Der Hexer - Der Seelenfresser - Wolfgang Hohlbein - E-Book
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Der Hexer - Der Seelenfresser E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

Eine Nachricht seines Freundes Howard führt Robert Craven nach Arkham, wo er an der Miscatonic-Universität seine Kräfte schulen soll. Doch Robert hat mächtige Feinde: Necron, ein uralter finsterer Magier, entsendet einen seiner berüchtigten Drachenkrieger, um Robert zu töten. Der Krieger freundet sich mit Robert an, ohne zu wissen, dass es sich um den Mann handelt, den er töten soll. Robert hingegen ahnt nicht, dass er längst zu einem Spielball ihm unbekannter Mächte geworden ist. Im Strudel dämonischer Einflüsse beginnt ein tödliches Spiel ...

Der legendäre Hexer-Zyklus - komplett und in chronologischer Reihenfolge erzählt, mit vielen Hintergrundinformationen des Autors:

Der Hexer - Die Spur des Hexers
Der Hexer - Der Seelenfresser
Der Hexer - Engel des Bösen
Der Hexer - Der achtarmige Tod
Der Hexer - Buch der tausend Tode
Der Hexer - Das Auge des Satans
Der Hexer - Der Sohn des Hexers
Der Hexer - Das Haus der bösen Träume

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

DER SEELENFRESSER

Vorwort

Das Erbe der Dämonen

Der Seelenfresser

Cthulhu lebt!

DIE CHRONO-VAMPIRE

Vorwort

Bote vom Ende der Nacht

Die Chrono-Vampire

Labyrinth der weinenden Schatten

IM BANN DES PUPPENMACHERS

Vorwort

Das Haus unter dem Meer

Im Bann des Puppenmachers

Das Mädchen aus dem Zwischenreich

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

 

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Über dieses Buch

Eine Nachricht seines Freundes Howard führt Robert Craven nach Arkham, wo er an der Miscatonic–Universität seine Kräfte schulen soll. Doch Robert hat mächtige Feinde: Necron, ein uralter finsterer Magier, entsendet einen seiner berüchtigten Drachenkrieger, um Robert zu töten. Der Krieger freundet sich mit Robert an, ohne zu wissen, dass es sich um den Mann handelt, den er töten soll. Robert hingegen ahnt nicht, dass er längst zu einem Spielball ihm unbekannter Mächte geworden ist. Im Strudel dämonischer Einflüsse beginnt ein tödliches Spiel …

WOLFGANG HOHLBEIN

DER HEXER

DER SEELENFRESSER

DER SEELENFRESSER

Vorwort

So ziemlich die erste Weisheit, die mir einer der drei Michaels über das Verlagswesen beibrachte, war ein denkwürdiger Satz, der seither (anfangs auf Papier geschrieben, später dann in massiven italienischen Granit gemeißelt) über meinem Schreibtisch hängt:

Termine sind zum Überziehen da.

Ein einfach wunderbarer Satz, der jedem Autor wie Öl runtergeht, zumal er von einem leibhaftigen Redakteur stammt. Selbstredend habe ich ihn niemals verinnerlicht oder gar zu meiner Maxime gemacht oder … ähm, also lassen wir das.

Unglückseligerweise sollte ich schon recht früh in der Geschichte des Hexers in die Verlegenheit kommen, genau diesen Satz unter Beweis zu stellen. Zu verdanken habe ich das zwei grundverschiedenen Tatsachen: Zum einen meiner Liebe zu Katzen, zum anderen meiner Begeisterung für alles, was neu ist und möglichst kompliziert und (un)praktisch.

Ich war damals, in den »Kindertagen« des Hexers, nicht nur bereits zuverlässiger Dosenöffner für ungefähr sechs Katzen, sondern auch einer der ersten Autoren des Bastei-Verlages, die ihre Texte auf einem Computer erstellten. Damals hießen die Dinger noch Home-Computer, waren ungefähr so groß wie ein Kühlschrank und hatten nicht ganz so viel Rechenkapazität wie die Fernbedienung des DVD-Players, den ich mir gerade zugelegt habe. Dafür kosteten sie aber so viel wie ein mittlerer Gebrauchtwagen. (Bevor ihr jetzt lacht, das ist grade mal 20 Jahre her. Die Zeit vergeht ganz schön schnell.)

Selbstredend gab es keine Disketten (das Wort CD stand damals allerhöchstens auf Seife, aber nicht mal im Duden), sondern die Programme und Texte kamen von stinknormalen Audiocassetten, was die Lade-und Speicherzeiten ungemein praktisch machte. Bis Word-Star geladen war, konnte man in Ruhe duschen gehen, und zwischendurch mal eben eine Sicherheitskopie zu machen reichte locker für eine Portion Spiegeleier mit Speck – um sie zuzubereiten …

Trotzdem ließ ich mich nicht davon abbringen, schon die ersten Hexer-Manuskripte auf meinem nagelneuen Tandy-Computer (der erste Laptop – 27 kg schwer!) anzufertigen. Das dauerte zwar länger als auf einer Schreibmaschine und war nicht annähernd so zuverlässig, aber was soll’s. Man geht ja mit der Zeit.

Und an dieser Stelle kam die Katze ins Spiel.

Hexie war eine echte reinrassige ägyptische Falbkatze. Für die zwei oder drei Leser, die nicht wissen, was das ist: Das sind diese zerbrechlichen kleinen Kätzchen, die nur aus Ohren und Schwanz zu bestehen scheinen und immer so aussehen, als stünden sie kurz vor dem Hungertod, auch wenn sie sich gerade drei Dosen Kitekat reingezogen haben, kaum drei Pfund schwer und mit Beinchen wie Streichhölzer. Für das, was gleich kommt, ist das wichtig.

Noch ein Detail hätte ich fast vergessen. Auch damals hatten Computer schon eine Reset-Taste. Praktischerweise war sie in der Tastatur untergebracht, aber damit man nicht versehentlich drankommt, war sie erstens rot und zweitens versenkt, ein unabsichtliches Betätigen also (fast) ausgeschlossen.

Außer, man ist eine ägyptische Hungerleider-Katze mit ganz extrem dürren Pfoten …

Ich hatte also innerhalb von drei Tagen (damals mein persönlicher Rekord, aber den sollte ich schon binnen 24 Stunden überbieten) den fälligen Hexer-Roman in meinen Computer gehackt. Es war irgendwann zwischen 3 und 4 Uhr morgens, meine Frau döste langsam auf der Couch hinter mir ein, und ich hatte (natürlich) die letzten 30 Seiten nicht gespeichert. Wozu auch? Ich war am letzten Kapitel, noch eine gute halbe Stunde, und es war geschafft. Da kam mir die verhängnisvolle Idee, vor dem »Endspurt« noch eine Tasse Kaffee zu trinken.

Ich stand also auf und schlurfte in Richtung Küche. Hexie hatte die ganze Zeit auf meinem Schoß geschlafen und war nicht erbaut über die Störung, und meine Frau murmelte verschlafen irgendetwas von wegen »speichern« und »sicher gehen« oder so. Was für ein Unsinn. Was verstehen Frauen denn bitteschön von Computern?

Selbstredend ignorierte ich Heikes gute Ratschläge ebenso wie Hexies vorwurfsvolle Blicke, schlappte in die Küche und gönnte mir meinen wohlverdienten Kaffee.

Und kam gerade rechtzeitig zurück, um zu sehen, wie sich Hexie gähnend auf die Tastatur meines Computers fläzte. Nun wurde mir doch etwas anders. Und an dem, was danach kam, war ich eindeutig selbst schuld: Statt zu tun, was jeder, der Katzen kennt und seine fünf Sinne beisammen hat, getan hätte, nämlich sie mit einem Stück Schinken zu bestechen oder geduldig zu warten, dass sie ausgeschlafen hat und sich irgend woanders hin bequemt, versuchte ich, die arme gequälte Kreatur durch heftiges Gestikulieren und komische Geräusche davonzuscheuchen. Und …

Na ja, Sie ahnen es schon.

Hexie verschwand –

Aber nicht, ohne mit einer ihrer dürren Pfoten genau in die versenkte Reset-Taste zu latschen …

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Der Bildschirm wurde ebenso schwarz wie mir vor Augen, die dreißig Seiten waren futsch, und meine Frau war klug genug, nichts zu sagen. Allerdings konnte ich ihre vorwurfsvollen ich-habe-es-ja-gleich-gesagt-aber-auf-mich-hört-ja-keiner-Blicke noch ungefähr acht Stunden lang spüren.

Genau so lange, wie ich gebraucht habe, um den Text neu zu schreiben. Klar, dass der Termin, das Manuskript zur Post zu bringen und an den Verlag zu schicken, nicht mehr zu halten war. Nach ungefähr 38 Stunden Daueraufenthalt an der Tastatur durfte ich mich dann zu allem Überfluss auch noch ins Auto schwingen und das Manuskript höchstpersönlich zum Verlag schaffen.

Muss ich noch erwähnen, dass ich prompt in einen Stau geraten und gerade noch rechtzeitig angekommen bin, um zu sehen, wie die Verlagstüren geschlossen wurden?

Nein, eigentlich nicht.

Aber vom nächsten Honorar habe ich mir dann ein Diskettenlaufwerk gekauft …

Wolfgang Hohlbein

Dieses Kapitel enthält die Hefte:

Der Hexer 1: Das Erbe der Dämonen

Der Hexer 2: Der Seelenfresser

Der Hexer 3: Cthulhu lebt!

Das Erbe der Dämonen

Vor einer Sekunde hatte das Gesicht des Alten noch ganz normal gewirkt. Jetzt verzerrte sich sein Antlitz. Von einer Sekunde auf die andere erlosch das stumpfsinnige Grinsen auf seinen Zügen und machte einem Ausdruck tiefsten Entsetzens Platz.

Und in seinen Augen flammte ein Ausdruck auf, den ich nur zu gut kannte: Angst.

Todesangst.

Ich erstarrte mitten in der Bewegung, als ich die Veränderung auf den Zügen des ärmlich gekleideten Alten bemerkte. Seine Augen schienen vor Entsetzen halb aus den Höhlen zu quellen, während er mich anstarrte.

Zwei, drei Sekunden lang hielt ich seinem Blick stand, dann stieß ich mit einem entschlossenen Ruck die Tür der Kutsche vollends auf und sprang auf die staubige Straße hinab.

Als hätte meine Bewegung auch den Bann gelöst, der von dem Alten Besitz ergriffen hatte, prallte er zurück, schlug das Kreuzzeichen und wollte davonlaufen, aber ich hielt ihn mit einem raschen Griff an der Schulter zurück und zwang ihn mich anzusehen.

»Verzeihung, Sir«, sagte ich. »Es täte mir außerordentlich leid, wenn ich Sie erschreckt haben sollte, aber ich hätte gerne eine Auskunft von Ihnen.«

Der Alte keuchte, schlug meinen Arm mit erstaunlicher Kraft beiseite und machte abermals das Kreuzzeichen.

»Satan!«, wimmerte er. »Weiche von mir! Geh!«

Er begann zu kreischen, stolperte rücklings von mir fort und fiel, rappelte sich aber sofort wieder auf und rannte davon, so rasch ihn seine von der Gicht verkrümmten Beine trugen.

Verwirrt starrte ich ihm nach, bis er in einer der ärmlichen Hütten, die die schmale, ungepflasterte Hauptstraße von Innsmouth säumten, verschwunden war. Der Knall, mit dem die Tür hinter ihm zufiel, hörte sich in der Stille des Abends wie ein Kanonenschuss an. Es war nicht das erste Mal, dass ich erleben musste, wie ein Fremder erschrocken auf meine äußere Erscheinung reagierte – aber noch niemals in derart extremer Weise. Großer Gott, der Ausdruck in seinen Augen war Todesangst gewesen. Er hatte mich angestarrt, als stünde er dem Leibhaftigen persönlich gegenüber!

Verstört und mit allmählich aufkeimender Verärgerung wandte ich mich um und sah zu dem Kutscher hinauf, der zusammengesunken auf dem Bock des zweispännigen Fahrzeuges hockte. Er wirkte müde und hatte ein Recht dazu, denn er hatte annähernd sechs Stunden ununterbrochener Fahrt hinter sich. Aber auch in seinem Blick stand die gleiche, ungläubige Verblüffung geschrieben, die ich selbst empfand.

»Was in Dreiteufelsnamen ist denn mit dem los?«, murmelte er. »Was haben Sie ihm gesagt, Sir?«

»Gesagt?« Ich schüttelte den Kopf. »Ich wollte, ich hätte Gelegenheit gehabt, ihm irgendetwas zu sagen. Sind die Leute hier in der Gegend immer so gastfreundlich?«

Der Kutscher überlegte einen Moment, schüttelte dann den Kopf und unterdrückte ein Gähnen. »Eigentlich nicht«, murmelte er, sprang vom Wagen und schlug einem der Pferde spielerisch auf den Rücken. Das Tier schnaubte wie zur Antwort.

»Aber ’s is’ schon ein komisches Kaff, dieses Innsmouth«, fuhr er fort. »Ich war noch nicht oft hier, aber man erzählt sich die seltsamsten Geschichten über die Leute hier.«

Er grinste und tippte sich dabei bezeichnend an die Stirn. »Scheint, als wären sie allesamt nicht ganz beieinander, wenn Sie verstehen, was ich meine, Sir.« Er gähnte jetzt doch und deutete auf ein kleines, etwas abseits stehendes Haus, nur wenige Schritte entfernt.

»Das da ist das Gasthaus, Sir«, sagte er. »Oder das, was sich hier so schimpft. Was halten Sie von einer kleinen Pause, ehe wir weiterfahren? Die Pferde brauchen Ruhe.«

Und er ein Bier, fügte ich in Gedanken hinzu. Aber ich widersprach nicht. Die Aussicht auf ein kühles Bier oder wenigstens einen Kaffee erschien mir nach der langen Fahrt in einer schaukelnden Kutsche mehr als verlockend.

Ich sah mich neugierig um, während wir auf das Gasthaus zugingen. Wir schrieben den 16. April 1885, und die Landschaft, durch die wir während der letzten sechs Stunden gefahren waren, war die Neu-Englands, aber ich hatte eher den Eindruck, in einem verarmten irischen Fischerdorf zu sein. Die Häuser waren klein und buckelig und kamen mir vor wie Tiere, die sich angstvoll aneinanderdrängten, grau und hässlich. In ihnen hausten sicher ebenso graue und angstvolle Bewohner.

Ich verscheuchte den Gedanken, ging ein wenig schneller, um nicht den Anschluss zu verlieren, und trat hinter dem Kutscher in die Gaststube. Eine Welle erstickend warmer, verqualmter und nach Bier und Schweiß riechender Luft schlug mir entgegen. Der Eingang war so niedrig, dass ich den Kopf senken musste, um nicht gegen den eichenen Türsturz zu stoßen.

Als ich den Blick hob, bot sich mir ein so bizarres Bild, dass ich mitten im Schritt stehen blieb.

Alle Möbel in dem niedrigen, verwinkelten Schankraum wirkten verdreht und schief. Bänke, Tische, Stühle und die roh gezimmerte Theke im Hintergrund waren krumm und bizarr und sahen aus, als wären sie in sich zusammengestaucht; alle Linien irgendwie in sich verdreht und falsch. An den Wänden hingen Bilder so abscheulichen Aussehens, dass sich mein Blick weigerte, auf ihnen zu verharren.

Das Bizarrste aber waren die Leute, die sich in der Gaststube aufhielten.

Es waren ungefähr ein Dutzend Männer, zumeist alt und in zerschlissene Arbeitsjacken gekleidet. Und jeder Einzelne von ihnen war schrecklich verkrüppelt!

Im ersten Moment empfand ich nichts als Ekel, einen so starken Abscheu, dass ich am liebsten auf dem Absatz herumgefahren und wieder zur Kutsche gestürmt wäre. Dann wich der Ekel und machte einem starken Gefühl von Mitleid Platz. Ich hatte kein Recht, auf diese bedauernswerten Kreaturen herabzusehen oder sie gar zu verachten.

Langsam schloss ich die Tür hinter mir, ging zur Theke und wandte mich an den buckeligen Wirt, um ein kühles Bier zu bestellen.

Wenigstens wollte ich es.

Als ich seinem Blick begegnete, erstarrte ich.

Der Ausdruck in seinen Augen war der gleiche wie der, den ich im Blick des sonderbaren Alten draußen gesehen hatte. Es war Angst.

Angst vor mir!

Ein polterndes Geräusch hinter meinem Rücken ließ mich herumfahren.

Als ich den Raum betreten hatte, hatten seine sonderbaren Bewohner in kleinen Gruppen an den Tischen gesessen und leise miteinander geredet. Aber die Szene hatte sich in den wenigen Augenblicken, die ich abgelenkt gewesen war, vollkommen verändert!

Auf bedrohliche Weise verändert …

Es war ein Bild wie aus einem Albtraum. Die Männer hatten sich von ihren Stühlen erhoben und zu einem lockeren Halbkreis um mich und den Kutscher geschart.

»Was … was bedeutet das?«, keuchte ich. »Was geht hier vor?«

Eine der bedauernswerten Kreaturen löste sich aus dem Halbkreis und trat einen Schritt vor, und ein neuerlicher Schrecken durchfuhr mich, als ich ihn näher betrachtete. Seine Beine waren unterschiedlich lang, was seinen Gang seltsam trunken erscheinen ließ, und seine linke Hand hatte keine Finger. Sein Gesicht war in einem schauerlichen Grinsen gefangen. Nur eines seiner Augen konnte sehen; das andere war trüb und milchig wie eine Kugel aus weißem gesprungenem Glas. Torkelnd näherte er sich mir, hob die gesunde Hand und streckte sechs tastende, zitternde Finger nach meinem Gesicht aus.

Sein dünner Mund öffnete sich, und eine dumpfe, verzerrt klingende Stimme ließ mich erstarren.

»Du bist zurückgekehrt! Das ist dein Tod! Sieh, was du aus uns gemacht hast, du Teufel!«

Der fürchterliche Anblick und seine völlig sinnlosen Worte ließen meine bisher mühsam aufrecht gehaltene Selbstbeherrschung vollends zerbrechen. Ich schrie auf, prallte zurück und stieß schmerzhaft mit dem Rücken gegen die Theke.

Im gleichen Moment brach die Hölle los.

Ein vielstimmiger Schrei ging durch die Reihe der Verkrüppelten, und wie auf ein geheimes Kommando hin stürzten sie sich wie ein Mann auf mich!

Für Sekunden war ich gelähmt vor Schrecken und Überraschung. Eine Faust traf meine Lippe und ließ sie aufplatzen, gierige Finger zerrten an meinen Kleidern und Haaren, Hände rissen an meinen Armen, als wollten sie mir die Glieder aus dem Leib zerren, und eine gichtige graue Klaue schrammte über mein Gesicht und versuchte mir die Augen auszukratzen. Ich schrie auf, riss schützend die Arme vor das Gesicht und sank in mich zusammen, aber die Schläge und Tritte hörten nicht auf, sondern nahmen im Gegenteil noch zu.

»Aufhören!«, brüllte ich. »Zum Teufel, was soll das?« Ich wälzte mich herum, packte einen Fuß, der nach meinem Gesicht stoßen wollte, verdrehte ihn und brachte den Mann, der daran hing, zu Fall. Gleichzeitig schlug ich wütend mit dem anderen Arm um mich und bekam einen Moment Luft. Dann traf ein Fuß mit Wucht meine Nieren.

Der Schmerz brachte mich an den Rand einer Ohnmacht.

Ich wusste, dass sie mich töten würden, wenn ich das Bewusstsein verlor.

»NEIN!«

Der Schrei schien meine Kehle zu zerreißen, mit solcher Urgewalt brach er aus mir hervor. Gleichzeitig bäumte ich mich auf, sprang, von einer Kraft beseelt, die mich selbst erschreckte, auf die Füße und riss die Arme empor.

Die finstere Kraft, die meine Gedanken ausfüllte, explodierte wie ein unsichtbarer Vulkan. Ein vielstimmiger Aufschrei gellte in meinen Ohren. Furcht, nackte, panische Furcht, gegen die es keine Gegenwehr mehr gab, raste wie eine finstere Woge durch den Raum, ergriff die Angreifer und schleuderte sie zu Boden. Von einer Sekunde auf die andere verwandelte sich der aufgebrachte Mob in einen Haufen vor Angst kreischender Kreaturen.

Ich hörte ein Splittern hinter mir, spürte die Gefahr und wirbelte herum. Meine Faust kam hoch, traf das Handgelenk des Wirtes. Ich schmetterte ihm die zerbrochene Flasche aus der Hand, die er mir in den Nacken hatte stoßen wollen. Gleichzeitig schlug ich mit aller geistigen Macht zu.

Sein Körper schien von einer unsichtbaren Faust ergriffen zu werden. Er brüllte, fiel auf die Knie und wurde fast im gleichen Moment wieder hochgerissen, herum- und zurückgewirbelt und gegen die Theke geschleudert. Mit einem lautlosen Seufzer sank er in sich zusammen und verlor das Bewusstsein.

Ich fuhr abermals herum.

Aber aus dem tobenden Mob, der mich noch vor Sekunden hatte töten wollen, war ein Haufen verängstigter Männer geworden, von dem keine Gefahr mehr ausging. Zwei, drei von ihnen waren aus dem Raum gestürmt. Die anderen lagen oder hockten noch immer da, wo sie die Woge körperlicher Angst, die ich direkt in ihre Seelen geschleudert hatte, niedergeworfen hatte. Obwohl mich diese Männer noch vor Augenblicken mit Freuden umgebracht hätten, taten sie mir für einen Moment beinahe leid.

Dann ließ ich die Hände sinken, trat zu einer der gestürzten Gestalten hinüber und zerrte sie auf die Füße. Der Mann wimmerte, hob angstvoll die Hände und versuchte mich von sich zu schieben. Ich stieß ihn grob gegen die Theke, legte die linke Hand auf seine Schulter und drückte fest zu.

»Was bedeutet das?«, schnappte ich. »Was soll das heißen, Kerl? Warum greift ihr mich grundlos an?« Ich schüttelte ihn und verstärkte den Druck auf seine Schulter noch. Die einzige Reaktion, die ich damit erzielte, war ein leiser Schmerzlaut und ein erneutes Aufflammen von Angst in seinem Blick. Er versuchte sich meinem Griff zu entwinden, krümmte sich und machte mit der Hand das Kreuzzeichen auf der Stirn. »Satan!«, wimmerte er.

Verblüfft ließ ich ihn los.

»Was … was soll das heißen?«, fragte ich. »Zum Teufel, was ist hier los? Ich verlange eine Antwort!«

Aber ich bekam keine. Statt dessen wirbelte der Bursche mit einer unerwartet flinken Bewegung herum, tauchte unter meinen zupackenden Händen hindurch und raste davon. Auch die anderen sprangen auf und begannen auf die Tür zuzuhasten; für einen Moment entstand Gedränge vor der viel zu schmalen Öffnung.

Ich sprang mit einem Satz hinterher, packte einen der Burschen und zerrte ihn am Kragen zurück. Er wehrte sich, aber der Zorn gab mir zusätzliche Kraft. Ich hielt ihn fest, schüttelte ihn kräftig durch und stieß ihn vor mir her in den Raum zurück. Der Mann kreischte, hob die Fäuste und versuchte nach mir zu schlagen.

Ich versetzte ihm eine Maulschelle, die seinen Widerstand endgültig zerbrach.

Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, begann er zu wimmern. »Nicht … mehr schlagen, Herr!«, keuchte er. »Bitte, nicht mehr schlagen.« Er begann zu weinen und verbarg das Gesicht in den Armen.

Ich zerrte ihn hoch, drängte seine Arme auseinander und zwang ihn, mich anzusehen. »Keine Angst«, sagte ich, nicht mehr ganz so zornig wie bisher, aber noch immer in drohendem Ton. »Ich schlage dich nicht – aber ich will wissen, was hier gespielt wird, verdammt noch mal! Was soll das alles heißen?«

Voller Angst hob mein Gegenüber den Blick. Er war weniger verkrüppelt als die meisten der Männer, die auf mich eingedrungen waren, aber seine Augen waren leer und seine Mundwinkel hingen schlaff herunter; Speichel rann über sein Kinn, ohne dass er es überhaupt bemerkte. Ich unterdrückte ein enttäuschtes Stöhnen, als mir klar wurde, dass ich einen Schwachsinnigen vor mir hatte.

»Nicht mehr … schlagen, Herr«, wimmerte er. »Floyd nicht mehr böse sein. Floyd nur Angst.«

»Floyd?«, wiederholte ich, nun schon weit weniger scharf als bisher. »Ist das dein Name?«

Er nickte, zog lautstark die Nase hoch und sah mich mit einer sonderbaren Mischung aus Furcht und – ja, und was, eigentlich? – an. Etwas in seinem Blick ließ mich schaudern. Es war nicht nur der Blick eines Schwachsinnigen. Er sah mich an, als … als kenne er mich. Und es war ein Erkennen, das mit Furcht gepaart war …

»Hör mir zu, Floyd«, sagte ich leise. »Ich tue dir nichts, bestimmt nicht.« Ich versuchte zu lächeln. »Ich bin dein Freund, weißt du?«, fuhr ich fort. »Aber du musst mir verraten, was hier geschehen ist. Warum habt ihr mich angegriffen? Ich habe euch nichts getan.«

»Nicht … mehr schlagen, Herr«, wiederholte Floyd, als hätte er meine Frage gar nicht gehört. »Floyd ist ein lieber Junge.«

Ich seufzte. Es sah nicht so aus, als würde ich viel aus meinem Gefangenen herausbekommen. Zumindest nicht auf diese Weise.

Einen Moment zögerte ich noch. Der Gedanke an das, was ich tun musste, gefiel mir nicht. Ich habe es stets verabscheut, den Geist anderer Menschen zu missbrauchen, ihnen meinen Willen aufzuzwingen; es ist nicht fair, mit übersinnlichen Kräften gegen einen normalen Menschen vorzugehen. Aber es ist auch nicht gerade fair, zu zwölft über einen Wehrlosen herzufallen und ihn tot schlagen zu wollen.

»Sieh mich an, Floyd«, sagte ich. Er begann zu wimmern und wollte wieder die Hände vor das Gesicht heben, aber ich hielt seinen Blick fest. Seine Augen schienen zu flackern.

Dann brach sein Widerstand.

»Du verstehst mich?«, fragte ich.

Floyd nickte. »Ich verstehe Sie, Herr«, antwortete er. Seine Stimme klang mit einem Male sonderbar flach.

»Dann beantworte meine Frage«, sagte ich. »Warum wollten mich diese Männer töten?«

»Angst«, sagte Floyd. »Alle Angst. Alle sagen, Herr tot und Herr niemals wiederkommen. Jetzt sehen.«

»Zum Teufel, was soll das heißen?«, schnappte ich. »Ich war in meinem ganzen Leben noch nie …« Ich sprach nicht weiter, als ich das neuerliche Aufflammen von Angst in seinem Blick sah. Trotz des suggestiven Bannes brodelte er innerlich vor Furcht.

»Ihr habt also Angst vor mir?«, fuhr ich wesentlich freundlicher als bisher fort.

Er nickte. »Viele Geschichten über Herr. Aber Herr tot, und jetzt …«

Hinter meinem Rücken fiel die Tür krachend ins Schloss. Ich fuhr zusammen, drehte mich rasch herum und war für einen Moment abgelenkt.

Floyd schrie auf, stieß mir die Hände in den Rücken und stürmte an mir vorbei. Ich taumelte, fiel über einen zerbrochenen Schemel und schlug ziemlich unsanft mit dem Gesicht auf dem Boden auf.

Als sich die flimmernden Kreise und Punkte vor meinem Blick lichteten, fiel die Tür ein zweites Mal ins Schloss, und das Letzte, was ich von Floyd sah, war ein verzerrter Schatten, der draußen vor dem Fenster vorbeihuschte.

Enttäuscht stemmte ich mich hoch. Einen Moment überlegte ich, ob ich zur Theke zurückgehen und warten sollte, bis der Wirt aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, entschied mich aber dann dagegen und wandte mich zur Tür.

Es begann bereits dunkel zu werden, als ich auf die Straße hinaustrat. In der hereinbrechenden Dämmerung wirkte die Stadt düsterer und bedrohlicher als zuvor. Die Straße lag wie ausgestorben vor mir. Von den Bewohnern von Innsmouth war keine Spur mehr zu sehen.

Allerdings auch nicht von meiner Kutsche. Der Fleck, an dem das zweispännige Gefährt gestanden hatte, war leer, nur meine beiden Reisekoffer standen am Straßenrand. Der Kutscher musste wie von Furien gehetzt den Ort verlassen haben. Ich konnte es ihm nicht einmal verübeln.

Eine Weile blieb ich stehen und sah mich unschlüssig um.

Ich fühlte mich ziemlich hilflos in diesem Moment. Der plötzliche Angriff auf mich war durch Floyds Worte nicht logischer geworden; im Gegenteil. Ich fand weniger denn je eine Erklärung dafür.

Ich war noch nie hier gewesen – nicht einmal in der Nähe. Und doch schienen diese Menschen mich zu kennen. Und zu hassen. Und irgendwie schien ich die Schuld an ihrem Schicksal zu tragen. Es war gespenstisch.

Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst war, dann hatte ich Angst. Ich wollte diesen ungastlichen Ort mit seinen mörderischen Bewohnern so schnell wie möglich verlassen. Mein eigentliches Ziel war nicht mehr sehr weit entfernt, und später würde ich reichlich Gelegenheit haben, zurückzukommen und herauszufinden, welches Geheimnis dieses kleine Fischerdorf barg. Wenn ich auch ahnte, dass mir die Antwort nicht gefallen würde.

Mit einem resignierenden Seufzer ging ich zu meinen Koffern hinüber, hob sie auf und wandte mich nach Westen. Noch vor wenigen Minuten hatte ich geglaubt, den schlimmsten Teil meiner Reise hinter mir zu haben; es waren kaum noch fünf Meilen bis zu meinem eigentlichen Ziel. Aber fünf Meilen Fußmarsch über ausgefahrene Feldwege und unbekanntes Gelände, noch dazu beladen mit einem Zentner Gepäck, waren selbst für einen Hexer ein schönes Stück Weg …

Das Zimmer mit seinen alten Möbeln und den düsteren Bildern hatte sich nicht verändert, seit er es zum ersten Mal gesehen hatte. Die Zeit schien innerhalb dieser vier Wände ihre Macht verloren zu haben, während sich die Welt draußen weiter entwickelte, ganze Reiche aufstiegen und wieder im Dunst der Geschichte verschwanden. Es war wie eine Welt in der Welt, ein winziges, abgeschlossenes Universum, das anderen Gesetzmäßigkeiten und Regeln unterworfen war. Es waren die Regeln des Bösen und die Macht der Dunkelheit, die das Leben in diesem Raum bestimmten. Der Atem der GROSSEN ALTEN, die gewesen waren, ehe der Mensch kam, hing wie eine unsichtbare Aura in der Luft …

Shannon vertrieb die Vorstellung und zwang sich, an etwas anderes zu denken, erschrocken über seine eigenen Gedanken. Es war nicht richtig, an solche Dinge zu denken; nicht hier, und erst recht nicht in einem solchen Augenblick.

Er schob die Tür hinter sich ins Schloss, sah sich rasch und schuldbewusst um, beinahe, als hätte er Angst, von unsichtbaren Augen beobachtet und belauert zu werden. Er ging weiter und begann mit raschen, geübten Bewegungen den Tisch vorzubereiten. Sorgsam stellte er Becher und Krüge an den vorbestimmten Platz. Dann ordnete er die fünf schwarzen, halb heruntergebrannten Kerzen so an, dass jeweils eine auf einer Spitze des fünfstrahligen Sternes stand, der in das zolldicke Holz der Tischplatte gebrannt war. Zuletzt legte er das Buch vor den Stuhl Necrons.

Wie immer berührte er den mächtigen, in steinhartes braunes Schweinsleder gebundenen Band nur mit den Fingerspitzen. Und wie immer hatte er trotzdem hinterher das Gefühl, etwas Verbotenes getan zu haben; ja, mehr noch, sich beschmutzt, auf schwer in Worte zu fassende Weise besudelt zu haben. Das Buch erfüllte ihn mit Furcht, und das war gut so. Es war gut, dass es Angst verbreitete und Grauen atmete, denn auf diese Weise sorgte es selbst dafür, dass kein Unbefugter es berührte und ihm seine Geheimnisse entriss.

Draußen vor der Tür wurden Schritte laut. Shannon fuhr erschrocken auf, blickte einen Moment mit klopfendem Herzen zur Tür und beeilte sich fertig zu werden. Er war sich der Ehre bewusst, trotz seines noch relativ geringen Alters von zweiundzwanzig Jahren bereits dem Meister persönlich dienen zu dürfen. Necron hatte ihm oft genug versichert, dass sein Talent gewaltig war und er eine große Zukunft vor sich hatte, sowohl in als auch außerhalb des Zirkels. Trotzdem wusste er, wie streng und gnadenlos der Meister sein konnte. Er ließ niemals einen Fehler durchgehen, und sei er noch so gering.

Shannon hatte kaum den letzten Handgriff beendet und war vom Tisch zurückgetreten, als der Riegel zurückgeschoben wurde und die Tür knarrend aufschwang. Aber es war nicht der Meister, der unter der niedrigen Öffnung erschienen war. Es war ein Fremder. Der Mann trug ein sonderbares, lang wallendes Gewand von strahlend weißer Farbe, auf dessen Brust ein flammend rotes, gleichschenkeliges Kreuz mit gespalteten Enden prangte, darunter ein Kettenhemd. An seinem Gürtel hing ein wuchtiges Schwert, dessen Griff der Form des Kreuzes auf seiner Brust nachempfunden war.

Er sieht aus wie ein mittelalterlicher Ritter, dachte Shannon verblüfft. Dann überwand er seine Überraschung und trat mit einem entschlossenen Schritt auf den Fremden zu.

»Was tun Sie hier?«, herrschte er den Mann an. »Wer hat Sie hereingelassen; und wer sind Sie?«

Statt einer direkten Antwort trat der Fremde einen weiteren Schritt in den Raum hinein und schob die Tür hinter sich ins Schloss. In einer Geste, die zufällig wirken sollte, es aber ganz gewiss nicht war, legte er seine Rechte auf den Gürtel, dicht neben den Schwertgriff.

»Wer sind Sie?«, fragte Shannon noch einmal, viel schärfer als vorher. »Wer hat Ihnen erlaubt, diesen Raum zu betreten? Antworten Sie, oder …«

»Oder?«, fragte der Fremde. In seinen Augen stand ein hartes, entschlossenes Glitzern. »Oder was, Junge?«, fragte er, als Shannon nicht weitersprach. »Was willst du tun, wenn ich nicht antworte? Mich töten?«

Er lachte leise. Seine Hand rutschte ein Stück weiter auf den Schwertgriff zu, und Shannon sah, dass er die Beine ganz leicht spreizte und die Füße dabei nach außen drehte; weit genug, einen festen Stand zu haben.

Shannon erschrak. Plötzlich spürte er ganz deutlich, dass von diesem Fremden etwas Bedrohliches ausging, ein intensives Empfinden der Gefahr.

Er reagierte eine Zehntelsekunde, bevor die Hand des Fremden sich um den Schwertgriff schloss und die Waffe aus der ledernen Scheide riss. Mit einem gellenden Schrei flankte er über den Tisch, riss dabei Kerzen und Becher um und trat noch im Sprung zu.

Der Fremde prallte zurück und taumelte gegen die Wand. Shannon fiel, wälzte sich blitzschnell auf den Rücken und zog die Beine an den Körper, als er die schattenhafte Bewegung gewahrte. Als das Schwert des Angreifers auf ihn herabsauste, schnappten seine Beine wie eine gewaltige Schere zu, schlossen sich um Handgelenk und Ellbogen und rissen den Mann herum. Der Fremde schrie auf, fiel, durch die Wucht seines eigenen Angriffes vorwärts gerissen, auf die Knie und ließ das Schwert fallen. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen; sein Arm war gebrochen.

Aber Shannon blieb keine Zeit, auch nur eine Spur von Triumph zu empfinden. Hinter seinem Rücken wurde die Tür mit einem Schlag aufgesprengt, dann stürmten vier, fünf weitere Fremde in den Raum, alle auf die gleiche, sonderbare Weise wie der erste gekleidet und alle mit Schwertern oder anderen mittelalterlichen Waffen ausgerüstet.

Shannon warf sich zur Seite. Etwas Großes, Massiges zischte herab und zerschmetterte den Fußboden an der Stelle, an der gerade noch sein Kopf gewesen war. Dann jagte eine Schwertklinge heran, riss eine blutige Scharte in seine Schläfe und hämmerte dicht neben ihm in das Tischbein.

Der plötzliche Schmerz machte ihn fast wahnsinnig. Shannon schrie auf, stieß einen der Angreifer mit bloßen Händen von sich, tauchte unter dem singenden Schwert eines zweiten hindurch und rammte dem Mann die versteiften Finger in den Leib. Das Kettenhemd unter dem weißen Gewand nahm dem Schlag die Wucht, aber er reichte immer noch aus, ihn zurück – und gegen seine Kameraden taumeln zu lassen.

Für einen kurzen Moment hatte Shannon Luft. Er brachte mit ein, zwei schnellen Schritten den Tisch zwischen sich und die Angreifer und sah sich wild nach einem Fluchtweg um.

Es gab keinen. Einer der Männer war unter der Tür stehen geblieben und blockierte sie, während die vier anderen den Tisch zu umkreisen begannen. Zwei von ihnen waren mit Schwertern bewaffnet, der dritte mit einer sonderbaren Waffe, die fast wie ein übergroßer Kamm aussah, auf einer Seite aber eine rasiermesserscharfe Schneide hatte, während der letzte kampflustig den Morgenstern schwang. Und jeder Einzelne von ihnen war Shannon an Kraft und Körpergröße überlegen.

Er bewegte sich Schritt für Schritt rückwärts, bis er gegen den rauen Stein der Kaminfassung stieß und die Hitze der Flammen spürte. Sein Blick tastete verzweifelt über die Gestalten der vier Männer.

Sie hatten den Tisch umkreist und sich zu einem lockeren, aber undurchdringlichen Halbkreis aufgestellt. Jetzt begannen sie langsam auf ihn zuzugehen.

Shannon ließ langsam die Hände sinken, entspannte sich und atmete hörbar aus. Hätten die fünf Männer ihn einzeln und nacheinander angegriffen, hätte er eine gute Chance gehabt, obwohl er unbewaffnet war. Aber so …

»Ich weiß nicht, wer ihr seid«, sagte er, leise und mit leicht zitternder Stimme, die mehr von seiner Furcht verriet, als ihm lieb war, »und ich weiß nicht, was ihr hier wollt. Aber ich gebe euch eine Chance. Verschwindet von hier, und ihr bleibt am Leben.«

Einen Moment lang hielten die Männer tatsächlich in ihrem Vormarsch inne, aber wohl eher aus Verblüffung über seine Worte. Einer von ihnen stieß ein ungläubiges Keuchen aus.

Dann verzerrte ein hämisches Grinsen sein Gesicht. Seine Augen blitzten. »Na, dann komm doch!«, sagte er kichernd. »Komm doch und zeig uns, wie du uns das Leben schenken willst, Kleiner.« Er lachte noch einmal, sprang plötzlich einen Schritt nach vorne und riss den gewaltigen Morgenstern in die Höhe.

Shannon hob die rechte Hand und murmelte ein einzelnes, sonderbar klingendes Wort. Der Fremde schien plötzlich auf eine unsichtbare Wand zu prallen. Sein Arm zuckte noch weiter zurück, aber diesmal war es nicht seine Bewegung, in der der Morgenstern am Ende seiner armlangen Kette zu kreisen begann.

Der Fremde schrie vor Schrecken. Shannon sah, wie sich seine Muskeln unter dem Kettenhemd wie dicke knotige Stricke spannten, aber die Gewalten, gegen die er sich zu stemmen versuchte, waren seinen Kräften weit überlegen.

Der Morgenstern verwandelte sich in einen flirrenden, mit tödlicher Schnelligkeit wirbelnden Kreis und krachte auf den Schädel seines Nebenmannes herab.

Der Mann war tot, ehe sein Körper den Boden berührte, aber der Morgenstern kreiste bereits weiter, zischte auf den nächsten Weißgekleideten zu und verfehlte ihn nur um Haaresbreite.

Die stachelbewehrte Eisenkugel krachte in die Tischplatte, zermalmte sie und kam sofort zu einem neuen Hieb hoch. Sie traf das Schwert eines der Männer, zerschmetterte es und riss sein Gewand und das Kettenhemd wie Papier auf. Der Mann taumelte zurück, fiel auf die Knie und schlug beide Hände vor seine blutende Brust.

Shannons Hand bewegte sich weiter.

Der Mann mit dem Morgenstern begann wieder zu schreien, warf sich zurück und stemmte sich mit aller Gewalt gegen die Waffe, die plötzlich ihn führte, statt umgekehrt. Aber seine Anstrengungen waren sinnlos. Er vermochte nicht einmal die Hände vom Stiel des Morgensterns zu lösen, sondern wurde mitgerissen wie ein Kind, das versuchte, ein durchgehendes Pferd zu halten. Der Morgenstern begann erneut zu kreisen und sauste auf den Schädel des letzten verbliebenen Mannes herab.

Ein heller, knisternder Laut erscholl.

Shannon spürte, wie seine Kräfte von einer anderen, viel gewaltigeren Macht gebrochen wurden; gleichzeitig schien der Morgenstern eine Handbreit vor dem Gesicht des Ritters gegen ein unsichtbares Hindernis zu prallen. Er federte zurück und zerbrach mit einem peitschenden Knall. Kette und Stiel zersplitterten, während die Kugel wie ein stachelbewehrtes Geschoss davonzischte und sich krachend in den Boden bohrte.

Unter der Tür war ein weiterer Fremder aufgetaucht, etwas größer als die anderen und ähnlich gekleidet wie sie. Neben ihm stand ein weißhaariger Alter, der Shannon aus spöttisch glitzernden Augen musterte.

»Nee … Meister!«, keuchte Shannon erleichtert. »Ihr? Was … was bedeutet das? Ihr kennt diese Männer?«

Necrons Lächeln wurde noch ein wenig spöttischer. Er nickte und trat mit einem raschen Schritt vollends in den Raum hinein.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte er rasch. Ein rasches, unwilliges Stirnrunzeln huschte über seine Züge, als er die Verwüstungen sah, die der kurze Kampf im Zimmer angerichtet hatte. Dann wandte er sich an den weißgekleideten Fremden, der mit ihm gekommen war.

»Nun?«, fragte er. »Habe ich zu viel versprochen, DeVries?«

Der Fremde schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, ohne Shannon dabei auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Er hätte sie nicht gleich umbringen müssen, findet Ihr nicht?«

»Ich … ich wusste nicht, dass diese Männer zu … zu Euch gehören, Herr«, stammelte Shannon verwirrt, aber auch in wachsendem Maße beunruhigt. »Ich dachte, sie wollten …«

»Es ist gut, Shannon«, unterbrach ihn Necron. »Du hast getan, was ich von dir erwartet habe. Du warst sehr gut.« In seiner Stimme schwang eine Spur von Ungeduld und Tadel, und Shannon hütete sich, noch eine weitere Frage zu stellen. Verwirrt blickte er zwischen dem Meister und dem Fremden hin und her.

Schließlich hatte DeVries seine Musterung beendet und wandte sich wieder an Necron. Den Verletzten, der sich direkt vor seinen Füßen vor Schmerzen krümmte, schien er überhaupt nicht zu sehen.

»Er ist … sehr jung für eine Aufgabe wie diese«, sagte er. »Glaubt Ihr, dass er ihr gewachsen ist?«

Necron lachte leise. »Der Mann, den Ihr verfolgt, ist auch nicht viel älter, nicht wahr? Ihr habt gesehen, wozu Shannon fähig ist. Und glaubt mir – das war nicht alles. Hätte ich ihn nicht aufgehalten, dann wäre keiner Eurer Männer jetzt noch am Leben.«

»In Ordnung«, sagte DeVries nach einer Weile. »Wenn Ihr für ihn bürgt, nehme ich ihn.«

»Was … was bedeutet das, Meister?«, stammelte Shannon verwirrt. Er war sich der Ungeheuerlichkeit der Tatsache bewusst, den Meister gegen seinen Willen angesprochen zu haben, aber seine Verwirrung war einfach zu groß. Er konnte nicht mehr schweigen, selbst wenn er dafür geschlagen oder auf andere Weise bestraft werden würde.

Aber Necron schien ihm seine Ungeduld nicht übel zu nehmen. »Du sollst alles erfahren«, sagte er. »Was hier geschah, war nur ein Test. Unser Gast bezweifelte deine Fähigkeiten, aber du hast ihn überzeugt.« Seine Stimme wurde ernst. »Dir wird eine große Ehre zuteil werden, Shannon«, sagte er. »Worauf wir seit langem gewartet haben, ist endlich geschehen. Wir haben den gefunden, den zu suchen uns unser Eid verpflichtet, Shannon. Der alte Fluch wird sich erfüllen. Wir haben Roderick Andaras Sohn aufgespürt.«

»Andaras Sohn?«, keuchte Shannon. Necrons Worte trafen ihn wie ein Schlag. »Ihr meint, den … den Sohn des Magiers? Den Sohn des Verräters Andara?« Die letzten Worte schrie er fast.

Necron nickte. »Der Erbe des Magiers ist gefunden. Und du bist auserwählt, Shannon, den Hexer zu töten.«

Über den Dächern lag noch ein leiser Hauch von Nebel, als ich die Stadt erreichte. Die Häuser schienen sich hinter den wogenden Schleiern zu ducken, und obwohl die Sonne bereits vor einer guten halben Stunde aufgegangen war, war auf den Straßen weder Mensch noch Tier zu sehen. Nicht das geringste Zeichen von Leben regte sich. Selbst der Wind, der die letzten zwei Stunden meines Weges begleitet hatte, schien zu verstummen, kaum dass ich zwischen die ersten Häuser getreten war.

Erschöpft blieb ich stehen, setzte die beiden schwergewichtigen Koffer neben mich auf den Bürgersteig und sah mich mit einer Mischung aus Neugier und dumpfer Müdigkeit um. Jeder einzelne Knochen in meinem Körper schien zu schmerzen, und das Gewicht der Koffer hatte mir fast die Schultern aus den Gelenken gerissen. Meine Hände brannten höllisch, obgleich ich ein Stück aus meinem Hemd gerissen und um die Handgriffe der beiden Gepäckstücke gewickelt hatte.

Und was ich sah, war auch nicht gerade dazu angetan, meine Laune zu bessern.

Ich hatte – zumal heute Sonntag war – nach Howards Berichten nicht gerade damit gerechnet, eine vor Leben und Freundlichkeit strotzende Stadt zu finden. Was ich aber jetzt erblickte, erinnerte mich eher an eine ausgestorbene Geisterstadt. Sämtliche Fenster waren geschlossen, und vor den meisten waren zusätzliche Läden vorgelegt. Nirgends war ein Licht oder ein anderes Anzeichen menschlichen Daseins zu gewahren, und der einzige Laut, den ich hörte, war ein leises, irgendwie beunruhigendes Rauschen und Wispern, das vom Fluss herüberwehte. Die Häuser waren allesamt schmal und wirkten geduckt, und selbst das wenige Grün, das hier und da das triste graue Antlitz der Stadt durchbrach, wirkte kränklich und blass.

Das also war Arkham.

Der Ort, von dem ich jetzt schon so viel gehört hatte und dessen Name meist nur flüsternd ausgesprochen wurde. Aber vor allem der Ort, an dem ich meinen Freund Howard wiedersehen würde.

Ich nahm meine Koffer wieder auf und ging langsam die Straße hinab. Howard hatte mir in dem Brief, den ich vor zwei Monaten erhalten hatte, die Adresse eines Hotels genannt. Der Gedanke an ein weiches Bett und vielleicht sogar ein Bad war im Moment mächtiger als alle düsteren Bilder.

Nach einer Weile gewahrte ich das Hotel ein Stück vor mir. Ich wechselte den schweren Koffer von der Linken in die Rechte (was nicht viel nutzen würde, denn die beiden Gepäckstücke hatten auf den letzten drei Meilen beständig an Gewicht zugenommen und taten es noch) und betrat das Hotel.

Für einen ganz kurzen Moment spürte ich, wie mein sechster Sinn Alarm schlug. Irgendetwas stimmte hier nicht! Aber dann war das Gefühl wieder verschwunden. Mein Nervenkostüm schien auch nicht mehr das beste zu sein. Die Müdigkeit war wohl daran schuld.

Mit einem erleichterten Seufzer ließ ich die Koffer neben der Tür stehen, schlurfte mit hängenden Schultern zur Rezeption und schlug die Hand auf die kleine Glocke, die auf der zerkratzten Theke stand.

Es dauerte fast eine Minute, bis endlich hinter mir schlurfende Schritte laut wurden. Ich drehte mich herum und sah einen buckeligen, kahlköpfigen Alten, der ohne sonderliche Hast herbeigeschlurft kam.

»Guten Morgen«, sagte ich. »Mein Name ist Craven. Robert Craven. Für mich müsste ein Zimmer in Ihrem Hotel reserviert sein.«

Der Alte sagte nichts, schlurfte nur kopfschüttelnd an mir vorbei und hinter die Theke. Ich sah, dass seine rechte Hand von der Gicht verkrüppelt war, und beschloss, ihm seine Unfreundlichkeit nachzusehen.

»Zimmer reservieren wir nicht«, murmelte er unfreundlich. »Aber Sie können eins haben. Für wie lange?« Er bückte sich, holte einen abgewetzten Folianten unter seiner Theke hervor und schlug ihn auf. Die Seiten waren schmutzig und verknickt und mit kleinen Zeilen in einer fast unleserlichen Handschrift übersät.

Mit zitternden Fingern zog er einen Bleistiftstummel hervor, leckte ihn an und blinzelte aus kleinen roten Augen zu mir hinauf.

»Ihr Name?«

»Craven«, wiederholte ich, noch immer um Ruhe und freundliches Auftreten bemüht. »Robert Craven.«

»Roooobeeert Craaaven«, wiederholte der Alte gedehnt und begann etwas in sein Buch zu kritzeln, hielt dann aber inne und blinzelte mich wieder an. »Schreibt sich das mit K oder C?«, fragte er.

»Mit einem C«, erwiderte ich. »Einem großen, wissen Sie?«

Meine Geduld war nach einer durchwachten Nacht und einem Fünf-Meilen-Marsch, bei dem ich noch einen halben Zentner Gepäck hatte mitschleppen müssen, ziemlich erschöpft.

»Ce-er-e-ef-e-en«, buchstabierte der Alte. »Richtig?«

»Nein«, schnappte ich. »Ganz einfach Craven. Wie Raven, nur mit einem C vorne. Der Rabe, verstehen Sie?« Ich starrte ihn böse an, hob die Arme und machte eine flatternde Bewegung.

Aber wenn der Alte meinen Sarkasmus überhaupt begriff – was ich bezweifelte –, dann reagierte er nicht darauf. Er zuckte nur mit den Achseln, beendete seine Eintragung und klappte das Buch wieder zu. Dann klaubte er einen Zimmerschlüssel von dem Bord hinter sich und gab ihn mir.

»Zimmer dreihundertdrei«, sagte er. »Im dritten Stock. Die Nummer steht an der Tür. Wenn Sie Frühstück wollen, müssen Sie sich am Abend vorher anmelden. Heute ist’s zu spät.«

Der Gedanke an Frühstück war mir noch nicht einmal gekommen. Alles, was ich wollte, war schlafen. Müde nahm ich den Schlüssel entgegen, wandte mich halb um und deutete auf die beiden Koffer, die neben der Tür standen.

»Mein Gepäck …«

»Müssen Sie schon selbst aufs Zimmer bringen«, unterbrach mich der Alte. »Der Hausdiener ist krank, und ich bin zu alt. Und jetzt entschuldigen Sie mich.«

Ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte er sich um und schlurfte gebückt davon.

Ich starrte ihm mit einer Mischung aus Wut und Resignation nach. Howard hatte mich gewarnt, dass die Leute in Arkham seltsam seien und Fremden gegenüber nicht immer sehr freundlich. Aber eine Behandlung wie diese war mir in einem Hotel bislang noch nicht untergekommen.

Also holte ich die Koffer und begann schnaufend – und lautlos in mich hineinfluchend – die steile Treppe hinaufzusteigen.

Die morschen, gefährlich ausgetretenen Stufen ächzten und bebten unter meinem Gewicht, als wolle die gesamte Konstruktion jeden Moment zusammenbrechen, und die Luft roch zunehmend nach Staub und Alter, je höher ich kam.

Das Hotel war sonderbar still. Nicht der geringste Laut war zu hören, und viele der Türen standen offen. Die Zimmer dahinter waren leer und unbenutzt.

Als ich das dritte Stockwerk erreicht hatte, war ich vollkommen sicher, dass mir der Alte dieses Zimmer aus purer Gehässigkeit gegeben hatte, nachdem er sah, wie müde ich war und wie viel Gepäck ich schleppen musste. Ich würde mich später gehörig über ihn beschweren.

Aber erst, nachdem ich zwölf Stunden geschlafen hatte.

Ich betrat mein Zimmer, stellte das Gepäck neben der Tür ab und wankte zum Bett. Müdigkeit und Erschöpfung schlugen wie eine mächtige, warme Woge über mir zusammen, und für einen Moment wurde die Verlockung, mich einfach nach hinten sinken zu lassen und die Augen zu schließen, fast übermächtig.

Aber Howards Warnung war mir noch immer frisch im Gedächtnis. Ich war in der Nähe des vermutlich einzigen Ortes auf der ganzen Welt, an dem ich vollkommen sicher war. Und gleichzeitig in der Stadt, in der mir die größte Gefahr drohte, so absurd der Gedanke im ersten Moment klang.

Mühsam stand ich noch einmal auf, schlurfte zu meinen Koffern hinüber und klappte sie auf. Ich fand die beiden Kästchen unter ein paar Wäschestücken vergraben und klappte den Deckel des einen mit einer fast andächtigen Bewegung auf.

Sein Inneres war mit blauem Samt ausgeschlagen, auf dem drei kleine, unscheinbar aussehende fünfstrahlige Sterne aus porösem grauem Stein lagen. Sie waren nicht viel größer als ein Golddollar, und in ihre Oberflächen war ein grobes Muster eingeritzt: ein unregelmäßiger Rhombus mit einer Art Flammensäule in der Mitte, die – wenn man zu lange hinsah – hin und her zu wogen schien, als lebe sie.

Mit spitzen Fingern nahm ich zwei der Steine heraus und legte sie vor der Tür und dem einzigen Fenster auf den Boden.

Erst dann ging ich zu meinem Bett zurück und legte mich auf die zerknautschten Laken.

Gerade hatte ich die Augen geschlossen, als mir bewusst wurde, dass ich das Badezimmer vergessen hatte. Ich musste es auf Fenster oder einen Hinterausgang überprüfen; eine Nachlässigkeit konnte ich mir nicht erlauben.

Wankend vor Müdigkeit und mit halb geschlossenen Augen ging ich auf das Bad zu, öffnete die Tür und tat einen großen Schritt in den Raum hinein.

Dass er keinen Boden hatte, bemerkte ich erst, als mein Fuß ins Leere trat und ich wie ein Stein nach vorne kippte.

Man hatte ihn gewarnt.

Nicht nur der Meister hatte ihm gesagt, was ihn hier erwarten würde; selbst DeVries hatte eine entsprechende Bemerkung gemacht und ihm geraten, sehr vorsichtig zu sein. Obwohl die Aufgabe, die zu erledigen er hier war, eine große Ehre für ihn bedeutete, war sie einfach und schnell zu erledigen. Mit etwas Glück konnte er sich heute Abend bereits auf dem Rückweg befinden.

Aber trotz dieser Warnungen und der düsteren Geschichte, die er über die Stadt gehört hatte, überraschte ihn ihr Anblick.

Arkham war …

Shannon suchte einen Moment vergeblich nach einem passenden Wort, die düstere, unheimliche Aura zu beschreiben, die wie ein unsichtbarer Nebel über der Stadt zu hängen schien.

Schließlich ging er mit langsamen Schritten die Hauptstraße hinunter und sah sich dabei unauffällig um – ganz in der Art eines Mannes, der fremd in einer Stadt war und sich interessiert umsieht, ohne nach etwas Bestimmtem Ausschau zu halten.

Die Stadt schien ausgestorben zu sein. Shannon spürte mit seinen scharfen, überentwickelten Sinnen das Leben hinter den geschlossenen Fenstern und Türen, aber auf den Straßen selbst war nicht die geringste Bewegung zu gewahren; nicht einmal ein Tier regte sich, geschweige denn ein Mensch.

Und doch …

Etwas war hier.

Shannon blieb stehen. Er vermochte das Gefühl noch immer nicht in Worte zu kleiden, aber es wurde stärker, mit jedem Moment. Es war wie ein übler Geschmack, der sich auf der Zunge eingenistet hat und nicht weggeht.

Etwas war hier, in seiner Nähe, etwas Fremdes und Finsteres und Drohendes. Und plötzlich war er sicher, dass es dieses Fremde, Feindselige war, das die Menschen in ihre Häuser und die Hunde und Katzen und Ratten in ihre Löcher getrieben hatte. Sie spürten es wohl nicht so deutlich wie er, aber sie würden es wahrnehmen, den Atem des Fremden und Feindseligen, und sie hatten mit Furcht und Verwirrung reagiert und waren in ihren Häusern geblieben.

Shannon sah sich noch einmal sichernd nach beiden Seiten um, trat dann in die Mitte der Straße und hob langsam die Hände an die Schläfe.

Es fiel ihm seltsam schwer, sich zu konzentrieren. Im ersten Moment war es, als wäre da eine andere, unheimliche Kraft, die den magischen Schleier immer wieder zu zerreißen trachtete, dann: Für den Bruchteil einer Sekunde verschleierte sich sein Blick. Konturlose Schatten und wesenlose graue Umrisse wogten vor seinen Augen. Dann erlosch sein Sehvermögen ganz und kehrte verändert und hundertmal schärfer als zuvor zurück.

Er sah nur noch schwarz-weiß, und zudem waren Hell und Dunkel vertauscht, wie auf einer noch nicht zum Bild entwickelten fotografischen Platte. Trotzdem war alles viel deutlicher und klarer; er sah nicht nur die Häuser und die Straße, sondern auch das Netz unsichtbarer Kräfte und Energien, das sich zwischen den verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit spannte.

Aber da war noch etwas.

Selbst jetzt vermochte er es nicht wirklich zu erkennen. Etwas schien zu verhindern, dass er sich auf eine bestimmte Stelle konzentrierte. Er konnte nur eine rasche Bewegung nicht sehr weit vor ihm erkennen, die aber immer wieder erlosch, wenn er hinsah, und spöttisch wieder auflebte, sobald er seinen Blick auf einen anderen Ort richtete.

Shannon griff mit einer wütenden Anstrengung nach einer der pulsierenden Energielinien, bediente sich ihrer Kraft und fügte sie seiner eigenen hinzu.

Und dann sah er …

Das Ding war nicht wirklich körperlich. Ein Schatten wogte und waberte wie ein hässliches Krebsgewächs dicht vor ihm auf und über und sogar ein Stück in der Straße. Schwarze Schlangenarme wanden sich und peitschten, dünne, haarige Fühler tasteten gierig umher, und der Blick gewaltiger blinder Augen bohrte sich brennend in die seinen. Alles war Schatten und Bewegung und Gestalt gewordene Bosheit und … Shannon taumelte instinktiv einen Schritt zurück, als er den eisigen, Jahrmillionen alten Hauch spürte, der das Schattending wie eine finstere Aura umgab.

Länger als eine Minute starrte der junge Magier abgestoßen und gleichzeitig gebannt auf den gigantischen Schatten. Erst dann gelang es ihm, sich von der morbiden Faszination des Bösen zu lösen und dorthin zu blicken, wo er vorhin die Bewegung wahrgenommen hatte.

Das Schattending hockte im Zentrum eines gigantischen, sanft pulsierenden Netzes aus grauen Strähnen, ein aufgedunsener ekeliger Balg im Herzen eines titanischen Spinnennetzes, das an zahllosen Stellen mit der Stadt verbunden war. Helle Bündel von Energie zuckten, den Fäden wie Straßen folgend, verschwanden, blitzten wieder auf oder vereinigten sich zu kurzlebigen, grellen Sternen.

Dann sah Shannon den schwarzen Strang, der wie ein Fangarm aus dem Balg der Kreatur hervorwuchs und in einem der Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite verschwand.

Er hob die Hand und murmelte ein einzelnes, fremdartig klingendes Wort. Die Wand des Gebäudes schien von einer Sekunde auf die andere durchsichtig zu werden. Shannon konnte in sein Inneres blicken und dem Tentakel folgen.

Wie ein gewaltiger schwarz glitzernder Schlauch wand sich der Arm durch das Haus, durchstieß scheinbar mühelos Decken und Wände und faserte zu Dutzenden von dünneren biegsamen Fühlern auseinander.

Und an seinem Ende war …

Shannon starrte eine halbe Sekunde auf das entsetzliche Bild. Dann übernahmen seine antrainierten Reflexe das Kommando über sein Denken und seinen Körper.

Mit einem gellenden Schrei erwachte er aus seiner Erstarrung und rannte los.

Alles ging unglaublich schnell. Ich schrie auf, kippte mit haltlos rudernden Armen nach vorne und sah den Abgrund wie das aufgerissene Maul eines gigantischen steinernen Ungeheuers nach mir schnappen. Die zerborstenen Wände huschten an mir vorüber, und mein eigener Schrei hallte wie boshaftes Hohngelächter in meinen Ohren wider. Verzweifelt warf ich mich herum, bekam etwas Hartes zu fassen und klammerte mich mit aller Gewalt fest.

Der Ruck schien mir die Arme aus den Gelenken zu reißen. Ich schrie vor Schmerz, als ein zweiter, noch brutalerer Ruck durch meinen Körper raste. Meine Hände glitten an rauem Holz ab, drohten den Halt zu verlieren und klammerten sich mit verzweifelter Kraft fest. Ein Span riss mir die Rechte vom Daumen bis zur Handwurzel auf, meine Fingernägel brachen, und das Blut ließ den Balken glitschig werden, sodass ich erneut abzurutschen begann. Mit aller Kraft, die mir geblieben war, hangelte ich mich nach vorne und versuchte den grausamen Schmerz zu ignorieren, als die Bewegung den Holzspan wie ein Messer noch tiefer in meine Handwurzel trieb. Endlich fand ich Halt an dem Balken, der über mir aus der Wand ragte.

Sekundenlang blieb ich mit geschlossenen Augen so hängen und rang verzweifelt nach Atem.

Erst dann wagte ich es, die Augen zu öffnen und mich umzusehen.

Der Anblick ließ mein Herz einen schmerzhaften Satz machen.

Der Balken, an dem ich im letzten Moment Halt gefunden hatte, war alles, was vom Boden des Zimmers übrig geblieben war. Die Zwischendecke war zusammengebrochen, vielleicht schon vor Jahren, und hatte dabei die gesamte Einrichtung des kleinen Raumes mit sich gerissen. Aus den Wänden ragten die zerfetzten Überreste von Bleirohren und Leitungen wie im Todeskampf verkrümmte Schlangen. Selbst der Balken, an dem ich hing, war nur noch zu einem Drittel vorhanden. Wäre ich zehn Zentimeter weiter nach vorne gestürzt, hätten meine Hände ins Leere gegriffen.

Meine Beine pendelten frei über einem drei Stockwerke tiefen Abgrund. Nicht nur der Boden des Baderaumes war eingestürzt – die Trümmer mussten die darunter liegenden Etagen durchschlagen haben. Es war ein tödlicher, bis in die Kellergeschosse reichender Schacht.

Und an seinem Grunde bewegte sich etwas!

Ich vermochte nicht genau zu erkennen, was es war. Die Dunkelheit unter mir wogte und zitterte, als wäre sie zu einer glänzenden schwarzen Masse geronnen, und ich glaubte ein leises, unangenehmes Rauschen zu vernehmen.

Meine Hände meldeten sich mit pochenden Schmerzen. Ich löste meinen Blick von der wogenden Finsternis unter mir, biss die Zähne zusammen und versuchte mich mit einem Klimmzug auf den Balken hinaufzuziehen.

Aber es blieb bei einem Versuch.

Meine Schultermuskeln schienen zu explodieren. Der Schmerz war so heftig, dass ich um ein Haar den Halt verlor und mich nur mit letzter Kraft festzuklammern vermochte. Die Bewegung trieb den Holzsplitter noch tiefer in meine Hand. Ich schrie auf und begann wie wild mit den Beinen zu strampeln. Im letzten Moment begriff ich, dass ich auf dem besten Wege war, in Panik zu geraten und so meine letzte Chance zu verspielen.

Ich wartete, bis meine Muskeln aufgehört hatten, sich wie glühende Drähte in meinen Körper fressen zu wollen. Dann biss ich erneut die Zähne zusammen, löste ganz langsam die rechte Hand von ihrem Halt und versuchte sie zu heben, um den Holzsplitter herauszubekommen. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. Warmes Blut lief klebrig an meinem Arm hinunter, aber ich machte weiter und bekam den reißenden Dorn schließlich aus dem Fleisch.

Langsam, unendlich langsam hangelte ich mich an dem Balken entlang auf die offen stehende Tür zu. Die Strecke war nicht weit – vielleicht dreißig Inch –, aber es hätten genauso gut dreißig Meilen sein können. Meine Muskeln begannen mir den Dienst zu versagen. Der Abgrund unter mir schien an meinen Beinen zu zerren wie ein unsichtbarer Sog.

Dann hörte ich das Geräusch.

Im ersten Moment klang es wie ein tiefes, mühevolles Stöhnen, dann steigerte es sich zu einem widerwärtigen Schmatzen und Saugen, gefolgt von einem sonderbar feuchten Schleifen. Ein Gleiten und Tasten, als …

Ja – als kröche etwas zu mir herauf!

Ein gellender Schrei brach über meine Lippen, als ich in die Tiefe sah.

Der Abgrund unter mir war nicht mehr leer!

Was ich für Dunkelheit gehalten hatte, war in Wirklichkeit eine gigantische, sich windende Masse aus schwarzem Fleisch, ein Nest peitschender Schlangen und Tentakel, das unter mir wogte und zitterte wie schwarze Lava, die aus dem Schlund eines Vulkans emporsteigt.

Und noch während ich hinsah, lösten sich zwei, drei Peitschenarme aus der Masse und griffen mit zitternden unsicheren Bewegungen nach mir!

Ich schrie auf und hangelte mich mit verzweifelter Kraft auf die Tür zu.

Ich war nicht schnell genug. Ein armdicker, von Narben und Pocken übersäter Arm griff an mir vorbei, holte wie in einer spöttischen Verbeugung aus und schlug wuchtig gegen die offen stehende Tür. Der Hieb spaltete das Holz und warf sie ins Schloss.

Im gleichen Moment berührte etwas mein rechtes Bein.

Ich brüllte vor Schrecken und Ekel und riss verzweifelt den Fuß zurück. Ich spürte einen harten Ruck, gefolgt von einem Brennen, als wäre meine Haut mit ätzender Säure in Berührung gekommen. Schwarze Schatten griffen nach meinen Beinen, und der Arm, der die Tür zugeschmettert hatte, näherte sich mit tastenden Bewegungen meinem Gesicht. Wo er das Holz des Balkens berührte, begann sich dünner Rauch in die Höhe zu kräuseln.

Ich riskierte alles. Jeden Gedanken an Gefahr und Schmerz ignorierend, spannte ich noch einmal die Muskeln, holte mit den Beinen Schwung – und zog mich auf den Balken hinauf.

Die peitschenden Arme unter mir griffen ins Leere. Für einen Moment glaubte ich ein wütendes, enttäuschtes Zischen zu hören, dann verstärkte sich das Brodeln der schwarzen Masse. Ein ganzer Wald peitschender Tentakel und zitternder Nervenfäden schoss wie eine grausame Flutwelle auf mich zu. Gleichzeitig zuckte der Tentakel, der sich um meinen Balken gewickelt hatte, hoch und schlug nach meinem Gesicht.

Ich duckte mich, verlor dabei auf dem kaum handbreiten Balken beinahe den Halt und hieb instinktiv mit dem Arm nach dem Ding.

Es war ein Gefühl, als hätte ich in weiches, widerliches warmes Gelee geschlagen. Ein brennender Schmerz zuckte durch meinen Arm, und ein Teil meiner Jacke begann zu schwelen.

Aber der Hieb hatte das Ding zurückgeschleudert.

Für einen Moment hatte ich Luft. Mit verzweifelter Kraft richtete ich mich auf, streckte beide Arme aus und machte einen vorsichtigen Schritt auf die geschlossene Tür zu.

Ein schwarzes Etwas zuckte aus der Tiefe herauf, wickelte sich wie eine Peitschenschnur um mein Bein und riss daran. Ich fiel zur Seite, verlor das Gleichgewicht, prallte auf den Balken auf und drohte abzurutschen. Instinktiv klammerte ich mich fest, aber der Tentakel zog und zerrte mit unglaublicher Kraft an meinem Bein und ich spürte, wie ich unbarmherzig von meinem Balken herabgezerrt wurde. Mein rechter Fuß schien in Flammen zu stehen. Der Gestank von brennendem Stoff und verkohltem Fleisch erfüllte die Luft.

Plötzlich hörte ich einen Schrei. Irgendwo über mir polterte etwas, dann wurde die Tür mit einem Tritt aufgesprengt und eine geduckte Gestalt erschien unter der Öffnung.

»Hilfe!«, brüllte ich. »Schnell doch – helfen Sie mir!«

Mit dem Mut der Verzweiflung löste ich eine Hand von meinem Halt, streckte sie in seine Richtung aus und spürte, wie mich der Tentakel ein weiteres Stück herunterzerrte. Das Schmatzen und Saugen unter mir klang plötzlich lauter und gieriger.

Aber der Fremde dachte nicht daran, meine ausgestreckte Hand zu ergreifen. Stattdessen fuhr er herum, stürzte davon und verschwand für eine schreckliche, endlose Sekunde aus meinem Sichtfeld. Dann tauchte er wieder auf, klammerte sich mit der linken Hand am Türrahmen fest und beugte sich vor. Ein schwarzer Schlangenarm zuckte in seine Richtung und versuchte sich um seine Beine zu wickeln.

Der Fremde ignorierte ihn. Seine andere Hand schleuderte irgendetwas Kleines, Graues in die Tiefe.

Eine halbe Sekunde lang geschah gar nichts. Dann lief ein spürbares Zittern durch das Gebäude. Grauer, übelriechender Dampf schoss wie ein Geysir aus der Tiefe und nahm mir den Atem, und der Gestank von verkohltem Fleisch wurde unerträglich. Der Schlangenarm löste sich mit einer zuckenden Bewegung von meinem Bein und verschmolz mit dem grauschwarzen Brodeln, in das sich die Masse verwandelt hatte.

Ich hustete. Meine Kräfte schwanden. Ich spürte noch, wie sich meine Hand langsam vom Holz des Balkens löste, und glaubte zu sehen, wie der Fremde mit einem erschrockenen Ächzen vorsprang und nach meinen Armen griff.

Dann verlor ich endgültig das Bewusstsein.

Jemand machte sich schmerzhaft an meiner Hand zu schaffen, als ich erwachte.

Ich blinzelte, versuchte mich aufzusetzen und gleichzeitig meine Hand zurückzuziehen, damit der grausame Schmerz aufhörte, schaffte aber weder das eine noch das andere. Eine Hand stieß mich mit sanfter Gewalt zurück, und eine andere hielt mein rechtes Handgelenk behutsam, aber mit großer Kraft fest. Ein dumpfer, pochender Schmerz wühlte im Rhythmus meines Herzschlages zwischen meinen Schläfen.

»Halten Sie still«, sagte eine Stimme. »Es dauert nur noch einen Moment.«

Ich gehorchte, biss die Zähne zusammen, als sich ein neuer, dünner Schmerz in meinen Arm bohrte, und öffnete die Augen.

Ich lag auf dem Bett meines Zimmers. Der Fensterladen war geöffnet worden, und das Sonnenlicht stach unangenehm grell in meine Augen. So konnte ich die Gestalt, die neben mir auf der Bettkante saß, im ersten Moment nur als verschwommenen Schatten gegen das Fenster ausmachen.

Der Schmerz in meiner Hand erlosch plötzlich, und auch das Hämmern hinter meiner Stirn sank auf ein erträgliches Maß herab. Die wirbelnden Schleier vor meinem Blick lichteten sich.

Der Mann ließ meinen Arm los, setzte sich auf und lächelte. Und jetzt erkannte ich ihn auch.

Es war der Unbekannte, der im letzten Moment aufgetaucht war und mich aus dem Schacht gezogen hatte. Sein blondes, fast schulterlanges Haar und das schmal geschnittene Gesicht waren das Letzte gewesen, was ich wahrnahm, ehe mir die Sinne schwanden.

Noch einmal versuchte ich mich aufzusetzen – und diesmal hinderte mich mein Retter nicht daran.

»Sie … Sie haben mir das Leben gerettet«, sagte ich, verwirrt und mit einem Male wieder von einer leisen Spur von Furcht erfüllt. Im gleichen Maße, in dem der dumpfe Druck aus meinem Schädel wich, kehrten die Erinnerungen zurück.