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Seit der Zwischenkriegszeit verteidigte die Schweiz ihr steuerliches Bankgeheimnis erfolgreich gegen alle Angriffe von innen und aussen. Als 2008 die Finanzkrise ausbrach und die internationale Staatengemeinschaft einen neuen Anlauf zur Austrocknung von Steueroasen unternahm, sagte der Bundesrat, die Angreifer würden sich am Bankgeheimnis «die Zähne ausbeissen». Fünf Jahre später bekannten sich der Bundesrat und die Bankiervereinigung zum automatischen Informationsaustausch und damit zur kompletten Preisgabe des Bankgeheimnisses gegenüber ausländischen Bankkunden Wie kam es zu dieser Kehrtwende? War sie wirklich notwendig oder war sie das Ergebnis verpasster Gelegenheiten und einer kollektiven Überforderung der Schweiz? Stefan Tobler rekonstruiert die Vorgänge, die zum Abschied vom Schweizer Bankgeheimnis führten, und bettet sie in die 100-jährige Vorgeschichte von internationaler Kritik und nationaler Verteidigung ein.
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© 2019 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG
Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2019 (ISBN 978-3-03810-283-0)
Lektorat: Katharina Wehrli
Umschlaggestaltung: icona basel, Basel
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ISBN E-Book 978-3-03810-430-8
www.nzz-libro.ch
NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.
Vorwort
1. Einleitung
2. Die Etablierung einer Dialektik von Kritik und Verteidigung in der Zwischenkriegszeit
2.1. Die Schweiz als internationales Vermögensverwaltungszentrum
2.2. SP-Vermögensabgabe-Initiative von 1922 – ein erster Legitimationsboden
2.3. Ringen um Informationsaustausch in Steuersachen im Völkerbund
2.4. Strafrechtliche Verankerung des Bankgeheimnisses im Jahr 1934
3. Die Behauptung des steuerlichen Bankgeheimnisses im Kalten Krieg
3.1. Die erfolgreiche Verteidigung des Finanzplatzes Schweiz im Übergang zur Nachkriegsordnung
3.2. Der Schweizer Finanzplatz zwischen Zurückhaltung, Verteidigung und Konzessionen gegenüber den USA
3.3. Direktdemokratische Legitimierung des steuerlichen Bankgeheimnisses
4. Neue Initiativen gegen «schädlichen Steuerwettbewerb» im Zeichen der neoliberalen Globalisierung
4.1. Die EU-Initiative zur Einführung einer europäischen Zinsbesteuerung
4.2. OECD-Initiativen gegen «schädlichen Steuerwettbewerb» und für «verbesserten Zugang zu Bankinformationen für Steuerzwecke»
4.3. Auf schiefer Bahn
5. Doppelschlag gegen das «Flaggschiff der Steueroasen»
5.1. «Affäre Zumwinkel» als Fanal für den neuen Kampf gegen «Steueroasen»
5.2. Der Fall UBS – die Schweiz in der Bankgeheimnisfalle
5.3. Eskalation an allen Fronten
5.4. «Marignano» für den Finanzplatz Schweiz
5.5. «OECD 26» – Schweiz macht Steuerhinterziehung amtshilfefähig
6. Strategie zur Rettung des Bankgeheimnisses
6.1. Strategieentwicklung in unsicheren Zeiten
6.2. Die Schweiz wird OECD-konform
6.3. UBS-Abkommen – der vermeintliche «Friedensvertrag» mit den USA
6.4. Die neue Finanzplatzstrategie von Bund und Privatsektor
7. Verhandlungen aus dem Belagerungszustand
7.1. Bundesverwaltungsgericht widerspricht im Fall UBS
7.2. Deutsches Schwarzgeld und Schweizer Richtungsstreit um Finanzplatzstrategie
7.3. UBS-Staatsvertrag
7.4. Ringen um die Abgeltungssteuer
7.5. Das Rückzugsgefecht bei der Steueramtshilfe
8. Neuer Steuerstreit mit den USA
8.1. Von der Einzelfallthese zum Strategieansatz einer Globallösung
8.2. Der Beginn der «zweiten Angriffswelle»
8.3. Die Credit Suisse im Visier der US-Justiz
8.4. Uneinigkeit im Schweizer Lager
8.5. Das Scheitern der monetären Globallösung und ein verhängnisvoller Behördenkonflikt
8.6. Untergang der Bank Wegelin
8.7. Götzendämmerung
9. Resigniert am Ende des Rückzugsgefechts
9.1. Weissgeldoffensive und Rufe nach einem Strategiewechsel
9.2. Festgefahren im US-Steuerstreit
9.3. Die Abgeltungssteuer erleidet Schiffbruch
9.4. Das Ende des Rückzugsgefechts
10. Bekenntnis zum AIA und ein Zahltag für das Bankgeheimnis
10.1. Die Kehrtwende der Banken
10.2. Das politische Bekenntnis der Schweiz zum AIA
10.3. Volksinitiative zum Schutz der Privatsphäre («Matter-Initiative»)
10.4. Zahltag für das Bankgeheimnis – das «US Tax Program»
11. Die Welt der Steuertransparenz und die USA als «neue Schweiz»
11.1. Auf dem Weg zum globalen AIA
11.2. Beilegung des Steuerstreits mit den USA
11.3. Die USA als «neue Schweiz»
12. Schlussbetrachtungen
12.1. Warum die Schweiz ihr steuerliches Bankgeheimnis für ausländische Kunden abschaffen musste
12.2. Kontrafaktische Überlegungen: Gelegenheitsfenster für alternative Entscheidungen
12.3. Fazit
Nachwort
13. Anhang
Chronologie
Abkürzungsverzeichnis
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Register
Mit dem Schweizer Bankgeheimnis, genauer mit dem Diskurs über das Bankgeheimnis, beschäftige ich mit seit rund 20 Jahren. Angefangen damit habe ich nach Abschluss meines Studiums der Soziologie, Politikwissenschaft und Wirtschaftsgeschichte als wissenschaftlicher Mitarbeiter am fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich, als ich für die UBS und die Schweizerische Bankiervereinigung sogenannte Issues-Monitoring-Berichte verfasste. Dabei wurden Diskurse analysiert, die für den Finanzplatz Schweiz relevant waren, und Szenarien für ihre künftige Entwicklung entworfen. Am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie von 2005 vertrat ich zusammen mit meinem Kollegen Angelo Gisler die These, dass es sich bei den damaligen Auseinandersetzungen zwischen der Schweiz und der EU respektive OECD über das steuerliche Bankgeheimnis um eine verspätete Sonderfalldebatte handelte, die eigentlich verfrüht war.1 Verspätet deshalb, weil das Bankgeheimnis, als es 1934 im Bundesgesetz strafrechtlich verankert wurde, keinerlei Debatten auslöste; verfrüht, weil die besondere schweizerische Rechtskonstruktion künftig immer weniger akzeptiert würde und deshalb vor dem Hintergrund einer zunehmend globalisierten Öffentlichkeit mit homogenisierenden Wert- und Gerechtigkeitsvorstellungen die eigentliche Auseinandersetzung um das Schweizer Bankgeheimnis erst noch bevorstünde.
2008 wechselte ich zur Geschäftsstelle der Schweizerischen Bankiervereinigung und arbeitete dort zunächst als Leiter Stab Verwaltungsrat und Geschäftsstelle, ab 2010 als Leiter Strategie. In diesen Funktionen oblagen mir unter anderem die Protokollführung im Verwaltungsrat sowie die Aufbereitung der von den Fachlinien erarbeiteten materiellen Grundlagen zu Entscheidungsformaten. Während dieser Zeit begann ich an der Universität Zürich einen Masterstudiengang in Applied History und verfasste 2015 bei Tobias Straumann eine Diplomarbeit mit dem Titel «Freitag, der 13. für das Schweizer Bankgeheimnis».2 Mit dieser Arbeit untersuchte ich, wie es kam, dass die Schweiz 2009 ihren Vorbehalt gegenüber Art. 26 des OECD-Musterabkommens («OECD 26») zurückzog und erstmals Steuerhinterziehung gegenüber dem Ausland amtshilfefähig machte, nachdem sie diese Position seit der Zwischenkriegszeit erfolgreich verteidigt hatte.
Als ich meine Stelle bei der Bankiervereinigung 2016 wegen einer Reorganisation verlor, entschied ich mich, die begonnene Arbeit fortzusetzen und in Form eines Buchs zu publizieren. Im Fokus stand nun die Frage, wie es im Nachgang von 2009 zum Bekenntnis der Schweiz zum automatischen Informationsaustausch (AIA) kam. Ich informierte meine ehemalige Arbeitgeberin über dieses Buchprojekt. Es stand für mich ausser Frage, dass ich eine wissenschaftliche und empirisch fundierte Arbeit über den Paradigmenwechsel am Finanzplatz Schweiz verfassen wollte, die weder polemisch geschrieben ist noch Geschäftsgeheimnisse verrät. Im Kern knüpfte ich mit diesem Unterfangen dort an, wo ich am Soziologenkongress 2005 aufgehört hatte. Es ging mir darum, die jüngste Ereignisgeschichte im Kontext der 100-jährigen Strukturgeschichte des Schweizer Bankgeheimnisses zu untersuchen und zu erklären, warum die Schweiz ihren seit der Zwischenkriegszeit erfolgreich verteidigten Schutz der Privatsphäre gegenüber ausländischen Bankkunden mit der Einführung des AIA aufgeben musste.
Über einen Erklärungsansatz verfügte ich bereits. Doch mich interessierten die Anschlussfragen: Warum scheiterte die schweizerische Alternative einer Abgeltungssteuer? Gab es zur gesamten Entwicklung nicht noch andere Alternativen? Also begab ich mich auf Spurensuche. Zusätzlich zur Auswertung von rund 10000 Medienartikeln führte ich über 100 Hintergrundgespräche mit mehr als 50 verschiedenen, massgeblich in die Auseinandersetzungen um das Bankgeheimnis involvierten Personen aus Politik, Verwaltung, Banken, Recht, Wissenschaft und Medien. Dabei musste ich sehr schnell feststellen, dass der Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis noch nicht zu Ende war. Er setzte sich fort als Kampf um die «richtige» Deutung der Vorgänge, die zum Ende des steuerlichen Bankgeheimnisses gegenüber Ausländern geführt hatten. Und plötzlich sah ich mich selbst einem Spannungsfeld ausgesetzt, das mich und meine Arbeit in Mitleidenschaft zog. Dieses Spannungsfeld hat eine inhaltliche Dimension und eine, die die Produktion dieses Buchs selbst betraf.
Zunächst zur inhaltlichen Dimension. Mit zunehmender Recherche wurde mir nämlich bewusst, dass der Kampf um das steuerliche Bankgeheimnis nur die sichtbare Oberfläche betraf. Dieser Kampf war nicht einfach eine semantische Auseinandersetzung, bei der zwei unvereinbare Rechtsauffassungen aufeinanderprallten: Der Kampf für das «Bankkundengeheimnis» als legitimes Rechtskonstrukt zum Schutz der finanziellen Privatsphäre hier und der Kampf gegen das «Steuerhinterziehungsgeheimnis» als rechtliches Hindernis zur Durchsetzung des Steuerrechts ausländischer Regierungen bzw. deren Steuersouveränität dort. Unterhalb dieser sichtbaren Spitze des Eisbergs ging es um private Kundengelder im Umfang von über 2000 Milliarden Franken. Mit einem Anteil von gut einem Viertel an den weltweit ausserhalb des eigenen Landes verwalteten Privatvermögen repräsentiert die Schweiz das grösste Finanzzentrum der internationalen Vermögensverwaltung. Doch das steuerliche Bankgeheimnis erlaubte nicht nur ausländischen Steuerhinterziehern, ihre nicht deklarierten Gelder auf dem Finanzplatz Schweiz vor dem Zugriff ihrer Steuerbehörden zu verstecken; es erlaubte auch den Akteuren des Schweizer Finanzplatzes, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das gezielt auf den Erwerb und die Verwaltung solcher Schwarzgelder ausgerichtet war. Wenn aber von diesen ausländischen Privatkundengeldern geschätzte 50 bis 80 Prozent nicht deklariert waren, dann erhielt der Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis einen ganz grundsätzlichen staatspolitischen Charakter: Konnte und sollte die Schweizer Politik eine vom Ausland nicht mehr akzeptierte Rechtskonstruktion verteidigen, die dem Finanzplatz ein Geschäft mit Schwarzgeldern in dieser Höhe erlaubte?
Das ist jedoch die Kernfrage, um die sich die ganze Auseinandersetzung spätestens ab 2008 drehte, die aber aus naheliegenden Gründen unaussprechlich war, da ein transparenter Diskurs die schweizerische Position der «Unverhandelbarkeit des Bankgeheimnisses» untergraben hätte. Also hüllten sich alle massgebenden Akteure in Schweigen und beschönigende Darstellungen der Sachverhalte oder flüchteten in eine Art kollektiven Selbstbetrug.
Damit rückten die Verstrickungen der UBS in einen Steuerfall in den USA sowie das Handeln der Schweizer Behörden und des Bundesrats, die die UBS vor einer Strafklage durch das US-Justizdepartement bewahren wollten, in den Fokus meiner Untersuchungen. Und schliesslich untersuchte ich auch das Handeln der Banken und der Politik in der zweiten Welle des Steuerstreits mit den USA. Dabei ging es nicht um die Ausgestaltung künftiger Regeln im Umgang mit Bankkunden und für den Informationsaustausch, sondern um die rückwirkende Auslegung bestehender Regeln. Durch eine solche Neuauslegung versuchten die US-Behörden an die bisher vom steuerlichen Bankgeheimnis geschützten Kundendaten mutmasslicher amerikanischer Steuerhinterzieher und letztlich an deren Schwarzgeld zu gelangen. Der Fall UBS aber war ein Fall pars pro toto. Dabei zeigte sich immer deutlicher, wie verworren und hintersinnig auf einmal war, von dem ich bisher geglaubt hatte, es sei einer Machtlogik der USA geschuldet. Immer deutlicher zeichnete sich ab, dass die wesentlichen Entscheidungen in der gesamten Ereigniskette nicht nur von einer UBS-Räson (Vermeidung einer Anklage der Bank) geprägt waren, sondern sie wurden auch auf apokryphe Art und Weise von Fragen der politischen Verantwortung für die Entsorgung des Schwarzgeldgeschäfts überlagert.
In meiner Recherche wurde ich von verschiedenen Seiten mit der Auffassung konfrontiert, den Schweizer Banken sei im Zusammenhang mit der Rettung der UBS eine «verheerende Falle» gestellt worden, um sie zur Aufgabe ihres Schwarzgeldgeschäfts zu drängen und später den automatischen Informationsaustausch einführen zu können. In dieser Lesart wären die Entwicklungen, die von externen Faktoren getrieben zu sein schienen, zusätzlich innenpolitisch von einflussreichen Personen genutzt worden, um ein präferiertes Politikergebnis zu beschleunigen.3 Damit sah ich mich mit den «Eingeweiden der Schweizer Geschichte» konfrontiert, wie es eine Person einmal nannte, und ich entwickelte aufgrund des gebotenen, gesunden Menschenverstands eine gehörige Portion Skepsis gegenüber einer solchen Erzählung. Doch einfach ungeprüft beiseite schieben liess sich diese wie eine Verschwörungstheorie anmutende Erzählung nicht. Also ging ich auch noch dieser Spur nach.
Die zweite Dimension bezieht sich auf die Produktion des Buchs und betrifft die zunehmende Reserviertheit meiner ehemaligen Arbeitgeberin, der Schweizerischen Bankiervereinigung, und ein aufkommendes Unbehagen gewisser Behörden gegenüber diesem Buchprojekt. Wieso habe ich dieses Buch trotzdem geschrieben und zur Veröffentlichung gebracht? Weil ich davon überzeugt bin, dass eine vertiefte Analyse der Vorgänge, die in einem Paradigmenwechsel am Finanzplatz Schweiz resultierten, und die Art und Weise, wie die Schweizer Politik- und Wirtschaftselite diesen Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis führten, ein Lehrstück sein kann, um künftiges Handeln von vergleichbarer Tragweite im Licht einer aufgeklärten Geschichte zu reflektieren. Das setzt allerdings von den betroffenen Akteuren eine nicht zu unterschätzende Bereitschaft zur Selbstkritik voraus. Und es erfordert ebenso die Bereitschaft, sich auf unbequeme Fragen einzulassen.
Dass dieses Buch möglich wurde, ist unzähligen Personen geschuldet. Danken möchte ich vorab allen Gesprächspartnern, ohne deren Auskünfte und Hintergrundinformationen die Erzählung der Geschichte so nicht möglich gewesen wäre. Namentlich danken möchte ich den folgenden Personen: Urs P. Roth, Renate Schwob, Christoph Winzeler und Urs Zulauf für die kritische Lektüre des Manuskripts respektive Teile davon. Paolo Bernasconi, der als jahrzehntelanger Beobachter und aktiver Tessiner Staatsanwalt gegen die Finanzkriminalität über ein einmalig profundes Wissen verfügt, das er für dieses Buch in ein kurzes Nachwort gegossen hat. Hansjörg Siegenthaler und Tobias Straumann, die mich als fachkundige Wirtschaftshistoriker stets an den wissenschaftlichen Pfad und die richtigen Fragen erinnerten. NZZ-Journalistin Zoé Baches, die während all der Stunden intellektuellen Zweifelns stets eine einfühlsame und fachkundige Sparringpartnerin war und mir Kontakte zu interessanten Gesprächspartnern vermittelte. Angelo Gisler und Mario Schranz, die mir als ehemalige Weggefährten am fög stets meine unzähligen Rechercheanfragen für Medienartikel erfüllten. Janick Tagmann und Heike Scholten sowie der ganzen Belegschaft von Berta Kommunikation AG, die mich in ihrer Bürogemeinschaft während zweier Jahre herzlich und inspirierend beherbergten. Jakob Schaad und der nach kurzer Krankheit unerwartet Ende 2018 verstorbene Kuno Hämisegger, die mich als ehemalige Weggefährten bei der Bankiervereinigung immer wieder menschlich und fachlich unterstützten. Urs Hofmann vom Verlag NZZ Libro, der trotz wachsenden Umfangs immer an dieses Buch glaubte und mir die notwendigen Freiräume liess. Katharina Wehrli, die als sprachaffine Lektorin meinen zum Teil monströsen Sätzen den richtigen Schliff gab.
Zu grossem Dank verpflichtet bin ich meinen Eltern, meinem Bruder und seiner Familie, den unzähligen Freundinnen und Freunden, die mich alle auf je ihre Art und Weise während rund drei Jahren unterstützt und ermutigt haben.
Mein grösster Dank gilt meiner Familie, die mich trotz manchmal lange andauernder Unabkömmlichkeit mein grosses Projekt machen liess. Dieses Buch widme ich meinen Kindern Leandra, Noam und Ramun.
Zürich, im Februar 2019
«Das Bankgeheimnis ist die teuerste Hure der Schweiz.»Kurt Imhof
Als der streitbare Soziologieprofessor Kurt Imhof im Jahr 2002 diesen Satz mit einem unwiderstehlichen Grinsen im Grand Hotel Dolder einer versammelten Schar führender Bankenvertreter entgegenwarf, dachte er nicht an die Bussen, die die Banken einmal für diese Rechtskonstruktion zahlen sollten. Im Sinn hatte er das, was linke Kritiker im Inland und ausländische Regierungen den Schweizer Banken und Behörden seit Jahrzehnten vorwarfen: Dass sie ausländischen Steuerflüchtlingen einen moralisch fragwürdigen, aber rechtlich legalen Dienst anboten, an dem die Banken und die Schweiz gut verdienten. Mitten in den damaligen Auseinandersetzungen der Schweiz mit der Europäischen Union (EU) um das Zinsbesteuerungsabkommen und den Forderungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für einen Informationsaustausch zu Steuerzwecken glaubte Imhof zu wissen, dass die anderen westlichen Demokratien früher oder später nicht mehr akzeptieren würden, dass die Schweiz ausländische Steuerflüchtlinge schützt. Er schlug der Bankiervereinigung damals vor, Bedingungen zu formulieren, unter denen die Schweiz künftig bei Steuerhinterziehung Amtshilfe leisten würde, und im Gegenzug Forderungen zu stellen, zum Beispiel bezüglich Marktzugang. Als Soziologe mit einem Gespür für den Wandel von Beurteilungen moralischer Fragen sah Imhof das Ende des Schweizer Bankgeheimnisses in seiner fiskalischen Ausprägung kommen. Doch auch er konnte nicht vorhersagen, wann und wie das geschehen würde.
Was würde denn die Theorie sagen, die Imhof zusammen mit Mitstreitern und insbesondere in Auseinandersetzung mit seinem geistigen Vater Hansjörg Siegenthaler, Wirtschaftshistoriker und Wissenschaftstheoretiker, am fög – Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich entwickelt hat?1 Sie drückt vereinfacht gesagt aus, dass die Gründe für den Wandel nicht im Diskurs über den Gegenstand – wie hier das Bankgeheimnis – zu finden sind, sondern vielmehr in einem veränderten gesellschaftlichen Kontext, der dem Diskurs völlig neue Sichtweisen, Beurteilungen und Deutungen verleiht. Und ein solcher Wandel kommt nicht nur schnell, sondern vor allem auch überraschend und für die allermeisten unvorhersehbar; denn die Veränderungen spielen sich auf einem Feld ab, das für den zur Diskussion stehenden Gegenstand gerade nicht im Bewusstsein der politischen Öffentlichkeit und der massgeblichen Akteure liegt. So kommt es, dass sich die Protagonisten einer geltenden Ordnung – die sie eben erst noch als richtig empfunden und gegenüber Kritik verteidigt haben – innert kürzester Zeit einer Situation gegenübersehen, die ihrer bisherigen Argumentation den Boden entzieht und sie zwingt, umzudenken.
Noch im Frühjahr 2008 wies der Bundesrat selbstbewusst und in der Logik der bisher von der Schweiz verfolgten Bankgeheimnis-Räson Forderungen aus dem Ausland zurück. Exemplarisch steht dafür die mittlerweile zur Chiffre gewordene Aussage von Finanzminister Hans-Rudolf Merz vom Frühjahr 2008, dass sich das Ausland am Bankgeheimnis noch die «Zähne ausbeissen» werde. Aber nicht nur der Bundesrat, sondern auch die bürgerlichen Parteien und Medien sowie die Banken vertraten fast ausnahmslos die Meinung, dass das Schweizer Bankgeheimnis zum «Wertesystem der Schweiz» gehöre und deshalb «unverhandelbar» sei. Nur fünf Jahre später gab die Schweiz ihr steuerliches Bankgeheimnis im Aussenverhältnis mit der Einführung des automatischen Informationsaustauschs (AIA) auf. Entscheidend für diese Zäsur in der langen Geschichte des Schweizer Bankgeheimnisses war der 14. Juni 2013, denn an diesem Tag fielen die politischen Würfel: Erstmals signalisierte der Bundesrat seine Bereitschaft, den AIA zu übernehmen, falls dieser ein globaler Standard werde. Der Rest war Verhandlungssache und technische Umsetzung. Seit 2017 ist der AIA mit einer ersten Gruppe von Ländern in Kraft, und seit 2018 tauscht die Schweiz erstmals automatisch besteuerungsrelevante Bankkundendaten mit Vertragsstaaten aus.
Diese komplette Abkehr von der bisherigen Bankgeheimnispolitik in nur fünf Jahren ist so bemerkenswert wie erklärungsbedürftig. Seit der Zwischenkriegszeit hatte die Schweiz ihren Finanzplatz mit seinem steuerlichen Bankgeheimnis erfolgreich gegen ausländische Kritik verteidigt. Die Auseinandersetzungen um diese Rechtskonstruktion entzündeten sich im Wesentlichen an zwei unterschiedlichen Definitionen von amts- und rechtshilfefähigen Steuerdelikten. Weil die Schweiz Steuerhinterziehung nicht kriminalisierte und das Bankgeheimnis nur bei strafrechtlichen Vergehen aufhob, verweigerte sie dem Ausland Auskunft über Bankkunden, die nicht deklarierte Einkünfte auf dem Finanzplatz Schweiz vor dem Zugriff des eigenen Staats in Sicherheit brachten. Die sehr restriktive internationale Zusammenarbeit der Schweiz in Steuersachen schützte die ausländischen Bankkunden vor dem Zugriff der Steuerbehörde ihrer Domizilländer. Dieses Dispositiv, in Kombination mit spezifischen Dienstleistungen und Produkten der Schweizer Banken, die es ermöglichten, nicht deklarierte Gelder zu verheimlichen, veranlasste bereits 1930 einen Vertreter der britischen Notenbank zur Aussage, dass das schweizerische Bankensystem eine «gigantische Verschwörung gegen die Steuerbehörden anderer Länder» betreiben würde.2
Wie ein Strukturmuster charaktersierte eine Dialektik von internationaler Kritik und nationaler Verteidigung den schweizerischen Bankgeheimnis-Diskurs bis in die jüngste Zeit. Dabei erhoben die umliegenden Staaten, die USA, Grossbritannien und internationale Organisationen wie die OECD und die EU immer wieder den Vorwurf, die Schweiz schütze mit ihrer eigenwilligen Bankgeheimnis- und Amtshilfepolitik Steuerflüchtlinge, die nicht deklarierte Gelder vor den Steuerbehörden ihrer Heimatländer versteckten. Auf der anderen Seite verstanden es die schweizerische Diplomatie und Politik in Zusammenspiel mit den Banken auf geschickte Art und Weise, den Kern des steuerlichen Bankgeheimnisses – die Geheimhaltung nicht deklarierter Gelder – stets zu verteidigen, indem sie in Bereichen, die die Steuerfrage nicht betrafen, Konzessionen eingingen und «Ballast» abwarfen.
Der Rechtskonflikt über den Zugang ausländischer Steuerbehörden zu Bankinformationen für Steuerzwecke überlagerte im öffentlichen Diskurs allerdings ein tiefer liegendes Problem, ohne dessen Verständnis nicht zu erklären ist, warum die Steuerkonflikte mit dem Ausland auch in der Schweiz zu einer innenpolitischen Auseinandersetzung führten, die von einer lautstarken Kakofonie begleitet war. «Wenn der wichtigste Grund für das Bankgeheimnis im Schutz des Steuerhinterziehens besteht», schrieb der Privatbankier Konrad Hummler zusammen mit weiteren Autoren in einem Arbeitspapier Anfang 2009, «hat es seine moralische Daseinsberechtigung schon heute verloren.»3 Hummler und Mitautoren schätzten, dass der Anteil nicht deklarierter Privatkundenvermögen am Gesamtvolumen der auf dem Finanzplatz Schweiz betriebenen internationalen Vermögensverwaltung zwischen «30 und 70 Prozent» lag. Dabei sei eine «ganze Industrie» entstanden, die sich das Bankgeheimnis und die fehlende Amts- und Rechtshilfe zunutze machte und «den Kunden zusätzliche Sicherheit gegen Entdeckung bieten» sollte. Urs Zulauf, der zu den Mitautoren dieses Arbeitspapiers gehörte und damals bei der FINMA in leitender Funktion tätig war, schätzte diesen Anteil je nach Land und Bank im persönlichen Gespräch sogar auf 80 Prozent ein.
Wenn rund die Hälfte der von den Schweizer Banken erzielten Wertschöpfung auf das Konto der Vermögensverwaltung geht, die beispielsweise im Jahr 2010 immerhin 26 Milliarden Franken an Erträgen beisteuerte, 4 dann wird offensichtlich, dass der Schweizer Bankenplatz zu einem guten Teil vom Geschäft mit nicht deklarierten Geldern lebte. Offensichtlich ist aber auch, dass die Schweiz – Bund, Kantone, Gemeinden – über die verschiedenen Arten von Steuereinnahmen davon in erheblichem Mass profitierte, allein mit jährlich bis zu 3 Milliarden nicht rückerstatteter Verrechnungssteuerbeträge.
Was aus einer moralischen Perspektive fragwürdig erscheinen mag, war allerdings keineswegs illegal. Es gab bis 2016 kein Gesetz, 5 das von einem Bankier oder Kundenberater verlangte, dass er den Steuerstatus seiner Kunden abklärte. Ob diese ihre Einkünfte versteuert hatten oder nicht, war nicht seine Aufgabe, sondern eine Angelegenheit der Kunden gegenüber ihren Steuerbehörden. Es gab auch kein Gesetz, das dem Bankier verboten hätte, nicht deklarierte Gelder entgegenzunehmen und diese zu verwalten. Er durfte diese Gelder auch dann annehmen, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass sie unversteuert waren. Es war ihm lediglich aufsichtsrechtlich untersagt, die Kunden aktiv zu Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu animieren oder sie dabei zu beraten.
Mit dieser Haltung war die Schweiz kein Sonderfall. Viel mehr galten ähnliche Prinzipien in allen Staaten mit bedeutenden Finanzplätzen. Worin sich die Schweiz aber von anderen Ländern unterschied, war eine Gesetzgebung, die den staatlichen Behörden nur in den wenigsten Fällen erlaubte, bei den Banken Informationen zu Steuerzwecken einzuverlangen. Daraus resultierte eine nur sehr begrenzte internationale Zusammenarbeit der Schweiz in Steuersachen. Und genau das war der Streitpunkt, den der Schweizer Bankgeheimnis-Diskurs seit der Zwischenkriegszeit bestimmte und den die Schweizer Diplomatie bis 2008 immer wieder zu ihren Gunsten zu entscheiden vermochte. Mit den rund 70 Doppelbesteuerungsabkommen, die die Schweiz bis 2008 mit anderen Staaten abschloss, akzeptierten allerdings auch diese die im Bankgeheimnis und dem Prinzip der doppelten Strafbarkeit begründete Restriktivität der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz auf dem Gebiet der steuerlichen Amtshilfe. Aber auch andere Verträge, wie das bereits erwähnte Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU oder das Schengen-Abkommen, akzeptierten die mit dem steuerlichen Bankgeheimnis verbundene Geheimhaltungspflicht. Und selbst die USA akzeptierten mit dem 2000 mit Schweizer Banken abgeschlossenen QI-Agreement, dass diese nicht deklarierte Konten halten durften, solange sie keine US-Wertschriften in ihren Depots hatten. Mit diesem Abkommen gingen ausländische Banken mit den USA weitreichende Meldepflichten ein, konnten dafür aber mit US-Wertschriften handeln.
Wie es kam, dass die Schweiz zwischen 2008 und 2013 ihr steuerliches Bankgeheimnis im Aussenverhältnis verlor, wo sie doch ihre Bankgeheimnis- und Steueramtshilfepolitik seit der Zwischenkriegszeit gegen Kritik und Forderungen aus dem Ausland erfolgreich verteidigt hatte, bildet das Thema dieses Buchs.6
Interessierte Beobachterinnen und Beobachter dieser fundamentalen Zäsur werden nach den Ursachen für die abrupte und im Voraus nicht absehbare Preisgabe des steuerlichen Bankgeheimnisses der Schweiz gegenüber ausländischen Bankkunden fragen. Auf den ersten Blick liegt eine Antwort nahe: Viele zeitgenössische Akteure argumentierten schon damals mit der globalen Finanzkrise, die ab 2007 die internationalen Finanzmärkte und sukzessive die nationalen Volkswirtschaften in erheblichem Mass traf und weltweit Regierungen zwang, neue Steuerquellen zu erschliessen, um ihre gigantischen Bankenrettungs- und Konjunkturprogramme zu finanzieren. Tatsächlich fiel die internationale Kampagne gegen «unkooperative Steueroasen», die 2008 an Fahrt aufnahm, zeitlich mit der Finanzkrise zusammen. Doch den behaupteten Zusammenhang zwischen erhöhtem staatlichen Finanzierungsbedarf und dem Druck auf «Steueroasen» als Ursache für das dezidierte Auftreten der internationalen Staatengemeinschaft zu sehen, zielt an der eigentlichen Erklärung vorbei. Die meisten Staatshaushalte waren schon vor der Krise massiv überschuldet, und gemessen an den exorbitanten staatlichen Ausgaben in der Finanzkrise und der anschliessenden Schuldenkrise wären die vermuteten zusätzlichen Steuererträge aus unversteuerten Geldern in «Steueroasen» ohnehin nur ein Tropfen auf den heissen Stein gewesen.
Richtig ist, dass die Finanzkrise in zahlreichen, insbesondere in den grossen OECD-Ländern ein politisches Klima erzeugte, das «Bonibanker» und «Abzocker» zu «Prügelknaben» machte. Darüber hinaus ergriff die in der breiten Öffentlichkeit und Politik hochgeschaukelte Empörung gegen «die Banken» und «Banksters» die weltweit organisierte Offshore-Steuerhinterziehungsindustrie. Der Tenor war in den meisten Ländern ähnlich: Es kann und darf nicht sein, dass sich reiche «Steueroptimierer» nicht an den Kosten zur Rettung der Banken und Finanzsysteme beteiligen müssen und sich durch Steuerflucht entziehen können, während die normalen und ehrlichen Steuerzahler zur Kasse gebeten werden. Damit wurde eine Politik zur Bekämpfung angeblich «unkooperativer Steueroasen» beschlussfähig, die seit rund zehn Jahren die Agenden vieler, vor allem europäischer Regierungen in der OECD und der EU sowie der USA bestimmte. Insbesondere die als «Flaggschiff der Steueroasen» kritisierte Schweiz galt für viele Staaten schon lange als zentrales Hindernis in ihrem Bemühen, einem OECD-Standard für Steueramtshilfe zum Durchbruch zu verhelfen.
Dass die Schweiz am 13. März 2009 ihren Widerstand aufgab und – wie Luxemburg, Österreich, Singapur, Hongkong und andere Finanzzentren – zur Übernahme des OECD-Steueramtshilfestandards einlenkte und damit Steuerhinterziehung erstmals amtshilfefähig machte, lässt sich mit dem moralisch aufgeladenen Klima während der Finanzkrise allein nicht erklären. Die globale Finanzkrise war zwar eine notwendige Bedingung für die Konvergenz der verschiedenen Agenden in der G20 und für das entschlossene Vorgehen dieser Regierungen gegen «unkooperative Steueroasen». Eine hinreichende Bedingung dafür, dass die Schweiz ihre Bankgeheimnis- und Amtshilfepolitik nicht mehr wie bisher verteidigen konnte, war sie aber nicht. Entscheidend war, dass die US-Behörden an einem Steuerfall dran waren, der ihnen die Tür zu weit mehr aufstiess. Wegen eines Whistleblowers ermittelten Staatsanwälte des Departement of Justice (DoJ), die amerikanische Steuerbehörde (IRS) sowie die amerikanische Wertschriftenaufsichtsbehörde (SEC) seit Herbst 2007 gegen die UBS. Im Verlauf der Ermittlungen wurde ein «grossflächiges Betrugsschema» erkennbar, das aus amerikanischer Sicht als der «grösste Anschlag auf die USA seit 9/11» empfunden wurde, wie das DoJ Schweizer Behördenvertretern klar machte. Die US-Behörden verlangten von der UBS nichts weniger als die Offenlegung von rund 20000 Namen von amerikanischen Personen mit nicht deklarierten Konten. Sie machten den schweizerischen Behörden klar, dass es die USA nicht akzeptieren würden, wenn sich die Schweiz mit Berufung auf das Bankgeheimnis einer Offenlegung verweigerte. In der Folge sah sich die UBS mit der Drohung einer Strafklage durch das DoJ konfrontiert. Um eine solche Klage abzuwenden, händigte der Bund am 18. Februar 2009 unter Berufung auf Notrechtsartikel und unter Umgehung des ordentlichen Amtshilfeverfahrens den USA die Namen von 255 US-Personen aus, die mit 285 Offshore-Strukturen (im Ausland, meist in Steueroasen registrierte Sitz- oder Vermögensverwaltungsgesellschaften) mutmasslich «Steuerbetrug und dergleichen» begangen hatten.
Mit diesem Doppelschlag vom 18. Feburar und 13. März 2009 entstand ein «window of opportunity», und die zahlreichen nationalen und internationalen Initiativen zur Bekämpfung von Steuerflucht, Steueroasen und für mehr Steuertransparenz gewannen auf breiter Front an Kraft. Die UBS musste in einer bislang unvorstellbaren Gruppenanfrage der amerikanischen Steuerbehörde IRS weitere 4450 Kundennamen bekannt machen. In der Folge gelangte der halbe Finanzplatz Schweiz ins Visier der US-Ermittlungsbehörden, sodass ab 2014 rund 90 Banken eine Busse zahlen mussten, um ihre Schwarzgeldvergangenheit in den USA zu bereinigen. Auch andere Regierungen wie jene Deutschlands, Frankreichs und Italiens gingen mit nachrichtendienstlichen und finanzpolizeilichen Mitteln gegen Schweizer Banken vor, um Druck auf die Schweiz zur Aufhebung des Bankgeheimnisses auszuüben. Gleichzeitig erwirkten die europäischen Staaten im Sommer 2012 in der OECD, dass der Informationsaustausch zu Steuerzwecken, der bisher auf den konkreten Einzelfall beschränkt war, auf namenlose Gruppenanfragen ausgeweitet wurde, so wie das die Schweiz den USA im Fall UBS gewährt hatte.
Doch wiederum waren es die USA, die noch einen Schritt weiter gingen. Bereits 2010 verabschiedete der amerikanische Senat mit FATCA (Foreign Account Tax Compliance Act) ein Gesetz mit extraterritorialer Wirkung, das alle ausländischen Finanzinstitute verpflichtete, die Namen von US-Personen mit Konten oder Depots zu melden. Auf diesen Zug sprangen 2012 die fünf grossen und politisch einflussreichen EU-Staaten Deutschland, Frankreich, Italien, Grossbritannien und Spanien auf und vereinbarten mit den USA ein automatisches Meldeverfahren. Im Frühling 2013 entschieden sich diese europäischen Staaten zur Einführung einer Art FATCA für die EU. Gleichzeitig beauftragten die Regierungen der G-20-Staaten die OECD zur Ausarbeitung eines globalen Standards für einen automatischen Informationsaustausch (AIA). Und bereits ein Jahr später, Ende Oktober 2014, wurde das multilaterale Regelwerk von gegen 100 Regierungen unterzeichnet und das Ende des steuerlichen Bankgeheimnisses in der Folge auch staatsvertraglich besiegelt.
Was sich wie eine durch exogene Faktoren verknüpfte Ereigniskette liest, verursachte in der medialisierten politischen Öffentlichkeit der Schweiz eine Auseinandersetzung, die auf grosse Resonanz stiess (Abb. 1). Dabei konnte sich kaum ein interessierter Beobachter des medial vermittelten Eindrucks entziehen, die Schweiz sei unter einem fünfjährigen ausländischen Dauerdruck zusammengebrochen. Vor allem der Bundesrat, aber auch die Schweizerische Bankiervereinigung wurden vonseiten der nationalkonservativen Rechte für ihre «Appeasementpolitik», ihren «vorauseilenden Gehorsam» und ihr ständiges «Einknicken» kritisiert, notabene, ohne dass die Schweiz dafür nennenswerte Gegenleistungen erhalten habe. Umgekehrt wurde der bürgerlich dominierten Politik wie auch den Banken von linker Seite ihre «Wagenburgmentalität», ihr ständiges «Zuspätkommen» und eine «Politik der zu kleinen Schritte» vorgeworfen. Offensichtlich schliessen sich diese beiden Kritikarten aus: Man kann nicht zu weit gehen und ständig «einknicken» und gleichzeitig zu spät kommen und dabei nicht weit genug gehen.
Diese beiden widersprüchlichen Lesarten verweisen auf den unübersehbaren Umstand, dass sich die Schweiz in dieser zentralen Auseinandersetzung nicht einig war. Die Uneinigkeit beschränkte sich nicht allein auf die Politik. Sie befiel den Bundesrat, die schweizerischen Behörden und ebenso die Banken, die unter dem Dach der Bankiervereinigung um einheitliche Positionen rangen. Der Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis war keineswegs nur eine auf die Schweiz und das Ausland begrenzte Auseinandersetzung, sondern ebenso geprägt von einem innenpolitischen Ringen um die richtige Strategie. Die Auseinandersetzung entzündete sich zwar am Bankgeheimnis, berührte aber immer auch die moralische Frage, welche Art von Finanzplatz die Schweiz in Zukunft haben wollte. Durfte oder konnte sie ihr steuerliches Bankgeheimnis noch schützen und verteidigen, obwohl einer Weltöffentlichkeit vorgeführt wurde, dass es von Steuersündern für das Verstecken nicht deklarierter Gelder missbraucht wurde und diese die Unterstützung einer «ganzen Industrie» in Anspruch nehmen konnten? Konnte sich die Schweiz einen Finanzplatz noch leisten, der im Ausland in geradezu emblematischer Weise als «Steuerfluchtburg» wahrgenommen und kritisiert wurde? Dies war die innenpolitische Leitfrage, die aus zeitgenössischer Perspektive den Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis bestimmte, ohne in der Öffentlichkeit je derart klar und deutlich diskutiert worden zu sein. Denn nicht nur das Vermögensverwaltungsgeschäft mit einer reichen ausländischen Privatkundschaft war von einem Schleier des Geheimen umgeben. Fast ebenso war das öffentliche Hinterfragen, ja nur schon das blosse Thematisieren des steuerlichen Bankgeheimnisses bereits im kleinen Kreis mit Denk- und Kommunikationstabus belegt. Ein Verstoss gegen diese Tabus konnte die politische Abstrafung und Verbannung aus der Zunft des Swiss Banking bedeuten, was selbst angesehene Personen wie der Bankier Hans J. Bär erfahren mussten. Das steuerliche Bankgeheimnis galt als «heiliger Gral» der Vermögensverwaltung.
Handelte es sich bei dieser als «Rückzugsgefecht» erlebten Preisgabe des steuerlichen Bankgeheimnisses um die «Geschichte eines kollektiven Versagens», wie der St. Galler Politikwissenschaftler Patrick Emmenegger urteilt?7 War das Entscheidungssystem Schweiz kollektiv nicht in der Lage, angemessen auf das sich im Jahr 2008 zusammenbrauende und im Frühjahr 2009 entladende Gewitter und die dadurch ausgelösten Dammbrüche zu reagieren? Waren die massgebenden schweizerischen Akteure angesichts einer äusserst dynamischen und hochkomplexen Entwicklung einfach schlicht überfordert? Oder bestimmte gar eine der Öffentlichkeit und nicht einmal den wirtschaftspolitischen Kommissionen des Parlaments bekannte «hidden agenda» den Verlauf dieser für den Finanzplatz Schweiz epochalen Auseinandersetzung?
Wenn im Rückblick zahlreiche Personen aus Kreisen der Banken, Politik und Behörden sagen, dass die Einführung des AIA früher oder später sowieso gekommen wäre, dann trifft diese Behauptung höchstwahrscheinlich zu. Sie lenkt aber von der Frage ab, ob es im Zusammenhang mit dieser internationalen Entwicklung nicht auch Alternativen für die Schweiz gegeben hätte. So stand der AIA als globaler Standard im Frühjahr 2009, als die Schweiz erstmals UBS-Kundendaten aushändigte und Steuerhinterziehung amtshilfefähig machte, weder auf der Agenda der G20 noch der OECD, und auch die EU verfolgte damals kein solches Ziel. Der Autor dieses Buchs wird zeigen, dass es durchaus verschiedene Zeitpunkte für andere Weichenstellungen gegeben hätte. Ein späteres Ereignis geht zwar immer aus einer vorangehenden Situation hervor. Doch umgekehrt legt eine vorausgehende Situation nicht zwingend auch schon den späteren Zustand fest und ist bestimmt durch Offenheit: Er ist zwar möglich, aber nicht notwendig determiniert. Im jeweiligen Erwartungshorizont der entscheidenden Akteure gibt es per definitionem immer alternative Handlungsmöglichkeiten. Die entscheidende Frage aber ist, welche Faktoren bestimmen, wie Akteure entscheiden und handeln. Und auf die Möglichkeit von Alternativen gewendet, bedeutet jene Entscheidungslogiken zu identifizieren, die einer erkannten Alternative handlungswirksam entgegenstanden.8
In diesem Licht betrachtet, manifestieren sich auch Prozesse «kollektiven Lernens». «I f you can’t change the facts, you have to change your mind», beschrieb der britische Ökonom John Maynard Keynes die Notwendigkeit für einen Paradigmenwechsel in der Geld- und Wirtschaftspolitik nach der Grossen Depression in den 1930er-Jahren. Man könnte seine Aussage ergänzen: «Not only change your mind, but also participate actively to be ahead of the curve, when the facts once will be changed.»
Die in der innenpolitischen Auseinandersetzung beobachtbaren Lernprozesse verliefen weder gleichzeitig noch gleich schnell und schon gar nicht gleich gerichtet. Insbesondere die grossen bürgerlichen Parteien taten sich schwer, die neuen Realitäten anzuerkennen. Die nationalkonservative Rechte mobilisierte gar zum Widerstand und lancierte eine «Anti-Widmer-Schlumpf-Initiative» zum besseren Schutz des steuerlichen Bankgeheimnisses für Inländer. Auf der anderen Seite stand die bankenkritische Linke, die sich auf einmal einer historischen Entwicklung gegenüber sah, deren Stossrichtung sie seit den frühen 1970er-Jahren herbeigesehnt hatte, mit entsprechenden politischen Vorstössen aber jeweils kläglich im Volk wie auch im Parlament gescheitert war. Wie grundlegend solche Lernprozesse sein können, zeigt sich nirgends besser als bei SVP-Bundesrat Ueli Maurer, der noch als Verteidigungsminister sämtliche Entscheide zur Lockerung des steuerlichen Bankgeheimnisses ablehnte, dann aber als Finanzminister dem Parlament die Einführung des AIA gar «aus Überzeugung» nahelegte. Wie es scheint, haben massgebende Personen und Akteure aus Politik und Wirtschaft gelernt, dass sich die Schweiz an «Globalstandards» halten muss, wenn sie als politisch wenig einflussreiches Land mit einer offenen Volkswirtschaft ihren Wohlstand sichern will. Und sie haben gelernt, diese mitzugestalten, solange das Eisen noch heiss ist.
Um die historische Zäsur, die die Schweiz zwischen 2008 und 2013 mit ihrer Bankgeheimnis- und Steueramtshilfepolitik vollzog, im widersprüchlichen Deutungsfeld zwischen «kollektivem Versagen» und «kollektivem Lernen» zu begreifen, gilt es den Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis in einen strukturgeschichtlichen Zusammenhang einzubetten und mit den jeweils bestimmenden Entscheidungslogiken des relevanten Handlungskontextes zu verknüpfen. Gehorchte das Handeln der schweizerischen Politik seit der Zwischenkriegszeit und bis zum Frühling 2008 einer Bankgeheimnis-Räson («das Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar»), geriet die Schweiz mit dem Fall UBS 2008 und 2009 in ein Dilemma widersprüchlicher Entscheidungslogiken. Neben die bisherige Bankgeheimnis-Räson trat eine UBS-Räson: Um die Grossbank vor einer Strafanklage durch das DoJ und die Schweiz vor volkswirtschaftlich verheerenden Kollateralschäden zu schützen, stellte der Bundesrat die UBS-Räson über die Bankgeheimnis-Räson und nahm eine Verletzung des Bankgeheimnisses und der damit verbundenen rechtstaatlichen Prinzipien in Kauf.
Angesichts der massiven Kritik, die diese als «politischer Kniefall» bezeichnete Datenherausgabe an die USA in der politischen Öffentlichkeit der Schweiz hervorrief, kehrte der Bundesrat danach wieder zu einer Rechtsstaats-Räson zurück. In der Folge war für ihn handlungsleitend, den «Rechtsstaat zu verteidigen» und nicht «Banken zu retten». Diese von der damaligen Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf Anfang 2012 geäusserte Unterscheidung9 implizierte eine folgenreiche Differenzierung zwischen dem Rechtskonstrukt des steuerlichen Bankgeheimnisses und den Geschäften, die zahlreiche Unternehmen des Schweizer Finanzplatzes unter dieser Rechtskonstruktion betrieben. Der Bundesrat fällte Ende 2009 den Beschluss für einen steuerkonformen Finanzplatz ohne Schwarzgeld. Gleichzeitig begann er sich vom Geschäft mit nicht deklarierten Geldern zu distanzieren und versuchte, die verschiedenen Steuerkonflikte mit dem Ausland unter Einhaltung der schweizerischen Rechtsordnung zu lösen. Diese Rechtsstaats-Räson (keine rückwirkende Veränderung von bestehendem Recht) beinhaltete aber auch eine Orientierung an globalen Standards pro futuro. In dem Mass nämlich, wie sich Veränderungen des globalen Standards in Richtung eines automatischen Informationsaustauschs abzeichneten, wurde es möglich, die bisherige im Aussenverhältnis handlungsleitende Bankgeheimnis-Räson aufzugeben und die Bankgeheimnis- und Amtshilfepolitik an einem «level playing field» (Räson der gleich langen Spiesse) auszurichten, ohne eine rückwirkende Verletzung der bestehenden Rechtsordnung in Kauf nehmen zu müssen.
Innerhalb von fünf Jahren vollzogen der Bundesrat und mit ihm die Schweizerische Bankiervereinigung eine Kehrtwende von der alten Bankgeheimnis-Räson hin zur neuen Räson globaler Standards. Angesichts der fast 100-jährigen Verteidigung des steuerlichen Bankgeheimnisses gegen ausländische Kritik an dieser Rechtskonstruktion ist dies ein erstaunlicher Vorgang kollektiven Lernens: weg vom helvetischen Sonderfall-Denken hin zur Orientierung an Globalstandards. Dass dieses Lernen nicht freiwillig, sondern unter Druck ausländischer Regierungen erfolgte, ist allerdings eine nicht zu übersehende Tatsache, genauso wenig wie der Umstand, dass sich dieser Vorgang weder reibungslos noch vollständig vollzog. Vielmehr war es ein schmerzhafter Lernprozess, der zwischenzeitlich zur Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien, zu einem grossen Reputationschaden für die Schweiz und ihren Finanzplatz, zu erheblichen Bussen für Schweizer Banken und letzlich auch zu Zerwürfnissen innerhalb der ehemaligen Finanzplatzkoalition und der Banken untereinander führte. Und wie wenig die Preisgabe des steuerlichen Bankgeheimnisses im Aussenverhältnis tatsächlich aus Überzeugung erfolgte, zeigt das Handeln der bürgerlichen Parteien und von Finanzminister Ueli Maurer, die am Status des steuerlichen Bankgeheimnisses im Innenverhältnis, also für Schweizer Steuerhinterzieher, festhielten.
Doch man sollte bei aller Selbstkritik nicht darüber hinwegsehen, dass die USA heute weltweit das einzige Land mit einem bedeutenden Finanzplatz sind, für den der globale AIA-Standard nicht gilt; denn die USA haben stattdessen mit über 100 Ländern FATCA-Abkommen abgeschlossen.10 Unter FATCA sind die USA aber nicht verpflichtet, anderen Steuerbehörden die gleichen Daten zu melden, wie sie von diesen einfordern. Selbst wenn sie dies tun wollten, könnten sie es nicht, weil das Recht zahlreicher Gliedstaaten amerikanische Finanzinstitute nicht verpflichtet, den tatsächlichen Nutzungsberechtigten von Vermögenswerten bestimmter Gesellschaften zu identifizieren. Das hat zur Folge, dass in gewissen Fällen ausländische Kunden von amerikanischen Finanzgesellschaften ihre Identität noch immer geheim halten können. Und man sollte darüber hinaus zur Kenntnis nehmen, dass weder die OECD noch die europäischen Regierungen gegen dieses offensichtliche Steuerschlupfloch protestieren. Ganz im Gegenteil: Die europäischen Regierungen sind den USA dankbar, dass sie mit FATCA die Tür zum AIA aufgestossen haben. Sie erstellen weiterhin schwarze und graue Listen, auf denen die Schweiz, nicht aber die USA, aufgelistet ist, obwohl die USA gemessen an den verwendeten Kriterien schlechter abschneiden als die Schweiz.
Was will dieses Buch? Der Autor macht keine ethisch begründete Aussage darüber, ob es richtig oder falsch war, dass die Schweiz ausländischen Steuerflüchtlingen besonderen Schutz bot und Schweizer Banken mit unversteuerten Geldern Geschäfte betrieben. Abgesehen davon, dass dies zwei gesondert zu behandelnde Sachverhalte sind, auch wenn sie im politisch und moralisch aufgeladenen Begriff «Bankgeheimnis» konvergieren, gilt es das Vermögensverwaltungsgeschäft mit Geldern einer ausländischen Privatkundschaft im internationalen Vergleich zu betrachten.11 Stattdessen geht der Autor der Frage nach, weshalb es in der schweizerischen Politik in der Zeit zwischen 2008 und 2013 zu einem Paradigmenwechsel beim steuerlichen Bankgeheimnis kam. Dabei gilt es auch zu überlegen, ob dies eine notwendige Entwicklung war oder ob es aus Sicht der Schweiz auch Alternativen gegeben hätte und was diesen allenfalls entgegengestand. Im Licht einer solchermassen aufgeklärten Erkenntnislage sollte es möglich werden, Lehren für künftige Auseinandersetzungen in vergleichbaren Situationen zu ziehen.
Wenn in diesem Buch vom «steuerlichen Bankgeheimnis» gesprochen wird, dann ist damit eine Rechtskonstruktion gemeint, die aus einem Kern und zwei Hüllen zusammengesetzt ist.
• Der Kern des Bankgeheimnisses betrifft das Offenbarungsverbot, wie es seit 1934 in Art. 47 des Bankengesetzes (BankG) beschrieben ist.12 Dieses Offenbarungsverbot gilt prinzipiell auch gegenüber staatlichen Behörden, es sei denn, dass das Strafgesetzbuch oder andere Gesetze wie das Konkurs- oder Erbrecht den Banken Auskunftspflichten auferlegen. Dank dieses Offenbarungsverbots ist es einem Kunden möglich, ein Konto oder Depot vor privaten Dritten wie auch vor dem Staat geheim zu halten. In dieser Funktion wird das Bankgeheimnis von seinen Befürwortern auch als «Bankkundengeheimnis» bezeichnet.
• Die innere Hülle des steuerlichen Bankgeheimnisses betrifft die Handhabung bei Steuerdelikten. Da das schweizerische Verwaltungsstrafrecht13 Steuerhinterziehung (nicht deklarieren) im Unterschied zum Steuerbetrug (Urkunden fälschen, arglistig täuschen) nur als eine Übertretung bezeichnet, darf das Bankgeiminis bei einer blossen Nichtdeklaration von Einkünften nicht aufgehoben werden. Erstmalige Erwähnung findet das steuerliche Bankgeheimnis in Art. 127, Abs. 2 im Bundesgesetz über die direkten Bundessteuern (DGB) aus dem Jahr 1990: «Reicht der Steuerpflichtige trotz Mahnung die nötigen Bescheinigungen nicht ein, so kann sie die Veranlagungsbehörde von Dritten einfordern. Das gesetzlich geschützte Berufsgeheimnis bleibt vorbehalten.»14 In Kombination mit dieser inneren Hülle erlaubt das Bankgeheimnis somit auch die Geheimhaltung von steuerlich nicht deklarierten Geldern. In dieser Funktion wird das steuerliche Bankgeheimnis von seinen Kritikern auch als «Steuerhinterziehungsgeheimnis» bezeichnet.
• Die äussere Hülle des steuerlichen Bankgeheimnisses betrifft schliesslich die internationale Zusammenarbeit der Schweiz in Straf- und Steuersachen, was über die Rechts- und Amtshilfe geregelt wird. Wesentliche Voraussetzung für die Erteilung von Informationen an eine ausländische Behörde ist das Prinzip der beidseitigen oder doppelten Strafbarkeit. Es besagt, das der Tatbestand, zu dem ein Auskunftsbegehren gestellt wird, in beiden Ländern als Straftat (Verbrechen oder Vergehen) gelten muss. Da Steuerhinterziehung in der Schweiz aber nur als eine Übertretung galt (und noch immer gilt), erteilte die Schweiz keine Amtshilfe zu Steuerzwecken und Rechtshilfe nur in begrenzten Fällen von Steuer- bzw. Abgabebetrug. In diesem Zusammenhang gilt es auch die in ihrer Ausprägung «weltweit nahezu einzigartigen»15 Verfahren zu nennen, mit denen Bankkunden weitgehende Beschwerderechte gegen die Weiterleitung ihrer Bankdaten eingeräumt wurden. Diese sehr restriktive internationale Zusammenarbeit der Schweiz in Steuersachen schützte die ausländischen Bankkunden vor dem Zugriff der Steuerbehörde ihrer Wohnsitzstaaten, weil die Schweiz mit dem Ausland keine Kundendaten austauschte, wenn der ersuchte Tatbestand «auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint».16
Diese eher analytische Definition des steuerlichen Bankgeheimnisses muss an dieser Stelle genügen, da die vorliegende Abhandlung eine historische und keine juristische ist17. Historisch betrachtet unterlagen die genauen juristischen Bestimmungen einem Wandel. Wo dies der Fall war und für das Verständnis für den Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis von Bedeutung ist, wird in den folgenden Kapiteln speziell darauf eingegangen.
Im Zentrum dieses Buchs steht eine ereignisgeschichtliche Darstellung der vielschichtigen und parallelen Vorgänge, die ab 2008 zur Preisgabe des steuerlichen Bankgeheimnisses im Aussenverhältnis der Schweiz führten. Die Rekonstruktion dieses Paradigmenwechsels wird eingebettet in die Vorgeschichte, die 1996 mit einem G-7-Beschluss zu verschiedenen Initiativen gegen «schädlichen Steuerwettbewerb» und zu einem wirksamem Informationsaustausch zu Steuerzwecken auf internationaler und europäischer Ebene geführt hatte. In dieser Phase gelangte die Schweiz mit ihrer Bankgeheimnis- und Steueramtshilfepolitik auf eine schiefe Bahn, ohne sich dessen wirklich bewusst zu werden. Die Vorgeschichte und die sich ab 2008 verschärfenden Auseinandersetzungen mit dem Ausland bilden eine zusammenhängende temporale Einheit, die aus aufeinanderfolgenden Sequenzen des Ignorierens, Aufbegehrens, Verhandelns, Resignierens und Anpassens an die neue Realität besteht. Diese ereignisgeschichtliche Einheit wird wiederum eingebettet in die Strukturgeschichte des 100-jährigen schweizerischen Bankgeheimnis-Diskurses, der in Form einer Dialektik von Kritik und Rechtfertigung in der Zwischenkriegszeit begann und bis zur jüngsten Zeit durch diese geprägt war.
Das Buch umfasst mit dieser Einleitung zwölf Kapitel: Kapitel 2 und 3 erzählen den Bankgeheimnis-Diskurs der Schweiz entlang der wichtigsten Ereignisse seit der Zwischenkriegszeit bis zum Ende des Kalten Kriegs. Kapitel 4 bis 11 befassen sich mit dem grossen Bankgeheimnis-Konflikt, der Mitte der 1990er-Jahre seinen Anfang nahm und über mehrere Etappen zum Abschied des steuerlichen Bankgeheimnisses in seinem Aussenverhältnis führte. Kapitel 12 umfasst die Schlussbetrachtungen.
Die Darstellung der 100-jährigen Geschichte wie auch der jüngsten Entwicklung folgt der Chronologie der Ereignisse. Man könnte auch eine analytische Darstellung wählen und beispielsweise die verschiedenen Steuerkonflikte der Schweiz mit dem Ausland in separaten Kapiteln beschreiben. Darauf wird indes verzichtet und bewusst in Kauf genommen, dass die verschiedenen Handlungsstränge unterbrochen werden und sich zum Teil, wie etwa der Steuerstreit mit den USA, über mehrere Kapitel durchziehen. Das hat einen einfachen Grund: Das Buch beschreibt den Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis aus der Perspektive, wie ihn die Zeitgenossen erlebt haben. Der gemeinsame Bezugspunkt dieser zeitgenössischen Perspektive ist der politische Diskurs, wie er in erster Linie in der massenmedial vermittelten Berichterstattung und in den Parlamentsdebatten für alle sichtbar wird. Aus dieser Perspektive ist nicht die historische Faktizität der Ereignisse der entscheidende Untersuchungsgegenstand, sondern die an den Ereignisstrom geknüpften Erwartungen der massgebenden Protagonisten sowie deren Interpretationen in der politisch bedeutsamen Öffentlichkeit. Erst indem man solche Deutungsmuster und Erwartungsstrukturen der Makroebene mit den massgebenden Akteuren (Organisationen, Personen) der Mikroebene im zeitlichen Ablauf verknüpft, wird es überhaupt möglich, Prozesse der politischen Entscheidungsfindung und der Konfliktbewältigung sowie des individuellen und kollektiven Lernens nachzuvollziehen. Erst dann lässt sich aus einer Beobachterperspektive empirisch gehaltvoll beantworten, ob, wann und welche Alternativen es gegeben hätte oder ob der Ausgang des Kampfs um das Schweizer Bankgeheimnis einer notwendigen Entwicklung folgte, die ausschliesslich von exogenen Faktoren getrieben war.
Eine Rekonstruktion der Geschichte des Schweizer Bankgeheimnisses auf der Basis des politischen Diskurses stellt entsprechend die Analyse eines ganz bestimmten Quellentypus in den Mittelpunkt: den Zeitungsartikel. Vor allem die Darstellung der Vorgänge ab 1998 basiert auf einer Analyse von rund 10000 Artikeln von hauptsächlich schweizerischen, amerikanischen und deutschen Zeitungen. Diese wurden auf drei verschiedene Arten als Quelle verwendet: erstens als Quelle für ein datierbares Ereignis, über das ein Journalist berichtet und das der Erschliessung der Ereignisgeschichte dient. Zweitens als Quelle für Deutungen, indem ein Akteur (Politiker, Banker usw.) einen Vorgang kommentiert, eine Forderung stellt, eine Erwartung äussert. Drittens als Quelle von medialen Aufmerksamkeitsstrukturen, die anzeigen, wann ein Thema Publizät erhält und zum Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen wird.18
Die Informationen aus Zeitungsartikeln sind zum Teil widersprüchlich, unvollständig, einseitig oder zum Teil schlicht falsch, ohne dass eine Falschnachricht später berichtigt würde. Neben Zeitungsartikeln stützt sich die Rekonstruktion des Kampfs um das Schweizer Bankgeheimnis deshalb auf vier weitere Quellentypen ab.
• Amtliche Dokumente wie Protokolle, Gesetzestexte, Verträge, Vorstösse von Parlamentariern, Briefe, Botschaften, Anklageschriften, Rechtsvergleiche und darin enthaltene «statements of facts», Untersuchungsberichte oder Unterlagen zu Gerichtsprozessen sowie Publikationen beispielsweise der OECD oder Statistiken der Nationalbank.
• Dokumente von privaten Organisationen wie Banken, der Bankiervereinigung, Beratungsunternehmen.
• Sekundärliteratur und Fachartikel sowie darin verwendete Quellenangaben vorwiegend zu Dokumenten des Bundes und der Bankiervereinigung.
• Eine fünfte Quelle bilden schliesslich die gegen 100 Gespräche, die der Autor mit gegen 60 Personen aus dem Bundesrat, der Verwaltung, Behörden und Banken sowie Politikern, Anwälten, Staatsanwälten, Rechtsexperten, Historikern und Journalisten mündlich und schriftlich geführt hat.19 Es gilt hier den Umstand zu beachten, dass diese Gesprächspartner zum Teil ganz verschiedene Versionen zum gleichen Vorgang erzählten. Das ist wohl nicht nur der allmählich verblassenden Erinnerung geschuldet. Von Bedeutung ist auch das Bedürfnis der befragten Personen, sich und ihre eigene Rolle in einem möglichst guten Licht erscheinen zu lassen. Es besteht somit ein Erinnerungs-, Wahrnehmungs- und Darstellungs-Bias, der vor dem Hintergrund gesicherten Wissens einer kritischen Würdigung und Einordnung des Gesagten bedarf.
Für die Rekonstruktion der Vorgänge bis zum Ende des Kalten Kriegs stützt sich dieses Buchs in erster Linie auf Sekundärliteratur und darin verwendete Quellen. Ergänzend werden amtliche Dokumente und Zeitungsartikel hinzugezogen. Besonders hervorheben möchte der Autor die folgenden Arbeiten: Die Aufsätze von Peter Hug, Sébastian Guex und Robert Urs Vogler über die Verankerung des Bankgeheimnisses im Bundesgesetz von 1934; die Dissertationen von Hugo Bänziger und Jan Baumann zur Bankengeschichte der Zwischenkriegszeit; die Arbeiten der Unabhängigen Historikerkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg; die Dissertationen von Christophe Farquet zur Entstehung der Schweiz als Steuerparadies sowie von Janick Marina Schaufelbuehl zu den schweizerisch-französisischen Beziehungen zwischen 1940 und 1954; den Aufsatz von Daniel Frei über das Washingtoner Abkommen; das Buch von Thomas Maissen über die Geschichte zu den nachrichtenlosen Vermögen; das Buch von Willi Loepfe über den Aufstieg des Finanzplatzes Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg; die Masterarbeit von Kaspar Silberschmidt über den Chiasso-Skandal von 1977 sowie das Buch von Paolo Bernasconi über die Wirtschaftskriminalität in der Schweiz. Weitere Informationen bezog der Autor aus Gesprächen mit Paulo Bernasconi, Matthieu Leimgruber, Tobias Straumann, Jakob Tanner und Daniel Zuberbühler.
Die Rekonstruktion der Zeit ab dem Kalten Krieg bis zum Ausbruch des grossen Bankgeheimniskonflikts Anfang 2008 stützt sich einerseits auf die damalige Berichterstattung, andererseits auf die wesentlichen amtlichen Dokumente der OECD, der EU sowie der Schweiz und drittens auf frühere Arbeiten des Autors zu diesem Thema. Weitere Informationen bezog der Autor aus Gesprächen mit Hans-Peter Bauer, Kuno Hämisegger, Konrad Hummler, Hans-Rudolf Merz, Urs P. Roth, Bernhard Stettler, Rudolf Strahm, Robert Waldburger und Christoph Winzeler.
Die Rekonstruktion der Vorgänge ab 2008 basieren auf einer sehr umfangreichen Berichterstattung sowie sehr vielen amtlichen Dokumenten zu den zahlreichen Steuerabkommen, Parlamentsdebatten usw. Sekundärliteratur zu dieser Zeit gibt es praktisch keine. Immerhin gilt es die Arbeit des Westschweizer Journalisten Yves Genier sowie die Aufsätze von Patrick Emmenegger und Urs Zulauf zu erwähnen sowie insbesondere das Buch von Valentin Landmann und René Zeyer zum Steuerstreit mit den USA. Darin entwickeln die Autoren unter anderem die These, dass der Bund den Schweizer Banken eine «verheerende Falle» gestellt habe, um sie zur Aufgabe ihres Schwarzgeldgeschäfts zu drängen.
Einer besonderen Würdigung bedürfen die Quellen zur UBS. Nichts ist besser dokumentiert als dieser Fall, und dennoch weichen nicht nur die Deutungen, sondern auch die Sachverhaltsdarstellungen in zum Teil eklatanter Weise voneinander ab. Zu erwähnen sind erstens die Darstellungen der amerikanischen Behörden DoJ, IRS und SEC sowie die Berichte und Anhörungen des Senators Carl Levin und zudem die unzähligen Dokumente, die zum Gerichtsprozess gegen Raoul Weil veröffentlicht wurden. Im Rahmen dieser von den USA publizierten Unterlagen finden sich zweitens Dutzende von UBS-internen Dokumenten zum Geschäftsmodell, zum US-Crossborder-Geschäft, Mails, Memos usw. Zu erwähnen gilt es drittens die Berichte der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (EBK/FINMA) zur Untersuchung über das Crossborder-Geschäft der UBS. Viertens verfasste die Geschäftsprüfungskommission von National- und Ständerat einen Bericht, der das Handeln der Behörden und des Bundesrats im Fall UBS untersuchte. Zu diesem Bericht gilt es anzumerken, dass er eine unverzichtbare Quelle für amtliche Dokumente und Behördenhandeln ist, die sonst der Forschung und Öffentlichkeit wegen des Amtsgeheimnisses nicht zugänglich wären. Es gilt allerdings auch festzuhalten, dass er die Schnittstellen zwischen UBS und Behörden/Bundesrat zu wenig und die Vorgänge in der UBS überhaupt nicht berücksichtigt. Insbesondere geht nicht immer deutlich hervor, welche Rolle UBS-Vertreter für die Entscheidungsfindungsprozesse der involvierten Behörden spielten. Auch scheint er erhebliche Lücken mit Bezug auf die Diskussionen im Bundesrat aufzuweisen, da dieser teilweise auf detaillierte Protokolle verzichtete. Schliesslich vermag der Bericht auch nicht aufzuzeigen, über welche nicht formalisierten Netzwerkstrukturen die Entscheidungsfindung verlief, da die Geschäftsprüfungskommissionen auf formalisierte Entscheidungsprozesse und daraus resultierende Dokumente fokussierten. Von Bedeutung ist fünftens der Abschlussbericht von Wachtell, jener amerikanischen Rechtskanzlei, die das Crossborder-Geschäft der UBS zuhanden der Bank untersuchte und dabei das DoJ und die SEC informieren musste und auf den die EBK/FINMA ihre Untersuchungen grösstenteils abstützte. Zum Fall UBS gibt es sechstens verschiedene Monografien.
Hervorheben möchte der Autor das Buch von Lukas Hässig, der sich auf zahlreiche Gespräche mit betroffenen Managern und Kundenberatern der mittleren und unteren UBS-Hierarchie sowie externen Dritten stützt und im Vergleich zur offiziellen UBS-/EBK-Version doch eine etwas andere Version des Falls UBS erzählt. Weiter gibt es Autobiografien von Bradley Birkenfeld, dem amerikanischen Whistleblower, der die UBS verraten hatte, und der ehemaligen Nummmer drei der UBS, Raoul Weil, der wegen «Verschwörung gegen die USA» angeklagt und von einem Geschworenengericht freigesprochen wurde. Beide Bücher sind persönlich gefärbt und insbesondere das Buch von Birkenfeld ist cum grano salis zu nehmen. Raoul Weil dämonisiert in seinem Buch den damaligen Leiter des Geschäftsbereichs Americas International Martin Liechti alias Dieter Dunkel und betreibt in Bezug auf seine eigene Rolle eine etwas gar offensichtliche Legendenbildung eines stets aufrichtigen und sich keiner Schuld bewussten Managers. Zu erwähnen gilt es schliesslich die «DOK»-Filme des Fernsehjournalisten Hansjürg Zumstein, die grösstenteils gut recherchiert sind, aber im Fall des Gerichtsprozesses gegen Weil doch sehr unkritisch dessen Perspektive übernehmen.
Weitere Informationen zu dieser Zeit bezog der Autor aus Gesprächen mit Michael Ambühl, Zoé Baches, Raymond J. Bär, Hans-Peter Bauer, Micheline Calmy-Rey, Romeo Cerutti, Claudia Fritsche, Jürg Giraudi, Sergio Greco, Oswald Grübel, Kuno Hämisegger, Lukas Hässig, Konrad Hummler, Peter V. Kunz, Peter Kurer, Christoph Kurth, Valentin Landmann, Andreas Länzlinger, Michael Leupold, Susanne Leutenegger Oberholzer, Christian Levrat, Martin Liechti, Hans-Rudolf Merz, Alfred Mettler, Ruedi Noser, Marcel Rohner, Flavio Romerio, Daniel Roth, Jean-Pierre Roth, Urs. P. Roth, Andreas Rüd, Arthur Rutishauser, Jakob Schaad, Hansueli Schöchli, Renate Schwob, Daniel Senn, Peter Siegenthaler, Rudolf Strahm, Pierin Vincenz, Christoph Winzeler, Daniel Zuberbühler, Urs Zulauf sowie weiteren Banken- und Finanzplatzvertretern, die anonym bleiben möchten.
Das Unterfangen, ein solches Buch zu schreiben, bleibt letztlich riskant. Bei aller intellektuellen Redlichkeit und wissenschaftlichen Orientierung bleibt die Gefahr, von widerstreitenden Auslegungen in die Irre oder auf eine falsche Fährte geführt zu werden – solange die Primärquellen der Bundesbehörden und der Banken unter Verschluss bleiben. Der Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis ist noch nicht zu Ende. Er setzt sich als Kampf um die «richtige» Geschichtsschreibung zum epochalen Paradigmenwechsel am Finanzplatz Schweiz fort. Was bleibt, ist – trotz quellenbedingter Schwierigkeiten bei der historischen Wahrheitsfindung – die Gewissheit, mehr als nur die grossen Linien dieser 100-jährigen Geschichte in empirisch überprüfbarer Weise nachgezeichnet und somit ein Grundlagenwerk geschaffen zu haben, anhand dessen sich das Handeln des Finanzplatzes Schweiz künftig vergleichen und messen lässt, und aus dem die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungseliten für künftig vergleichbare Konflikte Lehren ziehen können. «Der Blick zurück soll uns künftig immer als Lektion für unsere Zukunft dienen», wie Patrick Odier anlässlich des Bankiertags von 2013 sagte.
In diesem Kapitel wird der frühe schweizerische Bankgeheimnis-Diskurs, so wie er sich in der Zwischenkriegszeit herausbildete, in den wesentlichen Zügen rekonstruiert. Das Besondere an diesem Diskurs ist ein Muster, das ihn bis in die jüngste Vergangenheit hinein geprägt hat: eine Dialektik von internationaler Kritik am steuerlichen Bankgeheimnis bzw. am fehlenden Informationsaustausch der Schweiz im Fiskalbereich einerseits und Verteidigung dieser Rechtskonstruktion bzw. der limitierten Zusammenarbeit im Steuerbereich durch den Bund und die Banken andererseits. Dabei gilt es die Etablierung dieser Dialektik von Kritik und Verteidigung vor dem historischen Hintergrund und der Entstehung der Schweiz als Zentrum für die internationale Vermögensverwaltung für eine ausändische Privatkundschaft ausgangs des Ersten Weltkriegs zu sehen. Die Verwaltung internationaler Vermögen ist denn auch massgeblich vom Zusammenspiel exogener und endogener Faktoren abhängig, die den Geldfluss zwischen dem einen Land (Abfluss) und dem anderen Land (Zufluss) bestimmen. Solche Geldflüsse sind jedoch zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich stark ausgeprägt. Das erklärt die breit angelegte, internationale Kritik an der Schweiz nach dem Ersten Weltkrieg, die im Rahmen der Diskussionen im internationalen Völkerbund entstand. Zugleich benötigt aber die Verteidigung der kritisierten Rechtskonstruktion einen inneren Legitimationsboden. Man findet solche Elemente sowohl im Staats- und Gesellschaftsverständnis, in der schweizerischen Steuerpolitik wie auch im Berufsverständnis des Bankwesens, deren Ursprünge zum Teil viele Jahrhunderte zurückliegen. Eine solche wirtschaftshistorische und soziokulturelle Verankerung der konstitutionellen Säulen der schweizerischen Wirtschaftspolitik kann hier nicht geleistet werden. Es werden in diesem Kapital lediglich einzelne Spuren aufgenommen, die für den schweizerischen Bankgeheimnis-Diskurs relevant sind.
Mit dem Finanzplatz Schweiz verbindet man traditionell seine international führende Stellung in der Verwaltung von Vermögen einer reichen, meist ausländischen Kundschaft. Der historische Ursprung des Swiss Banking liegt im 16. und 17. Jahrhundert, als die protestantische Glaubensgemeinschaft der Hugenotten vom katholischen Frankreich und Italien verfolgt und vertrieben wurde und neben anderen Städten auch in Genf Schutz fand.1 Der Stadtstaat Genf, der sich bereits im Spätmittelalter als Finanzplatz für Wechselgeschäfte und die Finanzierung des Handels zwischen den oberitalienischen Stadtstaaten und der Champagne sowie Antwerben einen Ruf schaffen konnte, 2 wurde zum Refugium nicht nur für Schutz suchende Menschen, sondern eben auch für Schutz suchendes Kapital. Damit wurde ein Geschäftsmodell von verfolgten, hugenottischen Kaufleuten und Bankiers, das im calvinistischen Genf jener Zeit besonders gute soziokulturelle Grundlagen vorfand, begründet: gefährdete ausländische Finanzvermögen entgegennehmen, sie im Ausland – meistens an den königlichen Höfen – wieder gewinnbringend ausleihen und investieren. Das ist die Idee eines erfolgreichen Geschäftsmodells und der Kern der schweizerischen Vermögensverwaltung.3
Die übliche Verwendung des Bankgeheimnisses als Berufsgeheimnis entsprach dem im Bankgeschäft althergebrachten Diskretionsverhältnis zwischen Bankkunden und dem Bankier. Bereits in den Anfängen des modernen Bankwesens im 15. Jahrhundert hatte sich ein solches auf Vertrauen begründetes Berufsverhältnis in den italienischen Stadtstaaten herausgebildet. Es galt damals als selbstverständlich, dass niemand wissen durfte, welche Investoren – hauptsächlich mit dem Handel reich gewordene Kaufleute – welchen Fürstenhöfen und Königshäusern ihre Gelder verliehen.4 Auch wenn die Entwicklung seither nicht geradlinig verlief, war Genf kurz vor Ausbruch der Französischen Revolution bereits ein bedeutender europäischer Finanzplatz, und ein Grossteil der Finanzierung des französischen Königshofs und des französischen Handels lief über die Genfer Privatbanken.5 Die eigentümliche Reputation des Swiss Banking geht denn auch auf diese Zeit zurück: «Wenn Sie je einen Genfer aus dem Fenster springen sehen, dann springen Sie hinterher. Es gibt bestimmt etwas zu gewinnen», hiess ein berühmtes Bonmot, das 1792 erstmals belegt ist und später fälschlicherweise Voltaire zugeschrieben wurde.6
Als 1848 der Bundesstaat gegründet wurde, lag in der Schweiz ein «duales Bankensystem»7 vor: international tätige Privatbanken wie Darier, Hentsch, Lombard, Odier, Miraband, Pictet oder Wegelin einerseits, auf das Inland bezogene Sparkassen, Regional- und erste Kantonalbanken andererseits. Mit dem Aufkommen der Grossbanken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich das duale System zu verzahnen und entwickelte sich zu einem einheitlichen Banken- und Finanzplatz. Der Aufstieg des Finanzplatzes Schweiz zum kontinental führenden Vermögensverwaltungsplatz ging Hand in Hand mit dem Aufstieg der Grossbanken.8 Während die Summe der verwalteten Vermögen von Wiener Grossbanken zwischen 1913 und 1928 von 2310 Millionen auf 1840 Schweizer Franken zurückging, stiegen jene der Schweizer Grossbanken in der gleichen Zeitperiode von 838 auf 2155 Millionen Schweizer Franken an, wie ein zeitgenössischer Ökonom bemerkte.9 Nach dem Zweiten Weltkrieg intensivierte sich die bereits in der Zwischenkriegszeit etablierte Entwicklung und der Finanzplatz Schweiz avancierte zum weltweit grössten Vermögensverwaltungszentrum.10 Nicht nur flossen den Schweizer Banken unentwegt Gelder aus allen Ländern zu, sondern diese Entwicklung wurde auch begleitet durch eine schnell wachsende Zahl von Auslandsbanken, die sich in der Schweiz niederliessen und vom Ruf der Schweiz als sicherer Hafen für das internationale Privatkundengeschäft profitieren wollten.
Fragt man nach den Gründen, weshalb der Finanzplatz Schweiz zum weltweit grössten Zentrum der privaten Vermögensverwaltung für im Ausland verwaltete Gelder wurde, muss wegen der Logik grenzüberschreitender Geldflüsse zwischen zwei verschiedenen Kategorien von Faktoren unterschieden werden: zwischen exogenen Faktoren (Push-Faktoren) und endogenen Faktoren (Pull-Faktoren). Die Push-Faktoren beantworten die Frage, aus welchen Gründen Gelder aus dem eigenen Land geschafft werden. Die Pull-Faktoren wiederum erklären, warum Gelder gerade auf diesen und nicht auf einen anderen Finanzplatz verschoben werden.
Mit Blick auf exogene Push-Faktoren sind es vor allem Entwicklungen auf der Makroebene von Gesellschaften, die eine grosse Anzahl von primär vermögenden Personen gleichgerichtet veranlassen, ihre Gelder oder Teile davon ausser Landes in Sicherheit zu schaffen: erstens Krieg, Bürgerkrieg oder gravierende politische und soziale Unruhen; zweitens sprunghafte Abwertungen der eigenen Landeswährung oder lang anhaltende Inflationsperioden; drittens drastische Verschärfungen der Steuergesetzgebung. Unter solchen Umständen nimmt das Ausmass von Kapitalabflüssen deutlich zu. Historisch betrachtet korrelieren Phasen von Geldabflüssen mit datierbaren Ereignissen und Entwicklungen: mit der Zeit des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71; mit einer Phase von Steuererhöhungen in Frankreich infolge neuer Mehrheitsverhältnisse linker Parteien Anfang der 1900er-Jahre; mit kostspieligen Wiederaufbauprogrammen und Reparationszahlungen nach den beiden Weltkriegen, die über Steuererhöhungen und Geldentwertungen finanziert wurden und zum Teil durch Kapitalkontrollen begleitet waren; mit einer lang anhaltenden Inflation in der grossen Wachstumsphase in den 1950er- und 1960er-Jahren; mit Währungsturbulenzen und hoher Inflation in den 1970er- und 1980er-Jahren bis hin zur Eurokrise der Gegenwart.
Doch was zeichnet die Schweiz aus, dass Ausländer ihre Gelder gerade in die Schweiz bringen und hiesigen Geldinstituten anvertrauen? Aus der Forschungsliteratur11 lässt sich ein Zusammenspiel von sieben Pull-Faktoren ableiten, die sich in dieser Ausprägung nur in der Schweiz ausbildeten:
• Neutralität;
• steuerliches Bankgeheimnis (Kundeschutz, restriktive Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen);
• internationale Verflechtung (zentrale Lage, sprachliche und kulturelle Nähe zu den drei grossen Nachbarstaaten, touristisches Zentrum für Mittel- und Oberschichten);
• jahrhundertealte Erfahrung in der Vermögensverwaltung;
• solides Bankwesen;
• liberal-konservative Wirtschaftspolitik mit tiefer Gewinnbesteuerung, grosser Gewerbe- und Handelsfreiheit, stabilitätsorientierter Währung und einem flexiblen Arbeitsmarkt dank politisch stabiler Mehrheitsverhältnisse;
• freie Währungskonvertibilität, die die Schweiz – ausser den USA – praktisch als einziges Land zu jeder Zeit aufrechterhielt und eine wichtige operative Voraussetzung für die Drehscheibenfunktion des Finanzplatzes Schweiz bildet.
Solange im Ausland Push-Faktoren am Wirken waren und sich die Schweiz dank ihrer Pull-Faktoren von anderen Ländern mit Finanzzentren abhob, floss ihr ausländisches Vermögen insbesondere aus den grossen Nachbarstaaten quasi von selbst zu. Fallen die ungünstigen Faktoren im Ausland weg und gleichen sich die politischen, sozialen, ökonomischen und monetären Rahmenbedingungen von Gesellschaften an, so wie das im Zug der europäischen Integration ab Ende der 1970er-Jahre zu beobachten ist, dann sind aktivere Geschäftsmodelle der Banken gefragt. Es genügt unter solchen Voraussetzungen nicht mehr, dass Kundenberater und Bankiers warten, bis die ausländische Kundschaft ihre Gelder in die Schweiz bringt. Wie zu zeigen sein wird, sollte genau dies den Schweizer Banken zum Verhängnis werden: Dass sie ab den 1990er-Jahren vermehrt in die Wohnländer ihrer Kunden reisten, um dort neue Gelder und weitere Kunden anzuwerben.
Im Folgenden wird gezeigt, wie sich die Dialektik von Kritik und Verteidigung des schweizerischen Bankgeheimnisses ausgangs des Ersten Weltkriegs herausbildete und verfestigte. Hintergrund dieser Auseinandersetzungen war der Aufstieg der Schweiz zu einem der weltweit grössten Vermögensverwaltungszentren, das von den Verwerfungen in den Nachbarstaaten profitierte. Während gewisse ausländische Regierungen die Schweiz für ihre fehlende internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen kritisierten, verteidigte der Bund die Rahmenbedingungen für die im Aufstieg begriffene internationale Vermögensverwaltung der Schweizer Banken. Doch vorerst fanden innenpolitische Diskussionen über die Offenlegung von Konten vermögender Schweizer statt.