Der Hüter - Christina Willemse - E-Book

Der Hüter E-Book

Christina Willemse

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Beschreibung

Obwohl Rhania endlich die Flucht vor Cyren gelungen ist, fühlt sie sich immer noch nicht frei. Die lange Gefangenschaft bei den Nachtjägern und anschließend bei Cyren kann sie nicht so schnell abschütteln. Das Leben im Lager von Lanika ist zwar idyllisch und Rhania blüht langsam auf, doch trotzdem kommt sie nicht zur Ruhe. Die Ereignisse überschlagen sich. Auf dem großen Fest, zu dem Lanika sie mitnimmt, gerät Rhania in große Gefahr, denn als Mondblütige ist sie dort nicht bei jedem willkommen. Als auch noch der Kommandant Cyren seine geflohene Beute wieder einfangen möchte, wird Rhania zur Gejagten. Doch nicht Lanikas Landsleute oder der Kommandant stellen die eigentliche Bedrohung dar. Ein mächtiger Feind ist Rhania auf den Fersen. Etwas Dunkles braut sich zusammen, in dessen Zentrum Rhanias gefährliche Gabe steht.

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Rhania

Tochter der drei Monde

Der Hüter

Ch. Willemse

1. Auflage 2019

ISBN 978-3-947706-07-5

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de

© Plattini-Verlag – Alle Rechte vorbehalten.

https://www.plattini-verlag.de

Lektorat: Luise Deckert - Magdeburg Umschlaggestaltung: Dream Design - Eitzweiler Konvertierung: sabine abels | www.e-book-erstellung.de

Für Jeannine Nur in der Dunkelheit können die Sterne leuchten

Prolog

»Nein … bitte nicht … Habt Erbarmen!«

Ungerührt sah er auf den Menschen zu seinen Füßen herab. Hörte voller Freude sein Flehen. Um ihn herum lagen zahlreiche Leichen. Blutspritzer bildeten ein schreckliches Muster an Wänden und Decken. Abgerissene Körperteile lagen verstreut auf dem Boden. Blutlachen, Erbrochenes und andere undefinierbare Substanzen hatten sich in Pfützen gesammelt. Vor ihm lag der letzte lebende Mensch. Alle anderen waren tot, waren gnadenlos auf möglichst brutale und grausame Art und Weise von ihm ausgelöscht worden. Er war ohne Vorwarnung über sie gekommen und hatte viele im Schlaf schon zerfetzt. Das bisschen Gegenwehr, das ihm entgegengebracht worden war, war für ihn lächerlich gewesen, und er hatte sie allesamt ausgelacht, während er ihnen die Kehlen oder die Bäuche aufgeschlitzt hatte. Mit einem Grinsen hatte er Gedärme und Herzen herausgerissen. Hatte Köpfe wie reife Früchte zwischen seinen Händen platzen lassen. Er hatte es genossen, zu hören, wie Knochen brachen, Haut zerriss und seine Opfer in unbeschreiblicher Qual aufschrien.

Der Mensch, der nun noch zu seinen Füßen lag, war ihr Anführer. Ein fetter, ungepflegter Mann, welcher sich gerade in die Hose pinkelte. Er stank nach Schweiß, Angst und nun auch noch nach Urin. Angeekelt sah er auf ihn hinab. Diese jämmerliche Figur sollte dafür verantwortlich sein, was man seiner Tochter angetan hatte? Diese Menschen hatten es tatsächlich geschafft, sein eigen Fleisch und Blut so lange Zeit in ihrer Gewalt zu halten? Kopfschüttelnd griff er nach seinem Lieblingsmesser. Er hätte den Anführer auch mit bloßen Händen töten können, aber für seine Zwecke war es besser, ihn langsam zu töten. Er brauchte Informationen, Antworten und dieser Abschaum dort vor ihm würde sie ihm liefern. Langsam ging er vor dem Anführer in die Hocke. Zeigte ihm voller Vorfreude sein Messer. Es hatte eine lange, matt glänzende Klinge, die auf beiden Seiten gezackt war. An den Zacken waren kleine Widerhaken, welche dafür sorgten, dass er, wenn er damit zustach, beim Herausziehen großen Schaden anrichtete. Nicht selten riss er so Teile der Gedärme oder Muskeln mit heraus.

Als dieser Dreck vor ihm das Messer sah, wurde er noch blasser, als er sowieso schon war. Unkontrolliert zitternd versuchte dieser ekelhafte Abschaum etwas zu sagen, doch es kamen nur unartikulierte Laute hervor.

»Wo ist sie?«, fragte er vollkommen ruhig. Er wusste, dass seine Augen leuchteten und seine Haut eine unnatürliche Hitze ausstrahlte. Seine Gabe war vollkommen entfesselt und es fühlte sich berauschend an. Blut und andere Substanzen besprenkelten sein Gesicht, seine Kleidung, seine Haare. Er war der Albtraum, das wahrhaft Böse, vor dem jedes Wesen instinktiv Angst hatte. Die Vernichtung dieses Volkes war nur der Anfang, denn es würden noch viele Tote folgen. Aber sein endgültiges Ziel war die vollkommene Auslöschung zweier Völker, welche schon vor langer Zeit hätten ausgelöscht werden müssen. Es war seine Aufgabe, dies nachzuholen, seine Mutter hatte ihn sein ganzes Leben lang darauf vorbereitet. Doch dazu brauchte er seine Tochter. Nur mit ihr zusammen war es ihm möglich, diese Welt zu reinigen.

Als dieser Abschaum vor ihm immer noch kein Wort hervorbrachte, packte er ihn grob an der Kehle und hob ihn an, bis er vor seinem Gesicht pendelte. Die Berührung mit seiner Haut ließ den Mann vor ihm qualvoll aufschreien. Er wusste, dass er ihn gerade dort, wo er ihn berührte, verbrannte. Ein netter Effekt, wenn seine Gabe wach war. Doch bevor er ihn zu stark verletzen konnte, ließ er ihn einfach wieder fallen.

Der Anführer krümmte sich zusammen und griff instinktiv an seine Kehle.

»Wo ist sie? Sie war hier, bei euch, also … Wo ist sie nun? Antworte mir und ich werde dir vielleicht einen schnellen Tod bereiten!« Verächtlich sah er auf den Mann hinab. Was für eine schwache und jämmerliche Figur. Unfassbar, dass dieser Mensch es tatsächlich geschafft hatte, ein Mondblut so lange Zeit bei sich gefangen zu halten. Wie hatte er das nur überleben können? Gegen seine und auch ihre Macht hätten diese Menschen keine Chance haben dürfen. Er wollte Antworten, egal, wie lange es dauern würde. Der dunkle Teil von ihm freute sich auf die Folter und die Qualen, die er dem Mann vor sich zuzufügen gedachte. Deswegen legte sich nun ein strahlendes Lächeln auf sein Gesicht und ließ ihn, abgesehen von dem Blut, plötzlich attraktiv und fast schon sympathisch wirken. Eine gruselige Mischung, war er doch blutverschmiert und hatte so eine sehr gefährliche Aura, das wusste er.

Wieder griff er nach dem Mann. »Zum letzten Mal. WO. IST. SIE? WO. IST. MEINE. TOCHTER?«

Bei dem Wort Tochter weiteten sich die Augen des Anführers und instinktiv versuchte er aufzustehen, um zu flüchten. Es schien, als begriffe er endlich, wen genau er da vor sich hatte.

Kapitel 1Rhania

»Ich kann die Wagen sehen«, rief eines der Kinder laut und rannte los.

Rhania, die neben dem Wagen von Lanika und ihrem Mann, der die Kolonne anführte, ritt, sah ihm grinsend hinterher. Auch sie sah die vielen unterschiedlichen Wagen, die in einiger Entfernung auf einem großen Feld standen. Menschen und Kinder wuselten zwischen ihnen umher und das Wiehern von Pferden schallte zu Rhania herüber. Zwei Wochen waren vergangen, seit Rhania beim Baden von Schabo, Rudko und Kier überrascht worden war. Sie hatte sich mittlerweile gut in dem Caan von Lanika eingefunden. Caans – so nannte dieses Volk die unterschiedlichen Gruppen, die zusammen reisten. Jeder Caan hatte einen Anführer und alle Caans hatten eine Frau wie Lanika, eine Seherin und Heilerin. Frauen wie Lanika standen in der Hierarchie innerhalb des Caans gesondert. Durch ihre Fähigkeiten und ihr enormes Wissen waren sie sehr geachtet und wurden fast immer als Mitanführer eines Caans angesehen.

Caanies, die Menschen dieses Volkes, lebten ausschließlich in den Wagen und suchten nur zu Handelszwecken Städte oder Dörfer auf. Rhania hatte erfahren, dass die Frauen des Caans die unterschiedlichsten Kleidungsstücke nähten. Alle in den typischen bunten Farben – es waren wirklich alle Farben vertreten –, die die Caanies so gerne trugen. Einige der Männer waren exzellente Schnitzer und saßen abends oft am Feuer und schnitzten Figuren. Aber nicht nur Figuren, sie stellten auch hölzerne Becher, Schüsseln, Gabeln, Messer, Löffel und andere nützliche Dinge her. Lanika sammelte zudem noch Kräuter und stellte damit Teemischungen her, die sie dann in Beutel füllte. Oder sie mischte Medizin daraus. Gerade diese Tätigkeiten interessierten Rhania sehr. Sie hatte sich von Lanika einiges erklären und zeigen lassen. Aus einem der Dörfer hatte Lanika ihr dann an ihrem dritten Tag bei den Caanies ein Buch mitgebracht und es ihr geschenkt. In diesem waren in detaillierten Darstellungen die verschiedensten Pflanzen und Kräuter gezeichnet worden. Daneben immer der Name und die Art und Weise der Verwendung. Rhania hätte beinahe geweint vor Freude, war dieses Buch doch der wertvollste Schatz, den sie je besessen hatte, wertvoller als ihr Bogen und ihr Schwert. Wann immer sie konnte, studierte sie die Zeichnungen und las sich die Erklärungen durch. Nachdem Rhania alle Zeichnungen und Beschreibungen auswendig konnte, hatte sie Lanika gebeten, ihr Stift und Papier aus dem nächsten Dorf mitzubringen. Kaum hatte sie diese erhalten, fing sie an sich Notizen zu machen, wann immer sie mit Lanika zusammensaß und diese ihr wieder etwas erklärte. So konnte sie sich alles besser merken. Als es immer mehr Zettel wurden, schenkte ihr vor zwei Tagen Lanikas Mann eine kleine Holzbox, in der sie ihr Buch und auch die Zettel sicher verwahren konnte.

Mittlerweile zahlte sich Rhanias Wissensdurst aus und sie konnte Seifen, verschiedene Tees und Salben herstellen. Lanika verkaufte diese für die junge Frau und von dem gewonnen Geld besorgte sich Rhania nach und nach all die Werkzeuge, die sie für die Herstellung weiterer Produkte brauchte, und einen kleinen Beutel, in dem sie ihre Werkzeuge verstauen konnte. Lanikas Mann hatte irgendwann im Scherz gesagt, dass sie wohl bald ein weiteres Pferd brauchen würde, wenn sie weiter so viele Sachen kaufte. Rhania hatte nur verlegen auf die Kräuter gesehen, die sie gerade zerkleinerte, und nichts dazu gesagt. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie Geld hatte, welches sie nur für sich alleine ausgeben konnte. Es war ihr unangenehm, dass sie sich so viele Sachen nur für sich gekauft hatte, aber sie hatte einfach nicht widerstehen können. Sie wollte in der Lage sein, sich selbst Medizin und Tees herzustellen, wenn sie wieder allein unterwegs war. Noch passte alles in die Satteltaschen.

Wenn Lanika nicht aufgepasst hätte, hätte Rhania wirklich alles für Schreibutensilien und Werkzeuge ausgegeben. Aber die ältere Caanie sorgte dafür, dass sich Rhania auch neue Sachen zum Anziehen kaufte. Sie besaß nun schöne, weiche Stiefel, welche wie angegossen saßen. Außerdem mehrere Lederhosen, Hemden, eine Weste und Handschuhe für den Winter. Dazu hatte sie letzte Woche noch einen leichten Ledermantel mit einer Kapuze von Lanika geschenkt bekommen. Diesen sollte sie tragen, wenn sie doch mal in eines der Dörfer mitkam. Die Kapuze verdeckte ihr ungewöhnliches Haar und verdunkelte das Gesicht genug, sodass man auch die Augen kaum sah. Trotz dieser Tarnung kam Rhania nur selten mit in eines der Dörfer. Sie fühlte sich unwohl und bevorzugte es, bei den Wagen zu bleiben.

Manchmal, wenn ihr selbst die Gesellschaft der Caanies zu viel wurde, stieg sie auf ihr Pferd und ritt ziellos durch die Gegend. Anfangs hatte Lanika sie immer begleiten wollen und Angst gehabt, dass sie nicht zurückkehren würde, aber mittlerweile hatte die ältere Frau sich daran gewöhnt. Es passierte, dass Rhania mal einen ganzen Tag aus dem Lager verschwand, jedoch kam sie jeden Abend wieder zurück. Sie brauchte diese Zeit für sich allein. Meist ritt sie nicht weit und suchte sich dann ein Plätzchen, wo sie sich hinsetzen konnte. Dort studierte sie dann das Buch oder notierte sich etwas auf dem Papier. Sie genoss einfach den Frieden und die Ruhe.

Einmal war Kier, der arrogante Caanie, welcher sie damals beim Baden überrascht hatte, auf sie gestoßen. Misstrauisch hatte Rhania ihn angesehen, doch er hatte sie nur kurz gemustert, sich umgedreht und war wieder gegangen. Seitdem schien er sorgsam darauf bedacht zu sein, ihr nicht mehr über den Weg zu laufen. Das war Rhania nur recht. Hatten sich alle anderen mittlerweile an sie gewöhnt und sie in ihrer Mitte akzeptiert, so war es bei Kier immer noch so, dass er ihr genauso misstraute wie sie ihm. Immer wieder ließ er den einen oder anderen unfreundlichen Satz fallen oder machte sich auf seine so überhebliche Art über sie lustig. Rhania versuchte mittlerweile, ihn einfach zu ignorieren.

»Na, Rhania, träumst du schon wieder?«, fragte Lanika lachend.

Sie waren fast auf dem großen Feld angekommen, auf dem das alljährliche Fest der Caanies stattfinden sollte. Rhania sah Lanika von der Seite an und zuckte mit den Schultern.

Die Caanie schüttelte nur den Kopf und sagte dann: »Ich möchte dich bitten, nicht alleine zwischen all den Menschen herumzulaufen. Auch solltest du immer deinen Mantel tragen, wenn du dich unter die Masse mischst.«

Stirnrunzelnd sah Rhania sie an. »Wieso?«

Seufzend sagte Lanika: »Du würdest zu sehr auffallen, ungewollte Aufmerksamkeit erregen, und das könnte kompliziert werden. Zwar werde ich dich jedem der Anführer vorstellen, aber nicht alle werden dich mit offenen Armen aufnehmen.«

Das ergab für Rhania Sinn und daher nickte sie. Leicht angespannt sah Rhania nun auf das große Feld vor ihnen. Einige Caanies aus anderen Caans hatten schon begonnen, ihr Lager aufzuschlagen. Sie positionierten ihr Wagen so, dass ein großer Bereich in der Mitte des Feldes frei blieb.

Als Rhania fragte, warum sie das taten, erklärte ihr Lanika, dass dieser Bereich für die Stände und Wettbewerbe sowie für das abendliche Tanzen und Feiern vorgesehen war.

»Vielleicht sollte ich für ein paar Tage lieber etwas abseits mein Lager aufschlagen«, überlegte Rhania laut.

»Warum?«, fragte Lanika überrascht.

Schulterzuckend, den Blick immer noch auf das große Feld gerichtet, sagte Rhania: »Es wäre einfacher. Außerdem mag ich so große Menschenansammlungen nicht. Wer garantiert mir, dass mich keiner anfassen wird?«

Lanika, die bis jetzt zu den anderen Caans herübergesehen hatte, blickte Rhania kurz an. »Wäre das denn so schlimm?«

Da lachte Rhania bitter auf. »Ich habe dir doch erzählt, was passiert, wenn man mich berührt.«

»Aber bei den Kindern geht es doch auch und bei deinem Kommandanten ebenfalls.«

Bei der Erwähnung von Cyren verzog Rhania das Gesicht. »Er ist nicht mein Kommandant.«

Lanika machte eine wegwerfende Handbewegung. »Einerlei, Fakt ist, er und auch die Kinder können dich anfassen.«

Daraufhin schwieg Rhania für eine Weile. Lanika hatte nicht ganz unrecht und trotzdem war es etwas anderes für das junge Mondblut. Kinder waren einfach ungefährlich, unschuldig und würden ihr niemals etwas Böses antun. Tja, und der Kommandant? Dass er sie anfassen konnte, verwirrte sie immer noch. Er hatte sie ja nicht nur anfassen, sondern noch viel mehr mit ihr machen können. Wie Rhania im Gasthaus, kurz vor ihrer Flucht, hatte feststellen müssen. Noch immer wurde ihr unbehaglich, wenn sie an diesen Vorfall dachte. Scham und ein ihr unbekanntes Gefühl ließen ihre sonst so blasse Haut erröten und ein seltsames Ziehen in ihrer Magengegend entstehen.

»Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass du in den letzten Jahren immer nur um dein Überleben kämpfen musstest? Dass du immer in Abwehrhaltung warst und jede Art der Berührung nichts als Schmerzen und Qualen für dich bedeutete?«, riss Lanika Rhania aus ihren auf Abwege geratenen Gedanken.

Wenn Rhania ehrlich war, dann hatte sie, so gut es ging, versucht, über gar nichts aus ihrer Vergangenheit nachzudenken.

»Ich bin mir sicher, dass nichts passiert, wenn dich jemand berührt, wenn du keine Gefahr darin siehst«, sprach Lanika weiter.

Zweifelnd sah Rhania nun zu ihr herüber.

Die Hand ausstreckend blickte Lanika sie auffordernd vom Kutschbock aus an. »Nimm meine Hand.«

»Lanika«, seufzte Rhania und schüttelte den Kopf.

»Los, vertrau mir und hab ein bisschen Selbstvertrauen.«

Zögernd streckte Rhania auch ihre Hand aus. Kaum berührten ihre Fingerspitzen Lanikas, zog das Mondblut sofort ihre Hand zurück. Lanika war nur kurz zusammengezuckt, aber ansonsten war nichts passiert.

»Habe ich dir wehgetan?«, fragte Rhania besorgt.

»Nein, nicht wirklich. Es fühlte sich mehr wie ein kurzes Ziepen an.«

Missmutig den Mund verziehend sagte Rhania: »Ich sage doch, dass es nicht gut gehen kann.«

»Sei nicht so ein Pessimist, Kind. Ich lebe noch und bin auch nicht verletzt. Ich glaube, dass du einfach nur wieder lernen musst, dass eine Berührung nicht immer schlecht ist und wie du deine Gabe besser steuern kannst.« Lanika sah Rhania dabei mit einem Blick voller Zuversicht an.

Skeptisch schüttelte Rhania den Kopf. »Das ist Wahnsinn, Lanika.«

»Warum konnte der Kommandant dich berühren, ohne dass ihm etwas passiert ist, hm?«

Augenrollend zuckte Rhania mit den Schultern.

»War er nicht sogar in der Lage, sich gegen deine Gabe zu behaupten? Hast du mir nicht erzählt, dass da etwas vorgefallen ist?« Das handelte Lanika nun einen wütenden Blick des Mondblutes ein. Doch ungerührt davon sprach sie einfach weiter. »Er war doch schneller als du, oder? Und dies, obwohl du deine Gabe genutzt hast. Er konnte dich sogar küssen und noch andere nette Sachen mit dir machen, ohne dass er Schaden davongetragen hat.«

Zähneknirschend zischte Rhania: »Bedauerlicherweise, ja. Glaube mir, wenn er jetzt vor mir stünde, würde ich ihn mit Freude töten. Langsam und qualvoll.« Ein kleiner Funke glühte bei diesen Worten in ihren Augen auf.

»Hach, solch leidenschaftliche Gefühle. Vielleicht ist es deswegen …«, überlegte Lanika grinsend.

Auch wenn Rhania ahnte, dass sie es nicht gerne hören wollen würde, fragte sie trotzdem: »Was ist weswegen?«

Das Grinsen auf Lanikas Gesicht wurde noch breiter. »Du findest ihn attraktiv und anziehend. Betrachtest ihn vielleicht als potenziellen Partner für dich.«

Rhanias Kopf schnappte zu ihr herum und sie sah sie mit offenem Mund an. »Bitte?! Wie kommst du denn auf diese wahnsinnige Idee?«

Die ältere Frau zwinkerte ihr zu. »Na es muss doch einen Grund dafür geben, dass er dich gefahrlos berühren konnte. Und ein Mann, der dir so nahe kommen konnte, dass er dir sogar einen Orgasmus beschert hat …« Lanika wackelte übertrieben mit den Augenbrauen.

Schlagartig wurden Rhanias Wangen heiß und sie sah zu Lanikas Mann hinüber, der sicherlich diese Worte gehört haben musste. Tatsächlich saß er leise schmunzelnd auf dem Bock und lenkte den Wagen.

Lanika, die Rhanias Unbehagen spürte, sagte immer noch grinsend: »Ach, das muss dir doch nicht unangenehm sein. Pedro und ich wissen ja selbst, wie das ist, wenn die Leidenschaft entfesselt ist. Nicht wahr, mein Liebster?«

»Mein Herz, ich glaube, unsere Mondblütige will das nicht so genau wissen«, kam es nur ruhig von Pedro.

Laut aufseufzend schüttelte Lanika den Kopf. »Na gut, ich werde das Thema fallen lassen, aber das heißt nicht, dass ich daran zweifle, dass unsere Rhania den Kommandant anziehend findet«, sagte sie dann sehr zu Rhanias Unbehagen. Dem Mondblut war klar, dass dieses Thema für Lanika noch nicht abgeschlossen war.

Durch das Gespräch hatte Rhania nicht bemerkt, dass sie schon angekommen waren. Als der Wagen plötzlich stehen blieb, wäre Rhania beinahe einfach weitergeritten. So aber hielt auch sie ihre Stute an.

»Da wären wir, Liebes. Hier werden wir unser Lager aufschlagen und bis zum Ende des Festes bleiben«, sagte Lanika lächelnd.

Sehr zu Rhanias Erleichterung hatten sie den äußersten Rand des Feldes gewählt und waren somit nicht inmitten all der anderen Caanies. Trotzdem fühlte sich Rhania nicht ganz wohl. Sie war es nicht mehr gewohnt, unter so vielen Menschen zu sein, und die Geräuschkulisse erschlug sie fast. Auch hatte sie große Angst, dass sie versehentlich doch jemanden berühren könnte. Daher blieb sie weiterhin auf ihrem Pferd sitzen, als Lanika und Pedro schon von dem Kutschbock abgestiegen waren und anschließend die Pferde aus ihrem Geschirr befreiten.

Auch die anderen Wagen ihres Caans waren stehen geblieben. Anstatt einen geschlossenen Kreis zu bilden, wie sie es sonst immer taten, hatten sie sich jetzt in einem Halbkreis aufgestellt. Genauso taten es alle anderen Caans, wie Rhania jetzt erst auffiel. Die offenen Seiten zeigten zum Feld hin. So hatte jeder Caan sein eigenes Lager und war trotzdem nicht vom Geschehen abgeschnitten.

»Na, was ist Rhania? Komm runter von deinem Pferd und hilf mir mit den Sachen!«, rief Lanika.

Seufzend stieg Rhania also von ihrem Pferd ab und führte es an den Wagen heran. Da sie noch nicht wusste, wo die Pferde ihren Platz bekommen würden, befahl sie der Stute, dort stehen zu bleiben. Sie hatte in der Zeit im Wald festgestellt, dass Amsel dort stehen blieb, wo sie es ihr zeigte. Dann ging sie zu Lanika hinüber und half ihr beim Auspacken. Unzählige Kisten, Beutel und Kochutensilien holten sie aus dem Wagen. Musste sich Lanika immer bücken, wenn sie ins Innere kletterte, so konnte die zierliche Frau ohne Probleme aufrecht rein- und rausgehen. Da Pedro die Fensterläden nach der Fahrt noch nicht wieder geöffnet hatte, herrschte im Wagen ein angenehmes Dämmerlicht. Das würde sich ändern, sobald Lanikas Mann mit dem Versorgen der Pferde und dem Sichern des Wagens fertig war.

»Bei den drei Monden, wie viel willst du denn noch auspacken, Lanika?«, stöhnte Rhania, als sie erneut eine große Kiste aus dem Wagen holte.

»Wir sind gleich fertig. Das sind größtenteils Sachen, die wir hier verkaufen wollen. Gegen Mittag werden die ersten Stände aufgebaut und der Handel kann beginnen«, sagte Lanika und ihre Augen blitzten vor Freude.

»Werden heute schon die ersten Wettbewerbe sein?«, fragte Rhania neugierig.

Sie wusste nicht genau, wie, aber die Kinder hatten es tatsächlich geschafft, sie zur Teilnahme an den Wettbewerben zu überreden. Rhania hatte einfach nicht Nein sagen können, als die kleine Lina sie mit großen Augen bittend angesehen hatte. Die Kleine hatte einen bestimmten Blick, wenn sie etwas wollte, der selbst Steine hätte erweichen können. Lina hatte darauf gewettet, dass Rhania gewinnen würde. Die letzten Jahre hatte fast immer Kier gewonnen. Lina war deshalb der Meinung, dass ruhig einmal eine Frau gewinnen konnte. Natürlich hatte Jesof widersprochen und es war ein tagelanger Streit zwischen beiden über das Thema gefolgt.

Lanika schüttelte den Kopf. »Nein, die Wettbewerbe beginnen erst morgen.«

Neugierig sah Rhania von der Kiste, die sie gerade schleppte, auf zu Lanika. »Kannst du mir ein wenig darüber erzählen?«

»Was willst du denn wissen?« Lanikas Stimme klang gedämpft, war sie doch gerade mit ihrem Kopf tief in einer der Kisten verschwunden.

»Wie viele Wettbewerbe wird es denn geben und wie laufen sie ab? Muss ich bei jedem mitmachen? Wann genau fangen sie an? Werden jeden Tag welche stattfinden?«, ratterte Rhania die Fragen herunter, die sie seit Tagen in ihrem Kopf hatte. Das große Fest der Caanies ging nicht, wie sie ursprünglich gedacht hatte, nur über drei Tage, sondern über eine Woche. Das hatte ihr Pedro vor ein paar Tagen erklärt.

Lanika richtete sich wieder auf und hielt triumphierend eine große Schüssel in der Hand, die sie oft zum Kochen gebrauchte. »Habe ich dich.« Sie stellte die Schüssel zu einigen anderen und sah dann Rhania mit schiefgelegenem Kopf an. »Es werden alle zwei Tage zwei der großen Wettbewerbe stattfinden. An den anderen Tagen finden kleinere Wettbewerbe wie zum Beispiel im Nähen oder aber im Kochen statt.« Lanika legte sich nachdenklich den Zeigefinger an die Wange und starrte einen Moment vor sich hin. Dann hob sie den Blick und sagte: »Weißt du, ich glaube es ist besser, wenn ich dir alles zeige und dir dabei deine Fragen beantworte. Dann kannst du dir direkt vor Ort ein Bild von allem machen.«

»Das klingt gut, aber wir halten Abstand zu den anderen Caanies, oder?«, fragte Rhania nervös.

»Ganz werden wir es nicht vermeiden können, aber du hast ja deinen Umhang. Zieh ihn an und wir werden versuchen, uns möglichst immer am Rand aufzuhalten, ja?« Aufmunternd strahlte Lanika sie an.

Noch immer nicht ganz überzeugt, aber trotzdem sehr neugierig auf das, was Lanika ihr zeigen und erklären würde, ging Rhania ihren Mantel holen. Kaum hatte sie diesen umgelegt und die Kapuze über ihren Kopf gezogen, lächelte Lanika sie zufrieden an.

»Na dann, komm, Liebes. Ich zeige dir erst mal den Ort, wo der erste Wettbewerb morgen stattfinden wird. Dieser beginnt traditionell schon beim ersten Morgengrauen.«

Langsam gingen die beiden Frauen am Rande des Feldes entlang. Rhania sah sich aufmerksam um, immer darauf bedacht, dass sie keinem der Caanies zu nahe kam. Rufe, lautes Lachen und der eine oder andere Fluch klangen gedämpft durch die Kapuze zu Rhania. Obwohl auf den ersten Blick alles sehr chaotisch aussah, erkannte sie schnell, dass dies täuschte. Jeder der Caanies schien genau zu wissen, welche Aufgabe er hatte, und kam dieser trotz allem nach. Einige sahen kurz neugierig zu ihnen herüber und der eine oder andere grüßte Lanika freundlich, aber ansonsten wurden sie in Ruhe gelassen.

»So, weiter müssen wir gar nicht gehen. Siehst du dort drüben, wo einige der Männer ein großes Lagerfeuer aufbauen?« Lanika zeigte auf die Mitte des Platzes, wo tatsächlich Caanies dabei waren, mit Unmengen an Holz ein sehr großes Lagerfeuer zu errichten.

»Ja, ich sehe es. Jetzt sag aber nicht, dass der erste Wettbewerb irgendetwas mit diesem Feuer zu tun hat.« Leicht panisch sah Rhania Lanika an. Feuer oder Flammen waren, bis auf das kleine Lagerfeuer, das man zum Kochen hatte, nichts, mit dem sie gerne zu tun haben wollte. Rhania wusste, dass es Gaukler gab, die mit brennenden Fackeln jonglieren konnten. Sie hatte dies mal auf einem kleinen Fest in ihrem Dorf gesehen. Die Vorstellung, dass die Caanies das jetzt vielleicht auch vorhatten, behagte ihr wirklich nicht.

Lanika blinzelte kurz verdutzt und lachte dann auf. »Nein, nein, keine Sorge. Wir Caanies würden wahrscheinlich einen Großbrand auslösen, wenn wir mit dem Feuer spielen würden.« Dabei verdreht sie kurz ihre Augen und sprach dann weiter. »Nein, das Lagerfeuer dort ist für das Fest heute Abend. Aber darum geht es ja gerade nicht. Also, ungefähr dort, wo du das Lagerfeuer siehst, werden morgen zwei sehr glatte Maste aufgestellt sein. Dieser Wettbewerb besteht aus zwei Teilen und es treten immer zwei aus einem Caan gegen zwei aus einem anderen Caan an«, erklärte Lanika ruhig.

Als Rhania hörte, dass dies ein Wettbewerb war, den man nur zu zweit bestreiten konnte, sah sie Lanika an. »Ich werde dann wohl nicht daran teilnehmen.« Leichte Enttäuschung klang aus ihren Worten.

Lanika, die zur Mitte des Feldes gesehen hatte, drehte den Kopf und schaute Rhania überrascht an. »Wieso denn nicht?«

Betont locker zuckte Rhania mit den Schultern. »Weil ich keinen Partner habe.«

Da grinste Lanika. »Das lass mal meine Sorge sein. Ich werde jemanden finden, der mit dir zusammen dort antreten wird.«

Misstrauisch sah Rhania sie an. »Und wen?«

»Das wirst du dann sehen. Ich kümmere mich darum, keine Sorge.« Bekräftigend nickte Lanika.

»Also ich weiß nicht …« Zögernd sah Rhania Lanika an.

»Keine Widerrede, ich kümmre mich darum. Nun lass mich weitererzählen, damit ich dir dann den Rest noch zeigen und erklären kann«, sagte Lanika resolut.

Obwohl Rhania gerne noch weiter nachgefragt hätte, wen Lanika ihr da als Partner suchen wollte, gab sie es auf. Lanika konnte sehr stur sein und wenn sie etwas nicht bereden wollte, dann hatte man keine Chance.

»Also, wo war ich stehen geblieben?« Kurz runzelte Lanika die Stirn. »Ach ja, es geht darum, wie schnell der eine klettern und der andere rennen kann. Der erste Teil des Wettbewerbs besteht darin, dass ein Teammitglied den glatten Mast, an dessen Ende eine Fahne angebracht ist, hochklettern muss. Sobald der Kletterer diese Fahne hat, kommt er wieder herunter und übergibt sie seinem Partner.« Lanika sah Rhania an, um zu überprüfen, ob diese ihren Ausführungen folgen konnte. »Der wiederum muss im zweiten Teil dieses Wettbewerbs einen kleinen Parcours hinter sich bringen, so schnell er kann. Wer als Erstes ins Ziel kommt, hat gewonnen. Die Punkte werden dann zur Hälfte jedem Teammitglied gutgeschrieben.«

Verwirrt sah Rhania Lanika an. »Punkte? Welche Punkte denn?«

»Oh, entschuldige, ich vergaß, dass du das ja noch gar nicht weißt«, lachte Lanika. »Also, für jeden Wettbewerb bekommen der Gewinner, der Zweit- und der Drittplatzierte Punkte. Der Erste bekommt zehn Punkte, der Zweite acht und der Dritte fünf. Das macht das Ganze noch spannender. Denn auch wenn man in einem Wettbewerb zum Beispiel nur den vierten Platz gemacht hat, aber den nächsten gewinnt, kann man am Ende des Tages, wenn alle Punkte zusammengezählt werden, Tagessieger sein.«

Rhania nickte verstehend. »Das klingt wirklich spannend und auch fair. Immerhin kann keiner unmöglich alle Wettbewerbe gewinnen.«

Lanika grinste. »Vertue dich da mal nicht. Kier zum Beispiel ist bis jetzt immer einer gewesen, der beinahe alle gewonnen hat. Der verfluchte Hund ist sehr ehrgeizig und auch verdammt gut.«

»Na toll und Lina ist der festen Überzeugung, dass ich gegen Kier gewinnen kann«, seufzte Rhania.

»Ach, du schaffst das schon. Davon bin ich überzeugt. Würde Kier auch guttun, wenn er mal nicht gewinnen würde.« Aufmunternd sah Lanika sie an.

»Wir werden sehen …« Rhania war noch nicht wirklich überzeugt, dass sie eine Chance hatte. Aber noch wusste sie ja nicht, welche weiteren Wettbewerbe es gab, also würde sie abwarten.

»So, Liebes, dann lass uns mal weitergehen. Der nächste Wettbewerb ist ein Wettschwimmen und findet ebenfalls schon morgen statt. Komm, ich zeige dir mal den Ort, wo sich das ereignen wird, und erkläre dir dabei, wie dieser Wettbewerb abläuft.« Noch während Lanika sprach, drehte sie sich um und ging in die Richtung, aus der die beiden gekommen waren. »Es ist ein kleines Stück zu laufen, aber ich denke, damit wirst du keine Probleme haben.«

»Wie kommst du darauf, dass ich damit keine Probleme haben werde?«, fragte Rhania verwirrt.

Da blieb Lanika kurz stehen und drehte sich zu ihr um. »Kier hat mir berichtet, dass du trainierst, wenn du allein im Wald bist.«

Verdutzt blieb Rhania stehen und sah Lanika mit großen Augen an. »Kier hat dir das erzählt?«

Schulterzuckend sagte Lanika: »Ja, ich hatte ihn ganz am Anfang gebeten, ein Auge auf dich zu haben, wenn du wieder mal im Wald verschwindest.«

»Er sollte auf mich aufpassen?« Fassungslos starrte Rhania die Caanie an.

»Na ja, nicht direkt, nur ab und an sehen, ob es dir gut geht. Als er mir dann erzählt hat, dass du deine Fähigkeiten, sowohl deine Gabe als auch deine Kampfkunst, trainierst, war ich sehr erleichtert.«

Rhania war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Dass Lanika ausgerechnet Kier darum gebeten hatte, löste ein starkes Gefühl der Abwehr in ihr aus. Sie verstand zwar, warum Lanika so gehandelt hatte, aber es gefiel ihr trotzdem nicht. »Du hättest mich doch nur fragen müssen, Lanika.«

Leicht unbehaglich zuckte Lanika mit den Schultern. »Ich wollte dich nicht bedrängen. Gerade in den ersten paar Tagen bei uns warst du sehr in dich gekehrt, hast kaum gesprochen und dich sehr distanziert verhalten … und … na ja, da hielten wir es alle für besser, dich einfach in Ruhe zu lassen.« Nun lag ein entschuldigender Ausdruck auf Lanikas Gesicht und Rhania sah sie stirnrunzelnd an.

Lanikas Worte führten ihr vor Augen, dass die Caanies mehr bemerkt hatten, als Rhania gedacht hatte. Sie hatte eigentlich geglaubt, dass sie sich unauffällig verhalten hatte, aber nun wurde ihr bewusst, dass dem wohl nicht so gewesen war.

»Es war wirklich nur, weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe«, erklärte Lanika noch einmal.

»Ist schon gut, ich verstehe es.«

Erleichtert atmete die Caanie auf. »Gut, also es ist ein kleines Stück zu laufen, aber ich bin mir sicher, dir wird der See gefallen.«

So gingen die beiden Frauen weiter und Lanikas Worte bestätigten sich. Der Weg war nicht weit und der Pfad schlängelte sich ohne Abzweigungen durch den Wald. Kaum waren sie an einer Lichtung angekommen, blieb Rhania staunend stehen. Vor ihr, auf der Lichtung, lag besagter See und sein Wasser glitzerte im Sonnenschein. Wasservögel schwammen auf seinen Wellen und ein Großteil des Ufers war mit Schilf bewachsen. Von ihrem Standort aus sah Rhania Seelilien und eine Familie Waldenten, die wohl im Schilf nisteten. Der See wurde von einer Blumenwiese eingerahmt, deren Blüten sich sanft in einer leichten Brise wiegten. Erst zum Ufer hin wurden es weniger Blumen und der See ging in den leicht sandigen Untergrund, der das Ufer bildete, über. Links von Rhania, am Rand der Lichtung, standen mehrere riesige Laubbäume, wie es sie gelegentlich in dem Waldgebiet gab. Es sah fast so aus, als würden diese Bäume die Lichtung bewachen. Der Anblick war so idyllisch und ruhig, dass Rhania unwillkürlich die Luft anhielt. Sie wollte das Bild nicht durch ein Geräusch zerstören.

Auch Lanika war stehen geblieben und blickte lächelnd von Rhania zu dem See und zurück. »Ich sagte doch, dir wird der See gefallen,« sagte Lanika nach einer Weile zufrieden. Rhania konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln. »Aber komm, lass uns mal etwas näher an den See herangehen, dann erkläre ich dir kurz, was dich morgen erwartet.«

Instinktiv bewegte sich Rhania beinahe lautlos, als sie auf den See zugingen. Sie wollte durch ihr Eindringen diese Atmosphäre nicht stören. Am Ufer angekommen, konnte Rhania erst erkennen, dass der See größer war, als es den Anschein gehabt hatte.

»Der See hat ein recht flach verlaufendes Wasser am Ufer, wird aber dann ziemlich tief. Du wirst wesentlich eher schwimmen müssen als wir Caanies, weil du so klein bist. Es tritt jeder für sich alleine an. Im Grunde ist alles sehr einfach; man muss nur einmal zum gegenüberliegenden Ufer schwimmen und wieder zurück«, erklärte Lanika.

Rhania, die sich immer noch hingerissen umschaute, nickte nur leicht. Am liebsten wäre sie hiergeblieben, bis das Fest der Caanies vorbei war. Aber ihr war bewusst, dass Lanika das nicht zulassen würde. Daher nahm sich Rhania vor, einfach hierhin zurückzukehren, sooft es ging.

»Ich weiß, du würdest am liebsten hierbleiben, aber das geht leider nicht«, sprach die Caanie auch schon aus, was Rhania gerade eben noch gedacht hatte. »Außerdem will ich dir noch etwas anderes zeigen. Es wird einen Wettbewerb geben, welcher Der Baumstammkampf heißt.«

Verdutzt sah Rhania Lanika an.

Grinsend registrierte Lanika ihre Verblüffung. »Der ist lustig, aber auch sehr schwierig. Das wäre jedoch was für dich. Du bist klein und wendig, das gibt dir einen guten Vorteil gegenüber uns Riesen.«

»Was genau ist denn das für ein Wettbewerb?«

»Also, zwei Gegner stehen sich auf einem Baumstamm gegenüber. Dieser geht über den Fluss, welcher den See speist. Jeder der beiden hat einen langen Stab in der Hand. Ziel ist es, den anderen drei Mal vom Baumstamm zu schubsen. Natürlich wird dieser sehr nass und rutschig, aber es ist immer ein Heidenspaß für die Zuschauer.«

Ja, das konnte sich Rhania vorstellen. Lanika hatte recht, sie hatte Vorteile gegenüber den anderen. Wenn sie sich geschickt anstellte, konnte sie gewinnen. Während ihrer Ausbildung im Dorf hatte es ähnliche Kämpfe gegeben. Zwar nicht auf einem Baumstamm, der über einen Fluss führte, aber dafür hatten sie auf einem sehr schmalen Stamm, welcher über einem Lagerfeuer verlief, kämpfen müssen. Wenn man dort nicht aufgepasst hatte, war man in dem Feuer gelandet. Zwar hatten große Wasserkübel direkt daneben gestanden, aber gefährlich war es trotzdem gewesen. Ihre Ausbilder hatten sie dafür gehasst, dass sie nicht ein einziges Mal in das Feuer gefallen war, sondern es immer geschafft hatte, so herunterzufallen, dass sie daneben gelandet war. Rhania war also geübt in dieser Art von Kampf. Daher nickte sie und sagte schlicht: »Klingt gut.«

»Lass uns mal den Fluss entlanggehen, dann zeige ich dir den Ort, wo dieser Wettbewerb stattfinden wird. Auf dem Weg dahin erzähle ich dir noch von einem anderen Wettbewerb, der dich auch sehr interessieren wird, da du dort ebenfalls gute Chancen hast, zu gewinnen.«

Neugierig folgte Rhania der Caanie und wartete ungeduldig ab, dass diese weitererzählen würde.

Sehr zu ihrer Freude, sprach Lanika nach kurzer Zeit weiter. »Der Wettbewerb, den ich meine, ist sehr spannend. Es geht ums Spurenlesen und um Schnelligkeit. Jemand, der nicht am Wettbewerb teilnimmt, wird mit einem Fuchsschwanz in den Wald losgeschickt. Er bekommt eine halbe Stunde Vorsprung, bis die Teilnehmer ihm folgen dürfen. Ziel ist es, den Fuchsschwanzträger vor allen anderen zu finden und den Fuchsschwanz als Erster zurück in die Mitte des Platzes zu bringen.«

Das hörte sich interessant an. Doch eines verstand Rhania nicht und fragte daher nach. »Wie soll man ihn denn finden?«

»Er hinterlässt immer wieder Zeichen. Welche und ob es immer die gleichen sind, wird nicht verraten. Er wird aber auch falsche Fährten legen, um seine Jäger zu verwirren.«

Die beiden Frauen waren dem Flusslauf mittlerweile ein ganzes Stück gefolgt und die Lichtung war nicht mehr in Sichtweite. Der Fluss schlängelte sich leise rauschend durch sein Bett und wurde mal flacher und dann wieder tiefer.

»Das hört sich gut an. Ich denke, an diesem Wettbewerb werde ich sicher teilnehmen. Muss man die Suche zu Fuß bewältigen oder darf man auch reiten?«

»Das wird vor Beginn des Wettbewerbs ausgelost. Jedes Jahr ist es anders. Das steigert die Spannung noch mehr.«

»Ok, ich werde so oder so mitmachen«, sagte Rhania entschlossen.

»Ja, das solltest du auf jeden Fall. Bei diesem Wettbewerb kommt es nicht auf Kraft an, sondern nur auf das richtige Gespür.« Lanika klang leicht außer Atem, da sie gerade über einen Baumstamm kletterte, der quer auf ihrem Weg lag und bis zum Fluss reichte. »So, hinter der nächsten Wendung ist es dann«, sagte sie, kaum dass sie von dem Baumstamm wieder heruntergesprungen war.

Neugierig folgte Rhania der Caanie. Der Fluss rauschte hier etwas stärker und sah auch tiefer aus als zuvor. Dann waren sie hinter der Wendung und vor ihnen floss der Fluss erstaunlich gerade weiter. In nur wenigen Metern Entfernung konnte Rhania dann den Baumstamm sehen, auf dem der Wettbewerb stattfinden würde. Dieser hatte einen ungewöhnlich dicken Umfang, war moosbewachsen und lag recht tief über dem Fluss.

»Na, was sagst du? Der Baumstamm ist ideal für unsere Zwecke, oder?« Lanika schaute Rhania grinsend an.

»Er ist riesig im Umfang, er muss sehr viele Jahre alt gewesen sein, als er umfiel«, überlegte Rhania und sah fasziniert auf den Stamm.

»Ja, das war er. Es ist schade, dass er irgendwann umgekippt ist, aber wenn du genauer hinschaust, siehst du, dass er nicht tot ist, sondern einfach auf andere Art und Weise weiterwächst.« Dabei zeigte Lanika auf die ehemaligen Wurzeln des Baumes. Jetzt erst sah Rhania, dass sich dort neue Äste bildeten und dazwischen kleine Pflanzen wuchsen. »Ein bisschen so wie du, oder?«, fragte Lanika.

»Wie meinst du das?« Verwundert sah Rhania die Caanie an.

»Na ja, du gibst auch nicht auf und hast einen Weg gefunden, um zu überleben. Genauso wie der Baum.« Lanika sagte das vollkommen ruhig und ernst.

»So gesehen hast du recht, aber ich bin weder so dick noch bin ich mit Moos bewachsen.«

Da lachte Lanika laut auf und schüttelte dabei den Kopf. »Das stimmt wohl, sähe auch bestimmt sehr seltsam aus, wenn dem so wäre.«

Rhania grinste nur zur Antwort und schaute weiter auf den Baumstamm.

Eine Weile standen die beiden Frauen schweigend da. Schließlich seufzte Lanika kurz auf und sagte dann: »Lass uns wieder zurückgehen. Es gibt noch einiges vorzubereiten für heute.« Beide Frauen drehten sich um und begaben sich auf den Rückweg.

Rhania lief tief in Gedanken versunken neben Lanika durch den Wald. Als sie auf der Lichtung mit dem See ankamen, stellte Rhania der Caanie die Frage, über die sie schon eine Weile nachgedacht hatte. »Lanika, was passiert, wenn ich nicht gewinne? Ich meine, Lina ist so fest davon überzeugt und ich will sie nicht enttäuschen, aber …«, hilflos sah Rhania Lanika ins Gesicht.

Lanika sah sie kurz erstaunt an und lachte dann leise auf. »Ach, ich denke, Lina geht es nur darum, dass du gegen Kier gewinnst, sooft es geht. Dann hätte sie nämlich recht gehabt und würde dies sicherlich sehr, sehr lange Jesof unter die Nase reiben …« Kurz hielt Lanika inne und sagte dann mit übertrieben leidgeplagter Stimme: »Bei den drei Monden, das will ich mir gar nicht vorstellen. Vielleicht solltest du doch nicht mitmachen bei den Wettbewerben …«

Rhania, die sich sehr gut vorstellen konnte, wie Lina Jesof damit in den Wahnsinn treiben würde, grinste Lanika schadenfroh an. »Zum Glück bin ich dann nicht mehr da und muss das Gezeter und Gezänk nicht ertragen. Du übrigens auch nicht, oder willst mich doch nicht mehr zu dem See bringen?«

Da hellte sich Lanikas Gesicht sofort wieder auf. »Das hätte ich ja fast vergessen, stimmt, wir werden nach dem Fest ja schon losreiten und uns auf den Weg machen. Dann ist mir das natürlich auch egal.«

Während des letzten Satzes traten die beiden Frauen aus dem Wald heraus und auf das große Feld, wo mittlerweile alle Lager aufgebaut waren. Der Holzhaufen für das große Lagerfeuer war beachtlich angestiegen und Rhania sah, wie drum herum die Caanies damit beschäftigt waren, Stände aufzubauen.

Lanika, die das ebenfalls sah, stieß einen überraschten Laut aus. »Bei den drei Monden, wir waren länger unterwegs, als ich gedacht hatte. Wir müssen uns jetzt etwas sputen, Liebes. Die anderen haben ihre Stände gleich schon alle aufgebaut und ich will nicht ganz hinten einen Platz haben. Ach ja, lass deinen Mantel an. Heute Abend werde ich dich nach und nach den Anführern jedes Caans vorstellen«, sagte sie noch über ihre Schulter, während sie schon zu ihrem Caan hastete und Rhania ihr etwas verdutzt nachsah.

Der Tag verlief turbulent. Zwar hielt sich Rhania vorwiegend in dem Lager ihres Caans auf, aber sie bekam trotzdem sehr viel vom Treiben der anderen Reisegruppen mit. Viele der Caanies begrüßten sich lautstark und voller Freude. Es schien, als würde jeder jeden kennen, und als wäre irgendwie jeder mit jedem verwandt. Sie handelten lautstark untereinander, beschimpften sich, nur um sich keine Sekunde später wieder in den Armen zu liegen und einen Schluck trinken zu gehen. Zahlreiche Kinder wuselten zwischen den Erwachsenen herum, turnten auf den Wagen und den Pferden, veranstalteten wilde Wettrennen oder rauften miteinander. Immer wieder weinte mal eines, wurde aber meist sofort von einem der Erwachsenen getröstet.

Rhania saß still, mit dem Rücken an einen Wagen gelehnt, da und besah sich das Schauspiel aus sicherer Entfernung. Ab und an kam eines der Kinder und wollte sie mit auf den Markt nehmen, aber sie lehnte dies jedes Mal kategorisch ab.

Als die Sonne unterging, begannen die Caanies langsam damit, ihre Stände abzuräumen. Es wurden mehrere kleine Feuerstellen errichtet, denn hier würden später an Spießen das Fleisch gebraten und in Töpfen die unterschiedlichsten Gerichte gekocht werden. Einige Stände wurden für den Getränkeausschank stehen gelassen. Die Caanies stellten auch Tische auf und bauten eine kleine Bühne.

Rhania wurde immer nervöser, wusste sie doch, dass Lanika sie gleich holen würde, um sie den Anführern vorzustellen. Sie hoffte sehr, dass sie danach wieder zurück in das Lager gehen konnte, denn die vielen Menschen und der ganze Lärm machten sie ganz unruhig.

»Rhania?«, erschallte da auch schon Lanikas Stimme. Die Caanie stand am Rande des Caans und sah sich suchend um.

Unwillig rappelte sich Rhania auf und ging auf Lanika zu.

»Ah, da bist du ja. Bereit?« Der Blick, den Rhania ihr zuwarf, sagte wohl alles, denn Lanika seufzte lauf auf. »Liebes, ich weiß. Aber es muss sein, ich muss dich als Gast bei den Anführern ankündigen. Wie willst du sonst morgen mitmachen, wenn du dich verstecken musst?«

Kurz verfluchte Rhania sich selbst dafür, dass sie sich zu der Teilnahme an den Wettbewerben hatte überreden lassen. Doch dann ergab sie sich ihrem Schicksal und nickte Lanika zu.

So gingen die beiden los, um schon nach wenigen Metern beim ersten Caan angekommen zu sein. Ohne zu zögern, schritt Lanika auf eine Gruppe Männer zu. Diese saßen zusammen, rauchten und spielten irgendein Würfelspiel.

»Jako, mein lieber Freund. Ich habe hier jemanden, den ich dir gerne vorstellen würde«, rief Lanika zu einem von ihnen hinüber.

Jako blickte daraufhin auf. Als er Lanika sah, stand er auf und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Lanika, du hellster Stern an meinem Nachthimmel. Sag mir, dass du dich endlich von diesem Langweiler Pedro getrennt hast und nun bereit bist, mich zu heiraten«, sagte er mit einem breiten Lächeln.

Lanika lachte auf. »Jako, du alter Charmeur. Ich hoffe, das hat deine Frau nicht gehört, sonst verhaut sie dich wieder mit einer Pfanne«. Während sie dies sagte, ließ sie sich von Jako in eine herzliche Umarmung ziehen.

»Das war ein Unfall. Meine Frau ist viel zu sanftmütig, als dass sie mich je schlagen würde«, sagte er grinsend.

Lanika verdrehte nur die Augen. »Jako, es ist unhöflich, solche Anspielungen auf alte Anekdoten vor Gästen zu bringen.« Die Caanie zwinkerte Rhania zu. »Nina, Jakos Ehefrau, ist wirklich eine sehr sanftmütige Frau, außer es geht um ihren Ehemann. Als Jako mal wieder seinen Charme gegenüber einer anderen Caanie hat spielen lassen, diese daraufhin mit ihm geschäkert und es gewagt hat, eine Hand auf seinen Oberschenkel zu legen, ist Nina wohl der Geduldsfaden gerissen. Denn unser lieber Jako hat es versäumt, die Hand der anderen Caanie von seinem Oberschenkel zu nehmen. Nina behauptet bis heute, dass er zu sehr von dem offenherzigen Dekolleté der Caanie abgelenkt gewesen wäre. Sie hat ihn dann liebevoll daran erinnert, indem sie ihn mit der Pfanne in der Hand und unter lautem Geschrei durch den ganzen Caan gejagt hat.« Voller Schadenfreude sah Lanika Jako an. »Seitdem wird Jako immer etwas nervös, wenn Nina eine Pfanne in der Hand hat.«

Jako sah Lanika mit leiser Empörung an und blickte dann zu Rhania. »Das stimmt gar nicht, Lanika übertreibt völlig. Aber lassen wir das. Wen hast du mir denn da mitgebracht, Lanika?«

»Das ist Rhania und sie ist seit einigen Wochen unser Gast.«

»Willkommen, Rhania. Wieso trägst du denn eine Kapuze? Es regnet doch nicht«, sprach er sie freundlich an und beäugte sie dabei neugierig.

Rhania sah fragend Lanika an, da sie nicht wusste, was sie auf diese sehr berechtigte Frage antworten sollte.

»Rhania ist ein Mondblut, eine Tochter der drei Monde, Jako«, erklärte daraufhin Lanika.

Verblüfft starrte er Rhania an. »Sie ist ein Mondblut?«

Lanika nickte bestätigend. »Ja, in der Tat. Rhania, würdest du bitte deine Kapuze herunternehmen?«

Rhania zog die Kapuze herunter und offenbarte so ihr Aussehen.

Daraufhin schnappte Jako überrascht nach Luft. »Bei den drei Monden …«, flüsterte er.

Rhania konnte spüren, dass sie nun alle Menschen im Lager anglotzten. Mit unbeweglicher Miene starrte sie vor sich hin. Sie fühlte sich wie ein Stück Vieh, das begutachtet wurde.

»Verstehst du jetzt, warum sie sich bedeckt gehalten hat?«

Immer noch sprachlos konnte Jako nur nicken. Seine schwarzen Augen musterten Rhania fasziniert. Dann schien er sich aber auf seine guten Manieren zu besinnen und ging mit ausgebreiteten Armen auf Rhania zu. Diese machte einen Satz zurück und sah ihn warnend an.

»Ach ja, das habe ich vergessen. Du und alle anderen sollten es vermeiden, sie zu berühren. Sie mag das nicht und kann da auch recht ungehalten reagieren.«

Langsam ließ Jako die Arme sinken und runzelte die Stirn. »Ich wollte sie nur willkommen heißen.«

Nun fühlte sich Rhania unhöflich. Daher sah sie Jako direkt in die Augen. »Ich freue mich Euch kennenzulernen und wollte nicht unfreundlich sein.«

Jako nickte daraufhin und schien besänftigt zu sein.

»Jako, es ist immer eine Freude, aber Rhania und ich werden nun weitergehen. Ich möchte sie jedem der Caan-Anführer vorstellen, was du sicher verstehen kannst.«

Jako nickte freundlich. »Ich habe mich auch sehr gefreut Euch kennenzulernen und hoffe, dass ich Euch nicht zu nahe getreten bin, Rhania von den Mondblütigen.«

Rhania mochte Jako, wusste aber nicht genau, warum. »Seid Ihr nicht. Mögen die drei Monde immer schützend ihr Licht über Euch und Euren Caan ausbreiten.« Dabei lächelte sie ihn schüchtern an.

Respektvoll nickte er Rhania nun zu, welche sich gemeinsam mit Lanika auf den Weg zum nächsten Caan machte. Alle Caanies reagierten ähnlich wie Jako auf Rhanias Anwesenheit und es dauerte nicht lange, da kamen sie zum letzten Caan. Rhania war erleichtert, dass sie sich bald wieder zurückziehen konnte. Die ganze Aufmerksamkeit zerrte an ihren Nerven und sie sehnte sich nach Ruhe.

Kurz vor dem Lager des letzten Caans blieb Lanika stehen und sah Rhania ernst an. »Bevor ich dich jetzt vorstelle, muss ich dir noch etwas sagen. Dieser Caan ist der größte und auch der mit dem größten Einfluss. Sein Anführer ist ein Mann, der sich seiner Macht bewusst ist. Er erwartet, dass man ihm Respekt entgegenbringt, und kann sehr ungehalten reagieren, wenn er diesen nicht bekommt. Außerdem hält er nicht viel von Frauen. Für ihn gehören wir an den Herd und höchstens noch ins Bett. Er mag mich nicht besonders, weiß aber auch um meine Macht. Du solltest vorsichtig in seiner Gegenwart sein.«