Der Fall von Akkon - Roger Crowley - E-Book

Der Fall von Akkon E-Book

Roger Crowley

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Beschreibung

Das Ende der Kreuzzüge: Eine mittelalterliche Schlacht epischen Ausmaßes Im Frühjahr 1291 rückt eine gewaltige muslimische Streitmacht gegen die von den Kreuzrittern verteidigte Küstenstadt Akkon an. Ihre günstige Lage hatte sie von jeher zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt für Handel gemacht. In der Zeit der Kreuzzüge wurde sie zu einem strategischen Landeplatz für die europäischen Ritterorden. Als sie am 18. Mai 1291 schließlich fällt, bedeutet das nicht nur eine militärische Niederlage, sondern gleichzeitig das Ende des Traums von einem christlich beherrschten Königreich Jerusalem. Der Sachbuch-Autor Roger Crowley erzählt die wechselvolle Geschichte der Kreuzzüge bis zu ihrem blutigen Ende durch die Schlacht um Akkon. - Detaillierte Studie des Falles von Akkon anhand zahlreicher Primärquellen, inklusive bisher unübersetzter arabischer Berichte - Geschichte und Hintergründe der Kreuzzüge ins Heilige Land bis zur Belagerung von Akkon - Heiliger Krieg: Mamluken gegen Kreuzfahrer, Muslime gegen Christen - welche Beweggründe außer religiösem Fanatismus waren ausschlaggebend? - Versklavte Elitesoldaten, Riesenkatapulte und griechisches Feuer: kenntnisreiche Darstellung mittelalterlicher Kriegsführung - Der Verfluchte Turm: Symbol des jahrhundertelangen Kampfes zwischen Franken und SarazenenAkkon: Schauplatz eines 200 Jahre andauernden Konflikts Vom Verlauf des Kampfs um die Stadt am Mittelmeer berichten christliche und muslimische Augenzeugen unterschiedlich. Roger Crowley macht aus den Quellen beider Seiten ein spannendes Ganzes die Geschichte der Kreuzzüge bis zu ihrem Ende, informativ und umfassend dargestellt. Ein Sachbuch, das Wissen vermittelt und gleichzeitig von der ersten bis zur letzten Seite fesselt der Beweis, dass Geschichtsbücher nicht trocken sein müssen!

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Seitenzahl: 416

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Die englische Originalausgabe ist 2019 bei Yale University Press, New Haven und London, unter dem Titel Accursed Tower. The Crusader’s Last Battle for the Holy Land erschienen.

© 2019 by Roger Crowley

Autorisierte Übersetzung der englischen Ausgabe

Die deutsche Ausgabe wurde in Absprache mit Eulama Lit. Ag. veröffentlicht.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,

Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

wbg THEISS ist ein Imprint der wbg.

© der deutschen Ausgabe 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Lektorat und fachliche Beratung: Prof. Dr. Hannes Möhring, Bayreuth

Satz: Arnold & Domnick GbR, Leipzig

Einbandgestaltung: Martin Veicht, Regensburg

Einbandabbildungen: Links: Belagerung von Akkon 1291 nach einem Gemälde von

D. Papety (1815 – 1849); © Fine Art Images / Heritage Images Rechts: Schild eines Templers, © Andrey Kuzmin / Adobe Stock

Alle Karten für die deutsche Ausgabe nach der Vorlage der englischen Originalausgabe neu gezeichnet von Peter Palm, Berlin.

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier

Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-4177-8

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4216-4

eBook (Epub): ISBN 978-3-8062-4217-1

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Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Informationen zum Autor

Impressum

Für Richard und Sophie

Inhalt

Karten

Prolog Der Verfluchte Turm

1Das Zweite Königreich Jerusalem

2Tod am Nil

3Zwischen Mamluken und Mongolen

4Der Löwe von Ägypten

5Ein Welpe, der eine Dogge ankläfft

6Krieg dem Feinde

7»Meine Seele sehnte sich nach dem Dschihad«

8Das rote Zelt

9»Donnerschläge, Blitze«

10Ausfälle

11Verhandlungen

12»Seht die Wunde!«

13Der furchtbare Tag

14»Alles war verloren«

Epilog Ein Wohnort für Schlangen

Anhang

Dank

Anmerkung zu den Namen

Kurze Zeittafel der Kreuzzüge ins Heilige Land

Die Quellenlage zum Fall von Akkon

Bibliografie

Anmerkungen

Bildnachweis

Register

Die Kreuzfahrerstaaten im 13. Jahrhundert

Die Belagerung von Akkon, 1291

»Noch ist zu merken, dass unser Herr, als er die syrischen Küstenländer hinunter reiste, diese Stadt, wie es heißt, nicht betrat, sondern einen Thurm derselben, welcher noch heutzutage vom Volke der verfluchte Thurm genannt wird, verwünschte. Indes glaube ich vielmehr, dass derselbe seinen Namen anderswoher bekommen hat. Als nämlich die Unsern die Stadt belagerten, vertheidigte sich dieser Thurm vor allen andern am hartnäckigsten, weshalb die Unsrigen ihn den Verfluchten nannten.«

Wilbrand von Oldenburg, Besucher von Akkon, 12111

Prolog

Der Verfluchte Turm

Im Frühjahr 1291 rückte die größte Streitmacht, die die Muslime jemals gegen die Kreuzritter im Heiligen Land aufgestellt hatten, auf die Stadt Akkon vor. Nach allen Schilderungen war es ein außergewöhnliches Spektakel: eine gewaltige Ansammlung von Männern und Tieren, Zelten, Gepäck und Vorräten. Und das alles vor der letzten Bastion der Christenheit. Das Ziel war ein vernichtender Schlag.

Aus dem ganzen Nahen Osten waren Truppen zusammengezogen worden: aus Ägypten 800 Kilometer südlich und aus Syrien bis hin zu den Ufern des Euphrats im Norden, aus den großen Städten Kairo, Damaskus und Aleppo – eine Vereinigung der militärischen Ressourcen der ganzen Region. Die Elitetruppen waren versklavte, Türkisch sprechende Krieger von jenseits des Schwarzen Meeres; dem Heer gehörten nicht nur Reiter, Fußtruppen und Spezialeinheiten an, sondern auch fanatische Freiwillige. Der Feldzug war von einem allgemeinen Eifer für den Heiligen Krieg durchdrungen – und von einer weniger frommen Gier nach Beute.

In dem Gewimmel konnte man die weißen Turbane der vornehmen Emire wahrnehmen, die kegelförmigen Metallhelme der Fußtruppen, Kettenhemden mit Lederbesatz, die kurzen Bögen der Reiter, deren Tiere bunte Decken und mit den Wappen verzierte Sättel trugen, auf Kamelen sitzende Musiker, die Pauken, Hörner und Zimbeln spielten, wehende gelbe Fahnen und alle möglichen Waffen: Keulen, Speere, Schwerter, Belagerungsarmbrüste, behauene Steinkugeln, Naphtha für die Herstellung des griechischen Feuers und der Lehmgranaten. Ochsen spannten ihre Kräfte an und zogen Karren beladen mit Holz von Bäumen, die in den Bergen des Libanon gefällt und in den Werkstätten von Damaskus bearbeitet worden waren – die vorgefertigten Bauteile der Steinkatapulte, die in der islamischen Welt unter der Bezeichnung manjanig (Mangonel) und bei den Europäern als Trebuchet (Blide) bekannt waren. Die rumpelnden Karren führten eine beispiellose Zahl dieser Waffen heran, teils von gewaltiger Größe, um die Mauern von Akkon zu zerschmettern. Vor dem Zeitalter des Schießpulvers bildeten sie die schlagkräftigste Kategorie der Artillerie.

Islamischer Reiter

Die Stadt, die diese Streitmacht im Begriff war anzugreifen, war sehr alt und hatte bei regionalen Machtkämpfen stets eine bedeutende Rolle gespielt. Sie hatte unzählige Namen: Akko auf Hebräisch, Akka auf Arabisch; Ptolemais für die Griechen und Römer; Akkon im Latein der Kreuzritter; St. Jean d’Acre für die Franzosen. Sie wird sowohl auf ägyptischen Hieroglyphen als auch in den Chroniken der assyrischen Könige und in der Bibel erwähnt. In der Bronzezeit ließen sich Menschen auf dem benachbarten Hügel nieder, der zur Basis für die Belagerer Akkons werden sollte. Die Stadt wurde von Pharaonen erobert und von den Persern genutzt, um Angriffe auf Griechenland zu planen. Alexander der Große nahm sie kampflos ein, und Julius Caesar machte sie zum Landungsplatz für römische Legionen; auch Kleopatra gehörte sie einst. Im Jahr 636, nur vier Jahre nach dem Tod des Propheten Mohammed, fiel sie an die Muslime.

Die lange Besiedlung Akkons und ihr Wert gingen auf ihre Lage und strategische Bedeutung zurück. Die Stadt grenzt an das Mittelmeer, auf einer hakenförmigen und felsigen Landzunge, die einen kleinen, aber einigermaßen geschützten Hafen bildet. Im Süden liegen eine Küstenebene und eine langgezogene Bucht mit feinstem Sand, der zur Zeit der Phönizier für die Glasherstellung geschätzt wurde. Der Fluss Naaman fließt hier durch und bewässert das Hinterland. Auf der nächsten Landzunge, gut 16 Kilometer entfernt, ist die ebenso alte Stadt Haifa zu sehen. Aufgrund der Lage auf halbem Weg entlang der Küste der Levante war Akkon eine natürliche Zwischenstation – eine Drehscheibe für den Seehandel, in Nord-Süd-Richtung vom Schwarzen Meer nach Ägypten, und in Ost-West-Richtung für den ganzen Mittelmeerraum. Akkon war der Umschlaghafen für den Austausch und das Umladen von Waren, auf dem Land- und Seeweg verbunden mit Routen entlang der Küste und ins Herz des Nahen Ostens. Dabei war es, unter der Oberfläche des Krieges, ein Tor, durch das Agrarprodukte, Waren, Know-how, Sprachen, Religionen und Menschen passierten und das den Kreislauf des Handels ebenso wie die Entwicklung der Zivilisation bereicherte.

Für die Kreuzfahrer spielte Akkon immer eine bedeutende Rolle. Als Papst Urban II. im November 1095 seine flammende Predigt auf einem Feld in der Nähe des französischen Clermont hielt und zur Errettung Jerusalems aufrief – jener Stadt, in der Jesus Christus gelebt hatte und gestorben war –, da entfachte er die Fantasie der westlichen Christenheit, mit erstaunlichen Ergebnissen. Im Ersten Kreuzzug brach eine große Schar einfacher Menschen spontan nach Osten auf – und kam jämmerlich um – und anschließend ein besser organisiertes Expeditionsheer unter dem Kommando großer europäischer Fürsten. Tausende von Soldaten schleppten sich die gut 3000 Kilometer quer durch Europa bis in den Nahen Osten. Wider Erwarten eroberten sie im Juli 1099 Jerusalem und trampelten bei ihrem Zug auf den Tempelberg über die im Kampf gefallenen Muslime und Juden hinweg. Aber ungeachtet dieser Eroberung hatte der erste lange Marsch ins Heilige Land gewaltige Opfer gefordert. Von den ungefähr 35 000 Mann, die aus Europa aufgebrochen waren, haben vermutlich nur 12 000 Jerusalem erblickt. Daraus zogen militärische Strategen rasch den Schluss, dass Heere auf dem Seeweg herangeführt werden mussten und dass man dringend Hafenstädte wie Akkon brauchte, um sie zu empfangen.

Akkon wurde erstmals 1104 von Balduin von Boulogne, dem ersten Kreuzfahrerkönig Jerusalems, eingenommen und entwickelte sich dann zum Hauptlandeplatz für Pilger und die Truppen, die für deren Schutz benötigt wurden. Die Stadt war so wertvoll, dass der Herrscher von Damaskus, als vier Jahre später der Kreuzfahrer Gervais de Bazoches, Fürst von Galiläa, bei einem Raubzug gefangen genommen wurde, versuchte, seinen Gefangenen und dazu noch Haifa und Tiberias gegen die Stadt einzutauschen. Balduin beschloss, den Mann zu opfern. Gervais’ Skalp, an einem Pfahl befestigt, wurde zu einem Banner der Muslime, sein Schädel zum Trinkbecher des Emirs.

Der Besitz von Akkon erwies sich als maßgeblich für den Fortbestand von Outremer (»Übersee«), wie die Franzosen die Herrschaften an der Küste Palästinas und Syriens nannten, die sie während des Ersten Kreuzzugs gegründet hatten. Doch knapp ein Jahrhundert später eroberten die Muslime die Stadt zurück; im Zuge der Vernichtung der Streitmacht des Königs von Jerusalem in der Schlacht bei Hattin Anfang Juli 1187 wurde Akkon rasch übergeben. Den christlichen Bewohnern wurde freies Geleit gewährt.

Das war das Vorspiel zu einer der zermürbendsten militärischen Auseinandersetzungen der Kreuzzüge im Heiligen Land. Volle 683 Tage lang, von 1189 bis 1191, versuchte eine christliche Streitmacht, Akkon zurückzuerobern. An dem Ringen um die Stadt waren die größten Feldherren jener Zeit beteiligt: Saladin, der Sultan der Aiyubiden-Dynastie, kämpfte gegen die gekrönten Häupter Europas: Philipp August von Frankreich, Richard I. von England, Guy de Lusignan, König von Jerusalem, und die Truppen des Dritten Kreuzzugs. Es war ein Kampf der Titanen, in dem die belagernden Kreuzritter zeitweilig selbst belagert wurden. Dazu zählten Seeschlachten und offene Feldschlachten ebenso wie Ausfälle und Hinterhalte. Die Mauern wurden von Katapulten und Rammen erschüttert, von Belagerungstürmen aus angegriffen, mit Tunneln untergraben, durch ein Gegenbombardement mit Steinen, Pfeilen und Brandsätzen verteidigt. Männer wurden mit Schwertern, Streitkolben und Speeren in Stücke gehauen und verbrannten durch das griechische Feuer bei lebendigem Leib. Jede Seite stand abwechselnd wegen Hunger, Seuchen und Verzweiflung kurz vor der Aufgabe.

Am Ende konzentrierte sich der Kampf auf einen bestimmten Punkt. Mittelalterliche Besucher von Akkon überlieferten lebhafte Analogien, um das Aussehen der Stadt zu beschreiben. So beschrieben sie die Stadt als geformt wie eine Axt oder ein Kreuzfahrerschild oder einfacher als ein Dreieck mit der Küste als Grundseite. Die beiden anderen Seiten wurden von dem nördlichen und östlichen Teil der Stadtmauer gebildet, die von Toren und Türmen unterbrochen war. Vor ihr lagen ein niederes Vorwerk und der Graben. Sie trafen sich an der Spitze des Dreiecks. An dieser Stelle befand sich der verwundbarste und am stärksten befestigte Sektor, und genau hier tobte der Kampf um Akkon am heftigsten. Die Spitze wurde von einem eindrucksvollen Turm überragt – dem Grundpfeiler der Verteidigung, den die Kreuzfahrer den Turris maledicta, den Verfluchten Turm, nannten.

Der Ursprung dieses Namens ist nicht ganz geklärt. Es kursieren mehrere Legenden um den Turm mit den schlechten Vorzeichen: dass Christus ihn verflucht habe, als er durch das Heilige Land reiste, und die Stadt deshalb nie betreten habe. Oder dass die Stadt in gewisser Weise an dessen Verrat beteiligt gewesen sei: Es hieß, die 30 Silberlinge, für die Judas Ischariot ihn verkaufte, seien hier geprägt worden. Der Name mag schon älter als die Belagerung sein, doch der Geistliche Wilbrand von Oldenburg, der die Stadt kurz danach aufsuchte, äußerte eine gesunde Skepsis gegenüber apokryphen Erklärungsversuchen. Er glaubte vielmehr Folgendes: »Als nämlich die Unsern die Stadt belagerten, vertheidigte sich dieser Thurm vor allen andern am hartnäckigsten, weshalb die Unsrigen ihn den Verfluchten nannten.«2

Um dieses Bollwerk hatte man erbittert gekämpft. Im Frühjahr und Sommer 1191 waren die Mauern des Turms einem furchtbaren Bombardement durch mächtige Katapulte ausgesetzt. Die Verteidiger erwiderten den Angriff entsprechend. Der Turm wurde untergraben und gegenunterminiert; Männer kämpften in pechschwarzen Tunneln und vereinbarten dann eine unterirdische Waffenruhe. Als ein Abschnitt der Stadtmauer, der an den Turm grenzte, zusammenbrach, versuchten die Franzosen mit einem Frontalangriff über die verstreuten Trümmer ihr Glück und wurden niedergemetzelt; ein hoher Adliger, Albéric Clément, der Herr von Le Mez und erste Marschall Frankreichs, wurde bei dem Versuch erschlagen. Und an eben dieser Stelle beugten sich die muslimischen Verteidiger der Stadt dem Unvermeidlichen und kapitulierten, nachdem Mineure am 11. Juli 1191 endlich den Turm zum Einsturz brachten.

Unter gigantischen Kosten hatten die Kreuzritter die Stadt zurückerobert. Womöglich verkörperte der Turm die ganze Tortur, und sein Name brachte einfach die Enttäuschung, den Schmerz und das Leid zum Ausdruck, das die Heere vor den Mauern Akkons erfahren hatten. Die Einnahme der Stadt gewährleistete, dass die Kriege zwischen den Franken und den Sarazenen, wie sie sich gegenseitig nannten, noch ein weiteres Jahrhundert anhalten sollten.

Das Nachspiel der Belagerung ließ ein bitteres Vermächtnis zurück. Am 20. August 1191, kurz nach der Kapitulation, fesselte Richard I. von England – genannt Löwenherz – die muslimischen Verteidiger Akkons mit Stricken, ließ sie auf die Ebene vor der Stadt bringen und enthaupten. Es dürften rund 3000 Männer gewesen sein. Laut einer mit Saladin getroffenen Vereinbarung sollten sie eigentlich ausgetauscht werden. Bei den taktischen Maßnahmen und Gegenmaßnahmen während der Schlacht um Akkon waren auf beiden Seiten Fehler unterlaufen, doch Saladin hatte eine einmalige Gelegenheit verpasst, die Ungläubigen ein für allemal ins Meer zu werfen. Am Ende war er gezwungen gewesen, um Verhandlungen zu bitten und die Stadt zu übergeben. Als die Kreuzritter meinten, er habe gegen die vereinbarten Bedingungen verstoßen, deckte Richard dies nach einer im Kriegsrat gefällten Entscheidung auf und handelte skrupellos.

Der Dritte Kreuzzug, für den diese Belagerung von Akkon der Prolog war, erreichte nicht das eigentliche Ziel, Jerusalem zurückzuerobern. Richard machte knapp 25 Kilometer vor dem ultimativen Preis kehrt, weil er die Risiken für zu hoch hielt – ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als Saladin schon die Evakuierung der Stadt vorbereitete. Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden großen Gegnern endete mit einem Patt, die Stadt des Herrn blieb unerobert, und die Kreuzritter klammerten sich hartnäckig an den Küstenstreifen Palästinas. In der Folge wurde Akkon zur Drehscheibe und zum Herz der späteren Kreuzzüge. Nach 1191 hing der Fortbestand Outremers ganz erheblich von der Stadt ab. Sie wurde rasch von den Kreuzrittern neu bevölkert, und ihr wurde, durch einen sprachlichen Kunstgriff, der Titel Hauptstadt des Zweiten Königreichs Jerusalem verliehen, während Jerusalem selbst bis auf einen kurzen Zeitraum in muslimischer Hand blieb. Die christlichen Monarchen Akkons sonnten sich in dem hochwichtigen und häufig umstrittenen Titel König von Jerusalem. Dementsprechend wurde auch die höchste religiöse Autorität, die nur dem Papst unterstand, Patriarch von Jerusalem genannt.

Das Siegel von Richard Löwenherz

Die Hinrichtung der muslimischen Garnison, die bereits kapituliert hatte, durch Richard Löwenherz ist noch heute eine umstrittene Episode in der Geschichte der Kreuzzüge, für die bislang keine schlüssige Erklärung gefunden wurde. »Gott weiß es am besten«, sinnierte Baha al-Din, Saladins Berater.3 Genau hundert Jahre später erinnerte man sich an das Schicksal der hingerichteten Muslime. Im Jahr 1291 sollte ein muslimisches Heer Akkon unter Beschuss nehmen, und Christen verteidigten den wiederaufgebauten Verfluchten Turm. Das vorliegende Buch ist eine Schilderung der Ereignisse, die zurück vor die Tore der Stadt führten in jenem Frühling – dem Schlussakt in dem 200-jährigen Ringen, das bei arabischen Historikern als Kriege gegen die Franken und bei Europäern als Kreuzzüge ins Heilige Land bekannt ist.

Kapitel 1

Das Zweite Königreich Jerusalem

1200 – 1249

Als der französische Geistliche Jacques de Vitry im November 1216 in Akkon an Land ging, um seinen Posten als Bischof anzutreten, war er entsetzt. Er war gekommen, um den geistlichen Eifer seiner christlichen Brüder und Schwestern im Vorfeld eines neuen Kreuzzugs wiederzubeleben, doch statt der frommen Stadt der Vorstellungswelt westlicher Geistlicher – des Tores zu dem Land, in dem Jesus gewandelt und gestorben war – traf er ein »Monster oder Tier mit neun Köpfen an, die sich alle gegenseitig bekriegten«. Es gab hier abtrünnige Christen jeder Glaubensrichtung: Arabisch sprechende Jakobiten (Westsyrer), die ihre Kinder »nach Art der Juden« beschnitten und sich mit nur einem Finger bekreuzigten; Nestorianer aus dem Osten Syriens, die er für »Verräter und sehr korrupt« hielt und von denen einige »den Sarazenen die Geheimnisse des christlichen Glaubens enthüllt hätten« und deren verheiratete Priester »ihr Haar nach der Art der Laien frisierten«. Unterdessen ignorierten die Gemeinschaften italienischer Kaufleute – Genuesen, Pisaner und Venezianer – einfach seine Versuche, sie zu exkommunizieren, hörten selten, wenn überhaupt auf das Wort Gottes und »weigerten sich sogar, zu meiner Predigt zu kommen«. Ferner gab es noch die Melkiten, Georgier, Armenier und die aus Mischehen stammenden Pullanen, die sich »ganz den Vergnügungen des Fleisches hingaben«. Das ungewohnte Äußere der östlichen Christen – die Männer häufig mit dichtem Bart und wie Muslime gekleidet, die Frauen verschleiert – war für Jacques de Vitry zusätzlich beunruhigend. Wenn er versuchte, ihre Irrtümer in der Glaubenslehre zu korrigieren, war er auf die Hilfe eines arabischen Übersetzers angewiesen. Vitry erlebte die ganze Befremdung einer Ankunft im Nahen Osten – jedoch in einer Stadt, deren Kirchen, Häuser, Türme und Paläste irritierend europäisch aussahen.

Das Siegel von Jacques de Vitry, des Bischofs von Akkon

Nicht allein die abweichenden christlichen Bräuche ließen Vitry einen Kulturschock erleben. Es war auch der Ort selbst: »Als ich diese schreckliche Stadt betrat und sie voller unzähliger schändlicher Akte und böser Taten vorfand, war ich in meinem Kopf sehr verwirrt.« Er beschwor eine furchtbare Lasterhöhle voller Ausländer herauf, »die als Vogelfreie wegen verschiedener entsetzlicher Verbrechen aus ihrem eigenen Land geflohen waren«; wo die schwarze Magie praktiziert werde und Mord und Totschlag grassierten; wo Ehemänner ihre Frauen erwürgten und Frauen ihre Ehemänner vergifteten, wo »nicht nur Laien, sondern auch Kirchenmänner und manche Mitglieder des Regularklerus ihre Unterkünfte an öffentliche Prostituierte aus der ganzen Stadt vermieteten. Wer wäre imstande, all die Verbrechen dieses zweiten Babels aufzuzählen?«1

Vitry mochte den Ruf Akkons als Sündenpfuhl übertrieben haben, doch die Stadt und die Menschen hier entsprachen bestimmt nicht seinen Erwartungen. Dieses Gefühl der Verwirrung unter neu angekommenen Christen mit Kreuzfahrereifer war ein immer wiederkehrendes Motiv – noch dazu eines, das 70 Jahre später in Akkons Endkampf tragische Konsequenzen haben sollte.

Nach dem Fall Jerusalems an Sultan Saladin und dem Scheitern König Richards bei dem Versuch, es zurückzuerobern, waren die Kreuzfahrerstaaten auf drei kleine, miteinander verbundene Bollwerke geschrumpft, die sich an den Rand der Mittelmeerküste gedrängt sahen: das Fürstentum Antiochia im Norden, die Grafschaft Tripolis und das sogenannte Zweite Königreich Jerusalem, ein langer, schmaler Küstenstreifen, der sich von Beirut bis nach Askalon im Süden über knapp 290 Kilometer erstreckte. Akkon wurde jetzt de facto die Hauptstadt und das politische Zentrum dieses verschobenen Heiligen Königreiches. Der Stadt wurde die gesamte weltliche und kirchliche Verwaltung übertragen: In Akkon war der Hof des Königs, die Burg der Könige von Jerusalem und später der Sitz des Patriarchen – des vom Papst ernannten Stellvertreters. Die mächtigen Ritterorden der Templer und Johanniter verlegten ihre Hauptquartiere nach Akkon, wo sie beeindruckende Paläste und Festungen errichteten. Die unermesslich reichen Orden bildeten mittlerweile die schlagkräftigste Verteidigung des lateinischen Ostens. Anfang des 13. Jahrhunderts verdoppelten die Orden den Bau von Burgen und den Ausbau als vorgeschobene Verteidigungsstellung, um die Sicherheit der Straßen und den Schutz der verbliebenen Gebiete zu gewährleisten. In Akkon gesellte sich eine Reihe anderer, kleinerer Orden zu ihnen – darunter die Ritter des Ordens des heiligen Lazarus, der ursprünglich gegründet worden war, um sich um Leprakranke zu kümmern – sowie neu gegründete Nachahmungen, von denen einige wie der Deutsche Orden und der englisch inspirierte Orden der Ritter des heiligen Thomas von Canterbury im Gefolge des Dritten Kreuzzugs entstanden waren. Gleichzeitig verlegten viele Orden, die von Saladin vertrieben worden waren oder sich unsicher fühlten, ihre Kirchen, Männer- und Frauenklöster nach Akkon.

Jacques de Vitry war nicht nur in der fiktiven Verlegung der Heiligen Stadt Jerusalem angekommen; er war taumelnd an Land gegangen und in eine bunte, ethnisch diverse und von Menschen wimmelnde Hafenstadt am Mittelmeer geraten, mit all den unzähligen Aktivitäten und Attraktionen, die dazugehörten. Akkon war ein Handelsplatz für den Austausch von Waren über ein riesiges Gebiet und die wohl kosmopolitischste Stadt der mittelalterlichen Welt. Die Stadt war ein multilinguales Durcheinander aus Menschen und Kulturen, jeweils mit eigenen Vierteln und religiösen Einrichtungen. Unter den 81 Kirchen war eine der heiligen Bridget von Kildare in Irland geweiht; eine andere dem heiligen Martin der Bretonen; und wieder eine andere dem heiligen Jakob der Iberischen Halbinsel.

Die Kaufmannsgilden der italienischen Stadtrepubliken – Genua, Venedig und Pisa – nahmen eine prominente Stellung ein und wetteiferten neben Händlern aus Marseille und Katalonien erbittert um die Märkte am Mittelmeer. Vielen Händlergemeinschaften war vom König juristische und kommerzielle Unabhängigkeit gewährt worden. Ferner gab es eine kleine jüdische Gemeinde, Kopten aus Ägypten; und muslimische Kaufleute aus Damaskus, Antiochia und Alexandria kamen regelmäßig, um Geschäfte zu machen. Die Hauptverkehrssprache war Französisch, aber Deutsch, Katalanisch, Okzitanisch, Italienisch und Englisch waren ebenfalls in den Straßen zu hören und vermischten sich mit den Sprachen der Levante. Im Frühjahr und Herbst, bei der Ankunft der Handelsschiffe aus dem Westen, war der Hafen von Schiffen überfüllt, und die Bevölkerung der Stadt vergrößerte sich unter Umständen um bis zu 10 000 Pilger, die zu den heiligen Stätten ziehen wollten. Schlepper, Führer und die Wirte von Gasthäusern profitierten von diesen Besucherströmen. Als die Weiterreise nach Jerusalem wegen der unsicheren Lage des palästinensischen Hinterlandes zu gefährlich war, wurde Akkon, obwohl es keinerlei Verbindung zum Leben Jesu hatte, selbst zu einem Pilgerort. Unter der Führung einheimischer Geistlicher wurde hier ein Rundgang durch 40 Kirchen zur Besichtigung angeboten, jede mit eigenen Reliquien und heiligen Souvenirs, wo Pilger die vom Papst gewährte Vergebung der Sünden erlangen konnten.

Von Flüchtlingen aus ganz Palästina und der Anziehungskraft für europäische Händler und Pilger aufgebläht, erlebte die Stadt zu Beginn des 13. Jahrhunderts einen regelrechten Boom. Als wichtige Hafenstadt der lateinischen Levante trieb Akkon nicht nur mit dem westlichen Mittelmeer Handel, sondern war auch für den ganzen östlichen Mittelmeerraum eine Achse des Warenaustauschs vom Schwarzen Meer und Konstantinopel bis nach Ägypten im Süden. Damit ging eine stillschweigende Einigung mit der islamischen Welt einher, wurde den Schranken des Glaubens wenig Beachtung geschenkt – sehr zum Missfallen des Papstes. Akkon nutzte das Währungssystem der muslimischen Nachbarn. Die Stadt prägte Gold- und Silberimitate der Münzen der Fatimiden und Aiyubiden mit arabischen Inschriften. Als der Papst 1250 die Verwendung islamischer Inschriften und Datierungen verbot, ersetzte die Münze einfach die Wörter auf der Prägung durch christliche – allerdings immer noch in arabischer Schrift und mit zusätzlichen Kreuzen. Aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit der christlichen und muslimischen Händler hatte keiner ein großes Interesse daran, den Status quo zu ändern.

Im Laufe des 13. Jahrhunderts machte Akkon sogar der großen Hafenstadt Alexandria Konkurrenz und überholte sie, was die Menge und die Vielfalt der Waren anging, die ihren Hafen durchliefen. Der Graf von Cornwall, der Anfang der 1240er-Jahre hierherkam, schätzte, dass die Stadt jährlich 50 000 Pfund einnahm, eine Summe, die den Einnahmen von Königen in Westeuropa entsprach. Textilien wie Seide, Leinen und Baumwolle kamen entweder als Rohstoff oder als fertige Stoffe aus der islamischen Welt nach Europa, dazu Glaswaren, Zucker und Edelsteine. In die andere Richtung ging der Handel mit europäischer Wolle, die lateinische Kaufleute in das muslimische Damaskus brachten, dazu Eisenwaren und Lebensmittel (Gewürze, Salz, Fisch), Kriegspferde und verschiedene andere Artikel, die zur Unterstützung der Kreuzfahrer nötig waren. Töpferwaren gelangten als Ballast in den Laderäumen europäischer Schiffe nach Akkon, selbst aus dem fernen China, und tagtäglich passierten mit Vorräten beladene Kamele und Esel die Tore, die für die Ernährung der großen Bevölkerung unerlässlich waren: Wein aus Nazareth, Datteln aus dem Jordantal, Weizen, Obst und Gemüse, das einheimische östliche Christen und Muslime angebaut hatten. Die Stadt war auch ein Industriezentrum: Die Templer und die Johanniter stellten in ihren eigenen Mühlen und Öfen außerhalb der Stadt Glas her und raffinierten Zucker, in den stark besuchten, überdachten Märkten hingegen gab es Werkstätten, die sich auf die Herstellung von Glas-, Metall- und Keramikwaren sowie Souvenirs für Pilger spezialisiert hatten, dazu Gerber und Seifenmacher.

Wenn ein Papst nach dem anderen über die Münzprägung nach islamischer Art in Akkon schockiert war, so bereitete ihnen ein anderer höchst profitabler Handel noch größeres Kopfzerbrechen: Ein großer Teil der an die Aiyubiden-Sultane in Kairo verkauften Kriegsmaterialien – Holz und Eisen für den Schiffsbau, Waffen und Kriegsmaschinen, und Naphtha für Brandsätze – lief über Akkon durch die Hände italienischer Kaufleute. Noch bedeutender für den Heiligen Stuhl war der Menschenhandel. Türkische Militärsklaven aus den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres kamen auf byzantinischen oder italienischen Schiffen über Konstantinopel; Akkon war sowohl eine Zwischenstation als auch ein Sklavenmarkt. Wiederholte päpstliche Verbote wurden regelmäßig missachtet. Im Jahr 1246 warf Papst Innozenz IV. allen drei italienischen Kaufmannsgemeinschaften in der Stadt vor, sie würden Sklaven aus Konstantinopel transportieren, die anschließend nach Ägypten gebracht würden, um die Heere des Sultans zu vergrößern. Die Beschleunigung dieses Handels seit den 1260er-Jahren sollte für die Rumpfstaaten der Kreuzfahrer unbeabsichtigte Konsequenzen haben: Akkon war dazu verdammt, von Heeren belagert zu werden, die über den eigenen Hafen rekrutiert worden waren.

Jacques de Vitry mag die Frevelhaftigkeit Akkons übertrieben haben, doch die Stadt diente tatsächlich als eine Art Strafkolonie: Die Gerichte in Europa wandelten Urteile in Strafprozessen gelegentlich dahingehend um, dass die Angeklagten zur Besiedlung ins Heilige Land geschickt wurden. Unter der lediglich nominellen Autorität des meistenteils abwesenden Königs von Jerusalem – ein Titel, der im ganzen 13. Jahrhundert zu endloser Zersplitterung und inneren Kämpfen führen sollte – bestand Akkon aus einem bunten Haufen verschiedener und weitgehend unabhängiger Interessengruppen, die sich um Eigentumsrechte und den Zugang zum Hafen stritten. Gemeinschaften innerhalb der Stadt besaßen ihre eigenen historischen Privilegien, häufig ihre eigene Rechtsprechung, die eine effektive Verwaltung der Justiz behinderten, und ein großes Maß an Autonomie. Die rivalisierenden Ritterorden, die nur dem Papst unterstanden, bildeten den reichsten und militärisch gesehen effektivsten Teil der Gemeinschaft – wobei die Templer und die Johanniter, die mit ihren riesigen Palästen und befestigten Anlagen große Teile Akkons einnahmen, am stärksten ins Auge fielen.

Die mittelalterliche Karte von Akkon mit heutiger Beschriftung zeigt den Plan der Stadt: den doppelten Mauerring, die Vorstadt Montmusard zur Linken und den Hafen. Sie verzeichnet die wichtigsten Kirchen und Gebäude, die Templerburg (Templum) am Meer, den Komplex der Johanniter (Hospitale) und die von den Venezianern, Genuesen und Pisanern kontrollierten Areale. Die Karte vermittelt einen Eindruck von dem labyrinthartigen Charakter der Stadt. Merkwürdigerweise verlegt sie den Verfluchten Turm (Turris Maledicta) an die rechtwinklige Spitze der äußeren Mauer, obwohl er damals in Wirklichkeit am gleichen Punkt der inneren Mauer stand.

Der Plan der Stadt spiegelt die enge Nähe der unzähligen verschiedenen Fraktionen und religiösen Gemeinschaften zueinander wider. Akkon hatte ein dicht besiedeltes Stadtzentrum, in dem die Händlergruppen in eigenen, stark bevölkerten Vierteln lebten. Sie ähnelten in gewisser Weise winzigen, befestigten italienischen Städten: gegen die Nachbarn abgegrenzt, durch Tore und Wachtürme geschützt und mit Lagerhäusern, Geschäften und Wohnsitzen im Innern. Ein Geflecht enger, verwinkelter Straßen (vermutlich das Überbleibsel eines älteren, arabischen Entwurfs) führte zu kleinen Marktplätzen, den Zentren jeder Gemeinschaft mit einer eigenen Kirche, Ordenshäusern und Einrichtungen. Im Umfeld des Hafens, wo die Waren ausgeladen wurden, war die Aktivität am dichtesten. Der direkte Zugang zum Hafen war daher heftig umstritten.

Die Stadt Akkon mag eine Lasterhöhle gewesen sein. Sie war dazu aber auch außerordentlich schmutzig. Besucher und Pilger waren gleichermaßen geschockt über die gesundheitlichen Mängel des Ortes. Der griechische Pilger Johannes Phokas, der im Jahr 1177 in die Stadt kam, beschwerte sich: »Die Luft ist von dem gewaltigen Zustrom an Fremden verschmutzt, etliche Seuchen grassieren und führen zu häufigen Todesfällen unter ihnen, deren Folge wiederum üble Gerüche und eine Verpestung der Luft sind.«2 Der arabische Reisende Ibn Dschubair, der aus der viel zivilisierteren Welt des maurischen Spaniens kam und kaum etwas Gutes über Christen zu sagen hatte, hielt den Ort für einen Schweinestall: »Seine Wege und Straßen ersticken unter dem Gedränge der Menschen … Es stinkt und ist dreckig, voller Abfälle und Exkremente.«3

Die Johanniter besaßen in ihrem prächtigen Komplex außerordentlich effiziente Latrinen und eine Kanalisation, in der das Abwasser, samt einem Großteil des restlichen Schmutzes der Stadt, etwa den Abfällen des Fischmarktes und des Schlachthauses, in den eingeschlossenen Hafen geleitet wurde, der den Spitznamen »Lordemer« – »das Dreckige Meer« hatte. Die Venezianer waren gezwungen, das Hauptfenster ihrer Kirche des heiligen Demetrius, das auf den Hafen hinausging, zu verriegeln, um zu verhindern, dass Dreck auf den Altar geweht wurde.

Zu den Stadtmauern hin lagen Gärten und offenere Bereiche, doch diese Räume schrumpften im Lauf des 13. Jahrhunderts. Jenseits der Mauer, auf den fruchtbaren Ebenen, lieferten Weinberge, Obstplantagen und bebaute Felder der Stadt nicht nur Lebensmittel, sondern auch eine angenehme Erholung von den beklemmenden und häufig angespannten Zuständen im Innern. Als die Bevölkerung wuchs, entwickelte sich nördlich der Altstadt eine zweite Wohnsiedlung namens Montmusard, die später zu einem organischen Bestandteil der Stadt wurde.

Als die Kreuzfahrer 1191 Akkon zurückeroberten, war die Stadt nur von einer Mauer umgeben, der Verfluchte Turm war eingestürzt und die Abschnitte in seiner unmittelbaren Nachbarschaft schwer beschädigt. Richard Löwenherz ließ Reparaturen ausführen, doch im Jahr 1202 wurden beträchtliche Teile erneut in Schutt und Asche gelegt, diesmal allerdings durch ein Erdbeben. Offenbar folgte darauf ein konzertierter Wiederaufbau, denn nur ein Jahrzehnt später standen die Mauern wieder, sogar Montmusard einschlossen. Nunmehr bildete die Mauer eine beeindruckende Verteidigungslinie: Über eine Meile lang umschloss sie die ganze Stadt von Küste zu Küste. Der Verfluchte Turm selbst wurde durch massive äußere Stützen verstärkt. Wilbrand von Oldenburg, der 1211 als Vorbereitung eines neuen Kreuzzugs zu einer Erkundungsmission nach Akkon kam, war von der Stadt und ihren Verteidigungsanlagen beeindruckt:

Dies ist eine tüchtige, starke Stadt am Meeresufer, und zwar so gelegen, dass, während sie selbst ihrem Umfange nach ein Viereck bildet, zwei ihrer Seiten in Form eines Winkels vom Meere umgeben und geschützt sind. Die beiden anderen Seiten werden von einem tüchtigen, breiten und tiefen Graben, welcher von Grund auf ausgemauert ist, und außerdem von einer mit Thürmen versehenen Doppelmauer in schöner Anordnung begränzt. Diese Mauern sind so gebaut, dass die erste samt ihren Thürmen, welche aus der Mauer nicht hervorragen, von der zweiten, inneren Mauer, deren Thürme hoch und sehr fest sind, überschaut und gedeckt wird. Die Stadt hat einen guten, sicheren Hafen, den ein schöner Thurm schützt, in welchem einst von den irrgläubigen Heiden der Gott der Fliegen, welchen wir Baalzebub nennen, sie aber hießen ihn Accaron, verehrt wurde, woher die Stadt auch selbst Karon oder Akaron genannt wurde.4

Von den Toren Akkons aus führten Straßen in das restliche Königreich der Kreuzfahrer: die Küstenstraße ins Obere Galiläa und zu der Templerburg von Safad, nach Tyrus und zur Burg des Deutschen Ordens von Montfort.

In dem Labyrinth-ähnlichen Gewirr aus befestigten Komplexen spiegelten sich der Mangel an gesellschaftlichem Zusammenhalt und die uneinige politische Herrschaft wider. Die Zersplitterung der politischen Macht lähmte die Entscheidungsfindung. Die endlosen Streitigkeiten um den Titel König von Jerusalem, die sowohl die Ritterorden als auch die Kaufmannsgemeinschaften in rivalisierende Gruppen spalteten, sorgten dafür, dass 60 Jahre lang kein König in Akkons Königsburg residierte. Im Jahr 1250 erklärte sich die Stadt zeitweilig zu einer vom restlichen Königreich unabhängigen Kommune. Das einzige potenzielle Bindeglied war der Patriarch von Jerusalem, dessen Kreuzeskirche de facto Akkons Kathedrale und Versammlungsplatz war.

Wegen der Uneinigkeit innerhalb des Königreichs Jerusalem und der Schwäche der restlichen Kreuzfahrerenklaven in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts war nicht auszuschließen, dass ein weiterer, entschlossener Schlag der Muslime das Aus bedeutete. Doch dazu kam es nicht. Saladin, ein Kurde und Außenseiter, schuf für kurze Zeit das gemeinsame Gefühl eines religiösen Ziels innerhalb der islamischen Welt, sowie ein gefestigtes sunnitisches Reich, das sich von Ägypten und der nordafrikanischen Küste über Palästina und Syrien bis in den Norden des Irak und an die Ufer des Tigris erstreckte. Unter Saladin, der Goldmünzen mit der Legende »Sultan des Islam und der Muslime« prägen ließ, brannte das Feuer des Dschihad hell: Muslimische heilige Männer bekamen nach der Schlacht bei Hattin 1187 die Gelegenheit, die gefangen genommenen Kreuzritter zu enthaupten – eine Aufgabe, die sie geradezu mit erschreckender Dummheit ausführten. Doch dieser Eifer für einen Religionskrieg, durch den es Saladin gelungen war, seine zerstrittene Familie zu vereinen, ebbte nach seinem Tod 1193 schnell ab. Der islamische Nahe Osten zerfiel in streitsüchtige Fürstentümer der Aiyubiden, mit Ägypten als einzigem Einheitsstaat und ohne den Willen, die Franken zu vertreiben. Einzelne Herrscher handelten jeweils eigene Verträge mit den Eindringlingen aus dem Westen aus, schlossen mit ihnen gelegentlich sogar Bündnisse gegen rivalisierende Duodezfürsten. An die Stelle der Aggression traten eine Sehnsucht nach Frieden und die Angst vor neuerlichen Kreuzzügen. Jerusalem, dessen Bild als Heilige Stadt die Muslime geeinigt hatte, verlor an strategischer Bedeutung. Bemerkenswerterweise wurde sie (mit Ausnahme der dortigen heiligen Stätten des Islam) im Jahr 1229 einfach durch ein Abkommen wieder den Christen übergeben, ohne dass ein einziger Pfeil geflogen wäre – ein unvorstellbarer Verrat an dem islamischen Stolz. Auch wenn Jerusalem 1244 wieder von den Muslimen eingenommen wurde, blieb die Stadt potenzielle Verhandlungsmasse. Der letzte Aiyubiden-Herrscher von Ägypten al-Malik al-Salih gab seinem Sohn Turanschah folgenden weltlichen Rat: »Wenn sie [die Franken] die Küste und Jerusalem von dir fordern, so gib ihnen diese Orte ohne Zögern, unter der Bedingung, dass sie in Ägypten nicht Fuß fassen.«5 Die Aiyubiden hatten 1221 den Fünften Kreuzzug gegen Ägypten abgewehrt und waren zu so gut wie jedem Zugeständnis bereit, um eine Wiederholung zu verhindern.

Unter den Frommen löste diese feige Realpolitik scharfe Kritik aus. Der Historiker Ibn al-Athir beklagte, dass »wir unter den Herrschern des Islam keinen einzigen sehen, der wünscht, einen Dschihad zu führen oder der Religion … zu helfen. Jeder frönt seiner Kurzweil und seinen Vergnügungen und schadet damit seiner Herde. Dies macht mir mehr Angst als der Feind.«6 Die Kreuzfahrerstaaten wurden lediglich zu einem weiteren Akteur in dem Muster der Bündnisse und Fehden. Das Königreich Jerusalem stellte sich bei den internen Kriegen der Aiyubiden sogar auf die Seite von Damaskus und erlitt 1244 zu seinem Kummer in der Schlacht von La Forbie eine vernichtende Niederlage, in der die Kontingente der Johanniter und Templer fast ganz aufgerieben wurden.

Der Handel diente ebenfalls der Entspannung. Die Kreuzfahrerstaaten waren wirtschaftlich gesehen für die islamische Welt von Nutzen; insbesondere Akkon und Tyrus profitierten in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gewaltig von dem Austausch, wofür sie vom Papst ebenso scharf kritisiert wurden wie ihre muslimischen Handelspartner von frommen Muslimen. Die Uneinigkeit der Muslime verschaffte den Franken jedoch zu keinem Zeitpunkt eine Chance, nennenswerte Gebiete zurückzuerobern, die sie an Saladin verloren hatten. Phasen der Waffenruhe wurden von kleineren Kreuzfahrerunternehmungen von Europa aus unterbrochen. Der Fünfte Kreuzzug war im Nildelta gescheitert. Auf ihn folgte eine Reihe anderer kleiner Initiativen, die das Kräftegleichgewicht nicht verschieben konnten. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Friedrich II., kam 1228, während er vom Papst exkommuniziert war, in die Levante. Er handelte zwar die kurzzeitige Rückgabe Jerusalems aus, erregte aber dennoch hartnäckigen Widerstand im Königreich. Als er ein Jahr später von Akkon ablegte, bewarf ihn die Stadtbevölkerung mit Abfall. Theobald, der Graf der Champagne, führte 1239/40 einen Kreuzzug ohne Folgen an, wenig später Richard von Cornwall einen weiteren.

Die Unzulänglichkeiten sowohl der Aiyubiden als auch der Kreuzfahrerstaaten garantierten den Erhalt des Status quo. Ohne eine vereinigte muslimische Reaktion war es unmöglich, die Franken zu vertreiben; ohne Einheit unter den christlichen Fraktionen auf der anderen Seite aber auch blieb das Ziel, Jerusalem zurückzuerobern, ein Wunschtraum. Im Westen ließ die Aufmerksamkeit für Outremer allmählich nach. Der langjährige Streit des Heiligen Stuhls mit Friedrich II. und dessen Nachfolgern um die Herrschaft über Sizilien zog Energie und Mittel vom lateinischen Osten ab. Inzwischen hatten die Gläubigen die Möglichkeit, auch anderswo ein Kreuzfahrergelübde zu erfüllen – in Sizilien, im maurischen Spanien, in den Wäldern Preußens – oder sich sogar die Vergebung der Sünden zu erkaufen. Der Dichter Ricaut Bonomel, ein Templer, klagt:

Denn er [der Papst] vergibt gegen Geld Menschen, die unser Kreuz genommen haben

Und wenn jemand [die Pilgerfahrt in] das Heilige Land

gegen den Krieg in Italien eintauschen möchte,

so lässt unser Legat dies auch zu

denn er verkauft Gott und Ablässe gegen Geld.7

Im Herzen Asiens gerieten die Machtverhältnisse jedoch allmählich in Bewegung. Anfang des 13. Jahrhunderts begannen die Mongolen ihren großen Eroberungszug nach Westen, und noch vor ihrem Vormarsch wurden andere Nomadenvölker verdrängt. Die Auswirkungen dieser Entwicklung waren schon bald in der islamischen Welt zu spüren. Die Mongolen zerschlugen die herrschende persische Dynastie und trieben die Chwarismier, ihre türkischen Stammesherrscher, nach Palästina. (Eben dieses kriegerische Volk mit einem ähnlichen zentralasiatischen Ursprung plünderte Jerusalem im Jahr 1244.)

Unter den Völkern, die von dem mongolischen Vormarsch vertrieben wurden, war ein weiterer türkischer Stamm aus den zentralasiatischen Steppen, nämlich die Kiptschak. Wie die Mongolen waren auch die Kiptschak nomadische Zeltbewohner, die von weidenden Herden und Überfällen auf ihre Nachbarn lebten. Sie waren Animisten, die über die Vermittlung von Schamanen die Erde und den Himmel anbeteten. Ganz ähnlich waren sie auch ein Reitervolk, äußerst geschickte Krieger, sowie Experten beim Einsatz des Bogens und mobiler Taktiken der Reitereikriegführung. Nachdem man sie immer weiter nach Westen in eine Region nördlich des Schwarzen Meeres getrieben hatte, wurden junge Kiptschak bei Überfällen von feindlichen Stämmen ergriffen und zu den Sklavenmärkten Anatoliens und Syriens gebracht. Man bekehrte sie zum sunnitischen Islam und verkaufte sie an zahlungskräftige Käufer.

Die kämpferischen Qualitäten der Nomadenvölker waren rasch erkannt worden. Der Kalif von Bagdad rekrutierte bereits seit dem 9. Jahrhundert Stammeskrieger als Militärsklaven für sein Heer. Insbesondere für ihre einzigartige Fertigkeit zu Pferde wurden sie gerühmt: »Überfallen, jagen, reiten, einen Hinterhalt für gegnerische Stammesoberhäupter legen, Beute machen und in andere Länder eindringen. Ihre Anstrengungen waren ganz auf diese Aktivitäten ausgerichtet, und sie widmeten ihre ganze Tatkraft diesen Beschäftigungen.« Die Jungen der Kiptschak fingen vermutlich schon mit vier Jahren an, mit dem Bogen zu üben. »Auf diese Weise sind sie in der Kriegführung das geworden, was die Griechen in der Philosophie sind.«8

Diese sunnitischen Muslime in erster Generation bewahrten noch viele ihrer Stammesbräuche, doch sie brachten in ihre neue Religion den Eifer von Konvertiten ein. In einem Rückblick aus dem 14. Jahrhundert betrachtete der arabische Historiker Ibn Khaldun das Auftreten der türkischen Völker als günstige Fügung des Schicksals für die Erneuerung eines inzwischen dekadenten Islam. Die Ursache für diese Verweichlichung sah Ibn Khaldun darin,

»dass die Sesshaften [Völker] sich an Ruhe und Bequemlichkeit gewöhnt haben und eingetaucht sind in Wohlleben und Luxus. Sie haben ihre Sache, nämlich die Verteidigung ihrer Besitztümer und ihrer selbst, dem Statthalter und dem Herrscher anvertraut, der sie regiert … Sie verlassen sich auf die Mauern, die sie umgeben, und auf die Befestigungen, die sie schützen. … Die Nomaden aber sorgen für ihre eigene Verteidigung, weil sie von der Gemeinschaft abgesondert sind, in der Umgebung [der Stadt] ›wild‹ leben … und Mauern und Tore meiden. … Sie vermeiden zu schlafen, außer wenn sie kurz einnicken in Gesellschaft in den Sätteln und auf den Höckern [der Kamele]. Sie lauschen auf jedes leise Bellen und jeden Laut. … Tapferkeit ist für sie zu einer Charaktereigenschaft geworden und Mut zu ihrem Naturell.«9

Ibn Khaldun betrachtete die Turkvölker als einen von Gott gesandten Segen, um den Islam wiederzubeleben und die Einheit der Muslime wiederherzustellen.

Saladin, ein Kurde, hatte Heere angeführt, die nach ihren sittlichen Anschauungen türkisch waren. Innerhalb der unsicheren Dynastien des Nahen Ostens gab es eine lange Tradition der Rekrutierung solcher Militärsklaven, auf Arabisch Mamluken, übersetzt: »in Besitz genommene«. Ohne vererbte Bindungen zu den rivalisierenden Gruppen galt ihre ganze Loyalität ihrem Herrn. Wie ein Staatsmann es ausdrückte:

Ein einz’ger Knecht befehlsgetreu

Ist mehr als hundert Söhne wert.

Der Sohn ersehnt des Vaters Tod,

Der Knecht des Herren Heil begehrt.10

Das Konzept der Militärsklaven in der islamischen Welt unterschied sich grundlegend von der Sklaverei in Europa. Die Mamluken waren eher eine Art Elitesöldner als Leibeigene. Sie konnten bis zur Machtposition eines Emirs aufsteigen, wurden bezahlt, und ihre Beschäftigung konnte nicht weitergegeben werden: Deren Kinder konnten keinen Platz im Korps des Sultans erben. Es bestand immer eine Nachfrage nach frischen Rekruten aus den Steppen jenseits des Schwarzen Meeres.

Als der Aiyubiden-Prinz al-Malik al-Salih 1240 in Ägypten an die Macht kam, fing er an, kiptschakische Militärsklaven zu kaufen und sie nach Ägypten zu holen. Im Lauf seiner Herrschaft erwarb al-Salih ein Korps von rund 1000 solcher Mamluken. Viele kamen in eine Garnison auf einer Insel im Nil, von der sie auch ihren Namen hatte: die Bahriya – »das Regiment des Flusses«. Ein weiteres, kleineres Korps, die Dschamdariya, diente als al-Salihs Leibwache. Die isoliert in Kasernen lebenden und einem intensiven Training der Reitkunst, des Nahkampfes und Bogenschießens unterzogenen Mamluken entwickelten ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, das ihnen im Kampf sehr nützlich war – sie aber potenziell zu einer Gefahr für ihre Herren machte, die sich immer stärker auf sie stützten.

Nach dem Verlust Jerusalems 1244 erging in Europa ein erneuter Kreuzzugsaufruf. Dieses Mal antwortete Ludwig IX., der französische König. Ludwig organisierte die am besten geplante und am sorgfältigsten finanzierte militärische Expedition, die jemals für die Rückeroberung Jerusalems auf die Beine gestellt wurde. Die groß angelegte Mission sollte unbeabsichtigte Konsequenzen haben. Sie sollte den Zusammenbruch der Dynastie der Aiyubiden erleben; die Bahriya-Mamluken sollten von Sklaven zu Sultanen aufsteigen. Außerdem setzte der Kreuzzug eine Kette von Ereignissen in Gang, die am Ende zurück zu den Toren von Akkon im Jahr 1291 führen sollte.

Kapitel 2

Tod am Nil

1249-1250

Kurz vor Tagesanbruch am Samstag, dem 5. Juni 1249, machte sich eine Kreuzfahrerflotte bereit, an der ägyptischen Küste, in der Nähe des östlichen Arms des Nils und der Stadt Damiette an Land zu gehen. Das Heer des Fünften Kreuzzugs hatte 30 Jahre zuvor am gleichen Ort angelegt, und diese neuerliche Expedition kam keineswegs unerwartet. »Wir fanden da die ganze Streitmacht des Sultans auf dem Strand des Meeres«, schreibt der französische Ritter Jean de Joinville, der die Szene beobachtete. »Leute, sehr schön anzusehen. Der Sultan führt nämlich goldene Waffen, und wo die Sonne auf sie fiel, glitzerten sie. Das Getöse, das sie mit ihren Zimbeln und sarazenischen Hörnern machten, war schrecklich anzuhören.«1 Bei Sonnenaufgang wateten Tausende von Männern von kleinen Booten aus ans Ufer.

Eine Landung am Strand gegen einen organisierten Widerstand war äußerst riskant, doch die Disziplin unter den Kreuzfahrern war außerordentlich stark, und die Ritter und Fußtruppen wurden von Geschosshagel aus Armbrüsten empfangen. Joinville sah sich unmittelbar nach der Landung einer Gruppe muslimischer Reiter gegenüber. »Kaum sahen sie uns an Land, da ritten sie auch schon spornstreichs auf uns zu. Wir aber, als wir sie kommen sahen, stießen die

Das Siegel Ludwigs IX.

Spitzen unserer Schilde und die Schäfte unserer Lanzen in den Sand, die Spitzen aber gegen sie. Jetzt, wo sie sahen, dass es ernst wurde und sie unsere Speere in den Leib bekommen würden, machten sie plötzlich kehrt und ergriffen die Flucht.«2 Zu seiner Linken erblickte der Ritter eine prächtige, von 300 Mann geruderte Galeere, gespickt mit Schilden, auf denen bunt gemalte Wappen prangten, und im Wind flatterten Wimpel.

Während sie so ankamen, schien es, als ob die Galeere flöge, wegen der Ruderer, die sie mit ihren Stangen vorantrieben, es war, als ob ein Blitz vom Himmel fiele, und dazu knatterten die Fähnlein, und die Zimbeln, die Pauken und sarazenischen Hörner in seiner Galeere [des Grafen von Monbeliart] ertönten. Sobald die Galeere auf den Sand gelaufen war, soweit wie man sie vorantreiben konnte, sprang er mit seinen Rittern von der Galeere, wohl gewappnet und prächtig geschmückt, und so schlossen sie neben uns auf.3

Am ganzen Strand wurden die Standarten der großen Adelsfamilien von Frankreich aufgestellt, als Sammelpunkt für die Soldaten angesichts berittener Angriffe. Unter ihnen ragte das orangerote Banner der französischen Könige heraus, die »Oriflamme«, von der eshieß, sie habe die Farbe des Blutes des Märtyrers Dionysius von Paris (St. Denis). Als König Ludwig IX., der Führer, Organisator und Finanzier dieses Kreuzzugs, von seinem prächtigen Schiff Montjoie aus sah, wie seine Standarte am Strand aufragte, konnte er sich nicht länger zurückhalten. Er sprang ins Meer, den Schild über die Schulter geworfen, den Helm auf dem Kopf, das Wasser bis zur Brust, und watete an Land. In seinem Eifer senkte er die Lanze, packte den Schild und wollte schon die feindlichen Reihen angreifen. Man musste ihn zurückhalten.

Ludwig hatte die Expedition bis ins Kleinste vorbereitet. Der Kreuzzug war von seiner Idee und Zusammensetzung her französisch und umfasste rund 25 000 Mann – Ritter und Sergeanten zu Pferde, Fußtruppen und Armbrustschützen. Drei Brüder des Königs und die Blüte der französischen Ritterschaft nahmen daran teil. Die Vorbereitungen hatten schon vier Jahre zuvor begonnen. Es handelte sich um eine absolut professionelle Streitmacht: Ludwig hatte die Freiwilligen, die sich am Hafen der Abreise, in Aigues-Mortes, auf eigene Initiative hin gemeldet hatten, zurückgelassen. Er wurde von einem strengen Pflichtgefühl gegenüber seinen Männern und von frommen, christlichen Idealen getrieben, motiviert durch einen Schwur, den er im Jahr 1244 abgelegt hatte, als er dem Tod nahe war. Das ursprüngliche Ziel des Feldzugs war jedoch nicht Jerusalem, sondern Kairo.

Kluge Strategen wie Richard I. hatten erkannt, dass die Siege Saladins in Palästina und Syrien vom Reichtum Ägyptens abhingen. »Die Schlüssel zu Jerusalem«, hatte Richard einmal gesagt, »liegen in Kairo.«4 Diese Denkweise galt ein halbes Jahrhundert später immer noch. Bereits der katastrophale Vierte Kreuzzug, der mit der Plünderung Konstantinopels im Jahr 1204 endete, hatte insgeheim die Absicht verfolgt, das Nildelta anzugreifen. Ein Jahrzehnt später, als Jacques de Vitry in Akkon eintraf, um einen neuen Kreuzzug vorzubereiten, wurde dieses Ziel explizit formuliert: Statt gegen das muslimische Palästina »planten wir, nach Ägypten zu ziehen; es ist ein fruchtbares Land und das reichste im Orient, von dort beziehen die Sarazenen die Macht und die Mittel, die sie befähigten, unser Land zu besetzen, und nachdem wir uns jenes Landes bemächtigt haben, können wir leicht das gesamte Königreich Jerusalem wieder einnehmen.«5 Dieser Fünfte Kreuzzug endete ebenfalls mit einem erbärmlichen Fehlschlag. Es dauerte 18 Monate, die Küstenstadt Damiette, 160 Kilometer nördlich von Kairo, zu erobern. Die Kreuzritter verbrachten weitere 18 Monate ohne Entscheidung dort, lehnten es zweimal ab, einen Friedensvertrag mit dem Aiyubiden-Sultan zu schließen (der ihnen sogar die Rückgabe Jerusalems angeboten hatte), und wurden dann von den jahreszeitlichen Hochwassern des Nils überrascht und saßen im Labyrinth seiner Kanäle fest. Gezwungen, durch hüfttiefes, schlammiges Wasser zu waten, hatte das Kreuzheer am Ende unrühmlich kapituliert.

Der Kreuzzug Ludwigs kam mit dem gleichen strategischen Ziel, einer klareren Absicht und dem gesamten Wissen, das sie über die einzigartige Gewässerkunde des Nils von ihren Vorgängern hatten in Erfahrung bringen können. Die ganze Expedition begann überaus vielversprechend. Laut Joinville schickten die Verteidiger Damiettes eilig Brieftauben nach Kairo, bekamen jedoch keine Antwort. Der Sultan al-Salih lag im Sterben. »Da glaubten sie, der Sultan sei tot, und so räumten sie Damiette«, lautete die selbstbewusste Erklärung im christlichen Lager.6 Wo ihre Vorgänger neun Monate für eine lange und furchtbare Belagerung benötigt hatten, betraten Ludwigs Truppen nunmehr schon nach einem Tag die Stadt und stellten fest, dass der Befehlshaber, Emir Fakhr al-Din, samt seiner Garnison geflohen war. Die in Panik geratene Bevölkerung war ihnen gefolgt. Das erschien als Fügung des Schicksals – ein Zeichen Gottes, dass Ludwigs Kreuzzug von Erfolg gekrönt sein würde – und verlieh dem König ein bedenklich großes Selbstvertrauen. Die Strategen wussten von der Verwundbarkeit des Regimes der Aiyubiden, da es von inneren Kämpfen zerrissen war und sich in einem allmählichen Niedergang befand. Das war auch ein Beweggrund gewesen, nach Ägypten aufzubrechen. Damiette hätte Vorräte und eine Garnison gehabt, um einer langen Belagerung standzuhalten; folglich schien die Kapitulation zu bestätigen, dass sie offene Türen einrannten. In muslimischen Chroniken wird dies als »ein Unglück ohnegleichen« bezeichnet und als eine Schande seitens des Emirs und seines Regiments.7 Allerdings wussten die Kreuzritter nicht, dass Fakhr al-Din die Stadt nur deshalb kampflos übergeben hatte, weil er nach dem Tod des Sultans seinerseits nach der Macht greifen wollte.

Es folgte eine weit schrecklichere Wiederholung des Fünften Kreuzzugs, nur gewissermaßen in Zeitlupe. Jean de Joinville überliefert uns die Ereignisse sehr anschaulich und detailliert. Ludwig forderte von seinen Truppen unbedingten Gehorsam, doch bei den ersten Scharmützeln verleitete die Angriffslust einzelne Ritter dazu, sich auf den Feind zu stürzen und dabei ihr Leben zu lassen. Ludwig hatte bei der Landung am Strand selbst ein Exempel der Ungeduld gegeben, und der ritterliche Ehrenkodex der Tapferkeit im Zweikampf war ein immer wiederkehrendes Problem: Es erwies sich als schwierig, den Adel von leichtsinnigen Heldentaten abzuhalten.

Der Sturm der Kreuzritter auf Damiette. Zu einer Verteidigung, wie hier in diesem mittelalterlichen Manuskript gezeigt, kam es nie.

Die Stadt war verlassen.

Schon bald zeigte sich die bittere Realität. Ungeachtet des Falls von Damiette wurde das Lager der Kreuzritter nachts von beduinischen Pferdedieben und Mördern aufgesucht. »Sie kamen und töteten den Wachposten des Lords von Courtenay, und ließen seinen Leichnam auf einem Tisch liegen, nachdem sie ihm den Kopf abgeschnitten hatten, und sie machten sich mit ihm davon. Das taten sie, weil der Sultan für jeden Kopf eines Christen einen Goldbesanten zahlte.«8 Aus dem gleichen Grund hieß es von den Beduinen auch, sie würden von Gehenkten die Köpfe abschneiden und bestattete Leichname ausgraben. Die Kreuzritter sahen sich gezwungen, ihr Lager vor Damiette mit einem Graben zu befestigen und rund um die Uhr zu bewachen. Sie diskutierten über ihren nächsten Schritt: ihre Stellung festigen durch die Einnahme des strategischen Hafens von Alexandria, knapp 200 Kilometer westlich, oder direkt auf Kairo marschieren. Ludwigs Bruder Robert, der Graf von Artois, plädierte vehement für Kairo, mit dem Argument: »Wenn man die Schlange mit einem Hieb töten wolle, dann müsse man ihr den Kopf zerschmettern«,9 doch die Streitmacht musste abwarten, bis das Hochwasser des Nils zurückging. Erst im November machte sie sich auf den Weg und folgte mit einem Marsch flussaufwärts nach Süden dem Pfad, den der Fünfte Kreuzzug gewählt hatte, mit dem Ziel, die strategisch wichtige Stadt Mansura einzunehmen, bis zu der sich das Heer des Sultans zurückgezogen hatte. Angespornt von dem beispiellosen Erfolg vor Damiette herrschte eine große Zuversicht, dass Ägypten, wenn es gelänge, die Stadt einzunehmen, rasch zusammenbrechen werde.

Unter den Muslimen herrschte wegen dieser Option Alarmstimmung: »Die Franken dagegen … wussten sehr wohl, dass jetzt in kurzer Zeit ganz Ägypten ihnen gehören könnte, wenn sich das bei al-Mansura liegende Heer auch nur einen Tagesmarsch weiter zurückzöge.«10 Ganz Kairo geriet in Panik. Die Truppen in Mansura verschanzten sich, um entschlossen Widerstand zu leisten, mit dem sterbenden Sultan an ihrer Seite.

Der Marsch über 65 Kilometer nach Süden war eine kombinierte Operation: Das Heer rückte entlang des östlichen Nilufers vor, begleitet von Galeeren, die Proviant an Bord hatten. Die Franzosen kannten die Verhältnisse des Flusses relativ gut, versäumten es aber sträflich, die Bedeutung eines scheinbar toten Wasserweges, des