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Wann schmeckt Kaffee am besten? Was ist die geheime Botschaft einer Pizza? Was sollte man beim Sushi-Essen vermeiden und worauf muss man bei der Weihnachtspute achten? Die Antworten auf diese und andere Fragen finden sich in den Beobachtungen von Bernd Finger, der zu einer genussvollen Reise durch Erinnerungen, Gerichte und Länder einlädt. Mit Liebe zum Detail, großer Sympathie für sein Sujet und feiner Komik beschreibt Finger quer durch die Jahrzehnte Familientraditionen und kulinarische Neuentdeckungen. So entsteht in lockerer alphabetischer Folge ein buntes Mosaik, das sich schließlich zu einer Erkenntnis zusammenfügt: Nichts verbindet die Menschen auf unserem Kontinent mehr als das Essen und Trinken in der Heimat Europa.
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Seitenzahl: 157
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Das Buch
Wann schmeckt Kaffee am besten? Was ist die geheime Botschaft einer Pizza? Was sollte man beim Sushi-Essen vermeiden und worauf muss man bei der Weihnachtspute achten? – Die Antworten auf diese und andere Fragen finden sich in den Beobachtungen von Bernd Finger, der zu einer genussvollen Reise durch Erinnerungen, Gerichte und Länder einlädt. Mit Liebe zum Detail, großer Sympathie für sein Sujet und feiner Komik beschreibt Finger quer durch die Jahrzehnte Familientraditionen und kulinarische Neuentdeckungen. So entsteht in lockerer alphabetischer Folge ein buntes Mosaik, das sich schließlich zu einer Erkenntnis zusammenfügt: Nichts verbindet die Menschen auf unserem Kontinent mehr als das Essen und Trinken in der Heimat Europa.
Der Autor
Bernd Finger, Jahrgang 1972, ist am Oberrhein aufgewachsen und hat an der Universität Freiburg studiert und gearbeitet. Auslandsaufenthalte führten ihn unter anderem an die Université Libre de Bruxelles, an die Deutsche Botschaft Budapest und an das Goethe-Institut Lyon. Er war als Lektor für Deutsch als Fremdsprache, Referent, Kulturattaché, Dozent, Studiengangkoordinator und Institutsleiter tätig. Derzeit leitet er das Europa-Referat des Wissenschaftsministeriums in Stuttgart. Dies Buch ist seine erste literarische Veröffentlichung.
Antipasti & Tapas
Apfel
Asien
Aubergine & Zucchini
Avocado
Banane
Beeren
Bier
Brot
Brötchen
Butterbretzel
Buffet & Menu
Caffee
Couscous & Merguez
Döner Kebab
Eis
Fast Food
Fisch & Meeresfrüchte
Fondue
Frühstück
Grillwurst
Gulaschsuppe
Hähnchen
Hackfleisch
Honig
Joghurt
Kartoffeln
Käse
Kraut & Rüben
Kuchen & Teilchen
Lángos
Lyoner
Mais
Mandarinen & Orangen
Melonen
Milch
Nudeln
Pfannkuchen
Picknick
Pilze
Pizza
Pommes frites
Proviant
Quark
Salat
Sandwich & Toast
Schokolade
Spinat
Spirituosen
Sprudel, Schorle, Saft
Suppe
Tee
Tischgebete
Tofu & Falafel
Tomate
Topfengolatsche
Weihnachtsgebäck
Weihnachspute
Wein
Zwiebeln & Knoblauch
Ich würde mich selbst eher als Grobschmecker bezeichnen. Auch sehr einfache Produkte und Gerichte können mir unheimlich gut schmecken, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Feinschmecker-Restaurants hingegen verunsichern mich; die Kellner dort geben einem das Gefühl, als wäre man für sie da und nicht umgekehrt. Aber egal, ob fein oder grob: In der Mitte meines Lebens – so Gott will – stelle ich fest, dass Geschmackserlebnisse mich immer begleitet haben und meiner Erinnerung Orientierung geben. Der Geschmack verbindet sich mit anderen Sinneseindrücken und wird zum Zugangscode für Schlüsselmomente, für Lebensphasen, für Entdeckungen und Empfindungen. Dies ist sicher nicht nur bei mir so. Wann immer Menschen sich einer Gruppe, einer Gegend oder einem Land zugehörig fühlen, machen sie das auch an bestimmten Lebensmitteln und Gerichten fest. Und wann immer Menschen und Kulturen miteinander in Kontakt treten ist der Austausch über ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede auch eine Frage des Geschmacks – in jedem Sinn, den das Wort zu bieten hat. Dass wir überhaupt auch von „Geschmack“ reden, wenn wir unsere Vorlieben des Sehens und Hörens beschreiben, lässt schon tief blicken. Der Geschmackssinn mag zunächst weniger essentiell als andere erscheinen. Aber er ist die einzige Wahrnehmungsart, die wir im Moment des Erlebens in uns aufnehmen, die wirklich Teil von uns wird.
All dies ist Grund genug für mich, dieser Spur nachzugehen. Die folgenden Aufzeichnungen gliedern sich in alphabetischer Reihenfolge nach unterschiedlichen Produkten, Speisen oder Essensanlässen und geben Erinnerungen wieder, die ich damit verbinde. Im besten Fall soll dieses Buch daher zunächst ein autobiographisches Mosaik bieten, das mein Leben aus der Perspektive des Gaumens beschreibt. Es kann ferner anekdotische Hinweise auf die Lebensgewohnheiten eines in den 1970er Jahren geborenen Mitteleuropäers liefern. Und es will schließlich ein paar Anregungen unterbreiten, den einen oder anderen Geschmack auch wieder einmal aufzusuchen oder zu probieren.
Worum es hier allerdings nicht gehen soll, das sind die zahlreichen ernährungspolitischen Diskussionen, die heute geführt werden. Ohne Zweifel: Wer was wo in welcher Menge und Qualität zu sich nimmt, kann weitreichende Folgen haben. Für die Gesundheit ganzer Bevölkerungsgruppen, für die wirtschaftliche Entwicklung vieler Nationen, ja sogar für Umwelt und Klima auf der ganzen Welt. Dennoch werde ich diese Fragen hier nicht erörtern, weil ich es nicht fundiert tun könnte und weil es hier eben um einen anderen – einen persönlich-biographisch-kulturellen – Zugang zum Essen geht. Das heißt aber auch, dass ich hier mitunter Genüsse preisen werde, die aus vielerlei Gründen gemieden werden sollten. Sei´s drum, sie gehören dazu!
Es sei noch erwähnt, dass ich für diese Aufzeichnungen kaum etwas recherchiert habe (außer vielleicht eine korrekte Schreibweise). Es ging mir nicht darum, möglichst viele Sachinformationen zusammenzutragen, sondern die Dinge so zu beschreiben, wie ich sie erinnere und wahrgenommen habe. Daher wird ein kritischer Leser sicher einige Fehler und Falschdarstellungen finden, die aber allesamt zu meiner konstruierten Realität gehören und deshalb hier ihren Platz haben.
Zu diesem Buch haben vor allem jene beigetragen, die mir die erwähnten Speisen zubereitet, vermittelt, geschenkt oder verkauft haben – und sei es auch nur eine Tüte Pommes. Ihnen allen gilt mein aufrichtiger Dank. Unendlich dankbar bin ich meiner Frau; ohne sie schmeckte das Leben fad.
***
Wie schön, dass uns der alphabetische Zufall die italienischen Antipasti an den Anfang dieser Betrachtungen stellt! Antipasti, die Vorspeisen aus Italien, und Tapas, die Zwischenmahlzeiten aus Spanien – das sind natürlich zwei recht unterschiedliche Themen, denen jeweils eigene Bücher gewidmet werden. Was sie aber verbindet, ist eine bestimmte Haltung, die in der deutschen Esskultur weniger verbreitet zu sein scheint. In dieser Haltung drückt sich zunächst eine tiefe Freude an der Vielfalt der heimischen Küche aus. Man kann es deshalb niemals bei einem einzigen Antipasto oder Tapa belassen (man merkt schon, wie deplatziert der Singular hier klingt). Man braucht fünf-sechs-sieben davon, damit das ganze einen Sinn ergibt. Erst dann kann man im geschmacklichen Reichtum, der sich einem bietet, schwelgen und jedes Mal ein kleines Erntedankfest feiern.
Hier schließt sich das zweite Element der Antipasti-Tapas-Haltung an: die Spielfreude. Wer Tapas oder Antipasti vorbereitet, ist ein homo ludens in der Küche. Er sucht sich seine Zutaten zusammen wie ein Kind Legosteine oder Playmobil versammelt, um dann in spielerischer Selbstvergessenheit die Dinge so zu kombinieren, wie es Lust und Laune gebieten. Wahrscheinlich liegt hierin auch ein Teil des Erfolgsrezeptes von Antipasti und Tapas: Die Freude am kulinarischen Spiel überträgt sich mühelos auf den Kunden oder Gast. Antipasti oder Tapas essen heißt, mitspielen zu dürfen, und das ist ja schon immer das größte Glück gewesen.
Jetzt ist es nur noch ein kleiner Schritt zu dem Element, das die hier beschriebene Haltung komplettiert: Es geht um die Freiheit, die mit dem Antipasti- oder Tapas-Essen verbunden ist. Hier muss man nicht ein ganz bestimmtes Gericht in einer ganz bestimmten Reihenfolge zu sich nehmen. Man hat die Freiheit, jene Auswahl und Abfolge zu treffen, die den eigenen Vorlieben entspricht. Und trotzdem bleibt die Gemeinschaft mit den anderen Anwesenden ungebrochen. Jeder trifft seine Wahl; alle respektieren einander; das Gemeinwesen funktioniert. Ein wahrlich demokratischer Genuss!
So, nun habe ich drei Abschnitte lang Antipasti und Tapas gelobt und dabei kein einziges konkretes Beispiel genannt. Ich kann verstehen, dass der eine oder die andere ungeduldig wird und wissen will, aus welchem Honig ich hier die spielerische Haltung der Vielfalt und Freiheit sauge. Aber genau dann würde ich Ihnen ja durch die von mir vorgesetzten Bilder einen Teil des beschriebenen Zaubers nehmen. Gehen Sie selber los! Suchen Sie sich Ihre Antipasti und Tapas aus – auch wenn es vielleicht gar keine sind.
In der Sprache der Sozialwissenschaften würde man den Apfel vielleicht als game changer bezeichnen. Wo er auftaucht, bleibt nichts, wie es war: Eva isst einen harmlos aussehenden Apfel – und die ganze Menschheit wird für immer aus dem Paradies verbannt. Wilhelm Tell schießt einen Apfel vom Kopf seines Sohnes – und fortan spielt die Schweiz jahrhundertelang auf der Weltbühne ihre ebenso neutrale wie geschäftstüchtige Rolle. Issac Newton fällt ein Apfel auf den Kopf – und Generationen von Schülern plagen sich mit Gravitationslehre und klassischer Physik.
Ich glaube, der Apfel hat seinen Weg in diese und andere Geschichten gerade wegen seiner Alltäglichkeit gefunden. Wenn man will, dass sich jemand eine Geschichte merkt, muss man etwas darin einbinden, das ihm vollkommen vertraut und natürlich ist – wie einen Apfel. Wenn man Identifikation erreichen will, hilft ein beiläufig erwähnter oder gezeigter Apfel dabei, die Distanz zu verringern. Deshalb haben die mittelalterlichen Kaiser auch einen Reichsapfel aus Gold mit sich herumgeschleppt. Deshalb nennen die Einwohner der gefühlten Welthauptstadt ihre Heimat big apple. Und deshalb kommen die coolsten Computer oder Handys – na, Sie wissen schon.
Und doch hat es der herkömmliche Apfel in unserem Alltag nicht immer ganz leicht. Wir sind es so sehr gewöhnt, süße, weiche, gefällige und für uns optimierte Lebensmittel zu essen, dass ein durchaus knackiger und saurer Apfel uns zunächst Überwindung kostet. Aber wie das mit der Überwindung so ist: Sie lohnt sich meistens. Nach zwei-drei Bissen hat man die erste Scheu abgelegt und freut sich an der einzigartigen Knackigkeit, der sauren Frische und an dem Versprechen ewiger Gesundheit, das uns der Apfel verheißt: An apple a day keeps the doctor away! – Dies war wohl der erste zusammenhängende Satz in englischer Sprache, den ich in meinem Leben gelernt habe und entsprechend tief hat er sich in meine Erinnerung gegraben. Ich esse keinen Apfel, ohne dass in einem Moment kurz diese englische Lebensweisheit in mir aufblitzt und ich mich angenehm bestätigt fühle.
Wenn man nun den Schritt vom naturbelassenen Apfel zu all den Zubereitungsmöglichkeiten vollzieht, die er bietet, wird einem fast schwindelig. So sehr, dass man sich zunächst bei einem Glas Apfelschorle – dem unangefochtenen Nationalgetränk der Deutschen – erholen muss. Aus dem Reich der süßen Speisen erwähnen wir hier nur den klassischen Apfelkuchen, den die geschickten Konditoren gerne als „Omas Apfelkuchen“ verkaufen, weil sie wissen, dass man dieser Assoziation nicht widerstehen kann. Interessanter wird es jedoch, wenn wir den Apfel mit über die Grenze in die Welt der pikanten Genüsse nehmen. Hier ist er ein Exot, ein Außenseiter, der sich immer wieder gegen Zweifler durchsetzen muss. Drücken wir ihm dabei die Daumen! Sei es im riesigen Römertopf, in dem die Weihnachtspute meines Vaters schmort (siehe dort); sei es im gut gewürzten Apfel-Fenchel-Salat, vor dem jede Erkältung kapituliert; sei es in dünnen Scheiben auf einem herzhaften Sandwich. Er bleibt sich treu: Auch hier ist der urvertraute Apfel ein change agent, der alt bekannten Gerichten einen neuen geschmacklichen Dreh verpasst. Auch nach uns wird er seinen Weg durch die Küchen, Kittel und Kulturen der Welt unbeirrt fortsetzen.
Die Grenze zwischen Europa und Asien verläuft auf der Treppe ins Untergeschoss. So war das bei meinen Eltern. Sie haben über Jahrzehnte hinweg Studierende aus allen Winkeln der Welt bei sich wohnen gehabt. Häufig auch Asiatinnen, die uns in den 80er Jahren bei den ersten Gehversuchen auf dem genauso unbekannten wie faszinierende Terrain der asiatischen Küche halfen. So lernten wir aus Indonesien Nasi Goreng kennen. Wir Kinder freuten uns doppelt: über den lustigen Namen und darüber, dass Reis und Gemüse lecker schmecken können. Später lernten wir sogar den Unterschied zu Bami Goreng und konnten die verblüfften Nachbarsjungs mit unseren Indonesisch-Kenntnissen beeindrucken. Wer darauf schnippisch reagierte, wurde kurzerhand als Orang Utang beschimpft. Gut zum Angeben eignete sich auch Kroepoek; einerseits, weil niemand zuvor davon gehört hatte und andererseits, weil alle ehrfürchtig zusammenzuckten, wenn wir erklärten, dass das Chips aus Krabbenfleisch seien, die lecker auf der Zunge bitzeln. Und da man als junger Mensch ein Faible für miese Streiche hat, haben wir den ganz Ahnungslosen gerne einen guten Teelöffel voll Sambal Oelek angeboten. (Erst Jahrzehnte später wurde mir klar, dass wir „Kröpök“ immer falsch ausgesprochen hatten. Die Schreibweise stammt aus dem Niederländischen, wo ein „oe“ als „u“ ausgesprochen wird, „Krupuk“ also. Es muss demnach auch „Sambal Ulek“ und nicht „Ölek“ heißen, was mich immer noch irritiert.)
Ich glaube, dass die erste Mango bei uns nicht aus dem Supermarkt kam, sondern von Mitbewohnern aus Übersee präsentiert wurde. In jedem Fall war das bei Litschi so, jenen süßen Früchten mit parfumartigem Aroma. Über meine hellauf begeisterte Reaktion auf die erste Litschi ist der Satz überliefert: „Ich könnte von Litschi leben.“ Später habe ich mein Lob etwas zurückhaltender ausgedrückt, aber hingerissen war ich trotzdem, als die Studentin aus Japan uns geduldig erklärte, wie man Sushi isst (siehe dort) und uns mit Tempura, Gemüsestücken im Teigmantel frittiert, verwöhnte.
Chinesisches Essen haben wir – ehrlich gesagt – nicht zuhause, sondern im Urlaub in England kennen gelernt, wo wir uns von einem Chinese Food to Take Away zum anderen durchschlugen. Aber ohne die anderen asiatischen Kulturmittler in unserem Haus, wären meine Eltern vielleicht nicht so weit gegangen, mein Konfirmations-Festessen (im Jahre 1987) von einem chinesischen Restaurant vom anderen Ende der Stadt her bringen zu lassen. Mir gefällt der Gedanke, dass das Fest zur Bestätigung meines christlichen Glaubens auf diese Weise einen subtilen konfuzianischen Beigeschmack erhielt.
Bei anderen asiatischen Geschmacksrichtungen werde ich unsicher: Wo habe ich zum ersten Mal die Kokosmilch- und Erdnussvariationen der thailändischen Küche kennengelernt? Wann wurde ich erstmals Zeuge der intensiven Geruchswelt indischer Gerichte? Wie habe ich auf die erste Portion koreanischen Kim-Chis – mit dem eigentümlichen Kohl- und Knoblauchgeschmack – reagiert? – In jedem Fall möchte ich mich so tief vor der asiatischen Küche verneigen, dass dies auch ein konservativer Japaner als Ehrerbietung verstehen würde. Ich will nicht so weit gehen, zu behaupten, dass die asiatische Küche der europäischen „überlegen“ sei, denn dies wäre ein typisch europäischer Gedanke. Aber eine Bewusstseinserweiterung darf man es schon nennen, was uns Menschen aus Asien an (oft auch sehr gesunden) Genüssen mitgebracht haben. Ich bin dankbar, dass ich – Jahre bevor ich erstmals asiatischen Boden betrat – diese kulinarische Grenze in meinem Elternhaus übertreten durfte.
Ich weiß nicht, ob es im Reich des Gemüses so etwas wie Geschwisterschaft gibt. Doch es sieht ganz so aus: Aubergine und Zucchini sind zwar keine Zwillinge. Dafür sind die Unterschiede in Form und Farbe zu offensichtlich. Aber Geschwister sind sie wahrscheinlich schon. Sie treten sehr oft zusammen auf und sie treten ein für die Werte und den Anspruch ihrer Familie: natürliche Eleganz und mediterraner Stolz.
Deshalb zieht, wer das Privileg hat, sie zu genießen, innerlich den Hut vor diesem geschmackvollen Geschwisterpaar. Auf dem Grill lassen sie die nebenan brutzelnden Würste recht profan aussehen und geben der ganzen Veranstaltung ein anderes Niveau (zur Freude der anwesenden Vegetarier). In der Pfanne wandeln sie ihre Gestalt und nehmen duftverströmend eine unendlich verführerische Konsistenz an. Im Ofen lassen sie sich bereitwillig überbacken und werden ihrer tragenden Rolle würdevoll gerecht.
Doch zur Höchstform laufen die Geschwister erst auf, wenn ihre Cousins dabei sind. Ich spreche vom Ratatouille. Da sind sie dann zu sechst: Aubergine und Zucchini, unterstützt und umringt von Tomate und Paprika, Zwiebel und Knoblauch. In diesem bunten Sechseck entsteht schmorend, wie ich meine, das beste Gemüsegericht der Welt: Sechs individuelle Geschmacksnoten, die perfekt aufeinander abgestimmt sind und ein harmonisches Ganzes ergeben. Eine Hymne an die provenzalische Lebenskunst, die im Schein der Sonne und im Duft der Landschaft kunstvoll erklingt.
Und ich habe noch einen Superlativ zu bieten: Die beste Pizza der Welt – zumindest für mich – ist diejenige, auf der Aubergine und Zucchini sich mit Ziegenkäse zu einer unschlagbaren Allianz verbünden. Das Beste aus dem Garten und von der Weide! Zum Glück ist diese Pizza noch ein Geheimtipp, den nicht jeder Pizzabringdienst im Standardangebot hat. Man findet sie eher bei den alteingesessenen Pizzerien, die sich noch in italienischer Familienhand befinden. Dort weiß man, wie wichtig geschwisterliche Bande sind.
P.S.: Wie bei allen Geschwisterpaaren treten auch hier gelegentlich Abgrenzungstendenzen und Konkurrenzkampf auf. So hat die Zucchini sich entgegen alle Absprachen auf das Terrain der süßen Speisen hervorgewagt. Das zucchini bread, das meine Frau aus ihrer Zeit in den USA mitgebracht hat, ist ein fantastischer Kuchen! Schlicht im Anblick, ohne großen Firlefanz, aber von einer atemberaubenden Saftigkeit.
Es ist ein häufiges Motiv in diesem Buch, dass Lebensmittel oder Gerichte für eine bestimmte Charaktereigenschaft stehen. So auch bei der Avocado: Sie ist das Sinnbild für Großzügigkeit. Keine andere Frucht beschenkt den, der sie öffnet mit einem so reichhaltigen Geschmack, der sich in jeder Faser ihres Fruchtfleisches offenbart. Klar, die richtige Reife muss sie haben. Und man muss sich etwas geschickt anstellen, damit einem der kugelrunde Kern (oder Stein?) nicht aus der Hand flutscht, herunterfällt und bis unter den Herd über den Boden kullert. Aber wenn diese kleine Ablenkung überwunden ist, kann man sich dem großzügigen, ja verschwenderischen, Genuss widmen. Wie bei allen vortrefflichen Lebensmitteln braucht man nur eine Prise Pfeffer und einen Hauch von Salz. Wenn man ein Essen für zwei Personen vorbereitet, hat man mit einer einzigen Avocado im Handumdrehen – halbiert auf einer Untertasse – eine stilvolle Vor-Vorspeise gezaubert und kann sich als großzügiger Gastgeber fühlen.
Mein Bruder und ich mussten noch sehr klein gewesen sein. Aus irgendeinem Grund hatten wir zwei junge Schwedinnen zu Besuch und aus irgendeinem anderen Grund waren wir Kinder alleine mit ihnen zu Hause. Irgendwie haben uns dann die Schwedinnen zu verstehen gegeben (auf Englisch?), dass sie hungrig seien. Ich weiß nicht, ob in Schweden kleine Kinder öfters die Gäste bekochen, aber wir waren, ehrlich gesagt, etwas überfordert. Doch dann hatte mein Bruder – der ältere von uns – die Idee und schritt zur Tat: Er holte eine Banane aus dem Kühlschrank, schälte sie fachmännisch, legte sie in einen tiefen Teller – um sie dann vor den Augen der entgeisterten Schwedinnen nach Herzenslust mit einer Gabel zu zermantschen. Als von der armen Banane nur noch ein leicht schaumiger Brei übrig war, schob er den Teller strahlend zu unseren Gästen hinüber.
Die Schwedinnen haben abgelehnt. (In der Rückschau hätte ich von Gästen aus Skandinavien etwas mehr Coolness erwartet.) Und die freundschaftlichen Beziehungen unserer Familie nach Schweden haben in den folgenden Jahren merklich abgenommen. Ob das mit der Bananen-Episode zusammenhing, vermag ich nicht mehr zu beurteilen. Mein Bruder ist übrigens leider kein Koch geworden. Sonst hätte dies eine nette Anekdote über die ersten Gehversuche in seinem künftigen Metier werden können.
Auch wenn unsere Vorliebe für Bananenbrei mit der Zeit verflog; die Banane blieb und bleibt ein treuer Begleiter: Vor allem unterwegs, dank ihrer äußerst benutzerfreundlichen Beschaffenheit. Aber auch in vielerlei Kombinationen: Als Bananenscheibe auf kleinen Brotstücken, die meine Mutter zum Fernsehabend reichte. Als Bananenstücke im Müsli. Als Banana Split – viel zu selten. Als Bananensaft im Kiba oder Baki, je nachdem. Als Zutat zur süß-sauren Currysoße. Und als Magnesiumquelle, nach deren Genuss man sich eine entspannende Wirkung einbilden kann.
Noch eines: Als Westdeutscher empfinde ich tiefe Scham darüber, dass die Banane in der Wendezeit für allerlei grobe Witze von Wessis über Ossis herhalten musste. Die Urheber dieser arroganten Sprüche müsste man mit einer zermantschten Banane von meinem Bruder bestrafen.