Der giftige Flügelschlag im Inneren der Struktur - Bàra Wiebke Grollius - E-Book

Der giftige Flügelschlag im Inneren der Struktur E-Book

Bàra Wiebke Grollius

0,0

Beschreibung

Es hätte so schön sein können: Der Flugplatz Moorheide lag idyllisch inmitten eines wunderschönen Naturschutzgebietes. Mit großer Rücksicht auf Menschen, Tiere und Pflanzen wurde dort leidenschaftlich Luftsport betrieben. Eines Tages konnten gewisse Unstimmigkeiten nicht mehr verleugnet werden. Plötzlich war nicht nur eine einzige Schraube locker, sondern die bis zu diesem Tag Vertrauen erweckende Flugsicherheit stand weltweit auf dem Spiel. Der giftige Flügelschlag im Inneren der Struktur ist der zweite Band aus der dreiteiligen Reihe Privatdetektivin Anne Falk ermittelt. Bisher ebenfalls bei BoD - Books on Demand erschienen ist Band 1 "Die Rote Flut".

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 253

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bàra Wiebke Grollius (B.Sc. Psychologie), geboren 1973 in Hamburg, lebt mit ihrer Familie in Bremen. Nach dem Abitur wurde sie zunächst Bankkauffrau und arbeitete im Anschluss in verschiedenen kaufmännischen Berufen in Hamburg, Berlin und Frankfurt, bis sie in Bremen eine eigene Familie gründete. Während der ersten Jahre absolvierte sie ein Psychologiestudium und schloss mit einem Bachelor of Science ab. Als sich schließlich die intensive Familienarbeitszeit dem Ende zuneigte, entdeckte sie das Schreiben für sich und fand großen Gefallen daran.

Wichtige Rahmendaten

Personen und Hund in der Reihenfolge ihres aktiven

Auftretens

Merle Neuhaus – stürzt mit HE3721 ins Meer

Lena – Ehefrau von Mike

Mike – Flugvereinsmitglied und Vater von Kay (10 Jahre) und Aleyda (8 Jahre)

Kay – Lenas und Mikes Sohn

Melinda Wickler – Bens Ehefrau, Rechtsanwältin

Hans Kätner – wohnt neben dem Flugplatz,

Verpächter der Landfläche für den Flugverein Moorheide

Fritz – Herrn Kätners langfähriger Freund im

Flugverein

Anne Falk – Privatdetektivin, Ehefrau von John

Luka – Annes und Johns fast 15jährige Hündin

Ben Wickler – Privatdetektiv und Journalist, Annes Detekteipartner

John Falk – Annes Ehemann

René – Sprachrohr der jungen Erwachsenen im Flugverein

Robert – langjähriges Mitglied im Flugverein

Maximilian – unterstützt René im Flugverein

Marianna – Flugvereinsmitglied, Ärztin, Frau von Micha

Micha – Narzisst wie aus dem Lehrbuch

Manfred – langjähriges Mitglied im Flugverein

Rainer – langjähriges Mitglied im Flugverein

Judith – langjähriges Mitglied im Flugverein

Jutta – neues Flugvereinsmitglied, durch ihren

Ehemann Kurt zum Fliegen gekommen

Aryan – arbeitet als Mechatroniker, 26 Jahre alt, Flugerfahrung: acht Jahre, Flugvereinsmitglied

Ken Korkita – Neumitglied im Flugverein

Ella Korkita – Frau von Ken Korkita, Flugschülerin

Marten Müller – neuer erster Vorsitzender

Anton – arbeitet als Fluggerätemechaniker, 27 Jahre alt, Flugerfahrung: neun Jahre, Vereinsmitglied

Harry – fliegt die India Whisky in Moorheide

Iris – Mitglied im Flugverein, hat Angst vorm Fliegen, Ehefrau von Ecki

Johanna – Ingenieurin, Flugschülerin

Eike – Flugschüler

Ansgar Hohenfels – neuer Fluglehrer, ortsunkundig

Dietmar Drossel – Ausbildungsleiter Flugschule Moorheide

Karsten – Vater von Tjark

Tjark – Sohn von Karsten, seit einem Jahr Flugschüler

Marga – Tjarks Mutter, Karstens Ehefrau

Tessa – langjähriges Mitglied im Flugverein,

Kuchendame und gute Seele

Oskar Varken – Leiter Drohnentestflug Firma

Herr Meyer –ehemaliges Vereinsmitglied

Richard – Kays Schulfreund

Anton – Fluggerätemechaniker, 27 Jahre alt,

Werkstattteam

Kirk – arbeitet als Luftfahrtingenieur, 45 Jahre alt, Flugerfahrung: 20 Jahre, Werkstattteamleiter

Cassandra – arbeitet als Maschinenbauerin, 39 Jahre alt, Flugerfahrung: 10 Jahre, Werkstattteam

Elena Mostel – Unternehmerin

Marc Cezanne – Flughafenchef Bremen

Resistentia Aeronautica – Klimaaktivisten weltweit

(lat.: Widerstand gegen die Luftfahrt)

Hilke und Dieter – Annes Eltern

Edna – ehemalige Schulfreundin von Anne mit

Kontakten in die Klimaszene

Arwin Fuchs – Moderator bei NordNord1

Fred Humball – Annes Kontakt bei Nerdex

Martha Meikowsky – Freundin von Anne

Frank Vorlieb – Elena Mostels engster Mitarbeiter

Michael – Annes zweiter Kontakt zur Kriminalpolizei

Professor Murahni – Wissenschaftler

Herr Balínt – Wissenschaftler

Inhalt

Kanzlei Wickler

Abendessen unter Freunden

Luftsportverein Moorheide

Mariannas Anhängsel

Luftsportverein Moorheide

Flugfreude

Ein neuer Auftrag

Alarm im Cockpit

Stahlinsekten

Die Lage spitzt sich zu

Mäusepfoten

Zu kurz gedacht

Windräder

Das Erbe der Vorfahren

Ein weltweites Problem

Gift

Ambivalenzen

Tödliche Gedanken

Das andere Insektensterben

Zurück zur Normalität

Gedanken zur Realität

Danksagung

Weitere Bücher

Kanzlei Wickler

„Frau Wickler, ich wohne in dritter Generation auf diesem Hof in unmittelbarer Nachbarschaft zum Flugplatz. Es hat bisher noch nie Streit gegeben.“

„Wirklich noch nie, Herr Kätner?“

„Wirklich noch nie, Frau Wickler. Klar gab es immer mal wieder Unterhaltungen über den Fluglärm. Aber die Leute drüben im Verein halten sich seit den Absprachen an die Mittagsruhezeiten und abends, wenn es dunkel wird, dürfen sie ja sowieso nicht mehr fliegen.“

„Und wie ist es nun zu der aktuellen Situation gekommen, deretwegen Sie hier sind?“

„Naja ich bin mal wieder ‘rüber, um ein bisschen zuzusehen. Wissen Sie, ich finde das ja immer noch spannend, was die da machen. Mein Freund Fritz nimmt mich öfter mal mit. Früher bin ich auch selber geflogen!“

„Das klingt interessant, Herr Kätner!“

„Ja, und als ich diesmal auf dem Weg nach drüben war, sah ich aus einiger Entfernung ein merkwürdig olivgrünes kastenförmiges Auto neben dem Vereinsheim stehen. Es sah im ersten Moment aus wie ein Bundeswehrfahrzeug, aber dann konnte ich ein Firmenlogo erkennen, das mich irgendwie an den Karneval im Rheinland erinnerte. Die Schrift konnte ich leider nicht lesen.“

„Und was war daran merkwürdig?“

„Naja, in der momentanen Situation mit Russland und der Ukraine ist das doch schon merkwürdig, finden Sie nicht? Ich mache mir Gedanken um konkrete Bedrohungen und nicht um theoretische Überlegungen. Ist das bei Ihnen nicht auch so?“

„Nein.“

„Na, bei mir aber schon. Ich bin ja viel älter als Sie und habe den zweiten Weltkrieg miterleben müssen. Wer weiß, welche Wendung der Konflikt im Osten spontan nimmt?“

„Hmm …kommen wir zurück zu Ihrem Anliegen, Herr Kätner. Mal der Reihe nach.“

„Nun gut. Fritz erzählt mir regelmäßig, wie es im Verein drüben so läuft. Es ist ja ein ständiges Auf und Ab, je nachdem, wer gerade den Vorsitz hat. Manche Präsidenten führen den Verein sehr souverän. Dann läuft es gut. Aber zwischendurch kommen immer mal wieder Menschen ans Ruder, die ihr wahres Gesicht erst nach der Übernahme des Amtes zeigen. Dann läuft es nicht so gut.“

„Was hat Fritz Ihnen denn erzählt?“

„Diesmal war es so, dass es Querelen wegen der veralteten Flugzeugflotte gab. Die Überstimmten traten aus. Der Verein hatte zu wenig Mitglieder. Es wurden zügig neue Mitglieder angeworben. Und dann haben diese Neuen angefangen alles an sich zu reißen, meinte Fritz. Fritz, das ist mein Freund, schon seit Jahrzehnten, wir wohnen beide hier im Dorf und er fliegt die Kisten immer noch. Und er nimmt mich immer noch oft mit und erzählt natürlich auch immer mal was. Ja und aufgrund der neuesten Entwicklungen denke ich ja auch, dass die Neuen da irgendwelche komischen Sachen veranstalten.“

„Also dort wird nachwievor geflogen, richtig? Und dem Verein geht es gut, oder?“

„Nein, eben nicht. Transparenz gibt es überhaupt nicht mehr!“

„Wirklich? Das klingt merkwürdig, das müssen Sie mir erklären, Herr Kätner.“

„Das will ich gern versuchen.“

Hans Kätner erläuterte, was er alles so mitbekommen hatte und weswegen er nun der Meinung war, dass die Vorkommnisse im Verein nicht mit rechten Dingen zugehen konnte.

„Ja und dann steht da dieses Fahrzeug. Ich meine, das ist Naturschutzgebiet. Der Betrieb des Flugplatzes ist von daher schon hart an der Grenze. Und das mit Russland und so … was macht denn jetzt dieses merkwürdige Auto auf dem Flugplatz? Man könnte glatt meinen, die üben da für den nächsten Krieg!“

„Auf die Frage, ob das so sei, haben Sie dann wahrscheinlich keine zufriedenstellende Antwort erhalten, richtig?“

„Genau“, antwortete Kätner.

Er fuhr fort:

„Sie haben grad ihre Startbahn ganz neu gemacht, ebenso das Vereinsheim, und wissen Sie was? Das ist alles viel teurer geworden, als auf der zugehörigen Mitgliederversammlung abgestimmt worden war. Angeblich, weil die Zeit drängte und wegen der Energiekrise alles immer teurer würde.“

Herr Kätner hielt einen Moment inne. Dann fuhr er fort: „Was ist, wenn die da jetzt irgendwas machen, was den Verein in Schwierigkeiten bringen könnte?“

„Was meinen Sie denn damit konkret, Herr Kätner?“

„Naja, was wäre, wenn sie sich mit den Drohnenversuchen in Schwierigkeiten bringen würden, weil die vielleicht gegen irgendwelche Gesetze verstoßen? Außerdem, für die Wartung der Flugzeuge, für Ersatzteile und Reparaturen muss immer eine ausreichend hohe Summe Geld vorgehalten werden, das gegenwärtig immer weniger wird. Fritz redet viel über Flugzeugwartung, aber ich weiß das auch noch aus meiner eigenen aktiven Zeit.“

„Und Sie wollten jetzt wissen, ob die da irgendetwas vorhaben, was nicht ganz korrekt ist. Weil das ja Naturschutzgebiet ist. Und weil man durch die allgemeine Lage verunsichert ist, oder?“

„Ganz genau so, Frau Wickler. Sie können aber gut kombinieren.“

„Ich habe lediglich zusammengefasst, was Sie gerade geäußert haben, Herr Kätner.“ Melinda lächelte Herrn Kätner freundlich an. Dann dachte sie einen Moment nach. Sie konnte Herrn Kätner rechtlich etwas beraten, sah jedoch noch nicht die Grundlage für einen juristischen Fall. Die Behauptung schwieriger Vorgänge grenzte an Rufmord, da musste man ganz vorsichtig sein. Und beweisen müsste man das auch. Sie war aber nicht die Polizei. Solange Herr Kätner nur seine eigene Meinung äußerte, war er auf der sicheren Seite. Sobald er aber anfing, das Gehörte und Erlebte als unumstößliche Fakten darzustellen, begab er sich auf gefährlichen Boden. Sie erklärte es ihm.

Dann hatte Melinda eine Idee, die sie jedoch noch für sich behielt.

„Herr Kätner, ich würde mich in ein paar Tagen wieder bei Ihnen melden, ja?“

„Sie kümmern sich also darum?“

„In gewisser Weise, ja. Ich melde mich dann bei Ihnen.“

„Da danke ich Ihnen schonmal, Frau Wickler!“ Herr Kätner stand auf, reichte Melinda auffordernd die Hand, die diese jedoch wie so viele Menschen inzwischen wegen der überstandenen Pandemie dezent ausschlug. Stattdessen geleitete Melinda Herrn Kätner freundlich zur Tür, bedankte sich höflich bei ihm für sein Vertrauen, wiederholte, dass sie sich zeitnah melden würde und wünschte Herrn Kätner einen schönen Tag. Das Taxi für Herrn Kätner stand bereits bereit. Es würde ihn direkt zurück zu seinem Hof bringen.

Abendessen unter Freunden

Piep, piep, piep. Das allzu bekannte Geräusch erinnerte Anne Falk daran, dass sie sich um ein bisschen öden Haushalt zu kümmern hatte. Anne öffnete die Waschmaschinentür, zog die ersten Kleidungsstücke aus der Trommel, ließ sie in einen Wäschekorb fallen und hatte auf einmal dieses viel zu kleine Kleidungsstück in der Hand. Es passte überhaupt nicht mehr zum Rest der Wäsche. Das Etwas würde an einem Sechsjährigen gut aussehen. Es war blaugrau, hatte einen V-Ausschnitt und war aus Wolle. Ärgerlich über ihre eigene Schusseligkeit runzelte sie die Stirn und betrachtete das Stück Schrumpfwolle in ihrer linken Hand. Mit der rechten Hand griff sie in den Kragenausschnitt und fand ein Schild mit dem Aufdruck Cashmere feeling. Auf dem Schild mit der Waschanleitung, welches sie mühselig aus dem Knäuel herauspulte, stand, dass dieses Teil nur mit Handwäsche gewaschen werden solle. Zu spät. Der neue edle Seelenwärmer hatte seine Chance auf ein wunderbares Dasein am Körper ihres Mannes gehabt. Anne machte sich über den unaufmerksamen Waschgang nicht mehr allzu viele Gedanken. Das liebevolle Geschenk war hinüber und das war nicht mehr zu ändern. Ab damit in die Mülltonne, oder könnte man damit noch irgendetwas Sinnvolles anfangen? Einen Kissenbezug nähen vielleicht, oder ihn zerschneiden und Teile davon als Glasuntersetzer oder Stuhlgleiter verwenden? Ach nein, lieber nicht. Zuviel zweckentfremdeter Aufwand. Das ruinierte Waschergebnis verschwand in der Mülltonne. Aus den Augen, aus dem Sinn. Missgeschicke beim Wäschewaschen passierten eben. Schade drum. Anne dachte nach. Aus welchem Grund passierten ihr beim Waschen derartige Anfängerfehler? Vermutlich lag es daran, dass sie zeitweilig sehr erschöpft war. Auf die wirklich wichtigen Dinge fokussierte sie ihre ganze Energie, Wäschewaschen gehörte nun mal nicht dazu.

Die letzten Nächte mit Luka, ihrer 14-jährigen und herzkranken Hündin, waren anstrengend. Luka hatte nicht durchgeschlafen. Anne konnte auch immer noch nicht ausschlafen, weil Luka spätestens um 05:30 Uhr wieder hinaus in den Garten musste. Es war bereits ein Geschenk, dass Anne zwischenzeitlich immer mal wieder ein paar Nächte am Stück Ruhe hatte. Bis auf das fiese Husten von Luka wurde die Nachtruhe dann nicht unterbrochen. Anne hatte sich Ohrstöpsel beim Hörgeräteakustiker maßanfertigen lassen, damit sie durch Lukas Husten nicht mehr markerzitternd erschreckt wurde während sie sich ausruhte.

Was man nicht alles für sein geliebtes Haustier tat. Wer war nun aber wichtiger, ihr Mann, sie, oder der Hund? Vielleicht sollte Anne ihre Prioritäten mal auf den Prüfstand nehmen. Immerhin rafften sie und ihr Mann sich mehrfach in der Woche abends zu einem gemeinsamen Spaziergang auf. Genügend Sport war das für Anne auf keinen Fall. Auch darüber musste sie bei Gelegenheit nachdenken. Es könnte schwierig werden, im Umgang mit dem alten Hund etwas zu verändern. Luka nahm Anne jedes Mal wieder ein, wenn Anne in Lukas treue Hundeaugen schaute. Als reinrassiges Kooikerhondje sah sie auch noch äußerst ansprechend aus. Wie bei Kooikern üblich hatte auch Luka lange Ohrbellen, die jedoch bei ihr nicht mehr schwarz waren, sondern bereits ergrauten. Auch das restliche hellbraunweiß gefleckte Fell hellte immer mehr auf und verlor dort allmählich seine wunderhübsche kräftige Farbigkeit, wo das Fell braun war. Luka hatte einen Piratenkopf. Das bedeutete in der Fachsprache der Kooikerhondje-Besitzer, dass ein oder zwei Auge mit weißem Fell umgeben waren. Bei Luka war es das rechte Auge, das weiß umrandet war. Die linke Gesichtshälfte war braun. Schaute man ihren Rücken an, so wechselten sich braune und weiße Fellbänder ab. Ihr rechtes Hinterbein war bis zum Rücken hinauf ebenfalls braun, das linke komplett weiß. Lukas Fähigkeit, sich über ihre besonderen Augen auszudrücken, blieb trotz des zunehmenden Alters erhalten. Die schwarzen Lieder, die die dunkelbraunen Augen umrandeten, ließen sie wie die geschminkte Cleopatra aussehen. Geheimnisvoll und tiefsinnig. Vielleicht dachte Luka wie der Hund Tassen in Brave Hunde kommen nicht zum Südpol, dass man ja nie wusste, wann ein Leckerchen fällig sein würde und mit ihrem allzeit ansprechenden Blick nur noch zu beschleunigen versuchte, dass ein Leckerli in ihre Richtung wanderte.

Hinzu zu Annes leichter Trägheit kam wahrscheinlich die jährlich um diese Zeit aufkommende Frühjahrsmüdigkeit, die ihr nun Anfang März die Laune verhagelte. Es war jedes Jahr dasselbe. Da kämpfte man sich gegen die eigene saisonale Depression durch den Winter, die eigentlich ein säugetiertypisches Energiesparverhalten in der kalten Jahreszeit ist. Dann kamen die ersten wieder länger werdenden Tagen Ende Februar. Frühblüher brachten erste Pollen hervor. Sonne, Sommer und Wärme gab es für Pollenallergiker nur in Verbindung mit juckenden Augen, Niesen, Kopfweh und Abgeschlagenheit. Jessi suchte wegen ihrer Heuschnupfenbeschwerden ihre neue Heilpraktikerin auf. Für Anne war das nichts. Sie war durch und durch der Schulmedizin anhänglich.

Jessi war die Tochter ihrer ehemaligen Nachbarin Miriam, die ebenso wie ihr Mann vor ein paar Wochen Opfer eines brutalen Raubüberfalls geworden waren und deren Fall Anne und Ben auf Drängen der beiden Kinder übernommen hatten.

Nebenan waren nach Abschluss der polizeilichen Arbeiten sehr schnell neue Besitzer eingezogen. Es handelte sich um eine große Familie mit so vielen Kindern, dass man den Überblick verlor. Wie sollten alle in der Doppelhaushälfte unterkommen? Bei der Besichtigung waren es sieben Personen. Wie sich später herausstellte, war es eine Patchworkfamilie. Zwei fast erwachsene Söhne und eine kleine Nachzüglerin gehörten zur Frau und zwei erwachsene Söhne zum Mann. Die Söhne des Mannes würden aber gar nicht mit einziehen wollen, denn sie hatten bereits eigene Wohnungen und ein eigenes Leben. Blieben immerhin noch fünf Personen übrig, die sich die 150 qm Wohnfläche geschickt aufteilen mussten, damit alle zufrieden sein konnten. Der erste Eindruck war nicht der beste. Die Frau war stark tätowiert und beleibt. Sie trug die pechschwarzen Haare lang. Sie war sehr nett, redete jedoch wie ein Wasserfall und ziemlich schnell. Über die inhaltliche Qualität sprach man besser nicht. Gut, konnte man sich denken, wenn sie schnell denken konnte, kamen eben auch viele Wörter in sehr kurzer Zeit aus ihrem Mund. Er war nicht zu überhören, hatte ein unglaublich durchdringendes Organ. Seine Stimme war laut und klang vulgär, manchmal auch sehr infantil, wenn er mit der Kleinen spielte. Zum Glück gehörten zu beiden Doppelhaushälften sehr große Gärten, sodass die Kleine beim lauten Spiel nicht allzu nah an Annes Terrasse herankam.

Anne wurde durch das Läuten des Telefons aus ihren Gedanken gerissen. „Anne bringst du wieder die Zutaten für den leckeren Salat mit, den du neulich gemacht hast?“, fragte Melinda am Telefon. Melinda war die Frau von Annes Detektei-Partner Ben.

„Klar doch, wenn du dafür wieder deinen fantastischen Obstsalat zauberst?“, entgegnete Anne mit einem Lachen.

Beide freuten sich auf einen ihrer seltenen gemeinsamen entspannten Abende. Anne und ihr Mann John waren in ein paar Tagen zu einem gemütlichen Kochen bei Ben und seiner Frau Melinda eingeladen. Die Viererkombo versuchte, wenigstens einmal im Monat zusammenzukommen. Oft klappte es, oft aber leider auch nicht. Alle vier waren berufstätig und gingen in ihrem Job auf. So blieb wenig Zeit für gemeinsame Treffen.

Die quirlige Gruppe hatten sich auch für dieses wertvolle Treffen ein kleines Menü überlegt, das mit knackigem Grün aus Rucola, Radicchio, Gurke, Tomate, und Lollo Bianco, angemacht in einem Dressing aus nativem Olivenöl, Orangenbalsamico, Salz, Pfeffer, Senf und etwas Quark, starten würde. Als Hauptgang folgten selbstgemachte Gnocchi aus weichkochenden Kartoffeln und Mehl sowie einige pflückfrische Kräuter zum Dekorieren. Dazu sollte es eine durch hinzugefügten Tabasco feurige Tomatensauce geben. Wer mochte, würde von der selbstgemachten Gemüsepaste kosten, die man hinzunehmen konnte.

Das Dessert bestand aus frischen, saisonalen Früchten, verfeinert mit einem Schuss Cointreau und angerichtet mit einer Haube aus noch fast flüssiger Schlagsahne. Nichts Besonderes. Besonders mundend schon. Und dafür, dass alle nicht gern selber kochten äußerst schmackhaft! Und in Gesellschaft kochte und aß es sich sowieso viel besser.

Luka blieb zu Hause in ihrem Körbchen, denn der Duft des Essens hätte sie schon in der Zubereitungsphase austicken lassen. Da war Luka schlecht erzogen, musste Anne zugeben. Luka war ja auch schon alt, lieber ließ man sie schlafen als sie zu sehr zu stressen. Das war besser für Luka, sagte Anne auf Nachfrage, wo denn der Hund sei. Vielleicht hielt Luka noch eine Weile durch, wenn man sie schonte.

Die Freunde trafen sich pünktlich um sechs Uhr am Abend. Alle hatten es zeitig geschafft, sich von ihrer Arbeit loszueisen. Ben war im Hauptberuf als freier Journalist tätig. Er ging Geheimnissen gern auf den Grund, deswegen war er hocherfreut, als Anne ihn vor gut drei Jahren fragte, ob er mit ihr zusammen eine Detektei gründen wolle. Anne selber brannte bereits seit Jahren darauf, endlich wieder in ihrem eigenen Tempo das zu tun, was ihr Spaß brachte, nämlich skurrile Rätsel zu lösen. John war damit mehr als einverstanden. Als Ingenieur mit Führungsverantwortung für ein Team aus rund einhundert Mitarbeitern hatte John meist sehr viel zu tun und war auch oft für seine Firma unterwegs. Umso besser, wenn seine Frau erfüllend beschäftigt war. Für Anne war das überhaupt kein Problem, denn ihr fielen immer wieder neue Projekte ein, durch die sie angetrieben wurde. Melinda war selbständige Rechtsanwältin und sie saß normalerweise an den meisten Abenden bis spät in die Nacht in ihrer Kanzlei. Die Arbeit brachte ihr sehr viel Freude, es war also für sie in Ordnung, die wenige kostbare Zeit für ihren Mann und ihre Freunde zu genießen und damit zufrieden zu sein. Ben hatte sich noch nie darüber beschwert, dass Melinda so viel arbeitete. Leider hatte es mit der journalistischen Karriere bei Ben nicht so gut geklappt. Das lag vielleicht daran, dass er immer schon kriminalistisch arbeiten wollte, aber bisher keine investigativen Berichte über Straftaten für die Zeitungen, für die er schrieb, anfertigen durfte. Den Journalismus konnte er weiter betreiben, wenn er sich mit Anne um Detekteiarbeit kümmerte.

„Die Gnocchi brauchen jetzt nur solange im kochenden Wasser zu ziehen, bis sie alle oben schwimmen, dann können wir den zweiten Gang zu uns nehmen, die Sauce habt ihr ja bereits fertiggestellt. Wo ist meine selbstgemachte Gemüsepaste? Die müsst ihr unbedingt probieren!“, sagte Ben.

„Der Salat war köstlich, sehr schön leicht und erfrischend!“, lobte John.

Melinda fand es etwas langweilig, nur übers Essen zu reden und brachte das Gespräch auf einen ihrer neuen Mandanten:

„Mein neuer Mandant hat ein spannendes Thema im Gepäck.“

Sie wusste, dass Ben, Anne und John nicht tratschen würden und das Gesagte unter ihnen bliebe. Zudem erzählte sie nur so viel, dass sie sich damit immer noch im legalen Bereich bewegte.

„Erzähl gern mehr, wenn du magst“, ermunterte John sie. Er fand es immer spannend, wenn Freunde von ihrer Arbeit berichteten, vorausgesetzt, sie brachte ihnen Spaß. Schimpftiraden oder Gejammer hörte er sich gar nicht mehr an. Lebenszeit war kostbar, fand er, und eigentlich sollte sich jeder Mensch im Klaren darüber sein, dass man ein ganzes Stück selber dafür verantwortlich war glücklich zu werden. Und dazu gehörte in den meisten Fällen auch ein erfüllendes Berufsleben. Die meiste Zeit des Tages verbrachte man schließlich bei der Arbeit.

„Der Mandant kam vorige Woche in meine Kanzlei“, begann Melinda nun. „Er meinte, er sei fast in einen Streit verwickelt und wolle sich rechtlich absichern.“

Ben war neugierig:

„Wie kann man den fast in einen Streit verwickelt sein? Das ist ja wie ein bisschen schwanger sein zu wollen, das funktioniert auch nicht.“

„Genau“, entgegnete Melinda und fuhr fort:

„Das kam mir auch komisch vor. Er meinte, er wohne draußen auf dem Land in einem kleinen Ort nahe an einem Flugplatz, in dem er früher auch selber Mitglied gewesen sei. Und er habe dort neulich merkwürdige Aktivitäten beobachtet. Er sei daraufhin mit dem Vorstand des Vereins in Kontakt getreten und habe um Aufklärung gebeten. Doch man habe ihn abgebügelt mit den Worten, dass alles in Ordnung sei und er sich mal nicht so viele Gedanken machen solle. Das gefiel meinem Mandanten natürlich nicht und er forderte ausführlicher über die Vorgänge, die er beobachtet hatte, informiert zu werden, schließlich wohne er gleich nebenan und mache sich eben so seine Gedanken. Zudem sei es sein Grund und Boden, den der Verein vor über dreißig Jahren gepachtet hatte. Er bekam aber keine zufriedenstellenden Antworten. Und deswegen sei er fast im Streit, denn es habe ja noch keine offene Auseinandersetzung gegeben. Er sei dann auf Empfehlung eines Freundes zu mir gekommen, um mit mir die Sachlage zu besprechen.“

Anne schluckte zwei Gnocchi herunter und überlegte laut:

„Klingt ja fast schon wie ein neuer Fall für Ben und mich, oder?“

Melinda antworte:

„Stimmt, da liegst du schon ganz richtig, Anne. Daran habe ich tatsächlich gedacht und deswegen erzähle ich euch die Geschichte. Ich konnte den Mann zwar dazu beraten, inwieweit er ein Recht auf Auskunft hat, weil er der Eigentümer des Landes ist. Aber in dem Gespräch ist noch viel mehr angeklungen. Und das wäre tatsächlich eher etwas für dich und Ben als für mich, das geht dann mehr in die detektivische Richtung. Es ging auch um die Flugzeuge im Verein.“

Anne und Ben sahen sich an und grinsten. Beide dachten haargenau dasselbe. Ein neuer Fall wäre ziemlich erquicklich. Und wenn es dabei um Flugzeuge ging, könnte es spannend werden!

Luftsportverein Moorheide

Vor einigen Wochen …

Die Mitglieder waren zerstritten. Sie waren sich nicht einig darüber, wie es weitergehen sollte. Die einen, die Jüngeren, wollten unbedingt aus dem Motorsegelflugzeugverein einen modernen Ultraleichtflugzeugverein machen.

„Wir müssen doch mit der Zeit gehen. Alle machen das. Und wenn wir den Anschluss verpassen, kommen auch keine neuen Mitglieder mehr. Gerade unsere Generation fährt voll auf Ultraleicht ab! Wir wollen nicht so viel Geld für die Fliegerei ausgeben. Ultraleichtflugausbildungen sind kürzer und preiswerter. Eine Flugstunde Ultraleicht kostet deutlich weniger als eine Flugstunde Motorsegler“, ereiferte sich René, das Sprachrohr der jungen Gene-ration. René hatte bisher bereits viel für den Verein erreicht. Der damals von Überalterung betroffene Mitgliederstamm musste dringend verjüngt werden. René schaffte es durch seine eigene Begeisterung für die Fliegerei schnell, viele seiner Kontakte aus der Segelflugszene dazu zu bewegen, in den Verein Moorheide einzutreten und noch die Motorflugberechtigung aufzusatteln. Auch zu vielen anderen umliegenden Vereinen hatte René eine ausgezeichnete Verbindung. Einmal im Monat organisierten er und seine Freunde ein abendliches Fly-In, zu dem auch und gerade Flieger anderer Vereine eingeladen waren. Es gab Bratwürste und alkoholfreies Bier. Das sogenannte Feierabendfliegen wurde überwältigend gut angenommen und oft standen mehr als dreißig Maschinen auf dem Vorfeld. Die Stimmung war stets freundschaftlich. René hatte eben ein Händchen für Organisatorisches und verstand es ausgezeichnet, die Menschen dabei mitzunehmen.

„Alle ist ja jetzt ein bisschen übertrieben“, entgegnete Robert, ein alteingesessenes Vereinsmitglied.

„Das ist aber voll im Trend, da sollten wir mitmachen, allein schon um weiterhin neue junge Mitglieder zu anzulocken.“

„Nachvollziehbar, René, finanziell aber nicht zu Ende gedacht.“

„Doch, wir verkaufen einfach ein oder zwei der Motorsegler. Dann haben wir genug Geld für mindestens ein Ultraleichtflugzeug. Haben wir alles in Exceltabellen kalkuliert. Würde wunderbar passen. Ultraleicht sind in der Wartung auch preiswerter. Wir wollen schnell und unkompliziert in die Luft. Wir wollen fliegen.“

„Damit verändert ihr den Kern des Vereins. Versteht ihr? Ihr würdet damit unseren Vereinscharakter vom einzigen reinen Motorseglerflugverein in der Umgebung auslöschen. Außerdem schiebt ihr jegliche Sicherheitsaspekte komplett zur Seite. Welche Gleitzahl hat schon ein Ultraleicht? Wollt ihr damit etwa nach Helgoland fliegen? Oder so wie einer von uns in den letzten Jahren immer mal wieder durch ganz Europa?“, schaltete sich Mike ein, ebenfalls seit Jahren im Verein.

„Ja, wir wollen lieber mit der Zeit gehen als mit der Zeit zu gehen“, bekam René Unterstützung von Maximilian. „Alte Strukturen sollten an die Gegenwart angepasst werden.“

Die älteren Mitglieder wollten ihre geliebten Motorsegelflugzeuge aber nicht verkaufen. Und verändern wollten sie schonmal gar nichts.

„Seht doch mal, wir haben hier so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal in der Region. So wie wir ist in der Nähe kein anderer Verein strukturiert. Und denkt doch mal an den Sicherheitsfaktor. Wenn beim Motorsegler der Motor ausfällt, kann der noch weite Strecke Segelflug machen. Ein Ultraleicht kann das nicht. Und wenn ich mir den Rettungsfallschirm vorstelle, mit dem ich im Ernstfall dann inklusive Flugzeug zu Boden gehe, weil Ultraleicht eben nicht gleiten, wird mir ganz schlecht“, versuchte Robert die Situation zu beeinflussen.

„Ja, ja, jetzt komm‘ mir nicht mit der alten Leier: Es gibt reine Segelflugzeugvereine und Vereine, in denen ausschließlich Motorflugzeuge ohne Segeleigenschaft geflogen werden. Und davon gibt es mehrere. Aber in unserem Verein gibt es nur Motorsegelflugzeuge.“

Es folgte eine technische Lehrstunde über Flugzeugmodelle:

„Sie können eigenstartfähig in der Luft mit Motor geflogen werden und erreichen gleichzeitig hohe Gleitflugzahlen, um auch ohne Motorvortrieb über eine längere Strecke segeln zu können. Ähnlich einem Segelflugzeug, das meist in der Variante nicht eigenstartfähig vorkommt. Natürlich gibt es auch Segelflugzeugmodelle mit Einziehpropeller, die kommen seltener vor und sind deutlich teurer in der Anschaffung; aber damit ist der Pilot unabhängig von einem Team, das man normalerweise benötigte, um ein Segelflugzeug in die Luft zu bekommen. Beim Segelflugzeugsport wird ein viel größeres Team benötigt: Man braucht eine Flugleitung, jemanden an der Winde oder im Schleppflugzeug, jemanden an der Flügelkante während des Startvorgangs und jemanden zum Zurückholen des gelandeten Flugzeuges. Segelfliegerpiloten verbrachten gern das gesamte Wochenende von morgens bis abends am Segelflugplatz, damit jeder mit dem Fliegen an die Reihe kam. Manche Piloten sattelten deswegen auf Motorflugzeuge um, weil ihnen ihre Zeit zu knapp erschien. Sie wollten nicht für ein bisschen Fliegen das ganze Wochenende auf einem Flugplatz verbringen. Mit motorbetriebenen Mühlen kann man außerdem gut an die Nordsee und auf die Inseln fliegen, also größere Reisestrecken bewältigen.“

„Genau, die alte Leier, die ich Interessierten immer als erstes erzähle“ meinte Robert.

Manfred kam ihm zu Hilfe: „Ihr wollt also mit einem Ultraleichtflugzeug über die Nordsee fliegen? Nach Helgoland? Nach Sylt? Auf die friesischen Inseln?“

„Ja.“

„Und was macht ihr, wenn über der Nordsee Motorausfall ist? Segeln könnt ihr mit einem Ultraleichtflieger vergessen.“

„Dann haben wir ja noch den Rettungsfallschirm.“

„Über der Nordsee. Ist klar“, moserte Manfred. Er dachte: ‚Die ticken doch nicht richtig. Sollten sie doch in einen Ultraleichtverein wechseln, wenn ihnen das Fliegen derartiger Luftsportgeräte so wichtig war.‘

Da kam man also nicht zueinander, sosehr man auch miteinander rang.

Mit den Wochen artete der Austausch über Zukunftsmöglichkeiten in einen regelrechten Streit aus. Es kam sogar so weit, dass die Jüngeren den Älteren drohten:

„Wenn ihr nicht mitzieht, euch gar nicht verändern wollt und uns unseren Plan umsetzen lasst, treten wir alle aus.“

Es hatten sich zwei Gruppen gebildet. Die Jungen hatten tüchtig genetzwerkt und nahezu alle ihrer Generation auf ihre Seite gezogen und auf ihren Plan eingeschworen.

Die Auseinandersetzung fand ihren Höhepunkt darin, dass Vorstandsneuwahlen angesetzt wurden. Die von den Jüngeren aufgestellte Vorstandsriege trat gegen eine von den älteren Mitgliedern zusammengestellte Vorstandsgruppe an. Die Abmachung lautete: Sollte der Vorstand der Jüngeren gewählt werden, wollte man deren Plan umsetzen. Sollte der Vorstand der Älteren gewählt werden, sollte alles beim Alten bleiben. Es entstand also eine Entweder-Oder-Situation. Eine Seite musste unterliegen und damit war die Unzufriedenheit bei der Hälfte der Mitglieder vorprogrammiert.

Die Jüngeren verloren die Vorstandswahl.

Und traten allesamt konsequent aus dem Verein aus. Genauso wie sie es angekündigt hatten, womit allerdings zuvor niemand ernsthaft gerechnet hatte.

Der Massenaustritt war ein herber Schlag für die Vereinsstruktur. Und das wussten die Jüngeren ganz genau.

Mitgliedsbeiträge generieren Rücklagen, die wiederum für die technische Instandhaltung der Flugzeuge verwendet werden sollten. Und nun war die Hälfte der Mitglieder weg! Das war ein finanzielles Desaster. Erpressung war noch milde ausgedrückt, aber genau das war es. Wenn ihr nicht macht, was wir wollen, dann gehen wir eben weg und ihr könnt sehen, wie ihr den Verein am Leben erhaltet. So waren die drauf.

Sie sagten aber auch: Wenn ihr euch kein bisschen in Richtung unserer modernen Bedürfnisse bewegt, haben wir hier keine Luft zum Atmen. Dann gehen wir eben woanders hin.

„Wir brauchen neue Mitglieder, und zwar ziemlich schnell. Sonst können wir das hier alles vergessen“, stellten die übriggebliebenen Altmitglieder fest, als sie sich von dem Schrecken erholt hatten. Sie befanden sich in einer Zwangslage.

Es war mitten in der Pandemie. Vielleicht waren die Gemüter davon beeinflusst. Niemand war so richtig in der Lage, mit einem klaren Kopf Pläne zu schmieden und zu Ende zu denken. Die meisten Menschen hatten immer noch eine Heidenangst um ihre eigene Gesundheit, die Gesundheit von Familie und Freunden und vor allem um die Zukunft ihrer Arbeitsplätze. Manche waren seit Monaten in Kurzarbeit. Dazu kam die Langeweile, die in der Pandemie durch die Kontaktbeschränkungen entstanden war. Gerade für junge, heranreifende Erwachsene voller Lebensenergie und vieler Ideen war die Pandemie eine soziale Katastrophe. Es war alles in allem keine gute Zeit, um tiefgreifende Entscheidungen zu fällen.

Die verbliebenen Mitglieder wurden schnell aktiv, sie hatten ja keine Wahl, wenn der Verein erhalten bleiben sollte. Der Verein war für die meisten wie ein zweites Zuhause. Langjährige Freundschaften waren entstanden. Man verbrachte liebend gern seine Zeit dort. Die Sonnenuntergänge waren einfach traumhaft! Wie oft saß man abends um die Feuerschale oder den Grill mit einer Flasche Fliegerbier in der Hand und ließ den Tag gemeinsam ausklingen!

Also machte jeder von ihnen eifrig in seinen Kreisen Werbung für den Luftsport. Und innerhalb kürzester Zeit waren dreiviertel der Ausgetretenen bereits durch neue, teilweise ebenfalls junge und flugbegeisterte Mitglieder ersetzt worden. Das war ein großer Erfolg! Unter ihnen waren auch ältere Interessierte. Einige von ihnen hatten bereits früher einen gültigen Flugschein besessen, der natürlich ohne Aktivität im Luftsport über die Jahre ungültig geworden war.