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Das Erbe einer Stadt, das alle Zeiten überdauert: Der historische Roman »Der Himmel über Konstantinopel« von Jens J. Kramer jetzt als eBook bei dotbooks. Schatten und Glanz des 15. Jahrhunderts … Ungestüm und frei wächst Thamar als Bauerntochter am Schwarzen Meer auf – bis ihre Heimat von den Osmanen grausam unterworfen wird. Alle Jungen des Reiches müssen von nun an als muslimische Krieger dienen. Doch weil ihr Vater seinen Sohn nicht entbehren will, zwingt er die ungeliebte Tochter, verkleidet dessen Platz einzunehmen. Eine gefährliche Lüge, die sie jederzeit das Leben kosten könnte … ihr aber auch ungekannte Möglichkeiten eröffnet. Eine abenteuerliche Reise führt Thamar schließlich mitten in das blühende Herz des Reiches. Im prachtvollen Konstantinopel begegnet sie einem Mann, der Thamars große Liebe werden könnte – oder der sie alles kostet … Das Schicksal einer außergewöhnlichen Frau – eine Geschichte, so farbenprächtig gewirkt wie ein orientalischer Teppich. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der mitreißende Historienroman »Der Himmel über Konstantinopel« von Jens J. Kramer, auch unter dem Titel »Der zerrissene Schleier« bekannt, wird Fans von Noah Gordon und Ildefonso Falcones begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 689
Über dieses Buch:
Schatten und Glanz des 15. Jahrhunderts … Ungestüm und frei wächst Thamar als Bauerntochter am Schwarzen Meer auf – bis ihre Heimat von den Osmanen grausam unterworfen wird. Alle Jungen des Reiches müssen von nun an als muslimische Krieger dienen. Doch weil ihr Vater seinen Sohn nicht entbehren will, zwingt er die ungeliebte Tochter, verkleidet dessen Platz einzunehmen. Eine gefährliche Lüge, die sie jederzeit das Leben kosten könnte … ihr aber auch ungekannte Möglichkeiten eröffnet. Eine abenteuerliche Reise führt Thamar schließlich mitten in das blühende Herz des Reiches. Im prachtvollen Konstantinopel begegnet sie einem Mann, der Thamars große Liebe werden könnte – oder der sie alles kostet …
Über den Autor:
Jens J. Kramer, Jahrgang 1957, studierte in Berlin Ethnologie und Publizistik. Der historische Roman »Die rote Sonne Afrikas« über die Kolonialzeit war sein Debüt, dem weitere Romane folgten. Als Jo Kramer schrieb er außerdem romantische Komödien, als Mike Schulz Krimikomödien und zusammen mit seiner Ehefrau, der Bestsellerautorin Nina George, ist er Jean Bagnol, der Erfinder des provenzalischen Ermittlers »Commissaire Mazan«. Ebenfalls mit Nina George als Autorenduo veröffentlicht er seit 2022 Kinderbücher. Heute lebt Jens J. Kramer in Berlin und der Bretagne.
Die Website des Autors: www.jensjohanneskramer.de
Bei dotbooks veröffentlichte Jens J. Kramer auch seine historischen Romane »Das Lied von Afrika« und »Die rote Sonne Afrikas«.
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eBook-Neuausgabe März 2024
Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Der zerrissene Schleier« bei Knaur Taschenbuch
Copyright © der Originalausgabe 2010 by Knaur Taschenbuch
Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Details aus dem Gemälde »Ansicht der Neuen Valide-Moschee am Hafen von Konstantinopel«, Aquarell, um 1789/90, von Jean-Baptiste Hilair, Pera Museum, Istanbul sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)
ISBN 978-3-98952-041-7
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Jens J. Kramer
Der Himmel über Konstantinopel
Historischer Roman
dotbooks.
Für Nina
»Der Geliebte, er ist alles; Schleier nur der Liebende.«
MEVLANA JALALUDDIN RÚMI
Sie trug einen Schleier. Aber natürlich erkannte er sie trotzdem. Und spürte, wie die Hitze ihn durchströmte.
»Wer bist du?«, fragte er sie.
Sie trat langsam näher, geschmeidig wiegten sich ihre Hüften unter dem grünen Gewand.
»Weißt du es nicht mehr?« Ihre Augen glitzerten.
»Doch. Aber ich will, dass du es mir sagst. Ich habe so lange nach dir gesucht.«
»Wie lange?« Sie kniete vor ihm nieder.
»Ein Leben lang.« Fasziniert sah er auf ihre Hände, die sie ihm entgegenhielt, als wollte sie, dass er sie ergreife. Er tat es nicht.
»Ich glaube dir nicht«, gab sie zurück. Doch er sah den Spott in ihren Augen.
»Was muss ich tun, um dich zu überzeugen?«, fragte er, indem er auf ihr Spiel einging.
»Sehr viel. Du musst mich retten wie damals auf dem Markt. Du musst mich küssen wie in der Schlacht. Du musst mich ansehen wie in der Moschee. Und du musst mir verzeihen. Weil ich deinen Schmerz sah.«
Sie hatte ihre Hände auf seine Knie gelegt. Er beugte sich vor.
»All das will ich tun. Und noch viel mehr. Womit fangen wir an?«
»Dass du mich küsst«, antwortete sie, hob ihren Schleier und hielt ihm ihre Lippen entgegen.
Er strich ihr über die Wange. »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht«, sagte er.
Und zog den Dolch hervor.
Der Berg drohte nicht. Er wachte über die Stadt an seinem Fuße. So zumindest kam es dem alten Sheik vor, als er seinen Blick zu der im flirrenden Sonnenlicht liegenden Kuppe des Uludag hob. Ein winziger schwarzer Punkt vor dem hellen Blau des Himmels verriet ihm, dass dort oben ein Raubvogel seine Kreise zog.
Sheik Haçi Bayram nickte langsam. Bursa. Die Stadt, in der alles begonnen hatte. Sie war ein guter Ausgangsort für das Kommende. Er gab seinem Begleiter, der stumm einen Schritt hinter ihm stand, einen Wink. Es war an der Zeit, sie wurden erwartet.
Die Wachen am Tor der alten Zitadelle, in der Sultan Murad den Sommer verbrachte, verbeugten sich ehrerbietig, als der Sheik und sein junger Begleiter in den Hof traten. Ein Bote eilte ihnen voraus, um sie anzukündigen. Dennoch nahmen sie sich die Zeit, sich am Brunnen vor der Moschee zu waschen, bevor sie das Hauptgebäude betraten, in dem die Räume des Sultans lagen.
Kühle, nach Rosenöl duftende Luft umfing sie im Inneren des Palastes. Die Mühsal des langen Weges, den die beiden Männer, der alte und der junge, hinter sich hatten, wich aus ihren Gliedern, als sie in die schattige Stille der Sultansgemächer traten. Nur ein leises Raunen, kaum hörbar, erfüllte die Marmorhallen, als fürchteten seine Bewohner mit ihren Stimmen das Missfallen des Osmanenherrschers zu erregen.
Sultan Murad ruhte in einem Raum, durch dessen verzierte Fenstergitter in schrägen Bahnen das Licht einfiel. Zur Linken seiner breiten Liege lag auf einem mit Silber verzierten Lesepult ein aufgeschlagenes Buch, in dem der Sheik mit einem Blick den Koran erkannte. Zur Rechten des Osmanenherrschers stand eine Wiege. Haçi Bayram und sein Begleiter verneigten sich tief. Doch sie beugten nicht das Knie.
»Salaam aleykum, mein Bruder«, begrüßte sie der Sultan, und der alte Sheik richtete sich auf.
»Aleykum as-Salaam, mein Sultan«, antwortete er.
Murad wies auf die gepolsterten, niedrigen Schemel gegenüber der Liege. Davor stand auf einem kleinen Tisch eine Schale mit Früchten.
»Ruh dich aus, Sheik Haçi Bayram, und koste von den Trauben. Sie werden deinen Gaumen erfrischen und ihre Süße deine Zunge geschmeidig machen.«
Der alte Sheik ließ sich auf dem größeren der beiden Schemel nieder und bediente sich an den Früchten. Dabei betrachtete er die hageren Gesichtszüge des Osmanenherrschers. Etwas Schwermütiges umgab den Herrscher, doch Haçi Bayram wusste um die Entschlossenheit, mit der dieser seine Regentschaft führte. Mit einem Mal lenkte ein leises Glucksen aus der Wiege seine Aufmerksamkeit ab. Der Sultan folgte seinem Blick. »Allah hat mir einen neuen Prinzen geschenkt«, sagte er leise. »Gesegnet sei das Haus Osman. Möge der Junge seinem Vater zur Ehre gereichen.« Dabei dachte der Sheik an seinen Traum und hoffte, dass dieser neue Prinz die Kraft besaß, das zu vollbringen, was das Schicksal für ihn vorgesehen hatte. Unwillkürlich wandte er sich nach seinem Begleiter um und stellte fest, dass der stehen geblieben war und unverwandt das Neugeborene betrachtete. Auch dem Sultan schien jetzt das ungewöhnliche Verhalten des jungen Mannes aufzufallen. »Wer ist dein Begleiter, Haçi Bayram, mein Bruder«, fragte er mit einer Stimme, in der eine Spur Unwillen mitschwang.
»Das ist mein neuer murid, ein Schüler auf dem Pfade der Weisheit«, beeilte sich der Sheik, dem Sultan zu versichern. »Es hat einen besonderen Grund, dass er heute bei uns ist.«
Der junge Mann, der bemerkte, dass seine Neugier unangemessen war, senkte den Blick. Doch aus den Augenwinkeln heraus musterte er weiterhin den kleinen Prinzen.
Die demütige Geste des murids schien den Sultan zu besänftigen. Er wandte sich wieder dem Sheik zu: »Hast du getan, worum ich dich gebeten habe?«, fragte er nun. »Hast du ergründet, ob die Prophezeiung sich erfüllen wird?«
Die Prophezeiung. Jene Worte, deren Ursprung bis in die Tage des Propheten zurück reichten. Haçi Bayram neigte zur Bestätigung den Kopf. Er wusste, was er zu sagen hatte. Aber es würde nicht einfach sein. Während der Sultan auf seine Antwort wartete, zogen vor dem inneren Auge des Sheiks die Bilder vorbei, die sein Traum ihm gezeigt hatte. Das rote Banner, darauf in schwarzen Schriftzeichen die Worte der Al-Fatiha. War es eine Vision aus der Zukunft oder der Vergangenheit gewesen? Der Traum hatte ihm die Antwort gezeigt.
»Ja, mein Sultan, die Prophezeiung des Eyüp wird sich erfüllen«, sagte der Sheik schließlich.
Murad beugte sich vor. In seinen Augen glühte ein dunkles Feuer.
»Hast du es gesehen?«, fragte er mit heiserer Stimme.
Der Sheik nickte: »Ich sah die unbezwingbaren Mauern fallen. Ich sah ein weißes Pferd über die leblosen Leiber der Ungläubigen steigen. Und Eyüps Seele fand endlich seinen Frieden.«
Der Sultan lehnte sich wieder zurück. »Und wer«, fragte er dann mit hohler Stimme, »saß auf dem weißen Pferd, Sheik Haçi Bayram, mein Bruder? War ich es?«
Der alte Sheik schüttelte den Kopf: »Nein, mein Sultan. Weder du noch ich werden die Mauern von Konstantinopel fallen sehen.«
Die Gestalt Murads sackte kaum merklich in sich zusammen, aber Haçi Bayram hatte seinem Herrn diese Wahrheit nicht ersparen können. Nun war es an der Zeit für den zweiten Teil seines Traumes.
»Doch«, begann er langsam, »das Kind in der Wiege wird es sehen.«
Überrascht blickte der Sultan auf. Sheik Haçi war sich der Wirkung seiner Worte bewusst. Der neue Prinz nahm keineswegs die Rolle des Thronfolgers ein. Murads ältester Sohn, Ali, genoss bereits die Erziehung, die ihn auf die Sultanswürde vorbereiten sollte. Dass nun der Sheik dem jüngsten Sohn die Führung des Hauses Osman prophezeite, verhieß dem älteren Bruder ein frühes Ende.
Haçi Bayram blickte dem Sultan ruhig in die Augen. Er wusste, dass die Übermittlung einer solchen Nachricht den Tod bedeuten konnte. Nur wenige Herrscher ertrugen die Wahrheit, und oft genug rollte der Kopf eines Boten, um seine schlechte Botschaft dem Vergessen zu überantworten. Doch der alte Sheik fürchtete den Tod nicht. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, seinen Herrn mit einer Lüge zu beleidigen. Alles, was er empfand, war Mitleid mit dem Vater, dem er soeben den Tod eines Sohnes vorhergesagt hatte. Traurig schüttelte der alte Mann den Kopf. »Dies ist die Antwort, die ich dir bringen kann. Der Junge dort in der Wiege ist der Mann auf dem weißen Pferd. Und mein Schüler«, jetzt wandte er sich zu seinem Begleiter um, »wird an seiner Seite sein.«
Der junge Mann erwiderte ruhig seinen Blick. Erst jetzt wurde dem Sheik klar, dass sein Schüler, dem er nichts von dem Traum erzählt hatte, längst wusste, welche Aufgabe ihn erwartete. Wie konnte das sein?, fragte sich der alte Mann. Wie konnte ein Mensch in diesen jungen Jahren über ein solches Wissen verfügen? Aber diese Frage hatte er sich schon einmal gestellt, damals, als er dem Jungen das erste Mal gegenübergestanden war.
»Wie heißt dein Schüler, mein Sheik«, vernahm er nun wie aus weiter Ferne die Stimme des Sultans.
»Sein Name ist Mustafa«, gab Haçi Bayram seinem Herrn Antwort, »ein Sohn des Seyh Hamzah aus Damaskus. Doch in unserem Orden trägt er den Namen Ak Schemseddin.«
»Ak Schemseddin«, wiederholte der Sultan leise, und seine tiefe Stimme ging wie ein Raunen durch die Luft.
»So beauftrage ich dich«, befahl er dann, »diesen Prinzen zu behüten und ihn alles zu lehren, was er für seine Aufgabe braucht. Wirst du das tun, Mustafa Hamzah, den man Ak Schemseddin nennt?«
Der junge Mann verneigte sich: »Ja, mein Sultan.«
Nun kreuzte Murad seinen Blick mit dem des alten Sheiks. Sie beide wussten, dass ihre Zeit vergehen würde. Und dass die Siege ihrer Nachfolger bereits im Buch des Lebens verzeichnet waren. Zwischen ihnen zeichnete das Licht der Nachmittagssonne ein verschlungenes Muster auf den weichen Damast und den glänzenden Marmorboden. Beide erinnerte es sie an die Schriftzeichen des heiligen Koran, und beide lächelten. Wehmütig.
Es war ein Tag im September 1432, das Jahr, das nach der Hrdja, jener Zeitrechnung, die mit der Flucht Mohammeds aus Mekka begann, die Zahl 835 trug. An diesem Tag hob in Konstantinopel, der Stadt, über deren Mauern der alte Sheik im Traum das Banner des Propheten hatte wehen sehen, ein müder Kaiser seinen Blick von dem Brief, den er gerade verfasste. Es war ein Bittbrief an den Papst in Rom, mit dem er um nicht weniger als den Beistand der gesamten Christenheit für seine bedrohte Stadt ersuchte. Er ahnte bereits, dass seine Bitte nicht erhört werden würde. Aber er war der Kaiser, er durfte nicht verzweifeln.
Es war ein Tag im September. Auf den Feldern jenseits der Mauern von Konstantinopel leuchtete goldener Weizen im Licht der Nachmittagssonne. Und während der Sultan und sein Sheik in Bursa ihren bitteren Frieden fanden, während in Konstantinopel ein Kaiser flehte und der Papst in Rom von der Wiedervereinigung der zerstrittenen christlichen Kirchen träumte, entdeckte ein Junge in Venedig die Weisheit eines längst vergangenen Zeitalters.
Und in einem kleinen Dorf in Bulgarien, nicht weit von der Küste des Schwarzen Meeres entfernt, schrie ein Neugeborenes zum ersten Mal seine Wut in den grausamen Himmel.
Lange ruhte deine Schönheit im Verborgenen. Denn du schliefst. Vielleicht warst du schon da, als vor vielen tausend Jahren das Eis des Nordens schmolz und die Meere anschwollen. Da warst du noch wie ein Ungeborenes im Leib seiner Mutter. Spürtest du das Brechen des Landes, als das Wasser sich seinen Weg erzwang? Das Tosen, als ein neues Meer entstand? Hörtest du die verzweifelten Rufe derer, die in den Fluten versanken? Vielleicht. Vielleicht wusstest du da aber auch, dass deine Stunde bald kommen würde.
Die ersten Menschen, die sich dir näherten, suchten Schutz, unten in jener Bucht, die später einen »goldenen« Namen tragen sollte. Das Wasser gab ihnen Nahrung im Überfluss, doch zuerst mussten sie lernen, Schiffe zu bauen; denn nur vom Wasser aus gibst du dich zu erkennen. Auch jene Siedler, die sich am gegenüberliegenden Ufer des Meeres niederließen, sahen deine Größe nicht. Daher nannte man diesen Landstrich später »Ufer der Blinden«.
Ob es wirklich Jason war, der von seiner Argo aus deine Schönheit ahnte und ihr zu Ehren den ersten Tempel errichten ließ? Wer gab dir deinen ersten Namen: Lygos? Den Göttern schien er nicht zu gefallen. Sie ließen das Orakel von Delphi einschreiten, um jenen Megarer zu dir zu schicken, der dir dann seinen Namen gab: Byzanthion.
Dies war die Stunde deiner Geburt als Stadt. Auf drei Seiten von Wasser umgeben, recktest du dich der Sonne entgegen. Auf deinemsiebenfach gebuckelten Rücken wuchsen hohe Bäume, in denen der Nordostwind rauschte. Auf der Landspitze erbauten die Menschen eine Akropolis, die weit über die Meerenge schaute. Ihr sollten andere Tempel folgen. Von nun an wurde deine Schönheit zur Legende. Heere zogen aus, dich zu erobern. Ein Perserkönig kam von weit her, um dich den Griechen zu rauben. So wurdest du Teil eines Reiches, das sich über zwei Kontinente erstreckte. Doch der Perser war ein glückloser Liebhaber. Die Griechen eroberten dich zurück, erst jene aus Athen, die dann mit den Spartanern um dich kämpfen mussten und verloren. Keiner vermochte dich zu halten. Du warst die wahre Helena, für die Helden in den Krieg zogen und zu deren Füßen sie starben. Jeden blendetest du mit deiner Schönheit, keinem gelang es, dir seinen Willen aufzuzwingen. Auch nicht dem römischen Adler, dessen Reich du als freie Stadt angehörtest. Erst als einer seiner Großen dich zu seiner Kaiserin machte, nahmst du seinen Namen an: die »Stadt des Konstantin«, Konstantinopel. Er brachte dir den neuen Gott, in dessen Zeichen er gesiegt hatte. Ihm errichtete einer seiner Nachfolger unweit jenes ersten Tempels die größte Kirche der damaligen Welt, die er »Heilige Weisheit« nannte, Hagia Sophia. Ihre gewaltige Kuppel, unter der alle Menschen der Stadt Platz fanden, wurde von Säulen aus grünem Porphyr getragen. Das Kreuz des Gottes war aus purem Gold, und die Gebete stiegen zusammen mit dem Geruch kostbaren Weihrauchs in die Höhe.
Von nun an herrschtest du über ein Weltreich. Aus Ägypten kam der Weizen, Gewürze aus Damaskus und Indien, Seide aus China. Gelehrte aus aller Welt trugen ihre Schriften in deine Mauern, und unten, am Hafen in der Bucht, tauschten die Händler die Kostbarkeiten des Ostens und des Westens. Du machtest sie reich, und so nannten sie die langgestreckte Bucht, in der sie ihre Schiffe beluden, »Goldenes Horn«.
Schon Konstantin, der erste Kaiser, umgab dich auf der Landseite mit einer Mauer. Später, als du wuchsest, errichtete Theodosius II.jene gewaltige Wehranlage, die ein Jahrtausend lang allen Feinden trotzen sollte. Nicht sie waren es, die dich schändeten. Es waren Ritter des Abendlandes, Männer, die im Zeichen des Kreuzes kamen, die über den Hafen in die Stadt eindrangen. Sie raubten dir alles, was sie fassen konnten, und in deinen Straßen floss das Blut in Strömen. An diesem Tag hast du geweint, Byzanthion.
Hast du ihnen je vergeben? Hast du deinen Kaisern verziehen, dass sie ihre Stadt auf diese verheerende Weise verloren? Du warst geduldig, als sie zurückkamen. Aber Glück konntest du ihnen nicht mehr schenken. Nach und nach verloren die Kaiser ihr Reich, bis sie nur noch dich hatten. Verzweifelt klammerten sie sich an die alten, halb verfallenen Paläste, aber sie waren schwach und das Feuer ihrer Lenden erloschen. Du lächeltest ihnen nachsichtig zu, denn du wusstest, dass aus den Weiten der östlichen Steppen bereits ein neuer, ein junger Liebhaber nahte. Und du wusstest, dass auch er, wie einst Konstantin, einen neuen Gott mit sich bringen würde.
(847 der Hrdja)
»Liebende begegnen sich nicht eines Tages, irgendwo.
Sie sind immer schon einer im andern.«
MEVLANA JALALUDDIN RÚMI
Der Junge und das Mädchen umkreisten sich langsam. Schmale Lichtstreifen, die durch die Spalten zwischen den Brettern ins Innere der Scheune fielen, wanderten über ihre Körper und die erhobenen Stöcke in ihren Händen. Aufmerksam beobachtete das Mädchen jede Bewegung seines Gegenübers. Wie würde er beginnen? Mit einem geraden Schlag, entschied sie, aus der Schulter heraus. Und hielt sich bereit. Da verlagerte er auch schon sein Gewicht auf das rechte Bein und machte einen Ausfallschritt mit dem linken. Der Stock zielte auf ihren Arm. Sie konterte, indem sie mit einer Bewegung von unten seinen Stock nach oben schlug. Den Schwung nutzend, drehte sie sich um sich selbst und landete einen Treffer auf die Nieren.
»Aaah«, rief der Junge und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht über den unteren Rücken. »Das tat weh.«
»Pass besser auf«, meinte sie nur und hob den Stock wieder in Kampfhaltung. Sie sah, dass er wütend war. Sein nächster Schlag zielte auf ihren Kopf. Sie tauchte seitlich darunter hinweg. Als sie seinen ungeschützten Bauch vor sich hatte, wusste sie, dass dieser Fehler in einem wirklichen Kampf sein Ende gewesen wäre. Sie widerstand dem Impuls, ihm einen Stoß zu versetzen, der ihn für die nächsten Minuten beschäftigt hätte. Er war immerhin ihr Bruder. Und ihr Vater würde es sicherlich nicht gutheißen, wenn sein Gjörgi mit schmerzverkrümmtem Leib aus der Scheune gehumpelt käme.
Er war jetzt vorsichtiger geworden, hatte vielleicht gemerkt, dass er sich mit dem letzten Ausfall eine Blöße gegeben hatte. War sich aber nicht sicher, ob sie diese Blöße wahrgenommen hatte. Wusste nicht, ob sie seinen Fehler übersehen hatte oder ihn vielleicht nur schonte. Dieser Verdacht, dass sie sich ihm überlegen fühlte, steigerte seinen Groll. So war es immer gewesen. Dabei war er ihr älterer Bruder. Doch obwohl ihn mehr als ein Jahr von ihr trennte, war sie bereits ebenso groß wie er. Und er wusste, dass sie mit ihrem hochgeschossenen, schlaksigen Körper genug Kraft hatte, um ein Schaf auf die Hinterbeine zu stemmen, wenn es geschoren werden sollte. Dennoch war sie ein Mädchen, und er ein Mann, zumindest würde er bald einer sein. Sie sollte zu ihm aufsehen, ihn respektieren und seinem Urteil vertrauen. Vielleicht hätte er ihre Frechheit gelassener nehmen können, wenn sie nicht so verdammt flink gewesen wäre.
»Was ist?«, fragte sie in leisem Spott, mit dem sie seinen Ärger verstärkte. »Willst du aufgeben?«
»Du kämpfst nicht ehrenhaft«, gab er zurück, den Stock, ebenso wie sie, mit beiden Händen umfassend. »Du kämpfst wie ein Mädchen.«
Sie lachte: »Vielleicht gewinne ich ja auch wie ein Mädchen. Oder glaubst du, dass die Ehre eines Mädchens darin besteht zu verlieren?«
Mit einem Mal wusste er, wie er ihr den Hochmut heimzahlen konnte. »Du wirst dir noch wünschen, deine Ehre zu verlieren«, sagte er mit höhnischem Triumph. »Aber es wird kein Stock sein, der sie dir nimmt. Zumindest keiner aus Holz.«
Augenblicklich verflog der Spott in den Augen des Mädchens. Sie wusste, was er meinte. Sie sah es tagein, tagaus, wenn die Tiere einander besprangen. Bei den Menschen hatte sie es nie gesehen. Dieser Teil des Lebens war von einem unheilvollen Dunkel umgeben. Vage Geschichten von Schuld und Sühne verhüllten ihn. An die Mutter, die ihr Antwort auf diese Fragen hätte geben können, hatte sie keine Erinnerung mehr.
Doch sie wusste, dieser Teil des Lebens war Schmerz und Tod. Dass ihr Bruder ihr ein solches Schicksal wünschte, erfüllte sie mit kaltem Zorn. Erst jetzt wurde ihr klar, dass auch er eines Tages einer Frau diesen Schmerz zufügen würde. So wie ihr Vater es getan hatte.
Ihr Vater.
Ansatzlos schnellte ihr Stock vor. Erst im letzten Moment gelang es Gjörgi, den Hieb abzuwehren. Sofort setzte sie nach. Schlag auf Schlag drang sie auf ihn ein. Verzweifelt bemühte er sich, ihre Angriffe zu parieren. Sie gönnte ihm keine Atempause. Mit einem harten, trockenen Knallen schlugen ihre Stöcke aufeinander. Von dem festgestampften Boden stieg Staub auf. Unzählige kleinste Weizen- und Gersteteilchen, die über Jahrzehnte hinweg von den Karren gerieselt waren, wirbelten durch die raschen Bewegungen der barfuß Kämpfenden hoch in die warme Luft. Sie setzten sich juckend auf ihrer verschwitzten Haut fest, legten sich auf die Schleimhäute ihrer heftig atmenden Münder und Nasen. Vermischten sich dort mit dem Geruch von Kuhdung und dem scharfen Urin der Tiere.
Das Mädchen, dem einst eine bis zu Tode erschöpfte Mutter den Namen »Thamar« über die blutige Stirn gehaucht hatte, nahm es nicht wahr. Ihre ganze Konzentration lag in den Bewegungen, mit denen sie die Deckung ihres Gegenübers zu durchbrechen suchte. Sie wusste, dass er stärker war als sie und dass ein gut platzierter Schlag sie von den Beinen holen würde. Aber sie wusste auch um ihre Schnelligkeit. Es verwunderte sie immer wieder, mit welcher Langsamkeit sich die Menschen bewegten. Es schien ihr manchmal, als wäre die Luft für die anderen dicker, als müssten diese mit jeder Geste einen Widerstand überwinden, der für sie nicht existierte.
Was sie nicht wusste, war, wie unheimlich sie auf ihren Bruder wirkte. Nicht etwa, weil sie wie ein Junge kämpfte und keiner Auseinandersetzung auswich. Oder nicht weinerlich wie andere Mädchen war. Nein, was ihn schreckte, war das Blau ihrer Augen, das in einem scharfen Kontrast zu den schwarzen Haaren und der bronzenen Hauttönung stand und das schon die Hebamme veranlasst hatte, drei eilige Kreuze zu schlagen.
Der Säugling, dessen Schreie nicht Qual, sondern Zorn auszudrücken schienen, war auch der Amme unheimlich gewesen. Sie gab ihm Milch, aber sie mied den Blick seiner eisblauen Augen, deren Farbe von einem hellen Graublau bis zu einem dunklen Azur wechseln konnte. Je nachdem welche unsichtbaren Kräfte das Kind bewegten. Der Bruder hatte erlebt, wie ihr Blick zu einer eisigen Flamme wurde, wenn jemand sie bedrohte. So wie jetzt, nachdem er sie verhöhnt hatte. Dann war es, als ergriffe ein anderes Wesen von ihr Besitz, dessen Anwesenheit sich zuerst in ihren Augen manifestierte. Kalt und grausam blickten sie dann, wie er es nur von wilden Tieren kannte, von Wesen, die nach der Lehre ihres Glaubens über keine Seele verfügten. Diese Augen im Gesicht eines zwölfjährigen Mädchens verstörten nicht nur ihn. Er wusste, dass auch seinem Vater davor graute.
All dies fuhr ihm durch den Kopf, während er ihr auswich. Unaufhörlich sprang das Mädchen vor und zurück, setzte zur Seite oder duckte sich, wenn einer seiner wenigen Konter auf sie zielte. Sie bewegte sich nicht nur, sie war Bewegung. Reine Bewegung. Es war längst kein Zorn mehr in ihr. Was sie spürte, war die pure Lust an der Schnelligkeit ihres Körpers. Und ihrer Wahrnehmung, die ihr, ohne dass sie überlegen musste, immer verriet, was der Junge als Nächstes tun würde. Sie traf ihn etliche Male, aber auch ihm gelangen ein oder zwei Treffer. Keiner von ihnen beklagte sich. Der Junge, weil er keine Schwäche mehr zeigen wollte, das Mädchen, weil sie den Schmerz nicht spürte. Sie kannte keine andere Berührung als die einer harten Hand.
Mit einem Mal, als hätte der gemeinsame Kampf ihre Gedanken in Gleichklang gebracht, hielten sie inne.
Schwer atmend, mit dem erhobenen Stock in der Hand, standen sich die Geschwister gegenüber. Beide rangen mit dem Gefühl, dass aus dem Spiel Ernst geworden war. Beide suchten sie nun den Weg zurück in das Spiel. Denn sie waren ja keine wirklichen Feinde. Dem Jungen gelang es, dem Mädchen nicht.
»Ein guter Kampf«, sagte er mit mattem Lächeln.
Sie wollte ihm nicht weh tun. Der Aufprall ihres Stockes auf seinem Fleisch hatte ihr nicht um der Gewalt willen gefallen. Auch ging es ihr nicht darum, ihn zu besiegen. Wogegen sie sich sträubte, war, dass sie sich mit dem Ende des Kampfes in ein Mädchen zurückverwandeln würde. In eines dieser schwachen Geschöpfe, deren Bestimmung Unterwerfung hieß. Und dass sie die unbegreifliche Wachheit der Kämpfenden wieder verlassen würde. Wie ein Pendel schwankte sie zwischen zwei Welten. Das zwölfjährige Mädchen, das sie war, wollte zurück in die ihr vertraute Welt, in der die Handgriffe des täglichen Lebens ihr Halt gaben. Denn ihr Anderssein, um das sie sehr wohl wusste, machte sie manches Mal auf schmerzhafte Weise einsam. Dann wünschte sie sich nichts sehnlicher, als ein Teil eines Ganzen zu sein, von dem sie sich Wärme und Zuneigung erhoffte.
Aber der andere Teil in ihr, der sich erfuhr, wenn sie die Grenzen dessen überwand, was andere in ihr sahen; wenn sie Widerstände niederrang, Schlägen auswich, einen fallenden Krug im letzten Moment auffing, dieser Teil gab noch nicht auf. Dieser Teil, der mit jedem Zoll, den sie wuchs, an Kraft gewonnen hatte, dieser Teil maß immer noch ihr Gegenüber. Las in seiner Haltung, seiner Gestalt die Möglichkeiten, die sich ihr zum Angriff boten.
»Ein guter Kampf«, sagte sie mit kehliger Stimme, »hat ein Ende.«
Er lachte und schüttelte ungläubig den Kopf dabei: »Es ist schon spät. Wir sollten die Tiere heimholen.«
Ihr Mund verzog sich zu einem verächtlichen Lächeln. Sie war noch nicht bereit: »Wirst du auch die Tiere holen gehen, wenn die Türken kommen?«
Schlagartig verfinsterte sich sein Gesicht: »Niemand weiß, wann die Türken kommen.«
»Darum sollten wir immer bereit sein«, gab sie tonlos zurück und hob ihren Stock.
Er tat es ihr nach. »Was geschehen ist, ist geschehen«, sagte er.
»Gott hat es so gewollt.«
»Gott?«, fragte sie leise. »Was hat Gott so gewollt? Was ist damals geschehen? Sag es mir. Du weißt es doch, oder?«
Ein Teil von ihr sah den Schmerz in seinen Augen, aber der andere Teil sah nur den Mann, der er einmal sein würde.
»Die Türken sind unsere Herren, Thamar«, flüsterte er, »wir müssen uns fügen.«
»Niemals«, gab sie ebenso leise zurück, »und jetzt kämpfe.«
»Du bist wie ein wildes Tier. Und hässlich. Nie wirst du einen Mann finden.«
Wieder stieg der Zorn in ihr hoch, wieder erfasste die unheimliche Kraft ihren zarten Körper, um ihn nach seinem Willen zu formen.
»Kämpfe«, stieß sie heiser hervor.
Er hob den Stock, zögernd, als wüsste er nicht, wie er dieses unbegreifliche Wesen, das seine Schwester war, nun angreifen sollte. Wusste nicht, ob es zu einem Schlagabtausch oder Schlimmeren kommen würde. Thamar ließ ihm Zeit. Langsam senkte sie ihren Stock, hielt ihn nur mit der Rechten seitlich von sich gestreckt, den ganzen Körper ungeschützt, eine Einladung, ihr den entscheidenden Schlag zu versetzen.
Dies alles hatte sie kalkuliert. Sie wusste mit absoluter Sicherheit, dass sein Schlag weit ausholend von oben kommen würde. Sie wusste, dass sie diesem Schlag mit nur einem Schritt zur Seite würde ausweichen können, um danach mit einer einzigen, entschlossenen Bewegung ihres rechten Armes seine Schulter zu treffen. Auch wusste sie, dass sie damit seinen Schulterknochen brechen würde. Es würde sehr leicht sein, aber die Folgen, und das wusste sie ebenfalls, würden sehr schwer wiegen. Es war ihr gleichgültig.
Als er ausholte, als sie sich schon bereitmachte, ihr Gewicht zu verlagern, als alles darauf zusteuerte, dass sie ihrem Bruder einen Knochen brach, da ging mit lautem Knarren das Scheunentor auf. Beide erstarrten in ihrer Bewegung und sahen erschreckt auf die kräftige Silhouette, die sich gegen das Tageslicht abzeichnete. Augenblicklich sank die Wut des Kampfes in Thamar zusammen und ließ nur das Kind zurück, das Mädchen, das die Strenge des Vaters fürchtete. Er hatte ihr den Stockkampf verboten. Ihr war klar, dass die Strafe nun auf dem Fuß folgen würde.
»Thamar!«, rief er in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
Gesenkten Kopfes ging sie ihm entgegen. Mit halbem Blick gewahrte sie das leuchtende Licht des Frühlingstages draußen im Hof. Sie meinte, den süßen Duft der Blüten in der Luft wahrzunehmen und den Gesang des Windes in den Feldern, die sich hinter dem kleinen Hof weit in das Land erstreckten. Es war ein Tag, an dem sich die jungen Weizenschösslinge der Sonne entgegenreckten. Ein Tag, an dem die Hunde ihre Schnauzen wohlig im frischen Gras rieben und die Männer auf dem Feld ihren Durst mit herbem Wein löschten. Es war ein warmer Tag im Mai in der fruchtbaren Ebene südlich der Donau, einen Tagesmarsch von Varna, der Stadt am Schwarzen Meer, entfernt. Es war der Tag, an dem ihre Kindheit endgültig zu Ende ging.
Die Sonne senkte sich bereits auf die schroffen Höhen des Ilgaz Daglari hinab, als die Reisenden ihr Ziel erreichten: Amasia, die Perle des Osmanischen Reiches, tief im anatolischen Hinterland. Aus dem Hochland kommend, vereinigten sich hier der Jeschil-Yrmac-Fluss mit dem Cekerek Irmagi, bevor sie gemeinsam weiter nach Nordosten, dem Schwarzen Meer entgegen, strebten. Unterhalb der Anhöhe, auf der die drei Reiter reglos verharrten, strömte der Gebirgsfluss, dem sie bereits seit dem Morgen gefolgt waren, in das von hohen Felswänden umschlossene Tal. Zu jener Zeit, als die Osmanen noch ein kleines Grenzvolk des Seldschukenreiches gewesen waren, hatte man Kammern in die Felsen geschlagen, in denen die Ghazi-Fürsten ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Seit dieser Zeit war Amasia der Ort, an dem die Sultane ihre Nachfolger erziehen ließen.
Die letzten Strahlen der Sonne färbten die Felsen, die Dächer und die Kuppeln der Stadt und verliehen sogar der fruchtbaren Erde ein ockriges Rot. Pfeilen gleich zielten die langen Schatten der drei Männer auf ihren erschöpften Pferden hinab ins Tal. Geduldig warteten sie auf das Ende des Zwielichtes, der heidnischen Stunde. Erst als das letzte Dämmerlicht verschwunden war, als auch das Blau des Himmels sich verdunkelte und die ersten Sterne am Firmament auftauchten, erklang aus dem Tal der ferne Ruf des Muezzin. Die drei Männer stiegen aus dem Sattel, um das Maghrib, das Abendgebet, zu vollziehen. Sie entrollten ihre Gebetsteppiche, streiften die Schuhe von den Füßen und knieten nieder. Da ihre Wasserflaschen leer waren, reinigten sie ihre Hände mit Sand und vollzogen die rituellen Bewegungen des Wudu. Dann sammelten sie mit geschlossenen Augen ihre Gedanken, bevor ihr Anführer als Erster die Stirn zu Boden senkte und anschließend die Al-Fatiha zitierte: »Im Namen Allahs, des Gnädigen und Allmächtigen ...« Seine Begleiter taten es ihm nach, wobei sie darauf achteten, ihre Stimmen nicht lauter klingen zu lassen als die ihres Herrn.
Qara Chidr Pascha hatte seine beiden Begleiter mit Bedacht für diese Aufgabe ausgewählt. Sie dienten ihm schon, seit sie mit vierzehn Jahren ihren griechischen Eltern weggenommen worden waren, um im Reiche des großen Sultans ein Leben im wahren Glauben zu führen. Chidr Pascha hatte sie zu Kriegern erziehen lassen, die den Tod nicht fürchteten.
Als die Männer sich von ihrem Gebet erhoben, waren im Tal nur noch die Umrisse der Stadt und die von vereinzelten Lichtern erleuchteten Mauern zu erkennen. Das alte Kastell kauerte in verdichteter Schwärze auf der Klippe oberhalb des Flusses. Darunter lag der Palast, aus dessen offenen Torbögen weiches Licht in den Garten flutete. Chidr Pascha betrachtete die friedvolle Stadt und wartete. Wartete auf die Nacht.
In seinem Herzen war es ruhig. Ein leichter Südwind, der dem fernen Meer entgegenwehte, strich über seine Haut. Er nahm den Duft der Maulbeerpflanzungen in der Luft wahr, des Ginsters, und selbst die Würze der fernen Zedernwälder vermochten seine erwachenden Sinne zu erspüren. Er schloss die Augen. Und nun vernahm er das Raunen von Stimmen, die ihm Geschichten aus der Vergangenheit seines Volkes erzählten. Jenem Volk, das aus den Tiefen der Steppe aufgetaucht war, um eine Welt zu erobern. Er wurde sich, wie schon so oft zuvor, bewusst, dass er Teil dieser Welt war, eines Reiches, das neue Städte erbaut hatte und prächtige Paläste. Eines Reiches, das die übrigen Völker fürchteten und in dem die Worte des Propheten Gesetz waren. Den Mann mit dem weißen Turban und dem dunkelgrünen Mantel, in den kunstvoll verschlungene Muster eingewebt waren, erfüllte es mit Stolz, was sein Volk geschaffen hatte und dass er selbst ein Teil dieser Ruhmesgeschichte war, die Allah in das Buch des Lebens schrieb. Nur wenige waren wie er bestimmt, die Geschicke des Reiches zu lenken. Nur wenige waren dazu imstande, über ihre alltäglichen Bedürfnisse hinaus den Organismus des Staates zu erkennen und der Kraft, die Allah Seinem Volk verliehen hatte, eine Richtung zu geben. All sein Denken galt dem Wohl des Osmanischen Reiches.
Als Qara Chidr Pascha schließlich seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch gab, war es bereits tiefe Nacht. Rasch näherten sie sich der still im Sternenlicht ruhenden Stadt, in der die Wachen bereits auf ihre Ablösung warteten. Bereitwillig wurden ihnen die Tore geöffnet, als einer seiner Männer den Chidr Pascha ankündigte. Sie schlugen den Weg zum Palast ein, wo sein Name nicht mehr genannt werden musste. Hier kannte man den Heerführer des Sultans. Erst als sie den Palastflügel erreichten, in dem die Schlafgemächer des Prinzen lagen, versperrten ihnen die Leibwächter des jungen Ali-Tschelebi den Weg.
»Öffnet die Tür«, befahl Qara Chidr Pascha den beiden kräftigen Wachen, die ihre Schwerter griffbereit an den Hüften trugen.
»Verzeiht, Herr«, gab der größere der beiden ruhig zurück, »aber wir haben Befehl, jeden Besuch anzukündigen.« Er wandte sich an seinen Waffenbruder: »Geh, und sage dem Prinzen, dass der Chidr Pascha ihn sprechen will.«
Es geschah in dieser Sekunde, da die beiden Leibwächter, einander zugewandt, die Besucher für einen kurzen Moment aus den Augen ließen, dass Qara Chidr Pascha seinen Begleitern mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken das Zeichen gab. Sofort sprangen die beiden Männer vor. In ihren Händen blitzten die Klingen der Dolche, die sie zeitgleich von unten in die Kehlen der Leibwächter stießen. Danach fingen sie die beiden leblosen Körper auf und ließen sie zu Boden gleiten. Chidr Pascha hatte sie bereits vergessen, als er nun seinen Getreuen gegenüber den Befehl wiederholte: »Öffnet die Tür.«
Der lange Gang, der zum Schlafgemach des Prinzen führte, war von Öllampen erleuchtet, die in silbernen Haltern an der mit Marmor verkleideten Wand angebracht waren. Die Schritte der Männer verursachten kaum ein Geräusch auf den polierten Fliesen. Sie kannten den Weg. Kurz verharrten sie vor der prachtvollen Ebenholztür, hinter der der Prinz des Reiches schlief. Qara Chidr Pascha wusste, dass Ali-Tschelebi nicht nur ein kluger, sondern auch ein mutiger Mann war. Dies war auch der Grund, weshalb er sterben musste. Denn der erfahrene Jäger erlegte den Löwen, bevor dieser ihm gefährlich werden konnte. So öffnete Chidr Pascha selbst die Tür, um den erstgeborenen Sohn des Sultans zu töten.
Es waren auch seine Hände, die sich um die Kehle des arglos Schlafenden schlossen, während seine Männer den im Todeskampf Erwachenden festhielten. Er sah dem jungen Mann in die entsetzten Augen, als er dessen letzte Zuckungen spürte. Ein Teil in Qara Chidr Pascha bedauerte den Tod des Prinzen. Vielleicht wäre er ein großer Sultan geworden. Doch damit bedrohte er die Pläne Chidr Paschas, denn der Heerführer war von der Überzeugung durchdrungen, dass Allah ihm, Chidr Pascha, die Aufgabe zugewiesen hatte, für das Wohl des Reiches zu sorgen. Ein starker Sultan aber stand dieser Aufgabe im Weg. Denn das Reich stand über allem. Und das Reich forderte dieses Opfer.
Doch noch war ihre Aufgabe nicht vollbracht. Und vor dem letzten Teil graute es selbst einem Mann wie Qara Chidr Pascha. Denn es reichte nicht, Prinz Ali aus dem Weg zu räumen, um die Erbfolge zu beeinflussen. Auch die Söhne des Prinzen mussten sterben. Fast widerwillig fanden Chidr Paschas Füße den Weg zurück über den Gang in die anderen Schlafgemächer. Diesmal verweigerten ihm seine Hände den Dienst. Aber seine beiden Getreuen wussten, was zu tun war.
Er blieb in der Tür stehen, als seine Männer in das Gemach einbrachen. Er sah die aufgerissenen Augen der Amme und ihren Mund, der sich zu einem Schrei öffnen wollte. Doch der Dolch ihres Mörders war schneller. Röchelnd und mit aufgeschlitzter Kehle brach sie zusammen. Mittlerweile hatte der andere das Kinderbett erreicht. Qara Chidr Pascha beobachtete, wie der Mann sich über die seidenen Decken beugte und den Einjährigen erdrosselte. Mit reglosem Gesicht und einer Stille im Herzen, die der des Todes glich, wandte er den Kopf in die andere Ecke des Raumes. Dort stand der Mann, der die Amme zum Schweigen gebracht hatte, vor einer Wiege. Zögerte er etwa? Chidr Pascha gab einen leisen Zischlaut von sich. Da streckte sich die kräftige Männerhand aus und verschwand in der Wiege. Nur am Spiel der Muskeln im Unterarm des Mannes erkannte Qara Chidr Pascha das Sterben des Säuglings. Es war kurz.
Keiner von ihnen sprach ein Wort, als sie den Palast wieder verließen. Den Gruß der Wachen am Außentor, die nichts von den Ereignissen im Inneren ahnten, erwiderten sie stumm. Auch das »möge Allah deinen Weg segnen« des Pferdeknechtes entlockte dem Qara Chidr Pascha keinen Laut. Ihn drängte es, diesen Ort zu verlassen. Ihn zog es zurück in die nächtlich stumme Weite des Landes. Er wollte kein Licht mehr sehen außer dem der Sterne, keinen Laut mehr hören als den des Windes.
Erst als ihre Pferde die Anhöhe erklommen, die zur Hochebene führte und das nur noch dank einiger Lichter verortbare Amasia hinter sich ließen, erst da bemerkten die drei Mörder das merkwürdige Leuchten, das wie ein fernes Feuer die Nacht durchdrang. Es war einer der beiden Diener, der sich umwandte und zum Himmel emporsah. Sein erstickter Laut riss auch den Chidr Pascha aus seiner Versunkenheit. Dem Blick seines Untergebenen folgend, durchlief ihn ein Schauder. Über den Klippen im Osten des Tales erhob sich ein roter Mond. Der Blutmond.
Stumm schauten die drei Männer zu dem unheilvollen Fanal am Himmel empor. Es bedurfte keiner Worte. Sie begriffen, dass ihre Tat nicht ungesühnt bleiben würde.
»Allah sei uns gnädig«, murmelte der Mann neben Qara Chidr Pascha, der Mann, der den Säugling erwürgt hatte. Da bemerkte er, wie sich die Augen seines Herrn auf ihn richteten. Er wagte es nicht, dessen Blick zu erwidern, doch er spürte die Kälte, spürte den drohenden Tod darin. Er fürchtete den Tod nicht. Zu oft hatte er ihm im Kampf ins Auge gesehen. Aber er fürchtete den Tod durch die Hand seines Herrn. Es war das Einzige, was er fürchtete. Also senkte er den Kopf, bereit, die schrecklichste und letzte Gnade aus seiner Hand zu empfangen.
Das leise Schnauben der Pferde durchbrach die unheilvolle Stille. Chidr Pascha wendete sein Tier. »Weiter«, sagte er nur. Der zweite Mann, der nicht einen Moment gezögert hätte, seinen Waffenbruder auf Befehl ihres Herrn zu töten, fragte: »Wohin gehen wir jetzt?«
»Nach Edirne«, antwortete Qara Chidr Pascha und dachte an den verzogenen, schwächlichen Zwölfjährigen, der ganz gewiss kein starker Sultan werden würde. »Das Reich der Osmanen hat einen neuen Thronerben.«
Ihre Lippen hatten die Farbe von Rosen, auf denen der Morgentau glitzerte. Ihre Haut war so zart wie der Flügel eines Schmetterlings, und jede ihrer Bewegungen hatte die Anmut einer Göttin. Ciriaco konnte den Blick nicht von ihr wenden, als sie mit keusch gesenktem Haupt aus der Bankreihe trat und vor dem Priester niederkniete. Ihr kastanienbraunes Haar war unter einer Haube verborgen, die Kontur ihres schlanken Halses verursachte Ciriaco ein Kribbeln in den Fingern. In einem Bild, in dem sich Wirklichkeit und Traum überlagerten, sah er, wie sich seine Hand in ihren Nacken legte, wie ihr Kopf sich hob, so wie jetzt, da sie sich dem Priester zuwandte, um die Hostie zu empfangen. Ihr Mund öffnete sich für ihn, nicht für das trockene Mehlgebäck, das den Leib Christi verkörperte. Und als ihre rosa Zunge hervorkam, auf die des Paters dicke Finger das geweihte Brot legten, da schoss dem jungen Mann das Feuer durch die Brust. Schnell senkte er den Blick auf seine verkrampften Hände. Seine Wangen brannten vor Scham, als ihm die Heftigkeit seines Begehrens bewusst wurde. Lautlos betete er: Herr, gib mir Kraft. Dieser Leib ist zwar eine Hülle, aber er ist auch die Form Deines Willens. Und verzeih mir, Herr, aber ich liebe nicht nur ihre Seele, sondern auch ihre Gestalt. Als er den Kopf wieder zu heben wagte, hatte sie sich erhoben und wandte sich, den Schleier wieder über das Gesicht senkend, ihrem Platz zu, wo ihre Mutter auf sie wartete. Sie ging hoch aufgerichtet und mit langsamen Schritten, in einer Haltung, in der sich Stolz und Demut vereinten. Ihre Hände waren noch immer wie im Gebet verschränkt. Sie ging wie die Heldin einer griechischen Tragödie. Ciriacos Sinne sogen geradezu jede ihrer Bewegungen in sich auf. Sie bemerkte es nicht. Kein einziges Mal in all den Monaten, die er ihr folgte, hatte sie ihn wahrgenommen.
Weder der anschließende Gesang noch die Segensworte drangen in sein Bewusstsein. Ciriaco de Pizzicolli, der in seinem dunklen, schlichten Gewand auch niemand anderem in der Kirche sonderlich auffiel, erwachte erst wieder aus seiner Versunkenheit, als die Besucher des Gottesdienstes sich scharrend und räuspernd von ihren Betstühlen erhoben. Ohne den Kopf zu wenden, bemerkte er aus den Augenwinkeln heraus, wie nun auch die junge Frau aufstand und ihrer Mutter den langen Gang entlang folgte. Reglos kniete er an seinem Platz, der weit genug von ihrem entfernt war, damit seine beobachtenden Blicke niemandem auffielen, der aber immer noch nah genug war, um alles an ihr ganz genau betrachten zu können, wenn sie die wenigen Schritte zum Empfang des Abendmahles tat. Erst als die letzten Geräusche hinter ihm verstummt waren und nur noch Stille das hohe Gewölbe füllte, sah er auf. Durch die oberen Seitenfenster fiel in schrägen Bahnen das Sonnenlicht in den Altarraum. Dort, wo sie gekniet hatte, schien die Luft zu flimmern, als teile sie Ciriacos Erregtheit. Es fiel dem jungen Mann nicht schwer, die in seinem Gedächtnis frisch verwahrten Bilder wieder zum Leben zu erwecken. Wie sie den Schleier hob. Wie ihre Lippen sich öffneten. Wieder und immer wieder. Bianca.
Bianca Ferrucci.
Er hatte niemandem von seiner Liebe zu ihr erzählt. Nicht nur, weil er die Missbilligung seines Vaters fürchtete oder den Spott seiner Freunde, sondern weil das, was er fühlte, zu groß war, als dass es sich in Worte fassen ließe. Dass gerade er einmal so denken würde, hätte er bis vor kurzem selbst nicht geglaubt. Schließlich war er derjenige, der selbst noch den schwierigsten Text von Cicero oder Vitruv auszulegen wusste. Doch gerade weil Ciriaco ein Kenner der Sprache war, wusste er um ihre Begrenztheit. Die Reaktion seines Bruders, der ihn einmal zufällig aus der kleinen Kirche im Rialto hatte kommen sehen, war der beste Beweis dafür.
»Sollte unser Philosoph den Weg zurück in den Schoß der Kirche gefunden haben«, fragte Francesco maliziös, wobei er das Wort »Schoß« mit einem kaum vernehmbaren Schmatzen aussprach. Natürlich hatte er sofort eine Liebelei vermutet, womit er einerseits richtig, andererseits nicht falscher hätte liegen können.
Der drei Jahre ältere Francesco war der Liebling aller Frauen. Und nicht nur der Frauen, auch ihr Vater setzte seine ganzen Hoffnungen in den Erstgeborenen, der über all jene Fähigkeiten verfügte, die sich Venedig von seinen Söhnen erhoffte. Francesco war mutig bis zur Verwegenheit, stets darauf vertrauend, dass Fortuna ihre schützende Hand über ihn hielt. Sein Geschick im Umgang mit dem Langschwert war legendär, selbst ihr gemeinsamer Fechtmeister hatte Mühe mit seinen kraftvollen Attacken. Doch Ciriacos Bruder besaß auch einen Instinkt für den Handel, jenes Gewerbe, dem die Stadt in der Lagune ihren Reichtum verdankte, ebenso wie ihm das Spiel der politischen Ränke lag, dem zweiten Pfeiler der venezianischen Macht. Francesco war all das, was Ciriaco nicht war.
Dennoch war der junge Mann nicht im mindesten neidisch auf seinen Bruder. Im Gegenteil, Ciriaco gönnte Francesco von Herzen die Rolle, die dieser im Leben ihrer Familie und der Stadt einnahm. Und das nicht nur, weil Ciriaco sich mehr für Philosophie als für Getreidepreise interessierte, und für ihn in einem geometrischen Satz unendlich viel mehr Sinn und Weisheit enthalten war als in den Beschlüssen des Großen Rates der Stadt. Nein, was ihm, wäre er anstelle seines Bruders gewesen, am meisten zu schaffen gemacht hätte, war der Verlust der Zurückgezogenheit, des Für-sich-sein-Könnens. Francesco stand immer im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Und er genoss es. Es belebte ihn wie einen Schauspieler das Publikum. Ciriaco hingegen liebte die stillen Stunden, in denen er las, rechnete oder schrieb. Oder eine Kirche vermaß.
Unmerklich wanderte das Licht über den mit einem violetten Tuch verhangenen Altar, färbte die Seiten der aufgeschlagenen Bibel in einem hellen Ockerton und glänzte auf den wie poliert wirkenden Füßen des Erlösers am Kreuz.
Auf einer seiner Wanderungen durch die Stadt hatte diese Kirche hinter der baufälligen Rialtobrücke Ciriacos Interesse geweckt. Es war ihre Schmucklosigkeit, die ihn gefangen nahm. Ihr unsymmetrisches Äußeres mit der angebauten Pfarrei und dem schlichten hölzernen Vorbau, der den Eingang beschattete. Er erfuhr, dass diese Kirche aus einer Zeit stammte, da Venedig noch um sein Bestehen hatte kämpfen müssen. Aus einer Zeit lange vor jenem großen Kreuzzug, der die »Serenissima« zur Großmacht erhob.
San Giacomo war eine Zunftkirche und weit entfernt von der Pracht San Marcos, wo die Familie der Pizzicolli mit den anderen Granden der Stadt den Gottesdienst besuchte und deren kunstvolle Ausstattung die Sinne geradezu erschlug. In der Einfachheit San Giacomos erkannte Ciriaco dagegen die Arbeit der Steinmetze, deren Schweiß noch an den Fundamenten zu haften schien. In ihr spürte er den Geist eines vergangenen Zeitalters, in dem des Menschen Werk noch über dem Menschen selbst stand. Wenn seine Hände über die narbigen Steine der Sockel tasteten, dann glaubte er den Klang der Hämmer und Meißel zu vernehmen, die dem Fels seine Form gaben. Diese Kirche war rau und ehrlich, wie die Zeit, der sie entstammte. Er liebte diese Kirche, denn in ihr war er Bianca begegnet.
Er war lange vor dem Gottesdienst gekommen und hatte mit einem sechs Fuß langen Stock gerade den Innenraum der Kirche vermessen, als die Welt, wieder einmal, vor seinen Augen zersplitterte. Zuerst der Stab in seiner Hand. Ciriaco maß gerade das letzte Stück Boden bis zu der Säule, die das Seitenschiff vom Hauptschiff abgrenzte, als sich die gerade Reihe der Kerben, mit denen er sein Lineal versehen hatte, aus diesem herausschob. Verwundert sah er nun auf zwei Stäbe und zwei rechte Hände herab. Als ihm dämmerte, was geschah, hob er erschreckt den Blick. Auch die Steine in der Außenwand verschoben sich und veränderten ihre Abstände zueinander. Gleichzeitig war es, als würden alle Geräusche aus der Luft herausgesaugt und durch eine schwere, ölige Stille ersetzt. Ciriaco wusste, was er zu tun hatte. Aus seiner hockenden Stellung heraus kippte er nach hinten, bis er den harten Stein der Säule im Rücken spürte. Hände und Füße stützte er auf den schwankenden Steinen des Fußbodens ab. Mit einer vertrauten Mischung aus Schrecken und Faszination erwartete er den Anfall.
Als ihm das erste Mal widerfahren war, was seine Eltern fortan nur »den Schwindel« nannten, hatte der eilig herbeigerufene Arzt nicht das mindeste auf die Beteuerung des damals Zehnjährigen gegeben, dass bereits alles wieder in Ordnung wäre. Unter griesgrämig gemurmelten Sätzen, aus denen Ciriaco etwas heraushörte, was sich wie »zu viel heißes Blut« anhörte, hatte ihm der hagere Mann mit den langen, gelben Zähnen die Adern am Unterarm geöffnet. Das heraussprudelnde Blut hatte alle beruhigt, den Arzt, die Eltern und selbst die Kinderfrau, die, wie Ciriaco mit schwindenden Sinnen feststellte, sogleich ein Dankgebet gen Himmel schickte. Ihm selbst ging es nach dem Aderlass keineswegs besser. Deshalb hatte er sich im Laufe der Zeit auch angewöhnt, seine Anfälle möglichst zu verbergen. Dankbar, dass es ihn nun allein in dieser abgelegenen Kirche traf, ließ Ciriaco das Unfassbare von seinen Sinnen Besitz ergreifen.
Während sich vor seinen Augen die Architektur der Kirche auflöste und in einem aberwitzigen Tanz unablässig neue Formen annahm, während sein heftiger Atem und das harte Pochen in seiner Brust die einzigen Geräusche waren, die zu ihm drangen, tat Ciriaco das, was, wie er wusste, die einzige Möglichkeit war, das Unvermeidliche zu ertragen, ohne bewusstlos zu werden: Er hörte auf zu denken.
Er spürte das Flattern der Angst in seinem Bauch, doch in seinem Geist wurde es ruhig. Mit dem Staunen eines Kindes betrachtete er das Zerbrechen der Welt. Waren es zuerst die Konturen gewesen, die den Gesetzen der Natur nicht mehr folgen wollten, so lösten sich als Nächstes die Dinge selbst auf. Die gegenüberstehende Säule wurde durchscheinend, als sei sie aus Glas. Auch die Außenmauer schien ihre Festigkeit zu verlieren. Zwar blieb sie erhalten, doch durchdrang sie mit einem Mal ein helles Glühen, als würde das Licht der Sonne sie durchdringen. Ein Teil von ihm wusste, dass die Sonne dort nicht sein konnte, dass sie sich beinah direkt hinter ihm befand. Deshalb hatte dieses unnatürliche Glühen auch nichts Bedrohliches für ihn. Es war eher so, als käme es aus einem fernen Land und riefe ihn nun zu sich. Seine Angst verging. Nur eine namenlose Sehnsucht erfüllte ihn noch. Sein Atem wurde wieder ruhiger, und er ahnte, dass der Anfall im Begriff war vorüberzugehen. Dass die Welt sich in Kürze wieder zusammensetzen würde. Und wie so oft schwang in seiner Erleichterung auch Bedauern mit.
Noch aber war es nicht so weit, noch hockte er hilflos in einer Ecke der Kirche. Wahrscheinlich hatte er die Augen weit aufgerissen und Speichel lief ihm aus dem Mund. Es war kein schöner Anblick, das wusste er. Darum durchfuhr ihn heiß der Schrecken, als sein wiedereinsetzendes Gehör den Klang leichter Schritte wahrnahm. Was er auf keinen Fall wollte, war, dass sich irgendjemand um ihn bemühte oder gar einen Arzt herbeirief, der ihm vermutlich nur wieder den Arm aufschneiden würde. Er wandte mühsam den Kopf und spähte um die Säule herum, um zu sehen, wer da zur Unzeit in die Kirche kam. Und spürte im nächsten Moment, wie ihn ein glühendes Schwert durchfuhr.
Gehörte das, was er den Gang entlangschweben sah, zu dieser Welt? Oder war es ein überirdisches Wesen, das durch die Trümmer der Wirklichkeit zu ihm herabgestiegen war? Das Licht, das durch den Halbbogen des Westfensters fiel, umgab ihre Gestalt mit einer schimmernden Aureole. Ja, es war, als trete sie gerade in diesem Moment aus dem Licht heraus, um mit jedem Schritt leibhaftiger zu werden. Dann blieb sie stehen, das fein geschnittene Gesicht zum Christusstandbild erhoben. Ciriaco, der immer noch nicht ganz wieder er selbst war, sah ihre sehnsuchtsvollen Augen und die Unschuld, mit der sie sich diesem vermeintlich unbeobachteten Augenblick hingab. Zum ersten Mal vergaß Ciriaco, den magischen Vorgang der zurückkehrenden Wirklichkeit bewusst zu erleben. Denn alle Wirklichkeit verdichtete sich nun in dieser einen Frau.
Später hatte er diesen ersten Moment unzählige Male in seinem Geiste neu auferstehen lassen. Hatte versucht, ihn zu ergründen und die Macht seines Zaubers verständlich werden zu lassen. Es war ihm nicht gelungen. Und auch das war ein Grund, warum er seine Liebe geheim hielt. Denn um sie zu erklären, hätte er gestehen müssen, dass ihn ein äußerst unchristliches Verständnis des Menschen leitete: Ciriaco war Platoniker. Und kaum etwas in den Schriften Platos hatte ihn so berührt, wie dessen Gleichnis von den zwei Hälften des Menschen, die, zu Beginn aller Tage voneinander getrennt, für immer sehnsuchtsvoll nacheinander suchten. Ciriaco war davon überzeugt, dass seine verlorengegangene Hälfte an diesem Nachmittag die Kirche von San Giacomo betreten hatte. Und dass es nun seine heiligste Aufgabe war, ihre Vereinigung zu verwirklichen.
Er zog Erkundigungen über sie ein. Biancas vor zwei Jahren verstorbener Vater war ein angesehenes Mitglied der Goldschmiedezunft gewesen. Er hatte seiner Frau und der Tochter genügend Mittel hinterlassen, um ihnen ein auskömmliches Leben zu ermöglichen. Doch für eine Heirat mit dem Sohn einer alten, adligen Familie würde Biancas Mitgift keineswegs ausreichen. Ciriaco war klar, dass dieser Umstand eine erhebliche Erschwernis auf dem Weg zu ihrer beider Glück darstellte. Ihm selbst war es zwar gleichgültig, doch er war sicher, dass sein Vater anders darüber denken würde. Wenn es denn überhaupt so weit käme, über eine Mitgift zu sprechen. Denn weit schwerer als die unzureichende finanzielle Lage der Ferruccis, wog die Tatsache, dass Biancas Familie nicht adlig war.
Die in den Statuten der Stadt festgelegten Regelungen, die dem Sohn einer politisch einflussreichen adligen Familie einen Sitz im Rat zusicherten, legten ebenso unmissverständlich fest, dass dieses Recht erlosch, sobald der Erbe eine Bürgerliche heiratete. Ein weiterer Grund, warum Ciriaco seinem Bruder dessen Vorzugsbehandlung nicht neidete. Francesco würde eines Tages den Platz seines Vaters einnehmen. Damit war Ciriaco frei. Das zumindest war der Schluss, zu dem er an diesem Nachmittag in der Kirche San Giacomo gekommen war. Leider gab es da noch ein anderes Problem. Die schöne Bianca Ferrucci wusste nämlich nichts von seiner Liebe zu ihr. Außerdem hatte er starke Zweifel, dass sie schon einmal von Plato und den geteilten Hälften des Menschen gehört hatte.
Nachdenklich kaute Ciriaco auf seiner Unterlippe. Ihm war klar, dass weder seine Sehnsucht noch die Philosophie ihre Vereinigung herbeiführen würde. Es war seine Aufgabe, ihr Herz zu erobern. Zwar hatte er in Gedanken schon tausendfach durchgespielt, wie er sich der Geliebten erklären und diese seinem Werben erliegen würde. Nur hatte er das Gefühl, dass bislang keine seiner Vorstellungen wirklich etwas taugte. Das verdross ihn.
Mit dieser lästigen Erkenntnis im Kopf erhob er sich von seiner Bank und schritt langsam den Gang zum Portal entlang. Es verstörte ihn, dass weder Plato noch irgendein anderer Philosoph sich über diesen praktischen Aspekt der Operation ausgelassen hatten. Was ihn aber schier in Verzweiflung stürzte, war die Befürchtung, dass ihm ein anderer, der sich besser auf die Sprache der Liebe verstand, zuvorkommen könnte.
Als er einmal vorsichtig seinen Bruder darauf ansprach und ihn um Rat bat, hatte der nur die Augen verdreht und ihn kurzerhand zu einer Kurtisane mitgenommen.
»Es wird Zeit, dass du deine Unschuld verlierst, Kleiner«, hatte er grinsend gesagt, als er ihm die Frau vorstellte. Erbost war Ciriaco aus dem Haus geflohen. Das Gelächter der beiden glaubte er noch unten auf der Straße zu hören.
Als er durch das Tor des von Säulen getragenen Vorbaus der Kirche trat und ihm die Hitze des späten Nachmittags entgegenschlug, blieb er stehen. Neben dem ungelösten Problem, wie er sich Bianca nähern sollte, gab es leider noch etwas, was sein Leben beeinträchtigte: Das Kreuzfahrerheer war in der Stadt.
Nun ja, nicht das ganze Heer, der größte Teil hatte auf der umliegenden terra ferma sein Lager aufgeschlagen. Aber es gab noch immer genug von ihnen, die waffenklirrend und wichtigtuerisch durch die Straßen spazierten. Sie tranken die Tavernen leer und schliefen in den Straßen. Die ganze Stadt vibrierte vor Aufregung über den bevorstehenden Kriegszug. Den Huren war es recht. Man sah sie oft des Vormittags bei den Geldwechslern, um fränkische, deutsche oder spanische Münzen zu tauschen. Die ehrbaren Frauen hingegen trauten sich kaum noch auf die Straße. Darum überraschte es Ciriaco umso mehr, als er Bianca vor dem Tor erblickte.
Der Marktplatz lag bereits fast völlig im Schatten des Palazzo dei Dieci Savi. Die meisten Kirchgänger hatten sich bereits zerstreut, nur eine Handvoll stand noch zwischen den wenigen Ständen herum.
Während er sich noch wunderte, dass Mutter und Tochter nicht wie sonst gleich nach Hause geeilt waren, erkannte er den Mann, mit dem sie sich unterhielten. Ciriaco hatte nicht gewusst, dass Monsignore Salvatore in der Stadt weilte. Wahrscheinlich war er mit dem apostolischen Legaten, Kardinal Condulmer, gekommen, der im Palast des Dogen Quartier bezogen hatte. Doch den Monsignore hier anzutreffen, war ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher war es, ihn mit Signora Ferrucci im vertrauten Gespräch zu finden. Aber vielleicht, so dachte Ciriaco, war der Geistliche ja früher, da er noch als einfacher Priester in Venedig gelebt hatte, ihr Beichtvater gewesen. Vielleicht hatte er sogar ihre Tochter getauft. So wie ihn, Ciriaco de Pizzicolli.
So wie ihn?
Mit einem Mal begriff er, dass dies die Gelegenheit war, nach der er so lange gesucht hatte. Der Monsignore war nicht nur sein Taufpate, er war auch mit seinem Vater befreundet. Nichts war natürlicher, als dass er nun zu ihm hinüberginge, um ihn zu begrüßen. Unweigerlich würde dieser ihn daraufhin der Signora vorstellen.
Und deren Tochter.
Ciriaco schlug das Herz in der Brust. Sein Mund fühlte sich trocken an, seine Hände waren feucht. Er wischte sie nervös an seiner Hose ab. In wenigen Augenblicken würde er ihr gegenüberstehen. Was sollte er sagen? Seine Gedanken rasten. Und produzierten Satzfetzen, die ganz gewiss nicht das Richtige für solch eine Begegnung waren. »Die Liebe zu Gott ... in den Dingen ... uns selbst gewinnen ... in jenem einen Menschen ... unser Wesen vervollständigt ...« Mit Schrecken wurde ihm klar, dass ihn seine bisherigen Gedankenspiele nicht auf die Realität vorbereitet hatten.
Er tat einen Schritt, blieb wieder stehen. Was, wenn er jämmerlich versagte? Den Mund nicht aufbekam? Oder sich zum Narren machte? Statt ihre Gunst zu gewinnen, nur einen hochmütigen, ja verächtlichen Blick erntete? Und selbst wenn er die richtigen Worte finden würde, was wäre, wenn er ihr missfiele? Was, wenn mit dieser Begegnung nicht seine Zukunft begänne, sondern seine Träume auf das Grausamste zerplatzten? In dem Bewusstsein, dass ihn die nächsten Minuten in den Himmel oder die Hölle befördern könnten, nestelte er fahrig an seiner Weste, zupfte an seinem Ärmel, als er mit einem Mal ihren Blick bemerkte. Ein Blick, der ihn wie ein Blitz durchfuhr.
Aber es gab keinen Zweifel. Während ihre Mutter noch angeregt mit Monsignore Salvatore sprach, hatte Bianca ihm in unendlich anmutiger Bewegung ihr Gesicht zugewandt. Und es war kein gleichgültiger Blick, wie man ihn vielleicht irgendeinem Fremden schenkte. Es war ein Blick, der ihm verriet, dass er in all der Zeit, in der er ihr folgte, keineswegs unbemerkt geblieben war. Ciriaco verstand vielleicht noch nicht viel von der Liebe. Aber für die Sprache, in der sich Bianca ihm nun mitteilte, brauchte es keine Lehrbücher. Und auch keine klugen Ratschläge. Stumm und ohne dass es außer ihnen jemand bemerkte, erklärten sich die beiden jungen Menschen ihre Liebe.
Alle seine Zweifel schmolzen dahin. Und als ob sie es spürte, zog ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. Es war mehr als nur ein Einverständnis, es war ein Versprechen. Er wusste nun, dass er nichts falsch machen würde. Er würde nur seinen Namen sagen, und darauf warten, dass ihre Stimme ihn zum ersten Mal berührte. »Ciriaco!«
Der Ruf riss ihn hinweg von den Pforten des Paradieses.
»Ciriaco.«
Er sah, wie auch sie verstört auf die Nennung seines Namens reagierte und wusste, noch bevor er sich umwandte, dass es Marcello war, der ihn rief.
»Ciriaco, du wirst nicht glauben, wer in der Stadt ist.«