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Gerhard Polt stellt mit seinem Konversationslexikon ein längst überfälliges Werkzeug gegen die "Begriffsvermummung" unseres Zeitalters zur Verfügung und erklärt im gleichen Zuge die zentralsten menschlichen Befindlichkeiten, ja sogar die Welt. Für all seine Fans und alle Sprachverliebten endlich der Schlüssel zu Gerhard Polts legendärer Begriffswelt.
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Seitenzahl: 59
INHALT
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ÜBER DEN AUTOR
GERHARD POLT, geboren 1942 in München, bewegt sich seit Jahrzehnten vornehmlich im öffentlichen Raum. Dort erforscht er intensiv und unermüdlich die Froschperspektive. Seine Erkenntnisse vermittelt er vor allem in filmischer Darstellung, auf Theaterbühnen sowie als Buchautor. Seine Aufenthaltsorte sind Schliersee, München und Terracina.
ÜBER DAS BUCH
Der große Wortfinder und Welterklärer Gerhard Polt stellt mit seinem Konversationslexikon ein längst überfälliges Werkzeug gegen die »Begriffsvermummung« unseres Zeitalters zur Verfügung und erklärt im gleichen Zuge die zentralsten menschlichen Befindlichkeiten, ja sogar die Welt.
Für all seine Fans und alle Sprachverliebten endlich der Schlüssel zu Gerhard Polts legendärer Begriffswelt.
»Polt benennt die Dinge, wie sie sind.«
Elke Heidenreich
VORWORT
Einem, der wie ich die Blütezeit angewandter Bodenlosigkeit miterleben darf, soll vorliegendes Büchlein helfen, über die unvermeidlich damit verbundene Begriffsstutzerei hinwegzukommen. Wie soll ich mit diesen Unwesentlichkeiten umgehen? Schiebe ich sie auf die Neben- oder Abstellgleise menschlicher Ratio? Kann ich Begriffsvermummung erlernen, oder wie kann ich sie entschlüsseln? Im Babylon der Bezeichnungslabyrinthe kann ich sowohl fündig werden, es aber auch als Versteck für Ungereimtheiten benutzen. Mit Zuversicht sehe ich, dass Hendilosigkeit endgültig ausgestorben ist, und man somit durch Wort- und Tonselfies der überbordenden Bilderflut gewachsen ist. Der Unwahrscheinlichkeitsmachung des klassischen Verstehens steht nichts mehr im Wege. Die Lektüre des vorliegenden Glossars möge es dem Leser erleichtern, in Fettnäpfchen zu treten sowie sein eigenes Schmähpotential zu erweitern. Beleidigungen dürfen nicht einer zufälligen Wortwahl überlassen sein, sondern sollen aus einem reichen Fundus zielgerichteter Verunglimpfungen schöpfen können. Auch das eigene Schmieden von linguistischen Sprachtratzerln soll hier angeschutzt werden. Zum fröhlichen Umbegriffeln sowie Neubewörteln wünsche ich als Autor viel Spaß, gebe jedoch zu bedenken, dass ein Warr ohne ein Wirr gegenstandslos ist.
Gerhard Polt
A
Abfent [ɔb’fɛnt] Synonym zu → pränataler Zeit. Ist der Abfent da, ist der Heilige Abend unvermeidlich. Einziger Lichtblick ist der Weihnachtsbock, der hinuntersirupt. Sobald man einige Flaschen davon zu sich genommen hat, stellt sich eine Besinnlichkeit ein, dann hört man die Weihnachtsglocken läuten (Jingle-Gebell). Der Abfent ist geprägt von süßem Zeug aller Art: Platzerl, Keks, Lebkuchen. Muss man sich eine Diabetes anfressen, wenn man sie sich doch auch hersaufen kann? Der Abfent ist der ideale Zeitraum zum Kripperl schnitzen. Vorsicht sei allerdings geboten beim Herausschnitzen der Ohrwaschel der Figuren (z.B. Herodes oder Jesi).
Abfrackprämie [abfrak’prɛːmɪɛ] Witwenrente; Menschen, deren geistige und körperliche Intaktheit nachweislich ist, werden mittels kleinem monatlichem Betrag kaltgestellt; frühzeitige Anerkennung der Wertlosigkeit. Diese Wertlosigkeit wird prämiert und ihre Dauerhaftigkeit anerkannt.
Abstimmungsgesäße [’abʃtɪmʊŋsgeː’zɛːsɛ] Hochdotierte Parlamentarier; Anwesenheitsdemonstranten
Alien [‚eɪlɪɛn] aus der Außenwelt Einagschmeckter (hochdeutsch: Hereingeschmeckter); Mensch, dessen hiesiger Aufenthalt vielen Einheimischen lange rätselhaft bleibt; Bandbreite des Aliens liegt zwischen Marsmensch und → Siemensler
Alkoholsport [alkoː’hoːlʃpɔrt] junge Sportart; noch keine anerkannte olympische Disziplin; Teilnehmer des Wetttrinkens: Niere, Milz und Leber; bevorzugtes Hilfsmittel: Sportlerweiße. Als günstige Voraussetzungen zeigen sich das Nichtbestehen der Führerscheinprüfung und die damit einhergehende Ungebundenheit bei der Freizeitgestaltung. Der Einstieg erfolgt zumeist über Bodenständiges wie Obstler, Zwetschgenschnaps, Sekt oder natürlich im → Abfent Punsch, Glühwein, Jagertee, aber immer noch zuerst Bier, am besten →Freibier. In den Statuten festgeschrieben: höchstmöglicher Alkoholgenuss bei möglichst wenigen Entgleisungen (Contenance). Vor allem regelmäßige Oktoberfestbesuche lehren, dem Trinkgenuss innerlich mit der entsprechenden Haltung zu begegnen. Weiterentwicklung des Alkoholsportes: Kampftrinker und Komasäufer.
Allrounder [ɔlr’aʊ̯ndɐ] einer, der alles macht, aber nichts gscheid; Banalisierer hochkomplexer Vorgänge (ital.: semplicione); Gegner jeder Spezialisierung. Seine Multibegabung geht bis zur medizinischen Selbsttherapie. Der Allrounder kann alles, selbst sein eigenes Versagen sinnvoll begründen. Verbessert Dinge trotz schlechterem Wissen; großes Selbstbewusstsein bei weitgehender Ahnungslosigkeit; verkürzt bewusst, rundet alles ab; spezifischer Ausspruch: Schwamm drüber!
Almosier [’almoːzɪeː]Mitleidserreger oder Mitleidsprovokateur; Erbärmlichkeitsdarstellung eines Miserabilisten; international anerkannter Beruf, mit dessen Hilfe Menschen anderen Menschen helfen, ihr schlechtes Gewissen zu ventilieren; ideale Hilfsmittel: Hut, Hund, Quetschn und wahlweise ein Schild mit der Aufschrift »Deutscher in Not – ein Landsmann bittet um Brot«.
ameisen (vor sich hin) [’amaɪ̯zɛn]Synonym zu wuseln. Beispiel: Hochbetrieb spätnachmittags im schönsten Schlagrahmtortenwallfahrtort Bayerns, dem Café Winkl (kein Ruhetag!)
amorpheln (vor sich hin) [am’ɔrfɛln] Lurchelei ambivalenter Personen, die ein zurückgezogenes Dasein fristen
Antilopentrachtenlederanzug [antiː’loːpɛn’traχtɛn’leːdɛr’ant͡suːg] Ausgehuniform von Traditionalisten mit hochrotem Kopf und einem Teint, der zur Wiesnzeit aus Ibiza oder der Dom. Rep. stammt; Original, genäht in Bangladesch und verpackt in Kenia, mit Trachtenhut aus Antilope und Gamsbart aus Glasfaser; wird ausschließlich im Taxi und in Käfer’s Wies’n-Schänke auf dem Oktoberfest getragen. Begleiterin des Antilopentrachtenlederkostümisten ist typischerweise eine flachsblonde Person in einem Dirndl, das bei Sepp’s im → Hirschhorncenter, New York, angefertigt worden ist. Diese flachsblonde Person isst nie irgendetwas, will auch keinen loup de mer, selbst wenn sie auf dem Oktoberfest ist. Sie sagt: »Es ist immer recht zünftig«.
Applausvasall [aplaʊ̯zvaːz’al]bezahlte und unbezahlte Claquere im Schlepptau von volkstümlichen Heroen, die ihre Helden unkritisch zwangsbefänen; Abnehmer von Devotionalien aller Art
Asylanten [azyː’lantɛn]Kolonialwaren von heute
aufbrezeln [’aʊ̯fbreːt͡sɛln]Lamettisierung; Selbstoptimierung mithilfe textiler, kosmetischer und chemischer Mittel; im weitesten Sinne: Kulissenmalerei
Auster des kleinen Mannes [’aʊ̯stɐ dɛs ’klaɪ̯nɛn ’manɛs]Synonym zu → Gschlader; gehört zur Familie der Auswürfe; Beschaffenheit: geleeartiges qualliges Gebilde; Lungenhering von einem anonymen Vorgänger, der vorzugsweise im steinernen Bierkrug übersehen wird und nach dem gedankenlosen Trinken Millimeter für Millimeter, wie eine Schnecke, langsam, zäh, den eigenen Hals hinunterkrabbelt. Das zieht sich natürlich. Man steht dieser Sache machtlos vis-à-vis. Da kann man sagen, was man will, das ist unappetitlich. Häufige Folgen: Mundfäule oder Racheninflammation
Autobahnüberquerungsdrainage [’aʊ̯toːbaːnyːbɛr’kveːrʊnʃzdrɛː’naːʒɛ] Transit für mehrere Froscharten und Amphibien zu ihren Laichplätzen; Selbstbestätigungsbetätigungsgebiet für Naturschützer → Kaulquappennummerierer
Autohändler [’aʊ̯toː’hɛndlɐ]auch: Autodandler oder → Ekzem Homo. Berufsgruppe, die im Grenzbereich der Legalität agiert, vgl. → Leasingvertrag; moderne Form des Rosstäuscherberufes oder Viechhändlers
B
Babylonisierung der Speisekarte [baːbiːloːniː’ziːrʊŋ dɛr ’ʃpaɪ̯zɛkaːrtɛ]rechtliche Absicherung; Aufschlüsselung sämtlicher möglicher Speisezutaten; zwingt den Wirtshaus-Besucher zur Kenntnis chemischer Zusammensetzungen; z.B. Ameisensäure oder Phosphat an Kraut und Schweinswürstel
Bayerische Verfassung [’baɪ̯rɪʃɛ fɛr’fasʊŋ]
gute Leberwerte bilden das Fundament für die Bayerische Verfassung.
A Bavarian politician, for example a Verkehrsminister (z.B. Wiesheu) needs to have a good liver and a very good constitution – we say: a Bayerische Verfassung.
Begriffsconsulting [beː’grɪfskɔnzaltɪŋ] Sich-beraten-lassen, um Sachverhalte neu zu beschriften, mit dem Ziel, Wahrheiten auf dünnem Eis aufzubrezeln (→ Begriffsvermummung, → aufbrezeln)
Begriffsvermummung [beː’grɪfsfɛr’mʊmʊŋ] Begriffskosmetik, Schönwörtelei, Kaschierung, Camouflagierung von Realität mit Begriffen, die geeignet scheinen, um Wahrheiten und Wirklichkeiten im Nebulösen zu lassen oder ins Nebulöse zu bringen. Beispiele: Solidaritätsbeitrag, aufenthaltsbeendende Maßnahme für Abschiebung, kreative Buchführung.
Beschorenheit [beː’ʃoːrɛnhaɪ̯t] völliges Sich-Auflösen im Taumel des Beschenkt-Seins; Zustand im Rahmen der alljährlichen Christbaum- und Glühweinorgie; allgemein: Zustand der Paralyse bei Geschenkorgie; Kinderkrankheit ausgelöst von elterlichem Zuwendungsmissbrauch (Kaufrausch).
Blunzn [blʊnt͡sn]menschliche Erscheinung, bei der geistige Schwerfälligkeit mit körperlichem Umfang harmonisiert; vornehmlich feminin, in seltenen Fällen auch maskulin, z.B. Bischof Krenn; nicht zu verwechseln mit der beleidigten Leberwurscht.
Bootsverleiher [boːt͡sfɛr’laɪ̯ɐ]