Der Flug in mein neues Ich - Marietta Ignatiadou - E-Book

Der Flug in mein neues Ich E-Book

Marietta Ignatiadou

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Beschreibung

Sie ist Ende dreissig, frisch geschieden und Flugbegleiterin. Sie verliebt sich bei der Arbeit in einen Piloten. Die Beziehung steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Beide sind auf unterschiedlichen Wegen, sich selbst zu finden. Sie verliebt sich Hals über Kopf. Er will nichts Festes. Trotzdem entsteht eine echte und tiefgründige Liebe. Es ist die von wahren Ereignissen inspirierte Geschichte einer Frau, deren Leben nicht nach Plan läuft und die von vorne anfangen muss. Doch wie soll sie das anstellen? Diese Liebe zu einem Mann ohne Aussicht verändert sie und all ihre bisherigen Ansichten über die Liebe und das Leben. Sie ist fest entschlossen, dem Ruf ihres Herzens zu folgen. Ob sie damit Erfolg hat und wo das hinführt, wird sich zeigen.

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Für meine Familie und Freunde

Und für A.W.:

„Ich liebe Dich, weil das gesamte Universum sich verschworen hat, um mir zu helfen, Dich zu finden.“ (Paulo Coelho)

Inhaltsverzeichnis

Check-in 1

Check-in 2

Check-in 3

Check-in 4

Check-in 5

Check-in 6

Check-in 7

Check-in 8

Check-in 9

Check-in 10

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Check-in 27

Über die Autorin

Check-in 1

Die Uniform lag bereit.

Mein Haar saß perfekt.

Gerade war ich dabei, mich fertig zu schminken, als meine Gedanken spazieren gingen …

Seit ich zwölf Jahre alt war, träumte ich davon, Flugbegleiterin zu werden. Es war schon immer mein Traum gewesen, die Welt zu bereisen und dabei in einem dieser riesigen Flugzeuge zu arbeiten. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn die Triebwerke anfangen, 250 Tonnen zu bewegen, um sie dann wie aus dem Nichts in die Luft zu katapultieren. Mich hatte es schon, bevor ich Flugbegleiterin wurde, immer an den Flughafen gezogen. Ich liebte das Fliegen, und jedes Mal, wenn ich eine uniformierte Schönheit sah, malte ich mir aus, wie wohl ihr Leben sei. Von ein oder zwei Bekannten wusste ich, wie dieser Alltag ungefähr aussah, und wenn ich dann deren Geschichten hörte, berührte es eine Sehnsucht in mir, die ich damals jedoch zur Seite schob, weil ich gerade mit anderen Dingen beschäftigt war. Immer kam etwas dazwischen. Es schien, als wäre jedes Mal etwas anderes wichtiger. Als wäre der richtige Zeitpunkt noch nicht gekommen.

Nach der Schule machte ich aufgrund meiner Affinität zu Fremdsprachen eine Dolmetscherausbildung. Meinem Talent folgend fügte ich eine Tanzkarriere hinzu, und so vergingen die Jahre. Mit zweiunddreißig kam dann ein Ehemann dazu – und der Wunsch, eine Familie zu gründen. Nach der Hochzeit war dann der Zug abgefahren, sich noch alte Teenie-Träume zu erfüllen. Man konzentrierte sich nur noch auf die Familienplanung. Doch was macht man, wenn der Wunsch nach Kindern unerfüllt bleibt? Jeder normale Mensch würde sagen: Nichts, weitermachen und das Leben mit diesem Mann, den man liebt, genießen, bis dass der Tod uns scheidet. Als die Familienplanung nicht aufging, hinterfragte ich jedoch meine Liebe zu ihm. Waren wir so verbunden, dass nur wir uns reichten? Für den Rest unseres Lebens? Ich spürte die Antwort in mir, wollte sie jedoch lange nicht wahrhaben. Wir waren diesen Bund einmal eingegangen, weil wir beide exakt das Gleiche wollten. Wir waren bereit und der Zeitpunkt war richtig, um Eltern zu werden. Dieser Drang wog schwerer und schloss uns beiden die Augen davor, zu prüfen, ob das, was wir füreinander empfanden, wirklich tiefe und echte Liebe war. Sie schien nur einem Zweck zu dienen: der Familiengründung. Wir waren zu schnell, zu hastig, unter Druck und ließen uns keine Zeit. Fünf Ehejahre später lag die Rechnung dieser Fehlkalkulation bei mir auf dem Tisch. Darauf stand:

Erwartungen aller erfüllt (inklusive der eigenen) Anpassung (an die Gesellschaft) erledigt Eigene Wünsche (damit das alles klappt) zurückge- steckt Kontrolle (über die Geschehnisse) übernommen Planung (des Lebens) erstellt = UNZUFRIEDENHEIT!

Was sollte ich nun tun? Irgendwas in meinem Leben fühlte sich nicht richtig an. Noch schlimmer war die Vorstellung, es mit der Maya zu verbringen, die ich geworden war. Während der Ehejahre war ich zu einer Version von mir selbst geworden, die mir nicht sehr gut gefiel. Etwas fehlte mir, obwohl ich alles hatte: einen guten Mann, der mich liebte, finanzielle Unabhängigkeit und ein schönes Zuhause. Doch es gab keine Leidenschaft mehr, weder fürs Leben noch füreinander. Keine tiefe Verbundenheit. Dieses Herzklopfen, wenn du jemanden vermisst und weißt, dass er vor deiner Türe steht, und du einen kleinen Moment länger innehältst, weil du dich erst sammeln musst. Ich rede von diesem Lächeln, das automatisch kommt, sobald du an diese Person denkst, und gegen das du nichts tun kannst. Es heißt, diese Dinge vergehen mit den Jahren in jeder Beziehung. Ich hätte also wissen sollen, dass das normal ist, aber es fühlte sich nicht richtig an, es einfach so zu akzeptieren. Klar, am Anfang hatten wir auch diese schönen Momente gehabt, aber sie waren schnell verflogen. Viel zu schnell für meinen Geschmack. Ich versuchte lange, diese Hintergrundstrahlung der immer wiederkehrenden Zweifel an dieser Ehe in mir zu unterdrücken und mich dem zu widmen, wofür ich auf der Welt war. Meiner wahren Bestimmung: Mutter zu werden. So wie es mir vorgelebt und um mich herum millionenfach praktiziert wurde. Als sich diese Lebensidee jedoch für uns nicht realisierte, versuchte ich trotzdem weiter, mich zu zentrieren und unserer Ehe loyal zu bleiben. Doch es ging nicht. Unsere Liebe war nicht stark genug. Nicht tief genug. Es lag an IHR. Sie schrie und schrie, immer lauter, je mehr ich versuchte, sie zu ignorieren: meine innere Stimme! Sie war klar. Sie war deutlich. Sie war stur und ohne Zweifel:

Maya, mach dich frei. Das war nicht alles. Auf dich wartet noch so viel mehr. Dies ist nicht deine letzte Station. Setz deine Segel für große Abenteuer. Du musst los!!! JETZT!

Mein Kopf mischte sich immer wieder ein: Was sollte das? Was sollte da noch kommen? Meine Highlights hatte ich bereits erlebt. Aber ich tat es. Ich hörte auf sie. Ich brach auf in ein Leben ohne Ziel und ohne Plan. Nur eins wusste ich sicher: entweder jetzt oder nie.

So ließ ich mich vor drei Monaten scheiden. Ich ließ alles hinter mir. Fing neu an. Weit weg von allem. Ich zog von Deutschland in die Schweiz. Hier hatte ich meine Fluggesellschaft, einen Bezugspunkt. Denn vor zwei Jahren tat ich es dann doch: Nachdem der unerfüllte Kinderwunsch immer deutlicher geworden war, wollte ich den Kopf nicht hängen lassen und doch noch versuchen, diesen einen letzten Hauch von Traum, welcher schon immer tief in meiner Brust saß, zu erfüllen. Ich war zwar schon älter, älter als die meisten, die anfingen, aber ich wollte es später nicht bereuen, es nicht probiert zu haben. Vor allem bei dieser düster dreinschauenden Zukunft zu jener Zeit war es wie mein letzter Anker. Und es klappte. So wurde ich vor zwei Jahren Flugbegleiterin. Mit fünfunddreißig! Mein Traum wurde wahr. Nun war ich siebenunddreißig, frisch geschieden und flog seit zwei Jahren durch die Welt – und ich liebte es.

Vielleicht war das ja meine wahre Bestimmung?

Aber genug in Erinnerungen geschwelgt.

Mein Make-up war nun fertig. Nur noch die High Heels anziehen und los geht’s.

New York wartete …

Check-in 2

Die komplette Flugbesatzung traf sich vor jedem Flug im sogenannten Briefing, um den Flug zu besprechen und sich kennenzulernen. Die Crews wechselten bei jeder Rotation, und so waren es immer andere Kollegen, die zusammenkamen. Erstaunlich, wie viele Menschen man in diesem Job kennenlernte. Ich arbeitete in der Ersten Klasse. Dort konnte man mit den acht Passagieren auch ein nettes persönliches Gespräch führen. Nicht selten saßen da Promis, Manager und Politiker – oder einfach nur gut betuchte Leute, die immer eine interessante Story bereithielten.

Unser Cockpit für diesen Flug betrat nun das Zimmer. Der Kapitän war ein älterer, unauffälliger, aber netter Schweizer. Der Co-Pilot war wie erwartet jünger, so um die Mitte dreißig, und hübsch. Hübscher als der Durchschnitt unserer Piloten. Sie stellten sich bei jedem vor.

Als der Co-Pilot dran war, hielt er mir die Hand hin: „Hi, ich bin Andy.“

Sein Händedruck war fest und selbstbewusst.

„Hi, ich bin Maya.“

Nein. Der Blitz war nicht eingeschlagen. Ich dachte mir nur: ‚Endlich mal ein gutaussehender Co-Pilot‘. Mehr nicht. Denn die Wahrheit war: Es war nicht wie in den Filmen. Nicht alles in Uniform sah gut aus.

Seit ich ein kleines Mädchen war, waren Piloten für mich Helden. Diese Geschwindigkeit, die Intelligenz, das Talent, und wenn man dann in dieser Uniform auch noch gut aussieht – JA, auf jeden Fall sexy. Vor mir stand also ein solches Exemplar, und es ließ mich kalt. Meine Scheidung war viel zu frisch. Sich mit dieser neuen Phase auseinanderzusetzen und erst mal zurechtzufinden, war wichtiger. Ich war aus der gemeinsamen Wohnung in eine Sechser-WG gezogen. Nicht unbedingt das, was man mit siebenunddreißig wollte, und vor allem nicht das, was ich mit fünfundzwanzig darüber gedacht hatte, wo ich in diesem Alter sein werde. Ich hatte mich verheiratet, mit Mann, Kindern und Haus im Grünen gesehen – und vor allem glücklich damit. Stattdessen saß ich nun da in einer WG – und alles nur, weil ich meinem Herzen gefolgt war. Mein Job war jetzt der Fokus. Und so wollte ich nah am Flughafen wohnen und fürs Erste etwas Geld sparen, da ich ja jetzt wieder auf mich allein gestellt war und finanziell nicht mehr alles teilen konnte. So hatte ich mich für diese – wenn auch vorübergehende – Lösung entschieden. Die WG, in der ich nun wohnte, hatte mir eine neue gute Freundin beschert, welche mir über die erste schwere Zeit hinweggeholfen hatte. Sie war ihrer Zeit voraus und ihre Denkweise war anders und inspirierend. Als hätte das Leben mir die richtigen Menschen zur richtigen Zeit geschickt. Aber tat es das nicht immer?

Okay, ja, ich war diejenige gewesen, die die Scheidung gewollt hatte. Nichtsdestotrotz war es schwer gewesen, diesen Schritt zu gehen. Ich musste einen geliebten Menschen verletzen. Obwohl ich nicht von heute auf morgen gegangen war und wir schon lange vorher Gespräche darüber geführt hatten, war es mir sehr schwergefallen, ihm das anzutun. Es bestand jedoch kein Zweifel daran, dass es für uns beide das Beste war.

Es folgten viele einsame und tränenreiche Abende in der WG, an denen ich mich oft fragte: Was nun? Es fühlte sich an wie eine Neugeburt, und die Schmerzen der Abnabelung ließ ich bewusst über mich ergehen, immer mit diesem Wissen, dass es später bestimmt Sinn ergeben würde. Das würde es doch, oder?

Auf diesem Flug nach New York gab es keinen Zweifel: Andy flirtete mit mir. Ich genoss es und spielte mit. Während wir über den Atlantik flogen und ich meine Pause hatte, ging ich ins Cockpit, trank einen Kaffee und merkte, während er sich mit mir unterhielt, was für schöne grüne Augen er doch hatte und dass sein Lächeln mich in Verlegenheit brachte. Sobald ich verlegen oder schüchtern wurde, war das ein klares Zeichen dafür, dass da irgendeine Energie zwischen uns war, die sich in der Magengrube bemerkbar machte. Es war die Art, wie er sprach, sein Charme und natürlich die Tatsache, dass er, während er mit mir flirtete, einen A330 flog und er, wenn es darauf ankäme, zweihundert Menschen das Leben retten könnte, sodass alles in seiner Hand lag. Diese Verantwortung gab ihm eine gewisse Power, der ich kaum widerstehen konnte. Da saß eben dieser Held aus meiner Kindheit.

Es stellte sich heraus, dass wir beide Schwaben sind. Sofort waren wir auf derselben Wellenlänge. Einmal in New York im Hotel angekommen, beschlossen wir recht schnell, dass wir unseren Aufenthalt zusammen verbringen wollen.

„Was hast du morgen vor? Irgendwelche Pläne?“, fragte er.

Ich war schnell. „Abgesehen davon, dass ich eine neue Levis-Jeans brauche, weiß ich es noch nicht. Vielleicht was mit dir?“

Er lächelte mich an, und so tauschten wir unsere Nummern aus.

Während ich seine Nummer in mein Handy tippte, klingelten schon die Alarmglocken in meinem Kopf: Hände weg von den Piloten! Wir alle wissen, wie das ausgehen wird. Ich dachte mir jedoch auch: Was soll’s, ich bin frischer Single, will nichts Ernstes, was spricht gegen ein bisschen flirten? Außerdem brachte mich sein Lächeln in Verlegenheit. Ich mochte dieses Gefühl. Und so ging ich in mein amerikanisches Kingsize-Bett und spürte meine Füße, die vom langen Flug und den High Heels angeschwollen waren. Es gibt keinen besseren Schlaf als den nach einem langen Flug.

Am nächsten Morgen, nachdem die Jeans gekauft war, beschlossen wir, ins National Museum of History zu gehen und danach einen Spaziergang im Central Park zu machen. Mir fiel auf, wie viel Andy wusste und dass er eine Intelligenzbestie war. Ein Charmebolzen. Er war wissbegierig und neugierig. Zu allem konnte er etwas erzählen, und er merkte sich Dinge, die ich sofort vergessen würde. Ich fand seine Intelligenz extrem anziehend, und das überraschte mich, denn bislang war eine gewisse Bad-Boy-Attitude das gewesen, was mich an einem Mann angezogen hatte. Während wir durch das Museum schlenderten, merkte ich, wie gern ich in seiner Nähe war und dass ich jeden Moment mit ihm einsog.

Im Park erzählten wir uns voneinander. Von unseren Vorlieben und was wir bisher gemacht hatten. Unsere Gespräche zogen sich über Stunden hinweg und wir lachten viel.

Er verriet: „Weißt du, eigentlich bin ich mehr der Naturbursche als ein Jetfighter-Pilot. Ich weiß, auch wenn ich aussehe wie Tom Cruise …“ Sein schönes Lachen unterbrach ihn selbst: „… im Herzen bin ich eher ein Dorfjunge, der das einfache Leben mag.“

Wieso hatte er eigentlich lachen müssen? Ich fand ihn hübsch, und seine Aura hatte unterschwellig eine unwiderstehliche Sexyness. Es ist diese Art von sexy, die man nicht sofort sieht, sondern erst spürt, wenn er dich anschaut, verschmitzt lächelt oder einfach nur mit seiner Körpergröße neben dir steht. Doch seine Bodenständigkeit überraschte mich. Ich merkte schnell, dass er nicht zu denen gehörte, die damit prahlten, Pilot zu sein und ihr Jet-set-Leben auf Instagram propagieren mussten. Eher im Gegenteil. Er war einfach gestrickt, und dies erweckte in mir ein friedliches, beruhigendes Gefühl. Es erdete mich. Um ihn zu beeindrucken, brauchte ich wohl mehr als ein schönes Aussehen. Das gefiel mir.

Es fühlte sich an, als würden wir uns schon ewig kennen. Vertraut. Die gleiche Energie. Bei jeder kleinen zufälligen Berührung stellten sich ungewollt meine Härchen hoch, und ich fing an, es zu genießen. Er machte mich neugierig darauf, noch mehr von ihm zu sehen. Er war gut. Sein Flirt-Verhalten hatte er nicht erst gestern gelernt. Ich bemerkte seine Erfahrung in solchen Situationen, denn er war nicht zurückhaltend mit seinen Komplimenten; unverkennbar war er an mir interessiert.

Zum Abendessen gingen wir in einen Pub, in dem gerade eine Band spielte. Wir tranken Cider, aßen ganz klassisch einen Burger und hörten einfach nicht auf, über Gott und die Welt zu sprechen. Andy war fasziniert von meiner Einstellung zum Leben und von allem, was ich bisher erlebt hatte.

Schließlich fragte er mich: „Glaubst du an Gott?“

Ich antwortete voller Sicherheit: „Ich glaube an eine Energie, eine Art Weltenseele, die alles miteinander verbindet. Der vertraue ich. Alles passiert zu meinem Besten, zum richtigen Zeitpunkt. Auch die schlechten Sachen. Denn auch sie ergeben am Ende Sinn. Wenn ich mir die Sterne anschaue, dann macht das was mit mir. Ich habe das Gefühl, das Universum blickt zurück und ist ein Teil von mir. Von dort kommen wir und dorthin gehen wir wieder zurück, wenn wir wieder zu dieser Energie werden, die das Universum selbst ist. Glaubst du denn an Gott?“

Seine Antwort war kurz: „Ich glaube definitiv an etwas, das größer ist als wir!“

Zurück im Hotel, vor dem Aufzug, bedankte ich mich für den tollen Tag: „Hey, das war echt schön. Danke für alles.“

Er gab mir recht: „Fand ich auch. Sehr sogar. Morgen früh Kaffee?“

Ich nickte lächelnd und stieg in den Aufzug.

Wenige Minuten später schrieb Andy mir auf WhatsApp, wie gern er mit mir einschlafen wollen würde. Ich sagte, dass das schön wäre – aber nicht heute. Natürlich wollte er das. Er wollte Sex, ohne Frage. Er war Pilot, Single und hatte einen tollen Tag mit einer Frau gehabt, die er heiß fand und die im selben Hotel schlief. Es war einfach. Und mit Sicherheit war dies für ihn schon unzählige Male aufgegangen. Ich war eine Romantikerin, aber nicht naiv. Ich wusste, was Männer wollen und wie sie ticken. Nichts gegen Sex, ganz im Gegenteil, ich war eher von der Sorte, die keine Hemmungen hatte. Aber gleich am ersten Abend mit jemandem ins Bett zu gehen, war nie mein Ding gewesen. Insgeheim hoffte ich jedoch, dass es nicht bei diesem Treffen bleiben würde. Und war mir mittlerweile auch sicher, dass er das auch wollte. Ich war extrem neugierig geworden, was diese starke Energie zwischen uns zu bedeuten hatte. Ganz klar wollte ich mehr davon.

Nach dem Rückflug im Parkhaus angekommen, bedankten wir uns, beide noch in Uniform, für die tolle Zeit. Es kam zum Abschied.

Wir standen so, dass man sich gleich umarmen konnte, als er sagte: „Was für eine tolle Überraschung, dass du auf diesem Flug warst. Ich hoffe, wir sehen uns sehr bald wieder.“

Ich kam noch näher ran, sodass unsere Körper sich berührten: „Ja, das hoffe ich wirklich sehr. Lass uns einfach schreiben.“

Wie, was, wo und wann wurde aber nicht besprochen. Er musste zurück nach Deutschland, denn er war Pendler, und ich wohnte ja in der Schweiz.

Dann zog er mich an sich ran und schaute mir tief in die Augen. Diese Augen! Nach nur 24 Stunden waren sie zu den schönsten dieser Welt geworden. Er neigte seinen Kopf zu mir. Als sich unsere Lippen trafen, wurde mir regelrecht schwindelig. Was für ein Kuss. Was für Lippen. Sanft und weich und trotzdem leidenschaftlich. Wir konnten nicht aufhören. Wir wollten nicht. Und genau da passierte es. Gerade als es hieß, sich zu verabschieden, und Gott weiß, ob wir uns wirklich jemals wiedersehen würden, da wusste ich es: Scheiße! Ich steh voll auf ihn …

Check-in 3

WhatsApp. Was für eine tolle Erfindung, die alles etwas anonymer, leichter und hemmungsloser macht. Natürlich gab es WhatsApp nicht erst seit gestern, aber mich in der neuen Single-Version mit WhatsApp gab es erst seit Neuestem. Es war ein Fluch und Segen zugleich. Wenn der andere online war, aber nicht zurückschrieb, ging man durch die Hölle. Und wenn der begehrte Name dann endlich auf dem Display aufpoppte, war man in Sekunden in anderen Sphären.

Andy machte es mir jedoch sehr leicht. Nix mit drei Tage warten, bis der andere sich meldete. Gleich am selben Tag nach unserer Verabschiedung ging es los – und es hörte nicht mehr auf. Alles, was wir gerade taten, wurde kommuniziert und kommentiert. Wir waren hemmungslos, aber vor allem waren wir witzig. Er brachte mich zum Lachen. Unser kleines Techtelmechtel gefiel mir sehr. Wer hätte damals gedacht, was noch folgen würde?

Es war eine schöne und attraktive Ablenkung in einer Zeit, in der ich versuchte, mich in diesem neuen Leben zurechtzufinden. Es war schwer, überhaupt herauszufinden, was ich denn nun überhaupt noch wollte. Alles war auf Reset. Wie richtete ich mein neues Leben aus? Wofür sollte ich Anlauf nehmen? Wer war ich in dieser neuen Lebensphase? Wie sah meine neue Rolle aus? Ich war nämlich im dunklen Teil meines Lebens angekommen. In jungen Jahren hatte ich nur bis vierzig gesehen, denn ab da war nix mehr – ich hätte ja schon alles erreicht. Ab da hatte die Welt in meinen Augen einfach dunkel ausgesehen, ab da galt es das Leben zu leben und zu genießen, welches man sich bis dahin aufgebaut hatte. Und da war ich nun. Was ich jedoch gedacht hatte, zuvor noch zu erreichen, war nicht eingetroffen. Keine Karriere, kein Mann, kein Haus und keine Kinder. Doch wenn ich auf das blickte, was ich hatte, und nicht auf das, was fehlte, dann konnte ich nicht dankbarer sein.

Meine Familie waren die wertvollsten Menschen in meinem Leben. Meine Eltern waren unglaublich fürsorglich und liebevoll. Wenn ich an sie denke, dann sehe ich sie aufopfernd und bedingungslos liebend vor mir. Sie wollten immer nur mein Bestes. Erfreut waren sie natürlich nicht darüber, dass es zu einer Scheidung kommen musste, aber traurig waren sie auch nicht. Der Kanon war bei allen gleich: Wir wussten, dass das eines Tages kommt, ihr habt von Anfang an nicht zusammengepasst.

Meine zwei besten Freunde kannte ich schon seit über zwanzig Jahren. Und wenn man Seelenverwandte hat, oder Lieblingsmenschen, dann waren es diese für mich. Wir hatten so viel gemeinsam erlebt und begleiteten uns in jeder Lebenssituation. Obwohl sie weiter weg wohnten, waren sie doch überall dabei. In guten wie in schweren Zeiten. Jedes Mal, wenn wir zusammen waren, hatten wir die besten Zeiten. Solche Freunde sind Gold wert.