Der galaktische Faust: Science Fiction Abenteuer - Alfred Bekker - E-Book

Der galaktische Faust: Science Fiction Abenteuer E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Der Faust-Mythos als Space Opera – ein Weltraum-Abenteuer von Alfred Bekker! Fausto Cagliari ist auf der Suche nach absoluter Erkenntnis und gerät an den mephistotelischen Manager eines interstellaren Konzerns. Dieser überredet Fausto dazu, auf einem abgelegegen Wasserplaneten Teil eines gleichermaßen waghalsigen wie größenwahnsinnigen Experiments zu werden. Doch dessen Ausgang ist anders als erwartet und erweckt eine wahrhaft kosmische Macht zum Leben...

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Alfred Bekker

Der galaktische Faust: Science Fiction Abenteuer

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Über das Buch

Der Ertrinkende von Sao Neto

Im Gegensatz

Die Einrichtung

Er war wieder an die Oberfläche getaucht

Natürlich...

Impressum neobooks

Über das Buch

Fausto Cagliari ist auf der Suche nach absoluter Erkenntnis und gerät an den mephistotelischen Manager eines interstellaren Konzerns. Dieser überredet Fausto dazu, auf einem abgelegegen Wasserplaneten Teil eines gleichermaßen waghalsigen wie größenwahnsinnigen Experiments zu werden. Doch dessen Ausgang ist anders als erwartet und erweckt eine wahrhaft kosmische Macht zum Leben...

Alfred Bekker schreibt Fantasy, Bücher für junge Leser, Krimis und Historische Romane. Seine Bücher um “Das Reich der Elben” machten ihn einem großen Publikum bekannt. Als Science Fiction-Autor trug er zahlreiche Romane zu den Serien “Sternenfaust”, “Ren Dhark” und “Bad Earth” bei.

Der Ertrinkende von Sao Neto

Fausto Cagliari hatte einen Anfall gehabt, und wieder einmal wurde er von einer Welle der Depression heimgesucht, die mächtig genug war, seinen Geist vollständig zu lahmen.

Jene düstere, abgrundschwarze Welle war gekommen und hatte ihn mit sich fortgerissen; dorthin, wo es keinen festen Grund mehr gibt.

Und jetzt trieb er in der Schwärze und Düsternis seiner eigenen Gedanken dahin, bemerkte, wie Apathie und Resignation Platz griffen und eine Mischung aus Wut und Gleichgültigkeit sich in ihm ausbreitete.

Seine innere Verfassung war ihm einerseits unangenehm, aber andererseits gefiel er sich auf selbstquälerische Art und Weise auch wieder in ihr. Doch dies war nicht das einzige in der Person des Fausto Cagliari enthaltene Paradoxon.

Es gab in ihm mehr Widersprüche, Gegensätze und Ungereimtheiten, als ein normaler Mensch vertragen hätte - doch es hätte ja auch niemand behaupten mögen, daß Cagliari ein normaler Mensch genesen wäre. Möglicherweise war er als ein solcher geboren worden, aber jetzt war er zweifellos verschroben und ein wenig verrückt.

Längst hatte er begonnen, seinen Irrsinn selbst zu bemerken, aber er blieb unfähig, ihn zu ertragen, geschweige denn, ihm in irgendeiner Art und Weise entgegenzutreten.

In gewissem Sinne war Cagliari für diesen Irrsinn sogar selbst verantwortlich oder hatte doch zumindest seine Entstehung sehr begünstigt. Man hatte ihn eindringlich gewarnt, bevor er sich seinen siebten Kunstkörper gekauft und anschließend seine siebte Gehirntransplantation hatte vornehmen lassen; man hatte ihm zu erklären versucht (was ihm eigentlich auch so hätte bekannt sein müssen), daß nach einer so langen Lebensspanne unbedingt eine partielle Löschung des Gedächtnisses vorgenommen werden muß, da der Betreffende andernfalls förmlich in der Flut seiner Erinnerungen ertrinkt, was Realitätsverfall und Wahnsinn nach sich zieht.

Doch Cagliari hatte es nicht wahrhaben und sich nicht belehren lassen wollen.

In seinem langen Leben hatte er ein beträchtliches Wissen angehäuft, das er auf keinen Fall verlieren wollte. Dieses Wissen betrachtete er als seinen kostbarsten Besitz, den es unter allen Umständen zu behalten galt.

Aber jetzt sah Cagliari deutlich die Dämmerung, die sich wie graue Spinnweben über seinen Geist legte. Er hatte die Anfänge bereits vor mehr als einem Jahrhundert (damals noch in einem anderen Körper) bemerkt, sie aber einfach ignoriert.

Und tatsächlich war es ihm auch später immer wieder gelungen, die Tatsache seines zunehmenden Realitätsverfalls aus dem Bewußtsein zu drängen.

Jetzt war das unmöglich geworden.

Die Zeichen des Wahnsinns waren zu deutlich, um übersehen werden zu können.

Er fuhr sich mit der breiten, behaarten und irgendwie ungeschickt wirkenden Hand über die müden Augen, um sie vor der Grelle des diffusen Lichts zu schützen, das in dem großen, weißwandigen und luxuriös ausgestatten Raum, bedingt durch das einfallende Tageslicht, herrschte.

Alles schien umsonst gewesen zu sein.

Sieben Leben (sein erstes zählte er aus gewissen Gründen nicht mit) waren umsonst gelebt worden. Ihm offenbarte sich nun mehr und mehr die Aussichtslosigkeit, jenes Ziel zu erreichen, das Cagliari sich selbst gesteckt hatte.

Um seine Mundwinkel legte sich ein leicht zynischer Zug, während er die Hand weiterhin über den Augen ließ. Seine Suche hatte diese ganzen vielen Leben hindurch (mit Ausnahme des ersten, das er nicht in einem Kunstkörper verbracht hatte) dem Wesen der Realität gegolten. Es schien wie ein grausamer Witz, daß gerade derjenige, der sich so lange um das Erkennen der objektiven Wirklichkeit bemüht hatte, nun in absehbarer Zeit in geistiger Umnachtung und völliger Bezugslosigkeit zur Realität enden würde.

Das war die Ungerechtigkeit des Universums, aber Cagliari war weit davon entfernt, es dafür zu verfluchen, denn gerade er hatte oft genug von dieser Ungerechtigkeit profitiert. Außerdem liebte er dieses Universum - mehr als gut für ihn war und natürlich unerwidert, denn das Universum ist tot.

Sein Gesicht entspannte sich ein wenig, und endlich nahm er die Hand von den Augen. Er erhob sich zögernd und bewegte sich langsam auf das große Fenster zu, durch das das Tageslicht einfiel.

Cagliari bewohnte eine weitgehend von der Außenwelt abgeschlossene Villa in der Nähe von Harrington auf Neuwelt. Durch das Fenster konnte man einen Teil des verwilderten Gartens sehen, der das Anwesen umgab.

Cagliari erinnerte sich noch gut an den vorhergehenden Besitzer, der ein Mann von ausgesprochener Hagerkeit gewesen war, mit schulterlangen, strähnigen grauen Haaren und hervorstehenden Wangenknochen.

Cagliari hatte ihn nach dem Grund für die Veräußerung der Villa gefragt, und jener Mann hatte ihm geantwortet, er wolle sich einen neuen Körper kaufen und seine gesamten Erinnerungsspeicher (mit Ausnahme eines gewissen Elementarwissens) löschen lassen.

»Aber wissen Sie eigentlich, was Sie da tun wollen?« hatte Cagliari bestürzt ausgerufen. Jener Mann hatte jedoch nur milde gelächelt und ruhig erklärt:

»Natürlich weiß ich das. Wissen Sie, ich habe soviel gesehen und erlebt, daß das Leben für mich kein Abenteuer mehr bedeutet. Die Welt hat nichts Magisches mehr für mich, nichts, was noch erforscht werden will.

Aber wenn ich jetzt vergesse, wird alles wieder neu sein und unvermutet.

Vielleicht auch aufregend.«

»Aber dieses Haus...« Cagliari hatte gezögert; in seinen Gesichtszügen war Unverständnis zu lesen gewesen. »Glauben Sie nicht, daß Sie es auch nach dem Vergessen noch gebrauchen könnten?«

»Nein.« Er hatte bedächtig den Kopf geschüttelt. »Nein, auf keinen Fall. Ich werde zu einer ganz anderen Persönlichkeit werden, zwangsläufig. Und diese andere Persönlichkeit wird nach einem anderen Haus verlangen, nicht nach diesem hier.«

Seitdem war nun schon eine lange Zeit vergangen, und Cagliari verstand diesen Mann noch immer nicht und würde es möglicherweise nie.

Konnte es tatsächlich sein, daß das Leben kein Abenteuer mehr bedeutete, weil alle Rätsel gelöst waren und man bereits alles wußte, was es zu wissen galt?

Er hielt das für äußerst unwahrscheinlich.

Es kam ihm sogar eher umgekehrt vor: Soviel Zeit und Energie man auch aufwandte, es gab immer noch Rätsel im Universum.

Ein frischer Luftzug wehte Cagliaris Haare durcheinander, als er das Fenster öffnete und sich hinauslehnte. Die Naturidylle mit dem rauschenden Bach und verwilderten Zierpflanzen übte einen beruhigenden Einfluß auf ihn aus, den er gerade jetzt auch bitter nötig hatte. Jedesmal nach einem überstandenen Anfall von Realitätsverfall wurde Cagliari (nach anfänglicher Lethargie) von für ihn geradezu unnatürlicher Unruhe und Hektik ergriffen, die ihn ziellos umherirren und manchmal stunden-, oft aber tagelang nicht zur Ruhe kommen ließ.

Er fühlte eine ungewohnte Leere in sich, die, verglichen mit dem Chaos, das während und kurz nach dem Anfall in ihm geherrscht hatte, angenehm war. Die Kühle von draußen erfrischte ihn, und er spuckte aus dem Fenster.

Erst jetzt bemerkte er, wie anstrengend der letzte Anfall gewesen war. Cagliari war schlapp und ausgelaugt. Und doch fühlte er den Drang, umherzulaufen, sinn-und ziellos durch die verwinkelten Korridore seines Hauses zu hetzen.

Es war ein seltsames Erlebnis, so ein Anfall.

Die verschiedenen zeitlichen Realitätsebenen vermischten sich, in der Vergangenheit Erlebtes vermengte sich auf oft groteske Art und Weise mit dem Augenblick, und es war einfach unmöglich, die Dinge auseinanderzuhalten.

Cagliari wandte sich vom Fenster ab und betätigte einen Knopf an der Wand, worauf sich eine Klappe öffnete. Ein kleines, rotes und das Licht ein wenig reflektierendes Dragee kam zum Vorschein; ein den Kreislauf stärkendes Mittel, das sich in solchen Fällen vielfach bewährt hatte. Cagliari nahm das geschmacklose Dragee, schluckte es und fühlte sich bereits wenige Augenblicke später besser und stärker. Seine Gedanken wurden wieder klarer, die Schwäche wich langsam aus seinen Beinen.

Cagliari bewohnte dieses riesige Haus schon mehrere Jahre allein; seit damals, als Greta gegangen war.

Oder er sie hinausgeworfen hatte.

Er konnte beim besten Willen nicht mehr genau sagen, wie das gekommen war, und es war in seinen Augen auch völlig nichtig.

Das Haus hielt sich automatisch und computergesteuert in Ordnung, und so hatte Cagliari viel Zeit (und doch zu wenig, wie er meinte), um über das Wesen der Realität nachzudenken, über Möglichkeiten, auf Erkenntnis- und Wahrnehmungsebenen von höherer Objektivität zu gelangen. Letzteres war möglicherweise das Hauptproblem.

Cagliaris Übersiedeln nach Neuwelt war ein solcher Schritt zu einer höheren Objektivitätsstufe genesen. Schon vor langer Zeit war die Beeinflußbarkeit menschlichen Denkens und Handelns durch die Sprache erkannt worden. Eine Sprache bedeutete weit mehr als nur eine Form der Verständigung. Sie war zugleich auch immer Denksystem und Wahrnehmungsfilter. Es gab Dinge, die in gewissen Sprachen einfach nicht formuliert und damit auch nicht gedacht werden konnten.

Auf Neuwelt sprach man Objektivsprache, eine Kunstsprache, die extra zum Zweck objektiverer Wahrnehmung und größerer Möglichkeit des Differenzierens von Sachverhalten geschaffen worden war. Cagliari (der 47 Sprachen fließend beherrschte) begann, sich für Objektivsprache zu interessieren - zunächst nur für die theoretisch-philosophischen, später jedoch auch für die praktischen Aspekte.

Er siedelte nach Neuwelt um und lernte in einem außerordentlich teuren und anstrengenden Hypnokurs diese verheißungsvolle Sprache - und inzwischen beherrschte er auch sie perfekt.

Ja, mehr noch! Objektivsprache wurde zur Sprache seines Denkens, zu jener Sprache, in der er sich wirklich zu Hause fühlte.

Ursprünglich war das Italienisch genesen und dann für eine Weile Italienisch und Neufranzösisch quasi gleichberechtigt, was wohl vor allem dadurch bedingt war, daß er mehr als achtzig Jahre in La Ville Blanche auf Neufrankreich gelebt hatte.

In anderen Sprachen hatte er sich nie wirklich wohlgefühlt, sie nie als seine eigenen akzeptiert, auch wenn er sie vollständig beherrschte.

Doch inzwischen war auch Objektivsprache zu eng für Cagliari geworden. Er spürte ihre Grenzen von Tag zu Tag deutlicher, ebenso wie die Grenzen seines Gehirns.

Etwas konfus und unvermittelt eilte er jetzt durch den großen, weißwandigen Raum und schaute sich immer wieder abrupt um, als erwartete er, daß unvermutet hinter seinem Rücken jemand auftauchen könnte.

An einer der Wände waren Musikinstrumente aufgehängt. Uralte Instrumente zumeist, die er für teures Geld privaten Antiquitätenhändlern abgekauft hatte. Er konnte keines von ihnen spielen und verstand überhaupt so gut wie gar nichts von Musik (hörte sie im übrigen auch nicht, da er sie mehr als Krach denn als Kunst empfand), aber er liebte diese Instrumente vom Optischen her und schätzte die Atmosphäre, die sie verbreiteten. Die Atmosphäre von Kultur.

Er kam vor einer Harfe, die er in S'ao Che auf Zeus gekauft hatte, für einen Augenblick zur Ruhe und gestattete sich ein paar sentimentale Gedanken, Greta betreffend.

Habe ich sie nun fortgeschickt, oder ist sie aus freien Stücken gegangen?

Er wußte es tatsächlich nicht mehr.

Wie es auch gewesen sein mag, ich habe mir nichts vorzuwerfen! Das hatte er sich schon tausendmal gesagt. Das unterschwellig vorhandene Schuldgefühl Greta gegenüber war deshalb jedoch nicht gewichen.

Er zupfte an den verstimmten Seiten der zeusianischen Harfe. Die klirrenden Dissonanzen, die er damit erzeugte, verscheuchten seine Gedanken rasch wieder von jenem gefährlichen Terrain, auf dem sie sich zuletzt befunden hatten.

Und sie ließen sich gerne vertreiben.

Von einem plötzlichen Impuls in Bewegung gesetzt, ging er zum anderen Ende des Raumes, wo sich eine automatische Schiebetür für ihn öffnete.

Cagliari ging hindurch, und die Tür schloß sich selbsttätig hinter ihm. Er hetzte dann stundenlang durch sein Haus und durch den Garten. Es war so, als müsse er nach dem Anfall alles erst wieder neu in Besitz nehmen und sich der Realität des Universums um ihn herum neu versichern,

*

Später besuchte ihn Ojo Nangre, ein Schwarzer, der sich seine Haare blond gefärbt hatte. Nangre war einer der wenigen Menschen, mit denen Cagliari überhaupt noch Kontakt hatte. Er kam hin und wieder vorbei, vorgeblich, weil er sich für Cagliaris Gedanken interessierte und mit ihm tiefschürfende Diskussionen über Realität und Universum zu führen liebte, in Wirklichkeit allerdings, weil er glaubte, daß der wunderliche Wirklichkeitssucher jemanden brauchte, der ab und zu nach ihm sah.

Sicher, das Haus war computerverwaltet. Aber das bedeutete durchaus nicht den Ausschluß sämtlicher Risiken.

Nangres Qualitäten lagen weit weniger auf dem Gebiet der Rhetorik und des Philosophierens, als vielmehr beim Zuhören, wodurch er in Cagliaris Augen das Bild eines aufgeschlossenen und undogmatischen Mannes darstellte - auch wenn der Schwarze, wie Cagliari hin und nieder anmerkte, die volle Tragweite und Dimension der Problematik Realitätsfindung nicht wirklich abzuschätzen in der Lage war. Nangre nahm solche Äußerungen der Geringschätzung für gewöhnlich mit einem gelassenen Lächeln hin, ohne weiter auf sie einzugehen - wußte er doch, daß Cagliari so etwas nie persönlich meinte. Außerdem war Toleranz eine der höchsten Tugenden auf Neuwelt, und Nangre, der hier geboren und erzogen worden war, hätte es mit diesem tief eingepflanzten Ethos niemals in Einklang bringen können, jemanden einer anderen Meinung oder Auffassung wegen zu beschimpfen, selbst wenn es sich um eine Einschätzung seiner eigenen Person handelte.

Eine andere Tugend auf Neuwelt war Ruhe und Gelassenheit, sowie Selbstdisziplin und Kontrolle eigenen Handelns durch den fortwährenden Versuch, auch sich selbst möglichst objektiv zu beurteilen. Das Ziel war die Selbsterziehung, die bewußte Mitgestaltung der eigenen Sozialisation und das dadurch erreichbare Höchstmaß an freiem Willen.

So besaß Nangre ein viel höheres Maß an Entscheidungsfreiheit (wobei die soziale Determination bei ihm natürlich nur eingeschränkt, nicht aber ausgeschaltet war) als Cagliari, der zwar die Sprache der Neuweltler angenommen hatte (da ihre Vorteilhaftigkeit auf der Hand lag), nicht aber ihren Lebensstil, wozu er im übrigen möglicherweise auch gar nicht fähig genesen wäre.

»Mögest du dich klar erkennen!« begrüßte Nangre seinen Gastgeber.

»Möge Gleichmut dich regieren!« erwiderte Cagliari und bot seinem Gast einen pneumatischen Sessel. »Was führt dich zu mir, Ojo?« fragte er, nachdem der Schwarze sich gesetzt hatte.

»Kein besonderer Grund, Fausto.«

»Kein besonderer Grund?« argwöhnte Cagliari und ließ dann ein etwas gezwungen wirkendes Lächeln über seine Lippen fahren. »Mein lieber Ojo, es geschieht nichts ohne Grund. Gar nichts. Im ganzen Universum gibt es nicht ein Molekül, das sich bewegt, ohne dafür einen ganz eindeutig definierbaren Grund zu haben. Und du kommst daher und sagst, du hättest keinen Grund, hier aufzutauchen!« Cagliari gestikulierte wild mit den Händen, sein Gesicht verzerrte sich beim Sprechen zu einer grotesken Maske. »Wenn jemand behauptet, es gäbe keinen Grund für eine bestimmte, von ihm begangene Handlung, dann kann das zweierlei bedeuten: Erstens besteht die Möglichkeit, daß er sich des Grundes nicht bewußt ist, und zweitens kann es sein, daß der Betreffende den Grund zwar kennt, ihn aber aus verschiedenen Gründen nicht verraten möchte. Ich frage mich nun, was in diesem Fall vorliegt.«

Eine kurze Pause folgte, dann entschuldigte Cagliari sich: »Ich glaube, ich bin wohl kein besonders guter Gastgeber, was, Ojo?«

Nangres einzige Reaktion war ein Hochziehen der Augenbrauen.

»Möchtest du etwas zu trinken?«

»Gerne.«

»Wie immer?«

»Wie immer.«

Cagliari gab einen mündlichen Befehl an den Hauscomputer, und nur wenige Sekunden später ließ dieser durch ein Antigravfeld Getränke heranschweben.

Nangre gab einen Laut der Anerkennung von sich.

Cagliari setzte sich jetzt ebenfalls und sah zu, wie Nangre sein Glas zum Mund führte.

Es herrschte eine leicht angespannte Stille. Er musterte seinen Gast aufmerksam, konnte aber in dem gleichmütigen Gesicht des anderen kaum etwas lesen.

»Ojo, ich stecke in einer Sackgasse.«

»Wenn du Hilfe brauchst...«

»Nein, ich meine das nicht auf die persönliche Ebene bezogen, sondern rein wissenschaftlich. Ich habe den Eindruck, als wolle sich das Universum einfach nicht enträtseln lassen.

Alles, was ich bisher unternommen habe, hat mich nicht sehr viel weitergebracht. Kleine Schritte, nur Tropfen auf den heißen Stein. Nicht mehr.«

»Ich mache mir Sorgen um dich, Fausto«, gestand Nangre.

»Unsere Wahrnehmung der Realität bleibt subjektiv«, erklärte Cagliari, ohne auf den Einwurf seines Gastes einzugehen. »So sehr wir sie auch objektivieren...

Um die objektive Wirklichkeit wahrzunehmen, müßten wir sämtliche Wahrnehmungen aller Wesen im Universum auf einmal wahrnehmen können, denn wenn es eine objektive Realität gibt, ist sie die Summe aller subjektiven Realitäten...«

»Ich sagte, ich mache mir Sorgen um dich«, wiederholte Nangre.

Cagliari wirkte ein wenig verblüfft, vielleicht sogar erschrocken.

Er runzelte die Stirn.

»Was?«

Ein völlig verkrampftes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, verschwand jedoch sofort wieder. »Du machst dir Sorgen? Um mich?«

»Ja. Schon seit längerem.«

»Aber warum?«

Cagliari hatte Nangre seine Anfälle sorgsam verschwiegen. War es am Ende schon so schlimm, das es jeder merkte, der sich in seiner Nähe aufhielt?

Die Neuweltler waren im allgemeinen gute Menschenkenner, und er traute Nangre durchaus zu, irgendwelche Absonderlichkeiten registriert zu haben, die er selbst gar nicht bemerkt hatte.

»Du solltest mal wieder unter Menschen gehen, Fausto. Du isolierst dich zu sehr. Langsam aber sicher wirst du hier verrückt.«

»Ich suche nach Erkenntnis.«

»Und? Was hast du in den letzten Jahren an Erkenntnis gewonnen?«

Cagliari wollte gerade ansetzen, da überlegte er es sich anders. Nangre hatte in der Tat recht. Es war keine nennenswerte Erkenntnis hinzugekommen.

Unzweifelhaft trat er auf der Stelle.

»Was interessieren mich die Menschen?« brummte er.

»Sie sollten dich interessieren, Fausto. Du bist einer von ihnen.«

»Die Menschen sind dumm, Ojo. Sie verstehen mich nicht. Auch du nicht.«

Und er dachte an Greta, die ebenfalls dumm gewesen war und ihn nicht verstanden hatte. »Außerdem...« Cagliaris Stimme bekam jetzt einen leicht aggressiven Klang. »Was gibt dir das Recht, dich in meine Angelegenheiten zu mischen?«

»Nichts«, erwiderte der Schwarze. »Ich sage dir das als dein Freund, Fausto, nicht als jemand, der sich um jeden Preis in deine Angelegenheiten drängen will.«

Freund, dachte Cagliari und zuckte unwillkürlich etwas zusammen.

Nangre war möglicherweise der einzige Freund, den er noch besaß, der einzige Mensch, den es kümmerte, was mit ihm war.

Sie tauschten einige Momente lang Blicke, wobei Cagliari hoffte, durch seine Augen nicht zuviel über seine innere Verfassung zu verraten, Und dann erinnerte er sich an seine Zeit auf Zeus, wo er einen Lehrstuhl an der Universität von Cunhal gehabt hatte.

*

Zeus war damals sie heute eine Entwicklungswelt, viele Jahrhunderte hinter Neuwelt zurück und mit Problemen belastet, die zu groß schienen, um von den Zeusianern selbst gelöst werden zu können. Überbevölkerung und Armut herrschten hier, es gab keine Gehirntransplantationen, keine Kunstkörper, keine Hypnoschulungen, sondern altmodische Lehranstalten, die einerseits uneffektiv waren und zum anderen nur einem kleinen Teil der Bevölkerung offenstanden.

Auf Zeus wurde Brasilianisch gesprochen, und deshalb hatte Cagliari diese Sprache auf einer der fortgeschritteneren Welten per Hypnoschulung gelernt. Aber er hatte das Brasilianische, trotz perfekter Beherrschung, gehaßt und sich nie in ihm wohlgefühlt. Gefühls- und erlebnismäßig war diese Sprache für ihn immer untrennbar mit all dem Schmutz und der Armut und der ungesunden Luft, die es dort gab, wo sie gesprochen wurde, verbunden.

Er war nicht lange in Cunhal auf Zeus geblieben.

Aber jetzt, in der Rückerinnerung, konnte Cagliari kaum verhehlen, einen gewissen Aspekt seines dortigen Aufenthaltes als äußerst angenehm empfunden zu haben: Für seine Studenten war er jemand gewesen, hatte etwas für sie bedeutet. Er erinnerte sich gut der fast ehrfürchtigen Blicke, mit denen man ihn bei so vielen Gelegenheiten stets bedacht hatte. Er war ihnen allen haushoch überlegen gewesen, was die Fülle seines Wissens anging, und irgendwie war es ein wunderbares Gefühl, dafür bewundert zu werden, im Mittelpunkt zu stehen, als Autorität angesehen zu werden.

Und was war jetzt?

Jetzt bedeutete er nichts mehr.

Für Nangre war er letztlich auch nur eine Art armer Irrer, der einige Schwächen im sozialen Verhalten aufwies und dem man helfen mußte.

»Ich brauche keinen Menschen!« rief Cagliari unvermittelt seinem Gegenüber entgegen. »Ich brauche niemanden!«

»Davon solltest du nicht zu sehr überzeugt sein, Fausto«, erwiderte Nangre ruhig.

»Warum bist du hier, Ojo? Um mich zu maßregeln? Um mir vorzuschreiben, wie ich zu leben habe?«

»Ich möchte dir helfen, das ist alles. Allerdings machst du es einem nicht gerade einfach.«

Cagliaris Züge waren verkrampft und hart. Mit der Zunge fuhr er sich über die Unterlippe. Er hatte schon immer einen gewissen Hang zum Einzelgängertum gehabt. Dabei fand der räumliche Abstand, den er zwischen sich und die anderen legte, seine Entsprechung im Geistigen:

Je größer sein Wissen wurde, desto mehr verstärkte sich dieser Trend zur Einsiedelei; er begann sich einsam zu fühlen und zwar auf die Art, wie sich ein Sehender unter Blinden einsam fühlen mag, da er das, was er sieht, mit niemandem teilen kann.

Das Wissen in seinem Gehirn lag in ihm begraben und war leblos und nur für ihn selbst, so schien es, von irgendeiner Bedeutung. Er diskutierte mit sich selbst, da sonst niemand seinen intellektuellen Standard besaß. Auch Nangre nicht, obwohl Cagliari dem Schwarzen zugestehen mußte, nicht gänzlich dumm und unzivilisiert zu sein.

Bei Greta war das anders gewesen.