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Der Auftakt zu einem neuen Fantasy-Epos. Auflage: über 100.000 E-Books - Jetzt auch als Hörbuch Eine unerwartete Reise entpuppt sich als Albtraum. Nikko, ein einfacher Bauernjunge, sieht sich plötzlich auf der Flucht! Dunkle Häscher, Orks, ein fremdes Land voller Gefahren. Wenig Aussicht auf ein gutes Ende! Nur dank einer seltsamen Waffe kommt er mit dem Leben davon. Wieder in der Heimat, bieten sich nun ungeahnte Möglichkeiten. Der Fürst nimmt ihn sogar in seine Dienste. Doch schickt er ihn gleich wieder zurück in die gefährliche Fremde. Dann aber erfährt er etwas, das sein Leben völlig verändern wird. Null Papier Verlag
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N. Bernhardt
Buch I: Ein Junge aus den Bergen
Der Hexer von Hymal
N. Bernhardt
Buch I: Ein Junge aus den Bergen
Der Hexer von Hymal
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 3. Auflage, ISBN 978-3-954182-34-3
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel: Aufbruch ins Ungewisse
Zweites Kapitel: Ende mit Schrecken
Drittes Kapitel: Schrecken ohne Ende
Viertes Kapitel: Der Zweite Aufbruch
Fünftes Kapitel: Großer Dienst am Fürstentum
Sechstes Kapitel: In fürstlicher Mission
Siebtes Kapitel: Überraschende Erkenntnisse
Ausblick
Der Hexer von Hymal, Buch I: Ein Junge aus den Bergen
Der Hexer von Hymal, Buch II: Der Untergang des Fürstentums
Der Hexer von Hymal, Buch III: Eine Reise in den Süden
Der Hexer von Hymal, Buch IV: Ein talentierter Schüler
Der Hexer von Hymal, Buch V: Rückkehr ins Unbekannte
Der Hexer von Hymal, Buch VI: Die Festung im Feindesland
Der Hexer von Hymal, Buch VII: Der leidliche Herzog
Der Hexer von Hymal, Buch VIII: Freund und Feind
Der Hexer von Hymal, Buch IX: Kein leichtes Spiel
Der Hexer von Hymal, Buch X: Schuld und Schmach
und weitere …
Das ungekürzte Hörbuch
Sprecher: Reinhard Kuhnert
null-papier.de/hymalaudio
Eine unerwartete Reise entpuppt sich als Albtraum. Nikko, ein einfacher Bauernjunge, sieht sich plötzlich auf der Flucht! Dunkle Häscher, Orks, ein fremdes Land voller Gefahren. Wenig Aussicht auf ein gutes Ende! Nur dank einer seltsamen Waffe kommt er mit dem Leben davon.
Wieder in der Heimat, bieten sich nun ungeahnte Möglichkeiten. Der Fürst nimmt ihn sogar in seine Dienste. Doch schickt er ihn gleich wieder zurück in die gefährliche Fremde. Dann aber erfährt er etwas, das sein Leben völlig verändern wird.
Weitere Informationen zur Reihe und zum Autor finden Sie unter:
hymal.info
Nikko ließ sich viel Zeit beim Ausmisten der Ställe. Nicht etwa, um die Schufterei zu genießen. Vielmehr mangelte es auf dem Hof nie an mehr Arbeit. Warum also sollte er sich beeilen, wenn doch schon die nächste Drecksarbeit auf ihn wartete? Wer zu schnell arbeitet, schuftet am Ende ja doch nur mehr. Außerdem pfiff in den Ställen wenigstens kein kalter Wind, wie draußen auf dem Hof. Ein guter Platz also, um etwas Zeit zu schinden.
Glücklicherweise lag die kalte Jahreszeit in ihren letzten Zügen und würde das Dorf schon bald aus ihrem eisigen Griff entlassen. Die Schneedecke hatte ja schon begonnen, wieder in die Berge zu weichen. Bald würde sie auch die grünen Bergwiesen freigeben und er würde endlich wieder die Ziegen auf die Alm treiben können. Diese Aussicht zauberte sogleich ein Lächeln auf sein Gesicht. Nicht etwa, dass ihm das Ziegenhüten viel mehr Freude bereitete, aber so würde er wenigstens tagsüber vom Hof fortkommen und auf den einsamen Wiesen seine Ruhe haben.
»Bist du etwa immer noch nicht fertig?«, entriss ihn jäh eine forsche Stimme aus seinen Gedanken. Es war die Gimus, seines ältesten Bruders.
»Mach schneller! Du musst doch noch die Scheune freischippen«, schnauzte der Bruder. »Da ist der Schnee vom Dach gerutscht und versperrt das ganze Tor.«
»Mach doch selbst! Ich muss heute noch zu Thorodos«, log Nikko und erntete sogleich einen bitterbösen Blick.
»Faul und nutzlos«, murmelte Gimu, schlug seine Faust gegen einen Balken und stapfte schnaubend davon. Nikkos gelegentlicher Pflicht, dem alten Thorodos zur Hand zu gehen, hatte Gimu nichts entgegenzusetzen. Aus unbekannten Gründen galt dieser Dienst dem Großvater als wichtig. Dessen Wort war auf dem Hof jedoch Gesetz.
Der blonde Junge mit den großen blauen Augen konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. Von den vielen ungeliebten Geschwistern konnte er Gimu immerhin am wenigsten leiden. Ein großer bulliger Kerl mit lauter Stimme, der sich meist aufführte, als unterstünde ihm der ganze Hof.
Nun musste er nur noch einen Weg aus der spontanen Lüge finden. Sollte Gimu nämlich herausfinden, dass er gelogen hatte, dann würde es wohl wieder großen Ärger geben. Nikko kam ja schon jetzt nicht gut mit seiner Familie aus. Schließlich war er schwächlich, dazu oft krank und für sein Alter auch noch viel zu klein. Keine guten Voraussetzungen für das harte Leben in den Bergen, wo man nur Leute brauchte, die richtig zupacken konnten. Für seine vielen Geschwister war er nur der Schwächling und ein Faulpelz obendrein.
Sich auf dem großen Hof der Familie zu verstecken, schien zu gefährlich. Immerhin hatte man ihn dort bisher noch immer gefunden. Draußen war es aber noch zu kalt. Da erschien es ihm am besten, dem alten Thorodos tatsächlich einen unangemeldeten Besuch abzustatten.
Seit bald zwei Jahren war er dem alten Mann nun schon behilflich. Meist musste er putzen oder aufräumen, seltener Besorgungen erledigen. Alles in allem keine besonders angenehme Pflicht, zumal der Alte oft übelster Laune war. Dennoch hatte Nikko die Zeit bei Thorodos immer genossen. Der alte Kauz war einfach anders, als alle anderen im Dorf.
Ein wenig später dann an diesem Tage machte sich Nikko auf den Weg zur Hütte des Alten, die nur wenige Minuten vom Hof der Familie entfernt lag. Dessen kleine Behausung unterschied sich von den Berghöfen des Dorfs allein schon dadurch, dass sie vollständig aus Holz gefertigt war und auch nur ein Geschoss besaß. Zu welchem Zweck das Gebäude einst errichtet worden war, wusste er nicht. Im Dorf jedenfalls gab es kein ähnliches.
Die Höfe Vyldoros hatten sonst immer den gleichen Aufbau. Das Haupthaus, wo die Familien wohnten, besaß ein steinernes Untergeschoss, aus Felsbrocken von Lehm und Dung so schlecht zusammengehalten, dass man die Wände ständig ausbessern musste, vor allem nach den harten Wintern. Darauf saß ein Obergeschoss aus Fichtenholz zusammengezimmert, gekrönt von einem krummen Schieferdach.
Als Nikko schließlich an der Hütte des Alten ankam, klopfte er leise. Eigentlich hätte er ja heute nicht vorbeikommen sollen und konnte ohnehin nie sicher sein, in welcher Laune er den alten Kauz vorfinden würde. Wie fast immer jedoch reagierte niemand auf das Klopfen und der Junge öffnete behutsam die Tür, um leise einzutreten und sich umzuschauen.
Die Behausung war zwar nicht sehr groß, dafür allerdings mit erstaunlich vielen Dingen vollgeramscht. Unmengen staubiger Gläser, seltsamer Flaschen und Gefäße hortete der Greis. Dazu gesellten sich Utensilien, deren Zweck Nikko nicht einmal erahnen konnte. Hätte der Junge nicht vor wenigen Tagen erst gründlich sauber gemacht und aufgeräumt, dann sähe es hier jedoch noch schlimmer aus.
Er erspähte den Alten schließlich in seinem Sessel am lodernden Kamin sitzend und ein gemütliches Schläfchen machend. Bei Anblick des vor sich hindösenden Greises überkam den Jungen selbst eine urplötzliche Müdigkeit. Ein kleines Nickerchen wäre da doch genau das Richtige. Viel besser, als die blöde Scheune frei zu schippen!
»Das Brennholz geht wieder zur Neige. Besorg doch gleich neues, wo du schon mal hier bist«, befahl der Alte plötzlich, ohne überhaupt die Augen zu öffnen. »Den Schnee kannst du dann auch vom Dach holen, bevor er noch von selbst herunterkommt und mich hier einsperrt.«
Schöne Bescherung! War es denn wirklich zu viel verlangt, ein wenig Zeit für sich allein zu haben? Aber jeder Widerspruch war hier zwecklos. Widerworte würden ihm am Ende nur eine Schelte einhandeln und, viel schlimmer noch, zusätzliche Arbeit.
Einige Tage später hatte Nikko tatsächlich, zum ersten Mal in diesem Jahr, endlich wieder die Ziegen auf die Alm treiben können. Jetzt genoss er die wohltuende Ruhe auf seiner einsamen Wiese, die nur durch das gelegentliche Meckern der Tiere unterbrochen wurde.
Von hier oben hatte er einen guten Blick auf das Dorf. Vyldoro, das war ein Kaff hoch in den Bergen, am Ende eines Tals, das sich tief in die Felsmassive mit ihren bizarren Gipfeln schnitt. Unzählige Quellen speisten einen kleinen Bach, der durch das Dorf floss und sich dann mit ganzer Kraft weiter das Tal hinab durch die Felsen fraß. Mit ihm wand sich ein Weg das Tal hinab. Wer ihm folgte, würde schließlich auf die große Straße nach Hocatin stoßen. Im Osten hingegen schlängelte sich ein enger Pfad hoch in die Berge bis hinauf zum alten Pass nach Hymal.
Nikko selbst hatte jedoch weder Hocatin noch Hymal je gesehen. Wie die meisten Bewohner Vyldoros hatte er das Dorf noch nie verlassen. Dieses Dorf mit seinem halben Dutzend Höfen mit ihren schiefen Mauern und moosbedeckten Schieferdächern, den Fichtenwäldern, die stets so schön nach Harz dufteten, und den saftigen Almen, umrandet von schroffen Felsen mit weißen Spitzen hoch im Himmel, das war die ganze Welt, wie der Junge aus den Bergen sie kannte.
Sein Blick fiel wieder auf die Ziegen, denen die Bergluft sichtlich guttat. Während des ganzen Winters waren sie im Stall eingepfercht gewesen und hatten nur trockenes Heu zu fressen bekommen. Entsprechend gierig rissen sie das frische Gras von der Alm. Nikko erfreute der Anblick der glücklichen Tiere zwar, aber im Grunde waren sie ihm egal. Wenigstens musste er die Viecher hier draußen nicht füttern oder hinter ihnen her putzen. Alles in allem war das Ziegenhüten schon eine der erträglicheren Pflichten, die der Hof ihm bot.
Während sich der Junge noch die Frühlingssonne auf sein winterblasses Gesicht scheinen ließ, wanderte sein Blick wieder über das Tal, bis hinauf zum alten Pass hoch in den Bergen. Von hier unten aus gesehen, schlängelten sich die Serpentinen aus den Fichtenwäldern heraus schier unendlich hoch in die Felsen, um dann in einer noch verschneiten Senke zwischen zwei Gipfeln zu verschwinden. Auf der anderen Seite lag ein sagenumwobenes Land namens Hymal. Hymal, ob wohl all die Geschichten wahr waren, die man sich im Dorf erzählte? Gruselmärchen mit bösen Orks und Trollen, alte Legenden von Elfen und grimmigen Zwergen. Hymal, das war die andere Seite der Berge. Eine fremde Welt, so nah und doch so fern.
Viel Beachtung hatte man der alten Bergstraße bis zum letzten Jahr kaum geschenkt. Schließlich überquerte ja nie eine Seele den alten Pass. Nie war jemand nach Hymal gereist oder von dort gekommen, jedenfalls nicht solange Nikko denken konnte. Die Leute im Dorf selbst hatten auch keinen Grund gehabt, den steilen Pfad zu erklimmen. Der Aufstieg war lang und beschwerlich. Außerdem, da war man sich im Dorf einig, war Hymal ein gefährliches Land. Dort hatte man nichts verloren und folglich nichts zu suchen.
Letzten Sommer erst hatte sich dies geändert, als sich eine seltsame Expedition über die Berge nach Osten zwängte. An Soldaten aus Hocatin und fremdes Volk aus dem Süden konnte Nikko sich noch lebhaft erinnern. Die Aufregung in dem sonst so verschlafenen Dorf war natürlich groß gewesen. Mit Neugier und Argwohn hatten die Dörfler die Geschehnisse beobachtet. Da sich die Reisenden jedoch kaum mit den einfachen Dorfbewohnern abgegeben hatten, war letztlich doch im Dunkeln geblieben, was hinter der Geschichte steckte. Den ganzen Winter lang hatten die Geschehnisse dann für reichlich Stoff gesorgt, die Nächte auf den Höfen Vyldoros mit wilden Spekulationen zu füllen. Letztlich, als sich die Expedition in der Erinnerung der Dörfler schon zu einem riesigen Heer aufgeblasen hatte, setzte sich die Meinung durch, der alte Fürst versuche, das wohl lange schon verlassene Hymal an sich zu reißen. Wahrscheinlich um dort neues Erz zu finden. Denn fast immer doch ging es um das wertvolle Erz, das die Herrscher so dringend brauchten, um ihre Heere in Eisen und Stahl zu rüsten.
Wie so oft, fragte sich Nikko, ob er sich nicht hätte der Expedition anschließen sollen, um mit ihr sein Glück zu suchen. Ob man einen einfachen Dorfjungen wie ihn dort hätte gebrauchen können, war natürlich eine andere Frage. Aber er hatte sich ja nicht einmal getraut zu fragen. War ihm dadurch vielleicht die einzige Gelegenheit entgangen, dem öden Leben auf dem Hof zu entfliehen?
In diesem Moment nahm Nikko von seiner Bergwiese aus einen Aufruhr auf dem Dorfplatz wahr. Das konnte wohl nur heißen, dass der alte Fodaj und seine beiden Jungs dem Dorf mal wieder einen Besuch abstatteten.
Fodaj war ein stets gutgelaunter Händler aus Hocatin, der als einziger auch Vyldoro ansteuerte. Trotz seines fortgeschrittenen Alters und ansehnlichen Gewichts nahm er mit seinen beiden, zwar nicht ganz so betagten, aber dennoch nicht weniger beleibten Söhnen mehrmals im Jahr die, laut seinen eigenen Bekundungen, unglaublichen Strapazen der langen und gefährlichen Reise hinauf nach Vyldoro auf sich. Aus reinster Verbundenheit zu den von ihm doch so hochgeschätzten Bewohnern des Dorfes, wie er jedes Mal erneut versicherte. Natürlich kam der großherzige Mann nicht etwa ins Dorf, um das große Geschäft zu machen. Nein, dazu würde er seine Waren schließlich viel zu billig feilbieten.
Auch wenn ihm dies im Dorf so recht keiner abnehmen wollte, war der Händler doch ein gern gesehener Gast. Nicht nur konnten die Dörfler bei ihm ihre Produkte gegen die vielen Dinge eintauschen, die man im Dorf nicht selbst herstellte, sondern er brachte stets auch Neuigkeiten aus der weiten Welt, vor allem natürlich aus Hocatin.
Fast alle Familien in Vyldoro lebten vom Vieh, meist Ziegen oder Schafe. Die Almen mit ihren Gräsern und Kräutern boten ausgezeichnetes Futter für die Tiere, aus deren gehaltvoller Milch vor allem Käse gewonnen wurde. Fodaj tauschte gern Käse und Wolle, aber auch Felle aus den Wäldern, sowie getrocknete Pilze und Kräuter. Dafür bot er Mehl und Früchte aus dem unteren Tal, sowie Kleidung, Werkzeuge und Töpfe aus teurem Metall, wie auch sonstigen Tand aus Hocatin. Meist handelte man hier Waren gegen Waren. Münzen hingegen wechselten selten den Besitzer. Den meisten Dörflern war Geld suspekt und die wenigsten konnten gut zählen.
Nikko hatte sich sofort auf ins Dorf gemacht, denn schließlich wollte er nichts verpassen. Die Ziegen konnte er schon für eine Weile sich selbst überlassen. Erst abends würde er sie wieder auf den Hof treiben müssen. Außerdem würde der Händler wohl eine Lieferung für Thorodos bereithalten, die es schnell auszuliefern galt. Im letzten Herbst, als Fodaj das letzte Mal im Dorf gewesen war, hatte Nikko ihm ja eine Bestellung vom Alten überbringen müssen. Vor allem an das Ledersäckchen mit den darin klimpernden Münzen konnte er sich noch genau erinnern.
Als Nikko auf dem Dorfplatz ankam, wurde der dicke Händler mit den silbergrauen Haaren und seine beiden Söhne schon von einer Traube neugieriger Dörfler umringt. Mit drei großen Ochsenwagen standen sie auf dem schlammigen Platz und priesen ihre Waren in wohlgeübtem Dreiklang.
»Du bist doch der Kleine vom Thorodos?«, fragte Fodaj laut, als er den atemlosen Jungen erspähte, der den ganzen Weg ins Dorf hinab gerannt war.
»Ja, Herr«, hechelte Nikko. »Aber ich bin nicht mehr klein. Meinen sechzehnten Sommer schon werde ich dieses Jahr erleben.«
»Verzeih mir, Großer«, lachte der Händler. »Ich habe die Lieferung für den Alten«, fuhr er schließlich fort und kramte eine Kiste aus einem seiner Wagen hervor. »Sei doch so gut und bring sie ihm gleich.«
Nikko hätte die Kiste, die für ihre kleine Größe ein erstaunliches Gewicht besaß, fast fallen gelassen, als er sie entgegen nahm.
»Nimm auch den hier mit«, grinste der Händler und legte ein versiegeltes Schreiben auf die Kiste. Nikko beäugte den Umschlag ungläubig. Einen Brief hatte Thorodos doch noch nie erhalten.
»Eine Sendung auf langer Reise, wie es scheint. Sag dem Alten, dass er schon seit dem Herbst in Hocatin lag. Bei mir braucht er sich gar nicht erst wegen der Verspätung zu beklagen«, versicherte sich der Händler mit einem Augenzwinkern.
Gerne wäre Nikko noch geblieben, aber er wusste nur zu gut, dass er Thorodos nicht warten lassen sollte. Sicherlich hatte der garstige Alte schon mitbekommen, dass der Händler im Dorf war. Außerdem nahm er die zunehmend finsteren Blicke der Dorfbewohner wahr. Hielten sie ihn etwa für einen Wichtigtuer, nur weil er die Lieferung entgegennahm?
Während er die Kiste in Richtung von Thorodos’ Hütte schleppte, wurde sich der Junge klar, dass ihm die Dörfler überhaupt mit zunehmendem Argwohn begegneten. Lag es vielleicht daran, dass er so viel Zeit mit Thorodos verbrachte? Sicherlich, der Alte war ein seltsamer Kauz, der nur wenig redete. Kaum etwas wusste man über ihn im Dorf. Klar war allerdings, dass er gebildet war, was ihn schon vom einfachen Volk abhob. Als Einziger weit und breit konnte er lesen und schreiben, jedenfalls bevor er Nikko darin unterrichtet hatte. Seit vielen Jahren lebte Thorodos nun schon in Vyldoro. Mit den Bewohnern aber gab er sich nur selten ab und wenn, dann auch nur widerwillig. Als Eigenbrötler galt er vielen, anderen als arrogant. Einigen war er verdächtig. Manche fürchteten ihn gar.
Vielleicht war es ja kein Wunder, wenn dies nun auf ihn abzufärben drohte. Wo sollte das alles nur noch hinführen? Im ganzen Dorf so unbeliebt, wie auf dem Hof!
Als er wenig später an der Hütte des Greises angekommen war, stellte er zunächst die schwere Kiste ab und klopfte laut an die Tür. Es wunderte ihn jedoch kaum, dass wieder einmal keine Antwort kam. Meist war Thorodos tief in Gedanken versunken oder schlief. So öffnete er die Tür und schleppte die Kiste hinein, die seine Arme schon langsam in die Länge zog.
Thorodos, ein hagerer Mann, gegen den selbst Nikkos Großvater jung wirkte, stand unbeeindruckt am Kamin. Er drehte seinen kahlen Kopf, den dunkelgraues Haar auf Ohrenhöhe schütter umkränzte, und fixierte den Jungen mit seinen grauen Augen, die tief unter den wildbuschigen Brauen hervorstachen.
»Höchste Zeit«, tadelte der Alte und befahl, während er auf seinem Tisch etwas zusammen suchte: »Stell die Kiste ab und bring dies zum Händler, bevor er wieder abreist!«
»Der hier ist auch für Euch«, sagte der Junge und kam sich dabei wichtig vor. Schließlich hatte er dem Greis noch nie einen Brief überreicht.
»Was ist das?«, fragte Thorodos scharf und Nikko glaubte fast, eine Erregung in der Stimme des Alten zu erkennen.
»Ein Brief aus Hocatin. Nein … wartet … es war anders, er lag seit Herbst in Hocatin. Der Händler verbittet sich aber jegliche Beschwerden.«
»Was faselst du da? Gib her!«, fuhr ihn der nunmehr sichtlich erregte Alte an.
»Wo sind nur wieder meine Augengläser? Verflucht nochmal!«, schimpfte er schließlich, nachdem er das versiegelte Schreiben aus Nikkos Händen gerissen hatte.
»Mach du ihn auf und lies!«, befahl er schließlich nach einer kurzen Pause und gab dem Jungen den Umschlag zurück.
Der Brief war mit einem rot glänzenden Siegel verschlossen, in welches seltsame Zeichen getrieben waren. Nikko hatte jedoch keine Zeit, es weiter zu bewundern. Unter den ungeduldigen Blicken des Alten, dessen spitze Hakennase wie der Schnabel eines Raubvogels drohte, brach er das Siegel und öffnete das gefaltete Papier. Was er sah, war wirr, ergab keinen Sinn. Es schien fast so, als seien Buchstaben und Zahlen wild durcheinander gewürfelt worden.
»Ich kann das nicht lesen, Herr. Die Buchstaben scheinen durcheinander«, entschuldigte er sich unter den bohrenden Blicken des Greises.
»Verschlüsselt?«, fragte der Alte erregt, wobei die Frage wohl eher an sich selbst gerichtet war, und nahm den Brief zurück. Er legte das Schreiben dann auf den Tisch und starrte in den lodernden Kamin.
»Gut. Hier, nimm das und bring es dem Händler«, meinte Thorodos nach einigen endlos erscheinenden Augenblicken voll knisternder Spannung und gab Nikko eine Liste sowie ein kleines Ledersäckchen mit Münzen. Sogleich schob er den Jungen unsanft aus der Tür, bevor dieser weitere Fragen stellen konnte. Nikko wusste es besser, als den Alten jetzt weiter zu stören. Thorodos beantwortete Fragen ohnehin fast nie. Wahrscheinlich würde er nie erfahren, was es mit dem geheimnisvollen Brief auf sich hatte.