiochia das gleiche zu. Aber diese Dinge können nur die Rolle flüchtiger Bemerkungen spielen am Rande der Wahrheit, daß, erstens, unser Herr und Heiland, wie es bei Matthäus, allerdings nur bei diesem, zu lesen steht, den Petrus zu seinem Lehensträger hienieden berufen, dieser aber dem römischen Bischof das Vikariat übertragen und ihm den Vorrang über alle Episkopate der Welt verliehen hat. Lesen wir ja in Dekretalen und Protokollen der Urzeit sogar die Rede, die der Apostel noch selbst bei der Ordination seines ersten Nachfolgers, des Papstes Linus, gehalten hat, was ich als eine rechte Glaubensprobe und als eine Herausforderung an den Geist erachte, seine Kraft zu erweisen und zu zeigen, was alles zu glauben er fertigbringt.
In meiner so viel bescheideneren Eigenschaft als Inkarnation des Geistes der Erzählung habe ich alles Interesse daran, daß man mit mir die Berufung zur Sella gestatoria als der Erwählungen höchste und gnadenvollste betrachte. Und ein Zeichen meiner Ergebenheit für Rom ist es denn auch schon gleich, daß ich den Namen Clemens führe. Von Hause aus nämlich heiße ich Morhold. Aber ich habe diesen Namen nie geliebt, da er mich wild und heidnisch anmutete, und mit der Kutte habe ich denjenigen des dritten Nachfolgers Petri angezogen, also daß in der gegürteten Tunika und dem Skapulier nicht mehr der gemeine Morhold, sondern ein verfeinerter Clemens wandelt und sich vollzogen hat, was der heilige Paul ad Ephesios mit so glücklichem Wort das ›Anziehen eines neuen Menschen‹ nennt. Ja, es ist der Fleischesleib gar nicht mehr, der im Wams jenes Morhold herumlief, sondern ein geistlicher Leib ist es, den das Cingulum umwindet, – ein Körper demnach nicht in dem Grade, daß mein früheres Wort, es ›verkörpere‹ sich etwas in mir, nämlich der Geist der Erzählung, ganz billigenswert gewesen wäre. Ich liebe dies Wort ›Verkörperung‹ gar nicht sehr, da es sich ja vom Körper und vom Fleischesleibe herleitet, den ich zusammen mit dem Namen Morhold ausgezogen habe, und der allerwegen eine Domäne des Satans ist, durch ihn zu Greueln befähigt und erbötig, von denen man kaum begreift, daß er sich ihrer nicht weigert. Andererseits ist er der Träger der Seele und Gottesvernunft, ohne den diese der Basis entbehrten, und so muß man den Körper ein notwendiges Übel nennen. Das ist die Anerkennung, die ihm zukommt, eine jubelndere gebührt ihm nicht in seiner Notdurft und Anstößigkeit. Und wie sollte man wohl, im Begriffe stehend, eine Geschichte zu erzählen oder zu erneuen (denn sie ist schon erzählt worden, sogar mehrmals, wenn auch unzulänglich), welche von Körpergreueln überbordet und entsetzlichen Beweis dafür bietet, wozu alles der Körper ohne Zagen und Versagen sich hergibt, – wie sollte man da geneigt sein, viel Rühmens davon zu machen, daß man eine Verkörperung ist!
Nein, indem der Geist der Erzählung sich zu meiner mönchischen Person, genannt Clemens der Ire, zusammenzog, hat er sich viel von jener Abstraktheit bewahrt, die ihn befähigt, von allen Titular-Basiliken der Stadt zugleich zu läuten, und ich werde dafür sogleich zwei Merkmale anführen. Erstens nämlich mag es dem Leser dieser Handschrift wohl entgangen sein, ist jedoch der Bemerkung wert, daß ich ihn zwar mit der Angabe des Ortes versehen habe, wo ich sitze, nämlich zu Sankt Gallen, an Notkers Pult, daß ich aber nicht gesagt habe, zu welcher Zeitenstunde, in dem wievielten Jahre und Jahrhundert nach unseres Retters Geburt ich hier sitze und das Pergament mit meiner kleinen und feinen, gelehrten und schmuckhaften Schrift bedecke. Dafür gibt es keinen festen Anhaltspunkt, und auch der Name Gozbert unseres Abtes hier ist kein solcher. Er wiederholt sich allzu oft in der Zeit und verwandelt sich, wenn man nach ihm greift, auch gar leicht in Fridolin oder Hartmut. Fragt man mich neckend oder boshaft, ob ich selbst etwa zwar wisse, wo ich bin, aber nicht wann, so antworte ich freundlich: Da gibt es überhaupt nichts zu wissen, denn als Personifizierung des Geists der Erzählung erfreue ich mich jener Abstraktheit, für die ich nunmehr das zweite Merkmal gebe.
Denn da schreibe ich und schicke mich an, eine zugleich entsetzliche und hocherbauliche Geschichte zu erzählen. Aber es ist ganz ungewiß, in welcher Sprache ich schreibe, ob lateinisch, französisch, deutsch oder angelsächsisch, und es ist auch das gleiche, denn schreibe ich etwa auf thiudisc, wie die Helvetien bewohnenden Alamannen reden, so steht morgen Britisch auf dem Papier, und es ist ein britunsches Buch, das ich geschrieben habe. Keineswegs behaupte ich, daß ich die Sprachen alle beherrsche, aber sie rinnen mir ineinander in meinem Schreiben und werden eins, nämlich Sprache. Denn so verhält es sich, daß der Geist der Erzählung ein bis zur Abstraktheit ungebundener Geist ist, dessen Mittel die Sprache an sich und als solche, die Sprache selbst ist, welche sich als absolut setzt und nicht viel nach Idiomen und sprachlichen Landesgöttern fragt. Das wäre ja auch polytheistisch und heidnisch. Gott ist Geist, und über den Sprachen ist die Sprache.
Eines ist gewiß, nämlich, daß ich Prosa schreibe und nicht Verselein, für die ich im ganzen keine übertriebene Achtung hege. Vielmehr stehe ich diesbezüglich in der Überlieferung Kaisers Caroli, der nicht nur ein großer Gesetzgeber und Richter der Völker, sondern auch der Schutzherr der Grammatik und der beflissene Gönner richtiger und reiner Prosa war. Ich höre zwar sagen, daß erst Metrum und Reim eine strenge Form abgeben, aber ich möchte wohl wissen, warum das Gehüpf auf drei, vier jambischen Füßen, wobei es obendrein alle Augenblicke zu allerlei daktylischem und anapästischem Gestolper kommt, und ein bißchen spaßige Assonanz der Endwörter die strengere Form darstellen sollten gegen eine wohlgefügte Prosa mit ihren so viel feineren und geheimeren rhythmischen Verpflichtungen, und wenn ich anheben wollte:
Es war ein Fürst, nommé Grimald,
Der Tannewetzel macht' ihn kalt.
Der ließ zurück zween Kinder klar,
Ahî, war das ein Sünderpaar!
oder in dieser Art, – ob das eine strengere Form wäre als die grammatisch gediegene Prosa, in der ich jetzt sogleich meine Gnadenmär vortragen und sie so musterhaft ausgestalten und gültig darstellen werde, daß viele Spätere noch, Franzosen, Angeln und Deutsche, daraus schöpfen und ihre Rimelein darauf machen mögen.
Soviel vorausgesandt, beginne ich wie folgt.
Vor Zeiten war ein Herzog in Flandern und Artois, Grimald mit Namen. Sein Schwert hieß Eckesachs. Sein kastilianisch Leibroß war Guverjorß genannt. Geborgener schien kein Fürst in Gottes Gunst als dieser, und kühnlich ging hin sein Blick über die ihm erblich angestorbenen Lande mit fetten Städten und starken Burgen, ruhte, von Selbstachtung streng, auf seiner maisnie und Knappenschaft nebst Läufern, Köchen, Küchenjungen, Posaunern, Tambours, Fiedlern und Flutisten, auf seinem Leibgesinde, bestehend aus zwölf Knaben erlauchten Stammes und süßer Sitten, darunter auch zwei Sarazenensöhne, die wegen ihres Götzen Mohammed zu hänseln er ihren kristlichen Kumpanen nicht erlaubte. Wenn er mit seinem Weibe Baduhenna, der hohen Dame, zur Kirche oder zu festlicher Tafel schritt, so sprangen diese Pagen, zu zweien sich an den Händen haltend, in bunten Strümpfen vor ihnen her, indem sie die Füße kreuzweis setzten.
Seine Stammburg, wo Herzog Grimald meistens Hof hielt, war Chastel Belrapeire und lag auf den Höhen des Schafe nährenden Artois, von ferne anzusehen wie auf der Drechselbank gedreht mit ihren Dächern, Söllern, Vorfesten und turmverstärkten Mauerringen, eine wehrhafte Zuflucht, wie wohl ein Fürst sie braucht: gegen wilde Feinde von auswärts sowohl wie gegen böse Launen der eigenen Untertanen; doch höchst wohnlich und den Sinnen angenehm zugleich. Ihr Kernwerk war ein ragender Donjon, rechteckig, mit Innenräumen von hoher Pracht, derengleichen aber nicht nur der Wohnturm, sondern noch manch Sonderbau und Innenflügel im Zuge der Mauer barg, und von des Donjons Saal ging außen eine gerade Stiege nieder in den Burghof und Rasengarten, wo wohlummauert eine breit schattende Linde stand. Auf ihrer Rundbank saß gern das Herzogspaar an Sommernachmittagen auf Kissen von Pfellelseide aus Halap und Damaskus, während rings zu ihren Füßen auf Teppichen, von Knappen in das geschonte Gras gespreitet, die Burggesellschaft sich in gefälligen Gruppen geordnet hielt, und man lauschte viel wahren und trüglichen Mären der Spielleute, welche die Saiten kneipend von Artus kündeten, dem Herrscher aller Britanneisen, vom Gutwetterkönig Orendel, wie er im Spätherbst bitteren Schiffbruch leidet und dem Eisriesen zum Knechte wird, von den Kämpfen kristlicher Ritter mit abscheulich fremden Völkern in so entlegenen Ländern wie Ethnise, Gylstram oder Rankulat: Kranichköpfen, Stirnäuglern, Plattfüßlern, Pygmäen und Giganten; von den außerordentlichen Gefahren des Magnetbergs und der Überlistung der Greifen um ihr rotes Gold; vom Glaubensstreit des heiligen Silvester vor Kaiser Konstantin mit einem Juden: der raunte einem Stier den Namen seines Gottes ins Ohr, und tot fiel der Stier zu Boden. Silvester aber rief Christum an: Da stieg der Bulle wieder auf seine Beine und verkündete mit Donnergebrüll die Überlegenheit des wahren Glaubens.
Dies alles nur beispielsweise. Sonst gab man einander spitzfindige Rätsel auf oder trieb auch lose Conversation voll Corteisie und Fug, so daß manch Frohgelächter, aus Herren- und Damenstimmen gemischt, die Luft erfüllte.
Für mein Teil muß ich lachen, weil einige denken könnten, im Saale droben hätten abends qualmende Fackeln von Stroh und Kienspäne zur Leuchte gebrannt. Ach nein! Da hingen Kronen von der Decke, mit flimmernden Kerzen dicht besteckt, und Wandarme hielten Kerzenbündel, zehnfachen Scheines, in den Raum. Es gab da zwei marmorne Feuerherde, auf denen Aloe und Sandelholz verbrannte, und den Estrich deckten breite Teppiche, auf denen, wenn es galt und etwa der Fürst von Kanvoleis oder der König von Anschauwe – bien soi venu, beau Sire! – des Herzogs Gäste waren, auch noch Reiser und Binsen grün und Blumen verstreut lagen. Zu Tafel saßen Herr Grimald und Frau Baduhenna auf Stühlen mit Polstern von arabischem Achmardi, ihnen gegenüber ihr Kaplan. Die Spielleute saßen ganz unten am Tische, oder es saß auch dies Volk an gesondertem Katzentisch und die Gesellschaft an Vierertischen, von der Wand gelassen und weiß gedeckt, und je vier Knappen reichten goldne Becken und seidenbunte Trockentücher und schnitten kniend vor. Hofgerecht war die Speise: Reiher und Fisch und Schafskoteletts und Vögel, im Sprenkelholz gefangen, und fette Krapfen. Zu jedem Gerichte gab es Brühe, Pfeffer und Agraß (womit ich Obstsauce meine), und emsig, das Antlitz hoch gerötet (denn sie tranken selbst hinter den Türen), füllten die Knappen die Becher mit Wein und Maulbeerwein und rotem Sinopel und würzigem Lautertrank, will sagen: Klaret, womit vorzüglich gern und häufig Herr Grimald die Gurgel netzte.
Ich will nun weiter kein Rühmens machen von dem guten Leben auf Belrapeire, wär es auch untreu zu verschweigen, daß da die Truhen barsten von Linnen und Damast, Seiden- und Sammetstoffen seltener Art, Fischotterbälgen auch und duftigem Zobel, daß die Gestelle und Kredenzen prangten im Schein von Assagauker Prachtgerät, als: Schalen, aus Edelsteinen gehöhlt, und Goldpokalen, die Schübe den Vorrat kaum bargen an Spezereien, mit denen man die Lüfte würzte, die Teppiche bestreute und die Ruhebetten bestäubte: Kräutern und Hölzern, Ambra, Theriak, Nelke, Muskat und Kardamom, daß in geheimen Tresors an Golde ruhte so manche Mark, vom Kaukasus, aus Greifenklauen gerissen, dazu Geschmeide und wundertätiges Gestein in losen Stücken: Karfunkel, Onyx, Kalzidon, Koralle und wie sie heißen, Achat, Sardonyx, Perlen, Malachit und Diamanten, daß die Magazine und Rüstkammern strotzten von edlen Waffen, Ringpanzerhemden, Härsenieren und Schilden von Toled im Spanierland, Rüstungen für Mann und Roß, Covertiuren, Sielzeug, Sätteln und Schellenzäumen, die Ställe, Pferche, Zwinger und Käfige zum Überfluß bestellt waren mit Pferden und Hunden, Federspielen, Mausersperbern und des Redens kundigen Vögeln.
Damit des Rühmens genug! Es war ohnehin kein Kleines, soviel Rühmens gehörig anzuordnen und grammatisch im Zaum zu halten. Höchst höfisch, wie man sieht, verbrachten Herr Grimald und Frau Baduhenna ihre Tage, bewundert rings in der Kristenheit, mit allen Gütern der Erde reich gesegnet. So heißt es wohl in den Geschichten und heißt dann weiter: »Nur eines fehlte zu ihrem Glücke.« Das Menschenleben verläuft nach abgebrauchten Mustern, ist aber nur in Worten alt und hergebracht, an und für sich ist's immer neu und jung, möge auch dem Erzähler nichts übrig bleiben, als ihm die alten Worte zu geben. Nur eines, spricht er notgedrungen, fehlte, ihr Glück vollkommen zu machen: das waren Kinder, und wie oft sah man die Gatten auf Sammetkissen nebeneinander knien, die Hände zum Himmel ringend um das Vorenthaltene! Nicht genug damit, so ward auch in allen Kirchen von Flandern und Artois allsonntäglich von den Kanzeln zu Gott darum gebetet, und doch schien dieser den Bitten auf immer sein Ohr verweigern zu wollen, denn es waren beide schon vierzig, und noch immer verzog die Hoffnung auf Nachkommenschaft und geraden Erbgang, so daß einst wohl gar die Herrschaft im Streite eifernder Anwärter zerrissen werden würde.
War es, weil der Erzbischof von Köln, Utrecht, Maastricht und Lüttich sich selbst mit feierlichen Messen und Bittprozessionen ins Mittel legte? Ich glaube es, denn nach langem Zögern der Allmacht ward endlich der Bann gelöst, und die Fürstin sah Mutterfreuden entgegen, – Freuden, nur leider bestimmt, sich zu erschöpfen in den Qualen einer Niederkunft, deren Schwere noch immer von den Bedenken der Allweisheit gegen die Gewährung des Wunsches Zeugnis gab. O weh! Es sollte die Frau des Kinderpaares nicht genesen, das sie unter fremdartigen Schreien zum Lichte gebar. Ihr schwand das Licht, und Herzog Grimald war nur Vater geworden, um sich zugleich als Witwer auch zu finden.
Wie seltsam mischt die Vorsehung uns Sterblichen Freude und Leid in einem Becher! Der Erzbischof, peinlich berührt von dem zwiespältigen Erfolg, den seine auf die Allmacht ausgeübte Pression gezeitigt, überließ es dem Bischof von Cambrey, die Exequien abzuhalten im Dom zu Ypern drunten. Als nun der Stein die Gruft bedeckte, darin Frau Baduhenna ihr kühles Wochenbett abhielt, kehrte Herzog Grimald nach Belrapeire zurück, um sich dessen zu freuen, was ihm gegeben, nachdem er in aller Form betrauert, was ihm genommen. Die Wickelkinder, des Todes allerliebste Sprossen, Knabe und Mägdlein, sein Fleisch und Blut, die Erben seines Hauses, sie waren seine Wonne im Leid und waren die Wonne der ganzen Burg, weshalb sie zusammen auch Schoydelakurt, das ist: des Hofes Freude genannt wurden, denn reizendere Wickelkinder sah wahrlich die Welt noch nicht, und kein Maler von Köln und Maastricht hätte schönere mit Farbe malen können: so rein geformt, von Niedlichkeit umflossen, mit Härchen wie Kükenflaum und Augen vorerst voll Himmelslicht, nur selten greinend, zum Engelslächeln, daß einem das Herz schmolz, immer bereit, nicht nur für andere, sondern auch, wenn sie am Wickelspind sich ansahen, nach einander patschten und sprachen: »Da, da! Du, du!«
Schoydelakurt, versteht sich, hießen sie nur gemeinsam und in schmeichelndem Scherz. In der heiligen Taufe, vom Burgkaplan gespendet, erhielten sie die Namen Wiligis und Sibylla; und war auch Junker Willo, der beim ›Da, da‹ viel derber patschte als Sibylla, des Landes Erbe und die Hauptperson, so fiel auf diese doch, wie auf ihr ganzes Geschlecht, ein Strahl und Abglanz von der Glorie der Himmelskönigin, und viel zärtlicheren Auges noch betrachtete Herzog Grimald sein Töchterchen als den so wichtigen und ebenso schönen Sohn. Der würde ein Ritter sein wie er, tapfer und stark, nun ja, den Weibern recht, wenn er sich nach dem Tjostieren seiner verschwitzten Waffen Rost vom Leib gewaschen, dem Klaret auch wohl hold, nun ja, das kannte man. Die süße, von oben beschienene Fremdheit zarten Weibtums aber, die greift ganz anders ans rauhe Herz, ans väterliche auch, und darum nannte Herr Grimald das Söhnchen nur Löli und Lümmelein, das Weiblein aber ›ma charmante‹ und küßte diese, während er den Buben nur tätschelte und ihm seinen Finger zu halten gab.
Wie sorglich wurde das edle Pärchen nun aufgezogen von kundigen Frauen, denen die Hauben Stirn und Kinn umhüllten, und die sie päppelten mit süßem Seim und Brei, sie badeten in Kleiewasser und ihnen mit Wein die baren Kiefer wuschen, damit dort desto bälder und leichter die Milchzähnchen durchbrächen und ihr Lächeln schmückten. Sie taten's leicht und ohne viel Gegreine und waren wie Perlen, dabei sehr scharf. Da aber die beiden nun keine Wickelkinder mehr waren und nicht mehr zarteste Neuankömmlinge hienieden, verlor sich das süße Licht, das sie von drüben mitgebracht, und gleichwie Wolkenschatten ging es darüber, so daß sie sich verdunkelten und begannen, Erdengestalt anzunehmen, die allerzierlichste, darum möcht' ich gebeten haben. Der Kükenflaum auf ihren Häuptchen wandelte sich in braunes, glattes Haar: das stand gar reizend gegen die wälisch elfenbeinfarbene Blässe, die ihre fein-feinen Gesichtchen und die Haut ihrer sich streckenden Körper nun wiesen, offenbar als Erbe fernerer Ahnen, nicht ihrer Eltern, denn Frau Baduhenna war weiß und apfelrot gewesen, und Herr Grimald war zinnoberfarben von Antlitz. Der Kinder Augen, die anfänglich Azur gestrahlt, dämmerten tief und tiefer ins Schwarze mit blauem Unterschein, selten gesehen und fast geheimnisvoll, wenn auch nicht länger himmlisch, obgleich nicht zu sagen ist, warum nicht einige Englein sollten solche nachtblaue Augen haben. Auch hatten sie beide eine Art, seitlich damit aus dem Winkel zu blicken, als lauschten und warteten sie auf etwas. Ob auf Gutes oder Böses, kann ich nicht wissen.
Mit sieben, um die Zeit der Zahnmauser, flogen Windblattern sie an, und da sie sich kratzten, blieb ihnen beiden davon an der Stirne ein Mal zurück, eine Narbe und flache Caverne, ganz an der gleichen Stelle und ganz gleich gestaltet bei beiden, nämlich sichelförmig. Es fiel ihr braunseidenes Haar darüber, aber Herr Grimald strich es zuweilen neckend und sich zum Scheine wundernd davon zurück, wenn die Haubenfrauen, wie einmal täglich zu bestimmter Stunde, die Kinder vor seinen Schemelstuhl führten, wo er saß, einen Pokal mit Klaret greifbar zu seiner Rechten. Lächelnd mit gesenkten Häuptern traten die Pflegerinnen dann mehrere Schritt in den Saal zurück, um nicht durch ihre niedere Nähe das hohe Familienglück zu stören. Oder sie blieben auch gleich an der Türe stehen und ließen die Kleinen, Sibylla in ihrem gevitzten Kleidchen (oder wie man für künstlich mit Goldfäden eingewebte Muster sagt), Wiligis in seinem mit Biber verbrämten Sammetkittel, und beide auf den Schultern ihr Haar, allein zum Vater gehen, vor welchem Wiligis bereits nach Ziem und Zucht das Knie zu beugen wußte. »Deu vus sal, lieb Herre wert«, sprachen sie mit Stimmchen vor Zagen etwas heiser. Und dann plauderte und scherzte der Vater mit ihnen, nannte sie »gent mignote de soris« und »Tratgesindlin«, fragte nach ihrem Tage und empfahl sie endlich dem Saint Esperit, indem er den Willo klapste, Sibylla aber küßte. Er sprach: »Gehabt euch baß!« Sie aber sprachen gemeinsam mit heiseren Stimmchen: »Nu lohn Euch Gott!« und gingen rückwärts von ihm hinweg nach sittiger Gebühr, indes die Frauen von der Tür her sie ereilten und sie beiderseits an den Händen nahmen, den äußeren, an denen sie sich nicht hielten.
Sie hielten sich aber an ihren Händen auf Schritt und Tritt, mit achten noch und zehnen, und waren wie ein Paar Zwergsittiche und Gesellschaftspapeganen, zusammen Tag und Nacht, denn von jeher teilten sie das Schlafgemach, oben im käuzchenumschrienen Turm, wo ihre Spannbetten standen, mit Gurten aus Salamanderfell, auf denen die Kissen lagen, und Stollen von Viperschlangen. Das Polster unter den Kissen war Palmat. Die Haubenfrau, die noch zur Gesellschaft und Wartung bei ihnen auf schlichter Bettstatt schlief, fragten sie öfters: »Nicht wahr, wir sind noch klein?« – »Klein, zwei Turteltürtel, lieb und edel.« »Und werden noch lange klein sein, gilt's, n'est-ce voir?« – »Ja doch, seurement, ihr Süßen, noch eine ganze Spann und Weile! »Wir wollen aber immer klein bleiben auf Erden«, sprachen sie. »So haben wir es abgeredet im Kosen. Wir werden leichter Englein werden im Himele alsdann. Es muß recht schwer sein, mit Bauch und Bart und Busen sich in ein Englein zu wandeln, wenn man stirbt.« – »Ach, Närrchen, que Deus dispose! Und Er will nicht, daß man immer ein Kind bleibt, was ihr auch mögt abgeredet haben. Deus ne volt.« – »Wenn wir uns aber kastigieren und drei Nächte lang nicht schlafen, sondern nur beten, daß Gott uns klein erhält?« – »Man höre die liebe Einfalt! Meiner Treu, ihr werdet schon schlafen und im Schlafe euch lieblich auferbauen.«
So geschah es auch. Ich weiß nicht, ob sie es wirklich mit der Kastigierung im Ernst versuchten, meinen möchte ich, es hatte die Rede der Amme sie wohl entmutigt. Doch so wie so, da über Burg und Land die Jahre hingingen, bekränzt und falb und eisgrau und wieder lenzend, wurden sie neun und zehn und elf, zwei Knospen, die sich erschließen wollten, oder, wenn sie's nicht wollten, doch dazu im Begriffe waren, nicht länger klein, sondern jung-junge Dinger, bildhübsch im blassen Antlitz, mit seidenen Brauen, regen Augen, dünnen Nüstern, die spürsam witterten, und langen, etwas gewölbten Oberlippen hinab zum feinen und ernsten Mund, am Leibe zart sich bildend nach ihrer Bestimmung, doch so recht noch nach der Proportion nicht fertig, etwas gleich jungen Hunden, die zu schwere Pfoten haben, alsus, wenn Wiligis am Morgen, vom Schlafe übermütig, nackt wie ein Heidengott, im wirren Stirnhaar sein Sichelzeichen, um den vor sein Bett gestellten Badezuber sprang, auf welchem Rosenblätter schwammen, dasjenige, wodurch er sich von der Schwester unterschied, sein Mannesteil, zu groß und ausgewachsen sich ansah im Verhältnis zu seinem schmalen, elfenbeinfarbenen Körper. Mich stimmt der Anblick auf eine Weise trüb. So kindlich fein und klug das Häuptchen droben auf den dünnen Schultern und dann im Niederen ein solcher Michel! Die Ammen aber schnalzten wohl andächtig dazu, machten einander Augen und sprachen: »L'espoirs des dames!« Das Fräulein, was sie betraf, so saß sie, eine Knospe, kaum halb erschlossen, an Bettes Bord, auf der Stirn, ganz offen, da sie für die Nacht das Haar davon zurückgetan, ihr Zeichen ebenfalls, und blickte fast finster aus dem Augenwinkel auf ihn und die Bewundernden. Ich weiß, was sie dachte. Sie dachte: »Ich werd' euch, – l'espoirs! Mein ist der Trutgespiel. Der Dame, die ihm Gedinge trägt, kratz ich die Augen aus und nehme nicht Pön dafür, ich, des Herzogs Töchterlein!«
Ihr war nun eine edle Witwe zugeteilt, von Cleve eine Gräfin, mit der sie in der Fensternische den Psalter sang, und die sie das Wirken von Stoffen lehrte aus kostbarem Garn. Der Junker dagegen hatte einen Gurvenal, mit Namen Herr Eisengrein, Cons du chatel, will sagen einer festen Wasserburg mit Gräben breit und tief und einem Berchfrit, der weit ausschaute übers Meer, denn die Burg lag in der Ebene drunten, wo es Rousselaere und Thorhout heißt, dem Meere ganz nah. (Gebt acht, und merkt euch diese Wasserburg, dem knatternden Meere nah! Es wird noch seine Bewandtnis damit haben in der Geschichte.) Von dorther war Herr Eisengrein, ein Bester von dem Lande und getreuer Lehnsmann, eigens heraufgekommen nach Belrapeire, trotz Weib und Kind, des Junkers Ehrenherr und maistre de corteisie zu sein. Es war diesem auch noch, fürs Gröbere, der Meisterknappe Patafrid zur Seite gegeben. Denn wenn auch Herzog Grimald das Fräulein, wegen des Scheines von oben, dem Sohne immer vorgezogen hatte und, je mehr die Knospe sich entfaltete, nur desto galanter und zärtlicher zu ihr wurde, je mehr aber der Junker heranwuchs, nur desto barscher zu ihm, so war er doch auf die gute Zucht des Erben recht väterlich bedacht und gebot, daß er un om de gentilesce werde, afeitié, bien parlant et anseignié. So lernte er von jenen beiden die Ritterschaft und feine Moralität. Er lernte von Patafrid, ob er's nun sonderlich gern tat oder nicht, aufs Roß zu springen ohne Bügel, und von Herrn Eisengrein, wie man beim Lustritt in weicher Tracht ein Bein légèrement vor sich aufs Pferd legt. Mit dem Oberknappen mußte er eine Tjoste kämpfen in Eisenschienen von Soissons und lernen, wie man mit dem Speer zielt auf die vier Nägel am Schild des Gegenhelden, wobei denn Patafrid ihm zu Gefallen wohl vom Pferde fiel und Sicherheit anbot. Er lernte sowohl, wie man den kurzen Gabylot schleudert, als wie man zum Anrennen einlegt die lange Lanze. Mit seinem Gurvenal und Falknern ritt er zur Beize in den grünen Wald, lernte den abgerichteten Schellenvogel von der Hand werfen und so künstlich blatten, daß alles Wild den Schrei der eigenen Art zu hören meinte.
Was weiß ich von Ritterschaft und Weidwerk! Ich bin ein Mönch, im Grunde unkund all dessen und etwas ängstlich davor. Ich habe nie eine Sau bestanden, noch mir das Hürnen zum Gefälle des Hirsches in die Ohren schmettern lassen, noch das Wild zerwirkt und mir als des Gejägtes Herr die leckeren Teile auf Kohlen braten lassen. Ich tue nur so, als wüßt' ich recht zu erzählen, wie Junker Wiligis gezogen wurde, und wende Worte vor. Nie hab ich einen Gabylot in der Hand geschwungen, noch eine lange Lanze unter den Arm geworfen; auch habe ich nie auf einem Blatte blasend das Waldgetier betrogen und habe das Wort ›blatten‹, das ich mit solcher Scheingeläufigkeit gebrauche, eben nur aufgeschnappt. Aber so ist es die Art des Geistes der Erzählung, den ich verkörpere, daß er sich anstellt, als sei er in allem, wovon er kündet, gar wohlerfahren und zu Hause. Auch der Buhurd, das lustige Reiterspiel, das Jung Wiligis auf dem weichen Talgrund zu Füßen der Burg mit Herren und Knappen übte, wobei in Carrière Schar auf Schar stößt und einander vom Plan zu sprengen sucht (die Damen aber saßen Spott spendend oder verliebten Beifall auf hölzernen Balkonen um den Kampfplatz), – auch diese Hurterei ist mir im Grunde ganz fremd und eher widersam; aber ich erzähle doch geläufig davon, wie Willo mit seiner Schar daherpreschte, daß die Krume stob, der schönste Fünfzehnjährige, den man sich denken kann, auf seinem Schecken, ohne Rüstung, nur in Hals- und Schulterberge aus leichten Stahlringen, die sein bleiches und feines Knabengesicht umrahmte, in Wappenrock und Korsett aus roter alexandrinischer Seide, – und wie man ihm höflich auswich, ihn zum Schein durchstoßen ließ durch die ganze Gegenschar, weil er des Herzogs Sohn, und wie die Damen Sibylla, seine holde Schwester, die rasch und lachend atmete, beglückwünschten zu seinem Siege.
Daß es ein Scheinsieg war, tröstet mich etwas darüber, daß ich mit solcher Scheingeläufigkeit von Dingen rede, die mir nicht angehören. Heiß aber wird man auch von trügerischem Siege, und heiß und stolz, weil man so höflich gegen ihn gewesen, kam Wiligis zurück auf die Burg und trat vor seine Schwester, die auch ganz gut wußte, daß abgesprochene Rücksicht gewaltet hatte, und trotzdem, oder grade deshalb, ebenso heiß und stolz war wie er. Wollt ihr wissen, wie das Fräulein zur Feier des Tages gekleidet war, so war sie angetan mit einem Kleide, so grün wie Gras, aus Assagauker Sammet, schön weit und lang und luxuriös gerafft, und wo es vorn in breiten Falten gerafft war, sah man, daß das Futter aus roter und das Unterkleid aus weißer Seide war. An ihrem elfenbeinfarbenen Halse schloß es rund und war, wie an den Handgelenken, mit Perlen und Steinen gesäumt, die tiefer auf der Brust zu einem breiten Geschmeide zusammentraten. Dicht besetzt mit Edelsteinen war auch ihr Gürtel, und der Jungfrauenkranz in ihrem offenen Haar, er ebenfalls, bestand aus kleinen Rubinen und Granatstein grün und rot. Da mag wohl Neid ankommen manche Maid, wie ich das Herzogskind beschreibe, auch wegen der Länge ihrer Wimpern, zwischen denen die blauschwarzen Augen spielten, ferner weil ich, die eigenen Augen mönchisch niederschlagend, berichte, daß unter Sammet und Steinen ihre Brust schon blühend wogte, nicht zu schweigen von der ganz außerordentlichen Schönheit ihrer Hände, – kaum kleiner waren sie als die des Bruders, aber überaus fein von Knöcheln, mit zugespitzten Fingern, und an einigen von diesen funkelten Ringe, je einer am oberen und unteren Gliede. Schlank war sie, von lieblicher Hüftlinie, und wie bei ihm setzte die Oberlippe weit vorn am Näschen an und war gewölbt. Die dünnen Nüstern dazu flatterten ganz wie seine.
»Ach, Herr und Bruder«, sprach sie, indem sie ihn von der Kettenhaube befreite und ihm glättend über sein dunkles Haar strich, »du warst herrlich, als sie dich durchstoßen lassen mußten durch die ganze Schar! Wie deine Beine in den Bügeln standen beim Ansturm, das sah ich mit Freuden. Dein sind die jugendschönsten Beine von allen hier. Nur meine, in ihrer andren Art, sind ebenso schön. Insonders ergreifen mich deine Knie, wenn du jambelierst und deinem Tiere die Schenkel gibst.«
»Herrlich«, antwortete er ihr, »bist du, Sibylla, ganz von selbst und ohne Buhurd! Mein Geschlecht, das muß sich regen und etwas tun, um herrlich zu sein. Mit deinem darf man nur sein und blühen und ist schon herrlich. Das ist der allgemeinste Unterschied zwischen Mann und Weib, von genaueren abgesehen.«
»Wir neiden euch«, sagte sie, »euere Unterschiede, bewundern sie und sind in Scham gehüllt, weil wir in den Hüften breiter sind statt in den Schultern und folglich eine zu große Bauchfläche haben, auch einen zu umfangreichen derrière. Aber das darf ich sagen, daß gleichwohl meine Beine so hoch und schlank sind, daß nichts zu wünschen bleibt in dieser Beziehung.«
»Das darfst du«, erwiderte er, »und darfst nicht vergessen, daß wir wiederum, wenn nicht mit Neid, so doch mit süßem Gefallen auf euere Unterschiede blicken. Sogar von Neid kann die Rede sein ebenfalls, denn wo ist unsere Blüte? Wir haben hier nichts und da nichts, nur etwas Kraft allenfalls, um uns herauszuhauen aus unserem Nachteil.«
»Sage das nicht, daß du nichts hast! – Aber laß uns niedersitzen im Fensterbogen und etwas kosen über den Buhurd von heute, wie komisch Graf Kynewulf von Niederlahngau, ›Kurzibold‹ geheißen ob seiner Kleinheit, auf seiner riesigen Rappenstute sich ausnahm, und wie Herr Klamidê, fils du comte Ulterlec, im Strauchelsturz unter sein Roß zu liegen kam, worüber Frau Garschiloye von der Beafontane fast den Verstand verlor.«
Sie taten nach ihrem Vorschlag, saßen, die Arme in Sammet und Seide einander um die Schulter gelegt, auf der Bank im Bogen und lehnten manchmal die hübschen Köpfe aneinander. Zu ihren Füßen hatte sich, Kopf auf den Pfoten, ihr angelländscher Hund gelagert, ein Scenter, Hanegiff mit Namen, eine sehr liebe Creatur, weiß, schwarz nur um das eine Auge einschließlich des Ohrgehänges. Er teilte auch ihr Schlafgemach und schlief dort immer zwischen ihren Betten auf einem mit Roßhaar gefüllten materas. Der Blick durchs Fenster ging über die Dächer und Zinnen der Burg hinab auf eine Straße im Tal, von Wiesen und gelb blühendem Gebüsch gesäumt, auf der eine Herde dickwolliger Schafe langsam dahinzog. Sibylla fragte:
»Hast du wohl Augen gehabt für Alisse von Poitou in dem Narrenkleide, worin sie sich spreizte, zur Hälfte aus golddurchwirkter Seide, zur Hälfte aus Pfellel von Ninive, mit bunt gestücktem Rock? Es fanden sie viele so wätlich.«
Er sagte darauf:
»Ich habe keine Augen gehabt für ihre prätendierte Wätlichkeit. Ich habe nur Augen für dich, die du mein weiblich Gegenstück auf Erden. Die anderen sind fremde Stücke, mir nicht ebenbürtig wie du, die mit mir geboren. Die von Poitou, so weiß ich, macht sich nur so bunt für Männer, die gleich dem Riesen Hugebold, und für solche Trümmer wie Herrn Rassalig von Lothringen, zweimal so hoch wie ich, der nicht viel feister als eine Gerte. Aber seitdem ein Schatten von Bart auf meiner Lippe dunkelt, läßt manche Dame ihre Augen schmelzen, wenn sie mich anblickt. Ich dagegen weise ihr die kalte Schulter, que plus n'i quiers veoir als dich.«
Sie sprach:
»Es hat der König von Escavalon einen Brief gerichtet an Grimald, unsern Herrn, und ihn um meine Hand ersucht zur Ehe, dieweil ich mannbar und jener noch unbeweibt. Ich weiß es von meiner maistresse, der von Cleve. Du brauchst nicht aufzufahren, denn der Herzog hat es ihm glimpflich abgeschlagen und ihn bedeutet, ich sei, wenn auch mannbar, doch zu jung noch, unreif zur Königin selbst für ein so weniges Königreich wie Askalon, und er sollte sich sonst umsehen unter den Fürstentöchtern der Kristenheit. Zwar nicht um deinetwillen und damit wir noch zusammenbleiben, hat der Herr den König abgewiesen. Sondern ›Ich will noch eine Weile‹, schrieb er, ›zu Tafel sitzen mit meinen Kindern beiden, meiner Tochter zur Rechten und meinem Sohn zur Linken, nicht mit dem Buben allein und dann meinem Pfaffen nur noch, mir gegenüber.‹ Das war der Grund von seinem refus.«
»Laß es«, sprach er, indem er mit ihrer Hand sich spielend abgab und deren Ringe betrachtete, »sein, welcher Grund es will, wenn man uns nur nicht trennt in unsrer süßen Jugend, vor der Zeit, von der ich nicht wissen will, wann sie gekommen sein wird. Denn unser beider ist niemand wert, weder deiner noch meiner, sondern wert ist eines nur des anderen, da wir völlig exceptionelle Kinder sind, von Gebürte hoch, daß alle Welt sich lieblich dévotement gegen uns benehmen muß, und zusammen aus dem Tode geboren mit unseren vertieften Zeichen ein jedes auf seiner Stirn, die kommen zwar nur von den Windpocken, die nicht besser sind als Bürzel, Ganser, Ziegenpeter und Mumps, aber nicht auf die Herkunft der Zeichen kommt's an, bezeichnend sind sie tout de même in ihrer vertieften Blässe. Wenn Gott das Leben unsres Herrn Vaters lieb und wert bis aufs äußerste Menschenmaß verlängert haben wird, wie es ihm zu tun gefallen möge, so werde ich Herzog sein über das Artois und Flandern, ein segensreiches Gebiet, denn hier wogt das Korn auf fetten Äckern, während auf den Hügeln zehntausend und mehr rupfende Schafe ihre Wolle herumtragen zu guten Tuchen, drunten aber, gegen das Meer hin, wächst auf den Feldern der Flachs so reichlich, daß die Bauern, wie ich höre, vor plumper Freude in den Schenken tanzen, und es ist das Land besteckt mit kostbaren Städten, wie deine Hand mit Ringen: Ypern ist fröhlich, Gent, Löwen und das mit Waren vollgestopfte Anvers und Bruges-la-vive am tiefen Haff, wo mit Schätzen überladene Schiffe vom Süd- und Nord- und Ostmeer unaufhörlich ein- und ausfahren. Die Bürger gehen in Sammet und Pelz, aber sie haben nicht gelernt, freihändig aufs Pferd zu springen, noch mit der Lanze auf die vier Nägel des Schildes zu zielen, noch auf einen Buhurd zu reiten, darum brauchen sie einen Herzog, der sie schützt, und der bin ich. Dich aber, aller Magde beste, die allein zu mir paßt, will ich, während sie ihre Mützen in die Luft werfen, an meiner Hand durch sie hindurchführen als Schwester-Herzogin.«
Und er küßte sie.
»Ich habe es lieber«, sagte sie, »wenn du mich küssest, als wenn unser lieb Herre wert mir Hals und Wange mit seinem rostfarbenen Schnauz zerkratzt. Wie sehr von Herzen müßten wir nicht erfreut sein, wenn er uns visitieren käme, was jeden Augenblick geschehen mag.«
Oft nämlich, wenn sie so saßen und über allerlei Dinge kosten, trat Herzog Grimald wohl zu ihnen, nicht um sich ihnen zu gesellen, vielmehr um den Junker mit starken Worten zu vertreiben und allein mit dem Jungfräulein zu kosen.
»Fils du duc Grimald«, sprach er, »find ich dich, du Fanz, bei diesem schönen Kinde, deiner Schwester? Daß du ihrer pflegst, ist löblich, und ich lobe es, daß du dich nach besten Kräften ihrer annimmst, ihr beistehst und sie unterhältst, so gut du Spatz es eben verstehst. Aber solange ich lebe, bin ich, traun, ihr Schützer allen zuvor, auch Manns noch immer genug, mich ihrer anzunehmen, und wenn du dir schmeichelst, daß so ein holdes Kind dem Bruder trauter angehört als ihrem rüstigen Vater, so magst du ein paar Datteln gewärtigen von meiner Hand. Allez avant und mache dich von dannen! Schieß nach der Scheibe mit Meister Patafrid! Der Herzog will einen Schwatz haben mit seinem Töchterlein.«
Und dann setzte er sich zu ihr in der Nische und corteisierte sie, der alte Ritter, wie sich's ein Mönch nur mühsam einzubilden vermag.
»Beau corps ist dein«, so sprach er, »und was der Franze florie nennt, der blühende Glanz, der ruht auf dir, du hast ihn letzthin allerliebst entwickelt. Hélas, die Zeit ist hold der Jugend, sie läßt sie täglich süßer erblühn, indes sie uns Alte mehr und mehr vergarstigt, uns das Haar nimmt von der Schwarte des Haupts und Grau streut in den Schnauz. Ja, ja, das Greise muß sich schämen vor dem Jungen, denn es ist widersam! Währenddessen, pourtant, kommt Würde wohl auf für Schönheit, und du darfst, Allerliebste, nicht vergessen, daß Grimald dein Vater ist, dem du Rührung schuldest und großen Dank, daß er dich in die Welt gesetzt, und der so früh sein Trutgemahl verlor. Soviel wie dich angeht, müssen wir sehen, daß du bald Brautlauf hältst, denn viele süße Zeichen sprechen für deine Mannbarkeit. Ich sinne nur auf dein Glück. Aber freilich, der erste ist mir für dich der Beste nicht, und nicht nur dir muß er gefallen, sondern ich muß dich ihm gönnen, und, in Treuen, ich gönne dich keinem so leicht, ich alter Ritter.«
So ungefähr Herr Grimald, wenn er mit ihr im Bogen saß, ich geb es wieder, so gut ein Mönch sich's einzubilden versteht. Im nächsten Jahre, als die Kinder sechzehn waren, kam für Jung Wiligis das Fest der Schwertleite, – was weiß ich davon, doch in der Sprache der Welt bedeutet's für den Junker das Recht, das Ritterschwert sich umzugürten. Das tat Herzog Grimald dem Sohne und schlug ihn zum Ritter unter Vivats und Trara, nach feierlichem Hochamt in Sankt Vaast, zu Arras auf der Burg, in Gegenwart von vielen Magen und Mannen, und danach stieg er zwischen seinen Kindern, den Sohn mit seiner Rechten und mit der Linken das Jungfräulein führend, vor den Augen der jubilierenden quemune vom hohen Bau den Ehren-Perron hinab, wobei der neuschaffene Schevelier, nur gewohnt, das kurze Jagdmesser an der Hüfte zu tragen, wohl achtzugeben hatte, daß ihm das übergroße Schwert, welches ihm vorn vom Gürtel hing, nicht zwischen die Beine gerate. Beide Kinder aber kam der Gedanke an, wie es doch so viel schöner wäre, wenn sie zu zweit nur, Hand in Hand, die Rampe hinunterschritten und der Vater nicht zwischen ihnen wäre.
Da aber der Wiligis nun feierlich Schwertleite gehalten, war in den Augen aller zugleich mit ihm Sibylla auch mündig und heirätig geworden, und es mehrten sich die Werbungen um ihre Hand von stolzen Fürsten der Kristenheit, die sich des Antrags wohl getrauen durften. Teils schrieben sie, teils schickten sie edle Freiwerber nach Belrapeire, teils kamen sie auch selbst zur Freite dorthin: Der alte König von Anschouwe brachte seinen Sohn Schafillor, der freilich ein Depp war. Graf Schiolarß von Ipotente, der Gaskonen Herzog Obilot, Plihopliheri, Fürst von Waleis, sowie die Herren von Hennegau und Haspengau, sie alle kamen und machten sich niedlich mit zobelgesäumten Kleidern und Hermelin und erlesenem Gefolge und geschmückten Antragreden, die sie zum Teil vom Blatte lasen. Herr Grimald aber schlug alle aus, denn keinem gönnte er Sibyllen, ja kaum vermocht er zornlichen Haß zu verbergen, den er gegen die Werber hegte, und mit seinem Nein-Wort ließ er alle, so fein sie waren, wieder abreiten in ihre Reiche. Das schuf viel bösen Mut rings an den Höfen der Kristenheit.
Jung Wiligis aber hatte um die Zeit einen Schreckenstraum, von dem er am ganzen Leibe naß von Schweiß erwachte. Ihm träumte, sein Vater schwebe über ihm mit hinten aufgeschlagenen Beinen in den Lüften, kupferrot angelaufen vor Wut das Antlitz, mit gesträubtem Schnauz, und bedrohe ihn stumm mit beiden Fäusten, so als wolle er ihm stracks damit an die Kehle fahren. Das war noch ungleich schrecklicher, als es sich ausnimmt in Worten, und vor lauter Angst, es möchte ihm wieder träumen, träumte es ihm wirklich genau so wieder zum zweiten Mal, höchstens noch schrecklicher, schon gleich die nächste Nacht.
Um siebzehn Jahre überlebte Herr Grimald sein Weib Baduhenna, um mehr nicht und nicht weniger; dann kam er zu ihr unter den Stein, im Dom zu Ypern, aber auf dem Steine lagen sie beide starr gemetzt noch einmal, als kristliche Gesponsen, ihre Hände vor Gott auf der Brust gekreuzt. Es war nämlich dieser Fürst seit seiner Frauen Scheiden dem Klaret in immer wachsendem Übermaß ergeben gewesen, und eines Tages ward er wirklich so dunkel kupferrot im Gesicht, wie Wiligis ihn im Traum gesehen, dann aber gel: da hatte der Tannewetzel ihn an die Schläfe getroffen, und er war tot, vorläufig nur an seiner rechten Seite, so daß er dort kein Glied mehr rühren konnte, auch der Sprache zum Teil verlustig war: nur aus dem linken Mundwinkel konnte er noch Worte wie Blasen blubbern lassen. Sein Arzt von Löwen aber, wie auch der Grieche Klias, den er rufen ließ, sie beide verhehlten ihm nicht, daß leicht und bald der Tannewetzel ihn nochmals treffen könne, und dann werde er unvermeidlich tot sein auch links.
Dies sagten sie aber, damit er noch beizeiten sein Reich bestelle, sie brachten ihn durch ihre Warnung auf den Gedanken, und so beschickte er die Besten von dem Lande, Mage, Mann und Dienstmann, um ihnen seine Seele und seine Kinder zu empfehlen und sie zur Eidestreue zu vermahnen, wenn nun der Tod sein Weggenosse werden sollte. Als sie nun alle, Vettern und Lehnsherrn nebst den Kindern, sich um sein Bett versammelt hatten, worauf er lag, recht sehr entstellt, da eines seiner Augen geschlossen war und ihm die Wange gelähmt herunterhing, sprach er zu ihnen, so gut er konnte:
»Seignurs barons, nehmt meine Worte, als ob ich sie mit vollen Lippen spräche, da ich sie leider nur aus einem Mundwinkel schütten kann, das wollt vergeben. Mich hat der Tod gepackt und bläst schon über mir die cornure de prise, um im Grabe den edlen Hirschen zu entbästen. Mittelst des Tannewetzeis hat er mich halbseits lahmgelegt und kann mich vollends fällen jeden Augenblick, des verjehen mich meine Ärzte unumwunden und erweisen so ihre Heilkunst. Also soll ich aus diesem Wurmgarten scheiden, diesem üblen Wolfstal, da wir hineingeworfen durch Adams Missetat, und das ich noch recht beschimpfen will, da ich es lassen muß und durch Willen von Gottes marterlichen Wunden einzugehen hoffe durch die porta Paradyses, wo mein die Engel pflegen werden, beides, Tag und Nacht, während ihr noch ein lützel in diesem Wurmgarten verharren müßt. Darum um mich kein Ungehabe! Gedenket aber, Seignurs barons, der Stunde, da ihr euere zusammengelegten Hände zwischen meine tatet zum Lehenseid! Das tut nun meinem Sohne, wenn ich ganz tot bin, und legt euere Hände zwischen seine, ob es auch ridikül anmuten mag, daß er euch schützen soll, da der Fanz doch eher eures Schutzes bedarf. Den gewährt ihm, Vettern und Herren, als gewaere Männer und tragt meinem Hause Treu, beides in Urlag' und Frieden!«
Als er so die Herren von den Landen beschieden, wandte er sich an Wiligis und sprach: