Der Kalte Krieg - Heinz Gärtner - E-Book

Der Kalte Krieg E-Book

Heinz Gärtner

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Beschreibung

John F. Kennedy wusste, dass ein mit der Atomwaffen von USA und Sowjetunion geführter "heißer Krieg" wohl das sichere Ende der Menschheit bedeutet. Das Gleichgewicht des Schreckens, das durch zahlreiche Konflikte immer wieder auf die Probe gestellt wurde, zementiert die Spaltung Europas und der übrigen Welt in zwei Machtblöcke bis zum Ende des Kalten Krieges. Doch dieser ist nicht bloß ein historisches Relikt. Die Welt nach dem Kalten Krieg ist geprägt durch die einst geschaffenen Verhältnisse, wie der Ukraine-Konflikt, der syrische Bürgerkrieg oder die Spannungen mit Nordkorea eindrucksvoll belegen. Der neue marixwissen-Band bietet daher nicht nur eine faszinierende Übersicht der politischen Entwicklungen von 1945 bis 1989/90, sondern wagt auch einen packenden Ausblick in unsere nahe Zukunft.

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Heinz Gärtner

Der Kalte Krieg

Bündnisse – Krisen –Konflikte

INHALT

EINLEITUNG

EINDÄMMUNGSPOLITIK

Bündnisse

Exkurs: Kollektive Sicherheit

DIE KOMMUNISTISCHEN PARTEIEN

Der Eurokommunismus

DIE USA: DOKTRINEN, PRÄSIDENTEN UND ANALOGIEN

US-Doktrinen

US-Präsidenten

Analogien

ERKLÄRUNGSANSÄTZE ZUM KALTEN KRIEG

Das Sicherheitsdilemma

Der »lange Friede«

KRIEGE

Der Krieg in Korea

Der Krieg in Vietnam

Die sowjetische Afghanistan-Intervention

Die »Stellvertreterkriege« und andere Interventionen

Übersicht und Fazit

KRISEN

Die Berlin-Krise 1948

Die Berlin-Krise 1958–1961

Die Kuba-Krise 1962

NEUTRALITÄT UND BLOCKFREIHEIT

Österreich

Finnland

Schweden

Schweiz

Jugoslawien und die blockfreien Staaten

Exkurs: Neutralität als Modell für Deutschland?

ENTSPANNUNGSPOLITIK

DIE NEUE CHINAPOLITIK

NUKLEARE ABSCHRECKUNG

ENDE DES KALTEN KRIEGES

SCHLUSS

EPILOG: NACH ENDE DES KALTEN KRIEGES

Entwürfe

Politik

DANKSAGUNG

BIBLIOGRAPHIE

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

Der Kalte Krieg bleibt auch Jahrzehnte nach seinem Ende Gegenstand kontroverser Interpretationen. Das ist nicht verwunderlich, war er doch verbunden mit der Teilung der Welt in zwei gegensätzliche Systeme, die sich feindlich gegenüberstanden und von Grund auf misstrauten, ja verachteten. Angeführt wurden die beiden Systeme von zwei Supermächten, die sich Einflusssphären schufen und mit eigenen Ideologien um Unterstützung warben. Daraus entstand eine globale bipolare Weltordnung.

Den einen Pol verkörperte die marktwirtschaftlich-demokratisch orientierte USA, den anderen die planwirtschaftlich-kommunistische Sowjetunion. Entsprechend war Europa in demokratische Staaten im Westen und kommunistische Staaten im Osten geteilt. In der Dritten Welt verliefen die Trennlinien nicht immer entlang der Einteilung in demokratisch und nicht-demokratisch. Es gab Diktaturen, die von der Sowjetunion und solche, die von den USA unterstützt wurden. Oberhalb der Ebene der ideologischen Auseinandersetzung betrieben beide Supermächte eine eigene Machtpolitik, die zu einer globalen Blockbildung führte. Alternativen außerhalb dieser Blockbildung, mit Ausnahmen wie Neutralität und Blockfreiheit, gab es hingegen kaum. Beide Seiten verfolgten eine Interventionspolitik, um die eigene Einflusssphäre zu erhalten und auszuweiten und den Machtkampf nicht zu verlieren oder zumindest das Mächtegleichgewicht aufrecht zu erhalten.

Die Geopolitik im Ost-West-Konflikt war unterlegt mit den grundlegend unterschiedlichen Werten der Blocksysteme. Marktwirtschaft und westlicher Demokratie standen Planwirtschaft und Kommunismus gegenüber. Die Ideologien waren jedoch grenzüberschreitend und ließen sich nicht auf die jeweiligen Blöcke beschränken. Daher entwickelte sich ein Kampf um den ideologischen Einfluss innerhalb des jeweils anderen Systems. Dieser Kampf führte zu direkten politischmilitärischen Intervention innerhalb des eigenen Blocks sowie außerhalb beider Blöcke, allerdings nicht zur direkten Einmischung innerhalb des gegnerischen Blocks. Schlussendliche Folge des ideologischen Ringens war eine massive Aufrüstungspolitik.

Als Kalten Krieg1 bezeichnet man das Verhältnis zwischen Ostblock und Westmächten seit der zweiten Hälfte der Vierzigerjahre bis zur Auflösung des Warschauer Paktes und der Sowjetunion Ende der Achtzigerjahre. Dieser Zeitraum lässt sich in folgende Phasen einteilen: Der Beginn in den Vierzigerjahren, der Höhepunkt in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, die Phase der Entspannungspolitik in den Siebzigerjahren und eine neue Spannungsphase nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan in den Achtzigerjahren.

Der Begriff »Kalter Krieg« wurde vom Schriftsteller und Journalisten George Orwell bereits 1945 verwendet, als er die unterschiedlichen Weltanschauungen und sozialen Strukturen der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten beklagte.2 Der Begriff wurde dann vom amerikanischen Journalisten H. B. Swope aufgegriffen und von Walter Lippmann popularisiert. Auch der Beginn des Kalten Krieges ist umstritten. Üblicherweise wird er mit Churchills Rede in Fulton 1946, der Truman-Doktrin 1947, der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei und der Berlinkrise 1948 in Verbindung gebracht. Der Kalte Krieg war kein Krieg, auf den wissenschaftliche Kriegsdefinitionen zutreffen würden. Der Begriff war eine journalistische und politische Kreation.

Wer letztlich für die historischen Entwicklungen verantwortlich war, blieb dennoch eine offene Frage. Jede Seite entwickelte eine eigene Version und ein eigenes Narrativ der Geschichte des Kalten Krieges, die sich im kollektiven Gedächtnis über Jahre verfestigte. Im Westen herrschte die Meinung vor, dass die Sowjetunion seit 1945 eine Expansionspolitik zur weltweiten Ausbreitung des Kommunismus verfolgt hätte und daher die eigentliche Schuld am Beginn des Kalten Krieges tragen würde. Vor allem in den Fünfziger- und Sechzigerjahren dominierte daher in vielen westlichen Staaten die Auffassung vor, dass alle anti-amerikanischen Aufstandsbewegungen und alle kommunistischen Parteien letztlich von der Sowjetunion gesteuert und kontrolliert würden. Der Weltkommunismus sei demnach monolithisch. Die Ausbreitung des Kommunismus führe zu Versklavung und alle Menschen, die gezwungen seien, in kommunistisch regierten Ländern zu leben, würden sich danach sehnen, dass ihre Regime gestürzt würden. Die USA mit ihrem prosperierenden System und überlegenen Werten wäre der Hort der Hoffnung von Menschlichkeit und Freiheit.

Die Sowjetunion entwickelte die Vorstellung, die USA und die westlichen Alliierten hätten die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg »ausbluten lassen« und würden ihre Rolle und ihr Opfer bei der Niederlage Hitlerdeutschlands nicht anerkennen. Die USA hätten sich zum Ziel gesetzt, den Kommunismus auszulöschen und die kommunistische Regierung in der Sowjetunion zu stürzen. Allerdings wäre der Kommunismus das überlegene System und der krisengeschüttelte Kapitalismus dem Untergang geweiht. In gleicher Weise sei der imperialistische Kapitalismus der USA nicht wirklich demokratisch, sondern würde von einer kleinen Gruppe des Finanzkapitals gesteuert. Im Umkehrargument der USA kolonialisierten die westlichen imperialistischen Nationen den Großteil der Welt.

Bereits seit 1946 zeichnete sich eine Teilung der Welt in zwei Lager ab. Jedes Lager gab dabei vor, dass es letztlich die Oberhand behalten werde. Der Zeitpunkt für das Eintreffen dieser Prophezeiung wurde allerdings in eine unbestimmte Zukunft verschoben. Tatsächlich gab es nur wenige Bemühungen »amerikanische sozialistische Sowjetrepubliken« nach Vorbild der »Union der sozialistischen Sowjetrepubliken« (UdSSR) zu errichten oder das sowjetische Regime zu zerstören.3 Vielmehr wurde die geopolitische Lagerbildung durch die jeweiligen Ideologien begründet. US-Präsident Harry Truman und das Mitglied des Zentralkomitees der sowjetischen Kommunistischen Partei Andrei Schdanow verkündeten spiegelbildlich im März und September 1947 die Existenz von zwei Lagern. Beide verglichen dabei die jeweils andere Seite mit Deutschland vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. So tief die ideologischen Gräben bereits zu Beginn des Kalten Krieges gezogen sein mochten, sie verhinderten nicht, dass die Bündnispartner außerhalb Europas unabhängig von ihrer ideologischen Zugehörigkeit ausgewählt wurden.

Zu Beginn der Siebzigerjahren wurde der Konflikt durch eine Reihe diplomatischer Bemühungen auf beiden Seiten etwas entschärft. Als »Entspannungspolitik« wird daher jene Periode bezeichnet, die dem Höhepunkt des Kalten Krieges folgte und die Spannungen zwischen »Ost« und »West« durch eine Reihe von Maßnahmen abbauen sollte. Der exakte Beginn dieser Entspannungsperiode ist allerdings unklar. Üblicherweise wird ihr Anfang mit den Rüstungskontrollabkommen START I und II, der Reise von US-Präsident Nixon nach Moskau, dem Viermächteabkommen über Berlin und der deutschen Ostpolitik unter Bundeskanzler Willy Brand Anfang der Siebzigerjahre angesetzt. Andere zuweilen genannte Schlüsselereignisse sind die Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages und der Abzug der Besatzungsmächte 1955 aus Österreich oder das Ende der Kubakrise und die Einrichtung des »roten Telefons« zwischen Moskau und Washington. Als Ende der Entspannung wird oft der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan Ende 1979 angegeben. Es folgte eine neuerliche Phase vermehrter Konfrontation sowie eine Beschleunigung des bestehenden Rüstungswettlaufs. Erst mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes und der Sowjetunion (1989–1991) endete schließlich der Kalte Krieg und damit letztlich auch der ideologische Konflikt.

Der Kalte Krieg definierte fast ein halbes Jahrhundert die Außen-, Gesellschafts- und Bündnispolitik der Sowjetunion und der USA. Sie warfen sich gegenseitig vor, Welteroberungspläne entweder in Form des Kommunismus oder in der des Imperialismus zu haben. Dieses enge Denken in Blöcken blockierte das Denken in Alternativen. Es verhinderte eine objektive Analyse der Geschichte des Konflikts. Alternativen wurden nur in der Gegenkultur zum Kalten Krieg entworfen, die sich in Protest- und Antikriegsbewegungen im Westen, der Philosophie der kritischen Theorie sowie den Aufstandsbewegungen im Osten entfalteten.4 In vielerlei Hinsicht überdauerten diese Vorstellungen und Argumente auch das Ende des Kalten Krieges.5 Dieses Buch übernimmt daher nicht die Darstellung und Argumentation eines der beiden Blöcke. Sie werden vielmehr in den historischen Kontext gestellt und aus der rückblickenden Distanz neu beurteilt. Um zu vermeiden, dass sich der vorliegende Band in historiographischen Details verliert, wird der Kalte Krieg in folgende Themenbereiche unterteilt, deren Analyse eine Gesamtbeurteilung erleichtert: Eindämmungspolitik, die Kommunistischen Parteien, die USA, Erklärungsansätze, Kriege, Krisen, Neutralität und Blockfreiheit, Entspannungspolitik, nukleare Abschreckung, das Ende und die Auswirkungen des Kalten Krieges.

Dieses Buch soll somit keine neue Geschichte des Kalten Krieges sein. Diese kann man in guten neueren Geschichtsbüchern nachlesen. Details finden sich auch auf entsprechenden Internetseiten. Die einzelnen zentralen Themen und Konzepte werden zwar chronologisch, aber als Teil der Gesamtstruktur des Kalten Krieges behandelt. Bestimmte wichtige Ereignisse, wie etwa die Kuba-Krise oder der Vietnamkrieg, werden bei verschiedenen Themen in unterschiedlichem Kontext wieder aufgegriffen. Abschließend folgt eine Aussicht auf die Frage, welche der behandelten Themenbereiche – möglicherweise auch in gewandelter Form – nach dem Ende des Kalten Krieges ihre Relevanz und Bedeutung für gegenwärtige politische Entwicklungen und Prozesse beibehalten haben.

Zur Analyse der einzelnen Themenbereiche bieten sich verschiedene Instrumente an, mit denen sich das Verhalten der Entscheidungsträger während des Kalten Krieges beurteilen bzw. erklären lässt. Diese analytischen Instrumente gehen ihrerseits auf unterschiedliche theoretischen Ansätze der internationalen Beziehungen, wie dem Realismus, dem Institutionalismus, dem Konstruktivismus oder diverser anderer Konzepte zurück. Da es im Folgenden nicht darum geht, die Richtigkeit einer Theorie zu beweisen oder zu widerlegen, wurden diese nur sehr sparsam und nur dort wo es notwendig erschien verwendet.

Theorien dienen der besseren Erklärung von Ereignissen, dort wo es notwendig ist. In der Regel berufen sich viele Analysen des Kalten Krieges auf den Ansatz des Realismus, um das damalige bipolare Gleichgewicht zu erklären. Dabei steht die Verteilung der Macht im internationalen System im Vordergrund der Betrachtung, die wiederum im Wesentlichen von der jeweiligen militärischen Stärke der beiden Supermächte und den dazugehörigen Blöcken abhängig war. Das Entstehen von Ideen und nicht-staatlichen Akteuren innerhalb der Blöcke, wie etwa die Oppositionsbewegung in der Tschechoslowakei oder der reformorientierte Eurokommunismus in Westeuropa, kann der Realismus hingegen nicht erfassen. In solchen Fällen bieten sich konstruktivistische und institutionalistische Ansätze zur Erklärung an. Der Konstruktivismus legt dabei den Fokus auf die Entwicklung und Implementierung innen- und außenpolitischer Ideen und Konzepte6. Beim Institutionalismus steht hingegen das erklärende Hauptaugenmerk auf der Kooperation in den internationalen Institutionen, wie bspw. in der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE).

Die Vertreter der realistischen Schule sehen in der Bipolarität eine Idealform des klassischen Mächtegleichgewichts, das funktioniert, wenn keine Seite signifikant der anderen überlegen ist. Der Kalte Krieg konnte daher nach Interpretation der Realisten einen labilen aber langen Frieden gewährleisten. Das sich daraus ergebende Sicherheitsdilemma, wonach die jeweiligen Verteidigungsanstrengungen zu Aufrüstungsprozessen führten, wird in Kauf genommen oder sogar begrüßt. Dieses Konzept, wonach defensive Maßnahmen offensive Reaktionen hervorrufen, war im Kalten Krieg in fast allen Bereichen, wie beim Aufrüstungsprozess oder bei den großen Krisen in Berlin und auf Kuba, von zentraler Bedeutung.

Beinahe zu jedem Zeitpunkt waren überall aber auch offensive Absichten und Handlungen im Spiel. Daher spielten bei der Einführung von neuen Waffensystemen, der Stationierung von sowjetischen Raketen auf Kuba, der Anwesenheit von ausländischen Truppen in Berlin, nicht nur reale Bedrohung, sondern auch subjektive Befürchtungen eine wichtige Rolle. Diese Ebene der Bedrohungswahrnehmung kann von Realisten nicht thematisiert werden. Konstruktivistische Erklärungen greifen hier besser, da sie auch Narrative, Befürchtungen und Überzeugungen der Schlüsselakteure thematisieren, die außerhalb militärischer oder rüstungstechnischer Fakten angesiedelt sind. Bezeichnend für den Einfluss solcher Faktoren ist nicht zuletzt die immer wieder erfolgte Anführung historische Analogien zur Begründung des eigenen Verhaltens von Seiten politischer Entscheidungsträger. »München 1938« sollte bspw. das Nachgeben gegenüber einem diktatorischen Regime symbolisieren und wurde sowohl vor dem Korea- als auch dem Vietnamkrieg verwendet. Der Koreakrieg selbst wiederum diente als Analogie für den Vietnamkrieg und der Vietnamkrieg wurde seinerseits zum Symbol für das Gegenteil von München, nämlich die Verwicklung in einen Krieg, der unkontrolliert eskaliert. Geschichte wiederholt sich nicht, die Heranziehung von Analogien beweist aber, dass sie auch nicht aus dem Gedächtnis verschwindet.

Unabhängig von Analogie-Narrativen wurde die Struktur des Kalten Krieges durch mehrere Dimensionen geformt: Geopolitik, Ideologie, Kultur und Normen. Es stellte sich auch die Frage nach der politischen Persönlichkeit im Rahmen dieser Struktur. Dabei zeigte sich, dass die Struktur die Handlungsmöglichkeiten der politischen Schlüsselakteure stark einschränkte. Jedoch gelang es einzelne Akteuren auch Einfluss auf die jeweilige Ausprägung der Struktur zu nehmen, wie etwa die Unterschiede zwischen Stalin und Chruschtschow innerhalb des sowjetischen Blockes zeigten. Nach dem Tod Stalins blieb die Blockkonfrontation bestehen, neue Gesprächsmöglichkeiten zwischen Moskau und Washington wurden aber eröffnet und der interne Terror innerhalb des sowjetischen Blocks verringert. Dennoch blieben die Strukturen in der Regel ein bestimmender Faktor, hinsichtlich der Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zentraler Akteure. Selbst während Nixons Entspannungs-, und Brandts Ostpolitik bestanden die politischen Lager weiter, obwohl sich die Ost-West-Beziehungen stark verbesserten. Erst als eine veränderte Struktur und mit Gorbatschow ein neuer Staatsmann zusammentrafen, konnte die Struktur des Kalten Krieges schließlich überwunden werden.

Zur gezielten Anwendung der genannten Analyseinstrumente, bieten sich insbesondere die Krisen und militärischen Konfrontation während des Kalten Krieges an. Im Fall der Krisen verblieb dabei der Konflikt gerade noch unterhalb der kritischen Schwelle zur offenen militärischen Auseinandersetzung. Die gefährlichste unter ihnen war die Kuba-Raketenkrise 1962, als die Sowjetunion auf Kuba Mittelstreckenraketen mit nuklearen Sprengköpfen stationierte, die die USA als direkte Bedrohung ihres Staatsgebiets ansahen. Bedrohliche Krisen waren ferner die Berlin-Krisen 1948–1949 und 1958–1961 sowie die Suez-Krise 1956 (zwischen den westlichen Verbündeten).

Neben den genannten Krisen gab es auch militärische Konfrontationen zwischen beiden Blöcken, die in einem oder mehreren Drittstaaten ausgetragen wurden und als »Stellvertreterkriege« bezeichnet werden. In diesen Fällen überschritt man die Schwelle der Spannungen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Im Ost-West-Kontext waren das der Koreakrieg (1950–1953) und der Vietnamkrieg (1963–1975). Diese Kriege waren Versuche, auch außerhalb Europas Einflusssphären zwischen der Sowjetunion und den USA und damit zwischen Kommunismus und Kapitalismus abzustecken. Auch der Krieg in Afghanistan von 1979 bis 1989, mit einem vergleichbar katastrophalen Ausgang wie dem des Vietnamkrieges, brachte zudem eine neuerliche Verschärfung der Ost-West-Beziehungen, nachdem seit Beginn der Siebzigerjahre eine Periode der Entspannung eingesetzt hatte.

Auch in der Dritten Welt wurden Kriege von anderen Akteuren im Interesse der Großmächte geführt. Solche militärischen Konflikte entwickelten sich vor allem in Gebieten, in denen keine klaren Einflusszonen etabliert waren. Die Großmächte nutzten zumeist lokale und regionale Konflikte, um ihren Einfluss auszuweiten. Dabei wechselten die Bündnisse häufig. Diese Art von bewaffneten Auseinandersetzungen gab es vor allem in Afrika (zum Beispiel am Horn von Afrika, in Mozambique und Angola). Die Großmächte selbst exportierten zumeist Waffen und schickten Spezialverbände. Viele dieser Kriege und bewaffneten Konflikte wurden auch nach dem Ende des Kalten Krieges fortgeführt, allerdings endeten diejenigen, die durch Unterstützung der Großmächte am Leben gehalten worden waren.

Ein weiteres charakteristisches Merkmal des Kalten Krieges stellt die wechselseitige nukleare Abschreckung dar. Diese entwickelte sich, nachdem die USA 1949 mit dem erfolgreichen Test der ersten sowjetischen Atombombe ihr Nuklearwaffenmonopol verloren hatten. Sie besagt, dass die Androhung von Vergeltung die andere Seite von einem Angriff mit Nuklearwaffen abhalten soll. Da ein derartiger Schlagabtausch spätestens seit den 50er Jahren, hätte er stattgefunden, die Zerstörung der eigenen Seite durch Schlag und Gegenschlag nach sich gezogen hätte, wurden, um weiterhin glaubwürdig zu erscheinen, kleinere Kernwaffen mit geringer Sprengkraft entwickelt, die in der taktischen Kriegsführung, ähnlich konventionellen Waffen, zum Einsatz hätten kommen können. Sie sollten nicht nur der Abschreckung sondern einer potentiellen nuklearen Kriegsführung dienen. Die Folge dieser Entwicklung war ein nuklearer Rüstungswettlauf.

Bedingt durch den fortbestehenden, zerstörerischen Rüstungswettlauf, der Kuba-Krise 1962 sowie dem Einmarsch der Sowjetunion in der Tschechoslowakei 1968 setzte sich schließlich auf beiden Seiten die Erkenntnis durch, dass strukturelle Kommunikationskanäle zwischen Ost und West eingerichtet werden mussten. Rüstungskontrollverhandlungen begannen und der KSZE-Prozess wurde aufgesetzt. Auf Basis der Schlussakte von Helsinki 1975 wurde im Rahmen von drei Körben (Sicherheit, Wirtschaft, Menschenrechte) verhandelt. Obwohl die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit auch Spiegel der Ost-West-Beziehungen war, hatte sie Auswirkungen auf die Entwicklungen innerhalb des kommunistischen Blocks. Neben der deutschen Ostpolitik von Willy Brandt seit 1970 war sie ein treibendes Element in der Entspannungspolitik.

Eine Konsequenz dieses Helsinki-Prozesses war, dass Reformbestrebungen in den kommunistischen Parteien Osteuropas gestärkt wurden. Nachdem der Prager Frühling 1968 niedergeschlagen worden war, wurde die »Charta 77« in der Tschechoslowakei neu gegründet. Dabei wurde deutlich, dass der Kommunismus kein Block mehr war. Auch im Westen entstand in der Form des Eurokommunismus eine Reformbewegung, die außenpolitisch vor allem zum Ziel hatte, die Blöcke in Europa aufzuweichen. Weltpolitische Bedeutung erhielt der Reformkommunismus allerdings erst, als Michail Gorbatschow 1985 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und 1990 Staatspräsident der Sowjetunion wurde.

Der Kalte Krieg ist allerdings nicht bloß ein Relikt und ein wichtiger Teil der jüngeren Geschichte. Daher werden am Ende dieses Buches Auswirkungen, Kontinuitäten und Unterschiede zur Periode nach dem Ende des Kalten Krieges diskutiert, und gefragt, welche Lehren aus der Geschichte des Kalten Krieges gezogen wurden.

1 Vgl. Heinz Gärtner, Internationale Sicherheit – Definitionen von A–Z (International Security – Definitions from A–Z), Zweite erweiterte Auflage, (Nomos: Baden-Baden), 2008.

2 George Orwell, You and the Atomic Bomb, Tribune, October 19, 1945. Odd Arne Westad, The Cold War and the international history of the twentieth century, Melvyn P. Leffler and Odd Arne Westad, The Cambridge History of The Cold War, Vol. I, Origins, (Cambridge University Press: Cambridge), 2010, 3.

3 David C. Engerman, Ideology and the origins of the Cold War, 1917–1962, Melvyn P. Leffler and Odd Arne Westad, The Cambridge History of The Cold War, Vol. I, Origins, (Cambridge University Press: Cambridge), 2010, 36.

4 Jerimi Suri, Counter-culture: the rebellions against the Cold War order, 1965–1975, Melvyn P. Leffler and Odd Arne Westad (Hg.), The Cambridge History of The Cold War, Vol. II, Crises and Détente, (Cambridge University Press: Cambridge), 2010, 460–481.

5 Wayne C. McWilliams & Harry Piotrowski, The World since 1945: A History of International Relations (6th edition), (Lynne Rienner Publishers: Boulder), 2005, 8.

6 Cameron G. Theis, The Roles of Bipolarity: A Role Theoretic Understanding oft he Effects of Ideas and Material Factors, International Studies Perspectives, Jg. 14, 2013.

EINDÄMMUNGSPOLITIK

Bei den Konferenzen von Teheran im November 1943 und Jalta im Februar 1945 gab es in Bezug auf die Einflussbereiche in Europa eine grundsätzliche Übereinstimmung. Insbesondere die Konferenz von Jalta steht für die Einteilung von Einflusssphären, in der die zwei Supermächte USA und Sowjetunion dominieren sollten. Sie waren die diplomatische Basis für die geopolitische, militärische, politische und ideologische Bipolarität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erste politische Marksteine waren zudem Churchills Fulton-Rede, die Truman-Doktrin und der Marshall-Plan.

Die Großmächte handelten nach dem Konzept des Mächtegleichgewichts. Demzufolge sollte keine Macht alle anderen dominieren können. In der Geschichte wurde dieses Gleichgewicht meist durch Kriege hergestellt. Diesmal wurde es nicht durch einen Krieg gegeneinander, sondern gegen einen gemeinsamen Feind erreicht. Während des Zweiten Weltkrieges gab es bereits eine Koalition gegen Hitler. US-Präsident Franklin Roosevelt dachte, diese Kooperation könnte über das Kriegsende hinaus verlängert werden. Für ihn war die Idee von den Vereinten Nationen die Basis für einen neuen Multilateralismus der Nachkriegszeit. Die Prinzipien der »Deklaration der Vereinten Nationen« von 26 Staaten von 1942 sollten angewendet werden. Diese berief sich auf die »Atlantik-Charta«, die Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill 1941 unterzeichneten.

»Je näher wir der Niederlage unserer Feinde kommen, desto unvermeidlicher ist es, dass uns die Differenzen zwischen den Siegern bewusst werden. Wir dürfen es aber nicht zulassen, dass uns diese Differenzen spalten und den Blick auf die viel wichtigeren gemeinsamen und andauernden Interessen, den Krieg zu gewinnen und den Frieden aufzubauen, verstellen. Internationale Kooperation, die die Basis für den Frieden sein muss, ist keine Sackgasse. […] Wir und die anderen Staaten der Vereinten Nationen werden uns weiterhin mit Nachdruck und Entschlossenheit dafür einsetzen, ein derartiges System zu schaffen, indem wir starke und flexible Institutionen für gemeinsame und kooperative Handlungen zur Verfügung stellen.«7

Roosevelt hatte keine Zweifel, dass der Kommunismus unvereinbar mit amerikanischen Werten war, konnte ihn aber akzeptieren, solange er auf die Sowjetunion beschränkt bliebe. Er bot Russland die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen, dem Internationalen Währungsfond (IWF) und der Weltbank an. Roosevelt hatte eine breite Zusammenarbeit der Großmächte vor Augen, die nicht nur auf dem Mächtegleichgewicht, sondern auch auf gemeinsamen Prinzipien aufbaute. Die Vorstellung war die eines Konzertes, das eine stabilere Welt schaffen und einen Krieg wie den Zweiten Weltkrieg verhindern sollte. Das Vorbild war das Mächtekonzert, wie es in Europa nach den napoleonischen Kriegen nach 1815 existierte. Die Idee wurde in den Siebzigerjahren von Henry Kissinger wieder aufgegriffen und sollte ein Mächtegleichgewicht zwischen den USA, der Sowjetunion, China, Japan und Westeuropa herstellen. Mit der Idee der Großmächtekooperation verbunden war die Idee der kollektiven Sicherheit, wie sie bereits im Völkerbund von US-Präsident Woodrow Wilson nach 1918 vorgesehen worden war. Roosevelt wollte ein sowohl wirtschaftliches als auch sicherheitspolitisches globales System schaffen, das die Sowjetunion integrierte und nicht isolierte. In diesem Spannungsfeld zwischen Einbettung in eine globale Weltordnung und Distanz zum Westen waren die Sowjetunion und Russland über das Ende des Kalten Krieges hinaus gefangen.

Roosevelts Vorstellung trug aber bei dem sich abzeichnenden Kalten Krieg den Kern des Scheiterns in sich. Sie wurde von den beginnenden Ost-West-Konflikt überdeckt. Stalin hielt rhetorisch die Verdienste der Anti-Hitler-Koalition hoch, um sich Spielraum für seine künftige eigene Machtabsicherung zu verschaffen. Dieser Kooperation würden, so hofierte er die Bündnismächte, »nicht zufällige und vorübergehende Motive zugrunde liegen, sondern lebenswichtige dauernde Interessen«.8 Aus diesem Grund hatte er auch 1943 die Kommunistische Internationale aufgelöst. Churchill anerkannte vorerst den Kooperationswillen Stalins, hatte er doch im Oktober 1944 eine Einteilung in ein britisches und ein sowjetisches Einflussgebiet in Südosteuropa akzeptiert. Der Sowjetunion sollten unter anderem die besetzten Gebiete Rumänien, Bulgarien und Ungarn zufallen, Großbritannien hingegen in Griechenland die Vorherrschaft ausüben.9 Roosevelt seinerseits war vor dem Churchill-Stalin-Handel nicht konsultiert worden. Er war damit nicht einverstanden, glaubte er doch an das Selbstbestimmungsrecht der Völker, wie es von Präsident Wilson formuliert worden war. Stalins Ansinnen war es einen stalinistischen Sozialismus auf Basis der Kriegsergebnisse zu errichten und zu einer Machtaufteilung mit den kapitalistischen Mächten zu kommen, was ihm 1939 mit Hitlerdeutschland nicht gelungen war. Er vertröstete Roosevelt und Churchill, als diese ihn aufforderten, in den osteuropäischen Ländern freie Wahlen zuzulassen, auf einen unbestimmten Zeitpunkt. Stalin verschaffte sich so seine Einflusszonen dort, wo die rote Armee stand, gleichgültig wie stark die Kommunistischen Parteien in diesen Ländern tatsächlich waren. Prosowjetische Regierungen wurden, wie in Polen, gegen den Willen der Bevölkerung installiert. Über seine unmittelbaren politischen und militärischen Interessen in Polen und Rumänien hinaus zeigte sich Stalin in der Zeit nach Kriegsende erstaunlich flexibel und variantenreich.10 Das betraf Österreich, Deutschland, Ungarn, die Tschechoslowakei, Frankreich, Italien und Griechenland. Er bekannte sich zwar zum Marxismus-Leninismus, fühlte sich aber keineswegs ideologisch gebunden. Stalin war an der Machtabsicherung interessiert und der Marxismus war für ihn nicht mehr als »eine Wundertüte voller Schlagworte, die man rückhaltlos gebrauchen konnte«11. In diesem Sinne war er ein geopolitisch denkender Realist, der alle seine Handlungen idealistisch-ideologisch rechtfertigte.

Stalin versuchte durchaus auch Gebiete außerhalb Europas, in denen die Rote Armee stationiert war, zu halten. Seine Weigerung, die sowjetischen Truppen nach Kriegsende aus dem iranischen Aserbaidschan abzuziehen, trug sogar wesentlich zum Entstehen des Kalten Krieges bei. Im Gegenzug zu Stalins Reaktion begann die USA mit dem Iran strategische Beziehungen aufzubauen. Die Verteidigung des Iran wurde als vital für die Eindämmung des Kommunismus gesehen. Churchill hatte vorerst noch signalisiert, dass er für eine Aufteilung des Iran in Einflusssphären optierte, wie sie schon 1907 nach dem Vertrag von Sankt Petersburg bestanden hatten. Der entstehende Kalte Krieg, Stalins Gewinne in Zentraleuropa und der Druck von US-Präsident Truman führten 1946 schließlich doch zum Abzug der sowjetischen Truppen aus dem Norden Irans.12

Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 durch Roosevelts Nachfolger Harry Truman wurden von Stalin als Machtdemonstration gegen die Sowjetunion und als Erpressungsversuch gewertet, erfolgten sie doch noch bevor sie den vereinbarten Krieg gegen Japan überhaupt aufnehmen hatten können. Sie waren unmittelbar nach der Konferenz von Potsdam erfolgt, die die politische Neuordnung und Entmilitarisierung Deutschlands regelte, ohne dass Stalin bei dieser Gelegenheit davon informiert worden wäre. Dennoch versuchte dieser aufgrund der bestehenden wirtschaftlichen und militärischen Schwäche der Sowjetunion Zeit zu gewinnen, um die Anti-Hitler-Koalition irgendwie zu verlängern. In einem Interview mit Elliot Roosevelt erklärte er, dass sich die Beziehungen zu den USA nach dem Tode Roosevelts nicht verschlechtert, sondern sogar verbessert hätten. Entsprechend nahm Stalin auch gerne das Angebot an, Gründungsmitglied der Vereinten Nationen zu werden, weil er damit im Sicherheitsrat ein Vetorecht erhielt. Dennoch mied er die Mitgliedschaft im IWF und der Weltbank, weil er damit in das kapitalistische Weltsystem eingebunden worden wäre, was seine kommunistische Herrschaft selbst gefährdet hätte.

In Washington rätselte man über die Motive Stalins. Was wollte er wirklich? Man war sich nicht ganz sicher, ob die Sowjetunion eine Status quo-Macht war, die sich mit dem »Sozialismus in einem Lande«, wozu ihre Einflusszonen zu zählen waren, begnügen würde, oder ein revisionistischer Staat, der Umstürze außerhalb im Westen plane. Diese Frage stellte das amerikanische Finanzministerium der amerikanischen Botschaft in Moskau. Die Antwort kam von dem jüngeren Botschaftsangestellten George F. Kennan in Form eines »langen Telegramms« im Februar 194613. Kennans Beobachtungen kamen für viele in den USA überraschend. Er machte die inneren Verhältnisse der Sowjetunion für Moskaus Außenpolitik verantwortlich. Deshalb hätte der Westen nur geringen Einfluss auf das, was Stalin vorhabe. Die innere Schwäche und Brüchigkeit des Sowjetsystems veranlasse Stalin, sich gegenüber der Außenwelt feindlich zu verhalten. Es sei die einzige Möglichkeit für die Diktatur einer kommunistischen Minderheit den internationalen Kapitalismus für die Unterdrückung und die Opfer der russischen Bevölkerung verantwortlich zu machen. Ein Entgegenkommen könne von Stalin nicht erwartet werden, solange sich die inneren Bedingungen nicht änderten. Die amerikanische Bevölkerung müsse über diese Situation informiert werden. Ein theatralischer und »hysterischer Anti-Sowjetismus« könne damit vermieden werden. Die USA müssten mit Selbstbewusstsein dem bösartigen Weltkommunismus »ein positives und konstruktives Bild von der Welt gegenüberstellen«, zumal die europäische Bevölkerung von der jüngsten Vergangenheit zu müde und eingeschüchtert wäre, sich selbst abstrakte Freiheit vorstellen zu können und mehr an Sicherheit interessiert sei.

Dieses Telegramm ging weit über eine machtpolitische Analyse des neuen Ost-West-Verhältnisses hinaus. Es thematisierte sowohl das Verhältnis von Innen- und Außenpolitik als auch die Kraft des Vorbildes. Vertreter der realistischen Schule haben später dieses Telegramm und den eineinhalb Jahre später unter dem Pseudonym »X« in der Zeitschrift »Foreign Affairs« veröffentlichten Artikel14 Kennans ausschließlich unter dem globalen sicherheitspolitischen Aspekt interpretiert. Kennan hatte jedoch anders als diese das Augenmerk insbesondere auf die inneren Verhältnisse der Sowjetunion zur Erklärung der wahrgenommenen sowjetischen Gefahr gelegt. Rückblickend kann man mit einiger Berechtigung feststellen, dass die innen-, wie auch die außenpolitischen Dimensionen sowohl für den Beginn als auch das Ende des Kalten Krieges verantwortlich waren.

Letztlich blieben Stalins Bemühungen einer Verlängerung der Anti-Hitler-Koalition ohne Erfolg. Für die USA war die Kriegskoalition mit der Sowjetunion aber unnötig und ab 1946 eine Belastung geworden. Auch Churchill sah in Sowjetrussland nun »eine tödliche Gefahr für die freie Welt«. Er forderte, dass im Osten, soweit wie möglich, eine Front durch die »Armeen der Demokratien« errichtet werde. Die Rede des nicht wiedergewählten britischen Premierministers im März 1946 im Westminster College in Fulton im US-Bundesstaat Missouri, der diese Forderung entstammt, kann als öffentlich angekündigter Beginn des Kalten Krieges gewertet werden. Churchill erwähnte darin erstmals auch den Begriff des »Eisernen Vorhangs«, hinter dem alte berühmte Städte und ihre Bevölkerung unter die Kontrolle Moskaus gekommen wären:

»Von Stettin an der Ostsee bis nach Triest an der Adria hat sich ein eiserner Vorhang über den Kontinent gesenkt. Dahinter liegen die Hauptstädte der vormaligen Staaten Zentral- und Osteuropas: Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia. Alle diese berühmten Städte und die umwohnende Bevölkerung befinden sich in der Sowjetsphäre, wie ich sie nennen muss, und sind in der einen oder anderen Form nicht nur dem sowjetischen Einfluss ausgesetzt, sondern unterstehen im hohen Maße der Kontrolle Moskaus. […] Welche Schlussfolgerungen aus diesen Tatsachen man auch ziehen mag – und es handelt sich um Tatsachen –, dies ist sicher nicht das befreite Europa für dessen Aufbau wir gekämpft haben und keineswegs ein Europa, das die notwendigen Voraussetzungen für einen dauernden Frieden bringt.«15

Churchill war zu jener Zeit Privatmann, die Rede damit inoffiziell. Der Begriff tauchte daraufhin aber dennoch in vielen offiziellen Dokumenten im Ost-West-Kontext auf.

In der ersten Hälfte des Jahres 1947 beschloss die US-Regierung eine kohärente neue Strategie gegenüber der Sowjetunion zu formulieren, die über Reaktionen von Fall zu Fall hinausging. Grundlage für die neue Außenpolitik der USA bildete die weiter oben genannte Analyse Kennans. Die ersten Schritte dieser Strategie waren die Truman-Doktrin und der Marshall-Plan, die darauf abzielten, die Sowjetunion machtpolitisch einzudämmen. Im März 1947 kündigte US-Präsident Truman für Griechenland und die Türkei ein Programm für wirtschaftliche und militärische Hilfe an. Die Begründung dafür ging weit über diese Länder, die in der Nachkriegszeit weder frei noch demokratisch waren, hinaus. Er formulierte eine Politik der USA, die »freie Völker« unterstützen würde, die sich gegen die Unterwerfung von bewaffneten Gruppen oder äußeren Druck auflehnen würden.

Mit der Truman-Doktrin konzentrierten sich die USA nun endgültig darauf, die westliche Hälfte des geteilten Europas aufzubauen und die amerikanisch-britischen Besatzungszonen zu integrieren. Truman beschreibt darin zwei Welten, die gleichzeitig die beiden bestehenden geopolitischen Lager symbolisieren:

»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Weltgeschichte muss fast jede Nation zwischen alternativen Lebensformen wählen. Nur zu oft ist diese Wahl nicht frei. Die eine Art zu leben zeichnet sich durch freie Institutionen, eine repräsentative Regierungsform, freie Wahlen und durch garantierte Freiheit der Person, der Rede und des religiösen Bekenntnisses sowie durch Freiheit von politischem Zwang aus. Die zweite Lebensweise gründet sich auf den Willen einer Minderheit, der der Mehrheit aufgezwungen wird. Terror und Unterdrückung, kontrollierte Presse und Rundfunk, fingierte Wahlen und Unterdrückung der persönlichen Freiheiten sind ihre Kennzeichen.«16

Truman selbst beschreibt die Rede als Handlungsanleitung für die USA »wo immer es aktive Bedrohungen der Unabhängigkeit und Stabilität freier Nationen gab«.17 Nach diesem politischen Vorstoß folgte der Marshall-Plan. Dieser hatte sowohl wirtschaftliche als auch politische Aufgaben zu erfüllen. Dabei ging es nicht darum, eine sowjetische Intervention in Westeuropa zu verhindern, sondern um dessen Aufbau und seine Integration in den Westen. Der Plan sollte neben dem Wiederaufbau Europas das westliche Wirtschaftsmodell attraktiv und das kommunistische unattraktiv machen. Der Marshall-Plan verkündete das Modell einer liberalen Gesellschaft basierend auf Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie mit moderner Industrie und Freihandel.18

Interessanterweise schloss der damalige Außenminister George C. Marshall in seiner Rede vom 5. Juni 1947 die von der Sowjetunion besetzten osteuropäischen Länder und selbst die Sowjetunion nicht von vornherein von der Teilhabe aus. Dennoch wird eine erste Schwerpunktsetzung auf Deutschland und Österreich deutlich. Deren wirtschaftliche Entwicklung würde dadurch behindert, dass es zwei Jahre nach Ende des Krieges noch kein endgültiges Friedensergebnis gab.

Neben dem Wiederaufbau Westeuropas und der Westintegration, ging es beim Marshall-Plan zugleich um den Aufbau eines funktionsfähigen Weltmarktes. Die USA konnten sich dabei, anders als die Sowjetunion, vor allem auf den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Westeuropas konzentrieren, da sie keine Kriegsschäden im eigenen Land zu verzeichnen hatten und in der militärischen Entwicklung (Atombombe) einen großen Vorsprung besaßen.

»Es ist logisch, dass die Vereinigten Staaten alles unternehmen werden, um zu einer normalen gesunden Weltwirtschaft zurückzukehren, ohne die es weder politische Stabilität noch garantierten Frieden geben kann. Unsere Politik richtet sich nicht gegen irgendein Land oder eine Anschauung, sondern gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos. Ihr Zweck ist die Wiederbelebung einer funktionierenden Weltwirtschaft, damit die politischen und sozialen Bedingungen entstehen, unter denen freie Institutionen bestehen können.«19

Tatsächlich wurden die Bedingungen letztlich so formuliert, dass sich Stalin nicht an dem Programm beteiligen konnte, obwohl er es anfänglich in Betracht gezogen hatte. Es war ein westlich-marktwirtschaftliches Programm, das nicht zum stalinistischen Kommunismus passte. Es hätte wirtschaftliche Integration in den Kapitalismus, Transparenz und Offenheit bedeutet. Stalin untersagte daraufhin allen Ländern in der sowjetischen Einflusssphäre die Hilfsleistungen anzunehmen. Das betraf auch die Tschechoslowakei, deren Regierung noch nicht vollständig stalinisiert war und ernsthaft eine Beteiligung an dem Programm in Erwägung gezogen hatte. Mit der Implementierung des Marshall-Plans wurden nicht nur die geopolitischen Grenzen gezogen, sondern auch die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme verfestigt. Hoffnungen auf eine liberale integrierte Weltwirtschaft waren damit endgültig begraben.

An dem Programm beteiligten sich nunmehr nur noch 16 westeuropäische Länder. Aus ihnen ging 1948 die »Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit« (OEEC) hervor, die die Verteilung der Hilfsgelder mit den USA planen sollte. Sie war der Vorgänger der 1961 gegründeten »Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung« (OECD). Die OEEC sollte den innereuropäischen freien Handel fördern, die Zölle zwischen den Mitgliedern senken, sowie die Möglichkeit einer Zoll- und Freihandelsunion prüfen. Oft wurde das »European Recovery Program« (ERP) des Marshall-Plans fälschlicherweise als humanitäre Hilfsleistung interpretiert. Seine Absicht war aber Westeuropa politisch und wirtschaftlich an die USA zu binden. Somit war er politisch letztlich bedeutender als volkswirtschaftlich. Der Plan, der etwa 13 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau zur Verfügung stellte, trug durchschnittlich weniger als fünf Prozent zum Wirtschaftswachstum der Empfängerländer bei. Der Anteil der Hilfe am Bruttosozialprodukt war in Österreich mit 14 Prozent am höchsten.20

Der Marshall-Plan war ein Beitrag zum Wiederaufbau Westeuropas, aber keinesfalls eine Kolonialisierung Europas, wie es die kommunistische Propaganda bezeichnete. Im Gegenteil, im amerikanischen Kongress gab es eine heftige Debatte darüber, ob man sich mit der politischen und wirtschaftlichen Integration Westeuropas nicht in Zukunft einen Konkurrenten auf dem Weltmarkt aufbauen würde. In seinen Memoiren sinniert George F. Kennan:

»Wir waren nicht einmal mit uns selber einig, ob wir einen deutschen wirtschaftlichen Wiederaufstieg nun wünschen sollten oder nicht. Manchmal glaubten wir ja, manchmal glaubten wir nein.«21

Die Truman-Doktrin und der Marshall-Plan waren die ersten Maßnahmen der USA im einsetzenden Kalten Krieg gegenüber der Sowjetunion. George F. Kennan versuchte sie mit seinen Schlussfolgerungen aus dem langen »Telegramm« in Einklang zu bringen und gab der neuen US-Politik einen Namen. Wenn das sowjetische Außenverhalten primär innenpolitisch motiviert war und nicht von außen verändert werden könne, dann bliebe den Vereinigten Staaten nur mehr eines übrig: die »Eindämmung« (»Containment«) der sowjetischen Feindseligkeiten. Eindämmungspolitik sollte einen als expansionistisch betrachteten Staat an der Ausdehnung seiner Macht hindern. Kennan selbst schrieb dazu:

»Unter diesen Umständen ist es klar, dass das wichtigste Element jeglicher Politik der USA gegenüber der Sowjetunion eine langfristig angelegte, geduldige aber doch feste und wachsame Politik der Eindämmung des russischen Expansionsstrebens sein muss.«22

Diese dürfe aber nicht mit überflüssigen theatralischen Bedrohungsgesten verbunden sein. Der sowjetische Druck auf die freien Institutionen des Westens könne mit Gegendruck eingedämmt, aber nicht weggeredet oder weggezaubert werden. Es gäbe zwei Ziele: die Macht und den Einfluss Moskaus zu reduzieren, und Theorie und Praxis der russischen Regierung in den internationalen Beziehungen zu verändern. Dieser politischen Weisung folgte die Politik der USA gegenüber der Sowjetunion seit den Anfängen des Kalten Krieges.

Stalins Reaktion auf die Eindämmungspolitik entsprach weitgehend Kennans Annahmen. Er verschärfte den Zugriff auf seinen Machtbereich. Im Oktober 1947 folgte die Gründung des »Kommunistischen Informationsbüros« (Kominform), mit dem die Kommunistischen Parteien (KPs) künftig auf eine gemeinsame Linie verpflichtet werden sollten. Stalin rechnete auch die Tschechoslowakei zu seiner Einflusszone, obwohl sie nicht direkt militärisch besetzt war. Die Kommunistische Partei war seit den Wahlen 1946 die stärkste Partei, verhinderte aber auf Stalins Weisung im Februar 1948 Neuwahlen. Aus Protest traten die nicht-kommunistischen Minister aus der Regierung aus. Zur Durchsetzung ihrer Ziele organisierte die Kommunistische Partei Massendemonstrationen sowie Streiks und drohte mit dem Einmarsch der Roten Armee. In dieser Situation kam Staatspräsident Edvard Beneš unter Druck. Er vereidigte den Kommunisten Klement Gottwald zum Ministerpräsident. Außenminister Jan Masaryk, der sich gegenüber dem kommunistischen Umsturz nicht klar positionierte, fand durch einen mysteriösen Fenstersturz den Tod.

Anders als in Osteuropa gestaltete sich die Lage in Deutschland, das ebenso wie Österreich in vier Besatzungszonen aufgeteilt war. Der Beschluss der mit westlichen Staaten besetzten Sechsmächtekonferenz im Februar 1948 die westlichen Zonen Deutschlands gesondert zu verwalten, veranlasste Stalin im Juni 1948 dazu eine Blockade über Westberlin, das über die sowjetische Besatzungszone versorgt wurde, zu verhängen. Obwohl Berlin daraufhin durch eine Luftbrücke der Westmächte versorgt werden konnte, war damit auch die Teilung Deutschlands vollzogen. George F. Kennan hatte damals für einen Rückzug der sowjetischen und amerikanischen Streitkräfte und für eine Neutralität und Entmilitarisierung Deutschlands plädiert, weil er nicht an die Haltbarkeit der Teilung Europas und die Überlebensfähigkeit Berlins in dieser Situation glaubte.23 Der deutsche Bundeskanzler war vehement dagegen und Frankreich ebenso wie Großbritannien fürchteten, dass ein unabhängiges neutrales Deutschland wieder zu mächtig werden könnte. Die Teilung Deutschlands war somit besiegelt.

Mit George Kennans Telegramm, der Truman-Doktrin, dem Marshall-Plan, dem sowjetisch gestützten Putsch in der Tschechoslowakei und der Berlin-Blockade wurde die Politik der »Eindämmung« des Westens gegenüber der Sowjetunion in die Praxis umgesetzt. Sie sollte die territoriale und politische Expansion des Gegners über seine gegenwärtige geostrategische Ausdehnung hinaus verhindern.24 Historische Vorläufer dieser Politik waren der Versuch Großbritanniens, Frankreichs und Russlands Deutschland nach 1900 einzudämmen. Davor verfolgte Bismarck eine Politik der Eindämmung gegenüber Frankreich mit einem Netz europäischer Verbündeter. Das Wiener Konzert von 1815 sollte ein revisionistisches Frankreich durch die Schaffung einer Reihe von Pufferstaaten eindämmen. In gewisser Weise ähnelt Eindämmung, also die Bildung von diplomatischen und militärischen Gegengewichten gegen potentielle Herausforderer und Aggressoren, einer Politik des Mächtegleichgewichts. Eine Politik des Mächtegleichgewichts wurde aber zumeist gleichzeitig von diplomatischen Kontakten begleitet, wie zur Zeit der Entspannungspolitik der Sechziger- und Siebzigerjahre während des Ost-West-Konfliktes. Die Eindämmungspolitik während der frühen Phase des Kalten Krieges ging hingegen über eine Politik des Mächtegleichgewichts hinaus, da sie von keinen wesentlichen diplomatischen Verhandlungen begleitet war. George Kennan war erstaunt, dass für die Westeuropäer, die sich nach dem Marshall-Plan noch in einer Erholungsphase befanden, wirtschaftlicher Aufbau nicht mehr die dringlichste Aufgabe war, sondern die Bekämpfung der Gefahr, wie sie von der wahrgenommenen militärischen Überlegenheit der Sowjetunion in Mitteleuropa ausging.25 Er war der Meinung, dass es in den Nachkriegsjahren keine Anhaltspunkte dafür gegeben hätte, dass die sowjetische Führung zu irgendeinem Zeitpunkt Westeuropa angreifen wollte, wenn sie sich nicht in ihrer eigenen Existenz bedroht fühlte.26 Für ihn war Eindämmung ein Mittel, das den europäischen Staaten helfen sollte, unabhängig von Großmachteinflüssen zu bleiben.

Letztlich wurde klar, dass US-Präsident Truman den Kurs des beginnenden Kalten Krieges bestimmte. Er ersetzte Roosevelts Konzept der vier Mächte durch ein westliches Militärbündnis. Truman verfolgte nicht die von Churchill empfohlene Taktik der Belohnung und Bestrafung, sondern handelte nach dem Prinzip der Blockbildung. Er setzte auf westliche Einheit anstelle von Ost-West-Verhandlungen. Eindämmung wurde für die nächsten vierzig Jahre das Leitprinzip für den Westen.27

Der Nationale Sicherheitsrat der USA legte Präsident Truman Anfang Sommer 1950 das Dokument NSC-68 vor. Darin wurde eine Strategie formuliert, deren Ziel es war, die Interessen der USA zu verteidigen, wo immer sie sich solche ergaben. Damit richtete sich das Dokument in erster Linie gegen sowjetische Einflussversuche im Westen. Eine Folge daraus war, dass die Außenpolitik zunehmend militärisch definiert wurde. Nach dem Beginn des Koreakrieges im Juni 1950 kam es daher schließlich zu einer massiven Aufrüstung. Das Dokument definiert Eindämmung als Politik »kalkulierten und zunehmenden Zwangs«.28 Der NSC stellt darin auch fest, dass »ohne militärische Stärke, eine Politik der Eindämmung nichts weiter ist als eine Politik des Bluffs«. Aus dieser Logik entwickelte sich eine Politik des Risikos, um die sowjetischen Pläne zu durchkreuzen und die Sowjetunion zurückzudrängen. Jene zielte darauf ab, die vorhandene militärische und wirtschaftliche Überlegenheit in eine absolute Vormachtstellung umzuwandeln. Darunter wurde die Fähigkeit verstanden, der Sowjetunion Bedingungen diktieren zu können. Nachdem sich die Eindämmungspolitik insbesondere in Asien als uneffektiv erwiesen hatte, wurde sie durch die Strategie des »Roll back« ersetzt, die bald darauf durch die »Domino-Theorie« ergänzt wurde. Diese basiert auf der Annahme, dass einer kommunistischen Machtübernahme, wie in einer Reihe von Dominosteinen, weitere folgen, solange bis der letzte Stein der freien Welt, die Vereinigten Staaten, fallen. Um dies zu verhindern, wurde nun nicht nur eine Eindämmung des sowjetischen Machtbereichs angestrebt, sondern eine aktive Sicherung bzw. Ausweitung des westlichen Einflusses, bei gleichzeitiger Zurückdrängung des Kommunismus. Die »Roll back«-Strategie in ihrer Erweiterung mit der »Domino-Theorie« diente in den folgenden Jahrzehnten als Begründung zahlreicher Interventionen der USA, um Verbündete gegen angenommene kommunistische Machtübernahmen zu verteidigen. Sie fand insbesondere im Zusammenhang mit den Kriegen in Südostasien häufig Anwendung.

Trotz dieser späteren Entwicklungen war die Eindämmungspolitik die dominante Strategie der USA gegenüber der Sowjetunion in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der Artikel Kennans traf auf eine weitverbreitete antisowjetische Stimmung in den Vereinigten Staaten, wie sie sich auch in der Truman-Doktrin und dem Marshall-Plan ausdrückte. Kennan selbst distanzierte sich später von der tatsächlich durchgeführten Politik.29 Diese sei zu weit gegangen und er hätte weder eine »Doktrin der Eindämmung« noch die Isolierung der Sowjetunion, sondern lediglich diplomatische Standfestigkeit und Härte befürwortet. Er hätte den Begriff der »Eindämmung« politisch-diplomatisch und nicht militärisch verwendet. Außerdem habe die Politik der Eindämmung nach Stalins Tod 1953 und dem sowjetisch-chinesischen Zerwürfnis seit Ende der Fünfzigerjahre einen Großteil ihrer Berechtigung verloren. Kennan ließ offen, ob die Sowjetunion eine revisionistische und expansionistische oder eine Status quo-Macht war. Für Truman jedenfalls war sie die erstere und er reagierte mit politischen, ökonomischen und militärischen Maßnahmen. Beobachter, die die Spannungen in der frühen Phase des Kalten Krieges auf Stalin zurückgeführt hatten, wurden eines Besseren belehrt. Misstrauen und Fehleinschätzungen hörten mit dem Tode Stalins nicht auf. Sie bargen immer wieder ein Eskalationsrisiko in sich: der Eintritt der Bundesrepublik in die Nordatlantikvertrags-Organisation – NATO (1955); der »Schock«, den der Start des ersten Sputniks (1957) in den USA auslöste; die Stationierung von Nuklearwaffen in Europa; die zweite Berlin-Krise (1958–1961); sowie die Kuba-Krise 1962.30

Zu Beginn des Kalten Krieges wurde die Welt in zwei Teile aufgeteilt. Ideologisch zwischen Kapitalismus und Kommunismus, geopolitisch in militärische Einflusssphären zwischen den USA und der Sowjetunion; in der Dritten Welt, wo dieser Prozess noch nicht abgeschlossen war, wurde von beiden Seiten »gewildert« und politisch sowie militärisch interveniert. Der Besitz von Nuklearwaffen hielt dabei die Großmächte nicht von militärischen Interventionen ab. Zudem bestand die stete Gefahr, dass eine Seite einen nuklearen Erstschlag wagen könnte, in der Hoffnung, damit davonkommen zu können, ohne dass die andere Seite zu einem Gegenschlag in der Lage wäre. Ebenso blieb das Risiko, dass ein konventioneller Angriff der Truppen des Warschauer Paktes in Europa zu einer nuklearen Eskalation führen könnte.

Stalin hatte die Nachkriegssituation für seine Zwecke kompromisslos und bestens ausgenutzt. Ihm war es gelungen einen schützenden Gürtel von Satellitenstaaten in Ost- und Mitteleuropa vor die Sowjetunion zu legen. Zudem hatte er diese territoriale Expansion propagandistisch als »Erfolg« kommunistischer Ideologie ausgegeben. Tatsächlich war es eine nationalistische Politik und keine globale kommunistische Strategie. Auch Stalins Nachfolger versuchten nach dessen Tod 1953 das Erlangte mit verringerten Spannungen zu erhalten, ohne davon etwas aufzugeben.

Wie sehr die Eindämmungspolitik auch noch spätere Phasen des Kalten Krieges bestimmte, zeigt ein anderes Beispiel: Als John F. Kennedy 1961 in den USA an die Regierung kam, war der Generalstab von militaristischen Falken dominiert, die Kennedy verachteten. Der neue Verteidigungsminister McNamara entdeckte geheime Pläne des Pentagons über einen präemptiven Nuklearschlag auf die Sowjetunion, den er unbedingt verhindern wollte.31