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Im Jahr 2035 sind die Energieprobleme weitestgehend gelöst. Mensch und Natur stehen immer weniger gegeneinander. Mit neuen Raumschiffen wird das Problem des Weltraumschrotts in Angriff genommen. Ein tragischer Unfall im Orbit gibt Hinweise auf eine vergessen geglaubte Gefahr. Welche Rolle spielen dabei die Geheimdienste und was plant die Führungsriege aus weltweit agierenden Konzernlenkern, welche die Medien und Politik subtil im Griff hält? Welche Chance hat noch der Hadesplan, mit dem die menschgemachte Gefahr im Orbit einst gebannt werden sollte? Wer setzt offenbar alles daran, den ehemals aufgegebenen Hadesplan zu boykottieren und jagt Randolph Forester, den ESA-Astronauten, der Zeuge des Unfalls im All war? Der Astronaut kämpft mit wenigen Vertrauten gegen Intrigen, Auftragsmörder und immer rücksichtsloser agierende paramilitärische Kräfte. Doch wer kämpft auf wessen Seite? Schafft Forester es zurück in den Orbit, um die Gefahr abzuwenden?
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Seitenzahl: 611
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I. Absturz
II. Flucht
III. Versteckte Nachrichten
IV. Der Killer
V. Mordfall Forester
VI. Ein Mord in Russland
VII. Der falsche Bekenner
VIII. Die Spur nach Baikonur
IX. Am Scheideweg
X. NSA und NASA
XI. Katharsis
XII. Der Holoprojektor
XIII. Die Züge
XIV. Der Rettungsplan
XV. Der Bodyguard
XVI. Spiel mit der Wahrheit
XVII. Sheitan
Zwischenspiel
XVIII. Bekenntnisse
XIX. Kontakt
XX. Memento mori
XXI. Direktor 6
XXII. Befehlsgeber
XXIII. Nachspiel
Karl-Heinz Föste wurde 1958 in Celle geboren, hat nach dem Abitur am Hölty Gymnasium Jura an der Universität Hamburg studiert und dort als Anwalt und später als Jurist bei einer Versicherung gearbeitet.
Seinen Erstling ‚Gegen die Götter‘, einen historischen Abenteuerroman, hat er als Selfpublisher veröffentlicht.
2014 erschien bei Kösel/Penguin Randomhouse ‚Wenn das Herz nicht mehr Schritt hält‘, ein Buch über seine Herzkrankheit, das er gemeinsam mit einem Kardiologen und einem Psychologen geschrieben hat.
Nebenher sind Gedichte, Kurzgeschichten und Glossen erschienen, die der Autor gern bei Poetry-Slams vorträgt und über gängige Social Media postet.
Nach dem Umzug zurück nach Celle ist der erste Band einer geplanten Reihe von Celle-Krimis entstanden. Der Titel ist ‚Mord sei Dank‘.
Ebenfalls als Selfpublisher wird der vorliegende Umweltkrimi ‚Der Hadesplan‘ herausgebracht.
Vergangenheit ist das Geschehene und das, was wir getan haben.
Die Gegenwart ist zwar eine Fiktion, eine imaginäre Sekunde zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.
Und nichts ist flüchtiger als das Hier und Jetzt, in dem wir so gern leben, denn im nächsten Moment ist es schon Vergangenheit und geht nahtlos in das über, was geschehen wird, in die Zukunft.
Doch die Zukunft beginnt immer im ...
... Hier und Jetzt.
“...nine
...eight
...seven
...six
...five
...four
...three
...two
...one
...zero
...we have ignition and lift off.”
Forester grinste, trotz der Anspannung der letzten Sekunden des Countdowns, über die traditionellen Worte, die schon bei den altertümlichen Feststoffraketen den Start der ersten Raumschiffe einleiteten. Ein Relikt aus einem anderen Zeitalter, das nicht mehr so recht zu diesem Tag passen wollte. Von einer Raketenzündung nämlich war vorerst nichts zu bemerken. Kein Dröhnen erschütterte den Rumpf des Orbitalraumschiffes. Es gab auch keinen unerträglichen Andruck, der den Piloten in den Kontursitz stauchte. Im Wortsinne schwerelos schwebte die Vac One, so wurde das Raumschiff inoffiziell genannt, über dem Startfeld des Raumhafens von Kourou. Der länglich-ovale Rumpf schimmerte silbern im gleißenden Sonnenlicht. Langsam wurden die Landestützen eingefahren. Das Ganze strahlte in seiner Leichtigkeit etwas Majestätisches aus.
Forester überprüfte die Anzeigen der Instrumentengalerie, die sich ringförmig um den Pilotensitz zog. Alle Displays und Hologramme zeigten Werte im Sollbereich.
Es war der 16. März des Jahres 2035, der Tag, an dem ein neues Kapitel in der Raumfahrtgeschichte aufgeschlagen werden sollte. Der Tag, auf den Randolph Forester und die gesamte Crew von Ingenieuren, Technikern, Testpiloten und alle anderen Mitarbeiter des Raumfahrtzentrums in Kourou hingefiebert hatten. Und er war der Pilot.
„Alles in Ordnung, Forester?“, kam die raue Stimme Gunnarsons, des stämmigen Direktors des Raumhafens, aus dem Lautsprecher. Der Chef hatte es sich nicht nehmen lassen, an diesem besonderen Tag die Rolle des Flightdirektors zu übernehmen.
Ralph Gunnarson war fast immer die Ruhe selbst. Es war das Naturell des Norwegers. Er wirkte behäbig, schon von der Erscheinung her jemand, der nicht schnell in Aufregung zu versetzen war. In solchen seltenen Fällen allerdings neigte der Direktor zum heftigen Poltern.
Um ihn herum herrschte emsige Betriebsamkeit. Und auch Gunnarson war die Anspannung allmählich anzumerken. Er wischte sich fahrig über das schüttere graue Haar und starrte auf die Hologrammbildschirme, die das Raumschiff und das Innere der Pilotenkanzel zeigten. Foresters begeistertes Grinsen machte ihn nervös. Er hatte selten ein gutes Gefühl, wenn seine Leute sich von ihrer Begeisterung mitreißen ließen. Das ging auf Kosten der Konzentration, so war seine Überzeugung.
„Der Ning-Li-Antrieb arbeitet einwandfrei. Speicher sind bei 99,6 Prozent, also noch immer fast voll. Ich schalte jetzt den Fusionsantrieb dazu. Alle Systeme sind auf Go und zeigen Sollwerte.“ Forester strich sich die kurzen, dunkelblonden Haare aus der Stirn, die immer ungekämmt wirkten und ihm ein jungenhaftes Aussehen gaben. Dabei war er mit 42 Jahren kein junger Mann mehr, sondern ein erfahrener, routinierter Pilot.
Seit dem Ende des Countdowns war die Aufregung, anders als bei seinem Chef, von ihm abgefallen. Seit die Vacuumcleaner One, wie das Schiff korrekt hieß, dank des Ning-Li-Antriebes die Schwerkraft aufgehoben hatte, herrschte in Forester nur noch blanke Begeisterung. Seine grau-grünen Augen leuchteten. Er streckte die Finger zu der holographischen Anzeige eines Diagramms aus und regelte neue Werte ein. Der Fusionsreaktor erhöhte daraufhin allmählich die Leistung. Aufgeheizt von den titanischen Kräften der Kernfusion spie der Antrieb einen feurigen Strahl ionisierter Partikel und beschleunigte die Vac One erst allmählich und dann immer schneller werdend den äußeren Schichten der Atmosphäre entgegen.
Doch noch immer war kein Andruck zu spüren. Das war das eigentliche Wunder dieses Raumfahrzeugs. Dieselbe Kraft, die es der Schwerkraft zum Trotze schweben ließ, schirmte die Gravitation ab und neutralisierte den Andruck. Im Prinzip konnte mit diesem Antrieb die Lichtgeschwindigkeit erreicht werden, ohne dass der Pilot und das Schiff von den Beharrungskräften der eigenen Massenträgheit zerquetscht wurden, vorausgesetzt der Fusionsantrieb gab die entsprechende Leistung her. Dies aber war bei der Vac One nicht vorgesehen und auch nicht nötig. Sie war ein reines Orbitalraumschiff, ein Raumschiff, das seine Mission in der Umlaufbahn der Erde zu erfüllen hatte.
Die Vac One und die Vac Two, die in einigen Tagen folgen sollte, waren trotzdem einmalige Raumschiffe. Mit dem Ning-Li-Antrieb waren sie Prototypen einer völlig neuen Raumschiffgeneration. Der Antigravitationsantrieb ermöglichte es erstmals, die Schwerkraft zu überwinden, besser gesagt abzuschirmen. Es waren keine riesigen Raketen mehr nötig, die sich durch die Verbrennung von Unmengen an Treibstoff der Erdschwerkraft entgegenstemmten, um relativ kleine Gewichte in das Weltall hinauf zu befördern.
Forester dachte an die Begründerin dieser neuen Technik: Ning Li, eine Chinesin, die in den USA bereits in den letzten Jahren des alten Jahrtausends an der University of Pasadena Versuche mit der Abschirmung von Gravitation erfolgreich durchgeführt und in der Folge die theoretischen Grundlagen für das allgemeine Verständnis der Schwerkraft erarbeitet hatte. Ihr gebührte die Ehre, diese Technik geschaffen und die Physik um dieses weitere Forschungsfeld erweitert zu haben. Was noch ausstand, war der Nobelpreis in Physik.
Soweit konnte man sich in den Medien über das Thema informieren. Als Mitarbeiter des ‚Projektes Vacuumcleaner‘ und darüber hinaus durch seinen Chef, Gunnarson, wusste Forester jedoch auch, wie unglücklich die USA in der Sache agiert hatten. Gunnarson, fast 20 Jahre älter als Forester und damit ein alter Hase der ESA galt als schlauer Organisator und Taktiker. Er hatte es selbst erlebt und wusste daher weit besser als alle anderen, wie sich die Dinge zu Beginn des Jahrtausends entwickelt hatten.
Es hatte in der zweiten Dekade nach dem Millennium einen geheimen Wettlauf um diese neue, auf Antischwerkraft basierende, Technik gegeben. Stellvertretend hierfür standen die Namen der schon länger laufenden Projekte ‚Omicron‘ in den USA und ‚Greenglow‘ in Europa. Auf der Grundlage der Forschungen der Chinesin und der Arbeit des Projektes Omicron hatte die NASA schließlich den Wettlauf gewonnen. Ning-Li hatte 2023 den Nobelpreis in Physik erhalten und die amerikanischen Medien hatten sich überschwänglich über die technische Vorherrschaft der USA ausgebreitet. Ning Li hatte in der Folge einiges an theoretischen Grundlagen für die Einflussnahme auf die Schwerkraft erarbeitet.
Man hatte die Verwertungsrechte für die Technik von den Amerikanern kaufen können. Die USA schielten kurzsichtigerweise nur auf die Vermarktung der Patente an der Antischwerkrafttechnik. Auf der Grundlage der Verwertungsrechte entwickelte die ESA dann den nach Ning-Li benannten Raumschiffsantrieb, um das Vacuumcleanerprojekt zum Abschluss zu bringen. In der praktischen Umsetzung der neuen Technik hatten damit die Europäer die Nase vorn. Die Planung des Vacuumcleanerprojektes war schon seinerzeit weit vorangetrieben worden.
Die europäische Raumfahrtbehörde, Foresters Arbeitgeber, hatte bereits viele Jahre zuvor die Idee entwickelt, die Erdumlaufbahnen vieler Satelliten von Weltraumschrott zu säubern. Die speziellen Raumschiffsmodelle hatte man in Anbetracht der Kenntnis um den kurzfristig erwarteten Durchbruch bei der technischen Umsetzung von Anti-Schwerkraft schon detailliert vorgeplant. Dadurch war sie in Kombination mit der gekauften Technik schneller mit dem Bau zweier Prototypen gewesen. Dieser taktische Fehler musste den Amerikanern wie ein Stachel im Fleisch sitzen, denn mit den neuen Raumschiffen ließ sich deutlich mehr Geld verdienen als mit Patenten.
Forester war stolz, einen dieser Prototypen als erster in den Orbit steuern zu dürfen. Es war die Krönung seiner gesamten bisherigen Laufbahn als Pilot, der Augenblick, auf den er jahrelang hingefiebert hatte.
Er genoss das Schauspiel, das sich ihm bot. Es war nicht sein erster Ausflug ins All. Schon als jüngerer Astronaut im Jahr 2025 hatte er mit dem damals neu entwickelten Shuttle CEV, dem Crew-Exploration-Vehicle, die ISS besucht. Den Start des CEV erlebte er nur ein Jahr vor den verheerenden Katastrophen infolge des Polsprungs, die entsetzlich viele Menschen das Leben gekostet hatten, weil die planetare Technik damals weitestgehend ausgefallen war. Es hatte Jahre gedauert, bis die elektronische Infrastruktur erneut soweit ausgebaut war, dass die Versorgung der Menschen mit Energie und funktionierender Technik gewährleistet war. In der Folge war er noch diverse Male im All gewesen. Viele Satelliten waren damals ausgefallen und mussten repariert werden. Forester war nach allem ein alter Hase, was Orbitalmissionen anging.
Der Blick aus einer der Luken der seinerzeitigen Shuttles war allerdings kein Vergleich zu dem aus der Vac One. Die Pilotenkanzel war wie eine Mulde in den Leib des zigarrenförmigen Raumschiffes eingefügt und mit einer transparenten Panzerplastikkuppel überwölbt, so dass der Pilot eine deutlich freiere Sicht auf die Umgebung des Schiffes hatte.
Und dieser Ausblick war atemberaubend. Forester regelte die Beleuchtung herunter ebenso wie die Abblendfunktion der Kuppel, die ihn vor der Blendwirkung der Sonne schützte. Im Moment konnte er dies ohne Gefahr für die Augen wagen, denn in den nächsten Minuten der Erdumkreisung war die Sonne von der Erde verdeckt.
Was ihn in zahllosen sehr realitätsnahen Simulationen und früheren Missionen so oft fasziniert hatte, wurde nun auf unvergleichliche Weise übertroffen. Schon als sein Schiff die letzten Schichten der Atmosphäre verließ, war das satte Blau nach und nach einem immer dunkler werdenden Himmel gewichen und allmählich in das Schwarz des Weltalls übergegangen. Diese unendlich tiefe Schwärze ließ die Sterne in einer Intensität erstrahlen, wie man sie von der Erde aus niemals zu sehen bekam.
Diamanten auf schwarzem Samt war seine erste Assoziation, die er aber sofort, beinahe unwillig, verwarf. Nein, dieser Ausblick war mit nichts Bekanntem zu vergleichen. Nicht einmal der grandiose Anblick der Erde, die er ohnehin nur zum Teil seitlich unter der Vacuumcleaner erahnen konnte, kam dem gleich. Waren dort unten schon keine Grenzen zu sehen, um wie vieles mehr galt das für den Weltraum vor ihm. Die Unendlichkeit, die Schöpfung selbst, lag vor ihm, und raubte ihm den Atem. Forester rieb sich mit dem Zeigefinger über die kleine Narbe oberhalb der linken Augenbraue, wie er es immer tat, wenn er aufgeregt und um Kontrolle bemüht war. Er wusste, warum keiner der vielen Astronauten, die in den letzten Jahrzehnten dieses Wunder gesehen hatten, darüber sprach. Es war nicht zu beschreiben. Es hatte schlicht keinen Sinn, anderen Menschen diese überwältigende Einmaligkeit, die Tiefe der Empfindungen und das erschütternde Gefühl eigener Bedeutungslosigkeit vermitteln zu wollen.
Und nun lag das Panorama dieser Pracht ohne Beschränkungen durch Helmvisiere und kleine Sichtluken vor ihm, fast mit den Händen greifbar. Worte wie ‚überwältigend‘‚ wundervoll’, ‚ergreifend’, ‚atemberaubend’ oder ‚phantastisch’ waren Krücken, leere Hüllen, die nicht auch nur annähernd einen Eindruck davon vermitteln konnten, was ihm jetzt das ganze Bewusstsein ausfüllte und innerlich beben ließ. Wie klein er doch war! Wie unbedeutend alles auf der Welt unter ihm war! Jeder dieser Edelsteine in der Schwärze des Alls war eine Sonne wie Sol, das Zentralgestirn der Erde. Die allermeisten dieser Sterne waren größer als Sol, bedeutend größer, so groß, dass sie über den unfassbaren Abgrund vieler Lichtjahre hinweg noch immer diese Strahlkraft besaßen. Der Anblick war ein Schatz, den er sein Leben lang in sich tragen und nur mit den Menschen würde teilen können, die ihn in gleicher Weise erleben durften.
Seine Finger näherten sich der Kuppel, die ihn von der tödlichen Schönheit des Alls, von Strahlung und Kälte trennte. Schemenhaft wurde sein eigenes, von dem Licht der Instrumentenbeleuchtung angestrahltes Abbild von der Sichtkuppel reflektiert, ein Geist, wie ein Spiegelbild seiner Gedanken vor dem Hintergrund der funkelnden Sterne. Der gelbe Pilotenoverall, die dunkelblonden Haare, ein Allerweltstyp, wie er fand, ...und dahinter das All, die Unendlichkeit. Die Zeit selbst hielt für ein paar Atemzüge inne und Forester war eingefroren in diesen Anhauch der Schöpfung, der Welt entrückt.
Er war dankbar dafür, dass das Kontrollcenter ihn diese Momente genießen ließ.
Nach einiger Zeit löste Forester sich schweren Herzens von dem Anblick, sorgte für die reguläre Instrumentenbeleuchtung und fuhr die Abblendfunktion der Kuppel wieder hoch. Er war schließlich kein Passagier einer dieser privaten Fluggesellschaften, die für horrendes Geld Kurztrips in den Orbit anboten. Er war Pilot und musste das Schiff auf Kurs bringen, jedenfalls hatte er den automatisch berechneten und gesteuerten Kurs und die Instrumente zu überwachen. Außerdem würde er mit der Vac One in wenigen Augenblicken wieder aus dem Erdschatten herausschweben. Mit beiden Händen wischte er sich über die Augen und mehrfach durch die Haare, um die sentimentalen Gedanken zu verscheuchen.
Seine eigentliche Aufgabe begann nun erst hier im Orbit. „Na gut, Leute“, sprach er die Crew im Kontrollzentrum an, „dann beginnen wir mal mit der Müllabfuhr!“ Er grinste bemüht in die Optiken seines Com-Displays. Doch nur ein paar Lacher waren über die Lautsprecher aus dem Kontrollzentrum zu vernehmen. Allzu klar war den Kollegen unten auf der Erde Foresters Versuch, seine Gefühle nicht durchblicken zu lassen. Außerdem war der Running Gag allmählich etwas abgegriffen. Seit Jahren wurden die Astronauten der Mission scherzhaft als ‚Müllfahrer‘ tituliert, so lange schon, dass auch über Vergleiche der ESA mit einem Müllentsorgungsunternehmen und ähnlich bemühte Wortschöpfungen kaum jemand mehr grinste.
Immerhin hatte die Vacuumcleanermission ihren Namen abgeleitet von ihrer Aufgabe erhalten. Die Vac One war, wie die Mitarbeiter des Projektes trotz allem noch immer gern betonten, ein Müllfahrzeug. Und ein solches Müllfahrzeug war hier im Orbit inzwischen mehr als notwendig geworden. Der seit langem bekannte und nach seinem Entdecker benannte Kessler-Effekt machte der Raumfahrt schon seit Jahrzehnten zu schaffen. Die Erde war umgeben von unzähligen Satelliten, die auf höchst unterschiedlichen Bahnen um den Globus zogen oder geostationär im Orbit standen. Teilweise taten diese schon seit über 60 Jahren ihren Dienst auf verschiedenste Weise. Die meisten repräsentierten unschätzbare Werte mit ihren empfindlichen Mess-, Empfangs- und Sendeanlagen, ihren Sonnensegeln, Teleskopen und Raumstationen, wie der altehrwürdigen ISS. All diese kostbaren Güter und die Sicherheit von Astronauten und Kosmonauten zu schützen, war die Aufgabe der Vacuumcleaner, denn all das, was die Menschheit hinauf in den Orbit geschafft hatte, war unverzichtbare Grundlage der modernen, technischen Zivilisation. All die vielen Satelliten, die für die Kommunikation per Smartphones, Tablets und Computer sorgten, die unglaublichen Datenströme für die Verkehrslenkung und die sonstige Abstimmung technischer Systeme weltweit lenkten, ohne die es kein Internet mehr gab, wurden durch immer mehr Abfallprodukte der Raumfahrt gefährdet.
Schon in den Achtzigerjahren des alten Jahrtausends war abzusehen, dass Lacksplitter und andere kleinere Partikel, die bei Kopplungsmanövern von Raumfähren und beim Aussetzen von Satelliten zuhauf frei wurden, oder von Kleinstmeteoriten aus den Hüllen von Raumschiffen und Satelliten heraus gesprengt wurden, sich zum massiven Problem auswuchsen. Zunächst schien dieses Phänomen vernachlässigbar. Bald aber zeigte sich, dass sich die doch kleinen Verunreinigungen des Weltraumes aufgrund der Unzahl von Satelliten wie beim Schneeballeffekt auf drastische Weise ausweiteten. Noch gefährlicher waren Schrottteile von gesprengten Militärsatelliten, geborstenen Raketenstufen oder Reste solch tragischer Unfälle wie der 1986 explodierten Ariane, deren nahezu 500 Wrackteile sich in nur zwei Jahren auf ein Netz von Umlaufbahnen rund um den gesamten Globus verteilt hatten. Das Spektrum der größeren Teile reichte von solch exotischen Objekten wie der 1966 von einem amerikanischen Astronauten verlorenen Handkamera bis hin zu toten Satelliten von der Größe eines Lieferwagens. Der Polsprung hatte die Anzahl nicht mehr steuerbarer Satelliten noch einmal deutlich erhöht. Die Zahl der größeren und kleineren Müllteile ging dabei im Laufe der vergangenen Jahrzehnte in die Hunderttausende. Dabei konnten schon kleinste Lackfetzen von nur Zentimetergröße bei Geschwindigkeiten von teilweise 28000 Stundenkilometern die Explosionskraft einer Handgranate entfalten, wenn sie auf einen intakten Satelliten oder eine Raumstation trafen. Schon zur Jahrtausendwende zeichnete sich ab, dass die Schäden sich auf dramatische Weise mehrten. Reparaturmissionen standen in keinem Verhältnis mehr zu den damit verbundenen Kosten. Auch der Ersatz bereits ausgefallener Satelliten war so kostspielig, dass bald Überlegungen angestellt wurden, wie man das Problem grundsätzlich in den Griff bekam. Donald J. Kessler hatte als Erster erkannt und berechnet, dass und in welcher Weise diese Gefahr die gesamte Satelliteninfrastruktur wie durch kosmische Streubomben zu vernichten imstande war. Die weltweite Kommunikations- und Steuertechnik war dadurch bedroht. Eine Katastrophe, die die komplette technische Zivilisation an den Rand ihrer Existenz bringen konnte.
Einen Vorgeschmack solcher Auswirkungen hatte die Menschheit bereits vor Jahren erhalten, als die magnetischen Pole der Erde immer schwächer wurden und sich schließlich umpolten. Die Pole benötigten Tage, bis sie sich wieder aufbauten und sich die Magnetfelder erneut schützend um die Erde spannten. Die in diesen wenigen Tagen hereinbrechende kosmische Strahlung hatte weltweit Stromnetze und nahezu die gesamte Kommunikationstechnik ausfallen lassen. Auch einige Satelliten waren dauerhaft beschädigt. Die meisten ließen sich zum Glück wieder in Betrieb nehmen. Das seinerzeit entstandene Chaos ließ erahnen, was der Menschheit bevorstand, wenn das Satellitennetz zerstört werden sollte.
Bis dahin war das Thema ‚Verschmutzung des erdnahen Weltraums‘ den Medien kaum interessant genug für Sommerlochbeiträge. Danach aber konnte sich kein Politiker mehr der Notwendigkeit der Förderung von Raumfahrtmissionen verschließen. Die Budgets der raumfahrenden Nationen für die Entwicklung von Techniken zum Schutz der Satelliten wurden in einer Größenordnung aufgestockt, wie man es bisher allenfalls von Militäretats kannte.
Die größten Konzentrationen des gefährlichen kosmischen Mülls fanden sich in einer Höhe zwischen 800 und 1000 Kilometern, aber auch darüber und darunter gab es viel für die Vacuumcleaner zu tun.
Das hieß, wie man die Bahnen der Satelliten von Staub, Splittern und Trümmerstücken befreien konnte. Daraus entstand die im Prinzip sehr einfache Idee, die Orbitalbahnen, das heißt die Korridore der Satelliten und Raumstationen im All, von Weltraumschrott zu befreien. Da nahezu allen gefährlichen Partikeln, Staubteilchen und Wrackteilen gemein war, dass sie entweder selbst aus Metall waren oder Metallanhaftungen aufwiesen, die zumeist auch magnetisch reagierten, wurden die Vacuumcleaner entwickelt. Die Idee, mit Magnetismus zu arbeiten, war daher naheliegend. Die neuen Orbitalraumschiffe besaßen starke Elektromagneten, die, gespeist von den Kräften des Fusionsreaktors, um das Raumschiff herum weitreichende elektromagnetische Felder, gleich den Magnetfeldern der Erde, aufbauten. Diese Felder leiteten die Staubteilchen zu den Polen, das heißt zu Spitzen der Schiffe. Dort wurden sie mit Gittern aufgefangen und festgehalten. Nicht magnetisch reagierende Teilchen konnten zusätzlich mit dem weiter installierten Gravitationsprojektor eingefangen werden.
Größere Objekte, die zum größten Teil katalogisiert waren, konnten mit dem Elektromagneten in die Erdatmosphäre bugsiert werden, um dort zu verglühen.
Kein Wunder, dass schon in der Planungsphase einigen Spöttern sehr schnell der Gedanke an kosmische Staubsauger aufkam. Der Name für die Raumschiffe war damit gefunden, Vacuumcleaner.
„Jedenfalls sollten wir bis zum 13. April nächsten Jahres schon mal etwas geschafft haben, bevor Apophis womöglich Staub aufwirbelt und Mr. Kessler wieder in die Medien bringt.“ Foresters Scherz über den seit Jahren angekündigten ‚kosmischen Streifschuss‘ durch den erneuten Besuch des Asteroiden Apophis, der 2036 der Erde derart nahe kommen sollte, dass er die Orbitalbahnen einiger Satelliten kreuzen würde, war nicht dazu angetan, die Leute im Kontrollcenter von der Entspanntheit des Piloten zu überzeugen.
Nach dem gelungenen Start begann die Vac One mit ihrer Arbeit. Sie steuerte den Orbit eines europäischen Satelliten an und folgte exakt dessen Umlaufbahn, die es von gefährlichen Kleinstgeschossen säuberte. Die elektromagnetischen Felder und der Gravitationsprojektor arbeiteten zuverlässig und nach Plan.
Forester und Julia Drumond, der Pilotin der Vacuumcleaner Two, wie auch den Astronauten, welche die beiden nach Ablauf der Testphase ablösen sollten, stand viel Arbeit bevor. Sobald man den europäischen Satelliten freie Bahn verschafft hatte, war geplant, die Bahnen der Satelliten anderer Nationen, natürlich für Geld, angesichts der gefährdeten Werte viel Geld, von kosmischem Müll zu befreien. Ein Ende der Arbeit war letzten Endes nicht in Sicht, da die verbleibenden und neu entstehenden Staubwolken im Orbit die fatale Eigenschaft hatten, sich auf chaotischen Bahnen zu bewegen und dadurch nach und nach erneut in die geräumten Korridore einzudringen. Wie beim antiken Sisyphos würde die Arbeit am Ende genau wieder dort beginnen, wo Forester jetzt seine erste Orbitalschleife flog. Allerdings, so die Berechnungen, sollte sich die Menge und damit die Gefährlichkeit des erdnahen Mülls nach und nach verringern.
„Die Vac One ist auf Kurs, Ran, Sie können sich zurücklehnen und wieder die Aussicht genießen.“ Gunnarson war offensichtlich hochzufrieden. Sein breites Gesicht lächelte vom Bildschirm.
„Zurücklehnen?“ Forester lupfte die Augenbraue. Er war Testpilot. Ein wenig Aufregung durfte schon sein. Ernüchtert dachte er daran, dass sich nun tatsächlich Routine breitmachen würde. Dies war zwar weiterhin ein Testflug, auch einer mit vielen Checks und Tests, aber keiner mit außergewöhnlichen Manövern und Belastungserprobungen.
Obwohl, ein spannender Test stand noch an. Nach den ersten Ergebnissen der Säuberungsrunden würde endlich – erstmals - der Bionic-Mode getestet werden, die Kopplung von Mensch und Technik, für die allein er und Julia als Piloten infrage kamen. Auf diesen Test und die damit verbundene Erfahrung war er sehr gespannt.
Die wirklich routinemäßige Arbeit der Vacuumcleaner war bald nach Beendigung der ersten Testphase aufzunehmen, damit das Projekt sich durch weitere Aufträge möglichst frühzeitig amortisierte. Für Forester und die nachfolgenden Piloten bedeutete das, nicht nur in endlosen Schleifen um den Globus zu kreisen. Das besorgte das Raumschiff ohnehin weitestgehend von selbst. Seine Aufgabe als Pilot bestand bei diesen Säuberungsrunden im Wesentlichen darin, die Instrumente zu beobachten, den Kurs zu korrigieren sobald ein Korridor freigeräumt war und möglicherweise notwendig werdende Reparaturen durchzuführen. Der letzte Punkt war der eigentliche Grund, warum - auch später nach der Testphase - überhaupt Piloten an Bord benötigt wurden. Alles andere war per Fernsteuerung problemlos vom Kontrollzentrum aus zu erledigen.
Die gezielte Ansteuerung und Entsorgung von Wrackteilen oder toten Satelliten dagegen war zu komplex für eine Fernsteuerung und damit Sache der Piloten.
„Zwei Tage, Ran“, hörte Forester die Stimme von CP. Er sah zu der holographischen Projektion des Gesichts seines Freundes hinüber. CP war Interkomspezialist und hatte im Moment Dienst im Kontrollzentrum. „In spätestens zwei Tagen startet Julia. Das hat Gunnarson soeben durchblicken lassen“, fügte CP hinzu.
CP war deutscher. CP Schultz. ‚Wie Deutsche eben heißen’, dachte Forester wieder einmal amüsiert. Er hatte den Freund oft schon damit gehänselt. Fehlte nur noch, dass er Hans oder Fritz hieß. Wofür ‚CP’ stand, wusste Forester nicht - eigentlich niemand – außer jenen, die in Personalakten sehen durften. Böse Zungen behaupteten gar, CP hätte seinen Vornamen selbst schon vergessen. Er lächelte bei dem Gedanken.
Die beiden Freunde hatten sich in Hamburg kennengelernt, wo einige der Vacuumcleaner zusammengebaut wurden. Dort waren auch die ersten Tests erfolgt, für die unter anderem Forester als Pilot und CP als Kommunikationsspezialist benötigt wurden.
CP war unkompliziert, ein kumpeliger Typ. Die Art großer Junge, die offen auf jedermann zuging und jedem freundschaftlich auf die Schulter klopfte. Er hatte nur einen Fehler, der Forester bei den vielen gemeinsamen Kneipenbesuchen entsetzlich genervt hatte. CP erzählte gerne Witze. Das war an sich nichts Unangenehmes, wenn man es nicht übertrieb. CP jedoch verplapperte sich regelmäßig schon mitten im aufgeregt vorgetragenen Witz und nahm fast jedes Mal die Pointe vorweg. Wenn er es erschrocken mitbekam, versuchte er dann, sich weiter verhaspelnd, den Witz zu Ende zu erzählen. „Du machst jeden Witz witzlos“, hatte Ran einmal zu Beginn ihrer Freundschaft mit einem Augenzwinkern gespottet und versucht, ihm diese Macke auszutreiben. Auch heute noch unterbrach er den Redefluss des Deutschen gern mit gespielter Genervtheit und den Worten „kein Witz!“ Es war mittlerweile ein Running-Gag zwischen ihm und CP. Das hielt seinen Freund jedoch nach wie vor nicht davon ab, sich immer wieder neu als Entertainer zu versuchen.
Schultz und Forester waren in etwa gleich groß und vom Typ her einander sehr ähnlich. Er war mit 38 Jahren ein wenig jünger als sein englischer Freund. Äußerlich unterschied CP sich von Ran am auffälligsten durch seinen hellblonden Bürstenhaarschnitt. Sehr verschieden waren die beiden allerdings im Wesen. So wie Forester eher als ruhiger Typ wahrgenommen wurde, galt CP vielen als eine Spur zu extrovertiert. Insbesondere Gunnarson ging er gelegentlich auf die Nerven. Das Team schätzte ihn allerdings als hervorragenden Telekommunikationsspezialisten und als begnadeten Computerexperten. Er war außerdem ein einfallsreicher Tüftler, der bei Problemen oft durch Improvisation Lösungen herbeizauberte.
Vor allem aber war er ein guter Freund Foresters, eigentlich sein bester. Nur deshalb durfte allein er ihn Ran statt Randolph nennen. Gunnarson ließ er es ebenfalls durchgehen. Auf Kurzformen seines Namens reagierte Forester ansonsten allergisch, denn schon bei den damaligen Schulfreunden in Canterbury hatte er den Spitznamen Randy verpasst bekommen, wegen auffallend häufiger und nicht selten kurzzeitiger Beziehungen. Während des Studiums und später in der Zeit als Testpilot wurde er dieses Image weiterhin nicht los.
Diese Zeit gehörte jedoch längst der Vergangenheit an. Forester war jetzt jenseits der 40, zwar nach wie vor jugendlich im Aussehen und im Wesen, aber er hatte sich ausgetobt. Inzwischen ging er allzu sehr in seiner Arbeit auf und es blieb wenig Zeit, sich um so etwas wie ein Privatleben zu kümmern.
‚Bis auf Julia’, dachte er lächelnd.
Julia hatte er während der Arbeit am Projekt Vacuumcleaner kennengelernt, Julia Drumond. Sie war Technikerin und ebenfalls ausgebildete Pilotin.
Anfangs war zwischen beiden kein Funke übergesprungen. Ran und Julia arbeiteten seit Beginn sehr effektiv zusammen, sowohl zunächst in Hamburg als auch später in Kourou, wohin sie die beiden Raumschiffprototypen für die Startvorbereitungen in einem ersten Stratosphärenflug gebracht hatten. Privat aber waren sie auf Distanz geblieben.
Julia war Italienerin. Den Namen Drumond hatte sie aus ihrer geschiedenen Ehe mit einem Iren. Ihren Mädchennamen hatte sie ihm eigenartigerweise nie verraten. Nach ihrer gescheiterten Ehe war sie nicht mehr auf neue Bekanntschaften aus und stürzte sich versessen auf die mehr als interessante Arbeit. Was diese Arbeit anging, verhielt es sich mit Ran nicht anders. Allerdings war Julia mit ihren schwarzen Haaren auch nicht sein Typ und er spürte wohl, dass sie auf Avancen nicht aus war.
Sie waren sich dann schließlich doch näher gekommen, auf einer Feier zum Anlass der Fertigstellung des Projekts, mit der die Vac One und die Vac Two getauft wurden. Es war eine groß angelegte Show in einem der Hangars auf der Base der ESA in Kourou. Die Bayous in Französisch Guyana drohten zwar infolge des Klimawandels allmählich überschwemmt zu werden, aber die Anlagen des Raumhafens waren großenteils weiterhin in Betrieb. Die weiter abgelegenen Startgerüste würde man mit der neuen Raumfahrttechnik eh nicht mehr brauchen. Die Hangars und das Verwaltungsgebäude waren aber noch nicht in Gefahr, überflutet zu werden. In dem zur Empfangshalle umdekorierten Hangar standen die zwei auf Hochglanz gebrachten Raumschiffe. Gunnarson, dem der ganze Brimborium ganz und gar nicht passte, hatte gegen den Willen der anwesenden Politiker, wegen der immensen Medienpräsenz und der vielen Vertreter etlicher Global Player, darauf bestanden, dass die Raumschiffe von Sicherheitskräften und den nötigen Sicherheitssystemen abgeschirmt wurden.
Als alle Reden gehalten und alle Interviews gegeben waren, traf man sich in kleinen Gesprächsrunden, aus denen sich die Leute der Base und die beiden Piloten nach und nach verabschiedeten. So blieben die sich wichtig Meinenden und die weniger Wichtigen unter sich.
Forester unterhielt sich mit Gunnarson über die anstehende Einsatzplanung und die Schwierigkeiten mit dem NEO-Orter, als er Gesprächsfetzen auffing, die so gar nicht zu der Schiffstaufe passen wollten. Julia hielt gerade Smalltalk mit Gunnarsons Ehefrau und beklagte sich darüber, dass sie wegen der vielen Arbeit nicht mehr zum Training kam.
„Na ja, Sport müsste ich auch mal wieder treiben.“ Dabei klopfte Gunnarsons Frau sich gespielt kokett auf die tatsächlich etwas runden Hüften. Es wirkte arg aufgesetzt. Die Ehefrau ihres Chefs war Medizinerin. Sie arbeitete in der Forschung und war eher ein nüchterner Typ. Konversation indes beherrschte sie. „Was für einen Sport machen sie denn?“, hakte sie nach. „Karate“, hörte Ran Julia antworten, „Wado Ryu Karate.“
Wado Ryu Karate. Das war genau die Sportart, die er während des Studiums der Astrophysik und der Pilotenausbildung begeistert ausgeübt hatte. Eine eher elegante Form des Karate, harmonisch und nicht so martialisch wie das gängige Shotokan, deutlich besser geeignet, den defensiven Charakter und den Zusammenhang zu den asiatischen Religionen und Philosophien auszudrücken, wie er fand.
Erstaunt sah er Julia an und bemerkte gar nicht, dass er den Raumfahrtdirektor reichlich unhöflich stehen ließ. Ein kleiner Rest an Benimm meldete sich schließlich doch noch und er stammelte kurz eine Entschuldigung. Dann wandte er sich Julia zu, die ihrerseits nur am Rande mitbekam, dass Miss Gunnarson ihren Mann beiläufig beiseitezog.
Julia sah hinreißend aus, wie er mit einem Mal fand. Sie hatte ein rotes Kleid an, das aufregend mit ihren schwarzen Haaren und der blassen Haut kontrastierte. Ihre Augen schimmerten jadegrün mit etwas helleren Einsprengseln in der Iris.
Zum ersten Mal bemerkte er, dass sie schön war.
„Du bist eine ... Karateka?“, lächelte er Julia an. „Das, das ... wusste ich ja gar nicht.“
„Wieso? Machst du etwa auch Karate?“, fragte sie etwas knapp zurück.
„Früher mal“, winkte er ab. „Aber dafür umso begeisterter. Jetzt komme ich kaum noch dazu.“
„Dann geht es dir nicht anders als mir.“
Mit dieser Bemerkung schien alles gesagt und sie wollte ihn schon stehenlassen. Es war ganz und gar nicht so, dass sie ihn nicht mochte, aber sie war an diesem Abend nicht darauf vorbereitet, dass ihr ein Teamkollege ganz offensichtlich Interesse entgegenbrachte. Und schon gar nicht war sie darauf vorbereitet, dass es ihr ein wenig gefiel.
Ran seinerseits spürte ihre Reserviertheit und machte sogleich einen Rückzieher.
„Wir können ja mal gemeinsam trainieren“, brachte er immerhin noch hervor, und wollte sich wieder Gunnarson zuwenden. Der jedoch stand mit seiner Frau bei irgendeinem Politiker, den Ran nur vom Sehen kannte. Auch Julia war überrascht, dass ihre Gesprächspartnerin sich anderen Gästen zugewandt hatte. Ran und Julia sahen sich wieder an und prosteten einander verlegen zu.
„Wann?“, fragte sie ihn scheinbar zusammenhanglos.
Rans Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
„Na, trainieren“, half sie ihm auf die Sprünge.
„Ach so, ja. Warum nicht gleich morgen?“, freute er sich und grinste wegen seiner Unbeholfenheit etwas verlegen.
Ihr Lächeln, mit dem sie ihn dabei erstmals offen und interessiert ansah, trug er seitdem wie ein kostbares Bild in seinen Gedanken.
Sie hatten miteinander getanzt, Champagner getrunken, gescherzt und sich irgendwann mit selbstvergessenem Lächeln in die Augen geschaut. Und Forester fragte sich an diesem Abend, warum er sie noch nie so gesehen hatte. Von da an hatten sie keinen Blick mehr für die Feier. Sie schlenderten durch den Lichtschein, der aus dem Hangar fiel und die Freiflächen davor erhellte. Sie schlossen die Augen und lauschten dem Rauschen der Palmen.
An jenem Abend waren sie erstmals in ihr eigenes gemeinsames Universum eingetaucht, während aus der Halle die sphärisch-verspielte Melodie ‚orbital sway‘ der angesagten Gruppe Hover-Jazz klang und sich mit den Geräuschen des Dschungels mischten.
In den nächsten Tagen waren sie sich weiter näher gekommen, und nur CP wusste wohl, dass sie inzwischen ein Paar waren.
„Kein Witz?“, fragte er den Freund über Funk.
„Kein Witz“, bestätigte Schultz lächelnd. „Du hast sie bald da oben.“
Ran freute sich darauf, mit Julia hoch über der Welt im Orbit zu sein und diese unvergleichliche Nähe zur Schöpfung mit ihr zu teilen, auch wenn die meiste Zeit der ganze Globus zwischen ihnen sein würde. Weiter voneinander entfernt konnte man kaum sein. Trotzdem war es etwas Besonderes. Allein der Gedanke: Zwei Liebende kreisen um diesen wunderschönen Planeten aus leuchtendem Blau und strahlendem Weiß.
Überirdisch im wahrsten Sinne des Wortes.
‚Kitschig’ dachte er selbstironisch ‚und doch romantisch’.
Auf jeden Fall fand er die Vorstellung herrlich und seinen Empfindungen mehr als angemessen. Er war sich ganz sicher, Julia nirgendwo näher zu sein als hier oben, hoch über der betörenden und doch so schnöden Welt dort unten mit all ihren Problemen und Engstirnigkeiten. Und er freute sich darauf, bald nicht mehr allein im Orbit zu sein.
Nach Abschluss der auf zwei Wochen angesetzten Testphase würden andere Astronauten die Vacuumcleaner übernehmen. Ran und Julia sollten dem Projekt mit ihren Erfahrungen dann noch einige Zeit als Berater zur Verfügung stehen, für den Bau weiterer Orbitalraumschiffe und zur Nutzung des Bionic-Mode.
Danach wollten sie ihr gemeinsames weiteres Leben planen.
Es sollte ganz anders kommen.
Zwei Tage noch.
Daran, dass nicht beide Raumschiffe zur gleichen Zeit starteten, waren nur die Unstimmigkeiten an dem NEO-Radar der Vac Two schuld. NEO stand für ‘near earth objects’. Der NEO-Orter war dazu gedacht, Kollisionen mit größeren Objekten vermeiden, die die Schiffshülle gefährdeten. Und da fand sich einiges. Als near earth objects galten Meteoriten aller Größenordnungen, zudem nicht in den Katalogen der Raumfahrtbehörden zu findende größere Bruchstücke von Satelliten. Zu den NEOs zählten zudem Raumschiffe und Orbitalstationen, wie die schon betagte ISS und andere Raumstationen, die von den großen wirtschaftlich und technologisch potenten Machtblöcken betreut und genutzt wurden und in den letzten drei Jahrzehnten auf beachtliche Größe angewachsen waren.
Die nicht erfassten NEOs hatten zum Teil dieselbe fatale Eigenschaft wie die katalogisierten Trümmer, mit hoher Geschwindigkeit und auf erratischen Bahnen um die Erde herumzukreisen. Sie stellten damit ein nicht unerhebliches Gefährdungspotenzial für die Vacuumcleaner dar. Wurde solch ein NEO mit dem Orter erfasst, so das Protokoll, sollte das Objekt mit dem Magneten, oder dem Gravitationsprojektor eingefangen werden.
Und eben dieser Orter arbeitete bei der Vac Two nicht fehlerfrei.
Woran das lag, hatte man bislang nicht herausgefunden. Innerhalb der verbleibenden zwei Tage musste jedoch die Reparatur erfolgen. Andernfalls würde ein Ersatzgerät eingebaut werden müssen, dessen Justierung und Erprobung wiederum Tage in Anspruch nahm. Mehr als zwei Tage Verzögerung konnte sich die ESA, der die Auftraggeber im Nacken saßen, aber kaum leisten, denn am Ende ging es um die kommerzielle Nutzung der Raumschiffe.
Forester hatte inzwischen etliche Satellitenkorridore geräumt, als knapp vor Ablauf der Frist die Bestätigung der Bodenstation kam, dass die Techniker den NEO-Orter freigegeben hatten und der Start erfolgen könne.
Er schaltete sich in die Übertragungen von der Base ein. Er sah Julia in ihrem gelben Astronautenoverall über das Startfeld gehen. Eine Rampe fuhr sie zur Pilotenkanzel hinauf.
Dann wurde die Startsequenz mit dem Countdown eingeleitet. Heiße Aufregung durchströmte ihn, als erden Start des zweiten Vacuumcleaners mit der eigenen Ortung und über die Bilder des Kontrollzentrums auf dem Hologrammbildschirm verfolgte. Er versetzte sich in Gedanken in Julia hinein und versuchte, sich vorzustellen, wie sie wohl die Eindrücke aufnahm. Gleichzeitig konnte er es nicht abwarten, Funkkontakt mit ihr aufzunehmen. Er musste allerdings noch warten bis sie den Orbit erreichte. In der Startphase hatte sie genug Informationen mit der Bodenstation auszutauschen.
Nach wenigen Minuten war es endlich soweit. Die Vac Two hatte ihre vorgesehene Position im Orbit erreicht.
„High, Julia“, begrüßte er sie lakonisch. „Willkommen im All.“
Ihr dreidimensionales Abbild lächelte ihn vom Holobildschirm an. „Ohne Pathos kommst du wohl nicht aus, was“, erwiderte sie gespielt schnippisch. „Tu nur nicht so großartig, als wenn dir schon das ganze Weltall gehört.“ Augenzwinkernd drohte sie: „Du weißt hoffentlich, ich bändige selbst Weltraumhelden.“
„Na, dann habe ich ja Glück, dass der ganze Globus zwischen uns ist“, gab Ran ungerührt zurück.
„Was wird das da oben?“, polterte Gunnarson dazwischen. „Ich dachte, ihr hättet zu arbeiten. Ihr flirtet doch nicht etwa miteinander?“ Offenbar fiel beim Chef der Base gerade der Groschen.
Ran stellte sich vor, wie CP vor seinem Kontrollterminal saß und vor sich hin grinste.
„Hey, das ist nicht witzig.“ Der Raumfahrtdirektor schien jetzt tatsächlich aufgebracht zu sein. „Niemand sagt mir etwas? Ich gebe doch nicht die teuersten Raumschiffe, die je gebaut wurden, zwei Turteltäubchen in die Hand.“ Er holte vernehmlich Luft. „Das ist keine vorweggenommene Hochzeitsreise da oben. Das ist wichtige und ...“, er stockte in seinem aufgebrachten Redefluss, als wenn er sich auf die Zunge biss, „... verdammt verantwortungsvolle Arbeit. Wie wollt ihr Euch denn auf die Tests konzentrieren?“
Ran fragte sich, ob sein Vorgesetzter wirklich kalt erwischt wurde und Angst um das ihm anvertraute Projekt hatte, oder ob er eine Show abzog, um sich mal wieder Respekt zu verschaffen.
„Keine Angst, Chef!“, versuchte er ihn zu beruhigen. „Sie werden keine private Bemerkung mehr über Interkom hören. Und ... vielen Dank für ihr Vertrauen“, konnte er sich nicht verkneifen anzufügen. „Wir wissen, was auf dem Spiel steht.“
„Ach ja? Wenn ...“, setzte Gunnarson hitzig an und unterbrach sich erneut. Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht und fuhr merklich gefasster fort: „Es ist gut. Macht Eure Arbeit! Das Private könnt Ihr schließlich nach der Landung nachholen.“
Forester sah in Julias ratloses Gesicht auf dem Holoschirm und zuckte nur mit den Schultern. Lautlos formte sie das Wort ‚Stress’ mit den Lippen und machte dazu ein fragendes Gesicht. Ran zuckte erneut mit den Schultern.
„Also gut, an die Arbeit!“, hörte er sie sagen, dann trennte sie die Verbindung.
In den nächsten Tagen gab es genug Tests, um keine Langeweile aufkommen zu lassen, aber auch kurze Freiräume, in denen sie gern geplaudert hätten. Sie hielten sich jedoch an die Abmachung und beschränkten den Funkverkehr auf Gespräche über Testergebnisse, technische Details und den Kontakt mit der Bodenstation. Nur wer sie gut genug kannte, bemerkte gelegentliche Blicke, die sie sich über die Bildschirme zuwarfen.
Dann endlich kam die Testphase, auf die Forester schon bald nach dem Start hingefiebert hatte.
„Zeit für die Prüfung der bionischen Vernetzung“, hörte Forester die mittlerweile betont geschäftsmäßig gewordene Stimme Gunnarsons. Der Direktor des Raumfahrtzentrums, den Ran als zwar sachlichen, aber eben auch freundlichen Chef kannte, mit dem ihn eine gewisse gegenseitige Sympathie verband, war in der letzten Woche bei den Interkomkontakten derart nüchtern gewesen, wie Ran ihn bisher nicht kennengelernt hatte. Über die Gründe konnte er nur spekulieren. Fühlte der Direktor sich getäuscht, oder war er wahrhaftig persönlich enttäuscht darüber, von ihm nicht eingeweiht worden zu sein? Vielleicht gab es aber auch völlig andere Gründe für die schlechte Stimmung.
Forester hatte jedenfalls nicht vor, dies zum Thema einer Aussprache zu machen. Schließlich hatte er nicht das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.
Er nickte dem Bild Gunnarsons auf dem Holobildschirm zu und traf die Vorbereitungen für die weiteren Tests.
Der Bionic Mode.
Die bionische Vernetzung stellte eine Weiterentwicklung einer medizinischen Technik dar, die schon im alten Jahrtausend ihre Anfänge nahm. Galt es damals, körperliche Behinderungen, wie Gehörlosigkeit, Blindheit oder Verletzungsfolgen wie die Querschnittslähmung, mit technischen Mitteln zu beseitigen oder aufzuheben, wurde zu Beginn des Jahrtausends schnell erkannt, dass man diese Technik hervorragend zur direkten Steuerung technischer Abläufe nutzen konnte. Nachdem Mediziner in der Zusammenarbeit mit Ingenieuren erkannt hatten, dass man Nervenzellen durch elektrische Impulse dazu bringen konnte, sich mit Platinen für Computerchips zu vernetzen, hatte man damit das Instrument in der Hand, den Sehnerv zu ersetzen und sogar die Möglichkeit, mit Computerchips verletzungsbedingte Unterbrechungen des Rückenmarks zu überbrücken und Querschnittsgelähmte wieder zum Gehen zu verhelfen. In all diesen Fällen bedurfte es jedoch sehr mühseliger Übung, um die gedanklichen Befehle des Betroffenen und das Zusammenwirken von Wahrnehmung und Reizweiterleitung über die Nerven und Chips aufeinander abzustimmen.
Der gedankliche Schritt, Computer, Fahrzeuge und im Weiteren die gesamte technische Umgebung des Menschen direkt durch das Gehirn, ohne Umwege über Schalter, Tastaturen, Touchscreens, holographische Interfaces, oder akustische Befehle zu steuern, war nur klein. Die Umsetzung war jedoch weitaus schwieriger.
Visionen oder gar Horrorvorstellungen von einer im Internet vernetzten Menschheit bis hin zu einer globalen Gemeinschaftsintelligenz, die sich über die bionische Technik von einem Gehirn zum anderen verständigte und auf diesem Wege die gesamte Welt steuerte, mussten jedoch alsbald verworfen werden. Unabhängig von der Kostenfrage war das Haupthindernis das enorme Maß an Training, dessen es bedurfte, technische Abläufe über gedankliche Befehle zu steuern. So wie ein Querschnittsgelähmter über bionische Implantate das Gehen völlig neu zu erlernen hatte, musste auch das Gehirn erst mühsam lernen, die gedanklichen Befehle zu generieren, Maschinen auf spezifische Weise u veranlassen, diesen oder jenen Prozess in Gang zu bringen. Im Idealfall musste das Gehirn in der Lage sein, die konkrete Vorstellung dessen, was die Maschine ausführen sollte, parallel mit neuronalen Befehlen zu verbinden, die der bionisch vernetzte Prozessor lesen und auch verstehen konnte. Das erforderte eine Kombination von Intuition, Konzentrationsvermögen und technischem Verständnis, die nur ganz wenige Menschen aufwiesen. Testpiloten zum Beispiel, weshalb Forester und Julia Drumond sich für solche Tests eigneten.
Für die bionische Führung des Raumschiffes trugen er und Julia Implantate mit einem winzigen Sender in der Schläfe, die mit dem Broca-Zentrum im Gehirn vernetzt waren. Das Broca-Zentrum, eines der Gehirnareale, die Sprache steuern, hatte sich als Befehlsgeber für eine abstrakte technische Befehlsübermittlung als geeignet erwiesen. Diese speziell entwickelte Befehlssprache musste erlernt und laufend trainiert werden. Die notwendigen Informationen für die Steuerung des Schiffes erhielten die Piloten aber nach wie vor akustisch und visuell über die Instrumente der Steuerkanzel.
Nach all der aufwändigen Vorbereitung, dem Training an technischen Systemen und zuletzt mit den Vacuumcleanern, spürte Forester wieder die aufgeregte Vorfreude, fast wie beim Start vor wenigen Tagen.
Die Vorbereitung auf den Test beschränkte sich, ziemlich unspektakulär, darauf die Instrumente auf die bionische Steuerung umzuschalten. Danach konnten Julia und Ran sich in den Pilotensitzen zurücklehnen, um sich zu konzentrieren. Ran checkte noch einmal die nähere und weitere Umgebung des Schiffes über das NEO-Radar, um sicher zu sein, dass die Vac One während der kurzen Testphase freie Fahrt hatte. Riskante Ausweichmanöver traute er sich im Bionic-Modus bisher nicht zu.
Als er schließlich den NEO-Orter auf Bionic-Modus umschaltete, wunderte er sich über ein kurzes Flimmern auf dem Bildschirm des Radars. Da es aber offenbar fehlerfrei arbeitete, auch als er es über den bionischen Befehlsgeber in der Schläfe ansteuerte, maß er der Sache keine weitere Bedeutung zu.
„Was ist los?“, kam sofort Gunnarsons gereizte Stimme über Interkom. „Fangen Sie schon ohne uns mit den Tests an?“
„Keine Sorge, Chef“, gab Forester ruhig zurück. „Der NEO-Bildschirm hat beim Umschalten geflackert. Ich habe ihn nur kurz gecheckt.“
„Und, arbeitet der verdammte NEO-Orter endlich fehlerfrei?“
„Aye, Sir!“, antwortete Forester sarkastisch im militärischen Tonfall. Er hoffte, dass sein Chef allmählich mitbekam, dass er sich gehen ließ.
Ran hatte nicht vor, sich von den Unfreundlichkeiten beeindrucken zu lassen. Er fragte sich jedoch, ob der Direkter des Raumfahrtzentrums sich allmählich vom Phlegmatiker zum Choleriker wandelte. So übellaunig kannte er seinen Chef nicht.
Der Direktor gab zum Glück Ruhe und die Tests konnten beginnen.
Genau wie Julia steuerte Ran die Systeme des Schiffs nun über sein Implantat in den Schläfen. Statt über Akustikbefehle oder Interfaces übernahm Forester die Steuerung über direkte gedankliche Befehle.
Zunächst wurden beide Vacuumcleaner weiter weg von der Erde in einen höheren Orbit geführt, um freies Feld für Steuerungsübungen zu haben. Schon dieses erste Flugmanöver erforderte ein enormes Maß an Konzentration. Aber wie bereits in der Simulation auf der Erde übernahm die Intuition allmählich das Kommando. Es fühlte sich an, wie die ersten holperigen Sätze in einer fremden Sprache. Man ärgert sich über mangelnde Praxis und registriert nach und nach, dass man sich mit zunehmender Übung keine Gedanken mehr über Vokabeln und Grammatik macht, sondern irgendwann einfach drauflos spricht. Genauso bekamen er und Julia ein selbstverständliches Gespür für die Steuerung und das Innenleben des Raumschiffes. In gewisser Weise war dies eine unheimliche Erfahrung, denn mit einem kurzzeitigen leisen Anflug von Panik bekam Forester das Empfinden, mit der Technik auf eigentümliche Weise zu verschmelzen.
Bevor er sich jedoch weiter auf diesen Gedanken einlassen konnte, bemerkte er, dass er keine Verbindung mehr zur Vac Two hatte. Mehrfach versuchte er, im Bionic-Mode Kontakt zu Julia aufzunehmen. Es kam dennoch keine Antwort, keine Bestätigung, dass überhaupt noch eine Datenverbindung zu dem anderen Raumschiff bestand.
Gehetzt beugte er sich vor und schaltete blitzschnell alle Geräte auf manuellen und akustischen Modus zurück.
„Kourou“, rief er aufgebracht in den Interkom. „Habt Ihr Kontakt zu Julia?“
Er bekam keine Antwort. Über die Mikrofone im Kontrollzentrum schwoll ihm nur ein konfuses Stimmengewirr entgegen. Dort unten schien alles drunter und drüber zu gehen.
“Vac One an Base. CP, Gunnarson, verdammt, was ist da los? Warum antwortet denn niemand?“
CPs Gesicht tauchte im Interkombildschirm auf. „Ran“, sagte er tonlos. „Ran, wir haben keine Verbindung zur Vac Two. Wir versuchen immer wieder, sie zu rufen, aber Julia antwortet nicht. Hast du denn wirklich keinen Kontakt?“ Er hielt kurz inne. „Ran, die Jungs von der Ortung melden gerade, die Vac Two ist aus dem Kurs.“
Forester antwortete nicht. Rasch überflog er nochmals die Instrumente. Auch seine Ortung zeigte, dass die Vac Two aus dem Kurs schlingerte und mit zunehmender Fahrt der Erde entgegenstürzte.
„Ran, die Vac Two schmiert ab.“ Panik klang in CPs Stimme. „Ran, tu etwas!“
Ohne zu überlegen, schnallte Forester sich an und nahm Kurs auf das Schwesterraumschiff. Er beschleunigte, was der Fusionsantrieb hergab.
„Forester!“ Gunnarsons Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Mit versteinerter Miene sah er ihn an. „Was tun Sie? Gehen Sie sofort wieder auf ihren alten Kurs!“
Für einen Moment war Forester fassungslos. Er fragte sich, ob Gunnarson den Verstand verloren hatte. „Was zum Teufel ...“, setzte er an.
„Sie gefährden das gesamte Projekt“, fiel ihm Gunnarson scharf ins Wort. „Kehren Sie auf der Stelle um, zurück auf Ihren alten Kurs! Das ist ...“, er stockte kurz. „Das ist ein Befehl!“
Den Bruchteil einer Sekunde lang sahen sich die beiden Männer über die Bildschirme in die Augen. Dann schaltete Forester den Interkom ohne ein weiteres Wort ab. Auf Anrufe des Kontrollzentrums achtete er nicht mehr.
Er blendete alles aus, was nicht mit dem Anflug auf die Vac Two zu tun hatte. Als Testpilot hatte er gelernt, schnell und konsequent zu reagieren. Er konzentrierte sich nun voll und ganz darauf, Julia zu retten.
Das Raumschiff war bislang nur als Symbol auf dem Bildschirm der Ortung zu sehen. Es gab so schnell keinen Sichtkontakt. Blitzschnell überflog er die Distanzdaten, Geschwindigkeiten beider Raumschiffe und ihrer Vektoren. Verkniffen nickte er. Die Trajektorie des Anflugs stimmte. Sein Kinn schob sich entschlossen nach vorn. Was immer passiert war, er konnte es schaffen, das Schwesterschiff zu erreichen, bevor es den ‚point of no return’ über der Atmosphäre erreicht hatte.
Endlos lang kamen ihm die Sekunden vor, bis er die Vac Two endlich durch die Sichtkuppel seiner Kanzel zu sehen bekam. Forester gab eilig Gegenschub und glich die eigene Fahrt vorsichtig der des anderen Raumschiffs an. Das Manöver war schwierig, weil die Vac Two schlingerte und dabei schnell um mehrere Achsen rotierte.
Als er endlich die Steuerkanzel des anderen Raumschiffs in voller Größe durch die Sichtkuppel sehen konnte, stockte ihm das Herz. Entsetzen spiegelte sich in seinen weit aufgerissenen Augen. Dann öffnete sich sein Mund zu einem Schrei, der all seinen Schmerz durch die Kanzel des Raumschiffs hallen ließ. Sein Verstand konnte nicht glauben, was die Augen ihm zeigten. Das konnte nicht die Realität sein. So etwas gab es nicht, war schlicht nicht erklärlich. Aus dem Rumpf des Schiffes ragte ein längliches, nahezu 5 Meter langes, zylindrisches Objekt. Die Schiffshülle war auf halber Länge aufgerissen, deformiert und die Sichtkuppel aus Panzerplastik war herausgeplatzt. Mehr konnte er angesichts der Schlingerbewegungen der Vac Two nicht erkennen, die weiter mit hoher Geschwindigkeit nicht nur um die Längsachse rotierte.
Foresters Herz verkrampfte sich schmerzhaft zusammen. Er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Das konnte Julia nie und nimmer überlebt haben. Sein erster Reflex war, mit Hilfe des Raumanzuges auszusteigen, und Julia aus der Steuerkanzel herauszuholen. Vielleicht hatte sie ja rechtzeitig den Raumanzug anlegen können und lebte doch noch.
Er glaubte nicht daran. Trotzdem klammerte er sich an diese letzte Hoffnung.
Auszusteigen hatte allerdings im Moment keinen Sinn, jedenfalls nicht bei diesen aberwitzigen Schlingerbewegungen.
Der Magnetfeldprojektor! Forester justierte den Projektor mit fliegenden Fingern und mit Akustikbefehlen auf die Vac Two ein. Den Absturz konnte er damit ganz sicher nicht mehr aufhalten. Er konnte ihn aber verlangsamen und vor allem die Schlingerbewegungen des Raumschiffs nach und nach abbremsen. Dann würde er sehen, was weiter zu tun war.
Ran arbeitete fieberhaft und ignorierte weiterhin die Anrufe der Bodenstation. Er sorgte allerdings dafür, dass die Bilder der Außenkameras an das Kontrollzentrum weitergeleitet wurden.
Als die Vacuumcleaner Two schließlich ruhig neben seinem eigenen Schiff lag und mit ihm zusammen auf die Erde zutrieb, zoomte er das Bild der Steuerkanzel heran. Der Anblick, der sich ihm dabei bot, konnte grauenvoller nicht sein. Abermals schrie er sein Entsetzen und seinen Schmerz heraus. Julia hing festgeschnallt in ihrem gelben Pilotenoverall im Kontursitz. Sie war tot. Explosive Dekompression hatte ihre Adern platzen lassen. Blutige Risse zogen sich über die durch die Kälte Weltraums zu weißgrauem Eis erstarrte Haut ihres Gesichtes. Die grässliche Fratze eines grauenvollen Todes, die einen schaurigen Kontrast zu ihren schwarzen Haaren bot, die ebenfalls mit Reif bedeckt waren.
Das geliebte Gesicht Julias, entstellt, starr, tot.
Forester schloss sekundenlang die Augen. Er wusste, dass er dieses Bild nie wieder loswerden, dass es ihn auf ewig verfolgen würde.
Es war dennoch keine Zeit, sich dem Schmerz und der Trauer hinzugeben. Er gab sich einen Ruck, öffnete die Augen und zwang sich, sich von dem Bild des Schreckens zu lösen. Wenn er nicht riskieren wollte, selbst abzustürzen, musste er sein Raumschiff schnellstens auf Gegenkurs bringen. Den Absturz der Vac Two konnte er nicht mehr verhindern. Es blieb nicht einmal Zeit, Julias Leichnam zu bergen.
Forester verblieben nur diese wenigen Sekunden, Abschied zu nehmen.
Nur am Rande nahm er wahr, dass das zylinderförmige Objekt, welches die Vac Two gerammt hatte, kein Asteroid war, sondern technischen Ursprungs sein musste. Eines dieser Wrackteile? Nicht katalogisiert?
Einen irrealen Augenblick lang, war ihm alles zu viel. Er spielte mit dem Gedanken, sich treiben zu lassen und mit Julia zusammen in die Atmosphäre zu stürzen, mit ihr zu verglühen. Aber das war keine Option, keine, die Julia jemals gewollt hätte.
Er musste von ihr lassen. Und zwar sofort!
Es kostete ihn nahezu übermenschliche Überwindung, sich auf die Instrumente zu konzentrieren und die Vac One wieder in eine stabile Position oberhalb der Absturzstelle zu bringen, mitten über dem Südpazifik.
Von dort aus starrte er mit stummem Entsetzen auf die Bildschirmhologramme, die vom Standort seiner Vac One aus den grandiosesten Ausblick auf die blauweiße Welt unter ihm bot. Doch sein Blick war gebannt auf dieses grausame Szenario. Er wollte die Augen schließen und schaffte es nicht. Er musste mit ansehen, wie das Wrack des zweiten Orbitalraumschiffes mit dem unbekannten Stahlzylinder abstürzte.
Und mit ihm Julia.
In den äußeren Schichten der Atmosphäre hüllte sich das Wrack der Vac Two in einen weißlichen Mantel aus erhitzten Gasen, der mehr und mehr zu einer feurigen Lohe wurde. In diesem gleißenden Fanal des Untergangs, das einen kilometerlangen Kometenschweif hinter sich herzog, verging das Raumschiff.
Und mit ihm verglühte Julia.
Von der Erde aus musste das ein großartiges Schauspiel sein, falls sich dort unten eine Insel oder ein Schiff in der Nähe der Absturzstelle befand. Für Ran war es das Begräbnis seiner Geliebten, die einsam und auf grauenvolle Weise gestorben war.
Ein groteskes Feuerbegräbnis. Er würde den Anblick des Absturzes und des durch den Weltraum entstellten Gesichts Julias sein Leben lang nicht mehr vergessen.
Wie benommen starrte er endlose Minuten lang auf die Stelle in der Atmosphäre, in der Julia mit dem Raumschiff und dem fremden Objekt verglüht war. Der kilometerlange Schweif aus der erloschenen Feuerlohe und Rauch verwehte schnell und war bald nicht mehr von den Wolken über dem Blau des Pazifiks zu unterscheiden.
Nichts blieb mehr von Julia, nur noch diese letzten grausigen Bilder. Dem Anblick des blauweiß strahlenden Planeten unter ihm konnte er Schönheit und Erhabenheit nicht mehr abgewinnen. Er hatte keinen Blick mehr für die leuchtenden Diamanten und Rubine, die über ihm in tiefschwarzen Samt gebettet waren. Beides bot eine grandiose Kulisse für seinen Abschied von Julia, aber das kam ihm nicht mehr zu Bewusstsein.
‚Ciao, Bella’ formten seine Lippen tonlos die Worte, die er ihr immer nachgerufen hatte, wenn sie sich verabschiedet hatten.
Endlich riss er sich von dem Anblick unter ihm los. Forester schloss die Augen und ließ sich in den Kontursitz zurückgleiten.
Nach wie vor fiepte und blinkte die Kontrolle des Interkoms hektisch und signalisierte, dass die Bodenstation ihn weiterhin unablässig rief.
Mechanisch aktivierte er das Gerät und sah mit abwesendem Blick auf den Holobildschirm.
Mit hochrotem Gesicht sah ihm Gunnarson entgegen, der mit nur mühsam beherrschter Stimme hervorpresste: „Randolph, Sie landen jetzt!“
Regungslos kam er der Weisung seines Chefs nach. Wie er das Schiff wieder auf den Raumhafen gebracht hatte, wusste er im Nachhinein nicht mehr zu sagen. Er spürte nur den warmen Wind auf der Haut, als die Steuerkanzel sich öffnete. Gierig sog er die Luft ein. Sie roch nach dem salzigen Wasser des Atlantiks und dem Sumpf der Bayous am Rande des Landeareals. Nichts von alldem drang ihm jedoch zu Bewusstsein. Es war allein die Gier nach Leben, die ihn dazu zwang tief ein und wieder aus zu atmen.
Erst als der Wagen kam, der ihn vom Landefeld abholte, setzte die bewusste Wahrnehmung ein.
Zwei Männer vom Sicherheitsdienst der Basis stiegen aus, die er zwar nicht kannte, die man aber sehr leicht an den unauffällig anthrazitgrauen Anzügen mit den langen Jacketts und den schlichten Magnetsaumverschlüssen als Security erkannte. Es war die Art Männer, die man eigentlich nie sah oder jedenfalls nicht bemerkte, weil sie sich irgendwie immer unauffällig im Hintergrund hielten. Sie nahmen ihn wortlos in die Mitte. Forester kam sich wie abgeführt vor, als sie auf den Wagen zugingen.
„Hey, was ist los?“, begehrte er endlich auf. „Was ist das denn für ein Empfang? Hab’ ich was verbrochen?“
„Gunnarson will Sie sprechen!“, bekam er zur Antwort. Mehr war aus seinen Begleitern nicht herauszubekommen.
„Ein Anruf“.
Der Zimmerserver weckte mich aus tiefstem Schlaf. „Wer zum Teufel ...“, stöhnte ich halb wütend, halb benommen und stemmte mich schwerfällig aus dem Bett hoch.
„Der Anrufer hat sich nicht legitimiert“, antwortete der Server. “Er hat aber einen Code eingegeben, der es mir trotz deines Schlafes erlaubt, das Gespräch entgegenzunehmen. Der Anruf kommt aus Übersee. So viel ist immerhin in Erfahrung zu bringen.“ Die weibliche Stimme des Hotelcomputers klang höflich, aber irgendwie zickig dozierend.
„Verfluchter Server! Was waren das für Zeiten, in denen man in einem Hotel ungestört schlafen konnte“, murmelte ich mit noch immer halb geschlossenen Augen. Ich ließ mich wieder in die Kissen sinken.
‚Ein Code, der den Server zum Weckenlegitimiert?’, überlegte ich kurz. ‚Wer zum Teufel ...?
Natürlich. Ein neuer Auftrag! Und ich ahnte schon, vom wem dieser kam.
„Entgegennehmen!“, befahl ich dem Computer.
„Z“, klang die bekannte Stimme meines nach wie vor unbekannten Auftraggebers im Raum auf. „Wir haben etwas für Sie.“
„Haben die hohen Herrschaften wieder Probleme, für die ich die Drecksarbeit übernehmen soll?“ Irgendwie wurden mir diese arroganten Typen allmählich zuwider. Aber ich brauchte sie. Sie bezahlten gut.
„Lassen Sie das!“, kam die Antwort in scharfem Ton.
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Langsam wurde ich wach und wollte hören, um was es ging.
„Also gut, Z, sind Sie über die Vacuumcleanermission informiert?“
„Natürlich, die Medien sind voll davon“, bestätigte ich.
„Ihr Auftrag lautet, Forester, einen der Piloten zu eliminieren.“
‚Wow’ dachte ich überrascht. Langsam wurde es wirklich interessant. „Forester?“, fragte ich. „Habt ihr da unten in french-fucking Guayana keine Leute?“
„Natürlich“, kam die Antwort gereizt zurück. “Die Polizei und zusätzlich eine Crew vor Ort auf der Base. Wir wollen aber sichergehen, dass Forester aus dem Verkehr gezogen wird. Sie, Z, verfolgen die Sache vorerst und greifen ein, wenn unser Mann in Kourou versagen sollte. Halten Sie sich bereit! Wenn Sie so wollen als Back-Up-System.“
„Die Bezahlung wie üblich?“, fragte ich beiläufig.
„Wie üblich, natürlich“, bekam ich ungehalten zur Antwort.
Ich hörte schon nicht mehr zu.
Grußlos wurde die Verbindung unterbrochen. Auch das registrierte ich nur am Rande. Das Jagdfieber hatte mich gepackt und ich war hellwach.
„Sheitan“, rief ich dem Server das programmierte Stichwort zu, der daraufhin meinen Lieblingssong der Stones abspielte, Sympathy for the devil.
Mick Jaggers heiser-raue und lauernde Stimme traf genau meine Stimmung. „Mal sehen, ob dieser Forester einen Killer wie mich braucht“, murmelte ich selbst-ironisch und grinste. „Abwarten, ob die Leute in Kourou mir nicht zuvorkommen“, bremste ich mich. Erst einmal duschen und etwas essen! Dann galt es, sich auf mein Opfer vorzubereiten. An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken.
Eine neue Jagd begann.
Die Männer vom Sicherheitsdienst brachten Forester auf direktem Wegevom Landefeld über das weiträumige Areal, zum Verwaltungsgebäude, nicht zum medizinischen Dienst oder zum Kontrollzentrum, wie er es erwartet hatte.
Das Verwaltungsgebäude stach gemeinsam mit dem schon etwas moderner wirkenden Kontrollzentrum, dem Besucherareal und dem alles überragenden Modell der Ariane V aus dem grünen Küstenstreifen heraus, in den der Raumhafen eingebettet lag. Es war ein alter schmuckloser Klotz aus der Zeit der Gründung des Raumfahrtzentrums, auffällig allein durch seine Größe und die imposante breite Freitreppe vor dem Haupteingang und die Flaggen der ehemaligen europäischen Nationen, die noch immer an hoch aufragenden Fahnenmasten im warmen karibischen Wind flatterten.
Mit schnellen Schritten liefen seine Bewacher die Treppe hinauf und einer der Männer öffnete ihm die Tür. Forester wunderte sich, dass sie niemandem begegneten, nicht als sie die Treppe hinauf eilten und auch nicht auf den schmucklosen Fluren auf dem Weg zu Gunnarsons Büro. Keine Mitarbeiter, keine akkreditierten Journalisten und keine Beamten der europäischen Sicherheitsbehörden. Andererseits war er immer noch wie betäubt von den dramatischen Ereignissen. Und so machte er sich weiter keine Gedanken.
Als einer der Männer die Tür zum Büro des Direktors öffnete, saß dieser wie immer hinter seinem immer aufgeräumten und schmucklosen Schreibtisch. Forester entging jedoch nicht, mit welch fahriger Geste er die Sicherheitsleute hinaus winkte. Ihm entging ebenfalls nicht, wie überaus grimmig sein Chef ihn ansah.
Unvermittelt stieg Wut in Forester auf, Wut darüber, auf welche Weise er hierher geführt wurde, und vor allem darüber, dass Gunnarson ihn von der verzweifelten Rettungsaktion hatte abhalten wollen.
Er atmete tief ein und stapfte auf seinen Chef zu. Er ignorierte den beiläufigen Wink, mit dem Gunnarson ihn zum Setzen aufforderte. Den Stuhl gegenüber dem Direktor fegte er mit einer Handbewegung beiseite.
Gunnarson sah mit schmalen Augenschlitzen auf. Nur kurz war Erschrecken in seinem Gesicht zu sehen. Er reckte sich und wartete die weitere Reaktion des Piloten ab.
Forester beugte sich vor und stützte sich mit beiden Händen auf den Rand des Schreibtischs seines obersten Vorgesetzten. Mit blitzenden Augen fixierte er ihn und fauchte: „Was ist das für ein Theater, das hier gespielt wird? Warum werde ich wie ein Krimineller behandelt? Und vor allen Dingen, ...was ... ist ... da ... oben passiert? Was war mit meinem und mit Julias NEO-Orter los? Was war das für ein Objekt, mit dem die Vac Two kollidiert ist. Weshalb war das in keinem der Kataloge verzeichnet. Und wenn es dort aufgelistet war, warum wurde der Bionic-Mode ausgerechnet dort getestet. Wer ist für diese Katastrophe verantwortlich?“ Kurz hielt er inne, als erwarte er eine hastige Antwort seines Chefs. Dann fasste er sich noch einmal und fuhr fort: „Ich habe eine Menge Fragen und ich hoffe sehr, Sie haben mir etwas zu sagen, Chef. Etwas Plausibles, etwas, das Ihr Verhalten und die Katastrophe da oben erklärt.“
Gunnarson stand behäbig auf und bedachte Forester mit eisigem Blick.
Setzen Sie sich! Ich stelle hier die Fragen.“ Er kam um den Schreibtisch herum. Forester dachte jedoch nicht daran, sich zu setzen. Wie zwei Kampfhähne standen sie einander gegenüber und starrten sich sekundenlang in die Augen.
„Nun gut“, lenkte der Direktor schließlich zögernd ein. Er blickte kurz zu Boden. „Das mit Miss Drumond tut mir entsetzlich leid, vor allem für Sie, Ran, nachdem ich von Ihrer Beziehung erfahren habe.“
„Forester, Randolph Forester! Ich bin nicht einer Ihrer Kriecher, die Sie von oben herab behandeln können.“