Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Juli 1683 rückt ein osmanisches Heer vor die Mauern Wiens. Die Verteidiger glauben sich bestens gerüstet, bis am ersten Belagerungstag Flammen gegen das kaiserliche Zeughaus schlagen. Der Hauptpulverturm explodiert und unter seinen Trümmern werden die Hoffnungen des christlichen Europas, dass der türkische Vorstoß bei Wien zum Stillstand kommt, begraben. Unter dem Eindruck des von ihm mit verschuldeten Elends schlägt sogar dem rücksichtslosen französischen König Ludwig das Gewissen. Der Goldene Apfel bietet Lesern eine Zeitreise zu den politischen und kriegerischen Schauplätzen des Entscheidungsjahres 1683 in bildhaften Szenen. Getragen wird die Handlung von realen historischen Personen und fiktiven Charakteren wie dem kaiserlichen Söldner Breitenbrunner und dem Janitscharen Sary Mihail, die fanatisch ihre Haufen in den Kampf führen, bis sie in Wien aufeinander treffen. Eine auf realen Tatsachen und Ereignissen basierende und im Stil eines historischen Romans geschriebene alternate history, die glaubhaft schildert, was nicht geschehen ist aber beinahe geschehen wäre.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 1133
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Alfred Stabel
Der goldene Apfel der Deutschen
Kuebler Verlag
DER AUTOR
Der Autor ist in Wien geboren (Jg. 1950) und aufgewachsen. Nach dem Militärdienst Soziologiestudium und zweijährige Arbeit als Entwicklungshelfer in Mittelamerika. Danach Promotion zum Dr. Med., es folgen viele Jahre in der Notfallmedizin. Als Geschichten erzählender Vater schreibt er seinen Kindern schließlich ein Büchlein und entdeckt dabei seine Freude am Verfassen kreativer Texte. Interesse für Geschichte, insbesondere Wiener Stadtgeschichte und die Tatsache, dass es über die zweite Wiener Türkenbelagerung viel Sachliteratur aber bisher keinen ernsthaften Roman gibt, führt ihn zu diesem Thema. Er ist der Ansicht, dass Geschichte jeden faszinieren kann, wenn man ihre Details kennt. Der Autor arbeitet an seinem zweiten Buchprojekt, ist glücklich verheiratet und hat sechs Kinder.
DAS BUCH
Im Juli 1683 rückt ein osmanisches Heer vor die Mauern Wiens, dem „Goldenen Apfel der Deutschen“. Die Verteidiger glauben sich bestens gerüstet, bis am ersten Belagerungstag der Hauptpulverturm explodiert und unter seinen Trümmern die Hoffnungen des christlichen Europas, dass der türkische Vorstoß bei Wien zum Stillstand kommt, begraben werden. Der Goldene Apfel bietet Lesern eine Zeitreise zu den politischen und kriegerischen Schauplätzen des Entscheidungsjahres 1683 in bildhaften Szenen. Getragen wird die Handlung von realen historischen Personen und fiktiven Charakteren. Eine auf realen Tatsachen und Ereignissen basierende und im Stil eines historischen Romans geschriebene Alternativweltgeschichte, die glaubhaft schildert, was nicht geschehen ist aber beinahe geschehen wäre.
DAS UMSCHLAGSBILD
Der Umschlag entstand unter Verwendung des Bildes „Schlacht am Kahlenberg 1683“ von Jan Wyck. Historisch passt es nicht genau zu dem vorliegenden Buch, da es den Angriff der polnischen Kavallerie auf die Türken vor Wien zeigt, aber es ist dennoch ein stimmiges Zeitzeugnis.
Alfred Stabel
Der Goldene Apfel der Deutschen
Die Türken erobern Wien – Alternativweltgeschichte
Weitere Informationen:www.kueblerverlag.de
Impressum
Deutsche Erstausgabe
© 2014 by Kuebler Verlag GmbH, Lampertheim
Umschlaggestaltung unter Verwendung von Fotos von © alexfiodorov, © Guiseppe Porzani, © Anna Poguliaeva – Fotalia.com
Lektorat: Klaus Spangenmacher
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Kuebler Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt, verbreitet oder zugänglich gemacht werden.
ISBN Buchausgabe: 978-3-86346-079-2
ISBN Digitalbuch:978-3-86346-214-7
Prolog
Nach dem Sieg bei Mohács über die Ungarn im Jahre 1526 eroberte Sultan Süleyman der Prächtige weite Teile Ungarnsund belagerte 1529 Wien. Zum Schutz seiner Erblande im Süden begann Erzherzog Ferdinand I., Bruder des deutschen Kaisers Karl V., mit der Errichtung einer Militärgrenze aus befestigten Städten, Burgen und Wehrdörfern von der Drau bis zur adriatischen Küste. Besiedelt wurde dieser neuzeitliche Limes mit Serben, Kroaten und Deutschen. Aus ihnen erwuchs ein kriegerischer Bauernstand, der fortan das Hinterland gegen türkische Raubüberfälle schützte und im Krieg Militärdienst leistete. Im Gegenzug erhielten sie Land, Steuerfreiheit und das Recht auf freie Religionsausübung.
Wegen dieser Privilegien zog Ignaz Breitenbrunner im Jahre 1618 von Süddeutschland an die kroatisch-türkische Grenze. Er entging dem Dreißigjährigen Krieg und fand was er suchte. Ein Leben, in das einem keiner dreinredete, solange man seine Pflicht tat. Kurz vor Ignaz Breitenbrunners Tod gebar seine Schwiegertochter im Jahr 1650 Zwillinge, die einander so ähnlich waren, dass die eigene Mutter am nächsten Tag nicht sagen konnte, wer von den beiden als erster das Licht der Welt erblickt hatte.
Zwölf Jahre später glichen sich die Knaben immer noch bis aufs Haar. „Aus dem selben Ei geschlüpft“, sagten die Leute im Dorf oder „wie ein linker und ein rechter Schuh“, wenn sie nebeneinander herliefen. Man sah sie nur gemeinsam und meistens redete einer für alle zwei.
An einem Augustnachmittag des Jahres 1662 verließen sie mürrisch das Haus. Sie sollten Pilze für das Abendgericht sammeln. Pilzesammeln, Beerenbrocken und Gänsehüten gehörten nicht mehr zu ihren Aufgaben. Dafür war Maria, ihre jüngere Schwester, zuständig. „Euer Pech“, hatte die Mutter gesagt „dass sie krank im Bett liegt“, und dazu gelacht.
Sie gingen mit einem leeren Korb im Arm und einer Pistole im Gürtel durch die Dorfgasse. Anderswo im Reich wären sie mit den Pistolen nicht weit gekommen, weil die Obrigkeit den einfachen Leuten das Waffentragen verbot. Nicht so an der Grenze. Dies war ein Wehrdorf mit einem Wall aus dicken Palisaden und zwei gemauerten Toren. Einem Mann der unbewaffnet auf sein Feld oder in den Wald wollte, hätte die Torwache auf sein Versehen aufmerksam gemacht und um Pistole und Säbel geschickt.
Vor dem Südtor lungerte die Dorfjugend am Bach herum. Einige fischten, die anderen plantschten im Wasser oder trockneten sich auf den Steinen.
Die Brüder versuchten unbemerkt vorbei zu kommen. Aber der Nachbarjunge sah sie und zeigte auf die Körbe.
„Seht euch die zwei Jungfern an“, schrie er, „gehen auf den Markt einkaufen.“
Es fielen weitere spöttische Bemerkungen, die sie allesamt ignorierten, mit einem Korb in der Hand ließ sich nichts gewinnen.
Sie hüpften von Stein zu Stein zwischen den Badenden hindurch, bekamen einige Spritzer ab, murmelten Racheschwüre und zuckten zusammen, als sie die hübschen Bäckerstöchter Alenka und Ester unter den Lachenden sahen. Mit ihnen hatten sie vor drei Tagen am dunklen Dorfplatz Küsse getauscht und ohne die verdammten Körbe wären sie jetzt sicher mitgekommen.
Zerknirscht aber nicht würdelos stapften sie die Wiese zum Waldrand hinauf.
„Die kriegen das zurück“, stellte Michael fest.
Konrad nickte nur zustimmend. Die Sache war klar und sie waren sich wie immer einig.
Josef, der schwachsinnige Schafhirte, kam ihnen mit einem Lamm unter dem Arm grinsend entgegen.
„Halt Obacht, Josef“, sagte Konrad mit warnend erhobenem Zeigefinger. „Ein hungriger Wolf treibt sich im Tal herum!“
„Und die Türken, hehehe. Hab' welche gesehen auch unten im Tal.“
„Die mit den grünen Gesichtern?“
„Ja, hehehe.“
„Dann spring ins Dorf hinunter und melde es der Wache!“, sagte Michael ebenfalls lachend. „Lauf!“
Josef schüttelte den Kopf und wies mit der Hand auf seine Schützlinge, die bähend in kleinen Gruppen die Wiese hinauf zogen.
In der gutmütigen Art großer Jungen, die sich schon wie halbe Männer fühlten, unterhielten sie sich noch kurz mit dem stets freundlichen Narren, bevor sie pfeifend weitergingen. Die Sache mit Alenka und Ester ließ sich einrenken, wenn sie ihnen Brombeeren mitbrachten.
In einem lichten Eichenhain stießen sie auf eine Kolonie frischer Steinpilze, mit denen sie ein lustiges Zielschiessen in die abgestellten Körbe begannen. Manchmal kam so ein Pilz von der Flugbahn ab und landete auf dem Kopf des Bruders, was beide ungemein erheiterte. Lustig war es auch, einen Pilz mit den Zehen zu fassen oder gleich mit einem Tritt in einen Korb zu befördern. Trotz des Massakers wurden die Körbe schnell voll und weil die Mutter sie nicht vor dem Abend zurück erwartete, nahmen sie auf dem Rückweg eine Rehfährte auf. Die führte an einem Gestrüpp mit großen schwarzen Brombeeren vorbei. Konrad ging vorsichtig, um sich an den Dornen nicht zu verletzen, zwei Schritte hinein.
„Au, verdammtes Biest!“
„Hat dich eine Schlange gebissen?
„Ja.“
„Ich seh' sie! Eine große Hornviper!“
Konrad setzte sich auf den Boden und rieb sich den nackten Fuß, während Michael rachedurstig mit dem Ast im Gestrüpp stocherte.
„Die ist weg! Schneid die Stelle auf!“
Michael machte mit dem Messer einen tiefen Schnitt über dem Knöchel. Es kam reichlich Blut, der Unterschenkel schwoll trotzdem an. Also zog er die Hose herunter und pinkelte auf die Wunde.
Als die Schwellung übers Knie ging und der Fuß taub wurde, beschlossen sie, Hilfe zu holen. Michael lief ernsthaft besorgt los, rannte wie ein Teufel die Wiesen hinunter und blieb auch nicht stehen, als ihm der Hut vom Kopf flog. Beim Wäldchen am Bach hielt er kurz an und winkte hinauf.
Konrad lehnte sich zurück. Hilfe würde bald da sein. Wahrscheinlich kamen sie binnen einer Stunde mit dem Karren herauf, damit er das vergiftete Bein nicht bewegen musste. Während er wartete, setzte die Dämmerung ein. Beine und Arme waren taub geworden und sein Kopf drehte sich wie ein Kreisel.
Verschwitzt und zitternd erwachte er in der Morgendämmerung aus einem fiebrigen Koma. Vom Gift noch betäubt trat er auf wackeligen Beinen den Heimweg an, ohne sich Gedanken über den Bruder oder die Tatsache zu machen, dass ihn keiner geholt hatte. Alles was ihn beschäftige waren die Schmerzen im Fuß und der quälende Durst. Im Wäldchen ließ er sich in den Bach fallen und soff wie ein Pferd. Als er sich aufrichtete, setzte sein Verstand wieder ein. Mindestens einen, vielleicht auch zwei Tage, hatten sie ihn am Berg liegen lassen. Mit dem Gefühl, dass etwas nicht stimmte, stieg er vom Bach auf die Strasse. Kein Mensch weit und breit, auch keine Stimmen oder Hundegebell aus dem nahen Dorf. Das war höchst ungewöhnlich. Während er aufmerksam seine Umgebung betrachtete, schoss ihm ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf. Was, wenn der närrische Josef wegen der Türken die Wahrheit gesagt hatte? Dann konnten sie jederzeit aus dem Wald hervor brechen und über ihn herfallen.
Mit zittrigen Händen überprüfte er das Zündkraut in der Pfanne und spannte den Hahn. „Angst hat noch keinem Mann geholfen“, pflegte der Vater zu sagen, wenn sich einer zu sehr fürchtete.
Also bemühte er sich die Angst abzuschütteln, während er hüpfend und hinkend dem Dorf zustrebte.
Er kam zum ersten Anwesen.
Das alte Paar, das hier gewohnt hatte, lag auf der Schwelle ihres niedergebrannten Hauses. Pfeile steckten in den angesengten Körpern und daneben lag ihr Hund mit zertrümmertem Schädel.
Es war der Anfang eines Alptraumes, der nicht wich, egal wie oft er die Fäuste gegen den brummenden Schädel schlug.
Das Dorf war voller Leichen. Überall hatte es gebrannt, das eigene Haus und die Schmiede waren im Feuer eingestürzt. Fieberhaft suchte er unter den rauchgeschwärzten Trümmern nach Eltern und Geschwistern. Schließlich entdeckte er den Vater mit blutdurchtränktem Hemd tot in der Gasse vor dem Haus der Nachbarn.
Aufgeschreckt von seinen verzweifelten Umarmungen gebot ihm der Tote Disziplin. Er sollte ihn erst bestatten und dann nach seiner Mutter und den Geschwistern suchen. Konrad gehorchte. Mit dem Spaten hub er im Gemüsegarten eine tiefe Grube aus, wusch das vom Schmiedefeuer geschwärzte Gesicht mit Wasser vom Brunnen und band die lederne Schürze ab. Die Worte des Priesters am Grab wollten ihm nicht einfallen, also stammelte er Worte des Dankes, weil es auf der ganzen Welt keinen besseren Vater gegeben hatte.
Auf der Gasse und am Dorfplatz schaute er sich jeden Toten genau an. Zu den Leichen in der niedergebrannt Kirche wagte er sich nicht. Sie waren schwarz bis auf die Zähne und hielten sich im Todeskampf umklammert.
Er humpelte rufend entlang der Palisaden um das Dorf. Keiner antwortete. Beim Nordtor entdeckte er die Hufabdrücke türkischer Pferde. Minutenlang schüttelte er drohend die Faust gegen die Grenze, bis ihm die Geste lächerlich vorkam. Was sollte ein zwölfjähriger Junge gegen diese Hunde ausrichten?
Dass es ohne den Bruder um seinen Mut nicht gut bestellt war, merkte er, als die Dunkelheit hereinbrach. Oft hatten sie miteinander über die gruseligen Dorfgeschichten gelacht. Jetzt fürchtete er sich, in die sechsundfünfzig Häuser des Dorfes mit dem brennenden Kienspan hineinzuleuchten. Seine Suche wurde immer zaghafter, bis er sie schließlich wegen einer knarrenden Tür ganz aufgab. Zusammengekauert verbrachte er die Nacht in einer Toreinfahrt.
Mit dem Morgenlicht kehrte seine Festigkeit zurück. Das Bein fühlte sich besser an, er machte weiter, wo er in der Nacht abgebrochen hatte. Mittags stellte er fest, dass alle Häuser bis auf eines geplündert und leer waren. Nun warteten noch die Leichen in der Kirche auf ihn. Am Vortag war er vor dem schrecklichen Anblick zurück gewichen, jetzt ging er so entschlossen ans Werk, dass es ihn selbst erstaunte. Er zog und zerrte an den über und nebeneinander Liegenden, als ob er die Enden eines Knoten entwirren müsste und weinte doch dabei. Viele der armen Leute waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, einige erkannte er wieder. Aber nicht Mutter, Schwester oder Bruder.
Am Nachmittag kamen kroatische Lanzenreiter aus der Festungsstadt Ogulin ins Dorf. Sie hatten eine große türkische Streifschar über die Grenze verfolgt und elf Köpfe genommen. Gefangene hatten sie bei den Türken keine gesehen.
Zunächst hielten sie Konrad für tot, weil er reglos mit starren Augen am Dorfbrunnen lehnte. Als sie bemerkten, dass er atmete, zogen sie ihn hoch und gaben ihm ein paar gut gemeinte Klapse auf die Ohren. Danach überschütteten sie ihn mit einem Eimer Wasser und Fragen. Warum hatten die Wächter auf dem Turm nicht Alarm geschlagen? Wieso hatte er den Überfall als einziger im Dorf überlebt? Konrad bekam Essen und Branntwein, damit sich die Schreckensstarre löste. Das wirkte. Er begann zu reden, aber es war nicht genau das, was die Reiter hören wollten. Vom Branntwein benebelt und froh, dass ihm jemand zuhörte, erzählte Konrad vom Schlangenbiss und zeigte sein immer noch geschwollenes Bein. Ohne den Vipernbiss wäre er jetzt mausetot, sagten die abergläubischen Soldaten und jeder legte kurz eine Hand auf das Bein, um das Glück bringende Fluidum der Schlange zu erhaschen.
Über sich sagte der Junge, dass er Breitenbrunner hieß, sechzehn Jahre alt war und mit ihnen gegen die Türken reiten wollte. Sie lachten ihn gutmütig aus. „Lass dich werben, wenn dir ordentlich der Bart wächst!“
Weil er von einem Verwandten in Deutschland sprach, sammelten sie, obwohl sie selbst nicht viel hatten, Geld für die Reise und schenkten ihm ein erbeutetes Türkenpferd dazu.
„Reit jetzt fort, später werd Soldat!“
Konrad tat, was sie ihm hießen, weil er die freundlichen Kerle nicht enttäuschen wollte, denn eigentlich war ihm völlig egal, was mit ihm geschah. Die weite Reise war ein Kreuzweg mit wechselnden Figuren und Bildern. Er betrachtete sie und zog weiter. Manchmal weinte er, weil jede zurückgelegte Etappe ihn weiter von seinem alten Leben entfernte, manchmal schrie er seinen Hass heraus. In einem solchen Anfall streckte er das türkische Pferd nieder.
Was er einmal werden wollte, fragte ihn der Onkel bald nach seiner Ankunft in Würzburg. „Ein Mann, den die Türken fürchten“, war Konrads simple Antwort
Karte der Ausdehnung des Osmanischen Reichs 1481 – 1683
Kapitel 1
Die Abreise des Gesandten
Januar 1682. Alberto Caprara fröstelte in seinen türkischen Kleidern. Böiger Nordwestwind wirbelte an den Hausfassaden entlang und wehte ihm, wenn er nicht rechtzeitig den Kopf abwandte, eiskalten Schneestaub ins Gesicht. Er hätte lieber aus seiner Karosse gewunken, aber das Protokoll verlangte, dass er sich dem Volk zu Pferde zeigte. Caprara hegte keinen Groll gegen den Kaiser, der ihm diese Strapaze abverlangte. Die Ausstattung der Gesandtschaft hatte ein Vermögen gekostet und seine Untertanen sollten sie ausgiebig bestaunen, bevor sie die Reise nach Konstantinopel antrat. Dies war nun Gott sei Dank die letzte Schleife durch Wien.
Die Trompeter bliesen Fanfaren, weil der Zug in die Kärntnerstraße einbog. Caprara hob grüßend die Hand zur wartenden Menge. Sogleich wurde mit Hüten, Mützen und Tüchern zurück gewunken. Begeisterung für den Herrn Gesandten, den angesehenen Diplomaten, Friedensmittler, Erretter vor der Türkengefahr, flammte auf. Als ob er nicht vor der Abreise stünde, sondern von seiner schwierigen Mission bereits heimgekehrt wäre! Der Graf aus Bologna mochte den Wiener Volkscharakter, einer geglückte Mischung aus nördlicher Strebsamkeit und südlicher Heiterkeit. Die Menschen verstanden sich aufs Arbeiten und aufs Lustigsein. In keiner anderen Stadt Europas ging der Karneval, den sie hier Fasching nannten, über viele Wochen. Aber auch in keiner anderen Stadt genossen Kaiser und Kirche solches Ansehen.
„Ich danke euch allen“, rief Caprara in die Menge, „ich danke euch allen im Namen unserer lieben Majestät, des Kaisers!“ Ärgerlicherweise drängte sich bald darauf ein Mann im Narrenkostüm auf einem Steckenpferd an seine Seite, auf den die Menge rasch aufmerksam wurde, weil er unter seltsamen Verrenkungen mit lauter Stimme allerlei despektierliches Zeug in wienerischem Deutsch von sich gab. Gegen die Obrigkeiten, gegen die Pfaffen und ganz allgemein gegen alles, worunter ein armer ehrlicher Mann zu leiden hatte.
Das brachte ihm viele Lacher und Nachahmer ein. Links und rechts von Caprara schossen die Narren wie Pilze aus dem Boden und schrien heraus, was sie den Rest des Jahres nicht einmal denken durften. Der Gesandte blieb gefasst. Es war Fasching und wie gesagt, Gott sei Dank, nicht mehr weit zur kaiserlichen Burg.
Nicht allen gefiel der ausgelassene Trubel. Der Apotheker und zeitweilige Stadtrat Julius Schönberger schaute missbilligend vom Fenster seiner Wohnstube auf die Kärntnerstraße. Was sich unten abspielte, bestätigte seine schlechte Meinung von Volksaufläufen im Allgemeinen und vom Wiener Straßenfasching im Besonderen. Da lief ein Bursche herum, der jungen Frauen eine blind geladene Flinte unter die Röcke hielt und abdrückte. Ein Mann im Türkenkostüm war niedergeschlagen worden und lag blutend im Schnee. Männer rannten fremden Weibern nach, Paare tauschten ungeniert Zärtlichkeiten aus. Jeder meinte, tun zu können, was er wollte, weil die sonst gar nicht zimperliche Obrigkeit das Treiben im Fasching mit halb geschlossenen Augen verfolgte. Schönberger verglich das Leben des gemeinen Volkes mit einem erhitzten Wasserkessel. Elf Monate im Jahr verschlossen und unter Druck, entwich siedend heißer Dampf, sobald man den Deckel wegnahm.
Schönbergers zwei Enkel standen hinter ihm und stiegen vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen.
„Lass uns auf die Gasse, Großvater!“
„Zum dritten Mal nein!“
„Dann werde ich weinen“, drohte der Kleinere.
„Dann wein halt, Richard!“, sagte Schönberger giftig. „Ist mir lieber, als wenn du mit blutigem Schädel auf der Straße liegst! Von hier siehst du genug!“
Außer ihm und den Enkeln hielten sich noch vier Männer in der Stube auf. Einer von ihnen zog ein Holzkästchen aus der Tasche und rief die Knaben zu sich.
„Das habe ich euch aus der Goldschmiedgasse mitgebracht. Macht es auf!“
Der Ältere, Jakob, zog zwei Kettchen mit runden Anhängern heraus. „Oh!“
„Gehört euch, wenn ihr mir erklären könnt, was es ist.“
„Wir danken jetzt schon dem lieben Herrn“, sagte Jakob. „Es sind Amulette. Auf der Vorderseite ist der Komet mit seinem Schweif, den wir im letzten Winter Wochen lang am Nachthimmel gesehen haben und auf der Rückseite ein Spruch, der Gottes Hilfe gegen den bösen Stern und die Türken erbittet. Denn der Komet ist ein Zeichen kommenden Unglücks.“
„Brrr“, machte Richard und der Spender der Amulette, der auf der Wiener Universität die Keplersche Planetenlehre unterrichtete, klopfte ihm besänftigend auf den Rücken.
„Jetzt haben wir 1682. Ein Jahr ist vergangen und nichts Böses geschehen.“
„Weil so viele die Amulette tragen“, bemerkte Schönberger sarkastisch. Die Hausfreunde, die seine Abneigung gegen den Aberglauben teilten, lächelten, die Knaben, die den Großvater missverstanden hatten, hängten sich die Amulette glückstrahlend um den Hals und liefen zum Fenster zurück. Richard lehnte sich so weit hinaus, dass der Bruder ihn beim Kragen packte und ein Stück zurückzog.
„Sie kommen und sie haben das Kamel dabei!“
„Es wird bald viel Geld die Donau hinunter schwimmen“, bemerkte Hans Aschacher und verzog das Gesicht. Als Kanzlist des Kriegsrates saß Aschacher direkt an der Quelle und erging sich oft in Andeutungen über die wunderliche Politik des Präsidenten Hermann von Baden.
„Ihr meint, der Aufwand lohnt nicht, weil der Krieg bei den Türken bereits beschlossene Sache ist?“, fragte Schönberger.
„Weil wir bereits einen tüchtigen Gesandten in Konstantinopel haben und Graf Caprara auch nicht mehr bewirken kann als der Baron Kunitz. Viele Herren im Hofkriegsrat denken, der Kaiser sollte mit dem Geld, das ihn die Sondergesandtschaft kostet, besser neue Regimenter werben, um mit den ungarischen Rebellen aufzuräumen. Das würde bei den Türken Eindruck schinden! Aber Markgraf Hermann hat dem Kaiser eingeredet, der Gesandte Kunitz wäre seiner Aufgabe nicht gewachsen. Tatsache ist, der Kunitz hat in seine Berichte Dinge geschrieben, die dem Markgrafen nicht passen.“
„Ist es richtig, dass ein ganzes Schiff mit Geschenken für den Sultan auf der Donau liegt?“
Aschacher bejahte. Ein Schiff mit Geschenken für Sultan, Großwesir, die osmanischen Würdenträger im Serail und für alle Paschas, durch dessen Provinz die Reise ging, lag scharf bewacht am Wiener Kanal.
Schönberger ging zum anderen Fenster, um nach der Quelle der tierartigen Laute, die einmal einem Eselsgebrüll, dann wieder mehr einem Pferdewiehern ähnelten, zu fahnden.
„Ruhe! Was soll das? Habt ihr Bauchschmerzen?“
„Richard versucht wie ein Kamel zu schreien.“
„So schreit ein Kamel nicht! Was willst du mit dem Schneeball Jakob?“
Der Knabe hatte einen Schneeball geformt und holte zum Wurf aus. Schönberger griff nach seinem Arm.
„Lass mich doch, Großvater! Ich will, dass es schreit!“
Der Schneeball beschrieb nicht die gewünschte Flugbahn und traf statt des Tiers seinen Wärter im Gesicht. Der Mann fluchte und die Danebenstehenden brachen in lautes Gelächter aus. Dass sein Jakob, anstatt sich zu schämen lauthals lachte, erzürnte den Großvater so sehr, dass er den Knaben zur Bestrafung in die Zimmerecke zerrte.
Auf der Strasse war der Bann gebrochen. Schneebälle flogen gegen die minderen Männer der Gesandtschaft, die in ihren einfacheren Kleidern leicht auszumachen waren. Caprara richtete ein Stoßgebet gegen den Himmel, dass keiner die Nerven verlor und die Waffe gegen einen dieser Narren zog. Um kein Ziel abzugeben, stieg er vom Pferd und beobachtete das Geschehen durch die Scheiben seiner Kutsche. Das Bombardement hörte zwei Gassen später auf. Caprara überlegte kurz, ob er wieder in den Sattel steigen sollte, blieb dann aber sitzen. Er diente dem Kaiser nicht schlechter, wenn er die letzte Wegstrecke in der relativen Wärme der Kutsche zurücklegte.
Eine Stunde später wurde Graf Caprara zusammen mit den Edelleuten, die ihm aus purer Neugier und einer Prise Abenteuerlust nach Konstantinopel folgen wollten, vom Obersthofmeister vor das Kaiserpaar geführt. Leopold trug ein schwarzes Kleid, scharlachrote Strümpfe und einen mit roten Federn geschmückten Hut. Unter einer mächtigen Lockenperücke schaute ein blasses Gesicht hervor, das alles hatte, was ein Gesicht nicht haben sollte. Entzündete Augen, eine lange Nase, einen Mund mit dicken Lippen und den für die Habsburgerfamilie seit Generationen typischen Vorbiss, der es dem Kaiser unmöglich machte, seinen Mund vollständig zu schließen, so dass ein dazu abgestellter Page den Speichel aus seinen Mundwinkeln tupfen musste.
Leopold galt als maßvoller Regent, der angeblich niemals in Zorn geriet und gerne Milde walten ließ. Der Gutherzigkeit wurde allerdings durch einen fanatischen Eifer in Glaubensdingen Grenzen gesetzt. Er fand nichts dabei, Lutheraner und Calvinisten gewaltsam in den Schoß der katholischen Mutterkirche zurückzuführen. In Ungarn rebellierten sie gegen ihn. Der Kaiser nahm solche Konflikte in Kauf, trug aber wenig zu deren Lösung bei. Er war stark in seinen Grundsätzen und schwach in seinen Entscheidungen.
Diese Gedanken gingen Caprara durch den Kopf, als er im Kniefall vor dem Kaiser verharrte und darauf wartete, angesprochen zu werden. In der Vorfreude auf die Komödie, die an diesem Abend im Hoftheater gegeben wurde, hatte Leopold seine Gedanken schweifen lassen und dabei völlig den italienischen Grafen vor ihm vergessen. Einige von der Kaiserin geflüsterte Worte holten ihn in die Wirklichkeit zurück. Huldvoll erkundigte er sich in tadellosem Italienisch nach Capraras Befinden, wollte wissen, ob alle Vorbereitungen für die Abreise getroffen waren und mahnte die äußersten Anstrengungen in den Friedensverhandlungen ein. Sultan Mehmed hatte ihn einstmals als seinen Bruder bezeichnet. Daran sollten sie anknüpfen und in erster Linie mit ihm und nicht mit seinem kriegslüsternen ersten Minister, Großwesir Kara Mustafa, verhandeln. Mehr sagte der Kaiser nicht.
Caprara war enttäuscht. Bis zuletzt hatte er auf ein wirkliches Zugeständnis an die Türken gehofft, eines, das sie an den Verhandlungstisch brachte. Das Schleifen der umstrittenen Grenzfeste Leopoldstadt oder die Abtretung eines Landstriches. Natürlich hätte er das nicht dezidiert angeboten, aber Andeutungen gemacht, dass man darüber reden konnte. Aber mit fast gar nichts in der Tasche, kam man in der Regel nicht weit.
„Majestät, mit Freude begebe ich mich in die Höhle des Löwen, um Ihrer Majestät und der gesamten Christenheit zu dienen!“ Und nach einer kurzen Pause. „Gott möge mir bei der schwierigen Aufgabe beistehen!“ Der Kaiser blinzelte erstaunt, bevor er die Hand zum Abschiedskuss ausstreckte.
Auf die offizielle Verabschiedung folgte eine Tour durch die Paläste Wiens. Während Caprara von Bankett zu Bankett eilte, setzte Tauwetter in den Bergen ein. Der Wiener Kanal, sonst ein friedlich plätscherndes Gewässer, verwandelte sich in einen reißenden Strom. Auf Anraten der Schiffsleute wurde die Abreise mehrmals verschoben. Zuletzt auf den dritten Februar.
Viertel vor zwölf stand Caprara an der Wiener Reede und starrte besorgt auf die im reißenden Wasser bockenden Gefährte, die sie nach Belgrad bringen sollten. In dieser Strömung würde ein besserer Schwimmer, als er es war, untergehen! Der Unteroffizier, der für den Konvoi die Verantwortung trug, bemerkte seine Verunsicherung.
„Eurer Gnaden können unbesorgt sein, das Hochwasser geht zurück.“
„Woran seht ihr das?“
„Man kann die Flussufer wieder erkennen“
„Ist alles an Bord?“
„Sehr wohl, euer Gnaden. Zweihundertdreiundzwanzig Soldaten, achtundneunzig Passagiere, zwölf Pferde, Proviant, Waffen, Geschenke und eure Kutsche.“
„Na dann, Gott befohlen“, sagte Caprara und ließ sich von dem Mann auf das Deck des größten der siebzehn Boote helfen, die von den Flussleuten Tschaicken genannt wurden. Es war mit roter und weißer Farbe bemalt und führte Fahnen mit dem kaiserlichen Wappen.
„All die guten Leute“, sagte der Unteroffizier, „all gekommen, um dem gnädigen Herrn mit seinem Schiff ablegen zu sehen!“ Caprara war für die Bemerkung dankbar. Er löste eine Hand von der Fahnenstange und winkte den tausenden Schaulustigen zu.
„All die guten Leut“, sagte der Unteroffizier zum zweiten Mal. „So eine Abfahrt habe ich meiner Seel noch nie erlebt. So ein Jubel, so eine Hetz!“
„Schon gut. Wo sind die Kavaliere?“
„Am Steuerbordbug.“
„Wo immer das ist, bringt sie zu mir!“
Caprara blickte neidisch dem Unteroffizier nach, der leichtfüßig über die schwankenden Deckplanken ging und dabei geschickt allen Hindernissen auswich. Der Mann flößte Vertrauen ein. Wenig später kam er mit den sechs, die in ihren Paschakostümen wunderlich anzuschauen waren, zurück. Sie führten einen Lakaien im Schlepptau, der Flaschen und Becher auf einem Tablett balancierte. Caprara hatte in den letzten Tagen dutzende Trinksprüche ausbringen müssen und machte es kurz.
„Auf eine gute Reise“, sagte er und stellte seinen Becher wieder ab, weil die Glocken von St. Stefan und kurz danach alle Glocken der Stadt zu läuten begannen. Zwölf Uhr.
„Ruder ins Wasser“, befahl Caprara und der Unteroffizier wiederholte den Befehl so laut, dass er trotz des starken Windes gehört wurde. Die Bootsknechte hoben grüßend die langen Ruder, die beiden Kriegsschiffe feuerten ihre Bordkanonen ab, die Trompeter und Trommler spielten und von der Schlagbrücke und den Stadtmauern winkten Fahnen und Tücher zu den Schiffen herunter. Das kaiserliche Streitschiff, das den Konvoi anführen sollte, warf als erstes die Bugleinen los und begann in den Fluss zu drehen. Es war lang und schmal und führte ein Geschütz im Bug und mehrere schwere Büchsen an den Seiten. Gerudert wurde es von bis an die Zähne bewaffnete Soldaten. Capraras Boot war das nächste. Vom Kai drückten Knechte mit langen Stangen gegen das Vorschiff, am Steuerbordburg arbeiteten sie mit den Rudern gegen die Strömung und dann legten sich alle kräftig in die Riemen, um die Mitte des Kanals zu erreichen. Caprara drehte den Kopf zum nächsten Boot, jenes, das die Geschenke für ihre türkischen Gastgeber mitführte. Es schien klarzukommen, wurde aber, bevor es richtig Fahrt aufgenommen hatte, von einer heftigen Windböe erfasst und mit dem Bug an den Steg gedrückt, worauf hin es drehte und Heck voran abtrieb. Nach kurzer Fahrt verfing sich der Schiffsschnabel im Geäst einer Ulme. Wasser schwappte über das Freibord und der Bootskörper, obwohl dick und plump wie eine fette Ente, neigte sich zur Seite. Caprara sah die kostbare Fracht bereits in den schlammigen Fluten versinken.
Vom Ufer und vom Deck wurde mit Rudern und Stangen kräftig gestoßen, als würden sich zwei Landsknechthaufen mit ihren Piken einen Kampf liefern. Ein Mann hackte sich mit einer Axt fieberhaft durch das Geäst. Das Boot kam frei und trieb weiter. Aber nicht sehr weit. Ein Ruck ging durch das Schiff und die Bootsleute schrien. Danach sah und hörte Caprara nichts mehr, weil das eigene Schiff die erste Flusskrümmung passiert hatte.
„Ist das Schiff verloren?“, wollte er vom Unteroffizier wissen.
„Ach was, nein! Es steckt im Schlick fest. Die kriegen es schnell frei. Euer Gnaden sollten zur Stadt zurückschauen, um nichts von dem Feuerwerk zu versäumen! Und sich festhalten. Gleich wird's richtig wild!“
Der Unteroffizier hatte nicht zu viel versprochen. Nach der Praterinsel vereinigte sich der Kanal, der bei normalem Wasserstand der Schifffahrt keine Hindernisse bot, mit zwei mächtigen Flussarmen. In den Verwirbelungen hob und senkte sich das Boot. Manchmal neigte es soweit zur Seite, dass Wasser auf die Schiffsplanken schwappte. Caprara spürte wie sich sein Magen beim Anblick eines großen Hirschen, der mit offenem Maul im Wasser trieb, zusammenzog.
„Vierzehn- oder Sechzehnender gar“, bemerkte einer seiner Begleiter. „Ein Jammer!“
„Ja, ein Jammer um den schönen Hirsch“, stimmte Caprara zu. „Entschuldigt mich!“
Er hatte gemeint, dass ein Mann nur auf dem Meer seekrank werden konnte, aber es ging auch auf der Hochwasser führenden Donau. In seiner Kammer ließ er sich aus dem türkischen Kostüm helfen, verlangte nach einer Schüssel und legte sich auf das geräumige Bett, setzte sich aber gleich wieder auf, weil es in seiner Brust wild pochte. Seit der Abschiedsaudienz bei der kaiserlichen Majestät quälten ihn schlimme Anfälle. Es presste ihm die Brust zusammen, er bekam schlecht Luft und schämte sich für die gefühlte Angst. Aderlässe und Abführkuren halfen nicht. Die Ärzte blickten sich vielsagend an und schwafelten mit vorgehaltener Hand in Latein. Aber er verstand sie. Sie dachten, er litte an der Brustenge, eine Krankheit, die bald zum Tode führte. Caprara fiel auf die Knie und bekreuzigte sich.
„Heilige Mutter Gottes, ich bitte dich, beschütze mich!“
Er redete zur Gottesmutter von seiner Mission und warum sie nicht scheitern durfte, beschrieb die Gefahren einer langen Winterreise und die Unsicherheit, die ihn stets begleitete. Die Gottesmutter hörte ihn. Während er betete ebbte der Anfall ab. Auch lief das plumpe Schiff jetzt ruhiger durch das schäumende Wasser. Er legte sich erschöpft aufs Bett zurück und schloss dankbar die Augen.
Kapitel 2
Brandenburg
In der Nacht hatte sich die feuchte Winterkälte durch das offene Fenster in die Schlafkammer Konrad Breitenbrunners geschlichen. Sein Atem zauberte kleine Wölkchen in die Kühle. Dazu fiel ihm eine passende Textstelle aus dem geliebten Lateinbuch ein, dem „Orbis sensualium pictus“, das er wegen der schönen Bilder und klugen Texte seit der Lateinschule mit sich führte. „Vapor ascendit ex Aqua. Inde Nubes fit et Nebula prope terram – Dampf steigt vom Wasser auf und bildet Wolken und nah der Erde Nebel.“
Demnach war das, was seinen Lungen entströmte, dem Dampf ähnlich, der aus dem Wasser stieg, was wiederum bedeutete, dass die kalte Luft, die er einatmete, sich in seinen Lungen in warmen Dampf verwandelte. Dieser Einfall faszinierte ihn und er bedauerte es, nicht genügende Kenntnisse der Physik zu besitzen, um den Gedanken weiter spinnen zu können. Seine kleine Bibliothek umfasste gerade einmal sechs Bücher. Das Lateinbuch, ein Mathematikbuch, zwei Schriften über das Kriegswesen, den „Simplicius Simplicissimus“ und einen Gedichtband des Andreas Gryphius, wobei letztere, obwohl höchst unterschiedlich, seiner geistigen Erbauung dienten. Er pflegte langsam zu lesen und über alles gründlich nachzudenken. Wenn er alle Bücher durchgelesen hatte, begann er wieder von vorne, so dass er mittlerweile ganze Passagen aus dem Gedächtnis hersagen konnte. Wenn er sich jetzt zwei oder drei neue Werke anschaffte, musste darunter eines sein, das sich mit den natürlichen Phänomenen der Welt beschäftigte.
Draußen wurde es merklich heller. Sonnenaufgang war kurz vor acht Uhr, also mochte es jetzt eine Viertelstunde drüber sein. Weil es früh am Tag nichts für ihn zu tun gab und er aus Prinzip nichts tat, was nicht getan werden musste, blieb er unter der warmen Decke und versuchte den Traum der letzten Nacht einzufangen, bevor er ihm entschlüpfte.
Er hatte sich wieder einmal mit den Türken gestritten und ein veritables Blutbad angerichtet. Zur Seite gestanden war ihm der Vater in Gestalt eines Leutnants. Der Leutnantvater erschien oft in seinen Träumen als Freund und Stütze. Dieses Mal jedoch hatte sich seine Hilfe ins Gegenteil verkehrt. In einer türkischen Gasse mit eingestürzten Häusern und heulenden Menschen, war er ihm mit Vorwürfen gekommen, die in der Behauptung gipfelten, seine Söhne hätten Unglück über die Familie gebracht, was blanker Unsinn war.
Breitenbrunner schob den ärgerlichen Traum beiseite und blickte auf die nahe Kirchturmspitze. Der bronzene Hahn zeigte verlässlich die Windrichtung an und das Wetter der nächsten Stunden, wenn man den Schimmer seines metallenen Körpers richtig zu deuten wußte. Für den heutigen Tag verhieß er einen trockenen, sonnigen Vormittag.
Breitenbrunner schwang sich aus dem Bett und stieß ein durchdringendes Kikeriki aus, um den Weibern in der Küche kundzutun, dass der Herr Hauptmann sein heißes Wasser wünschte. Zwei Minuten später hörte er das Klappern von Holzschuhen auf der Stiege. Die Magd Maria kam mit dem Wasser und hoffentlich dem wöchentlichen Berliner „Mercurius“ mit einem Bericht des Wiener Korrespondenten hoch.
Es klopfte an der Tür zur Wohnstube und dann war ein lustiges Gegacker zu hören.
„Ich bin nackt, alte Henne, stell das Wasser vor die Tür!“
„Hab dem Herrn auch die Zeitung gebracht.“
„So leg sie dazu!“
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!