Der große Traum - Gerhart Hauptmann - E-Book

Der große Traum E-Book

Gerhart Hauptmann

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Beschreibung

In diesem Versepos thematisiert Gerhart Hauptmann seinen großen Traum, mehr zu sein als bloß ein Schriftsteller, auf diesem Weg seiner Entwicklung wird die moralische Autorität des Künstlers deutlich, er beschreibt seinen Wunsch, die Welt verbessern zu wollen und strebt nach Veränderung. Der Protagonist beschreibt den erzielten Sieg im Krieg, er nimmt den Leser mit auf eine Reise zwischen Mut, Macht und Gewalt, zwischen dem Leben und dem Tod und zwischenmenschlichen Beziehungen und der Liebe.-

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Gerhart Hauptmann

Der große Traum

 

Saga

Der große Traum

 

Coverbild/Illustration: wikimedia

Copyright © 1942, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726956443

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

WIDMUNG

Du, die so klein und gelben Angesichtes

auf weißem Sterbekissen lag in Ruhe,

du stumme Künderin eines fremden Lichtes —

du, Mutter, die du schrittest ohne Schuhe

die kantige Straße deiner irdischen Reise:

o segne nun in Gnaden, was ich tue!

Denn ich beginne eine neue Weise

von meines Daseins Wandel anzuschlagen,

selbst ferner wandelnd und auf neuem Gleise:

dich weiter tragend, die mich einst getragen,

und deines Leidens Bürde neu gebärend

in heiterem Gram, in klagelosen Klagen.

So segne mich, der ich so hochverehrend

zuschauen durfte, wie du wardst empfangen,

zum Thron des Allerhöchsten wiederkehrend,

als vor dem gelben Weibchen donnernd sprangen

die goldenen Riegel aller sieben Himmel

und alle Paradiese widerklangen!

Und wie du tratest in das Glanzgetümmel

noch mit dem Tuch, ums tote Kinn gebunden,

da schwieg mit eins das brausende Gewimmel

der Engel, die in Gottes Anblick stunden,

und eine Macht entströmte deinem Schweigen

die Gott und alle Seligen hielt gebunden.

Und alles mußte solcher Macht sich neigen,

die sich auf einmal fürchterlich erweckte

und schütternd ihre Kraft begann zu zeigen.

Wer sagt, woher sich diese Kraft erstreckte?

warum Gott selbst auf seinem Sitz erbleichte

und seine Augen mit den Händen deckte?

Weil sie von Satans Thron zu seinem reichte,

vom Grund der Schöpfung bis zu jedem Sterne,

durch alles Tiefe und durch alles Seichte,

und ferner reichte noch als jede Ferne

und näher noch als alles Nächste nahe,

der Schale Schale und der Kern im Kerne.

So segne mich und was ich farbig säe,

o Mutter, in die Asche schwerer Zeiten,

auf daß die Zukunft goldene Früchte mähe,

Gebärerin von Zeit und Ewigkeiten!

ERSTER GESANG

Der zu mir kam des Nachts, der mich besuchte

im Sturm und aufrecht stand an meinem Bette —

nicht der Versucher, der mich oft versuchte¡

nein, jener, der an einer goldenen Kette

des heiligen Kreuzes Zeichen trug zum Schmucke,

als ob er Lust an Jesu Leiden hätte —,

er rief mich auf: ich stand mit einem Rucke

bereit, mit ihm durch jede Nacht zu schreiten,

ob tödlich auch die Luft von Blitzen zucke.

„Nun bist du“, sprach er, „reif, mich zu begleiten

und alles, was geschah und wird geschehen,

mit mir zu heben aus den Dunkelheiten.

Und also laß mich ruhig fürder gehen

des Weges, den nur wenige beschritten,

bis wir des Wanderns Ziel vor Augen sehen.

Es ist ein Quell in dunklen Forstes Mitten,

von Riesenwipfeln immerdar geborgen,

der des Gemeinen Trübung nie erlitten.

Es ist ein Quell, benannt der Frühe Morgen,

aus dem dereinst die Welt hervorgegangen

mit Tag und Nacht, mit Wonnen und mit Sorgen.

Dort wird sich endlich stillen ein Verlangen,

mit dir verbunden, schmerzlich süßer Treue,

seit du die Pilgerreise angefangen.

Du brauchst nicht fürchten, daß es sich erneue

und wieder dich zu andern Zielen locke,

zu Irrtum, Täuschung, Sündenschuld und Reue.“ —

Ich sprach, und griff den Saum von dessen Rocke,

der mir so heiligen Weges Ziel gewiesen:

„Oh, stütze mich, daß ich im Lauf nicht stocke!

Ihn sucht’ ich längst, den Quell, den du gepriesen;

doch ihn zu finden, wollte mir nicht glücken,

in Höllen nicht und nicht in Paradiesen.

In immer neue Fernen mich verzücken,

war meines Fortschritts tägliches Beteuern. “ —

„Du irrtest, denn die Quelle liegt im Rücken.

Den Kiel gewendet, laß uns rückwärtssteuern:

gelassenen Wandels schreiten wir zurücke,

Geschehnes bis zum Urgrund zu erneuern.“ —

Und ich empfand den Hauch von solchem Glücke

so rein und voll, wie ich noch nichts empfunden,

ganz mit mir einig und in jedem Stücke.

Wir schritten, freundlich Hand in Hand gebunden,

vom Lager fort, durch Tür und Tor ins Freie:

mir war, als wäre schon das Ziel gefunden.

Und vor uns brauste eine lange Reihe

von Pappeln, schräg vom nächtigen Sturm gebogen;

das Erdreich lag in einer finstern Weihe.

Dem Mond vorüber bleiche Wolken zogen,

und drunter glänzten Gipfel ewigen Schneees,

wie schaumgekrönt-erstarrte Meereswogen.

Das alles schien mir eine Welt des Wehes,

das Starre tot, voll Jammers die Bewegung:

da standen wir am Ufer eines Seees.

Umzirkt von einer dornigen Umhegung,

schien er das Bild der Trübsal zu verdoppeln,

voll Schauder selbst in seiner Fläche Regung.

Wir gingen zwischen Gräben hin und Stoppeln

auf düsterer Straße, die sich grade streckte,

durch tote Dörfer und verlaßne Koppeln,

bis daß der Tempel, den ein Wald versteckte,

ob dunklen Wipfeln seine Kuppel zeigte,

die, selbst ein Halbmond, Mondeslicht beleckte.

Und hügelan, von wo der Wald sich neigte,

verlor sich unser Pfad durch seine Bäume

hinan, und als er endlich sich verzweigte,

da schien’s, wir traten in ein Land der Träume

und vor das Haus und Heiligtum von denen,

die sich gleich schwarzen Wolken durch die Räume

der armen schlafbefangenen Seele dehnen.

Und mein Begleiter trat nun an die Pforte,

durch die auch mich anzog geheimes Sehnen,

als wäre sie ein Zugang zu dem Horte,

den ich besessen, ohne zu besitzen.

Er sprach mit lautem Seufzer diese Worte:

„Komm, laß uns hier ein wenig niedersitzen

und auf den schwarzen Marmor dieser Schwelle

den liebsten unsrer toten Namen ritzen.“

Da schrieb ich „Mary“ hin an meiner Stelle,

und alsogleich entschwebte buntes Rauschen

wie Windesharfen der verborgnen Zelle.

Und solchen Tönen hätt’ ich mögen lauschen

ohn’ Unterlaß mit hingegebnem Ohre

und meine Seele mit den Klängen tauschen.

Wie lange wir gesessen an dem Tore,

aus dem so süßes Weh sich uns vereinte —

ich weiß es nicht! Dann schritten wir durch Flore

ins Innre fort: und mein Begleiter weinte,

indem er sie mit leisen Händen teilte,

und so, als er sie schloß, wie ich vermeinte.

„Hier triffst du eine, deren Seele heilte“,

so sprach er weiter, und vor unsern Blicken

lag sie, die nun schon lange hier verweilte —

lag, bei des Totenwurmes leisem Ticken,

als habe sie das Schweigen zu verwalten

und in die Ewigkeiten zu verschicken —

lag, unter ihres Totenhemdes Falten,

auf hohem Katafalke, zwischen Kerzen,

im Kuppelraum, der Nacht emporgehalten.

Auf ihrem Antlitz lagen alle Schmerzen

gleich wie in grauen Marmor eingeschlagen,

von einem Trotz gebunden, hart und erzen.

Ich stand erschreckt, ich wollte etwas sagen,

und wo nichts sagen, wollt’ ich etwas fühlen,

und wo nichts fühlen, wollt’ ich etwas fragen:

„Du, die so strenge schlummert hier im Kühlen,

gehüllt in lichten Dämmer statt in Erde,

Genossin mir dereinst auf heißen Pfühlen,

warum — o sprich, damit ich ruhig werde! —

drang die Versöhnung nicht in deine Züge

statt dieser unversöhnlichen Gebärde?

Gewiß, dir war das Leben eine Lüge:

doch der da kam, vom Leben dich zu lösen,

er kam mitnichten, daß er dich betrüge.

Warum mit hartem Hohn und allem Bösen

scheint Lipp’ und Nüster hämisch dir umgrämet,

als wollt’st du vom Erlöser selbst dich lösen?

Und jene Harmonie ist wie gelähmet,

stumm, die, uns lockend, ist hereingedrungen:

weil dein Empfang sie gleich wie uns beschämet!“

Und mein Begleiter sprach: „Sie hat gerungen

um mehr als dich und was ihr ward versaget.

Nicht Siegrin, blieb sie dennoch unbezwungen.

Und wenn dereinst der Tag der Tage taget,

so wird ihr Trotz vor dem Gericht bestehen,

das höchstes Recht in heiligen Sprüchen saget.“

Als er dies sprach, da hörten wir im Wehen

der Luft von fern getragen dumpfes Grollen,

wie wenn Gewitter um den Himmel gehen.

Und in der Erde bebte leises Rollen,

wovon der Totentempel einsam tönte.

Drauf mein Begleiter: „Horch, was angeschwollen

von allen Seiten ruhlos dröhnt und dröhnte,

es ist die ungeheure Flut des Krieges,

es ist der Haß, der Mord, den nichts versöhnte.

Und als die Zwietracht, sicher ihres Sieges,

um Friedensinseln stieg im Feuermeere,

da unterlag ihr Menschentum, da schwieg es.

Da brach sie nieder von der eignen Schwere,

die nun hier liegt und nicht mehr wird betroffen

von Liebe, Haß, Verachtung oder Ehre:

versteinter Hohn auf alles irdische Hoffen.“

ZWEITER GESANG

Und als wir nun das Totenhaus verlassen,

da überdrang uns allgemeine Helle.

Wir sahen Auen, Wälder, Bergesmassen,

und hinter uns versank die Grabkapelle

und zog die Nacht wie eine schwarze Schleppe

mit sich hinab. Und weit an ihrer Stelle

lag nun ein See, ein Meer mit Flut und Ebbe.

Die Flut schwoll auf und leckte unsre Füße;

doch wir entstiegen ihr auf goldner Treppe.

Zum Abschied klang sie wie von weher Süße.

Und nun erkannt’ ich plötzlich den Begleiter:

wir tauschten Aug’ in Auge ernste Grüße.

Doch nicht nur ernst, sie waren ernst und heiter,

so wie es einem Freundespaar gebühret.

Wir schritten, Arm in Arm geschlungen, weiter.

„Satanael, du bist es, der mich führet,

du Ältester von Gottes beiden Söhnen,

und hast zu deinesgleichen mich erküret.

Horch, wie die Wälder, Auen, Ströme tönen!

Sie sind das Werk von deinen Sünderhänden,

das du bevölkert hast mit Brudersöhnen,

ruchloser Schöpferkraft aus Götterlenden.

Du buhltest mit dem Ton, daß er gebäre,

erweckt von Küssen und belebt von Bränden.

Sieh, deine Schöpfung nun erweist dir Ehre

und jubiliert dein Lob mit allen Stimmen!

Die Sonne selber glänzt dir Ruhm, die hehre,

von Abgrundstiefen bis zu allen Kimmen . . .“

Hier unterbrach mich freundlich mein Genosse:

„Die Vögel fliegen und die Fische schwimmen;

was immer jubiliere, rausche, sprosse,

sich selber sproßt’s, sich selber jubiliert es.

Was ist ein Schütz’, entließ er die Geschosse?

Was immer farbig gleißt, sich selber ziert es.

Der alles schuf, hat alles hingegeben;

wer Goldes sich entäußert, der verliert es.

So, wisse, gab ich hin mein höchstes Leben

und bin nun selber darin nur zu Gaste,

dem Bettler gleich Almosen aufzuheben.

Doch klag’ ich nicht, selbst wenn ich darbend faste.

Denn was ich gab und so verlor, verlieren:

das war mein Wille und fällt mir zu Laste.

Die Perle mag des Buddhas Stirne zieren.

Ich will den Irrtum, und ich will das Leiden

in Not und Mühsal unter Mensch und Tieren.

So kam’s, daß ich vom Vater mich zu scheiden

beschloß, mit seinem Zorne dann beladen,

in Gram, in Schmerz, in Wollust mich zu kleiden,

zu wandern auf chaotisch dunklen Pfaden,

zu fliehn, zu suchen, endlich auch zu finden,

Gefundnes im Triumphe heimzutragen,

Gebundenes befrein, Befreites binden,

des Unvollkommnen froh bei jedem Schritte

im Unterliegen und im Überwinden.

So bin ich, wollt’ ich sein, was ich auch litte.

So, Lieber, sieh empor zu meiner Sonne,

den Lichtbrunn über uns in Himmelsmitte!

Nenn sie den Born des Wehs, den Born der Wonne:

sie wird uns keins von beiden rein kredenzen,

sie mischt mit Wonne Weh, mit Weh die Wonne.

Komm, laß zum Trinkgelage uns bekränzen!

Denn nie empfand ich Durst zu andrem Tranke,

in dem die Strahlen nicht durch Tränen glänzen.“

Und heiter bot sich eine Blätterlaube

sogleich uns dar mit gastlich schlichtem Tische.

Schwer hing auf ihn herab die schwarze Traube.

Wir tranken kühlen Wein und aßen Fische,

gezogen aus dem Meer, dem wir entstiegen.

Es hauchte zu uns her mit salziger Frische.

Wir sahen’s blau sich in der Sonne wiegen

und dachten an die Nacht, die drin versunken,

und an die Tote, die so stolz geschwiegen.

In unsern Wimpern blitzten Tränenfunken,

als wir die schlichten Becher beide hoben:

dann ward der Feuerwein hinabgetrunken.

Wir saßen, Efeu um die Stirn gewoben,

und huldigten ihm, dem die Ranke heilig,

dem Gotte, dem des Tmolos Höhen toben.

Und mein Begleiter sprach: „Nicht übereilig

laß uns den Weg durch unsre Welt beginnen!“ —

Ich drauf: „Befiehl, so geh’ ich, so verweil’ ich!

Wie hab’ ich mögen solchen Freund gewinnen?“

sprach ich dann weiter, ihn berauscht betrachtend.

Er war ein Labsal allen meinen Sinnen.

Sein Blick, wie Kohle unter Wimpern nachtend,

die ihn bedeckten wie mit goldnem Schleier,

war heiter, kühn, begehrend und verachtend.

Sonst ganz Apoll — nur fehlte ihm die Leier —

nach Wuchs und Haltung, Sonnengold der Locken

war dieser Jüngling-Mann! Und heiterfreier

mit jedem Wort — wie Licht von goldnem Wocken

entfloß die Rede ihm — ward seine Seele:

die Laute klangen wie Gesang und Glocken.

Er sah mich an und sprach: „Trink! ich befehle.

Frag nicht, warum und wie du mich gefunden!

Laß Lebensblut durchrinnen deine Kehle!

Ein Heiltrank ist der Wein für Herzenswunden;

doch wie in allem, was ich je geschaffen,

wird freilich auch das Gift darin gefunden.

Du weißt, ein Märchen wird erzählt von Pfaffen,

wie Eva durch die Schlange ward verführet

im Paradies der Lämmlein und der Affen.

Der Vorfall hat dereinst auch mich berühret.

Im Sinne solcher Fabelei gesprochen:

die Schlange straft’ ich, wie es sich gebühret.

,Du Giftgewürm, was hast du hier verbrochen,

und wie beschlichest du dies heilige Eden?‘

rief ich ihr zu. ,Du hast das Weib gestochen!‘

Und schon ergriff ich sie mit wilden Reden,

sooft sie mich auch biß und nach mir fauchte,

noch heute spür’ ich ihrer Stacheln jeden.

Und in die Hölle, die um Eden rauchte,

warf ich die Viper mit gewaltigem Schwunge: —

als Gottes Odem durch den Garten hauchte.

Und jeder Baum und jede Blätterzunge

schien mir ein Lispeln, bange und beklommen,

bis der Uralte, dennoch Ewigjunge

Gestalt, gestaltlos, in mir dann genommen.

,Dir schien mein Werk voll Makel‘, sprach er leise,

,es war dir fehlerhaft und unvollkommen.

Geh nun, versuch es ganz auf deine Weise,

und mögen diese beiden dich begleiten,

des Wurms Gelüsten und der Würmer Speise!

Du hast die Weiten, hast die Ewigkeiten,

hast Kraft von meiner Kraft, Blut meines Blutes;

vielleicht gelingt’s dir, Beßres zu bereiten.

Ich wollte Schlechtes nicht, noch wollt’ ich Gutes.

Ihr aßt vom Baum des Guten und des Bösen:

das Gute und das Böse, geht und tut es!

Der Schlaf, der Tod, um euch aus Kampfgetösen

zurückzunehmen in das Ungeborne,

sei mit euch: und er wird euch einst erlösen.‘

Sieh, dein Gefundener ist der Verlorne!“

so schloß Satanael. Ich aber dachte:

nein, du bist der Allmächtige, Glanzerkorne,

worauf er hell aus voller Seele lachte.

Und Antwort alsogleich auf dieses Lachen

gab rings ein Laut, als ob die Welt erwachte.

Das Wache schien von neuem aufzuwachen.

Aus Leben schien sich Leben zu gebären,

aus Licht sich Licht unendlich zu entfachen.

Ich hörte Brandung wie von tausend Meeren,

wo immer eins das andre überrauschte,

um höher stets das Selige zu verehren,

mit dem es wonnevolle Grüße tauschte.

„Nun aber laß uns unsre Becher stürzen“,

sprach jetzt Satanael, der fröhlich lauschte.

Er tat’s, und etwas schien den Trank zu würzen

auch mir, das in mich stach gleich süßem Dorne.

„Woher stammt dies Gewürz, drin sich verschürzen,

was Stärkstes sich gebar aus Lieb’ und Zorne?“

so sprach ich. — Er darauf mit heitrem Brüten:

„Der Zauber stammt von einem Hirsekorne,

aus jenem Garten voller Wunderblüten,

den ich verließ. Es hing an meinem Kleide

vorwitzig, als der frühsten Höllen Wüten

ich unternahm zu dämpfen. Und wir beide,

das Korn aus schlecht bewachten Paradiesen

und ich, wir blieben eins in Lust und Leide.“

Ich drauf: „So sei dies Hirsekorn gepriesen!“ —

Und er: „Mit Lobgesängen ohne Ende,

und der, der volle Scheuern hat von diesen!

Der höchste Zauber meiner Schöpferhände

und meiner Schöpfung stammt von diesem einen;

der lebt nicht, der von ihm ein zweites fände.

Vergebens würden Tag und Nächte scheinen

mit Sonne, Mond und Myriaden Sternen:

sie würden nichts als Seufzen sehn und Weinen.“

Er trank und starrte wie in fernste Fernen.

DRITTER GESANG

Und mein Begleiter starrte lang ins Weite,

indes sein Blick sich mehr und mehr umflorte.

Es schien, als ob durchs Tor des Lichtes schreite

sein Geist und sich in Nacht und Nächte bohrte.

Ein Graun befiel mich. Er begann zu zittern,

wie wenn der Wein in seinem Kopf rumorte

und Schwindel ihn befalle: zu verbittern

schien jeder Tropfen sich, den er genossen.

Er glich dem Schächer hinter Kerkergittern.

Von seinem Scheitel kam herabgeflossen

langsam ein Bächlein, furchtbar mich erschreckend.

Und etwas schien darüber aufzusprossen

gleich blätterlosem Kranz, sein Haupt bedeckend,

mit Krallen greifend durch die goldne Strähne

des Scheitels, reichre Purpurquellen weckend.

Und nun mit Tropfen Blutes rann die Träne.

Der schien mit eins gemartert und gerichtet

und fletschte sterbend seine weißen Zähne,

der kaum so strahlend sich emporgerichtet.

Der Becher fiel und rollte auf die Erde.

O Haupt, von namenlosem Schmerz vernichtet,

wer schlug in dich die Folterqualgebärde

mit hartem Stempel grauenvollster Prägung,

auf daß ein Jammerbild vollendet werde?

Jetzt sank das Haupt mit zuckender Bewegung