Der Herr aus der ersten Reihe - Arkadij Timofejewitsch Awertschenko - E-Book

Der Herr aus der ersten Reihe E-Book

Arkadij Timofejewitsch Awertschenko

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Beschreibung

Arkadij Timofejewitsch Awertschenkos Buch 'Der Herr aus der ersten Reihe' erzählt die faszinierende Geschichte eines Mannes, der sich in den schillernden Wirbel des Moskauer Gesellschaftslebens der 1920er Jahre stürzt. Awertschenko's literarischer Stil zeichnet sich durch scharfe Beobachtungen, satirische Elemente und eine prägnante Sprache aus. Das Buch reflektiert die sozialen und politischen Veränderungen dieser turbulenten Zeit und bietet dem Leser einen Einblick in die Welt der Reichen und Mächtigen. Awertschenko fügt Elemente des Komischen und Absurden hinzu, um eine kritische Analyse der Gesellschaft zu ermöglichen. Arkadij Timofejewitsch Awertschenko war selbst ein aktiver Teilnehmer am Moskauer Kulturleben und seine Erfahrungen und Beobachtungen spiegeln sich deutlich in seinem Werk wider. Als ein scharfsinniger Beobachter und scharfer Kritiker der Gesellschaft schafft er es, complexe soziale und politische Themen auf humorvolle Weise zu behandeln. 'Der Herr aus der ersten Reihe' ist ein faszinierendes Werk, das sowohl unterhaltsam als auch informativ ist. Mit seinem einzigartigen Stil und seiner tiefgreifenden Analyse ist dieses Buch ein Muss für alle, die sich für die russische Literatur und kulturelle Entwicklung interessieren.

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Arkadij Timofejewitsch Awertschenko

Der Herr aus der ersten Reihe

28 Geschichten in einem Buch

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1450-1

Inhaltsverzeichnis

Abenteuer im Abteil
Anders weiß zu leben
Awertschenko rät Euch . . .
Der Agent
Der Allerweltsfreund
Der Herr aus der ersten Reihe
Der Hungerkünstler
Der Intrigant
Der Maler und sein Bild
Der Mann unter dem Bett
Die sechs Freundinnen Korablews
Gedächtniskunst
Herzlose Begebenheit
Hinter den Kulissen
Ich reise mit Jelena
Marusina spielt Theater
Maximow der Schweiger
Meine kleine Freundin
Mein Reisebegleiter
Petrow und ich
Segelregatta
Stepa und der Indian
Wahrheit oder Dichtung
Was für Lumpen sind doch die Männer
Wie ich ein Lügner wurde
Wie verdient man vier Kronen?
Zauberei mit Knöpfen
Zwei Frauen und ein Mann

Abenteuer im Abteil

Inhaltsverzeichnis

Der Schnellzug raste nach dem Süden. In einem Abteil zweiter Klasse saß der Beamte des Kontrollamtes Iwan Michailow mit seiner jungen, schlanken Frau Sinotschka. Ihnen gegenüber lehnte der Geschäftsreisende Schitomirski und las ein humoristisches Blatt. Die Passagiere sprachen kein Wort.

»Mein Gott, wie langweilig!« bemerkte die junge Frau und gähnte.

»Hör doch auf!« rief ihr der Mann zu. »Du steckst doch alle an!« Und unwillkürlich gähnte er auch. Dann wandte er sich seinem Gegenüber zu und sagte: »Nicht wahr, mein Herr, es ist ein wenig ermüdend?«

Der Geschäftsreisende legte die Zeitung zur Seite, schaute Michailow an, entzündete sich eine Zigarrette und sprach bedächtig: »Ja, lustig ist es nicht. Wenn man lange im Abteil sitzt, beginnt es langweilig zu werden. Was für eine Station war das?«

Der Beamte wischte den Hauch vom Fenster und nannte irgendeinen Namen.

»Ach, ist das eine Fahrt!« rief indes seine Frau.

»Hör doch auf«, sagte Michailow. »Deshalb kommen wir auch nicht rascher in die Krim.«

Eine Weile später fuhr der Zug in eine Station ein und blieb stehen.

Gleich darauf trat ein Herr ins Abteil. Er trug einen großkarierten Mantel und eine graue Reisemütze, grüßte die Passagiere höflich, warf seine Tasche ins Netz und sagte zu Michailow: »Sie gestatten?«

Michailow drückte sich noch mehr in seine Ecke und murmelte etwas, aber Sinotschka schaute den Unbekannten an, und da er ein eleganter Mann war, bemerkte sie lächelnd:

»Bitte.«

Der Geschäftsreisende Schitomirski war mit dem Auftreten des neuen Passagiers keineswegs zufrieden. Leise sagte er: »Das haben wir nötig!«

Der Fremde sprach kein Wort, nahm eine Zeitung aus der Tasche und vertiefte sich in seine Lektüre. Im Wagen trat Stille ein. Man hörte nur das Rattern der Räder und das Pfeifen der Lokomotive.

Die junge Frau Sina kreuzte bedächtig ein Bein über das andere, nahm den Hut herunter, damit man ihren schönen blonden Pagenkopf sehen konnte, dehnte und streckte sich und rief: »Wir müssen noch sechs Stunden fahren!«

»Ach ja«, sagte ihr Mann. »Das Reisen ist eintönig.«

Der Geschäftsreisende nickte. »Stimmt! Und dabei ist es ein ziemlich teures Vergnügen.«

»Und so wenig unterhaltend!« rief Sina und blickte den Fremden an.

Der Unbekannte fing ihren Blick auf, legte die Zeitung zur Seite und lachte:

»Die Herrschaften langweilen sich? Wissen Sie, woher das kommt? Weil die Menschen nicht so sind, wie sie sich zeigen.«

Schitomirski rief beleidigt: »Was heißt das? Was wollen Sie damit sagen, Herr? Ich als intelligenter Mensch . . .«

Der Fremde unterbrach ihn.

»Und wer sind Sie zum Beispiel?«

»Ich? Geschäftsreisender! Mein Name ist Schitomirski. Ich vertrete die Firma Krimbel u. Co., Tuche und Seiden en gros.«

Der Fremde lachte hellauf. »Ich habe gewußt, daß Sie die Unwahrheit sagen werden. Weshalb lügen Sie Ihre Mitreisenden an ? Weshalb behaupten Sie, daß Sie Geschäftsreisender sind? Sie sind doch der Kardinal Giuseppe beim päpstlichen Hof! Mein Herr, Ihr Inkognito ist entlarvt!«

Schitomirski schaute den Sprecher erschreckt an.

»Was? Ich ein päpstlicher Kardinal? Sie irren sich!«

Aber der Fremde sagte energisch: »Jawohl, Sie sind der Kardinal Giuseppe! Spielen Sie keine Komödie! Ich weiß, daß Sie eine der einflußreichsten Persönlichkeiten der Gegenwart sind. Man hat mir erzählt, daß . . .«

Der Geschäftsreisende warf die Zigarette weg, sprang auf und rief wütend: »Herr, lassen Sie diese dummen Späße! Was erlauben Sie sich eigentlich?«

Der Unbekannte stand gleichfalls auf, legte seine Hand auf die Schulter des Reisenden und sagte in einem Tone, der keinen Widerspruch erlaubte: »Mich werden Sie nicht zum Narren halten. Statt dummer Gespräche erzählen Sie mir lieber etwas vom Vatikan, von den Sitten, die am päpstlichen Hofe herrschen, von Ihren Erfolgen bei den schönen Italienerinnen!«

Der Reisende wich entsetzt zurück, blickte nach der Notleine und rief: »Was wollen Sie von mir? Lassen Sie mich in Ruhe!«

Der Unbekannte trat auf ihn zu und rief drohend: »Nicht schreien – Hand von der Notleine – hier ist eine Dame!« Dann ließ er sich auf seinen Sitz nieder, zog einen Revolver aus der Tasche und richtete langsam den Lauf gegen Schitomirski: »Heraus mit der Wahrheit! Ich vertrage keine Komödie!«

Unter den Mitreisenden entstand eine Panik. Sina drückte sich in die Ecke, ihr Mann versuchte aufzustehen, doch eine Handbewegung des Unbekannten zwang ihn, Platz zu behalten.

Der Fremde spielte mit dem Revolver und sagte dann: »Meine Herrschaften, Sie können beruhigt sein, ich werde Ihnen nichts tun, aber ich verlange, daß dieser Mensch die Wahrheit gesteht!«

Schitomirski stand zitternd und rief nur immer: »Was wollen Sie von mir? Ich bin Reisender der Firma Krimbel u. Co.!«

»Du lügst!« bemerkte der Fremde. »Du bist der Kardinal Giuseppe!«

Michailow flüsterte: »Sehen Sie nicht, mit wem Sie es zu tun haben? Das ist ein Wahnsinniger, der aus dem Irrenhaus entsprungen ist. Sagen Sie ihm, daß Sie ein Kardinal sind – das kostet doch nichts!«

Schitomirski schüttelte verzweifelt den Kopf. »Aber ich bin doch kein Kardinal!«

Da trat Michailow auf den Fremden zu und sagte mit wehmütigem Lächeln: »Seinen Zügen nach zu urteilen, sieht er einem Kardinal ähnlich. Sicher reist er in geheimer Mission!« Und sich zu Schitomirski wendend, rief er leise: »Hol's der Teufel, sagen Sie ihm doch, daß Sie ein Kardinal sind, sonst knallt er Sie noch nieder!«

Der Geschäftsreisende nickte schweigend mit dem Kopfe und sagte verzweifelt: »Gut: ich bin ein Kardinal!«

Der Unbekannte bemerkte triumphierend: »Sehen Sie? Was habe ich gesagt? Die Menschen sind nicht so, wie sie erscheinen!«

Schitomirski brach auf seinem Platz zusammen und saß wie ein Häufchen Unglück da.

Der Unbekannte wandte sich nun an Michailow und sagte liebenswürdig: »Ich begreife nicht, wie Ihre reizende, kleine Frau mit diesem entzückenden Pagenkopf und den schlanken Beinen sich langweilen kann, wenn sie die Gattin einer so berühmten Persönlichkeit ist!«

»Welcher berühmten Persönlichkeit?« fragte der Kontrollbeamte unruhig. Der Unbekannte schaute ihn scharf an und sagte, jede Silbe betonend: »Sie sind doch der berühmte Sänger Anselmi von der Mailänder Scala, der beste Bariton der Welt! Singen Sie uns etwas vor, Maestro!«

Michailow blickte den Sprecher geistesabwesend an und rief: »Herr, das ist ein Irrtum – ich kann gar nicht singen. Ich habe eine kleine, kreischende Stimme!«

Der Fremde lachte wild auf: »Ha, ha! Die Bescheidenheit der großen Talente – lassen Sie das! Singen Sie, oder . . .!« Und er begann wieder mit dem Revolver zu spielen.

In seiner Todesangst sang Michailow so falsch, wie noch nie im Leben: »Adieu, mein kleiner Gardeoffizier!«

»So!« rief der Fremde. »Jetzt habe ich die Maske von diesen zwei Herren gerissen. Der eine erwies sich als Kardinal, der zweite als Bariton. Lüge auf Schritt und Tritt! Die Lüge begleitet uns von der Wiege, wir atmen sie ein und tragen sie mit uns!«

Dann wendete er sich zu Sina und rief: »Meine Gnädige, Sie sind die Venus von Milo! Unter Ihrem Kleide befindet sich der idealste Körper der Welt. Streifen Sie Ihre Bluse ab!« Dabei zog er den Revolver und richtete den Lauf gegen Michailow: »Ihr Mann wird doch nichts dagegen haben?«

Michailow blickte zitternd auf den Revolver und sagte stammelnd: »Nein, ich habe nichts dagegen – ich liebe die Schönheit! Ein wenig kannst du die Bluse abstreifen!«

Sina schaute ihren Mann voll Verachtung an, lachte hysterisch, erhob sich und sagte »Kardinal, wenden Sie sich um!« Sie streifte die Bluse ab, so daß man ihre schneeweißen, runden Schultern sehen konnte. »Nicht wahr, ich bin hübsch?« bemerkte sie zu dem Fremden. »Wenn Sie mich küssen wollen, fragen Sie meinen Mann, er erlaubt alles!«

Doch der Fremde küßte bloß galant ihre Hand.

Plötzlich verlangsamte der Zug das Tempo, denn er näherte sich einer Station. Der Fremde stand auf, nahm seine Handtasche und sagte zu dem Beamten und zu dem Geschäftsreisenden: »Meine Herren, in wenigen Minuten steige ich aus. Der Zug hält in dieser Station fünf Minuten. Ich stehe auf dem Perron, mit dem Revolver in der Hand, und wenn einer von Ihnen den Zug verläßt, schieße ich ihn nieder – verstanden?«

Der Unbekannte verließ den Wagen. Alle saßen erstarrt. Plötzlich öffnete sich leise die Tür, eine Hand warf einen Zettel in den Wagen und verschwand. Gleich darauf setzte sich der Zug in Bewegung . . .

Der Beamte hob den Zettel auf, schaute ihn an und las dann vor: »Meine Herrschaften, gestehen Sie, daß Sie sich nicht gelangweilt haben. Diese originelle Methode verjagt die Langeweile und zeigt die Menschen in ihrer wahren Gestalt. Wir waren vier im Waggon: Ein Trottel, ein Feigling, eine mutige Frau und ein Spaßmacher – die Seele der Gesellschaft! Bariton, küssen Sie den Kardinal!«

Die drei Passagiere sprachen kein Wort und sahen einander an. Der Zug ratterte weiter . . .

Anders weiß zu leben

Inhaltsverzeichnis

In einem Zimmer des Hotel garni »Zum Pechvogel« wickelte sich folgendes Gespräch ab:

»Wir sitzen ohne eine Kopeke da«, sagte mein Freund Anders zu mir. »Die Miete sind wir schuldig. Gestern haben wir kein Nachtmahl gegessen – heute nicht gefrühstückt. Und dabei gibt es ein Mittel, sorglos zu leben! Wir könnten es wirklich einmal versuchen!«

»Was muß man denn tun?«

»Nichts. Nur dasselbe, was ich tue. Ziehen wir uns an und gehen auf die Gasse!«

»Der Besitzer des ›Pechvogels‹ wird uns aufhalten, wird die Miete verlangen und an die Schuld mahnen!«

»Das macht nichts. Ein Lebenskünstler weiß sich aus jeder Lage zu helfen!«

Als wir durch den Korridor schritten, kam uns das Zimmermädchen entgegen:

»Herr Anders, der Hausherr möchte Sie sprechen!«

Ich lehnte mich erschrocken an die Wand, aber Anders sagte gelassen:

»Sehr angenehm. Wir kommen!«

Der Besitzer des »Pechvogels«, ein alter, griesgrämiger Herr, begegnete uns sehr kühl:

»Entschuldigen Sie, meine Herren, ich habe mit Ihnen geschäftlich zu reden.«

Anders unterbrach ihn rasch:

»Wir wollten Sie heute aufsuchen. Wissen Sie, ich habe in den feinsten Hotels gewohnt, aber nirgends habe ich eine so musterhafte Ordnung wie in Ihrem ›Pechvogel‹ gefunden. Ich frage ihn täglich«, und dabei wies Anders auf mich: »woher findet der Besitzer dieses Hotels nur die Zeit, ein so großes Unternehmen so glänzend zu führen!«

»Auch ich begreife das nicht«, fiel ich rasch ein.

»Ja«, bemerkte der Alte zufrieden lachend, »es ist schwer, Reinlichkeit und Ordnung zu wahren.«

»Aber Sie wahren sie«, rief Anders. »Und dann diese ideale Ruhe! Ich erinnere mich, wie im Vorjahr bei Ihnen ein Trunkenbold wohnte. Hat er gewagt, die Ruhe zu stören? Nein . . .! Wenn seine Freunde ihn betrunken nach Hause brachten und ihn aufs Bett legten, schlief er sofort ein. Man muß Willenskraft haben, um solch einen Betrieb zu führen! Überhaupt sind Sie ein energischer Mensch und dabei noch so hübsch! Wenn ich verheiratet wäre, hätte ich Angst für meine Frau. Noch einmal Dank im Namen aller Mieter!«

Der Alte war durch diese Ansprache so verblüfft, daß er die unbezahlte Rechnung ganz vergaß, und wir verschwanden rasch aus dem Zimmer.

Auf dem Korridor trafen wir wieder die Zofe:

»Nadja«, sagte Anders, »was ich Sie fragen wollte . . . ja, wer war denn der fesche Offizier, mit dem Sie gestern sprachen?«

Nadja lachte hellauf:

»Das war mein Bräutigam. Er ist kein Offizier, sondern ein Militärschreiber!«

»Sie scherzen. Er schaut wie ein Offizier aus. So ein eleganter Mann! Dieses intelligente Gesicht . . .! Hm, ja . . . Nadja, haben Sie Kleingeld? Die Chauffeure können auf große Noten nicht herausgeben – leihen Sie mir etwas bis nachmittags!«

Nadja griff in die Tasche und gab Anders das Kleingeld. »Haben Sie bemerkt«, sagte sie, »was für rote Wangen er hat?«

»Ja. Ein hübscher Mann! Auf Wiedersehen, Nadja!«

Als wir das Haus verließen, blieb ich beim Portier stehen: »Hm, Sie lesen Zeitung? Sie befassen sich mit Politik . . . Wie angenehm ist es, einem klugen Menschen zu begegnen . . .!«

»Gehen wir«, sagte Anders, »das ist nicht nötig. Es zahlt sich nicht aus!«

Ich brach meine Rede ab und folgte Anders.

*

Als wir ein paar Schritte gingen, kam uns ein Herr entgegen. Es war die reinste Jammergestalt: er hatte eine eingefallene Brust, ging tief gebeugt und zog einen Fuß nach.

»Ah!« rief Anders. »Kolja Magnatow! Darf ich vorstellen? Wo warst du gestern?«

»Wie immer bei den Ringkämpfen«, sagte Kolja.

»Ach, Anders, wenn Sie gesehen hätten, wie der elegante Schwede den Finnen geworfen hat!«

»Und Sie selbst nehmen nicht an den Ringkämpfen teil?«

»Ich? Woher? Ich bin doch nicht besonders stark!« rief Kolja erstaunt.

»Unsinn! Solche hageren Menschen wie Sie sind muskulös und haben eine ungewöhnliche Kraft. Wie ist Ihr Griff? Packen Sie meine Hand, drücken Sie fest! Au! Sie haben ja einen Griff wie von Eisen. Meine Hand ist wie tot – es wäre interessant, Ihre Muskeln zu sehen!«

»Meine Herren«, rief Kolja, »da in der Nähe ist ein kleines Restaurant. Ich lade Sie zu einem Gabelfrühstück ein. Wir werden ein Extrazimmer nehmen, ich werde mich auskleiden und Ihnen meine Muskeln zeigen. Sie sind meine Gäste, kommen Sie!«

Im Restaurant bestellte Kolja ein opulentes Frühstück, Bier, Wein. Dann sperrte er die Tür zu und zog sich aus.

»Das habe ich mir gleich gedacht«, bemerkte Anders, »mager, aber elastisch und muskulös. Wenig Training. Aber wenn Sie ein anständiger Trainer in die Hand nimmt, können Sie mit der Zeit ein berühmter Ringkämpfer werden!«

Darauf bestellte Kolja noch mehr Wein . . .

*

Wir verließen das Restaurant um acht Uhr abends.

»Was fangen wir mit dem angebrochenen Abend an?« rief Anders. »Eine Idee – wir gehen ins Theater!«

Zehn Minuten später saßen wir in der Garderobe des ersten Helden. Anders sagte zu ihm:

»Ich war zweimal im Leben erschüttert: das erstemal, als meine Mutter starb, und das zweitemal, als ich Sie als Othello sah. Nein, diese Szene mit Desdemona – und erst die heutige Rolle . . .«

»Ich hoffe, daß Sie noch keine Karten gekauft haben?« bemerkte der Schauspieler.

»Wir gehen jetzt zur Kasse!«

»Wozu? Ich werde das gleich erledigen. Portier, tragen Sie den Zettel zur Kasse. Zwei Karten in der ersten Reihe. Auf Wiedersehen!«

In der Pause trafen wir im Foyer den reichen Kaufmannssohn Kalinin, der durch seine tollen Streiche in der Stadt sehr bekannt war.

»Ah!« rief Anders. »Sie haben schon wieder einen tollen Streich gemacht. Die ganze Stadt spricht davon. Ja, es gibt noch witzige Köpfe! Was ich sagen wollte – können Sie uns nicht auf ein paar Tage hundert Rubel borgen?«

Kalinin zog lässig seine Brieftasche und gab Anders hundert Rubel . . .

*

Wir fuhren in einem Auto nach Hause und rauchten Zigarren. Ich hatte mich zurückgelehnt und sagte zu Anders:

»Du bist ein kluger Mensch, du hast den richtigen Instinkt!«

Anders machte eine Bewegung mit der Hand:

»Möglich. Aber die Hauptsache ist und bleibt doch, daß man zu leben weiß.«

Awertschenko rät Euch . . .

Inhaltsverzeichnis

Wie man Frauen gewinnt

Wir sehen immer wieder, daß hübsche, junge Leute kein Glück bei Frauen haben, während rothaarige, krumme und häßliche Männer die schönsten Damen für sich gewinnen.

Weshalb?

Weil die hübschen, jungen Leute nicht wissen, wie man mit Frauen umgehen muß, und weil die anderen das Geheimnis kennen.

Ich habe für ihr Unglück etwas übrig und will ihnen ein paar Ratschläge erteilen.

Vor allem: Wenn Sie verliebt sind, brauchen Sie nicht sofort Ihren Frack anzuziehen, die weiße Krawatte umzubinden, einen Blumenstrauß in die Hand zu nehmen und der geliebten Frau zu sagen:

»Mein Engel, ich kann nicht ohne Sie leben. Küssen Sie mich!«

Das ist einfältig und dumm.

Machen Sie es so:

Sie kommen eines Abends in der Dämmerung zu ihr. Vorher haben Sie einige Zitronen gegessen und sind sehr bleich. Die Augenränder haben Sie mit verkohlten Zündhölzern ein wenig dunkel gefärbt. Sie setzen sich in eine Ecke und seufzen.

»Warum sind Sie traurig?« fragt die Dame. »Haben Sie Pech in Ihrem Beruf?«

»Der Beruf! Ach, was kümmert mich heute der Beruf.«

»Aber Sie sind so blaß!«

»Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.«

»Weshalb, um Himmels willen?«

»Fragen Sie nicht! Sie sind schuld – ich habe von Ihnen geträumt . . .«

»Mein Gott! Aber ich. kann doch nichts dafür – es tut mir wirklich leid.«

Hören Sie? Es tut ihr leid. Sie tun ihr leid!

»Quälen Sie sich doch nicht!« sagt die Dame.

Sie stehen auf. Sie nähern sich ihr, als wollten Sie sich verabschieden. Sie küssen ihre Hand! Die Dame blickt sie an und lächelt. Das ist der Augenblick! Wenn Sie ihn versäumen, möchte ich für nichts einstehen !

Weitere Ratschläge kann ich Ihnen übrigens nicht geben. Oder haben Sie Weiteres von mir erwartet? . . . Später dürfen Sie nach Hause gehen . . .

*

Ich kannte einen Mann, der diesen Vorgang sehr vereinfachte. Wenn er mit einer Frau allein blieb, umarmte er sie ohne weitere Umstände.

Ich fragte ihn einmal:

»Wie kannst du so stürmisch vorgehen? Ist es dir immer geglückt?«

»Nicht immer. Aber Frauen sprechen nicht viel in solchen Fällen. Sie machen keinen Wirbel. Gelegentlich ohrfeigen sie dich. Aber von hundert Frauen tun das höchstens sechzig. Ich arbeite also mit vierzig Prozent Nutzen. Soviel verdient nicht einmal ein Bankdirektor.«

Nur nebenbei: es handelte sich um einen hübschen, großgewachsenen Mann. Wenn man klein und zart ist, verläßt man sich besser nicht auf diese Methode. In solchen Fällen wirkt es mehr, zu seufzen:

»Gnädige Frau: ich habe von Ihnen geträumt . . .«

*

Einer meiner Freunde arbeitete in Porzellan – das ist einfach und billig. Vor langer Zeit kaufte er auf einer Auktion eine Porzellankatze und einen Chinesen mit wackelndem Kopf. Seither pflegt er zu sagen:

»Lieben Sie altes Porzellan?«

Kennen Sie eine Frau, die den Mut hat, nein zu sagen?

»Ich habe eine hübsche Sammlung alter Porzellanfiguren. Wollen Sie meine Sammlung sehen?«

Wenn die Dame Ihre Wohnung verläßt und den Hut aufsetzt, fragt sie gewöhnlich:

»Ach ja, Sie wollten mir Ihr berühmtes Porzellan zeigen. Wo steht es denn?«

»Dort drüben!« Stoß den Chinesen! Er wird zu wackeln beginnen. Wenn sie dann die Tür hinter sich zuschlägt, schüttelt der Porzellanchinese immer noch nachdenklich seinen Kopf . . .

*

Zuletzt: die Frauen sind poetisch veranlagt. Und der Geiz ist eine prosaische Sache.

Mein Freund verlor die Liebe einer Frau, weil er ihr im Kaffeehaus gesagt hatte:

»Der Mokka kostet fünf Rubel. Du hast mit deinen reizenden Zähnen ein Stück von meinem Kuchen abgebissen – das macht zehn Kopeken. Außerdem habe ich zwanzig Kopeken Trinkgeld gegeben. Ich bekomme also fünf Rubel und dreißig Kopeken von dir.«

Ein Mann, der so spricht, ist im selben Augenblick erledigt.

*

Sie sehen also: ganz ohne Kleingeld geht es nicht!

Wie man sich beim Diner benimmt

Wenn Sie zu einem Diner eingeladen werden, müssen Sie nicht unbedingt alle Freunde, die keine Einladung erhalten haben, mit sich nehmen und ihnen sagen: »Das sind sehr liebe Menschen, die werden euch sicher auch bewirten!«

Es dürfen nur solche Gäste erscheinen, die ausdrücklich aufgefordert worden sind, und zwar frühestens eine Viertelstunde vor der Tageszeit, zu der man sie gebeten hat. Ich kannte einmal einen jungen Mann, der am Abend des vorhergehenden Tages bei einem Gastgeber anklingelte und sagte: »Ich habe mich entschlossen, schon heute zu kommen, meinen Schlafrock, die Hausschuhe und das Hemd hab' ich mit. Ich bleibe über Nacht, denn ich kenne Ihren Vater – wenn man fünf Minuten zu spät kommt, hat er das Mittagessen schon allein verzehrt.«

Zum Diner müssen Sie im dunklen Anzug erscheinen. Ein Pyjama, wenn er auch aus feinster Seide ist, wird auf die Gesellschaft keinen Eindruck machen. Sie müssen vornehm und ruhig ins Zimmer treten, auch wenn Sie im Vorzimmer bereits erregt gefragt haben: »Komme ich zu spät?«

Sie brauchen nicht zu erwähnen, daß Sie die Straßenbahn benützt haben; in der sogenannten guten Gesellschaft spricht man nicht von der Straßenbahn. Am vernünftigsten ist es, wenn Sie daheim Ihre Hose mit Benzin putzen und dann sagen: »Ich habe heute meinen neuen Wagen ausprobiert.«

Im Vorzimmer können Sie die hübsche Zofe in die Wange kneifen. Einen Diener, und wenn er noch so rosige Wänglein hat, brauchen Sie nicht zu zwicken.

Wenn Sie eintreten, müssen Sie nicht neugierig fragen: »Gnädige Frau, was bekommen wir denn heute?« Am besten ist es, ein mondänes Gespräch zu beginnen oder die Kinder der Hausfrau zu loben, die gewöhnlich auf dem Teppich im Salon herumkriechen.

Über Kinder soll man mit einer gewissen Vorsicht sprechen.

Seien Sie jedenfalls entzückt von ihnen. Das kostet nichts und macht der Mutter Freude. Man sagt einfach:

»Ihr Söhnchen? Entzückend – die ganze Mama! Spricht er schon?«

»Aber woher? Er ist doch noch zu klein.«

Dieses Gespräch ist zwar sinnlos, aber es entspricht dem guten Ton.