Der Fall Loos - Christopher Long - E-Book

Der Fall Loos E-Book

Christopher Long

4,8

Beschreibung

Der Skandal um den Sittlichkeitsprozess gegen Adolf Loos Anfang September 1928 wurde der Architekt Adolf Loos von der Wiener Polizei unter dem Verdacht des Kindesmissbrauchs verhaftet. Zwei Mädchen (und später ein drittes) im Alter von acht und zehn Jahren beschuldigten Loos, sie im Zuge von Aktsitzungen unsittlich berührt zu haben. Fast gleichzeitig bekam die Presse Wind davon und inszenierte einen öffentlichen Skandal, der in einen spektakulären Prozess mündete. In der begleitenden Kontroverse ging es jedoch um mehr als die Frage, ob Loos schuldig oder nicht schuldig war. Vielmehr standen sich in dieser Affäre Linke und Rechte ebenso wie Vertreter der Moderne und ihre konservativen Kritiker gegenüber. Die Causa wurde zu einem berühmten Gerichtsfall. Christopher Long unternimmt eine detailgenaue und spannend erzählte Rekonstruktion der Ereignisse und verknüpft sie mit den ähnlich gelagerten Affären um Theodor Beer, Peter Altenberg und Egon Schiele.

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Christopher Longder fall loos

Christopher Long

der fall loos

Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Martina StroblMit 30 Abbildungen

Amalthea

Titel des amerikanischen Originalmanuskripts : » Loos on Trial «

Besuchen Sie uns im Internet unter: www.amalthea.at

© 2015 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Mazanek

Umschlaggestaltung, Herstellung und Satz: Peter Duniecki

Gesetzt aus der DTL Prokyon und DTL Documenta

Printed in the EU

ISBN 978-3-85002-908-7

elSBN 978-3-902998-69-9

Inhalt

Vorwort

1 | Die Verhaftung

2 | Der Angeklagte

3 | Der Sachverhalt

4 | Die Enthaftung

5 | Der Fall Theodor Beer

6 | P. A.

7 | Über Wahrheit und Lüge im moralischen Sinn

8 | Der neue Anwalt

9 | Der Prozess

10 | Das Urteil

Nachwort

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Personenregister

Bildnachweis

Vorwort

Anfang September 1928 verhaftete die Wiener Polizei den bekannten Architekten Adolf Loos wegen des Vorwurfs von Kindesmissbrauch. Zwei junge Mädchen ( und später noch ein drittes ) im Alter von acht bis zehn Jahren beschuldigten Loos, er habe sie unsittlich berührt, als er Aktzeichnungen von ihnen anfertigte. Es folgte ein öffentlicher Skandal, der in einem spektakulären Prozess mündete. Die Causa wurde zu einem berühmten Gerichtsfall, in dem Loos und seine Unterstützer den Kritikern von Loos gegenüberstanden. In der begleitenden Kontroverse ging es jedoch um mehr als bloß die Frage, ob Loos schuldig oder nicht schuldig war. Alle Beteiligten – sowie auch die breite Öffentlichkeit – sahen die Angelegenheit, wie in den späten 1920er Jahren in Österreich durchaus üblich, aus einer politischen und einer kulturellen Perspektive. In der Affäre standen einander die Linken und die Rechten, aber auch die Vertreter der Moderne und deren konservative Kritiker gegenüber.

Diese Geschichte ist nicht angenehm. Ich habe das Buch nicht geschrieben, weil ich den dringenden Wunsch hatte, mich mit diesem dunklen Thema zu beschäftigen. Vielmehr wollte ich mit meiner ausführlichen Studie eine Lücke in der wissenschaftlichen Literatur über Loos schließen. In all den Jahren, die ich über Loos im Speziellen und die Geschichte der modernen Architektur in Österreich im Allgemeinen las und forschte, fand ich kleine Hinweise auf diesen Prozess und auf Loos’ » Verbrechen «. Allzu oft jedoch enthielten die knappen Anmerkungen oder Beiträge nur wenige Details oder die Passagen erschienen irgendwie bereinigt. Auch fanden sich da und dort Sensationsberichte, die, selbst wenn kaum Einzelheiten beschrieben wurden, fehlerhaft wirkten.

Als ich meine Forschungen zu diesem Thema ernsthaft anging, entdeckte ich, dass sehr wohl einiges auf diesem Gebiet bereits getan war : Es gab den aufschlussreichen, wenn auch sehr knappen Buchbeitrag von Klaralinda Ma, publiziert 2008, der den » Fall Loos « sachlich beschrieb, und eine weitere interessante und scharfsichtige Arbeit aus dem Jahr 2012 von Frederic J. Schwartz, einem in London wirkenden Wissenschaftler. Am wichtigsten aber war wohl der bestens recherchierte Artikel in Die Presse sowie der Radiobeitrag für Ö1 – Diagonal von dem österreichischen Journalisten und Historiker Andreas Weigel – ebenfalls aus dem Jahr 2008. Dennoch war mir klar, dass darüber hinaus eine Reihe von Aspekten einer genaueren Untersuchung bedurfte und in einen größeren Kontext gestellt werden musste.

Gerade als die Arbeit an meinem Buch abgeschlossen war – genauer gesagt direkt an jenem Tag, als die Druckfreigabe erfolgen sollte – erfuhr ich, dass die lange verloren geglaubte Gerichtsakte über Loos’ Verhaftung und Verhör, die Vernehmung der Hauptzeugen sowie den Prozess selbst wieder aufgetaucht war. Die neuen Dokumente ergänzen das, was wir bisher wussten, aber an den Fakten ändern sie im Grunde nichts. Im Rahmen dieses Buches habe ich versucht, die Verhaftung und den Prozess um Loos im weiteren Kontext der Medienberichterstattung zu betrachten, um herauszufinden, was tatsächlich in jenem Spätsommer und Herbst des Jahres 1928 geschehen war. Wie wurde die Causa von der Öffentlichkeit wahrgenommen? Was bedeutete dies zur damaligen Zeit? Dieses Buch taucht in eine lange vergessene Vergangenheit ein. Es will die Geschichte – ohne Sensationsgier – neu erzählen, um deren tiefere Bedeutung für ihre Zeit zu enthüllen. Meine Ausführungen stützen sich insbesondere auf die zeitgenössischen Zeitungsberichte, die, auch für sich genommen, eine eigene, fesselnde Geschichte dessen erzählen, wie der Fall damals für die breite Masse wirkte und was diese wusste und dachte.

So habe ich mit diesem Buch versucht, möglichst viele Fakten, die nach so langer Zeit noch rekonstruiert werden können, zusammenzutragen und die Ereignisse anschaulich und leidenschaftslos zu erzählen. Mein Ziel liegt weder darin, Loos zu verurteilen, noch ihn zu verteidigen, vielmehr ist es der Versuch aufzubrechen, was für lange Zeit als abgeschlossenes Kapitel galt.

Dieses Buch entstand über mehrere Jahre und ich hätte es ohne die freundliche Unterstützung einiger Menschen nicht schreiben und publizieren können. Mein besonderer Dank gilt Isben Önen und Christine Gloggengiesser für ihren außerordentlichen Einsatz, als sie mir halfen, die Geschichte von Loos’ Prozess und der näheren Umstände aufzuspüren. Isben verbrachte viele Stunden bei der Recherche in den Archiven und Bibliotheken Wiens und Christine erforschte die Biografien der vier kleinen Mädchen, die das Herzstück dieser Affäre bilden. Ganz besonders bedanken möchte ich mich bei Ida Freudenreichs Enkelsohn Ludwig Krawarik, der mir alles, was er über das frühe Leben seiner Großmutter wusste, erzählte. Außerdem übergab er mir eine Fotografie von ihr, die ungefähr zum Zeitpunkt des Prozesses entstanden ist.

Es gab noch viele andere, die mich unterstützten : Adolf Opel ( Wien ) , Victor Ross ( London ) , Felicitas Ruhm ( Wien ) und Wolfgang Thaler ( Wien ) lieferten mir Ideen oder Hinweise. Ich danke auch Eike Feß vom Arnold Schönberg Center in Wien für seine Hilfe.

Großen Dank schulde ich Claudia Mazanek und Madeleine Pichler für das sorgfältige Lektorat des Buches, Peter Duniecki für das schöne Buchdesign und Eva Martina Strobl für die ausgezeichnete Übersetzung. Ich danke auch ganz besonders Elizabeth Clegg, R. Scott Gill, Brigitte Groihofer, Steven Keylon, Martin Enge und Gailyn Saroyan, die eine frühe Version des Manuskripts gelesen und mir viele hilfreiche Anregungen gegeben haben. Etwaige Fehler oder Irrtümer, die möglicherweise stehengeblieben sind, sind allein mir und nicht ihnen anzulasten.

Schließlich möchte ich noch meiner Frau Gia Marie Houck danken, die zu dieser Arbeit viel mehr beigetragen hat, als sie ahnt.

Christopher Long

Austin, Februar 2015

1 | Die Verhaftung

Am Dienstag, dem 4. September 1928, kamen um 10.30 Uhr zwei Kriminalbeamte der Wiener Polizei in Zivil in das Haus Bösendorferstraße 3, in dem sich die Wohnung des Architekten Adolf Loos befand. Sie gingen in den obersten, den vierten Stock und klopften an Loos’ Tür. Seine langjährige Haushälterin Mitzi Schnabl öffnete ihnen und führte sie in die Wohnung.

Abb. 1

Die Männer waren bereits am frühen Abend des Vortags zur Wohnung gekommen ; doch da hatten sie Loos nicht angetroffen. Nun aber, nach einem kurzen Gespräch – das nicht länger als ein paar Minuten dauerte – forderte einer der Kriminalbeamten Loos auf, mit ihm auf das Polizeikommissariat zu kommen. Der andere Beamte blieb, um die Wohnung zu durchsuchen.1

Das Polizeikommissariat lag nicht allzu weit entfernt im 1. Wiener Gemeindebezirk, am Schottenring 11, schräg gegenüber der Börse. In dem Gebäude hatte sich kurze Zeit das Hotel Anna befunden, bevor es in den 1870er Jahren umgewidmet worden war, heute existiert es nicht mehr. Es war eines der üblichen Ringstraßengebäude, ein großes Palais im Neorenaissance-Stil. Trotz der vier großen Ecktürme erinnerte es eher an ein Wohnhaus als an ein Amtshaus – sein Aussehen verschleierte den ernsthaften Zweck.

Abb. 2

Loos’ Verhaftung und Abführung war so schnell vor sich gegangen, dass er bei seiner Ankunft im Polizeikommissariat immer noch dieselbe große zusammengerollte Architekturzeichnung in der Hand hielt wie zu dem Zeitpunkt, als die Polizei in seine Wohnung gekommen war.2 Er wurde stundenlang verhört, ein wegen seiner fortgeschrittenen Schwerhörigkeit für alle sehr ermüdender Vorgang.

Da man annahm, dass Fluchtgefahr bestand – die Zeitungen berichteten später, dass Loos seine Rückkehr nach Paris plante, wo er in den vorangegangenen vier Jahren gelebt hatte –, und da er einen tschechoslowakischen Reisepass hatte, ordnete der Untersuchungsrichter an, ihn in Gewahrsam zu nehmen.3 Am nächsten Tag, dem 5. September, wurde Loos in das Landesgericht für Strafsachen im 8. Bezirk gebracht, formell angeklagt und in der Zelle Nummer E2 105, einer der sogenannten » Intelligenzzellen «, die für prominente Persönlichkeiten und Intellektuelle vorgesehen waren, untergebracht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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