Der Hertasee - Else Ury - E-Book

Der Hertasee E-Book

Else Ury

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Beschreibung

Herta ist mit ihrem Bruder, Wolfgang, auf der windigen Insel Rügen. Es gibt einen strammen Wind. Ungestört von diesem und mutig vor sich hin lachend, steht Herta am Schiff und genießt die frische Seeluft. Wolfgang hingegen wird schnell seekrank und schämt sich fast dafür, da Papa sich doch so sehr wünscht, dass er ein starker, robuster Junge wird, der sich an die raue See gewöhnt. Eines Tages erfährt die mutige Herta mehr über die Sage vom Hertasee und hört die Stimme einer Göttin. Wird Hertas Mut ihr zugutekommen? -

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Seitenzahl: 44

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Else Ury

Der Hertasee

 

Saga

Der Hertasee

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1923, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726884623

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Das Meer brandete. Weißer Wellengischt spritzte gegen das Schiff, das erholungsbedürftige Ferienreisende nach der Insel Rügen führte. Mit dem Fernglas bewaffnet, standen sie an Bord, schauten zurück zu den weißen, immer mehr entschwindenden Strandvillen des Seebades Binz und dann wieder vorwärts dem sich nähernden Saßnitz entgegen. Manche der Seefahrer, meist dem weiblichen Geschlecht angehörend, lehnten wohl auch mit grünlich fahler Gesichtsfarbe auf ihren Plätzen, bohrten krampfhaft lächelnd mit starren Blicken ein Loch in den Himmel und hatten nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich wieder festes Land unter den Füßen zu fühlen. Das waren die armen Opfer der Seekrankheit.

Ganz vorn an der äußersten Spitze des Schiffes stand ein Geschwisterpaar. Die kurzen Zöpfe des etwa zwölfjährigen Mädels hatte der Sturm mit eisigen Fingern gelöst; lustig flatterte das braune Gelock ihr um Stirn und Schultern. Die rote Haarschleife, die das Kraushaar zusammengehalten hatte, segelte im Meer auf einem blauschwarzen Wellenberg, – schschschschsch – ein sprudelnder Gischt, nun war sie untergetaucht, den Blicken der ihnen nachspähenden Geschwister für immer entschwunden.

»Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,

Die Schleife sah keiner wieder«,

zitierte das Mädchen lachend das kürzlich in der Schule gelernte Schillersche Gedicht »Der Taucher«.

»Aber Herta, wie kannst du nur lachen, wenn du die schöne, neue Haarschleife verloren hast? Mutti hat ausdrücklich noch gesagt, du sollst dich damit vorsehen, die Haarbänder wären jetzt sehr teuer.« Der um drei Jahre jüngere Bruder blickte vorwurfsvoll auf die übermütige Schwester.

Aber die hatte bereits ihr Taschentuch herausgezogen, die vier Ecken eingeknotet und die Zipfelmütze über das entfesselte Haar gestreift.

»So – nun ist die Löwenmähne gebändigt. Ich trage in den fünf Wochen, die wir auf Rügen zubringen, überhaupt keine Haarschleife mehr. Der Seewind scheint sie nicht leiden zu können, und mit dem will ich gut Freund bleiben. Ach, ist der Sturm fein, Wolfgang!« Hertas dunkle Augen strahlten. Die sonst etwas blassen Stadtwangen hatte die scharfe Luft bereits rosig überhaucht. »Ganz salzig sind meine Lippen schon.« Das rote Zünglein leckte flink um den Mund herum.

»Ich finde den ollen Wind gräßlich.« Wolfgang wickelte sich erschauernd fester in seinen Lodenmantel. Unter der Kapuze, die er bis an die Nase über den Kopf gezogen, sah ein grünlich fahles Jungengesicht heraus. Die Zähne schlugen ihm vor Kälte aufeinander. Er kämpfte augenscheinlich, so gut es ging, gegen die tückische Seekrankheit an, die ihn bereits am Schlafittchen hatte. »Wir wollen hier nicht auf dem zugigen Platz stehen, komm doch in die Kajüte, Herta.«

»Nein, Wolfgang, du sollst dich abhärten. Deshalb reisen wir ja nach Stubbenkammer, weil das am weitesten draußen am Meere liegt. Vater hat gesagt, du wärst 'ne Wassersuppe ohne Kraft und Saft.« Herta mußte ihre Stimme ziemlich anstrengen, um sich verständlich zu machen. Sturmesbrausen und Meeresrauschen übertönten sie.

Aber der gerade nach seinen beiden Sprößlingen ausschauende Vater hatte ihre Worte doch vernommen.

»Man darf nichts übertreiben, Herta. Wolfgang muß sich erst an das Seeklima gewöhnen, um dadurch zu erstarken und kräftiger zu werden. Na, mein Junge, dir ist wohl kreuzjämmerlich zumute?« Halb belustigt, halb mitleidig blickte Herr Weiß auf seinen Sohn, dem die laute, schonungslose Kritik der Schwester Tränen in die Augen getrieben hatte. Oder war nur die beißende Schärfe des Seewindes schuld daran?

»Mir ist sehr gut, nur – nur ein bißchen kalt.« Mit bläulichen Lippen brachte Wolfgang es hervor. Er wollte nicht hinter der kräftigeren Schwester zurückstehen. Er schämte sich, daß er seekrank geworden war, während sie lachend den Elementen Trotz bot. Dabei sah er den vor ihm stehenden Vater ähnlich den Wellen auf und nieder schaukeln; alles schwankte, alles wogte vor seinen Blicken.

»Kinder – Herta – Wolfgang – wir wollen in die Kajüte gehen, hier oben holt ihr euch eine Erkältung.« Mutter kam – Gott sei Dank! – nun würde alles wieder gut werden.

Frau Weiß, selbst ein wenig bleich von der ungewohnten Seefahrt, hatte die Sorge um ihre Küken von dem geschützten Platz getrieben. Sie sah ihren Jungen erschreckt in das entfärbte Gesicht. »Kind, wie siehst du aus, komm flink nach unten und lege dich ein wenig hin.«

»Das ist das Verkehrteste, was Sie tun können, gnädige Frau«, mischte sich ein unweit stehender Herr in die Unterhaltung. »Ich bin ein alter Seebär, der seine Ferien meist am Meer zubringt. In solchen Fällen hilft nur frische Luft und ein Schluck Kognak. Gestatten Sie, daß ich den Arzt spiele.« Der Herr zog ein Feldfläschchen aus der Tasche, entkorkte es und hielt es dem Jungen an die blutleeren Lippen. »So, nun nimm mal einen kräftigen Schluck, mein Junge.«

Gehorsam schluckte Wolfgang das feurige Naß – au, das brannte.

Aber bald durchrieselte eine wohltuende Wärme seine erstarrten Adern. Das Blut kehrte in das Gesicht zurück.