7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €
Wir schreiben das Jahr 1883. Vor der tückischen Küste Schottlands erleidet ein Viermaster Schiffbruch. Nur wenige Menschen überleben die Katastrophe. Unter ihnen ein Mann, der die Schuld an dem Unglück trägt. Ein Mann, der gejagt wird von uralten, finsteren Göttern ...
Der legendäre Hexer-Zyklus - komplett und in chronologischer Reihenfolge erzählt, mit vielen Hintergrundinformationen des Autors:
Der Hexer - Die Spur des Hexers
Der Hexer - Der Seelenfresser
Der Hexer - Engel des Bösen
Der Hexer - Der achtarmige Tod
Der Hexer - Buch der tausend Tode
Der Hexer - Das Auge des Satans
Der Hexer - Der Sohn des Hexers
Der Hexer - Das Haus der bösen Träume
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
DIE SPUR DES HEXERS
Vorwort
Briefe aus R’Lyeh
ALS DER MEISTER STARB
Vorwort
Als der Meister starb
Tyrann aus der Tiefe
Die Hexe von Salem
DAS HAUS AM ENDE DER ZEIT
Vorwort
Das Haus am Ende der Zeit
Im Schatten der Bestie
Bücher, die der Satan schrieb
TAGE DES WAHNSINNS
Vorwort
Der Baumdämon
Tage des Wahnsinns
Über den Autor
Weitere Titel des Autors
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser,
vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.
Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.
Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.
Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!
Dein beTHRILLED-Team
Melde dich hier für unseren Newsletter an:
Wir schreiben das Jahr 1883. Vor der tückischen Küste Schottlands erleidet ein Viermaster Schiffbruch. Nur wenige Menschen überleben die Katastrophe. Unter ihnen ein Mann, der die Schuld an dem Unglück trägt. Ein Mann, der gejagt wird von uralten, finsteren Göttern …
WOLFGANG HOHLBEIN
DER HEXER
DIE SPUR DES HEXERS
Der Hexer von Salem ist wohl unbestritten mein größter Serienerfolg; nicht nur auf dem Gebiet der unheimlichen Geschichten, sondern überhaupt. Und im Nachhinein betrachtet wundert mich das kein bisschen.
Es ist nämlich auch nach wie vor meine Lieblingsserie.
Dabei bin ich dazu gekommen wie die berühmte Jungfrau zum noch berühmteren Kind. Nein – nicht dass Sie das falsch verstehen: Mir ist weder der Heilige Geist erschienen, noch hat mich ein Blitz göttlicher Eingebung getroffen, und es war auch keine geisterhafte Stimme aus dem Radio oder die Tarotkarten meiner Frau, die mir die Idee zum Hexer eingeflüstert haben. Vielmehr waren es (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge) ein ziemlich verregneter Nachmittag, zwei oder drei Redakteure des Bastei-Verlages, die lieber mit einem nervigen Jung-Autoren essen gehen wollten, als besagten Nachmittag im Büro zu verbringen, der amerikanische Coverillustrator Les Edwards (der bis heute wahrscheinlich nichts von seiner Mitschuld an dem Grauen ahnt, das damals seinen Anfang nahm und nun schon gute zwanzig Jahre andauert), und Rolf Schmitz, der Chef besagter drei Redakteure, der dieses Mittagessen nur spendieren wollte, wenn dabei auch etwas rauskommt.
Michael, Michael, Michael (kein Scherz, die drei heißen wirklich so, was eine Unterhaltung mit ihnen manchmal ungemein kurzweilig gestalten kann) und mich interessierte zwar mehr die Speisekarte im Bergischen Löwen, und das einzige, was bei dem Essen rauskam, war eine Spesenrechnung, die so gepfeffert war wie das Steak, das ich mir geschnorrt hatte, und nach unserer Rückkehr in den Verlag die vorwurfsvollen Blicke der drei Ms, die sich wahrscheinlich fragten, an wem die Rechnung hängen bleiben würde, wenn sie am nächsten Morgen unverrichteter Dinge in der Redaktionskonferenz auftauchten. Immerhin hatten wir den hochoffiziellen Auftrag, eine neue Heftserie zu konzipieren.
Wohlgemerkt: irgendeine Heftserie.
Western? Nö, haben wir schon genug, meinte Michael. Science Fiction, wandte Michael ein, interessiert eh keinen, so lange nicht Perry Rhodan draufsteht, und Michael schließlich würgte meinen nächsten Vorschlag ab, noch bevor ich ihn überhaupt aussprechen und mich damit endgültig blamieren konnte: Nein, Horror habe zwar im Moment Hochkonjunktur, aber sie hatten schon genug Vampire, Werwölfe und Ghoule im Programm, und gegen John Sinclair anzustinken, ginge sowieso nicht. Recht sollte er behalten.
Einig waren die drei sich eigentlich nur darin, mich vorwurfsvoll anzusehen. Immerhin hatte ich nicht nur das meiste gegessen, sondern war auch (damals) der einzige Autor in der Runde.
Damals war ich noch der Meinung, dass Redakteure immer recht haben (heute weiß ich, dass das eigentlich nie der Fall ist. Sie bekommen immer recht, das ist ein Unterschied!) Also zermarterte ich mir verzweifelt das Hirn nach einem genialen Einfall.
Und in diesem Moment kam mir der Zufall zu Hilfe, und zwar in Gestalt eines Coverdias, das auf Michaels Schreibtisch lag und einen geheimnisvollen Mann mit altmodischer Kleidung und einer gezackten weißen Haarsträhne zeigte.
»Was ist denn das?«, fragte ich.
Michael hob nur die Schultern. »Haben wir angeboten gekriegt.«
»Ist ganz hübsch«, fügte Michael hinzu, und »… aber es passt nicht so richtig in unser Programm«, schloss Michael.
»Na, dann gebt es mir«, sagte ich (pure Verzweiflung), »und ich schreibe euch den passenden Roman dazu.«
»Dazu?«, krächzten die drei Ms unisono.
Aber warum denn nicht? Das wäre doch einmal etwas Neues: eine historische Abenteuerserie mit ganz leichtem phantastischem Einschlag und vielleicht einer Spur von Horror. Dazu ein wenig Plüsch und Mantel-und-Degen-Flair …
Ich weiß nicht, welcher der drei Michaels als erster das Zimmer verließ, aber ein bisschen blass wurden sie alle drei. Dennoch: Als ich eine Stunde danach ging, war zumindest die Grundidee für eine »etwas andere« Heftserie geboren.
Was daraus wurde?
Lesen Sie selbst …
Wolfgang Hohlbein
Der Tag war heiß gewesen, lang und klar und ungewöhnlich heiß, sodass selbst die an Hitze wahrlich gewöhnten Einwohner von Walnut Falls den Abend herbeisehnten, obwohl der Himmel, der jetzt seit Wochen schon von einem fast unanständigen Blau war, auch an diesem Abend keinen Regen versprach. Der letzte Regen war im April gefallen, irgendwann in den ersten Tagen dieses auch hier launischen Monats, und die letzte Wolke hatte sich vielleicht eine Woche später gezeigt; ein einsamer, weißer Tupfer auf einer Glocke aus blau angestrichener Hitze, die sich über das Land gestülpt hatte und jeden Tag ein bisschen tiefer sank.
Jetzt, am 9. Juli 1862, schien das blaue Dach aus trockener Wärme die mit graubraunen Holzschindeln gedeckten Dächer fast erreicht zu haben; es war, als müsse man nur die Hand ausstrecken, um es zu berühren. Selbst dem Staub, der normalerweise an einem Tag wie diesem in einer unbewegten, vor Hitze zu unsichtbarem Sirup geronnenen Luft nahezu reglos schwebte, schien es zu heiß zu sein, sodass er es vorgezogen hatte, sich in Spalten und Winkeln zu verkriechen, denn die Luft war ungewöhnlich klar, und der Blick reichte ungehindert von einem Ende der Stadt zum anderen – und noch weit darüber hinaus, bis hinab zu dem halb ausgetrockneten Band des Flusses und dem kleinen Wald, dem die Stadt ihren Namen verdankte. Was allerdings nicht viel besagte, denn Walnut Falls bestand nur aus einer einzigen, nicht unbedingt lang zu nennenden Straße, an der sich wenig mehr als drei, kaum vier Dutzend Häuser drängten, dicht an dicht und ausnahmslos klein und gedrungen gebaut, trotz der schier endlosen Weite des sie umgebenden Landes. Oder vielleicht gerade wegen ihr.
Dem Mann, der in den frühen Nachmittagsstunden dieses 9. Juli aus der Postkutsche stieg, kamen diese Häuser zumindest so vor: viel weniger wie die Wohnstätten von Menschen, als mehr wie eine Herde sonderbar eckiger, braunweißer Tiere, die sich angstvoll zusammengedrängt hatten, als fürchteten sie, sich in der Weite Colorados zu verlieren. Es gab auch einige Ausbrecher aus dieser Herde: ein halbes Dutzend besonders mutiger – oder besonders dummer – Haustiere, die der Stadt am anderen Ende der Straße ein Stück vorausgeeilt waren und nun sonderbar verloren inmitten säuberlich abgesteckter brauner Rechtecke standen, wo drei Monate erbarmungslosen Colorado-Sommers auch den letzten Grashalm weggebrannt hatten.
Aber vielleicht war er auch nur müde, und vielleicht – wahrscheinlich – war Walnut Falls nichts als eine ganz normale Stadt, die ganz genau so aussah, wie ihr Name suggeriert. Klein, unwichtig, ein wenig zurückgeblieben – was seine Einwohner mit dem Wort konservativ und Poeten mit dem Begriff verträumt kaschiert hätten – und von drei Monaten Hitze gebeutelt. Und der Tag war anstrengend gewesen. Auf der Landkarte sah die Entfernung zwischen Denver und Walnut Falls harmlos aus, drei Fingerbreiten und ein Stückchen, und mehr als die Hälfte davon sogar von einer Eisenbahnlinie erschlossen. In Wahrheit war er vor Sonnenaufgang aufgebrochen, hatte in mehr als vier Stunden weniger als dreißig Meilen mit der Union Pacific zurückgelegt und war anschließend in diese Kutsche gestiegen, um sich weitere drei oder vier Stunden auf Straßen durchschütteln zu lassen, die diesen Namen nicht verdienten.
Dies alles wäre allein vielleicht noch zu ertragen gewesen; in Begleitung eines nicht einmal dreijährigen und noch dazu kranken Kindes war es eine Tortur. Nein – er war nicht in der Verfassung, über diesen Ort – oder irgendeinen – zu urteilen. Und deshalb war er auch nicht hergekommen; weiß Gott nicht.
»Sir?« Die Stimme des Fahrers klang gleichzeitig geduldig wie nervös, und auf jene unnachahmliche Art drängend, der normalerweise nur Oberkellner in teuren Restaurants oder Empfangschefs gehobener Hotels fähig sind. Er sah nicht aus wie eines von beiden und war es auch nicht, und sein Auftreten und Benehmen war normalerweise wohl auch das eines Postkutschenfahrers. Aber die Erinnerung an das großzügige Trinkgeld, das sein Fahrgast gegeben hatte, ließ ihn ein gutes Stück freundlicher werden als sonst. »Wollen Sie nun aussteigen oder nicht? Ich muss meinen Fahrplan einhalten.«
Der Mann in dem braunen Maßanzug drehte sich herum, blinzelte einen Moment gegen die Sonne und bedeckte die Augen mit der rechten Hand, während die andere, mit drei Fingern noch immer den gedrechselten Spazierstock haltend, unter die Jacke und in seine Westentasche glitt. »Schon«, sagte er. »Aber ich gedenke nicht hier zu bleiben. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn sie einige Minuten auf mich warten könnten.«
»Warten?« Gegen das grelle Gegenlicht der Sonne war das Gesicht des Kutschers nicht zu erkennen, aber sein Fahrgast spürte sehr deutlich den Widerstreit zwischen Pflichtbewusstsein und Gier, den er einen Moment durchlitt. »Ich liege fast eine Stunde hinter dem Fahrplan zurück, und …«
Die Hand tauchte wieder aus der Westentasche auf, und das Blitzen des Zehn-Dollar-Goldstückes darin nahm dem Fahrer die Entscheidung ab. Hastig beugte er sich vor, ließ das Goldstück in den Tiefen seiner schmuddeligen Jacke verschwinden und deutete mit einer Kopfbewegung auf ein zweistöckiges Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite, über dessen Eingang ein lieblos gemaltes Schild behauptete, es handele sich um einen SALOON. »Ich warte dort drüben, Sir«, sagte er. »Aber – bitte: nicht zu lange. Ich bekomme Ärger, wenn ich den Fahrplan nicht einhalte.«
Der Mann mit dem kurzgeschnittenen schwarzen Vollbart nickte. Es lag nicht in seiner Absicht, dem Fahrer Ärger zu bereiten. Und es lag auch nicht in seiner Absicht, länger als unbedingt nötig in dieser Stadt zu bleiben. Es hatte ihn große Überwindung gekostet, überhaupt hierherzukommen. Und für einen kurzen Moment war er nahe daran, auf der Stelle wieder in den Wagen zu steigen und dem Fahrer zu sagen, dass er davonrasen sollte, so schnell er nur konnte.
Aber dann drehte er sich stattdessen mit fast übertrieben ruhigen Bewegungen um, öffnete den Wagenschlag ein zweites Mal und hob einen kleinen Jungen aus der Kutsche. Der Knabe schlief, öffnete aber träge ein Auge, als sich der Mann umwandte und die Straße hinunterzugehen begann, und fragte hoffnungsvoll: »Da, Daddy?«
»Ja, Bob, wir sind da«, antwortete der Mann lächelnd. »Gleich sind wir da. Nur noch ein paar Schritte, bis zu diesem Haus dort – siehst du?« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf ein kleines, weißgestrichenes Holzhaus, das ein Stück von der Straße zurückgesetzt lag. »Willst du laufen?«
»Laufen«, bestätigte Bob und begann unruhig zu strampeln. Sein Vater setzte ihn ab, glättete ihm flüchtig das Haar und griff nach seiner Hand. Der Junge war groß für sein Alter, aber ein wenig zu pummelig, sodass er Mühe hatte, mit den Schritten seines Vaters mitzuhalten, obgleich dieser sehr langsam ging. Die lange Fahrt und die unerträgliche Hitze im Inneren der Kutsche hatten ihn erschöpft, und das Chinin, das er am Morgen bekommen hatte, hatte das Fieber nicht vollends vertreiben können. Seine Haut fühlte sich auf sonderbare Weise gleichzeitig heiß und eiskalt an; seine Finger waren feucht und zitterten fast unmerklich. Aber er ging tapfer neben seinem Vater her und ließ nicht den geringsten Klagelaut hören.
Der Mann wurde sich schmerzhaft der Tatsache bewusst, dass sie auffallen mussten; er in seinem maßgeschneiderten Zweihundert-Dollar-Anzug und der Junge in der fransenbesetzten Westerntracht, die er für ihn erstanden hatte. In Denver hatte niemand von ihnen Notiz genommen, aber in einer Stadt wie Walnut Falls konnte kein Fremder unbemerkt bleiben. Obgleich die Hitze jedes lebende Wesen von der Straße getrieben hatte, zweifelte er nicht daran, dass sie von Dutzenden neugieriger Augenpaare angestarrt wurden.
Er vertrieb den Gedanken und konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung. Er war ein wenig enttäuscht. Er war niemals hiergewesen, und trotzdem war ihm die Stadt nicht fremd; genau genommen kannte er sich hier beinahe so gut aus wie jemand, der hier gelebt hätte. Maude Cravens Briefe waren sehr detailliert gewesen. Trotzdem war er enttäuscht, auf eine Art, die er selbst nicht in Worte fassen konnte. Er hatte sich alles … nun, irgendwie anders vorgestellt. Vielleicht ein wenig freundlicher.
Er verscheuchte auch diesen Gedanken. Es war zu spät, und vermutlich tat er dieser braven kleinen Stadt und ihren mit Sicherheit gottesfürchtigen Einwohnern bitter Unrecht. In seiner augenblicklichen Verfassung wäre ihm auch das Capitol schäbig vorgekommen.
Sie hatten das Haus erreicht, das hinter den Gräbern verbrannter Blumenrabatten lag, und der Mann hob die Hand, zögerte aber noch einen Moment zu klopfen. Noch einmal – und sehr viel heftiger als zuvor – musste er gegen das intensive Verlangen ankämpfen, seinen Sohn zu nehmen und einfach wegzulaufen, so schnell und so weit er konnte. Aber er war fortgelaufen, die drei Jahre, die seit der Geburt seines Sohnes vergangen waren, und die zehn Jahre zuvor. Wenn es jemanden gab, der wusste, wie sinnlos es war, fortlaufen zu wollen, dann ihn.
Er klopfte. Hinter dem Fenster neben der Tür bewegte sich ein Schatten, und einen Augenblick später drangen Schritte durch das dünne Holz. Ein Riegel schnappte hörbar zurück, dann wurde die Tür geöffnet, und eine vielleicht vierzigjährige, sehr schlanke Frau blinzelte in die gleißende Nachmittagssonne hinaus. Ihr Gesicht war schmal und ein wenig zu streng geschnitten, und in ihrem Haar machten sich bereits die ersten grauen Strähnen bemerkbar. Sie war sehr einfach gekleidet: in ein graues, lose fallendes Kleid, über dem sie eine nicht mehr ganz saubere Schürze trug. Ihre Hände waren gepflegt, verrieten aber trotzdem die schwere Arbeit, die sie tagtäglich verrichten mussten, und ihre Augen blickten den hochgewachsenen Fremden mit dem instinktiven Misstrauen an, das Menschen eigen wird, die ein wenig zu oft vom Schicksal betrogen worden sind. Dies alles registrierte der Mann mit einem einzigen, raschen Blick, denn er hatte gelernt, sein Gegenüber in der allerersten Sekunde erkennen und einschätzen zu können. Innerlich atmete er auf. Maude Craven war das genaue Gegenteil der Stadt: Sie entsprach zu hundert Prozent dem Bild, das er sich von ihr gemacht hatte.
»Miss Craven?«, fragte er.
Die Frau nickte, öffnete die Tür aber nicht weiter, sondern sah den Fremden nur durchdringend an. Dann erfasste ihr Blick den Knaben an seiner Hand, und für einen Moment malte sich eine Mischung aus Freude und Überraschung auf ihren Zügen ab.
»Sie sind …?«
»Montague«, sagte der Mann. »Roderick Montague. Dürfen wir eintreten?«
»Aber natürlich.« Maude Craven trat hastig einen Schritt zurück, wobei sie die Tür mit sich zog, schüttelte verstört den Kopf und versuchte sich in ein Lächeln zu retten. »Ich … habe Sie erst in einer Woche erwartet«, sagte sie.
Montague antwortete nicht gleich, sondern trat mit einem raschen Schritt an ihr vorüber ins Haus, nahm seinen Sohn nun doch auf den Arm und wartete, bis Miss Craven die Tür wieder geschlossen hatte. Für einen Moment wurde sie zu einem blassen Schatten mit verschwimmenden Rändern, denn seine Augen hatten sich an das gleißende Weiß der Sonne gewöhnt, während hier im Haus hinter zugezogenen Vorhängen ein behagliches Halbdunkel herrschte. Die dünnen Wände vermochten der Hitze nicht standzuhalten, aber nach der stundenlangen Fahrt in der Kutsche kam ihm das Haus trotzdem beinahe kühl vor.
»Ist das …« Maude Craven trat auf ihn zu und streckte die Hände nach dem Jungen aus. »… Robert?« Montague war sicher, dass sie es nicht bewusst tat, aber auf ihren Zügen erschien sofort ein sehr mütterliches Lächeln, und in ihren Augen lag mit einem Male die gleiche Wärme, die er stets in ihren Briefen gefühlt hatte. Er nickte.
»Das ist Bob«, sagte er, schenkte dem Knaben ein flüchtiges, sehr müdes Lächeln und deutete mit einer Kopfbewegung auf Miss Craven. »Und das, Bob, ist Tante Maude. Willst du zu ihr?« Er machte Anstalten, den Jungen in die ausgebreiteten Hände Maudes zu geben, aber Robert drehte mit einem Ruck den Kopf weg und begann unwillig mit den Beinen zu strampeln.
»Will nicht«, sagte er heftig. »Bob müde. Und Bob Durst.«
»Nehmen Sie es ihm nicht übel«, sagte Montague rasch, als er die Enttäuschung auf Maudes Zügen bemerkte. »Die Fahrt war sehr anstrengend. Wir sind seit Sonnenaufgang unterwegs. Wenn ich ihn irgendwo hinlegen kann …?«
»Aber natürlich. Hier entlang, bitte.« Maude öffnete eine der beiden Türen in der rechten Seite des Zimmers, hinter der ein kleines, aber sehr behaglich ausgestattetes Schlafzimmer lag. Montague trug den Jungen zum Bett, setzte ihn behutsam ab und begann sein Hemd aufzuknöpfen, während Maude Craven für einen Moment verschwand. Als sie zurückkam, trug sie ein großes Glas Milch in der Rechten. Aber obgleich der Junge vor Durst schier umkommen musste, griff er nicht danach, sondern musterte sie nur voller Misstrauen und zog einen Schmollmund. Dann sah er seinen Vater an. In seinen Augen war ein leichter, fiebriger Glanz.
»Trink ruhig«, sagte Montague. »Und danach schläfst du ein bisschen, einverstanden? Wenn du dich ausgeruht hast, wird dir Tante Maude eine Menge spannender Sachen zeigen. Nicht wahr?«
Die letzten beiden Worte galten Miss Craven, die um das Bett herumgegangen war und sich auf der gegenüberliegenden Kante niedergelassen hatte. Sie wirkte ein wenig hilflos, mit dem Milchglas in der Rechten und der schmuddeligen Schürze, die ihre freie Hand unbewusst zerknüllte. Montague spürte ihre Nervosität. Aber es war reine Verwirrung, die sie unsicher werden ließ, nicht die Nervosität, hinter der sich irgendeine Art von Schuldbewusstsein verbarg. Sie waren vier Tage zu früh gekommen, und nun wusste sie ganz offensichtlich nicht, wie sie reagieren sollte.
Genau dies war der Grund, aus dem er vor dem verabredeten Zeitpunkt hergekommen war. Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit, einen Menschen wirklich kennen zu lernen, als ihn zu überraschen.
»Vielleicht lassen sie uns einen Augenblick allein, Miss Craven«, bat Montague. »Robert ist erschöpft. Ich denke, er wird gleich einschlafen. Danach können wir reden.«
Maude Craven wirkte von diesem Vorschlag nicht sehr erbaut, und sie gab sich keine Mühe, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Trotzdem sagte sie kein Wort, sondern setzte das Milchglas fast behutsam auf einem kleinen Tischchen neben dem Bett ab, wandte sich um und verließ den Raum. Montague wartete, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Erst dann drehte er sich wieder zu seinem Sohn um und lächelte. »Du darfst nicht böse zu Tante Maude sein«, sagte er sanft. »Sie mag Kinder sehr, musst du wissen. Und dich ganz besonders.«
Robert zog eine Grimasse. »Bob mag sie nicht«, sagte er. »Bob will gehen.«
Montague schwieg. Seine Lippen pressten sich zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen, als er die Hand hob und die Stirn seines Sohnes berührte. Roberts Haut fühlte sich heiß an und rau, wie warmes Sandpapier. Montague fühlte das Fieber, das in den Adern des Dreijährigen wühlte. Er atmete tief und hörbar. Es hörte sich an wie ein fast lautloser Schrei. Nicht zum ersten Mal in den vergangenen Tagen kam Montague mit schmerzhafter Wucht zu Bewusstsein, wie ähnlich der Junge seiner Mutter war.
Er vertrieb den Gedanken. »Ich … ich werde jetzt etwas tun, mein Sohn«, sagte er. Seine Stimme zitterte. Etwas war darin, was der Junge noch nicht verstehen konnte. Aber er spürte es, mit der Sensibilität, die nur Kindern zu eigen ist, denn in seinen vom Fieber getrübten Augen glomm jäher Schrecken auf. Seine kleine Hand umklammerte die Finger seines Vaters mit aller Kraft. »Irgendwann wirst du mich für das hassen, was ich tun muss«, fuhr Montague fort. »Aber vielleicht wirst du irgendwann auch verstehen, warum ich es tat.« Plötzlich war seine Stimme wirklich nur noch ein Flüstern. »Es ist der einzige Ausweg, Robert. Du musst leben.«
»Daddy traurig?«, fragte Robert.
Montague nickte. Eine einzelne, heiße Träne lief aus seinem Augenwinkel, zeichnete eine glitzernde Spur über seine Wange und versickerte in seinem Bart. »Ja, Bob«, antwortete er mühsam. »Dein Daddy ist sehr traurig. Verzeih mir, mein Sohn. Und nun schlaf ein.«
Der Junge schlief ein. Seine Augen schlossen sich, seine Glieder wurden schwer und schlaff, und sein Atem, gerade noch schnell und unregelmäßig, ging von einer Sekunde auf die andere tief und ruhig. Selbst Montague, der diesen Vorgang tausendmal miterlebt – und bewirkt! – hatte, konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, denn das Kind glitt so schnell vom Wachsein in den Schlaf hinüber, dass es fast wie ein Sterben wirkte.
Lange, sehr lange saß er einfach so da und blickte auf das bleiche Gesicht seines Sohnes herab. Es würde für lange Zeit das letzte Mal sein, dass er es sah; vielleicht für immer.
Dann, nach einer Ewigkeit, hob er zum zweiten Male die Hand und berührte die Stirn des schlafenden Kindes, aber diesmal nicht, um ihn zu streicheln oder einfach seine Nähe zu fühlen, sondern um etwas zu tun, wofür er sich selbst den Rest seines Lebens hassen würde. Sein Mittelfinger suchte und fand die Stelle genau über der Nasenwurzel des Kindes, während sich Zeige- und Ringfinger auf seine geschlossenen Lider senkten. Für einen Moment schloss er die Augen. Als er sprach, klang seine Stimme sehr leise und monoton, und trotzdem von suggestiver Kraft erfüllt.
»Du wirst jetzt schlafen, Bob«, sagte er. »Du wirst lange und tief schlafen, und wenn du erwachst, wirst du mich vergessen haben. Du wirst dich an nichts mehr erinnern, was bis heute geschehen ist. Dein Name ist Robert Craven, und du lebst bei deiner Tante, solange du denken kannst. Du hast mich niemals gesehen. Du hast den Namen ›Andara‹ niemals gehört.« Er zog die Hand zurück, ballte sie zur Faust, so fest, dass sie zu zittern begann und die Knöchel wie kleine Narben durch die Haut stachen. »Und wenn wir uns irgendwann wiedersehen sollten, mein Sohn«, flüsterte er, »dann hoffe ich, dass du mir vergeben kannst.«
Einen Moment lang blickte er noch auf seinen schlafenden Sohn herab, fast, als warte er darauf, dass er die Augen aufschlug und ihm antwortete. Eine sonderbare, grausam tiefe Kälte erfüllte ihn, das Gefühl sich besudelt, etwas unbeschreiblich Verachtenswertes getan zu haben, und gleichzeitig eine ebenso tiefe und ebenso schmerzende Liebe zu seinem Sohn, der bis zum nächsten Morgen durchschlafen und dann aufwachen würde, ohne zu wissen, dass er jemals einen Vater gehabt hatte. Es gab einen Teil in ihm, der ihm zuflüsterte, dass es sein musste, dass er keine andere Wahl hatte und dass dies der einzige Weg war, das Leben seines Kindes zu retten. Aber es gab auch noch eine andere Stimme, und sie schrie mit der Lautstärke einer Liebe, die auf Logik und klares Denken pfiff. In gewissem Sinne, dachte dieser andere, hysterische Teil von ihm, hatte er seinen Sohn ermordet. Er würde erwachen und das Fieber überwinden und gesund sein und erwachsen werden und – vielleicht – sogar glücklich, aber das Kind, das am nächsten Morgen aus diesem Bett aufstehen würde, war nicht mehr Robert Andara, sein Sohn, sondern Robert Craven, ein Fremder. Sein suggestiver Befehl hatte alles getötet, was an diesem Kind sein gewesen war. Aber es würde leben.
Montague/Andara stand auf, drehte sich mit einem Ruck herum und verließ das Zimmer, ohne auch noch ein einziges Mal zurückzublicken. Er wusste, dass er seinen Sohn nehmen und mit ihm davonlaufen würde, würde er es tun.
Und ihn damit umbringen.
Aber sein Gesicht war unbewegt wie immer, als er die Tür hinter sich zuzog. Niemand, der ihn nicht ganz genau gekannt hätte, hätte den Taifun einander widerstrebender Gefühle bemerkt, der hinter seiner Stirn tobte.
Maude Craven stand am Fenster und blickte auf die Straße hinaus, als er aus dem Schlafzimmer kam, drehte sich jedoch mit einer fast erschrockenen Bewegung herum und trat einen Schritt auf ihn zu.
»Er schläft jetzt«, sagte Montague. »Ich … habe ihm etwas gegeben, damit er bis zum nächsten Morgen durchschlafen kann. Das Beste wird sein, sie lassen ihn ganz in Ruhe.«
Das unmerkliche Stocken in seinen Worten war Miss Craven nicht entgangen, und wieder blitzte ein kurzes, misstrauisches Funkeln in ihren Augen auf. »Etwas gegeben?«, wiederholte sie. »Ist er denn krank?«
»Ein wenig Fieber«, gestand Montague und fügte hastig hinzu: »Aber nichts Ernsthaftes. Wir waren in letzter Zeit viel unterwegs. Ich fürchte, ein wenig zu viel für einen dreijährigen Jungen.« Er lächelte beruhigend. »Ein paar Tage Ruhe, und er ist wieder auf den Beinen.«
Zu seiner eigenen Überraschung ging Maude Craven nicht weiter auf das Thema ein, sondern blickte ihn nur noch eine Sekunde lang zweifelnd an; dann schüttelte sie den Kopf, deutete ein Achselzucken an und wies auf einen Stuhl. »Nehmen Sie Platz, Mister Montague. Ich werde Ihnen etwas Kaltes zu Trinken besorgen.« Sie lächelte entschuldigend. »Allerdings kann ich nur mit Milch oder Orangenlimonade dienen. Wenn Sie an stärkere Sachen gewöhnt sind, muss ich Sie enttäuschen.«
Der Mann, der sich selbst Roderick Montague nannte und in Wahrheit Roderick Andara hieß, lächelte flüchtig, wurde jedoch sofort wieder ernst. Er schüttelte ablehnend den Kopf. Er machte auch keine Anstalten, der Einladung zu folgen und sich zu setzen. »Ich fürchte, ich werde nicht lange genug bleiben können, um Ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, Miss Craven«, sagte er.
Diesmal dauerte es volle fünf Sekunden, bis Maude verstand, was er mit seinen Worten ausdrücken wollte. Irgend etwas geschah mit ihr, was Montague nicht in Worte fassen konnte – aber er glaubte regelrecht zu sehen, wie sie innerlich zu Eis erstarrte. »Sie … Sie wollen –«
»Ich muss sofort weiterreisen«, unterbrach sie Montague. »Die Kutsche wartet. Ich kann nicht bleiben. Nicht einmal auf einen Kaffee oder ein Glas Limonade. Es tut mir leid, aber ich habe keine Wahl.«
»Das meinen Sie nicht ernst«, sagte Maude stockend. »Sie … Sie kommen hierher, um mir Ihren Sohn anzuvertrauen, vielleicht für Jahre, und –«
»Vielleicht für sehr viele Jahre«, sagte Montague leise. »Es ist möglich, dass Sie mich niemals wiedersehen, Miss Craven.«
Maude starrte ihn an. Sie war bleich geworden, und ihre Augen waren weit vor Unglauben und … Angst? Ja, es war zumindest etwas Ähnliches wie Angst, was er in ihrem Blick las. Etwas, was vielleicht schlimmer war: Verachtung. Wie gut er diesen Blick doch kannte.
»Ich glaube es einfach nicht«, sagte Maude schließlich. »Sie kommen hierher, legen Ihr Kind in mein Bett und erzählen mir, dass sie sang- und klanglos zu verschwinden gedenken? Das kann nicht Ihr Ernst sein, Mister Montague!«
»Es gibt nichts mehr, was wir bereden müssten, Miss Craven«, antwortete Montague ruhig. »Alles, was Sie über mich wissen mussten, stand in meinen Briefen. Und alles, was ich über Sie in Erfahrung bringen wollte, stand in den Ihren. Und ich versichere Ihnen, dass ich mir die Person, der ich das Leben meines Sohnes anvertraue, sehr gründlich ausgesucht habe. Ich kenne Sie, auch wenn wir uns niemals zuvor persönlich begegnet sind, und Sie für Ihren Teil müssen nichts über mich wissen. Die finanzielle Seite unseres Abkommens ist zu Ihrer Zufriedenheit geregelt, nehme ich an?«
Die Verachtung in Maude Cravens Blick wurde zu Abscheu, während ihre Miene zu Eis zu erstarren schien. »Ich habe Ihren so genannten Vertrag bekommen, wenn es das ist, was Sie meinen, Mister Montague«, sagte sie kalt. »Aber es geht hier nicht um Geld.« Sie wies mit einer wütenden Geste auf die geschlossene Schlafzimmertür. »Das dort drinnen ist kein Möbelstück, für dessen Aufbewahrung Sie mir Miete zahlen, sondern Ihr Sohn. Was soll ich ihm erzählen, wenn er in einer Stunde aufwacht und mich fragt, wo sein Vater ist?«
»Nichts«, antwortete Montague ruhig. »Er wird nicht fragen. Er wird sich nicht einmal erinnern, dass ich ihn hergebracht habe, Miss Craven, glauben Sie mir. Und es wäre das Beste, wenn auch Sie es vergessen würden.«
»Aber … aber ich habe gedacht, Sie würden bleiben«, sagte Maude, plötzlich eher verstört und hilflos als zornig. »Ein paar Tage wenigstens, eine Woche. Ich … ich brauche Zeit, mich mit ihm bekannt zu machen. Ich weiß nichts über Robert. Ich muss …« Sie brach ab, begann mit den Händen zu ringen und starrte abwechselnd Montague und die Tür hinter ihm an. Auf ihrem Gesicht lieferten sich Zorn und Hilflosigkeit einen stummen Kampf.
Roderick Montague seufzte, schüttelte fast unmerklich den Kopf und zog einen großformatigen, säuberlich in der Mitte gefalteten Briefumschlag aus der Innentasche seines Jacketts. »Miss Craven«, sagte er geduldig. »Wir stehen seit mehr als einem Jahr in brieflichem Kontakt miteinander. Ich habe Ihnen alles geschrieben, was Sie über Robert wissen müssen, und ein paar Dinge nicht, die Sie besser nicht wissen sollten. Aber außer mir selbst gibt es wohl niemanden, der so viel über meinen Sohn weiß wie Sie.«
»Aber darum geht es doch gar nicht!«, protestierte Maude. »Trotzdem –«
»Trotzdem«, fuhr Montague unbeirrt fort, »habe ich noch einmal alles Wichtige in Stichpunkten zusammengefasst und hier aufgeschrieben.« Er streckte die Hand aus, wartete einen Moment und legte den Briefumschlag schließlich auf den Tisch, als Miss Craven keinerlei Anstalten machte, danach zu greifen. »Außerdem enthält der Umschlag noch eine gewisse Summe, die Sie als Bonus für die Umstände unseres frühzeitigen Eintreffens betrachten sollten.«
»Sie reden ein bisschen zu viel von Geld, Mister Montague«, sagte Maude kalt. »Zum Teufel, was denken Sie, tun wir hier? Wollen Sie mir Ihren Sohn verkaufen?«
»In gewissem Sinne schon«, antwortete Montague. »Sie wissen, warum ich es tue. Bobs Mutter ist tot, und ich selbst führe ein Leben, das ein Kind auf Dauer nicht durchhalten kann. Der Junge braucht ein Zuhause, in dem er sich wohlfühlt, und da ist ein einfaches Haus wie das Ihre immer noch besser als fünfzig verschiedene Hotels und Schiffskabinen im Jahr. Wenn Sie so wollen, ist es wirklich nur ein Geschäft: Ich bezahle Sie, damit Sie ihm geben, was ich ihm für mein Geld nicht kaufen kann.«
»Oh«, sagte Maude böse. »So einfach ist das, wie?« Sie kam einen Schritt näher und starrte Montague herausfordernd an. »Oder ist er Ihnen vielleicht einfach nur lästig? Ich habe geglaubt, Sie zu kennen, Mister Montague. Nach Ihren Briefen erwartete ich, einen warmherzigen, guten Menschen zu treffen, der eine Mutter für seinen Sohn sucht. Aber jetzt scheint mir, dass ich mich getäuscht habe. Möglicherweise sind Sie nichts als ein Lebemann, für den ein Kind nur ein Klotz am Bein darstellt.«
»Was haben Sie erwartet, Miss Craven?«, fragte Montague kalt. »Dass ich Sie heirate?« Er lachte, sehr leise und ganz bewusst sehr verletzend.
Maude erbleichte. Ihre Lippen begannen zu zittern. »Ich hätte gute Lust, Sie auf der Stelle hinauszuwerfen«, flüsterte sie erregt.
»Nur zu«, antwortete Montague gelassen. »Sie können jederzeit von unserer Abmachung zurücktreten. Allerdings«, fügte er gleichmütig hinzu, »müsste ich dann meine Anwälte beauftragen, die bereits geleistete Vorauszahlung zurückzufordern.« Er machte eine weit ausholende Bewegung mit seinem Stock. »Wenn ich mich nicht täusche, haben Sie den Großteil des Gelds verwendet, dieses Haus zu kaufen und zu renovieren, nicht wahr? Sie dürften gewisse … Schwierigkeiten haben, die Summe aufzubringen.«
»Hinaus!«, flüsterte Maude. »Verlassen Sie auf der Stelle mein Haus, Mister Montague!«
Montague lächelte. »Allein? Oder zusammen mit Robert?«
»Verschwinden Sie!« Maudes Gesicht flammte vor Zorn. »Scheren Sie sich auf der Stelle hinaus, Sie widerlicher Mensch! Ich will Sie niemals wiedersehen. Und …« sie atmete mühsam ein »… Sie können sich die Mühe sparen, Ihrem Sohn zu schreiben. Ich werde ihm die Briefe nicht vorlesen.«
»Das hatte ich ohnehin nicht vor«, antwortete Montague ruhig. »Auf Wiedersehen, Miss Craven.« Er deutete ein Nicken an, strich sich mit einer bewusst affektierten Geste über das Jackett und ging zur Tür, blieb jedoch noch einmal stehen und wandte sich halb um. »Noch etwas«, sagte er. »Ich habe veranlasst, dass sie von Zeit zu Zeit von einem Mitarbeiter von Pinkertons besucht werden. Sollten größere Probleme auftreten – eine teure ärztliche Behandlung etwa oder die Frage nach einer Hochschule –, wird er alles Notwendige veranlassen.« Und damit ging er; so schnell, dass es einer Flucht gleichkam.
Und mehr war es ja auch nicht.
Den dunkel gekleideten Fremden, der im Schatten einer schmalen Lücke zwischen den beiden gegenüberliegenden Häusern stand und ihn beobachtete, bemerkte er nicht.
Er registrierte auch nicht die verwunderten Blicke, die ihm nachgeworfen wurden, als er an der offen stehenden Tür des General-Stores vorbeistürmte, oder das ärgerliche Stirnrunzeln des zerlumpten Burschen, den er fast über den Haufen gerannt hätte, als er die Schwingtüren des Saloons aufstieß und auf die Bar zustürmte. Und wenn, wären sie ihm gleich gewesen. Er wollte fort hier, nur noch fort.
Der Postkutschenfahrer sah von seinem Bier auf, als er seine Schritte hörte. Ein Lächeln erschien in seinen Augen und erlosch sofort wieder, als er den Ausdruck auf den Zügen seines Fahrgastes sah. »Ist etwas passiert, Sir?«, fragt er.
Andara schüttelte den Kopf. »Es ist alles in Ordnung. Haben Sie ausgetrunken?«
»Nein«, antwortete der Mann. »Aber das macht nichts. Wir können sofort weiter.« Er schob das nur zu einem Drittel geleerte Bierglas über die Theke zurück, legte einen zerschrammten Dirne daneben und langte nach seinem Hut, den er neben sich auf den Barhocker gelegt hatte. »Ist Ihr Sohn schon im Wagen?«
Andara zögerte einen ganz kurzen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, antwortete er. »Er wird … nicht mitkommen.«
Der Kutscher blickte ihn fast erschrocken an. Die Hand, die den Hut keck in seinen Nacken geschoben hatte, erstarrte für einen winzigen Moment, und plötzlich trat ein sonderbares Verstehen in seinen Blick. Er lächelte noch immer, aber es wirkte jetzt traurig. Nein, nicht traurig, korrigierte sich Andara. Mitfühlend. Sonderbarerweise erfüllte ihn dieser Gedanke mit einer tiefen, wohltuenden Wärme. Es war so lange her, dass er echte menschliche Gefühle gespürt hatte, dass ihm selbst die flüchtige Teilnahme eines Wildfremden wichtig erschien.
Aber er sagte kein Wort, sondern wartete nur, bis der Mann an ihm vorbeigegangen war. Dann folgte er ihm aus dem Saloon und zu der wartenden Kutsche.
Die Hitze, die sich in der winzigen Fahrgastkabine gestaut hatte, traf ihn wie ein Fausthieb, als er die Tür hinter sich zuzog. Eine Peitsche knallte, dann begann der Wagen unsanft zu schaukeln und beben, als der Kutscher die Tiere auf der viel zu engen Straße wenden ließ. Anders als bei ihrem Eintreffen waren nun doch Menschen auf der Straße: ein alter Neger, der, auf einen knotigen Stock gestützt, im Schatten dahinschlurfte, zwei schwitzende junge Männer, die ihren Wagen vor dem Store geparkt hatten und eine Anzahl prall gefüllter grauer Leinensäcke entluden, eine Frau im schwarzen Kleid, die ein Kind an der Hand führte. Einen Jungen mit kurzen Hosen und blondem Haar, nicht sehr viel älter als Bob.
Bob.
Andara schluckte mühsam. Ein bitterer Geschmack lag auf seiner Zunge. Seine Augen brannten und fühlten sich geschwollen an. Für einen Moment wünschte er sich, weinen zu können.
Er hatte gewusst, dass es schlimm sein würde. Aber er hatte nicht gewusst, wie schlimm. Es war fast wie damals, als Jenny starb – nein: schlimmer. Damals war der Schmerz entsetzlich gewesen, so entsetzlich, dass ihm selbst der Tod als eine Erlösung erschienen war und er ihr vielleicht freiwillig gefolgt wäre, wäre Bob nicht dagewesen. Aber zwei Dinge waren anders: Damals war Bob dagewesen, und obwohl er nichts als ein wenige Wochen altes schreiendes Bündel gewesen war, das ihn sich hilflos und plump vorkommen ließ und zu dem er keine wirkliche Beziehung zu haben glaubte, hatte er seinem Leben doch noch einen Sinn gegeben. Und damals hatte er nichts tun können. Jennys Tod hatte ihn getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel, so überraschend und mit so fürchterlicher Wucht, aber es war nicht seine Schuld gewesen. Jetzt war Bob nicht mehr da, und was er ihm angetan hatte, unterschied sich allenfalls in juristischer Hinsicht von Mord. Bob – der Bob, den er aufgezogen und lieben gelernt hatte wie nichts anderes auf der Welt – war nicht mehr da. Er hatte ihn zerstört.
Der Wagen hatte gewendet und setzte sich mit einem unnötig harten Ruck in Bewegung. Unter den Hufen der Pferde und den eisenbeschlagenen Rädern wirbelte trockener brauner Staub auf, als sie die Hauptstraße hinunterzurollen begannen. Andara beugte sich vor und schloss das Fenster, obwohl es dadurch noch heißer in der Kutsche zu werden schien. Er vermied es absichtlich zurückzublicken, obwohl die Straße gerade wie mit einem Lineal gezogen verlief und dazu noch hügelaufwärts, sodass er Maude Cravens Haus noch eine ganze Weile hätte sehen können. Er dachte daran, was ihm sein Lehrmeister vor so langer Zeit einmal gesagt hatte: Sorge dafür, dass sie dich hinauswirft, wenn du ihr den Abschied erleichtern willst. Andara lächelte; sehr dünn, sehr flüchtig und sehr bitter. Oh ja, er hatte ihr den Abschied erleichtert, und wahrscheinlich würde sie ihn hassen oder, schlimmer noch, verachten, und beides hatte er gewollt, aber er hatte nicht gewusst, wie weh es tun würde. Einen Moment – einen ganz kurzen Moment nur dachte er an Selbstmord, sehr sachlich und sehr ernst. Aber er verscheuchte den Gedanken, ehe dieser sich weit genug einnisten konnte, um gefährlich zu werden, zog stattdessen die Vorhänge vor den Fenstern zu und lehnte sich auf den zerschlissenen Polstern zurück. Er hatte fast zwei Stunden, ehe sie den nächsten Bahnhof erreichten und er den Zug nehmen konnte, der ihn nach Denver zurückbrachte; wenn der Kutscher die verlorene Zeit wenigstens halbwegs wieder aufholte und die UNION PACIFIC seine Pläne nicht vereitelte, indem sie zum ersten Mal ihren eigenen Fahrplan einhielt.
Der Wagen hatte die Abzweigung zur Hauptstraße erreicht, die keinen Deut besser, aber wenigstens etwas breiter war als der schmale Weg, der nach Walnut Falls hinunterführte, und der Kutscher ließ seine Peitsche knallen, um die Pferde zu größerer Schnelligkeit anzutreiben. Der Wagen begann zu schaukeln wie ein Schiff in bewegter See, und die ungefederten Achsen gaben die Stöße mit brutaler Direktheit an den Aufbau weiter. Andaras Blick richtete sich auf das Fenster. Durch den zerschlissenen Vorhang fiel Sonnenlicht in dünnen gelbweißen Bahnen. Staub tanzte darin wie ein Schwarm regenbogenfarbiger Zwergkäfer, und durch ein etwas größeres Loch in dem Stoff konnte er die monotone Landschaft Colorados vorüberhuschen sehen: braunverbranntes Gras und sanft gewellte Weite, die mit einem Himmel verschmolz, der sich in loderndem Blau selbst zu verzehren schien.
Als er sich wieder zurücksinken ließ, fiel sein Blick auf etwas Weißes, das auf der gegenüberliegenden Bank lag. Ein scharfer, sehr schmerzhafter Stich schoss durch seine Brust, als er erkannte, was es war. Andaras Hand zitterte, als er sich vorbeugte und das spitzenbesetzte weiße Tuch aufhob. In der oberen rechten Ecke waren die Buchstaben R. A. eingestickt.
Roberts Taschentuch. Jenny hatte es gemacht, noch bevor er auf die Welt gekommen war, und es war alles, was ihnen beiden von ihr geblieben war. Jenny … Gott, war es denn nicht schlimm genug, dass er sie hatte verlieren müssen?
Andara lehnte sich zurück und schloss die Augen. Der bittere Geschmack auf seiner Zunge wurde für einen Moment so intensiv, dass er fast glaubte, sich übergeben zu müssen. Er wollte schreien. Weinen. Irgend etwas nehmen und zerschlagen. Aber er konnte nichts von alledem.
Seine Hand schloss sich um das winzige weiße Tuch zur Faust. Eine einzelne, heiße Träne lief über seine Wange.
Er spürte es nicht einmal. Seine Gedanken glitten zurück zu jenem entsetzlichen Tag vor mehr als zehn Jahren, an dem alles begonnen hatte …
Das Zimmer war sehr still. Vor den Fenstern lagen schwere hölzerne Läden und sperrten das Sonnenlicht und den Tag aus, und das Feuer, das im Kamin loderte, verbreitete zwar eine erstickende trockene Wärme, seltsamerweise aber kaum Licht.
Trotzdem war es nicht dunkel. Ein unwirklicher grüner Schein lag in der Luft; Helligkeit, die aus keiner bestimmten Quelle zu kommen schien, sondern aus dem Nirgendwo, als wäre die Luft gar keine Luft, sondern eine leuchtende zähe Flüssigkeit. In das Knacken und Prasseln des Feuers mischte sich ein geisterhaftes Wispern und Raunen. Ein Geräusch wie der Laut einer fernen Meeresbrandung, nur anders, auf unbestimmte Weise drohender und durchdringender. Feindselig.
Vier Menschen hielten sich in dem kleinen Raum auf. Eine Frau, zwei Männer, und eine grauhaarige, in Lumpen gehüllte Gestalt, deren Geschlecht nicht eindeutig zu erkennen war. Das sackähnliche Gewand verhüllte den Körper vollkommen. Das Gesicht unter der tief in die Stirn gezogenen Kapuze war ein Labyrinth grauer Schatten und tief eingegrabener Furchen und Runzeln, in dem einzig die Augen zu leben schienen. Es waren grausame Augen: schmal, dunkel, beinahe ohne Pupillen, und von einem diabolischen Feuer erfüllt. Der grüne Schein, der die Luft erfüllte, spiegelte sich darin. Das Kaminfeuer nicht.
»Sie kommen«, sagte die Frau. Sie saß – wie die drei anderen – starr und fast unnatürlich ruhig hinter dem runden Tisch, der mit den vier Stühlen und dem Kamin fast die gesamte Einrichtung des Zimmers bildete.
»Wie viele?«, fragte einer der Männer.
Es dauerte einen Moment, ehe die Frau antwortete. Ihre Augen waren weit geöffnet, aber einem aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, dass sie nicht blinzelte. Ihr Blick ging ins Leere.
»Zu viele«, sagte sie nach einer Weile. »Hunderte. Ich … kann keine Einzelheiten erkennen. Aber sie hassen.«
»Sie hassen.« Die grauhaarige Gestalt regte sich, und jetzt, als sie sprach, konnte man hören, dass sie eine Greisin war. Eine dürre, fast bis auf die Knochen abgemagerte Hand tauchte unter den Lumpen ihres Gewandes auf, legte sich auf die Tischplatte und kroch wie eine fleckige fünfbeinige Spinne auf die Frau zu. Das Gesicht der Frau zuckte, als die Hand die ihre berührte. Sie widerstand im letzten Moment der Versuchung, den Arm zurückzuziehen. Aber die feinen Härchen auf ihrem Handrücken und ihrem nackten Unterarm stellten sich auf, als bereite ihr die Berührung körperliches Unbehagen.
»Sie hassen«, wiederholte die Alte. »Uns?«
Die Frau nickte. »Ja. Aber ich weiß, was du sagen willst. Es geht nicht. Wir können ihren Hass nicht umdrehen, um ihn für uns zu nutzen. Er ist zu stark.«
Wieder senkte sich Schweigen über den Raum. Nur das unwirkliche Wispern der Geisterstimmen wurde ein bisschen stärker. Das grüne Licht begann zu flackern, und der Schein des Feuers breitete sich wie leuchtendes Blut im Zimmer aus und verwandelte die Gesichter der vier Menschen in teuflische Grimassen. Und da war noch etwas. Etwas, das mit den Worten der jüngeren Frau aus seinem Versteck gekrochen war und jetzt die Luft im Raum verpestete: die Angst.
»Dann müssen wir fliehen«, sagte die Alte schließlich.
»Es ist zu spät«, wisperte die Frau. Ihre Lippen bewegten sich kaum beim Sprechen. Auf ihrer Stirn perlte Schweiß. Ihre Haut fühlte sich kalt und klebrig unter der Hand der Alten an. »Sie sind … schon zu nahe. Und sie kommen von überallher. Sie sind fast hier.« Ihre Stimme begann zu beben. Ein ganz schwacher Unterton von Hysterie schwang in ihren Worten mit. »Sie … sind bewaffnet. Und sie haben Fackeln. Sie wollen … ein Pogrom.«
Einer der Männer stand auf; so heftig, dass sein Stuhl nach hinten kippte und auf dem Boden zerbrach. »Warum sitzen wir dann noch hier herum?«, schrie er. »Wir müssen die anderen warnen und den Widerstand organisieren. Sie sollen nur kommen, diese …«
»Du bist ein Narr, Quenton«, unterbrach ihn die Greisin. Ihre Stimme klang kalt, als interessiere sie das, was sie soeben gehört hatte, gar nicht wirklich. »Du willst kämpfen?« Sie lachte, wandte den Kopf und deutete mit ihrer dürren Hand auf die Tür. »Dann geh. Geh und kämpfe! Es sind Hunderte, und wir sind kaum fünfzig. Oder flieh, wenn du den Rest deines Lebens damit verbringen willst, dich wie ein Tier zu verkriechen.«
Quenton starrte die Alte einen Atemzug lang mit verbissener Wut an. »Und was sollen wir tun, deiner Meinung nach?«, fragte er gepresst. »Hier sitzen bleiben und uns abschlachten lassen wie Mastvieh? Da sterbe ich lieber mit der Waffe in der Hand!«
»Wir können gar nichts mehr tun«, erwiderte die Alte ruhig. »Es ist zu spät. Wir hätten auf Roderick hören sollen.«
»Roderick!« Quenton gab ein unartikuliertes Geräusch von sich und ballte die Hand zur Faust. »Das alles hier ist seine Schuld! Wäre er hier bei uns, wie es seine Pflicht wäre, dann würden wir dieses Pack vom Erdboden tilgen, noch ehe es uns auch nur nahe kommt! Aber du würdest ihn ja noch verteidigen, wenn er den Mob persönlich anführen würde! Schließlich ist er ja dein Sohn!« Das letzte Wort spie er aus wie eine Beschimpfung.
»Narr«, sagte die Alte ruhig. »Er ist einer von uns, ganz egal, ob er nun mein Sohn ist oder nicht. Er wird kommen. Schon um Victorias Willen.«
In Quentons Gesicht arbeitete es. Seine Knöchel knackten hörbar, als er in hilfloser Wut die Fäuste ballte. »Selbst, wenn es so wäre«, sagte er schließlich, »ist das kein Grund für uns hierzubleiben.« Er starrte die Alte an und schob kampflustig das Kinn vor. »Ihr könnt ja warten, bis sie kommen. Ich gehe jetzt jedenfalls und hole mein Gewehr. Und ich werde jeden erschießen, der es wagt, auch nur einen Fuß in die Stadt zu setzen.«
Die jüngere Frau wollte etwas sagen, aber die Alte legte ihr rasch die Hand auf den Unterarm und drückte zu. Die Frau schwieg.
Quenton blickte noch einmal kampflustig in die Runde, fuhr auf dem Absatz herum und stürmte aus dem Haus. Die Tür fiel mit lautem Krachen hinter ihm ins Schloss.
»Dieser Narr«, sagte die Alte leise. »Er hat nichts begriffen. Sie werden ihn töten.«
»Sie werden auch uns töten, wenn wir hierbleiben, Andara«, wandte der andere Mann ein. Er war älter als Quenton, sehr viel älter, wenn auch nicht annähernd so faltig und grau wie Andara, und in seinem Gesicht fehlte die Härte, die das Quentons von denen der anderen unterschied. Dafür war etwas anderes darin: ein Ausdruck, der sich schwer in Worte fassen ließ. Sein Anblick war … unangenehm. Diesen Mann anzusehen war, als fasse man rostiges nasses Eisen an.
Die grauhäutige Alte nickte. Die Bewegung wirkte abgehackt und ließ ihre Kleider rascheln. Eine Strähne ihres farblosen, brüchigen Haares glitt unter der Kapuze hervor und fiel ihr ins Gesicht. Sie wischte sie mit einer unwilligen Bewegung beiseite. »Das mag sein«, antwortete sie. »Aber vielleicht ist unser Tod nicht so sinnlos, wenn wir zuvor beenden, was wir begonnen haben.« Sie zögerte einen Moment. »Noch ist Zeit«, fuhr sie dann mit veränderter Stimme fort. »Du kannst gehen, wenn du willst. Dieser Kampf ist nicht dein Kampf. Sie werden auch dich töten, wenn sie dich hier finden.«
»Ich gehöre zu euch«, antwortete der Mann mit dem unangenehmen Gesicht. »Ich bleibe.«
Andara nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet, hob den Kopf und blickte die junge Frau aus ihren brennenden dunklen Augen an. »Fahre fort, Lyssa«, sagte sie.
Lyssa zögerte. »Wir sind zu wenige«, sagte sie. »Ohne Roderick und Quenton –«
»Drei sind genug«, unterbrach sie Andara ungeduldig. »Und Quenton hat niemals wirklich zu uns gehört.«
»Aber er besitzt die Macht!«
»Macht?« Andara lachte meckernd. »Was weißt du von der Macht, du dummes Kind? Viele von uns besitzen sie, nicht nur du und ich und …« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf den Mann an Lyssas Seite. »… Necron. Auch Roderick besitzt sie, vielleicht viel mehr als wir alle zusammen. Aber was nutzt die Macht, wenn man sie nicht einzusetzen versteht?« Sie kicherte. »Was hilft dem Grizzly seine Kraft gegen die Verschlagenheit der Jäger, in deren Falle er tappt?«
Sie schüttelte abermals den Kopf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Drei sind genug«, wiederholte sie, und diesmal klangen die Worte wie ein Befehl. »Fahre fort.«
Lyssa nickte. Der Blick ihrer großen, wasserklaren Augen heftete sich auf das geschlossene Fenster, und Andara erkannte deutlich die Furcht darin.
»Verzweifele nicht, Kind«, sagte sie mit einer Sanftheit, die keiner der anderen ihr zugetraut hätte. »Vielleicht werden wir sterben, aber der Tod ist nicht das, wofür ihn die meisten halten.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Fahre fort.«
Das Mädchen gehorchte. Ihre Augen blieben weiter geöffnet. Aber ihr Blick wurde wieder leer, und ihre Hände, die bisher nervös an den Zipfeln ihres einfachen braunen Kattunkleides gespielt hatten, waren mit einem Male ganz ruhig.
Von draußen drangen gedämpfte Stimmen in den Raum, dann das Trappeln von Schritten, Türenschlagen und Hundegebell. Ein Pferd wieherte, dann knallte eine Peitsche, und eine zornige Stimme begann zu fluchen.
Aber Lyssa schien von alledem nichts zu bemerken. Starr und wie gelähmt hockte sie auf ihrem Schemel, ohne die geringste Bewegung, ohne mit den Lidern zu zucken, ja, selbst ohne zu atmen.
»Spürst du ihn?«, fragte Andara nach einer Weile. »Spürst du seine Nähe? Hört er unseren Ruf?«
Lyssa nickte. Ihr Blick flackerte, wurde für eine halbe Sekunde klar und verschleierte sich sofort wieder. Auf ihrer Stirn lag kalter, klebriger Schweiß.
»Ich fühle ihn«, flüsterte sie. »Er … hat deinen Ruf gehört. Er … wird … ihm folgen.« Sie schluckte. Ihre Stimme wurde brüchig und klang plötzlich wie die einer alten Frau. »Yog –«
»Sprich diesen Namen nicht aus!« Andara hob erschrocken die Hand und berührte die des Mädchens. Die Stimmen, die durch die geschlossenen Läden in den Raum drangen, wurden lauter, und plötzlich zerriss der peitschende Knall eines Schusses die Stille. Ein gellender Schrei antwortete wie ein bizarres Echo darauf.
»Sprich ihn nicht aus«, sagte Andara noch einmal, fast, als ginge sie alles, was sich außerhalb des kleinen Raumes abzuspielen begann, nichts an. »Es ist den Sterblichen verboten, seinen Namen zu benutzen. Es reicht, wenn er weiß, dass wir ihn rufen.«
»Er weiß es«, antwortete Lyssa mühsam. »Und er … er kommt. Ich spüre es.«
Andara antwortete nicht mehr. Ihr Gesicht war wieder zu einer Maske der Unberührbarkeit und des Alters erstarrt, und ihre Hände, die nebeneinander auf der Tischplatte lagen, als warteten sie nur darauf, zum Gebet gefaltet zu werden, sahen mehr denn je aus wie die einer Toten.
»Sie kommen.«
Quenton fuhr beim Klang der beiden Worte zusammen wie unter einem Hieb. Sein Blick irrte nervös durch die Scheune. Das geschlossene Tor und die hastig vernagelten Fenster sperrten das Tageslicht aus und ließen die Gestalten der anderen zu unsicheren Schatten werden, ihre Bewegungen zu einem ruckhaften, geisterhaften Huschen. Es war still; viel ruhiger, als es in einem Raum sein durfte, in dem sich annähernd dreißig Personen aufhielten. Aber es war die Stille der Angst, die von den Menschen hier Besitz ergriffen hatte.
Leise – als fürchte er, allein durch ein zu lautes Geräusch den Mob draußen zu einem Angriff zu provozieren – erhob er sich, lehnte das entsicherte Gewehr gegen die Wand und trat vom Fenster zurück. Sofort huschte einer der anderen Männer herbei, nahm seinen Platz ein und schob den Lauf seines Gewehres durch eine der schmalen Schießscharten, die sie freigelassen hatten. Sie alle waren bewaffnet: mit Gewehren, Revolvern und Schrotflinten, einige auch nur mit Äxten, Mistgabeln oder großen Messern; selbst die Frauen, die sich in den hinteren Teil der Scheune zurückgezogen hatten und einen lebenden Schutzwall um das halbe Dutzend Kinder bildeten. Die unscheinbare Scheune hatte sich im Laufe der letzten zwanzig Minuten in eine Festung verwandelt. Wer immer sie stürmen wollte, würde einen hohen Blutzoll zahlen müssen.
Und trotzdem würden sie sterben. Quenton wusste es. Es war nicht einmal die Macht, die ihm dies verriet, sondern simples Kopfrechnen. Sie waren achtundzwanzig, die sechs Kinder und elf Frauen mitgezählt, und sie waren einfache Bauern und Jäger und hatten Angst, und dort draußen tobte ein aufgepeitschter Mob durch die Straßen, der nach Hunderten zählte und Blut sehen wollte.
»Quenton?«
Quenton sah auf und erkannte das blasse Gesicht Marians, der Tochter seines Stiefbruders. Das Schrotgewehr in ihren schmalen Händen wirkte beinahe rührend. »Ja?«
»Wieso … bist du hier?«, fragte sie leise. Ihre Lippen zitterten, und obwohl sie fast flüsterte, spürte Quenton, dass jedermann in der Scheune ihren Worten aufmerksam lauschte.
Und dass sie auf eine Antwort warteten. Marian hatte nur ausgesprochen, was er in jedem Gesicht las, wenn er sich umsah. Sie waren ihm widerspruchslos hierher gefolgt, nachdem er Lyssas Haus verlassen hatte. Aber sie alle wollten wissen, warum. Sie wussten, was sie erwartete, aber sie wollten es aus seinem Munde hören.
»Warum bist du hier?«, fragte Marian noch einmal. »Warum sind wir hier, Quenton?«
Durch das geschlossene Tor drangen Schreie. Ein Gewehr krachte, dann noch eines und noch eines, und irgendjemand begann schrill und hysterisch zu lachen. Irgendwo weiter entfernt war das Gröhlen der Menge zu hören. Es kam näher. Sehr schnell.
»Deshalb«, antwortete Quenton mit einer Kopfbewegung zum Tor. Nicht alle waren ihm gefolgt. Ein paar hatten versucht, sich in ihren Häusern und Kellern zu verbarrikadieren oder ihr Heil in der Flucht zu suchen. »Deshalb, Kind. Weil wir uns hier verteidigen können. Jeder, der durch dieses Tor kommt, wird sterben.«
»Das ist keine Antwort«, sagte Marian. In ihren Augen schimmerten plötzlich Tränen, und als sie weitersprach, schien sie nur noch mit Mühe die Fassung zu bewahren. Sie schrie beinahe. »Du weißt genau, was ich meine, Quenton. Ihr … ihr habt uns Sicherheit versprochen. Sicherheit und Reichtum. Ihr habt gesagt, wir können hier in Ruhe leben und glücklich sein, und jetzt kommen sie, um uns zu töten!«
»Hör auf!«, sagte Quenton leise.
Aber Marian hörte nicht auf; im Gegenteil. Plötzlich ließ sie ihr Gewehr fallen, sprang mit einem halberstickten Schrei auf ihn zu und begann mit den Fäusten auf seine Brust einzuschlagen. »Ihr habt uns Sicherheit versprochen!«, kreischte sie. »Ihr habt gesagt, ihr würdet uns beschützen, wenn sie einmal kämen! Wozu haben wir euch all die Jahre geglaubt? Wo ist die Macht, die ihr angeblich habt?! Wo?«
Quenton packte sie grob bei den Schultern, stieß sie auf Armeslänge von sich und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Das Mädchen taumelte zurück, fiel auf ein Knie herab und presste die Hand gegen die Wange. Quentons Finger malten sich deutlich auf ihrer Haut ab.
»Es ist nicht meine Schuld!«, schrie er wütend. Er spürte, wie die anderen ihn anstarrten, und ihre Blicke kamen ihm vor wie Messer, die tief in seine Brust schnitten. Niemand sprach es aus, aber der Vorwurf war überdeutlich.
»Ich kann nichts dafür«, sagte er noch einmal. »Ich war bei Andara, bevor ich zu euch kam, aber sie wollte nicht kämpfen. Wir vier hätten sie aufhalten können, aber allein bin ich machtlos!«
»Und die Macht?«, flüsterte Marian. »Der Pakt, den wir geschlossen haben? Wozu haben wir euch unsere Seelen verpfändet, wenn wir jetzt doch sterben müssen?«
»Ich kann sie nicht aufhalten«, flüsterte Quenton hilflos. »Nicht wirklich.«
Marian starrte ihn an. In ihren Augen glitzerten Tränen, aber ihr Gesicht war mit einem Male ausdruckslos wie eine bleiche, aus weißem Porzellan gefertigte Totenmaske.
»Dann hatte Roderick recht«, flüsterte sie. »Wir hätten auf ihn hören sollen statt auf dich und diese … diese Hexe.«
Quenton schnaubte. »Roderick?«, fragte er böse. »O ja, Kindchen, er hatte recht. Aber er hatte auch die Möglichkeit, uns alle zu retten. Plötzlich schrie er: »Das alles hier wäre nicht passiert, hätte er uns nicht im Stich gelassen, begreifst du das immer noch nicht? Es ist einzig und allein seine Schuld!«
»Aber er ist nur einer!«, sagte Marian verzweifelt. »Und ihr seid vier!«
»Das sind wir nicht«, murmelte Quenton. »Lyssa, Andara und dieser verfluchte Necron ziehen es vor, zu sterben, statt sich zu wehren. Werft mir nicht vor, wenn sie feige sind!«
»Aber du!«, beharrte Marian. »Du hast die Macht, Quenton! Du bist ein Magier wie sie. Du hast es oft genug bewiesen!«
»Ich kann es nicht«, sagte Quenton bitter. »Ich kann nicht gegen Hunderte kämpfen!«
»Rette uns!«, beharrte Marian. »Du hast es versprochen!«
Ein einzelner Schuss krachte. Aus der Wand neben Quentons Schulter ragten plötzlich verkohlte Holzsplitter, und zwischen Marians Brüsten erschien ein kleines, rundes Loch. Das Mädchen stieß einen fast überraschten, seufzenden Laut aus, starrte Quenton noch eine halbe Sekunde lag aus schreckgeweiteten Augen an und kippte dann ganz langsam nach vorne.
Jemand schrie, und der Mann, der Quentons Platz am Fenster eingenommen hatte, erwiderte das Feuer. Plötzlich krachten überall Schüsse. Männer, Frauen und Kinder schrien durcheinander, als die Angreifer aus Dutzenden von Waffen gleichzeitig das Feuer eröffneten.
Quenton warf sich mit einem Fluch zur Seite, als der Mann am Fenster plötzlich zusammensackte und der Boden rings um ihn herum unter den Einschlägen zu explodieren schien, rollte herum und war mit einer katzenhaften Bewegung wieder auf den Füßen. Wieder peitschten Schüsse; eine ganze Salve diesmal. Einer der Fensterläden platzte wie unter einem gewaltigen Hammerschlag auseinander. Irgend etwas biss heiß und tief in seine Schulter, aber er spürte den Schmerz in diesem Moment kaum.
Im Zickzack rannte er durch den Raum, warf sich mit weit vorgestreckten Armen nach der Leiter, die zum Heuboden hinaufführte, und bekam die unterste Stufe zu fassen. Das Brüllen und Johlen der Meute draußen wurde immer lauter; gleichzeitig nahm das Schießen ab. Offensichtlich glaubten sie, mit den ersten paar Salven den Widerstand der Verteidiger gebrochen zu haben und kamen nun näher heran. Ein wuchtiger Schlag traf die Tür. Einer der Männer riss sein Schrotgewehr an die Wange und schoss rasch hintereinander beide Läufe ab. Die Tür verschwand in einer Wolke explodierender Holzsplitter und Staub. Ein einzelner, gellender Schrei drang von draußen herein, dann antwortete eine ganze Salve krachender Gewehrschüsse.
Quenton sah nicht mehr hin. So schnell er konnte, kletterte er die Leiter empor, zog sich mit einer letzten, verzweifelten Anstrengung auf den Heuboden hinauf und blieb eine Sekunde lang keuchend und mit geschlossenen Augen liegen, ehe er sich hochstemmte und auf Händen und Knien zu der Luke über dem Scheunentor kroch. Auch hier war einer der Männer postiert gewesen. Er war tot. Seine Hände umklammerten noch das Gewehr, mit dem er versucht hatte, sein Leben und das seiner Familie zu verteidigen.
Quenton kämpfte den ohnmächtigen Zorn nieder, den der Anblick in ihm auslöste, schob den reglosen Körper zur Seite und näherte sich vorsichtig der Luke.
Der Anblick traf ihn wie ein Schlag. Es war nicht einmal zehn Minuten her, dass er in die Scheune gekommen war. Aber er erkannte die Stadt nicht wieder.
Sie brannte. Die Hälfte der noch nicht einmal zwei Dutzend Gebäude stand lichterloh in Flammen, und die Straße glich einem Tollhaus. Überall lagen Menschen, nicht nur seine Leute, sondern auch Fremde; die Angreifer mussten sich in ihrer Raserei gegenseitig niedergetrampelt haben, manche von ihnen schossen in ihrem Blutrausch auch einfach wahllos auf alles, was sich bewegte. Aber der Anblick erfüllte Quenton weder mit Zufriedenheit noch mit Triumph. Die aufgebrachte Menge dort unten bedeutete ihm nicht mehr als einer Horde wilder Tiere, und trotz allem gelang es ihm nicht einmal, sie zu hassen. Er fürchtete sie, ja, und er verachtete sie – aber hassen? Man hasste keine Tiere, selbst wenn sie einen töteten.
Irgendwo unter ihm krachte ein Schuss. Die Kugel fuhr mit einem dumpfen Klatschen eine Handbreit neben Quentons Knie in das Holz und wirbelte Heu und trockenen Staub auf.
Quenton zog sich hastig in den schwarzen Schlagschatten der Wand zurück, hob die Hand und machte eine rasche, kaum wahrnehmbare Bewegung.
Unter ihm, im Herzen des aufgebrachten Mobs, der auf die Scheune zudrängte, ließ ein grauhaariger Mann sein Gewehr fallen, griff sich mit beiden Händen an die Kehle und versuchte vergeblich, zu atmen. Er taumelte, fiel auf die Knie und wurde von den Nachdrängenden zu Boden gerissen.
Quenton atmete hörbar ein. Das Gebäude erzitterte unter dem unablässigen Krachen von Schüssen und den Hieben von Gewehrkolben und Äxten, aber er schob alles beiseite, drängte jeden bewussten Gedanken zurück, versuchte den Lärm und die Schüsse und das Sterben unter sich zu ignorieren und sich ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
Er wusste sehr wohl, dass er das Unmögliche versuchte. Selbst zu viert hätten sie die aufgebrachte Meute kaum zurückhalten können – allein war es so, als wolle er mit bloßen Händen einen berstenden Staudamm halten. Aber er würde nicht kampflos sterben.
Einer der Männer, die fünf Meter unter Quenton gegen das Tor hämmerten, erstarrte plötzlich, hob in einer langsamen, widerwilligen Bewegung das Messer, das er in der rechten Hand trug – und stieß es sich selbst in die Kehle. Er war tot, noch bevor sein Körper den Boden berührte.
Aber hinter ihm drängten Dutzende anderer heran.
Quenton fluchte, stand vorsichtig hinter seiner Deckung auf und trat dicht an den Rand der Luke heran. Langsam hob er die Arme, streckte sie waagerecht vor sich aus und spreizte die Finger, eine Geste, als würde er eine unsichtbare Last von sich schieben. »Ihr wollt Blut?«, flüsterte er. Seine Gesicht war zu einer Grimasse der Konzentration erstarrt, sein Stimme heiser, beinahe tonlos. »Ihr sollt es bekommen. Ihr sollt erfahren, was Angst bedeuten kann!«
Eine zitternde, schwerfällige Wellenbewegung lief durch die Menge, ein Zucken, als hätte er einen Stein in eine gewaltige Masse kribbelnder bunter Ameisen geworfen. Jemand schrie seinen Namen.
Quenton reagierte nicht. »Ihr sollt den Hass spüren«, murmelte er. »Ihr habt die Gewalt hierhergebracht – jetzt fühlt sie selbst!«