Der Hexer von Hymal, Buch I: Ein Junge aus den Bergen - N. Bernhardt - kostenlos E-Book + Hörbuch

Der Hexer von Hymal, Buch I: Ein Junge aus den Bergen Hörbuch

N. Bernhardt

4,4

Beschreibung

Der Auftakt zu einem neuen Fantasy-Epos. Auflage: über 100.000 E-Books - Jetzt auch als Hörbuch Eine unerwartete Reise entpuppt sich als Albtraum. Nikko, ein einfacher Bauernjunge, sieht sich plötzlich auf der Flucht! Dunkle Häscher, Orks, ein fremdes Land voller Gefahren. Wenig Aussicht auf ein gutes Ende! Nur dank einer seltsamen Waffe kommt er mit dem Leben davon. Wieder in der Heimat, bieten sich nun ungeahnte Möglichkeiten. Der Fürst nimmt ihn sogar in seine Dienste. Doch schickt er ihn gleich wieder zurück in die gefährliche Fremde. Dann aber erfährt er etwas, das sein Leben völlig verändern wird. Null Papier Verlag

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Zeit:3 Std. 40 min

Sprecher:Reinhard Kuhnert
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N. Bernhardt

Buch I: Ein Junge aus den Bergen

Der Hexer von Hymal

N. Bernhardt

Buch I: Ein Junge aus den Bergen

Der Hexer von Hymal

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 3. Auflage, ISBN 978-3-954182-34-3

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ers­tes Ka­pi­tel: Auf­bruch ins Un­ge­wis­se

Zwei­tes Ka­pi­tel: Ende mit Schre­cken

Drit­tes Ka­pi­tel: Schre­cken ohne Ende

Vier­tes Ka­pi­tel: Der Zwei­te Auf­bruch

Fünf­tes Ka­pi­tel: Gro­ßer Dienst am Fürs­ten­tum

Sechs­tes Ka­pi­tel: In fürst­li­cher Mis­si­on

Sieb­tes Ka­pi­tel: Über­ra­schen­de Er­kennt­nis­se

Aus­blick

Der Hexer von Hy­mal

Der Hexer von Hy­mal, Buch I: Ein Jun­ge aus den Ber­gen

Der Hexer von Hy­mal, Buch II: Der Un­ter­gang des Fürs­ten­tums

Der Hexer von Hy­mal, Buch III: Eine Rei­se in den Sü­den

Der Hexer von Hy­mal, Buch IV: Ein ta­len­tier­ter Schü­ler

Der Hexer von Hy­mal, Buch V: Rück­kehr ins Un­be­kann­te

Der Hexer von Hy­mal, Buch VI: Die Fes­tung im Fein­des­land

Der Hexer von Hy­mal, Buch VII: Der leid­li­che Her­zog

Der Hexer von Hy­mal, Buch VIII: Freund und Feind

Der Hexer von Hy­mal, Buch IX: Kein leich­tes Spiel

Der Hexer von Hy­mal, Buch X: Schuld und Schmach

und wei­te­re …

Hörbuch

Das ungekürzte Hörbuch

Spre­cher: Rein­hard Kuh­nert

null-papier.de/hymalaudio

Ei­ne un­er­war­te­te Rei­se ent­puppt sich als Alb­traum. Nik­ko, ein ein­fa­cher Bau­ern­jun­ge, sieht sich plötz­lich auf der Flucht! Dunkle Hä­scher, Orks, ein frem­des Land vol­ler Ge­fah­ren. We­nig Aus­sicht auf ein gu­tes Ende! Nur dank ei­ner selt­sa­men Waf­fe kommt er mit dem Le­ben da­von.

Wie­der in der Hei­mat, bie­ten sich nun un­ge­ahn­te Mög­lich­kei­ten. Der Fürst nimmt ihn so­gar in sei­ne Diens­te. Doch schickt er ihn gleich wie­der zu­rück in die ge­fähr­li­che Frem­de. Dann aber er­fährt er et­was, das sein Le­ben völ­lig ver­än­dern wird.

Website

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen zur Rei­he und zum Au­tor fin­den Sie un­ter:

hy­mal.info

Erstes Kapitel: Aufbruch ins Ungewisse

Nik­ko ließ sich viel Zeit beim Aus­mis­ten der Stäl­le. Nicht etwa, um die Schuf­te­rei zu ge­nie­ßen. Viel­mehr man­gel­te es auf dem Hof nie an mehr Ar­beit. Wa­rum also soll­te er sich be­ei­len, wenn doch schon die nächs­te Drecks­ar­beit auf ihn war­te­te? Wer zu schnell ar­bei­tet, schuf­tet am Ende ja doch nur mehr. Au­ßer­dem pfiff in den Stäl­len we­nigs­tens kein kal­ter Wind, wie drau­ßen auf dem Hof. Ein gu­ter Platz also, um et­was Zeit zu schin­den.

Glück­li­cher­wei­se lag die kal­te Jah­res­zeit in ih­ren letz­ten Zü­gen und wür­de das Dorf schon bald aus ih­rem ei­si­gen Griff ent­las­sen. Die Schnee­de­cke hat­te ja schon be­gon­nen, wie­der in die Ber­ge zu wei­chen. Bald wür­de sie auch die grü­nen Berg­wie­sen frei­ge­ben und er wür­de end­lich wie­der die Zie­gen auf die Alm trei­ben kön­nen. Die­se Aus­sicht zau­ber­te so­gleich ein Lä­cheln auf sein Ge­sicht. Nicht etwa, dass ihm das Zie­gen­hü­ten viel mehr Freu­de be­rei­te­te, aber so wür­de er we­nigs­tens tags­über vom Hof fort­kom­men und auf den ein­sa­men Wie­sen sei­ne Ruhe ha­ben.

»Bist du etwa im­mer noch nicht fer­tig?«, ent­riss ihn jäh eine for­sche Stim­me aus sei­nen Ge­dan­ken. Es war die Gi­mus, sei­nes äl­tes­ten Bru­ders.

»Mach schnel­ler! Du musst doch noch die Scheu­ne frei­schip­pen«, schnauz­te der Bru­der. »Da ist der Schnee vom Dach ge­rutscht und ver­sperrt das gan­ze Tor.«

»Mach doch selbst! Ich muss heu­te noch zu Tho­ro­dos«, log Nik­ko und ern­te­te so­gleich einen bit­ter­bö­sen Blick.

»Faul und nutz­los«, mur­mel­te Gimu, schlug sei­ne Faust ge­gen einen Bal­ken und stapf­te schnau­bend da­von. Nik­kos ge­le­gent­li­cher Pf­licht, dem al­ten Tho­ro­dos zur Hand zu ge­hen, hat­te Gimu nichts ent­ge­gen­zu­set­zen. Aus un­be­kann­ten Grün­den galt die­ser Dienst dem Groß­va­ter als wich­tig. Des­sen Wort war auf dem Hof je­doch Ge­setz.

Der blon­de Jun­ge mit den großen blau­en Au­gen konn­te sich ein hä­mi­sches Grin­sen nicht ver­knei­fen. Von den vie­len un­ge­lieb­ten Ge­schwis­tern konn­te er Gimu im­mer­hin am we­nigs­ten lei­den. Ein großer bul­li­ger Kerl mit lau­ter Stim­me, der sich meist auf­führ­te, als un­ter­stün­de ihm der gan­ze Hof.

Nun muss­te er nur noch einen Weg aus der spon­ta­nen Lüge fin­den. Soll­te Gimu näm­lich her­aus­fin­den, dass er ge­lo­gen hat­te, dann wür­de es wohl wie­der großen Är­ger ge­ben. Nik­ko kam ja schon jetzt nicht gut mit sei­ner Fa­mi­lie aus. Schließ­lich war er schwäch­lich, dazu oft krank und für sein Al­ter auch noch viel zu klein. Kei­ne gu­ten Voraus­set­zun­gen für das har­te Le­ben in den Ber­gen, wo man nur Leu­te brauch­te, die rich­tig zu­pa­cken konn­ten. Für sei­ne vie­len Ge­schwis­ter war er nur der Schwäch­ling und ein Faul­pelz oben­drein.

Sich auf dem großen Hof der Fa­mi­lie zu ver­ste­cken, schi­en zu ge­fähr­lich. Im­mer­hin hat­te man ihn dort bis­her noch im­mer ge­fun­den. Drau­ßen war es aber noch zu kalt. Da er­schi­en es ihm am bes­ten, dem al­ten Tho­ro­dos tat­säch­lich einen un­an­ge­mel­de­ten Be­such ab­zu­stat­ten.

Seit bald zwei Jah­ren war er dem al­ten Mann nun schon be­hilf­lich. Meist muss­te er put­zen oder auf­räu­men, sel­te­ner Be­sor­gun­gen er­le­di­gen. Al­les in al­lem kei­ne be­son­ders an­ge­neh­me Pf­licht, zu­mal der Alte oft übels­ter Lau­ne war. Den­noch hat­te Nik­ko die Zeit bei Tho­ro­dos im­mer ge­nos­sen. Der alte Kauz war ein­fach an­ders, als alle an­de­ren im Dorf.

Ein we­nig spä­ter dann an die­sem Tage mach­te sich Nik­ko auf den Weg zur Hüt­te des Al­ten, die nur we­ni­ge Mi­nu­ten vom Hof der Fa­mi­lie ent­fernt lag. Des­sen klei­ne Be­hau­sung un­ter­schied sich von den Berg­hö­fen des Dorfs al­lein schon da­durch, dass sie voll­stän­dig aus Holz ge­fer­tigt war und auch nur ein Ge­schoss be­saß. Zu wel­chem Zweck das Ge­bäu­de einst er­rich­tet wor­den war, wuss­te er nicht. Im Dorf je­den­falls gab es kein ähn­li­ches.

Die Höfe Vyl­do­ros hat­ten sonst im­mer den glei­chen Auf­bau. Das Haupt­haus, wo die Fa­mi­li­en wohn­ten, be­saß ein stei­ner­nes Un­ter­ge­schoss, aus Fels­bro­cken von Lehm und Dung so schlecht zu­sam­men­ge­hal­ten, dass man die Wän­de stän­dig aus­bes­sern muss­te, vor al­lem nach den har­ten Win­tern. Da­rauf saß ein Ober­ge­schoss aus Fich­ten­holz zu­sam­men­ge­zim­mert, ge­krönt von ei­nem krum­men Schie­fer­dach.

Als Nik­ko schließ­lich an der Hüt­te des Al­ten an­kam, klopf­te er lei­se. Ei­gent­lich hät­te er ja heu­te nicht vor­bei­kom­men sol­len und konn­te oh­ne­hin nie si­cher sein, in wel­cher Lau­ne er den al­ten Kauz vor­fin­den wür­de. Wie fast im­mer je­doch rea­gier­te nie­mand auf das Klop­fen und der Jun­ge öff­ne­te be­hut­sam die Tür, um lei­se ein­zu­tre­ten und sich um­zu­schau­en.

Die Be­hau­sung war zwar nicht sehr groß, da­für al­ler­dings mit er­staun­lich vie­len Din­gen voll­ge­ramscht. Un­men­gen stau­bi­ger Glä­ser, selt­sa­mer Fla­schen und Ge­fäße hor­te­te der Greis. Dazu ge­sell­ten sich Uten­si­li­en, de­ren Zweck Nik­ko nicht ein­mal erah­nen konn­te. Hät­te der Jun­ge nicht vor we­ni­gen Ta­gen erst gründ­lich sau­ber ge­macht und auf­ge­räumt, dann sähe es hier je­doch noch schlim­mer aus.

Er er­späh­te den Al­ten schließ­lich in sei­nem Ses­sel am lo­dern­den Ka­min sit­zend und ein ge­müt­li­ches Schläf­chen ma­chend. Bei An­blick des vor sich hin­dö­sen­den Grei­ses über­kam den Jun­gen selbst eine ur­plötz­li­che Mü­dig­keit. Ein klei­nes Nicker­chen wäre da doch ge­nau das Rich­ti­ge. Viel bes­ser, als die blö­de Scheu­ne frei zu schip­pen!

»Das Brenn­holz geht wie­der zur Nei­ge. Be­sorg doch gleich neu­es, wo du schon mal hier bist«, be­fahl der Alte plötz­lich, ohne über­haupt die Au­gen zu öff­nen. »Den Schnee kannst du dann auch vom Dach ho­len, be­vor er noch von selbst her­un­ter­kommt und mich hier ein­sperrt.«

Schö­ne Be­sche­rung! War es denn wirk­lich zu viel ver­langt, ein we­nig Zeit für sich al­lein zu ha­ben? Aber je­der Wi­der­spruch war hier zweck­los. Wi­der­wor­te wür­den ihm am Ende nur eine Schel­te ein­han­deln und, viel schlim­mer noch, zu­sätz­li­che Ar­beit.

Ei­ni­ge Tage spä­ter hat­te Nik­ko tat­säch­lich, zum ers­ten Mal in die­sem Jahr, end­lich wie­der die Zie­gen auf die Alm trei­ben kön­nen. Jetzt ge­noss er die wohl­tu­en­de Ruhe auf sei­ner ein­sa­men Wie­se, die nur durch das ge­le­gent­li­che Me­ckern der Tie­re un­ter­bro­chen wur­de.

Von hier oben hat­te er einen gu­ten Blick auf das Dorf. Vyl­do­ro, das war ein Kaff hoch in den Ber­gen, am Ende ei­nes Tals, das sich tief in die Fels­mas­si­ve mit ih­ren bi­zar­ren Gip­feln schnitt. Un­zäh­li­ge Quel­len speis­ten einen klei­nen Bach, der durch das Dorf floss und sich dann mit gan­zer Kraft wei­ter das Tal hin­ab durch die Fel­sen fraß. Mit ihm wand sich ein Weg das Tal hin­ab. Wer ihm folg­te, wür­de schließ­lich auf die große Stra­ße nach Ho­ca­tin sto­ßen. Im Os­ten hin­ge­gen schlän­gel­te sich ein en­ger Pfad hoch in die Ber­ge bis hin­auf zum al­ten Pass nach Hy­mal.

Nik­ko selbst hat­te je­doch we­der Ho­ca­tin noch Hy­mal je ge­se­hen. Wie die meis­ten Be­woh­ner Vyl­do­ros hat­te er das Dorf noch nie ver­las­sen. Die­ses Dorf mit sei­nem hal­b­en Dut­zend Hö­fen mit ih­ren schie­fen Mau­ern und moos­be­deck­ten Schie­fer­dä­chern, den Fich­ten­wäl­dern, die stets so schön nach Harz duf­te­ten, und den saf­ti­gen Al­men, um­ran­det von schrof­fen Fel­sen mit wei­ßen Spit­zen hoch im Him­mel, das war die gan­ze Welt, wie der Jun­ge aus den Ber­gen sie kann­te.

Sein Blick fiel wie­der auf die Zie­gen, de­nen die Ber­g­luft sicht­lich gut­tat. Wäh­rend des gan­zen Win­ters wa­ren sie im Stall ein­ge­pfercht ge­we­sen und hat­ten nur tro­ckenes Heu zu fres­sen be­kom­men. Ent­spre­chend gie­rig ris­sen sie das fri­sche Gras von der Alm. Nik­ko er­freu­te der An­blick der glück­li­chen Tie­re zwar, aber im Grun­de wa­ren sie ihm egal. We­nigs­tens muss­te er die Vie­cher hier drau­ßen nicht füt­tern oder hin­ter ih­nen her put­zen. Al­les in al­lem war das Zie­gen­hü­ten schon eine der er­träg­li­che­ren Pf­lich­ten, die der Hof ihm bot.

Wäh­rend sich der Jun­ge noch die Früh­lings­son­ne auf sein win­ter­b­las­ses Ge­sicht schei­nen ließ, wan­der­te sein Blick wie­der über das Tal, bis hin­auf zum al­ten Pass hoch in den Ber­gen. Von hier un­ten aus ge­se­hen, schlän­gel­ten sich die Ser­pen­ti­nen aus den Fich­ten­wäl­dern her­aus schier un­end­lich hoch in die Fel­sen, um dann in ei­ner noch ver­schnei­ten Sen­ke zwi­schen zwei Gip­feln zu ver­schwin­den. Auf der an­de­ren Sei­te lag ein sa­gen­um­wo­be­nes Land na­mens Hy­mal. Hy­mal, ob wohl all die Ge­schich­ten wahr wa­ren, die man sich im Dorf er­zähl­te? Gru­sel­mär­chen mit bö­sen Orks und Trol­len, alte Le­gen­den von El­fen und grim­mi­gen Zwer­gen. Hy­mal, das war die an­de­re Sei­te der Ber­ge. Eine frem­de Welt, so nah und doch so fern.

Viel Be­ach­tung hat­te man der al­ten Berg­stra­ße bis zum letz­ten Jahr kaum ge­schenkt. Schließ­lich über­quer­te ja nie eine See­le den al­ten Pass. Nie war je­mand nach Hy­mal ge­reist oder von dort ge­kom­men, je­den­falls nicht so­lan­ge Nik­ko den­ken konn­te. Die Leu­te im Dorf selbst hat­ten auch kei­nen Grund ge­habt, den stei­len Pfad zu er­klim­men. Der Auf­stieg war lang und be­schwer­lich. Au­ßer­dem, da war man sich im Dorf ei­nig, war Hy­mal ein ge­fähr­li­ches Land. Dort hat­te man nichts ver­lo­ren und folg­lich nichts zu su­chen.

Letz­ten Som­mer erst hat­te sich dies ge­än­dert, als sich eine selt­sa­me Ex­pe­di­ti­on über die Ber­ge nach Os­ten zwäng­te. An Sol­da­ten aus Ho­ca­tin und frem­des Volk aus dem Sü­den konn­te Nik­ko sich noch leb­haft er­in­nern. Die Auf­re­gung in dem sonst so ver­schla­fe­nen Dorf war na­tür­lich groß ge­we­sen. Mit Neu­gier und Arg­wohn hat­ten die Dör­f­ler die Ge­scheh­nis­se be­ob­ach­tet. Da sich die Rei­sen­den je­doch kaum mit den ein­fa­chen Dorf­be­woh­nern ab­ge­ge­ben hat­ten, war letzt­lich doch im Dun­keln ge­blie­ben, was hin­ter der Ge­schich­te steck­te. Den gan­zen Win­ter lang hat­ten die Ge­scheh­nis­se dann für reich­lich Stoff ge­sorgt, die Näch­te auf den Hö­fen Vyl­do­ros mit wil­den Spe­ku­la­tio­nen zu fül­len. Letzt­lich, als sich die Ex­pe­di­ti­on in der Erin­ne­rung der Dör­f­ler schon zu ei­nem rie­si­gen Heer auf­ge­bla­sen hat­te, setz­te sich die Mei­nung durch, der alte Fürst ver­su­che, das wohl lan­ge schon ver­las­se­ne Hy­mal an sich zu rei­ßen. Wahr­schein­lich um dort neu­es Erz zu fin­den. Denn fast im­mer doch ging es um das wert­vol­le Erz, das die Herr­scher so drin­gend brauch­ten, um ihre Hee­re in Ei­sen und Stahl zu rüs­ten.

Wie so oft, frag­te sich Nik­ko, ob er sich nicht hät­te der Ex­pe­di­ti­on an­schlie­ßen sol­len, um mit ihr sein Glück zu su­chen. Ob man einen ein­fa­chen Dorf­jun­gen wie ihn dort hät­te ge­brau­chen kön­nen, war na­tür­lich eine an­de­re Fra­ge. Aber er hat­te sich ja nicht ein­mal ge­traut zu fra­gen. War ihm da­durch viel­leicht die ein­zi­ge Ge­le­gen­heit ent­gan­gen, dem öden Le­ben auf dem Hof zu ent­flie­hen?

In die­sem Mo­ment nahm Nik­ko von sei­ner Berg­wie­se aus einen Aufruhr auf dem Dorf­platz wahr. Das konn­te wohl nur hei­ßen, dass der alte Fo­daj und sei­ne bei­den Jungs dem Dorf mal wie­der einen Be­such ab­stat­te­ten.

Fo­daj war ein stets gut­ge­laun­ter Händ­ler aus Ho­ca­tin, der als ein­zi­ger auch Vyl­do­ro an­steu­er­te. Trotz sei­nes fort­ge­schrit­te­nen Al­ters und an­sehn­li­chen Ge­wichts nahm er mit sei­nen bei­den, zwar nicht ganz so be­tag­ten, aber den­noch nicht we­ni­ger be­leib­ten Söh­nen mehr­mals im Jahr die, laut sei­nen ei­ge­nen Be­kun­dun­gen, un­glaub­li­chen Stra­pa­zen der lan­gen und ge­fähr­li­chen Rei­se hin­auf nach Vyl­do­ro auf sich. Aus reins­ter Ver­bun­den­heit zu den von ihm doch so hoch­ge­schätz­ten Be­woh­nern des Dor­fes, wie er je­des Mal er­neut ver­si­cher­te. Na­tür­lich kam der groß­her­zi­ge Mann nicht etwa ins Dorf, um das große Ge­schäft zu ma­chen. Nein, dazu wür­de er sei­ne Wa­ren schließ­lich viel zu bil­lig feil­bie­ten.

Auch wenn ihm dies im Dorf so recht kei­ner ab­neh­men woll­te, war der Händ­ler doch ein gern ge­se­he­ner Gast. Nicht nur konn­ten die Dör­f­ler bei ihm ihre Pro­duk­te ge­gen die vie­len Din­ge ein­tau­schen, die man im Dorf nicht selbst her­stell­te, son­dern er brach­te stets auch Neu­ig­kei­ten aus der wei­ten Welt, vor al­lem na­tür­lich aus Ho­ca­tin.

Fast alle Fa­mi­li­en in Vyl­do­ro leb­ten vom Vieh, meist Zie­gen oder Scha­fe. Die Al­men mit ih­ren Grä­sern und Kräu­tern bo­ten aus­ge­zeich­ne­tes Fut­ter für die Tie­re, aus de­ren ge­halt­vol­ler Milch vor al­lem Käse ge­won­nen wur­de. Fo­daj tausch­te gern Käse und Wol­le, aber auch Fel­le aus den Wäl­dern, so­wie ge­trock­ne­te Pil­ze und Kräu­ter. Da­für bot er Mehl und Früch­te aus dem un­te­ren Tal, so­wie Klei­dung, Werk­zeu­ge und Töp­fe aus teu­rem Me­tall, wie auch sons­ti­gen Tand aus Ho­ca­tin. Meist han­del­te man hier Wa­ren ge­gen Wa­ren. Mün­zen hin­ge­gen wech­sel­ten sel­ten den Be­sit­zer. Den meis­ten Dör­f­lern war Geld su­spekt und die we­nigs­ten konn­ten gut zäh­len.

Nik­ko hat­te sich so­fort auf ins Dorf ge­macht, denn schließ­lich woll­te er nichts ver­pas­sen. Die Zie­gen konn­te er schon für eine Wei­le sich selbst über­las­sen. Erst abends wür­de er sie wie­der auf den Hof trei­ben müs­sen. Au­ßer­dem wür­de der Händ­ler wohl eine Lie­fe­rung für Tho­ro­dos be­reit­hal­ten, die es schnell aus­zu­lie­fern galt. Im letz­ten Herbst, als Fo­daj das letz­te Mal im Dorf ge­we­sen war, hat­te Nik­ko ihm ja eine Be­stel­lung vom Al­ten über­brin­gen müs­sen. Vor al­lem an das Le­der­säck­chen mit den dar­in klim­pern­den Mün­zen konn­te er sich noch ge­nau er­in­nern.

Als Nik­ko auf dem Dorf­platz an­kam, wur­de der di­cke Händ­ler mit den sil­ber­grau­en Haa­ren und sei­ne bei­den Söh­ne schon von ei­ner Trau­be neu­gie­ri­ger Dör­f­ler um­ringt. Mit drei großen Och­sen­wa­gen stan­den sie auf dem schlam­mi­gen Platz und prie­sen ihre Wa­ren in wohl­ge­üb­tem Drei­klang.

»Du bist doch der Klei­ne vom Tho­ro­dos?«, frag­te Fo­daj laut, als er den atem­lo­sen Jun­gen er­späh­te, der den gan­zen Weg ins Dorf hin­ab ge­rannt war.

»Ja, Herr«, he­chel­te Nik­ko. »Aber ich bin nicht mehr klein. Mei­nen sech­zehn­ten Som­mer schon wer­de ich die­ses Jahr er­le­ben.«

»Ver­zeih mir, Gro­ßer«, lach­te der Händ­ler. »Ich habe die Lie­fe­rung für den Al­ten«, fuhr er schließ­lich fort und kram­te eine Kis­te aus ei­nem sei­ner Wa­gen her­vor. »Sei doch so gut und bring sie ihm gleich.«

Nik­ko hät­te die Kis­te, die für ihre klei­ne Grö­ße ein er­staun­li­ches Ge­wicht be­saß, fast fal­len ge­las­sen, als er sie ent­ge­gen nahm.

»Nimm auch den hier mit«, grins­te der Händ­ler und leg­te ein ver­sie­gel­tes Schrei­ben auf die Kis­te. Nik­ko be­äug­te den Um­schlag un­gläu­big. Ei­nen Brief hat­te Tho­ro­dos doch noch nie er­hal­ten.

»Eine Sen­dung auf lan­ger Rei­se, wie es scheint. Sag dem Al­ten, dass er schon seit dem Herbst in Ho­ca­tin lag. Bei mir braucht er sich gar nicht erst we­gen der Ver­spä­tung zu be­kla­gen«, ver­si­cher­te sich der Händ­ler mit ei­nem Au­gen­zwin­kern.

Ger­ne wäre Nik­ko noch ge­blie­ben, aber er wuss­te nur zu gut, dass er Tho­ro­dos nicht war­ten las­sen soll­te. Si­cher­lich hat­te der gars­ti­ge Alte schon mit­be­kom­men, dass der Händ­ler im Dorf war. Au­ßer­dem nahm er die zu­neh­mend fins­te­ren Bli­cke der Dorf­be­woh­ner wahr. Hiel­ten sie ihn etwa für einen Wich­tig­tu­er, nur weil er die Lie­fe­rung ent­ge­gen­nahm?

Wäh­rend er die Kis­te in Rich­tung von Tho­ro­dos’ Hüt­te schlepp­te, wur­de sich der Jun­ge klar, dass ihm die Dör­f­ler über­haupt mit zu­neh­men­dem Arg­wohn be­geg­ne­ten. Lag es viel­leicht dar­an, dass er so viel Zeit mit Tho­ro­dos ver­brach­te? Si­cher­lich, der Alte war ein selt­sa­mer Kauz, der nur we­nig re­de­te. Kaum et­was wuss­te man über ihn im Dorf. Klar war al­ler­dings, dass er ge­bil­det war, was ihn schon vom ein­fa­chen Volk ab­hob. Als Ein­zi­ger weit und breit konn­te er le­sen und schrei­ben, je­den­falls be­vor er Nik­ko dar­in un­ter­rich­tet hat­te. Seit vie­len Jah­ren leb­te Tho­ro­dos nun schon in Vyl­do­ro. Mit den Be­woh­nern aber gab er sich nur sel­ten ab und wenn, dann auch nur wi­der­wil­lig. Als Ei­gen­bröt­ler galt er vie­len, an­de­ren als ar­ro­gant. Ei­ni­gen war er ver­däch­tig. Man­che fürch­te­ten ihn gar.

Vi­el­leicht war es ja kein Wun­der, wenn dies nun auf ihn ab­zu­fär­ben droh­te. Wo soll­te das al­les nur noch hin­füh­ren? Im gan­zen Dorf so un­be­liebt, wie auf dem Hof!

Als er we­nig spä­ter an der Hüt­te des Grei­ses an­ge­kom­men war, stell­te er zu­nächst die schwe­re Kis­te ab und klopf­te laut an die Tür. Es wun­der­te ihn je­doch kaum, dass wie­der ein­mal kei­ne Ant­wort kam. Meist war Tho­ro­dos tief in Ge­dan­ken ver­sun­ken oder schlief. So öff­ne­te er die Tür und schlepp­te die Kis­te hin­ein, die sei­ne Arme schon lang­sam in die Län­ge zog.

Tho­ro­dos, ein ha­ge­rer Mann, ge­gen den selbst Nik­kos Groß­va­ter jung wirk­te, stand un­be­ein­druckt am Ka­min. Er dreh­te sei­nen kah­len Kopf, den dun­kel­grau­es Haar auf Ohren­hö­he schüt­ter um­kränz­te, und fi­xier­te den Jun­gen mit sei­nen grau­en Au­gen, die tief un­ter den wild­bu­schi­gen Brau­en her­vor­sta­chen.

»Höchs­te Zeit«, ta­del­te der Alte und be­fahl, wäh­rend er auf sei­nem Tisch et­was zu­sam­men such­te: »Stell die Kis­te ab und bring dies zum Händ­ler, be­vor er wie­der ab­reist!«

»Der hier ist auch für Euch«, sag­te der Jun­ge und kam sich da­bei wich­tig vor. Schließ­lich hat­te er dem Greis noch nie einen Brief über­reicht.

»Was ist das?«, frag­te Tho­ro­dos scharf und Nik­ko glaub­te fast, eine Er­re­gung in der Stim­me des Al­ten zu er­ken­nen.

»Ein Brief aus Ho­ca­tin. Nein … war­tet … es war an­ders, er lag seit Herbst in Ho­ca­tin. Der Händ­ler ver­bit­tet sich aber jeg­li­che Be­schwer­den.«

»Was fa­selst du da? Gib her!«, fuhr ihn der nun­mehr sicht­lich er­reg­te Alte an.

»Wo sind nur wie­der mei­ne Au­genglä­ser? Ver­flucht noch­mal!«, schimpf­te er schließ­lich, nach­dem er das ver­sie­gel­te Schrei­ben aus Nik­kos Hän­den ge­ris­sen hat­te.

»Mach du ihn auf und lies!«, be­fahl er schließ­lich nach ei­ner kur­z­en Pau­se und gab dem Jun­gen den Um­schlag zu­rück.

Der Brief war mit ei­nem rot glän­zen­den Sie­gel ver­schlos­sen, in wel­ches selt­sa­me Zei­chen ge­trie­ben wa­ren. Nik­ko hat­te je­doch kei­ne Zeit, es wei­ter zu be­wun­dern. Un­ter den un­ge­dul­di­gen Bli­cken des Al­ten, des­sen spit­ze Ha­ken­na­se wie der Schna­bel ei­nes Raub­vo­gels droh­te, brach er das Sie­gel und öff­ne­te das ge­fal­te­te Pa­pier. Was er sah, war wirr, er­gab kei­nen Sinn. Es schi­en fast so, als sei­en Buch­sta­ben und Zah­len wild durch­ein­an­der ge­wür­felt wor­den.

»Ich kann das nicht le­sen, Herr. Die Buch­sta­ben schei­nen durch­ein­an­der«, ent­schul­dig­te er sich un­ter den boh­ren­den Bli­cken des Grei­ses.

»Ver­schlüs­selt?«, frag­te der Alte er­regt, wo­bei die Fra­ge wohl eher an sich selbst ge­rich­tet war, und nahm den Brief zu­rück. Er leg­te das Schrei­ben dann auf den Tisch und starr­te in den lo­dern­den Ka­min.

»Gut. Hier, nimm das und bring es dem Händ­ler«, mein­te Tho­ro­dos nach ei­ni­gen end­los er­schei­nen­den Au­gen­bli­cken voll knis­tern­der Span­nung und gab Nik­ko eine Lis­te so­wie ein klei­nes Le­der­säck­chen mit Mün­zen. So­gleich schob er den Jun­gen un­sanft aus der Tür, be­vor die­ser wei­te­re Fra­gen stel­len konn­te. Nik­ko wuss­te es bes­ser, als den Al­ten jetzt wei­ter zu stö­ren. Tho­ro­dos be­ant­wor­te­te Fra­gen oh­ne­hin fast nie. Wahr­schein­lich wür­de er nie er­fah­ren, was es mit dem ge­heim­nis­vol­len Brief auf sich hat­te.