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Inwieweit ist christlicher Glaube im säkularen Zeitalter vertret- und lebbar? Gerhard Kardinal Müllers Lublin-Vorlesungen behandeln die Geschichte der Aufklärung, des Liberalismus, des Sozialismus ebenso wie die kritischen Anfragen des Atheismus und des religionslosen Zeitalters der Postmoderne. Sie führen zu den letztlich entscheidenden Fragen: Der Frage nach Gott und nach der Möglichkeit des Glaubens im Heute.
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Seitenzahl: 846
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Table of Contents
Titel
Impressum
Widmung
Motto
Inhalt
Einführung
Lublin Lectures
Gott in Christus – das Heil der Welt?
Gott ist tot und lebt
Transzendenzverwiesenheit und Würde des Menschen
Warum wir die Gottesfrage problematisieren?
Es ist Zeit an Gott zu denken
Anmerkungen
1. Glauben im Land, wo man die Freiheit liebt
Polen – ein Beispiel des christlichen Humanismus
Gott und die Würde des Menschen
Diesseitigkeit ohne Transzendenz ist trostlos – Transzendenz ohne Diesseitigkeit ist ortlos
Im katholischen Polen – die erste demokratische Verfassung Europas
Der Glaube an Gott öffnet für die Zukunft
Gott und die Sinnfrage
Die Aufgabe der Theologie, den Glauben zu denken
Warum die Vernunft dem Glauben hilft
Inwiefern der Glaube dogmatisch ist
Zuschauer- oder Teilnehmerperspektive?
Theologie dient der Erkenntnis Gottes als Wahrheit und Leben
Anmerkungen
2. Ich glaube an Gott
Gott – das absolute Geheimnis
Erkenntnis Gottes als Geheimnis
Gottes Menschlichkeit in Jesus Christus
Gott offenbart in der restlosen Immanenz seine volle Transzendenz
Das Ich im Glauben
Theologie – die Wissenschaft von Gott als Ursprung und Ziel des Menschen
Der Glaube als Eröffnung des Gottesverhältnisses
Die Konkretheit des Glaubens in der Taufe
Anmerkungen
3. Die kirchliche Tradition – Medium des Glaubens
Aufklärung durch Tradition
Geschichtlichkeit der Offenbarung – das katholische Traditionsprinzip
Tradition als Antwort auf die Treue Gottes zu seinem Volk
Tradition und Gegenwart der Kirche
Die Tradition in der ökumenischen Diskussion
Anmerkungen
4. Wo ist Gott im säkularen Zeitalter?
Gott in / über den Zeiten
Gottes Präsenz in der Zeit
Postchristliche Zeitenwende?
Die Moderne – Abschied vom Christentum und Widerspruch zu ihm?
Wahl zwischen „religiöser“ oder „säkularer“ Totalansicht der Welt
Der Einspruch des christlichen Humanismus
Zwei entgegengesetzte Optionen von natürlich und übernatürlich?
Religionäre versus Rationalisten?
Glaube nur noch eine Option?
Die Nichtfunktionalisierbarkeit Gottes
Und wenn Gott tot wäre?
Lebt der alte Übermensch noch?
Wiederkehr der Götter?
Zeugnis für den einen, personalen Gott
Der Glaube ist säkular
Das Säkulare als Widerspruch zum Glauben an Gott?
Der Glaube ist in der Tat eine Option
Als das Christentum in eine pluralistische Welt eintrat
Anmerkungen
5. Ist der Glaube an Gott ein Fremdkörper in unserer Zeit?
Hat das Christentum nur einen immanenten Ursprung?
Genese und Geltung des Glaubens an den einen Gott
Was bezeichnet der Terminus „christliches Abendland“?
Der ideologische Gegenentwurf zum christlichen Abendland
Das Ärgernis der geschichtlichen Konkretheit Gottes
Der Glaube sichert die Vernunft vor dem Absturz in die Irrationalität
Faule Friedensangebote und Kompromisse
Entfremdung von der Kirche
Säkularisierung – ein irreversibler Prozess?
Ist der Monotheismus einzigartig?
Ist die Ringparabel die Lösung?
Die Wahrheit wirkt nichts jenseits, sondern in der Toleranz
Macht der Glaube an den einzigen Gott intolerant?
Der Gott der Offenbarung oder des Deismus?
Gottesglaube und Menschenbild
Der personale Gott und die Begründung der Menschenrechte
Der Mensch das Wesen der Wahrheitssuche
Der Umsturz in den Totalitarismus
Gottesglaube und Menschenbild
Hat die Aufklärung über den Glauben gesiegt?
Die geschichtliche Bedingtheit der Aufklärung
Wo sich die Wege radikal trennen
Die Wende zum eliminatorischen Antiklerikalismus
Wer nicht weiß, was der Mensch ist, kann seine Rechte nicht begründen
Was ist des Menschen Wesen?
Der Glaube an Gott bewahrt die Demokratie vor dem Totalitarismus
Der Glauben an den personalen Gott ist mehr als zeitgemäß
Ist die Welt Gott?
Der Mensch an der Stelle Gottes oder des Teufels?
Die Menschlichkeit des Glaubens an Gott
Passt der Glaube noch in unsere Zeit?
Anmerkungen
6. „Der Gott der Christen vor Gericht“
Die Anklage im größten Schauprozess aller Zeiten
Zwischenbericht zum Prozessverlauf
Plädoyer für eine Aufklärung über die Aufklärung
Aufklärung der Vernunft durch den Glauben
Mensch, wer bist du, dass du mit Gott rechten willst? (Röm 9,20)
Katholisch-protestantischer Gegensatz im Verhältnis zur Neuzeit?
Gnade und Autonomie in der Neuzeit
Wurzeln der antimetaphysischen Skepsis
Humanismus ohne Gott?
Der Mensch nicht im Zentrum des Kosmos – aber fest im Blick des Schöpfers
Anmerkungen
7. Selbstsäkularisierung des Christentums oder Erschließung seiner säkularen Bedeutung?
Verweltlichung des Glaubens?
Gesellschaftskonformität – Gütesiegel der Kirche für „heute“?
Das Ärgernis des Kreuzes
Wirkliche Toleranz ist die Achtung vor dem Gewissen des Anderen
Uminterpretation des Christentums: Operation geglückt – Patient tot
Spannung zwischen Naturwissenschaften und Theologie?
Anmerkungen
8. Theologaler Glaube oder natürliche Religion?
Glaube als personale Relation zur Person Gottes
Die religiös-sittliche Verfassung des Menschen als Voraussetzung des Glaubens
Reduktion des geoffenbarten Glaubens auf menschliche Religion?
Die Unableitbarkeit des Glaubens aus dem religiösen Apriori
Die Eine-Welt-Religion ist nur ein menschliches Konstrukt
Basiert der geoffenbarte Glaube auf der Erfahrung des Sakralen?
Religion als Hinordnung auf den Glauben
Religion als moralische Tugend
Kontinuitäten von der Religion zum Glauben hin
Der Unterschied der Religionen in der Gottes-Idee
Die Religion der Moderne, die den Menschen zum Gott macht
Religion als geistige Potentialität zum Hören des Wortes Gottes
Glaube als Beziehung zum Du Gottes
Die Gottesfrage bleibt aktuell
Die Antwort auf die Frage menschlicher Existenz im Lichte Christi
Anmerkungen
9. Wahrheit und Freiheit des Glaubens – zwei Seiten einer Medaille
Eine Alternative zur Entzauberung?
Anmerkungen
10. Glaube und Vernunft – in der Enzyklika Fides et ratio
Gott teilt sich uns mit in seinem WORT
Die Notwendigkeit der Zuordnung von Vernunft und Glauben
Die Aktualität für die Neu-Evangelisierung
Die Wahrheit Gottes ist das Heil des Menschen
Anmerkungen
11. Der Glaube an Gott ist mehr als nur zeitgemäß
Eine unausweichliche Frage
Vor der Entscheidung
Können wir angesichts des Unrechts in der Welt auf Gott hoffen?
Im Glauben geht es um Sein und Nichtsein
Gott frustriert uns nicht
Anmerkungen
12. Der Glaube an Gott – zwischen Internet und Geld
Der vorgegebene Titel enthält drei pikante Anspielungen:
Die Allgegenwart der Gottesfrage
Gott – im philosophischen Fragen
Reaktionen auf den kämpferischen Atheismus
Anmerkungen
13. Unser Weg zu Gott
Das GPS der Vernunft einschalten
Denken ist das Auf-dem-Weg-Sein der Vernunft
Wechselwirkung zwischen Philosophie und Theologie
Die Inkarnation als universale Versprachlichung der Offenbarung
Die Entstehung einer Wissenschaft vom Glauben
Der Sinn der Praeambula fidei
Der Ursprung der Hellenisierung in der Offenbarung selbst
Die Weisheit der Welt im Widerspruch zur Weisheit Gottes
Der geschichtliche Tiefenraum des philosophisch-theologischen Dialogs
Gottesbeweise als Wege zu Gott oder das auf dem Weg bleibende Denken
Konfessionelle Differenz im Glaube-Vernunft-Verhältnis
Die Freiheit und Selbstursächlichkeit der geistigen Kreatur
Die Freiheit Gottes in der Beziehung zum Geschöpf
Gottesbeweise sind Gottbegegnung
Die Frage nach dem Sinn des Seins ist der Weg des Denkens zu Gott
Anmerkungen
14. Warum Glaube immer Vernunft voraussetzt und sie vollendet
Destruktion der philosophischen Theologie?
Protest der reformatorischen Theologie
Das Schicksal der natürlichen Theologie bis zu ihrem „Ende“
Die natürliche Theologie als Anzeige eines unabweisbaren Problems
Eine neue Sicht bei Eberhard Jüngel
Katholisch-reformatorische Unterschiede
Die Funktion einer natürlichen Theologie bei Thomas von Aquin. Das Formalobjekt der Offenbarungstheologie
Die Vernunft im Dienste der Glaubens-Wissenschaft
Das Formalobjekt der Philosophie
Die Notwendigkeit philosophischer Theologie
Die Struktur des geschaffenen Intellekts
Die heilsgeschichtliche Bestimmtheit der Vernunft
Biblische Grundlegung der natürlichen Theologie
Die Tragweite der natürlichen Theologie
Die Frage nach Gottes Dasein
Die ergänzende Frage nach dem Wesen Gottes
Die Analogie des Seins
Die nicht-reale Relation
Natürliche Gotteserkenntnis
Anmerkungen
15. Der lebendige Gott in seiner Selbstoffenbarung: Ich bin der Ich bin
Das Wort „Gott“ in der Sprache der Menschen
Die radikale Krise des Glaubens – Gott zwischen Zweifel und Negation
Wenn einer Ohren hat zum Hören […] (Mk 4,23)
Was ist Gott?
Wer ist Gott im christlichen Glauben?
Die neue Frage: Wer ist Gott?
Gott offenbart sich – Ich bin der Ich bin
Der nie verbrennende Dornbusch
Ist Gottes Person-Sein ein Rest von Anthropomorphismus?
Das Volk Gottes als Vermittler des Glaubens an den personalen Gott
Die Einzigartigkeit Israels wurzelt in seiner Erwählung
Jesus Christus – Deus et homo
Jesus Christus – Die eschatologische Offenbarung des „Ich bin der Ich bin“
Die Kirche des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes
Theologische Klärungen
Katholische Essentials
Wer ist Gott für uns heute?
Wie sollen wir uns im säkularen Zeitalter verhalten?
Anmerkungen
16. Gott ist Liebe – Zur Enzyklika Deus caritas est
Die Einheit der Liebe in Schöpfung und Heilsgeschichte
Die Einheit in Christus
Die Kirche ist eine Gemeinschaft in der Liebe Gottes
Mit Christus die Inhumanität überwinden
Die Liebe Christi drängt uns: Von der Liebe zum Nächsten
Anmerkungen
17. Der eine und dreifaltige Gott
Kritik am Trinitätsglauben
Innerchristliche Kritik
Von der ökonomischen zur immanenten Trinität
Der Sohn des Vaters, gezeugt – nicht geschaffen
Die Auswirkung des Trinitätsglaubens auf das Selbstverständnis des Menschen
Die Vollendung des Menschen im drei-einen Gott
Anmerkungen
18. Die Vermittlung im Gott-Menschen Christus
Die Geburt der „Neuzeit“ aus der anthropozentrischen Wende
Die „Neuzeit“ als Begründungsproblem des christlichen Glauben
Eine Metaphysik des Ereignisses und der Geschichtlichkeit menschlicher Vernunft
Gottbegegnung im Menschen Jesus – Ursprung der anthropologischen Wende
Ontologischer Grund und dialogischer Wesensvollzug von Person
Anmerkungen
19. Wenn es das Böse gibt, dann gibt es Gott
Theodizee oder Gott als Heil der Welt
Die theologisch-dogmatische Fragestellung
Theologisch-philosophische Prämissen neuzeitlicher Naturwissenschaft
Das Böse in der Gesamtdeutung der Wirklichkeit
Der heilsgeschichtliche Weg
Der Verlust des heilsgeschichtlichen Ansatzes in der neuzeitlichen Theodizeefrage
Drei metaphysische Grundmodelle der Beziehung der Welt auf Gott
Die Antwort des Monismus
Die Antwort des Dualismus
Das Modell der eigenwirklichen Schöpfung
Der Möglichkeitsgrund des Bösen in einer guten Schöpfung
Die Stellung des Glaubenden zum Bösen
Ja zur Freiheit
Vertrauen auf Gott
Die Haltung des Betenden
Anmerkungen
20. Die Kirche – Gottes Zeichen unter den Völkern1
Gottes Stiftung – keine Nichtregierungsorganisation (NGO)
Religiöse Freiheit in der pluralistischen Gesellschaft
Gottes Kirche – Anwältin der Freiheit des Menschen
Humanisierung durch den Glauben an Gott
Die Mission der Wahrheit und der Liebe
Gott hat den Menschen zur Liebe berufen
Anmerkungen
Schlusswort an die Hörer und Leser dieser Vorlesungen
Gerhard Kardinal Müller
Der Glaube an Gott im säkularen Zeitalter
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2020Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.deUmschlaggestaltung: Verlag HerderSatz: SatzWeise, Bad WünnenbergHerstellung: Těšínská Tiskárna a. s., Český TěšínPrinted in the Czech RepublicISBN (Print) 978-3-451-38649-7ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83649-7ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83304-5
Meinem lieben BruderGünterEr starb an den Folgen eines tragischen Unfalls.Auf Erden lebte er glücklichim Vertrauen auf Gott,der die Toten auferweckt.
Stimme eines Rufers in der Wüste.Bereitet den Weg des Herrn.Und alle Menschen sehen Gottes Heil.Lk 3,4.6
Einführung
Lublin Lectures
Gott in Christus – das Heil der Welt?
Gott ist tot und lebt
Transzendenzverwiesenheit und Würde des Menschen
Warum wir die Gottesfrage problematisieren?
Es ist Zeit an Gott zu denken
1. Glauben im Land, wo man die Freiheit liebt
Polen – ein Beispiel des christlichen Humanismus
Gott und die Würde des Menschen
Diesseitigkeit ohne Transzendenz ist trostlos – Transzendenz ohne Diesseitigkeit ist ortlos
Im katholischen Polen – die erste demokratische Verfassung Europas
Der Glaube an Gott öffnet für die Zukunft
Gott und die Sinnfrage
Die Aufgabe der Theologie, den Glauben zu denken
Warum die Vernunft dem Glauben hilft
Inwiefern der Glaube dogmatisch ist
Zuschauer- oder Teilnehmerperspektive?
Theologie dient der Erkenntnis Gottes als Wahrheit und Leben
2. Ich glaube an Gott
Gott – das absolute Geheimnis
Erkenntnis Gottes als Geheimnis
Gottes Menschlichkeit in Jesus Christus
Gott offenbart in der restlosen Immanenz seine volle Transzendenz
Das Ich im Glauben
Theologie – die Wissenschaft von Gott als Ursprung und Ziel des Menschen
Der Glaube als Eröffnung des Gottesverhältnisses
Die Konkretheit des Glaubens in der Taufe
3. Die kirchliche Tradition – Medium des Glaubens
Aufklärung durch Tradition
Geschichtlichkeit der Offenbarung – das katholische Traditionsprinzip
Tradition als Antwort auf die Treue Gottes zu seinem Volk
Tradition und Gegenwart der Kirche
Die Tradition in der ökumenischen Diskussion
4. Wo ist Gott im säkularen Zeitalter?
Gott in / über den Zeiten
Gottes Präsenz in der Zeit
Postchristliche Zeitenwende?
Die Moderne – Abschied vom Christentum und Widerspruch zu ihm?
Wahl zwischen „religiöser“ oder „säkularer“ Totalansicht der Welt
Der Einspruch des christlichen Humanismus
Zwei entgegengesetzte Optionen von natürlich und übernatürlich?
Religionäre versus Rationalisten?
Glaube nur noch eine Option?
Die Nichtfunktionalisierbarkeit Gottes
Und wenn Gott tot wäre?
Lebt der alte Übermensch noch?
Wiederkehr der Götter?
Zeugnis für den einen, personalen Gott
Der Glaube ist säkular
Das Säkulare als Widerspruch zum Glauben an Gott?
Der Glaube ist in der Tat eine Option
Als das Christentum in eine pluralistische Welt eintrat
5. Ist der Glaube an Gott ein Fremdkörper in unserer Zeit?
Hat das Christentum nur einen immanenten Ursprung?
Genese und Geltung des Glaubens an den einen Gott
Was bezeichnet der Terminus „christliches Abendland“?
Der ideologische Gegenentwurf zum christlichen Abendland
Das Ärgernis der geschichtlichen Konkretheit Gottes
Der Glaube sichert die Vernunft vor dem Absturz in die Irrationalität
Faule Friedensangebote und Kompromisse
Entfremdung von der Kirche
Säkularisierung – ein irreversibler Prozess?
Ist der Monotheismus einzigartig?
Ist die Ringparabel die Lösung?
Die Wahrheit wirkt nichts jenseits, sondern in der Toleranz
Macht der Glaube an den einzigen Gott intolerant?
Der Gott der Offenbarung oder des Deismus?
Gottesglaube und Menschenbild
Der personale Gott und die Begründung der Menschenrechte
Der Mensch das Wesen der Wahrheitssuche
Der Umsturz in den Totalitarismus
Gottesglaube und Menschenbild
Hat die Aufklärung über den Glauben gesiegt?
Die geschichtliche Bedingtheit der Aufklärung
Wo sich die Wege radikal trennen
Die Wende zum eliminatorischen Antiklerikalismus
Wer nicht weiß, was der Mensch ist, kann seine Rechte nicht begründen
Was ist des Menschen Wesen?
Der Glaube an Gott bewahrt die Demokratie vor dem Totalitarismus
Der Glauben an den personalen Gott ist mehr als zeitgemäß
Ist die Welt Gott?
Der Mensch an der Stelle Gottes oder des Teufels?
Die Menschlichkeit des Glaubens an Gott
Passt der Glaube noch in unsere Zeit?
6. „Der Gott der Christen vor Gericht“
Die Anklage im größten Schauprozess aller Zeiten
Zwischenbericht zum Prozessverlauf
Plädoyer für eine Aufklärung über die Aufklärung
Aufklärung der Vernunft durch den Glauben
Mensch, wer bist du, dass du mit Gott rechten willst? (Röm 9,20)
Katholisch-protestantischer Gegensatz im Verhältnis zur Neuzeit?
Gnade und Autonomie in der Neuzeit
Wurzeln der antimetaphysischen Skepsis
Humanismus ohne Gott?
Der Mensch nicht im Zentrum des Kosmos – aber fest im Blick des Schöpfers
7. Selbstsäkularisierung des Christentums oder Erschließung seiner säkularen Bedeutung?
Verweltlichung des Glaubens?
Gesellschaftskonformität – Gütesiegel der Kirche für „heute“?
Das Ärgernis des Kreuzes
Wirkliche Toleranz ist die Achtung vor dem Gewissen des Andern
Uminterpretation des Christentums: Operation geglückt – Patient tot
Spannung zwischen Naturwissenschaften und Theologie?
8. Theologaler Glaube oder natürliche Religion?
Glaube als personale Relation zur Person Gottes
Die religiös-sittliche Verfassung des Menschen als Voraussetzung des Glaubens
Reduktion des geoffenbarten Glaubens auf menschliche Religion?
Die Unableitbarkeit des Glaubens aus dem religiösen Apriori
Die Eine-Welt-Religion ist nur ein menschliches Konstrukt
Basiert der geoffenbarte Glaube auf der Erfahrung des Sakralen?
Religion als Hinordnung auf den Glauben
Religion als moralische Tugend
Kontinuitäten von der Religion zum Glauben hin
Der Unterschied der Religionen in der Gottes-Idee
Die Religion der Moderne, die den Menschen zum Gott macht
Religion als geistige Potentialität zum Hören des Wortes Gottes
Glaube als Beziehung zum Du Gottes
Die Gottesfrage bleibt aktuell
Die Antwort auf die Frage menschlicher Existenz im Lichte Christi
9. Wahrheit und Freiheit des Glaubens – zwei Seiten einer Medaille
Eine Alternative zur Entzauberung?
10. Glaube und Vernunft – in der Enzyklika Fides et ratio
Gott teilt sich uns mit in seinem WORT
Die Notwendigkeit der Zuordnung von Vernunft und Glauben
Die Aktualität für die Neu-Evangelisierung
Die Wahrheit Gottes ist das Heil des Menschen
11. Der Glaube an Gott ist mehr als nur zeitgemäß
Eine unausweichliche Frage
Vor der Entscheidung
Können wir angesichts des Unrechts in der Welt auf Gott hoffen?
Im Glauben geht es um Sein und Nichtsein
Gott frustriert uns nicht
12. Der Glaube an Gott – zwischen Internet und Geld
Der vorgegebene Titel enthält drei pikante Anspielungen:
Die Allgegenwart der Gottesfrage
Gott – im philosophischen Fragen
Reaktionen auf den kämpferischen Atheismus
13. Unser Weg zu Gott
Das GPS der Vernunft einschalten
Denken ist das Auf-dem-Weg-Sein der Vernunft
Wechselwirkung zwischen Philosophie und Theologie
Die Inkarnation als universale Versprachlichung der Offenbarung
Die Entstehung einer Wissenschaft vom Glauben
Der Sinn der Praeambula fidei
Der Ursprung der Hellenisierung in der Offenbarung selbst
Die Weisheit der Welt im Widerspruch zur Weisheit Gottes
Der geschichtliche Tiefenraum des philosophisch-theologischen Dialogs
Gottesbeweise als Wege zu Gott oder das auf dem Weg bleibende Denken
Konfessionelle Differenz im Glaube-Vernunft-Verhältnis
Die Freiheit und Selbstursächlichkeit der geistigen Kreatur
Die Freiheit Gottes in der Beziehung zum Geschöpf
Gottesbeweise sind Gottbegegnung
Die Frage nach dem Sinn des Seins ist der Weg des Denkens zu Gott
14. Warum Glaube immer Vernunft voraussetzt und sie vollendet
Destruktion der philosophischen Theologie?
Protest der reformatorischen Theologie
Das Schicksal der natürlichen Theologie bis zu ihrem „Ende“
Die natürliche Theologie als Anzeige eines unabweisbaren Problems
Eine neue Sicht bei Eberhard Jüngel
Katholisch-reformatorische Unterschiede
Die Funktion einer natürlichen Theologie bei Thomas von Aquin. Das Formalobjekt der Offenbarungstheologie
Die Vernunft im Dienste der Glaubens-Wissenschaft
Das Formalobjekt der Philosophie
Die Notwendigkeit philosophischer Theologie
Die Struktur des geschaffenen Intellekts
Die heilsgeschichtliche Bestimmtheit der Vernunft
Biblische Grundlegung der natürlichen Theologie
Die Tragweite der natürlichen Theologie
Die Frage nach Gottes Dasein
Die ergänzende Frage nach dem Wesen Gottes
Die Analogie des Seins
Die nicht-reale Relation
Natürliche Gotteserkenntnis
15. Der lebendige Gott in seiner Selbstoffenbarung: Ich bin der Ich bin
Das Wort „Gott“ in der Sprache der Menschen
Die radikale Krise des Glaubens – Gott zwischen Zweifel und Negation
Wenn einer Ohren hat zum Hören […] (Mk 4,23)
Was ist Gott?
Wer ist Gott im christlichen Glauben?
Die neue Frage: Wer ist Gott?
Gott offenbart sich – Ich bin der Ich bin
Der nie verbrennende Dornbusch
Ist Gottes Person-Sein ein Rest von Anthropomorphismus?
Das Volk Gottes als Vermittler des Glaubens an den personalen Gott
Die Einzigartigkeit Israels wurzelt in seiner Erwählung
Jesus Christus – Deus et homo
Jesus Christus – Die eschatologische Offenbarung des „Ich bin der Ich bin“
Die Kirche des Vater und des Sohnes und des Heiligen Geistes
Theologische Klärungen
Katholische Essentials
Wer ist Gott für uns heute?
Wie sollen wir uns im säkularen Zeitalter verhalten?
16. Gott ist Liebe – Zur Enzyklika Deus caritas est
Die Einheit der Liebe in Schöpfung und Heilsgeschichte
Die Einheit in Christus
Die Kirche ist eine Gemeinschaft in der Liebe Gottes
Mit Christus die Inhumanität überwinden
Die Liebe Christi drängt uns: Von der Liebe zum Nächsten
17. Der eine und dreifaltige Gott
Kritik am Trinitätsglauben
Innerchristliche Kritik
Von der ökonomischen zur immanenten Trinität
Der Sohn des Vaters, gezeugt – nicht geschaffen
Die Auswirkung des Trinitätsglaubens auf das Selbstverständnis des Menschen
Die Vollendung des Menschen im drei-einen Gott
18. Die Vermittlung im Gott-Menschen Christus
Die Geburt der „Neuzeit“ aus der anthropozentrischen Wende
Die „Neuzeit“ als Begründungsproblem des christlichen Glauben
Eine Metaphysik des Ereignisses und der Geschichtlichkeit menschlicher Vernunft
Gottbegegnung im Menschen Jesus – Ursprung der anthropologischen Wende
Ontologischer Grund und dialogischer Wesensvollzug von Person
19. Wenn es das Böse gibt, dann gibt es Gott
Theodizee oder Gott als Heil der Welt
Die theologisch-dogmatische Fragestellung
Theologisch-philosophische Prämissen neuzeitlicher Naturwissenschaft
Das Böse in der Gesamtdeutung der Wirklichkeit
Der Verlust des heilsgeschichtlichen Ansatzes in der neuzeitlichen Theodizeefrage
Drei metaphysische Grundmodelle der Beziehung der Welt auf Gott
Der Möglichkeitsgrund des Bösen in einer guten Schöpfung
Die Stellung des Glaubenden zum Bösen
Ja zur Freiheit
Vertrauen auf Gott
Die Haltung des Betenden
20. Die Kirche – Gottes Zeichen unter den Völkern
Gottes Stiftung – keine Nichtregierungsorganisation (NGO)
Religiöse Freiheit in der pluralistischen Gesellschaft
Gottes Kirche – Anwältin der Freiheit des Menschen
Humanisierung durch den Glauben an Gott
Die Mission der Wahrheit und der Liebe
Gott hat den Menschen zur Liebe berufen
Schlusswort an die Hörer und Leser dieser Vorlesungen
Auf Einladung der Katholischen Universität Lublin habe ich vom 7. bis 21. Oktober 2018 für Hörer aller Fakultäten sechzig Vorlesungs-Stunden gehalten, zum Thema: Der Glaube an Gott im säkularen Zeitalter.1
Was könnte einem Bischof als „Diener des Wortes“ (Lk 1,2) und Kardinal der Heiligen Römischen Kirche2, „mit der jede andere Kirche wegen ihrer besonderen Gründungsautorität in Petrus und Paulus übereinstimmen muss“3 mehr am Herzen liegen als das „Zeugnis Jesu Christi“ (Offb 1,2). Von ihm wird im Johannes-Prolog gesagt: „In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen“ (Joh 1,4).
Theologie ist nicht das geistige Produkt eines einsamen Denkers, sondern ein Bemühen, in und mit der kirchlichen Gemeinschaft, das Wort Gottes tiefer zu verstehen, um auf dem Weg der Nachfolge Christi voranzukommen.
Mein herzlicher Dank gilt deshalb allen Studierenden, die engagiert mitdiskutiert haben. Für die Gastfreundschaft und Mitarbeit danke ich besonders dem Rektor der Universität, seiner Magnifizenz Prof. Dr. Antoni Dybi/ski, Frau Prof. Dr. Marzena Górecka und den geistlichen Mitbrüdern Prof. Dr. Krzysztof Góźdź, Prof. CzesÆaw Bartnik, dem bedeutendsten polnischen Theologen der Gegenwart, und Dr. SÆawomir aledziewski, meinem langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiter. Sehr verbunden bin ich auch dem Hochwürdigsten Herrn Erzbischof von Lublin StanisÆaw Budzik für die mitbrüderliche Gemeinschaft.
Den Bitten vieler Studenten und Professoren entsprechend versuche ich, meine Gedanken zu den Herausforderungen und Chancen des Glaubens an Gott, „den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist“ (Mt 28,19), in einem – nach Charles Taylor – „säkularen Zeitalter“4 in der vorliegenden Veröffentlichung zusammenzufassen. Einige frühere, nun aktualisierte Beiträge zu dieser Thematik füge ich hinzu.5
Es handelt sich weder um eine systematische Gotteslehre, wie sie als einzelner Traktat in einem Lehrbuch der Katholischen Dogmatik vorzulegen ist, noch um eine geschlossene Monographie.6 Darum kehren zentrale Fragen und neuralgische Punkte der Gottesfrage in „einem säkularen Zeitalter, wo“ – nach Hans Joas – „der Glaube eine Option unter anderen“7 ist, in verschiedenen Perspektiven wieder. Die einzelnen Kapitel bilden jedoch eine relative Einheit in sich.
Wenige Tage nach diesen schönen Tagen in Lublin erhielt ich am 30. Oktober die erschütternde Nachricht vom plötzlichen Tod meines Bruders Günter infolge eines tragischen Unfalls. Seinem Gedächtnis möchte ich das vorliegende Buch widmen – in Dankbarkeit und der Hoffnung auf ein Wiedersehen in Gottes Ewigkeit. Auch mein akademischer Lehrer und spätere Bischof von Mainz, Karl Kardinal Lehmann, gab dem Glauben an die Auferstehung von den Toten in seinem geistlichen Testament einen ergreifenden Ausdruck, indem er sich von seinen Freunden und Weggefährten mit dem schlichten Gruß verabschiedete – „Auf Wiedersehen!“.
„Denn, wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott die Entschlafenen durch Jesus in die Gemeinschaft mit ihm führen“ (1 Thess 4,14).
Angesichts der Allgegenwart von Agnostizismus, Skepsis, Indifferenz und Aggression gegen den Glauben an Gott kommt mir die „Predigt eines Atheisten am Fest der kleinen Therese“8 in den Sinn. Der französische Dichter Georges Bernanos (1888–1948) hatte sie verfasst, damit die Gläubigen den Nicht-Glaubenden wie ihren Brüdern und Schwestern begegnen in der gemeinsamen Suche nach Gottes Wahrheit, die niemanden zwingt, aber jeden einlädt.9 In dieser glaubensmüden Zeit empfiehlt er den kleinen Weg der Heiligen von Lisieux (1873–1897), in deren Herzen das Echo von Jesu Schrei in seiner Gottverlassenheit am Kreuz widerhallte (vgl. Mk 15,34). Jenseits der menschlichen Absicherungen in gesellschaftlichen Konventionen oder intellektueller Arroganz kann im kindlichen Vertrauen die Gewissheit von Gottes Barmherzigkeit wieder Wurzel in uns fassen und im Glauben reifen.10
Wie viele Menschen wollen an Gott glauben und vermögen es nicht oder haben in den Sorgen und Lasten des Alltags und der scheinbar unüberwindlichen Übermacht des Bösen ihr Vertrauen in den gütigen und menschenfreundlichen Gott verloren? Sie können nur schwer den Zweifel überwinden, dass das Evangelium von Kreuz und Auferstehung des Sohnes Gottes vielleicht doch nur ein schöner Traum ist, der am Realismus der sterblichen Welt und der letzten Sinnlosigkeit des Daseins zerbricht. Ist der Homo sapiens mit all seinen metaphysischen, religiösen und moralischen Ideen und Imperativen nur das vorübergehende Produkt einer blinden Evolution des Lebens? Und verliert am Ende der „wissenschaftlichen Revolution“ der Konstrukteur von Gentechnik, künstlicher Intelligenz und des worldwideweb seinen Subjektstatus, um im erbarmungslosen Lauf der Evolution den Stab an eine höhere und intelligentere Roboter-Spezies weiterzureichen?11
Jeder Seelsorger trägt – wie alle anderen – in seinem Herzen die Nöte und Zweifel der Zeit. Verliert unser Glaube durch die Wissenshaft sein Fundament und ist er in einer durchrationalisierten Hightech Gesellschaft nicht zu einem nostalgischen Relikt geworden? Ist er im Zeitalter der totalen Kommunikation, Umweltzerstörung, Bevölkerungsexplosion, der Ablösung der natürlichen durch künstliche Familien und schließlich der Ersetzung der Ethik durch Konsum noch authentisch lebbar?12 Wie der Vater Jesus um Mitleid und Heilung für seinen verstörten Sohn bat, wird auch er zum „Sohn Gottes“ (Mk 1,1) täglich rufen: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Mk 9,24).
Im Gefängnis der Nationalsozialisten verfasste Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) – schon die mögliche Hinrichtung vor Augen – das Gedicht „Christen und Heiden“13:
1.
Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,
um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod.
So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.
2.
Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,
sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.
Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.
3.
Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,
sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod,
und vergibt ihnen beiden.
Von IHM zu sprechen ist der größte Dienst, den die Kirche den Menschen im Zeitalter der „Gottesfinsternis“15 und der „Abschaffung des Menschen“16 anbieten kann.
Durch die Möglichkeiten des Eingriffs in die Keimbahn sind mit der Technik des „Human-Engineering“ eine weitgehende Manipulation des Embryos und eine Hybridbildung möglich, so dass zumindest aus biologistischer Perspektive die Definition der menschlichen Spezies in Frage gestellt ist.17 Wie kann die Menschenwürde solcher menschlichen Artefakte gewahrt werden und wie ist ihr Grund und Wesen, nämlich der geistige und freie Bezug zu Gott als Ursprung und Ziel des Seins und des Menschen, zu wahren?18
Ist noch individuelle Freiheit möglich und kann die sittliche Verantwortlichkeit der Person im Gewissen vor einer höchsten, nicht von Menschen kontrollierten, Instanz gewährleistet sein19, wenn in einem System des social scoring eine absolute Überwachungsdiktatur national und international installiert wird?20
Über der Menschheit schwebt das Damoklesschwert des ambientalen Kollapses und des atomaren Supergaus. Auch ein zufällig einschlagender Komet könnte unseren Planeten zersprengen und das Ende der Menschheit heraufbeschwören. Und wie viele Milliarden unserer Zeitgenossen leben unter der Armutsgrenze und erreichen nicht die materiellen und kulturellen Bedingungen eines menschenwürdigen Lebens? Und wie viele ihrer Antipoden im kapitalistischen Westen leiden unter der Langeweile von Luxus und Konsum? Während woanders Kinder an Unterernährung sterben müssen, sterben hier Menschen vorzeitig an Überernährung oder wissen mit der höheren Lebenserwartung im Alter und seinen Gebrechen nichts anzufangen?21
Nicht wenige sind es auch, die auf die erste Frage des Katholischen Katechismus nach dem wahren Sinn unseres Daseins in der Welt „Warum sind wir auf Erden?“ nicht die Antwort wissen oder sich zu eigen machen können22: Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und einst auf ewig bei ihm zu leben.
Hat im Haus unseres Seins nicht der bislang noch „vor der Tür“ stehende „Nihilismus, dieser unheimlichste aller Gäste“23 am Tisch Platz genommen und das letzte „Brot des Lebens“ (Joh 6,48) vertilgt?24
Zum „europäischen Nihilismus“ sagte Nietzsche in den „Nachgelassenen Fragmenten“ am 10. Juni 1887: „Denken wir diesen Gedanken in seiner furchtbarsten Form: das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein Finale ins Nichts: ‚die ewige Wiederkehr‘. Das ist die extremste Form des Nihilismus: das Nichts (das ‚Sinnlose‘), ewig!“25
Dieser Nihilismus ist nicht Koketterie zwischen melancholischem Weltschmerz und tragischem Heroismus angesichts des Absurden und der Versuchung „einfach Schluss zu machen“, sondern die äußerste Herausforderung und Infragestellung der christlichen Gewissheit vom Sinn des Seins und seiner uranfänglichen Gründung im „WORT, das bei Gott war und Gott ist“ (Joh 1,1).
Vor 150 Jahren verkündete in einem Aphorismus Friedrich Nietzsche das „größte neuere Ereignis, – dass ‚Gott todt ist‘, dass der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden ist“26.
Und doch bekennen zu Beginn des 21. Jahrhunderts rund 2,3 Milliarden Menschen, dass „Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist, um das Leben zu haben in seinem Namen“ (Joh 20,31).
Die Kirche Jesu Christi weiß sich durch ein einzigartiges Band verbunden mit den Juden in der gemeinsamen Geschichte der Selbstoffenbarung des einen und einzigen Gottes. Das „Schema Israels“ ist auch das christliche Glaubensbekenntnis – das Symbolum fidei catholicae:
Höre Israel!
Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig.
Darum sollst du den HERRN, deinen Gott lieben
mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.
(Dtn 6,4 f.)
Jesus greift dieses Bekenntnis auf und bezeichnet die Gottes- und die Nächstenliebe als die beiden wichtigsten, nicht voneinander zu trennenden Gebote Gottes.
Auf die Frage des Gesetzeslehrers „Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?“ antwortete ER ihm:
Das erste Gebot ist:
Höre Israel,
der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr.
Darum sollst du den Herrn, deinen Gott,
lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele und
deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft.
Als Zweites kommt hinzu:
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Kein anders Gebot ist größer als diese beiden.
(Mk 12,29–31)
Die Aussage „An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (Mt 22,40) wird in der Lehre des Apostels Paulus von der „Rechtfertigung des Gottlosen“ (iustificatio impii) aus Gnade im Glauben aufgenommen und auf die Liebe hin, als die Erfüllung des Gesetzes, konzentriert: „Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren! und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes“ (Röm 13,9 f.).
Jesus der Christus ist in seiner menschlichen Natur die leibliche Gegenwart Gottes in der Geschichte seines erwählten Volkes und der ganzen Menschheit27: „Gott, der auf vielfältige und auf vielerlei Weise zu den Vätern durch die Propheten gesprochen hat, hat am Ende dieser Tage – ep’ eschatou – zu uns gesprochen durch den Sohn, den er auch zum Erben von allem eingesetzt hat, durch den er auch die Welt geschaffen hat“ (Hebr 1,1). Von Jesus dem Christus bekennt die „Kirche aus Juden und Heiden“ (Eph 2,16): HERR ist Jesus (Röm 10,9).28
Aus der vollen Gegenwart des Seins und Wirkens Gottes in seinem Fleisch gewordenen Wort, „dem Sohn des Vaters, in Wahrheit und Liebe“ (2 Joh 3) folgt die befreiende Einsicht: „Denn darin gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen (= Heiden). Denn alle haben denselben Herrn; aus seinem Reichtum beschenkt er alle, die ihn anrufen. Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden“ (Röm 10,12 f.).
Zu den Juden und Christen, die an den einen und einzigen Gott – credo in unum Deum –, „den Schöpfer des Himmels und der Erde“ (Gen 1,1) glauben, kommen 1,8 Milliarden Anhänger des Islam. Von ihnen sagte das II. Vatikanische Konzil (1965): „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten – qui unicum Deum adorant –, den lebendigen, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat.“29
Verbunden ist die gesamte Menschheit – schon vor dem Bekenntnis zu einer bestimmten Religion und Weltanschauung – in einer natürlichen geistigen Ausrichtung auf das unvordenkliche Geheimnis des Seins, das die sichtbare Welt überschreitet. „Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen findet sich bei den verschiedenen Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die dem Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist, und nicht selten findet sich auch die Anerkenntnis einer höchsten Gottheit oder sogar eines Vaters.“30 Es gibt – bei allen Unterschieden in den Antworten – doch eine tiefe Einheit und Solidarität der Menschheit im Suchen und Fragen nach der letzten Wahrheit des Seins und der Notwendigkeit, geistig und sittlich das Leben individuell und in Gemeinschaft zu meistern.
Schwer zu ermitteln ist die Zahl der Atheisten und Agnostiker in den Ländern expliziter christlicher Tradition, weil sie als Gemeinde mit einem klaren und expliziten Bekenntnis schwer zu identifizieren sind. Dennoch haben die gläubigen Christen täglich Kontakt zu Menschen in ihrer Familie, am Arbeitsplatz, in Schule und Universität, in den Vereinen und Parteien, die sich nur partiell mit dem Glauben ihrer christlichen Herkunft identifizieren, die sich dezidiert von ihm getrennt haben und die schließlich überhaupt nichts mit der christlichen Tradition zu tun haben oder sie sogar verabscheuen.
Die Christus-Gläubigen sehen in den Mitmenschen, die nicht an Gott glauben wollen oder können, nicht ihre Gegner oder die bedauernswerten Opfer des Zeitgeistes, sondern ihre Schwestern und Brüder, die den einen und einzigen Gott zu ihrem Schöpfer und Vater haben und ihn suchen.31 Sie bieten ihnen einen ehrlichen Dialog an, über die Frage, an der sich der Sinn von Sein überhaupt und von menschlicher Existenz im Besonderen entscheidet.32 Denn sie wissen sich mit ihnen verbunden in der „Suche nach einer besseren Welt“33.
Das unterscheidend Christliche besteht im Glauben, dass Gottes Allmacht die Freiheit der Kreatur nicht einschränkt, sondern befreit zur „Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21).
Im Bereich des endlichen Seins prallen zweifellos Macht und Freiheit, Gemeinwohl und Selbstbestimmung hart aufeinander. Die Allmacht des allgemeinen Interesses und die (relative) Autonomie des individuellen Willens schließen oftmals einander aus. Da Gott aber durch die Erschaffung der Welt nichts gewinnt und nichts verliert, kann er in seiner Liebe den Menschen in ihrer endlichen Freiheit „Macht geben, Kinder Gottes zu werden, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,12). Die menschliche Freiheit nimmt teil an der schöpferischen und fürsorgenden Macht Gottes und vollzieht sie in der Welt (Gen 1,28), damit der Mensch die Erde bearbeite – ut operaretur terram – und im Garten des Humanum wachse, blühe, reife und Frucht bringe (Gen 2,5 ff.). Die auf Gott bezogene und in ihm sich vollendende Autonomie des Menschen „entspricht dem Willen des Schöpfers. Durch ihr Geschaffensein selber haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit, sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode achten muss“34. Völlig in die Irre führen würde die „Autonomie der zeitlichen Dinge“, wenn man damit den universalen und intimen Bezug der Schöpfung zu Gott leugnen würde. „Denn das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts. Zudem haben alle Glaubenden, gleich, welcher Religion sie zugehören, die Stimme und Bekundung Gottes immer durch die Sprache der Geschöpfe vernommen. Überdies wird das Geschöpf selbst durch das Vergessen Gottes unverständlich.“35
Der Beter ruft beim Anblick des Himmelszeltes – erschüttert über die Disproportion zwischen seiner winzigen Existenz und des unermesslichen Kosmos – staunend aus: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ (Ps 8,5). Bekanntlich ist – nach Platon (427–347 v. Chr.) – „das Staunen der Zustand des Freundes der Wahrheit und es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen“36.
Und man könnte hier auch an Immanuel Kant (1724–1804) denken, der seine „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) mit dem bekannten Diktum beschließt: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfrucht, je öfter sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der gestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“37
Wer an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde glaubt (Gen 1,1), bekennt auch die Gottebenbildlichkeit des einzelnen Menschen (Gen 1,26 f.), in der jeder ohne Ausnahme sein Dasein und Sosein Gott verdankt, was ihn seinen Schöpfer preisen lässt mit dem Bekenntnis: „Du hast ihn [den Menschen] nur wenig geringer gemacht als Gott, du hast ihn gekrönt mit Pracht und Herrlichkeit. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände“ (Ps 8,6 f.).
Und das ist das erkenntnisleitende Interesse der folgenden Überlegungen im Wissen um die „Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters“ (Tit 3,4): „Die Kirche hält daran fest, dass die Anerkennung Gottes der Würde des Menschen keineswegs widerstreitet, da diese Würde eben in Gott gründet und vollendet wird. Denn der Mensch ist von Gott, dem Schöpfer, mit Vernunft und Freiheit als Wesen der Gemeinschaft geschaffen; vor allem aber ist er als dessen Kind zur eigentlichen Gemeinschaft mit Gott und zur Teilnahme an dessen Seligkeit berufen. Außerdem lehrt die Kirche, dass durch die eschatologische Hoffnung die Bedeutung der irdischen Aufgaben nicht gemindert wird, dass vielmehr ihre Erfüllung durch neue Motive unterbaut wird. Wenn dagegen das göttliche Fundament und die Hoffnung auf das ewige Leben schwinden, wird die Würde des Menschen aufs schwerste verletzt, wie sich heute oft bestätigt, und die Rätsel von Leben und Tod, Schuld und Schmerz bleiben ohne Lösung, so dass die Menschen nicht selten in Verzweiflung stürzen.
Jeder Mensch bleibt vorläufig sich selbst eine ungelöste Frage, die er dunkel spürt. Denn niemand kann in gewissen Augenblicken, besonders in den bedeutenderen Ereignissen des Lebens, diese Frage gänzlich verdrängen. Auf diese Frage kann nur Gott die volle und ganz sichere Antwort geben; Gott, der den Menschen zu tieferem Nachdenken und demütigerem Suchen aufruft.“38
Das Ziel der christlichen Mission ist nicht die Verbreitung einer Weltanschauung, sondern die Erkenntnis Gottes und seine Verehrung in der Liturgie39 und der praktischen Nächstenliebe. Wir werden durch Verkündigung und die Annahme des Glaubens Jünger Jesu und treten durch die Taufe in das Leben Gottes ein und Gott wird die Mitte unseres Lebens, Denkens und Handelns.40
Der Einwand verdient eine Antwort, warum – wenn Gott doch Ursprung und Ziel der ganzen Schöpfung sein soll – so viele und umfangreiche Abhandlungen in Philosophie und Theologie bis heute geschrieben worden sind, um uns von seinem Dasein und Wirken zu überzeugen. Gewiss ist der Glaube an ihn nicht das Resultat einer komplexen und kontroversen wissenschaftlichen Untersuchung, an der sich naturgemäß nur wenige Menschen beteiligen können. Doch, warum ist die Einsicht nicht selbstverständlich, dass Gott existiert, welcher – mit Anselm von Canterbury (1033–1109) gesagt – „der ist, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann – id quo maius nequit cogitari“41?
Gottes Existenz wird aber tatsächlich geleugnet oder für unerheblich erklärt, zur Bewältigung der menschlichen Existenz. Schon im biblischen Kontext treten Menschen auf, die in ihrem Herzen sagen „Es gibt keinen Gott“ und der Psalmist seufzt tief durch: „Und kaum einer ist da, der Gott sucht und Gutes tut“ (Ps 53,2 ff.). Es gibt also seit jeher die theoretische und praktische Leugnung Gottes, aber ebenso auch die Suche nach Gott und die Gewissheit, dass er „keinem von uns fern ist“ (Apg 17,27).
Gerade weil der Glaube frei ist und zur vollen Freiheit in der Liebe zu Gott hinführt, ist die mühevolle Aufgabe gestellt, uns intellektuell mit der Frage nach der Existenz Gottes als Vorbereitung auf den geoffenbarten Glauben auseinanderzusetzen. Nur so kann der von der heilsgeschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes ermöglichte und Heil vermittelnde übernatürliche Glaube vom Menschen seiner geistigen Natur nach bewusst mitvollzogen und frei angenommen werden. „Von Natur aus eingepflanzt – naturaliter insertum – ist uns die Erkenntnis vom Dasein Gottes nur in einem allgemeinen, unbestimmten Sinne, insofern der Mensch nur in Gott selig werden kann; das Streben nach Glück und Seligkeit nämlich ist uns von Natur eingepflanzt, und wonach der Mensch von Natur aus verlangt, das erkennt er auch irgendwie von Natur aus. Doch ist das noch keine eigentliche Erkenntnis des Daseins Gottes […]. Viele sehen nämlich im Besitz und Genuss oder in sonst etwas ihr höchstes Glück – beatitudo.“42
Aber welch anderes Ziel könnte die philosophische Theologie und noch mehr die Theologie der Offenbarung haben als die Menschen zu überzeugen, dass das Glück, das sie erstreben, niemand anderer sein kann als ihr Schöpfer und Erlöser. „Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott“ (Ps 42,2). Den Sinn unseres Lebens haben wir ergriffen, wenn wir zu Gott sagen können: „Zu dir hin hast du uns geschaffen und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir – quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec reqiescat in te.“44
Am Ende der 22 Bücher seiner monumentalen Geschichtstheologie in „De civitate Dei“ blickt der größte Kirchenlehrer des Abendlandes voraus auf den Jüngsten Tag, der keinen Abend mehr kennt. Und alle Dramatik der Welt findet ihre Erklärung und jedes einzelne Menschen-Schicksal seine Erlösung im letzten Zeitalter Gottes – dem von Nietzsche vergeblich erhofften Finale ohne Ende – dem finis sine fine. „Und dieses siebente Weltalter wird unser Sabbat sein, dessen Ende nicht ein Abend sein wird, sondern als der ewige achte Tag der Tag des Herrn, der durch Christi Auferstehung geheiligt ist und das Ruhen nicht nur des Geistes, sondern auch des Leibes vorbildet. Da werden wir feiern und schauen, schauen und lieben, lieben und preisen. Ja wahrhaftig, so wird es sein ohne Ende am Endziel. Denn das eben ist unser Endziel, zu einem Reich zu gelangen, dem kein Ziel durch ein Ende gesetzt ist.“45
Der heilige Augustinus46 beschließt sein Werk mit einem Trostwort für jeden theologischen Schriftsteller, der mit der Aufgabe, von Gottes Geheimnis zu reden, unausweichlich überfordert ist, indem er entwaffnend bekennt:
„Manchen werden die Ausführungen unzulänglich, manchen zu weitgehend erscheinen; sie mögen mir Nachsicht gewähren; wem sie aber genügen, der freue sich mit mir und danke, nicht mir, sondern mit mir Gott.“47
Rom, am Ostersonntag A.D. 2019 Gerhard Cardinal Müller
1Grundlegende Beiträge dazu in: George Augustin/ Christian Schaller/SÆawomir aledziewski, Der dreifaltige Gott. Christlicher Glaube im säkularen Zeitalter. Für Gerhard Kardinal Müller. Mit einem Grußwort von Benedikt XVI., Freiburg 2017; Johannes Röser (Hg.), Gott? Die religiöse Frage heute, Freiburg 2018.
2Zur Rolle der römischen Kirche in der catholica communio ecclesiarum und zu den theologischen Kriterien für die Kirchen- und Kurienreform vgl. Gerhard Ludwig Müller, Benedikt und Franziskus. Ihr Dienst in der Nachfolge Petri, Freiburg 2015, 78–88; ders., Der Papst. Sendung und Auftrag, Freiburg 2017; ders., Römische Begegnungen, Freiburg 2019.
3Irenäus von Lyon, Adv. haer. III, 3, 2.
4Charles Taylor, A Secular Age, Harvard University Press 2007; dt.: Ein säkulares Zeitalter, Frankfurt a. M. 2009.
5Zentrale Begriffe werden oft auch in griechischer und lateinischer Version angegeben, weil diese Ausgangs- und Bezugspunkte der Terminologie der Theologie auch in den modernen Sprachen sind.
6Johann Auer, Gott – Der Eine und Dreieine (= KKD 2), Regensburg 1978; Hans Küng, Existiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit, München 1978; ders., 24 Thesen zur Gottesfrage, München 31980; Walter Kasper, Der Gott Jesu Christi (= WKGS 4), Freiburg 2008; Herbert Vorgrimler, Gotteslehre I–II (= Texte zur Theologie. Dogmatik), Graz 1989; Wolfhart Pannenberg, Systematische Theologie I, Göttingen 1988; Francois-Xavier Durwell, Le Père. Dieu en son mystère, Paris 21988; dt.: Der Vater. Gott in seinem Mysterium, St. Ottilien 1992; Wilhelm Breuning, Gotteslehre (= Glaubenszugänge. Lehrbuch der Katholischen Dogmatik 1), Paderborn 1995, 201–362; Czeslaw Bartnik, Dogmatyka katolicka I, Lublin 2003; Gerhard Ludwig Müller, Katholische Dogmatik. Für Studium und Praxis der Theologie, Freiburg 102016, 222–470; Ilarion Alfeev, La Chiesa ortodossa 2. Dottrina, Bologna 2014, 47–180.
7Hans Joas, Die säkulare Option. Ihr Aufstieg und ihre Folgen: ders./Karl Lehmann (Hg.), Weltreligionen. Verstehen. Verständigung. Verantwortung, Leipzig 2009, 39–58.
8Georges Bernanos, Predigt eines Atheisten am Fest der kleinen Therese, Einsiedeln 21956. Dies ist ein Ausschnitt aus: ders., Les Grands Cimetières sous la Lune, Plon 1938, 247–275.
9Hans Urs von Balthasar, Gelebte Kirche: Bernanos, Einsiedeln 21954.
10Hans Urs von Balthasar, Therese von Lisieux und Elisabeth von Dijon, Einsiedeln 1990; Ida Friederike Görres, Thérèse von Lisieux. Ein Lebensbild. Herausgegeben und eingeleitet von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Freiburg 1998; Andreas Wollbold, Therese von Lisieux. Auf dem kleinen Weg, Kevelaer 2012.
11So die Vision in dem populärwissenschaftlichen Bestseller von Yuval Noah Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, München 2013.
12Vgl. Yuval Noah Harari, Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen, München 2017.
13Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung (= DBW 8), München 1998, 515 f.
14Diese Kurzformel des katholischen Glaubens geht zurück auf meinen großen Vorgänger als Regensburger Bischof. Vgl. Georg Schwaiger, Johann Michael Sailer. Der bayerische Kirchenvater, München 1982, 77 f.
15Martin Buber, Gottesfinsternis. Betrachtungen zur Beziehung zwischen Religion und Philosophie (1923), München 1953.
16Clive Staples Lewis, The Abolition of Man. Reflections on education with special reference to the teaching of English in the upper forms of schools (1943); dt.: Die Abschaffung des Menschen, Einsiedeln 1983.
17Vgl. Eric Lander u. a., Adopt a moratorium on heritable genome editing: Nature. International Journal of science 567 (2019), 165–168.
18Xavier Zubiri, El problem teologal del hombre: Cristianismo, Madrid 1999.
19Grundlegend dazu Johannes B. Lotz, Person und Freiheit (= QD 83), Freiburg 1979; Jörg Splett, Freiheits- Erfahrung. Vergegenwärtigungen christlicher Anthropo-theologie, Frankfurt a. M. 1986.
20Vgl. Stephan Schuer, Der Masterplan. Chinas Weg zur Hightech-Weltherrschaft, Freiburg 2018; Kai Strittmatter, Die Neuerfindung der Diktatur. Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert, München 2018.
21Gustavo Gutiérrez/Gerhard Ludwig Müller, An der Seite der Armen. Theologie der Befreiung, Augsburg 2004; Gerhard Kardinal Müller, Armut. Die Herausforderung für den Glauben. Mit einem Geleitwort von Papst Franziskus, München 2014.
22Josef Pieper, Über die Schwierigkeit heute zu glauben. Aufsätze und Reden, München 1974.
23Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1885– 1887 (= KSA 12), München 1980, 125.
24Elmar Dod, Der unheimlichste Gast. Die Philosophie des Nihilismus, Baden-Baden 2013.
25Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1887 (6) (= KSA 12), München 1980, 213.
26Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Aphorismus 343 (5. Buch) (= KSA 3), München 1980, 573.
27Walter Kasper, Jesus der Christus (1975) (= WKGS 3), Freiburg 2007; Gerhard Ludwig Müller, Christologie. Die Lehre von Jesus dem Christus (= Glaubenszugänge 2), Paderborn 1995, 1–297; Joseph Ratzinger, Jesus von Nazareth (= JRGS 6/1), Freiburg 2013.
28Nostra aetate 4.
29Nostra aetate 3.
30Nostra aetate 2.
31Nostra aetate 2.
32Gaudium et spes 19
33Karl Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt. Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren, München 1984.
34Gaudium et spes 36.
35Gaudium et spes 36.
36Platon, Theaitetos 145d; Aristoteles, Metaphysik 982b: „Denn Verwunderung (thaumazein) war den Menschen jetzt wie vormals der Anfang des Philosophierens […]“.
37Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft A 289: ders., Werke in zehn Bänden 6, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1968, 300.
38Gaudium et spes 21.
39vgl. Romano Guardini, Vom Geist der Liturgie (= Ecclesia orans 1), Maria Laach 1918; dazu: Hanna- Barbara Gerl, Romano Guardini 1885–1968. Leben und Werk, Mainz 21985, 112–121; Joseph Ratzinger, Theologie der Liturgie. Die sakramentale Begründung christlicher Existenz (= JRGS 11), Freiburg 2008; Walter Kasper, Die Liturgie der Kirche (= WKGS 10), Freiburg 2010; George Augustin/Markus Schulze (Hg.), Glauben feiern. Liturgie im Leben der Christen (FS Andreas Redtenbacher), Mainz 2018.
40Thomas Gürtler, Jesus Christus – Die Antwort der Kirche auf die Frage nach dem Menschsein. Eine Untersuchung zu Funktion und Inhalt der Christologie im Ersten Teil der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils (= ErThSt 52), Leipzig 1986.
41Anselm von Canterbury, Proslogion 3: ders., Opera Omnia 1 (ed. Schmitt), Stuttgart 1964, 102.
42Thomas v. Aquin, S.th. I q.2 a.1 ad1.
43Karl Lehmann, Es ist Zeit an Gott zu denken. Ein Gespräch mit Jürgen Hoeren, Freiburg 22000.
44Augustinus, Conf. I 1.
45Augustinus, De civ. Dei 22, 30.
46Peter Brown, Augustine of Hippo. A Biography; dt.: Augustinus von Hippo. Eine Biographie, Frankfurt a. M. 2000; Joseph Ratzinger, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche. Die Dissertation und weitere Studien zu Augustinus und zur Theologie der Kirchenväter (= JRGS 1), Freiburg 2011; Robin Lane Fox, Augustine. Conversions and Confessions, London 2015; dt.: Augustinus. Bekenntnisse und Bekehrungen im Leben eines antiken Menschen, Stuttgart 2017.
47Augustinus, De civ. Dei 22, 30.
Der Anlass für die renommierten Lublin-Lectures war das 100-jährige Gründungs-Jubiläum dieser einzigen Katholischen und Freien Universität hinter dem Eisernen Vorhang bis zum Fall des Sowjetischen Imperiums. Mit der Befreiung Polens aus der 123-jährigen Geschichte seiner brutalen Vergewaltigung durch die Teilungsmächte Russland, Preußen und Österreich übersiedelte die Römisch-Katholische Theologische Akademie von Sankt Petersburg in die Stadt von König Kasimir IV. Jagiello (1427– 1492). Am geschichtsträchtigen Ort der Polnisch-Litauischen Real-Union (1569) wurde sie als Katholische Universität Lublin 1918 im „wiederauferstandenen Polen“1 gegründet.
Sie trägt seit dem Jahr 2005 den Namen seines berühmtesten Landsmanns, des heiligen Papstes Johannes Paul II.
Seit den drei Teilungen (1772, 1793, 1795)2 und trotz einer Politik der totalen Auslöschung ihrer nationalen, kulturellen und religiösen Identität – aufgrund des Hitler-Stalin-Paktes am 23. August 1939 während der deutschen Okkupation im II. Weltkrieg und dann im Kalten Krieg nach der Unterwerfung unter die kommunistische Herrschaft bis zur Selbstbefreiung 1989 – vermochten die Polen allein durch den christlichen Glauben und die katholische Kirche ihre physische Existenz und spirituelle Eigenart zu behaupten.3
In einer schon an Hitler und Stalin anklingenden Sprechweise betonten die drei Teilungsmächte – wie es in einem geheimen Zusatzartikel der Konvention vom 26. Januar 1797 heißt – „die Notwendigkeit alles auszulöschen, was irgendwie an die Existenz eines polnischen Königreiches erinnert im Hinblick auf die durchgeführte Vernichtung dieser politischen Körperschaft“4.
Es bleibt eine beschämende Erinnerung, dass man im westlichen Europa ohne Empathie der Tragödie des östlichen Nachbarvolkes zusah. Im 19. Jahrhundert galten die Polen als revolutionsfreudige Störenfriede der von den Großmächten verfügten reaktionären Ordnung des Wiener Kongresses (1815). Im 20. Jahrhundert hingegen verdächtigte man sie, den Anschluss an die westliche Demokratie und die materialistische Lebensweise verpasst zu haben, weil sie sich nicht den „fortschrittlichen“ Ideen des Kommunismus und heute dem Programm der Dechristianisierung Europas unterwerfen. In den westlichen Machteliten und Medienhäusern verurteilt man – im Namen diktierter „europäischer Werte“ – ihre hartnäckige Weigerung, freiwillig ihre Identität aufzugeben.
Die Polen jedoch haben sich als dasjenige Volk in Europa erwiesen und bewährt, das die größten Opfer für Freiheit und Demokratie zu bringen bereit war.5 Europa ist das Ganze seiner Völker und nicht nur die westzentrierte Perspektive, der sich die östlichen Nationen einzufügen oder gar zu unterwerfen hätten.
Vollzogen sich die Revolutionen in England (1688), Frankreich (1789) und Russland (1917) als Machtkämpfe im eigenen Land, so erkämpften sich die Polen ihre Freiheit in Aufständen gegen drei ausländische Fremdherrschaften. Allein im Warschauer Aufstand (1944) gegen die Nazi-Okkupanten bezahlten 200.000 Polen die Liebe zur Freiheit mit ihrem Leben.6 Auf das blutbefleckte Konto der deutschen Besatzung von 1939 bis 1945 gehen sechs Millionen gewaltsam zu Tode gebrachte polnische Bürger, die Hälfte davon Juden. Dieses alte Land von Kultur und Humanität musste die beispiellose Demütigung erleiden, von Hitler und seinen Schergen zum Schauplatz des abscheulichsten Menschheitsverbrechens im Holocaust ausgesucht zu werden. Im Programm der „Eindeutschung“ raubten die Nationalsozialisten bis zu 200.000 polnische Kinder, um sie bei deutschen Familien aufwachsen zu lassen. Viele dieser Menschen haben nie ihre wahre Identität erfahren oder erlebten ein tiefes Trauma bei der Aufdeckung dieses ungeheuerlichen Verbrechens gegen die Menschlichkeit.7
Und wie viele Deportierte sahen nach den Aufständen gegen das Zarenregime (1831, 1863) und die kommunistische Diktatur ihre Heimat nicht mehr wieder und wurden in sibirischer Erde begraben?
Fernab jeder Idealisierung der immer ambivalenten Historie und des Zwielichts alles bloß Menschlichen ist das katholische Polen in Wahrheit ein Leuchtturm europäisch-abendländischer Identität und des christlichen Humanismus im anspruchsvollsten Sinne des Wortes. Die Zukunft ist das Feld der Bewährung des geschichtlichen Erbes. „Herkunft aber bleibt stets Zukunft.“8
Der Glaube an Gott koexistiert exemplarisch in einem katholisch geprägten Land wie Polen mit autonomer Selbstbestimmung und religiöser Freiheit des Individuums und der Nation in einem Staat mit demokratischer Verfassung. Dazu gehörte die völlige Freiheit und Integration der Juden, die zeitweise ein Viertel der Bevölkerung darstellten.
Die Revolutionen richteten sich in England, Frankreich und Russland gegen den religiös verbrämten politischen Absolutismus. Unter diesem Gesichtspunkt muss es auffallen, das es in Polen keinen zentralistischen Absolutismus gab und deshalb historisch die Vereinbarkeit des katholischen Glaubens mit den Werten der modernen Demokratie – hier wie auch anderswo – unter Beweis gestellt ist.9
Wie der berühmte deutsche Schriftsteller Heinrich Heine (1797–1856) in seinem Reisebericht „Über Polen“ (1823) erwähnt, hatte ein polnischer König, den man zur zwangsweisen Rekatholisierung der Protestanten bewegen wollte, ein Zeugnis der traditionellen Toleranz des Staates abgegeben: „Ich bin ein König der Völker, nicht der Gewissen – Sum rex populorum, non conscientiarum.“10 Das war das bravouröse Gegenstück zu dem Bärendienst, den im Jahre 1685 König Ludwig XIV. (1643–1715) Frankreich und besonders der katholischen Kirche erwies, als er aus rein politischen Gründen das Edikt von Nantes (1598) seines Vorgängers Heinrichs IV. aufhob.
Zur kritischen Auseinandersetzung mit der selbstgerechten angelsächsisch-niederländischen, calvinistisch eingefärbten „Schwarzen Legende“11, die propagandistisch die katholischen Länder (Spanien12, Frankreich, den Päpstlichen Kirchenstaat, das Königreich beider Sizilien) als antimodern diffamierte,13 sei allerdings auch – in Abhebung von der preußisch-protestantischen, antikatholischen und gegenüber Italien, Spanien und Polen feindseligen Geschichtsschreibung des 18. und 19. Jahrhunderts –14 an die Tatsache erinnert, dass in den protestantisch dominierten nordischen Staaten den Katholiken erst im Laufe des 19. Jahrhunderts Religionsfreiheit gewährt wurde, nachdem lange Zeit allein schon die Feier der Heiligen Messe als Hochverrat mit der Todesstrafe grausamst – hanged, drawn and quartered – geahndet wurde.15 Gegen Sebastian Castellio, der die von Jean Calvin betriebene grausame Hinrichtung des Miguel Serveto als Ketzer (1553) im Namen der Toleranz und Humanität kritisierte, wies sein engster Mitarbeiter Theodor Beza im Namen des Hauptes der reformierten Kirche von Genf, anders als der genannte polnische König, „die Freiheit des Gewissens als Teufelslehre – libertas conscientiae diabolicum dogma“16 zurück.
Jenseits einer konfessionalistischen oder ideologisch voreingenommenen und historisch aufrechnenden Geschichtsschreibung18 besteht heute eine ökumenische Einmütigkeit in der Überzeugung, dass das Christentum kein Fremdkörper in den säkularen und pluralistischen Gesellschaften des Westens ist, sondern der unerschöpfliche Quellgrund seiner Überzeugungen von der Würde und Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,27; Ps 8,6) und „seiner höchsten Berufung“19 zur ewigen Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott in der Communio sanctorum (1 Joh 1,3.7).20
Die Kirchenväter sprachen von der Vergöttlichung des Menschen. „Denn Gott wurde Mensch, damit wir vergöttlicht würden.“21 Das bedeutet die Teilhabe des Menschen am Leben Gottes durch die Relation zum Vater in der Gottessohnschaft in Jesus Christus und der Gottesfreundschaft im Heiligen Geist.22 „Denn dazu ist das Wort Gottes Mensch und der Sohn Gottes Menschensohn geworden, damit der Mensch Sohn Gottes wird, indem er sich mit dem Wort Gottes vermischt [= vereinigt] und an Sohnes Statt angenommen wird.“23
Im Wissen um die Schöpfung als Teilhabe an Gottes Weisheit und Güte erweist sich die Alternative zwischen restloser Theozentrik des Menschen und seiner vollen Verantwortung für die Umwelt und Mitwelt, die Familie, die Nation und die gesamte Menschheit so sinnlos wie die Trennung des Lichtes von der Geschwindigkeit seiner Ausbreitung.
Indem das II. Vatikanum (1962–1965)24 die Ortsbestimmung der „Kirche in der Welt von heute“ vornimmt, stellen die Konzilsväter fest:
„In der Teilnahme am Licht des göttlichen Geistes urteilt der Mensch richtig, dass er durch seine Vernunft die Dingwelt überragt. In unermüdlicher Anwendung seiner Geistesanlagen hat er im Lauf der Zeit die empirischen Wissenschaften, die Technik und seine geistige und künstlerische Bildung sehr entwickelt. In unserer Zeit aber hat er mit ungewöhnlichem Erfolg besonders die materielle Welt erforscht und sich dienstbar gemacht. Immer jedoch suchte und fand er eine tiefere Wahrheit. Die Vernunft ist nämlich nicht auf die bloßen Phänomene eingeengt, sondern vermag geistig-tiefere Strukturen der Wirklichkeit mit wahrer Sicherheit zu erreichen, wenn sie auch infolge der Sünde zum Teil verdunkelt und geschwächt ist. Die zu erreichende Vollendung der Vernunftnatur der menschlichen Person ist die Weisheit, die den Geist des Menschen sanft zur Suche und Liebe des Wahren und Guten hinzieht und den durch sie geleiteten Menschen vom Sichtbaren zum Unsichtbaren führt.“25
Der Glaube an Gott, die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft und die sichere Urteilskraft des Gewissens in der Unterscheidung von Gut und Böse, machen den Menschen auch immun gegen die Versuchung des westlichen Kapitalismus, der den Menschen von jeder Bindung an Gott und die natürlichen Gemeinschaftsformen abtrennt und zu einem bloßen Konsumenten materieller Güter erniedrigt, wie auch gegenüber dem sozialistischen Kommunismus, der den Menschen als Baumaterial für ein von Ideologen erträumtes irdisches Paradies verbraucht.26
So erfasste es aufgrund leidvoller Erfahrung am eigenen Leib der russische Schriftsteller und Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn (1918– 2008) in seiner berühmten Rede, die er am 8. Juni 1978 an der Harvard-University gehalten hatte.27 Für ihn stand fest, wie er kurz vor seinem Tode bekannte, dass „der Glaube zu den Grundlagen und Grundfesten des Lebens eines Menschen“ gehört.28
Während die „aufgeklärten Herrscher“ Friedrich II. von Preußen, die Autokratin Katharina II. von Russland29 und die ebenfalls zeitgeistig agierenden Österreicher von Maria Theresia über Joseph II. bis zu Franz II. zwischen 1772–1795 ein ganzes Volk als Beute unter sich aufteilten, wurde die zweite demokratische Verfassung der Welt und die erste Europas vom polnischen Sejm – vier Monate vor der französischen – am 3. Mai 1791 in Warschau verabschiedet. Sie bekräftigt die individuelle Religionsfreiheit, Gewaltenteilung, Volksouveränität, und die Parlamentsverantwortlichkeit der Regierung. Sie war beeinflusst von dem Gutachten „Considérations sur le Gouvernement de Pologne, et sur la Réformation projété“30 (1771/72; veröffentlicht 1782), das Jean-Jacques Rousseau auf Bitten polnischer Adliger zur Rettung des polnisch-litauischen Staates aus der Anarchie und vor der Raubgier der Nachbarn verfasst hatte.
Polen hat durch zwei Jahrhunderte hindurch unter ungeheurem Leidensdruck und mit unbezwingbarer Freiheitsliebe bewiesen, dass der Glaube an Gott und das katholische Bekenntnis mit den Zielen der Moderne, nämlich sittliche Autonomie der Person, Demokratie, Religionsfreiheit, Volkssouveränität und Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht nur vereinbar sind, sondern dass die katholische Kirche – während sie den Offenbarungsglauben verkündet – zugleich auch das natürliche Sittengesetz und die unveräußerlichen Menschenrechte31 promoviert, die in Gott ihren ersten Garanten und sichersten Grund haben.32
Es ist noch zu wenig bekannt, dass die theoretische Begründung der Menschenrechte und des Völkerrechtes in der von Gott geschaffenen, aber selbständig existierenden geistig-sittlichen Verfassung des Menschen bei Francisco de Vitoria (1483–1546)33 und der an Thomas von Aquin (1225–1274) ausgerichteten Schule von Salamanca schon lange vor der Formulierung eines Naturrechtes im Werk des Hugo Grotius (1583–1645) „De jure belli ac pacis“ (1625) naturrechtlich und nicht etwa offenbarungstheologisch begründet wurde. In der Tradition der Scholastik kann und muss durchaus gesagt werden, dass die sittlichen Prinzipien auch dann verpflichten, wenn es Gott nicht gäbe (etiam si daremus […] Deum non esse), oder wenn einer nicht an Gott im Sinne des christlichen Bekenntnisses glaubt. Anders sieht es aus bei der Begründungsproblematik. Denn die Gebote gelten kraft des sittlichen Anspruches des Guten, das sie einfordern, und nicht etwa nur aufgrund einer positivistischen Setzung durch Gott (was die selbstwidersprüchliche Differenz vom Sein Gottes und dem Guten als Ziel des Handelns voraussetzen würde) oder gar nur durch einen weltlichen Gesetzgeber. Wer allerdings das Unbedingte der sittlichen Verpflichtung im kategorischen Imperativ leugnet, hat sich auch den Zugang zur Gotteserkenntnis als Postulat der praktischen Vernunft verbaut.34
Der intellektuelle und religiöse Widerstand gegen den Kommunismus zwischen 1945 und 1989, der im Namen des „Humanismus gegen Gott“ Freiheit und Glauben vernichten wollte, machte gerade die Katholische Universität von Lublin zum symbolischen Ort, um die Einheit von Glaube und Vernunft, von Gnade und Freiheit, von Gottesglaube und Weltverantwortung theologisch und philosophisch aufzuweisen.
Dabei ging es nicht um die Analyse und Beschreibung der modernen Welt mit ihren Charakteristika der Globalisierung35, der Digitalisierung, des worldwideweb und der social media, mit den soziologischen, szientistischen und politischen Ideologien und mit ihren apokalyptischen Szenarien eines ökologischen Kollapses der Erde oder einer atomaren Selbstvernichtung der Menschheit.36 Es geht nicht um die „geistige Situation der Zeit“37, „das Unbehagen in der Kultur“38 mit der Erfahrung der Sinn- und Ziellosigkeit des westlichen Kulturbetriebs und – in soziologischer Perspektive gesprochen – um „christliche Zukunftsmöglichkeiten“39 zwischen „Ungewissheit und Wagnis“40 in einer „offenen Gesellschaft“41, um die Frage „Hat die Religion Zukunft?“42, um die „Kirche in Europa“43 oder um „christliche Orientierung in der Weltlichkeit von heute“44 oder allgemein um eine „Einführung in das Christentum“45 sondern theologisch um den heilsvermittelnden Glauben an den „Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (Eph 1,3).
Denn der Glaube hat – seinem Wesen nach – nicht Zukunft, wenn wir an das evolutionäre Überlebensprinzip des „struggle for life“ denken, sondern er öffnet uns geschichtlich und eschatologisch für Gott als unser aller „absolute Zukunft“ in der vollendeten „Selbstmitteilung Gottes“46.