Der Kinderschlächter zu Hameln - Stephan Peters - E-Book

Der Kinderschlächter zu Hameln E-Book

Stephan Peters

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Beschreibung

Dann nahm er wieder die Flöte zwischen seine vollen Lippen, drehte sich um und ging langsam auf den Marktplatz zu, wo sich alle Kinder in dem beinahe kniehohen Wasser versammelt hatten. Gebannt lauschten sie seinem Spiel. Wie eine schwarze Woge aus schmutzigen Kleidern teilte sich die Menge, zwischen der Jetro leichtfüßig hindurchging. Nur ein paar Blitze erhellten die morbide Szenerie aus einem Himmel von schwarzem Teer.
»Er geht mit ihnen durchs Stadttor – Grundgütiger!«, stammelte der Wirt. Erst, als sich das Tor schmatzend hinter ihnen schloss, hörte das Unwetter auf, aber eine tödliche Stille hing wie ein Leichentuch über Hameln.
Aus der titelgebenden Erzählung ›Der Kinderschlächter zu Hameln‹ – Stephan Peters war gerade in seinen Lesungen für seine kriminell-schwarzhumorigen, bitterbösen, morbiden und gruseligen Stories und Novellen bekannt. Bärenklau Exklusiv präsentiert in mehreren Bänden das ganze erzählerische Werk des Autors.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


 

 

 

 

Stephan Peters

 

 

Der Kinderschlächter zu Hameln

 

 

 

 

Phantastische Erzählungen

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright © by Author/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Steve Mayer, mit einem eigenen Motiv von eedebee (KI), 2025

Korrektorat: Ilka Richter

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

www.baerenklauexklusiv.de / info.baerenklauexklusiv.de

 

Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Das Copyright auf den Text oder andere Medien und Illustrationen und Bilder erlaubt es KIs/AIs und allen damit in Verbindung stehenden Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren oder damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung erstellen, zeitlich und räumlich unbegrenzt nicht, diesen Text oder auch nur Teile davon als Vorlage zu nutzen, und damit auch nicht allen Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs nutzen, diesen Text oder Teile daraus für ihre Texte zu verwenden, um daraus neue, eigene Texte im Stil des ursprünglichen Autors oder ähnlich zu generieren. Es haften alle Firmen und menschlichen Personen, die mit dieser menschlichen Roman-Vorlage einen neuen Text über eine KI/AI in der Art des ursprünglichen Autors erzeugen, sowie alle Firmen, menschlichen Personen , welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren um damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung zu erstellen; das Copyright für diesen Impressumstext sowie artverwandte Abwandlungen davon liegt zeitlich und räumlich unbegrenzt bei Bärenklau Exklusiv. Hiermit untersagen wir ausdrücklich die Nutzung unserer Texte nach §44b Urheberrechtsgesetz Absatz 2 Satz 1 und behalten uns dieses Recht selbst vor. 13.07.2023 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Kinderschlächter zu Hameln 

Der Griff aus dem Dunkel 

Der 7. Hochzeitstag 

Der Computer – Ein Fluch 

Der Kinderschlächter zu Hameln 

Auf-Lösung 

Hochzeitsnacht 

Nights in white Satin 

Observierung 

Zwei alte Knochen 

Die Spökenkieker von Bad Salzuflen 

 

Das Buch

 

 

Dann nahm er wieder die Flöte zwischen seine vollen Lippen, drehte sich um und ging langsam auf den Marktplatz zu, wo sich alle Kinder in dem beinahe kniehohen Wasser versammelt hatten. Gebannt lauschten sie seinem Spiel. Wie eine schwarze Woge aus schmutzigen Kleidern teilte sich die Menge, zwischen der Jetro leichtfüßig hindurchging. Nur ein paar Blitze erhellten die morbide Szenerie aus einem Himmel von schwarzem Teer.

»Er geht mit ihnen durchs Stadttor – Grundgütiger!«, stammelte der Wirt. Erst, als sich das Tor schmatzend hinter ihnen schloss, hörte das Unwetter auf, aber eine tödliche Stille hing wie ein Leichentuch über Hameln.

Aus der titelgebenden Erzählung ›Der Kinderschlächter zu Hameln‹ – Stephan Peters war gerade in seinen Lesungen für seine kriminell-schwarzhumorigen, bitterbösen, morbiden und gruseligen Stories und Novellen bekannt. Bärenklau Exklusiv präsentiert in mehreren Bänden das ganze erzählerische Werk des Autors.

 

 

In diesem Band sind folgende Geschichten enthalten:

› Der Griff aus dem Dunkel

› Der 7. Hochzeitstag

› Der Computer – Ein Fluch

› Der Kinderschlächter zu Hameln

› Auf-Lösung

› Hochzeitsnacht

› »Nights in white satin«

› Observierung

› Die Spökenkieker von Bad Salzuflen

 

 

***

Der Kinderschlächter zu Hameln

 

 

 

Der Griff aus dem Dunkel

 

»Wovor haben Sie Angst, Monsieur Balbec?«

»Wovor? Vor allem. Vor diesem Tisch, vor diesem Fenster. Vor mir. Vor Ihnen. Und am meisten vor dem Griff aus dem Dunkel.«

Schnee hatte man im November noch nie gesehen. Vor allem nicht in Düsseldorf-Gerresheim Ende 2004, als er sich sacht und leise auf die Autodächer niederließ. Dominique Balbec blickte auf die Sonnbornstraße mit ihren alten, eleganten Häusern aus den Gründerjahren und fröstelte, obwohl es im Zimmer sehr warm war. Die Straße war holprig und bestand aus dicken Pflastersteinen. Auch auf den Laternen hatte sich der Schnee niedergelassen. Die Vögel auf der kleinen Insel im Ostpark kuschelten sich eng aneinander. Aber in wenigen Tagen würde der Regen gewiss alles wieder wegwischen. Die große und elegante Wohnung von Monsieur Balbec hatte hohe Decken und Fenster, und in der Mitte prasselte ein Kaminfeuer. Rechts und links davor zwei lange Couchen, davor ein schwerer Glastisch mit Stapeln von Büchern und alten Fotos. Ein paar der Bilder zeigten junge, hübsche und halbnackte Frauen in lasziver Bewegung. Der Mann verunsichert mich total, dachte Ann-Katrin. Überall standen Beistelltische aus der Zeit King Edwards herum, nur eine Standuhr hatte gefehlt. Auf dem Kamin befanden sich Porzellanfiguren und kleine Vasen mit frischen Blumen, was für einen Junggesellenhaushalt seltsam war. Ann-Katrin dachte: ob er doch wohl schwul ist? Auf ein paar unscharfen Fotos machte er zumindest den Eindruck. Aber dafür gab es keinerlei Männerporträts, sondern immer nur Motive einer hübschen jungen Frau und eines Kindes. Irgendwie ärgerte sie der Gedanke an die sexuelle Präferenz ihres Gastgebers. Sie war ja aus ganz anderen Gründen gekommen. Der Holzfußboden bestand aus großen, dunkelbraunen Quadraten, die wie ein Schachspiel aussahen. Aber ein Bild von Francis Bacon, das keinesfalls das Original gewesen sein konnte, (oder?), verstärkte den homosexuellen Eindruck von Monsieur Balbec. Dann auch noch ein weiteres Bild von Peter Lacy und George Dyer, ein gewaltbereiter Gauner, der ebenso depressiv wie alkoholabhängig war wie Bacon. Das alles wusste Frau Lestrade aus ihrem Kunststudium in Paris, nachdem sie erst von ›Paris Match‹, dann vom ›Stern‹ eingestellt wurde. Eine heftige Liebesbeziehung mit dem Chefredakteur von ›Paris Match‹ hatte sie beinahe in den Selbstmord getrieben, und das Angebot aus Hamburg hatte sie gerettet. Ein Bronzeleuchter hing an der Stuckdecke, und dunkelgrüne alte Vorhänge aus Brokat rahmten die Fenster ein. Ein dunkler Schreibtisch, auf dem sich Bücher und Manuskripte stapelten mit einem Kaffeebecher daneben, sowie einer Cognacflasche in der Ecke. Es gab nur einen Besucherstuhl, der sich neben einem großen Kerzenständer befand, dessen Licht auf ein Madonnenbild fiel. Bücherregale rahmten das Zimmer ein, und Ann-Katrin Lestrade hatte den Eindruck, sie befinde sich bei einem Pfarrer oder Psychologen, denn in diesem Zimmer herrschte eine konzentrierte Spannung, die vor allem von Dominique ausging. Alles, was Ann-Katrin berührte, schien zu knistern, als sei die gesamte Wohnung unter Hochspannung. Dabei fiel ihr das Buch ›Intensity‹ ein, das sie einmal gelesen hatte. Ein unglaublich spannender Reißer. Aber ein Pfarrer hat kein Foto von einer bildhübschen jungen Frau an der Wand, die ein etwa achtjähriges Kind streichelte. Die Mutter hatte kurze, dunkle Haare und lächelte in die Kamera hinein. Der Junge auf ihrem Schoß kam sich in dieser Haltung unglücklich vor, denn so hält man nur ein Kleinkind fest. Er hatte die Fäuste geballt, und es schien, als wolle er der Kamera die Zunge herausstrecken. Dominique selbst stand hinter den beiden und strahlte vor Glück. Das muss lange her gewesen sein, dachte Ann-Katrin. Monsieur Balbec blickte das Foto an und zuckte leicht zusammen. Die hellen Augen seiner Besucherin schienen daran fest zu kleben. Der Mann war um die Fünfzig, wie Ann-Katrin in Erfahrung brachte, aber er sah mindesten zehn Jahre älter aus. Seine dicken grauen Haare fielen auf seinen Schnurrbart, zwischen denen müde, aber zugleich hochintelligente blaue Augen noch nicht ganz ihr Feuer verloren hatten. Der große, etwas korpulente Mann ging gebeugt, und er hatte eine graue Jacke an, die irgendwie nicht zu seinen blauen Cordhosen passte. Seine Stimme war warm, seine Arme und Hände aber unbeholfen. Balbec sah ab und zu auf die Straße, als würde er jemanden Ungebetenen erwarten. Schwer atmend setzte er sich in seinen Arbeitssessel, wobei Ann-Katrin Lestrade an einen Weihnachtsmann dachte. An einen sehr traurigen, allerdings. Dann sprang Monsieur Balbec plötzlich hastig auf, mit einer Geschwindigkeit, die ihm seine Besucherin niemals zugetraut hätte. 

»Entschuldigen Sie«, sagte er unbeholfen. »Ich bekomme selten Besuch … Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten?« Sie überlegte kurz und sagte: »Wenn Sie einen Sherry hätten, wäre ich nicht beleidigt.« Er dachte angestrengt nach, als wolle sein Besuch ein Getränk von einem anderen Stern haben. Aber Dominique besaß ja eine ansehnliche Bar, auf die er nachdenklich zuging. Dominiques Hand zitterte leicht, als er die Gläser füllte, und die Reporterin bedankte sich. Sie war etwas über dreißig Jahre alt, hatte einen schwarzen Pagenkopf und war gut zwei Köpfe kleiner als ihr Gastgeber. Sie trug eine teure Wildlederjacke, darunter rote Jeans, die sie sich gestern auf der Kö gekauft hatte. Das Halstuch mit Jagdmotiven war ein teures Erbstück ihrer Tante und hätte auch besser zu einer älteren Frau gepasst. Aber Ann-Katrin war so jung, dass dieser modische Irrtum gar nicht weiter auffiel. Sie streichelte aus Verlegenheit ihre schwarzen Halbstiefel und prostete Monsieur Balbec zu.

»Auf Ihr Wohl!«, sagte sie, als gehöre die Wohnung ihr. Dominique stotterte unbeholfen lächelnd: »A… auf Ihr Wohl!« Dann setzte er sich wieder hin und zündete sich eine Zigarette an. »Wollen Sie auch eine?« Aber Ann-Katrin verneinte und zog ihrerseits eine Packung aus ihrer Handtasche, die ebenfalls von der Kö war. Ihre Eltern waren gut betucht, und als Stern-Reporterin verdiente sie sowieso genug Geld, obwohl sie die Uni erst vor einem Jahr verlassen hatte. Er zog erstaunt die buschigen Brauen nach oben: »Ich wundere mich, dass Sie anscheinend zu den Wenigen gehören, die noch rauchen.« Sein Deutsch war beinahe perfekt, der französische Akzent kaum hörbar, wie die Schneeflocken, die gegen die Fenster fielen. Sie lächelte und antwortete: »Wissen Sie, meine Redaktion hat mich vor einem Jahr nach Afrika geschickt. Da war es so heiß, dass ich mit dem Rauchen sofort aufgehört habe. Im Winter musste ich allerdings aus Russland berichten. Dort war es so kalt, dass ich direkt wieder mit dem Rauchen angefangen habe.« Dominique, der gerade einen Schluck getrunken hatte, verschluckte sich vor Lachen.

»Pardon, Monsieur Balbec. Das war ein Witz. Damit mache ich immer die Atmosphäre lockerer. In Wahrheit finde ich Laster ehrlicher als die langweilige Tugend. Laster verschlingen uns, aber Tugenden lassen uns alt, vertrocknet und grau werden.« Dominique nickte ihr versonnen zu und wurde zu ihrem Leidwesen sofort wieder ernst. Vor allem, als er auf das Familienfoto blickte. Dann sagte er versonnen: »Sie heißen Ann-Katrin Lestrade?«, fragte er wie ein Richter, dem dies längst bekannt war.

»Wissen Sie, mein Vater kommt auch aus Frankreich, aber meine Mutter ist Deutsche. Aus dem Ruhrpott, um genau zu sein. Ihr gehörte eine Boutique in Dortmund, und vor vielen Jahren machte sie Urlaub im Land von Monsieur Proust.«

»Und wo dort genau, wenn ich fragen darf?« Ann-Katrin fiel auf, dass er bei Fragen immer die Augen ganz schnell auf und zumachte und die Augenbrauen kurz nach oben schnellen ließ. Nervös, nachdenklich, als habe er ein Augenflattern. Erst dann konnte man Falten auf seiner Stirn sehen, die vorher glatt und jung wirkte. Sie nippte an ihrem geschliffenen, teuren Glas mit Sherry.

»In Combray.« Ihr Gastgeber schmunzelte endlich.

»Ohhh – Combray! Da würde sich Monsieur Proust freuen, den Sie vorhin erwähnt haben. Dort beginnt ja sein wunderbarer Roman, in dem es um die Zeit geht. Combray ist ein kleines Nest, wie Sie wissen, mit einer kleinen Kirche. Dorthin zog ich mich zurück, wenn ich Semesterferien hatte und büffelte Sprachen, Paragrafen und Kunstwissenschaften. Ma grande joie. Pardon – meine große Freude. Und am Ende arbeitete ich in der Französischen Botschaft, hier in Düsseldorf, wie Sie bestimmt wissen. Im Sommer ist es in Combray unerträglich heiß, und die Sonne scheint gnadenlos auf den leergefegten Kirchplatz. Bei klarem Wetter sieht man bis Verneuil. Am besten, wenn man auf dem Glockenturm von Sankt Hilarius steht.« Ann-Katrin zeigte sich begeistert, wie ein kleines Kind. Sie sagte: »Mais oui! Die Aussicht vom Glockenturm ist großartig! Das heißt, erst wenn es einem gelungen ist, die achtundneunzig Stufen hinaufzuklimmen.«

»Pardon Madame. Aber es sind siebenundneunzig. Und trotz der Sonne herrscht dort immer eine Grabeskälte.« Seine Besucherin nickte eifrig.

»Genau! Man sollte sich immer warm anziehen und gebückt hinauf gehen, sonst stößt man sich den Kopf. Ist man endlich oben angekommen, wirken die Schatten der Häuser wie ein Netz, das den ganzen Ort zusammenhält. Wir waren oft dort. Mein Vater, Jean Lestrade, machte dort kunsthistorische Studien und spielte ab und zu an der alten Orgel von Sankt Hilarius. Er ist Professor an der hiesigen Uni. Professor des beauxarts, also der schönen Künste, um wieder mal genau zu sein. Meine Mutter arbeitet als so genannte »Grüne Dame« in Krankenhäusern. Also Frauen, die ehrenamtlich für die Patienten da sind und Besorgungen machen.« Plötzlich fiel ihr ein, dass sie ihm vieles über ihr Leben erzählte, und nicht umgekehrt, wie es eigentlich von der Redaktion geplant war.

Da es bereits sechzehn Uhr war, trat allmählich in Monsieurs Balbecs Arbeitszimmer die Dunkelheit ein, und Ann-Katrin kam sich nun selbst wie eine Fliege vor, die in den nervösen Schatten fiel und aussah, als kämen sie geradewegs von Monsieur Balbec. Seine Augen, die wieder nervös vibrierten im Dämmerlicht. Die Stirn war für kurze Zeit faltig geworden. Dominique schlug die langen Beine übereinander und legte die Fingerspitzen zusammen. Was für herrlich lange Finger er hat, sinnierte Ann-Katrin. Am Mittelfinger trug er einen dunklen protzigen Ring, der nicht weiter teuer aussah. Er blickte sie durchdringend an und sagte nach einer Pause: »Madame, was kann ich für Sie tun? Was kann ich für den ›Stern‹ tun? Ich bin ein einfacher Mann, der in seinem Konsulat nur noch ab und zu arbeitet. Ich habe kein interessantes Hobby, lebe alleine, und meine Vita ist langweiliger als Ihre Wetterkarte.« Ann-Katrin besann sich und kramte einen billigen Kugelschreiber, sowie ein altes Notizheft aus ihrer schwarzen Handtasche von Fendi, die Balbec auf zirka eintausendfünfhundert Euro schätzte. Klein, glattes Leder, zusätzlich mit Schlaufe und Trageriemen. Dominique grübelte kurz über den kleinen Widerspruch ihres Equipments nach. Ann-Katrin Lestrade räusperte sich und fragte: 

»Monsieur Balbec. Sie haben vor einiger Zeit ein Buch herausgebracht, das meine Redaktion sehr interessiert.« Er grübelte mit Hundefalten auf der Stirn nach und sagte anschließend müde lächelnd: »Oh, Sie meinen mein Sachbuch ›Die Heilige Barbara von Combray in Verbindung zu Sankt Lambertus in Düsseldorf‹? Schon der Titel ist sehr geschraubt, weil es halt ein Sachbuch für Kunstkenner und Historiker ist. Es handelt sich dabei um einen kleinen Aufsatz mit einer unglaublichen Auflage von fünfhundert Stück! Also fünfhundert – nicht fünfhunderttausend, Madame Lestrade! Ich darf Sie ab und zu so ansprechen?«

Sie nickte.

 »Und selbst wenn ich diese hohe Zahl erreicht hätte, für das Thema interessieren Sie sich gewiss nicht. Es geht ja lediglich um eine Heiligenfigur aus Holz, die sowohl in Combray steht und ihren Zwilling in Düsseldorf hat. Ich habe Studien betrieben, aber der Künstler ist bis heute unbekannt geblieben. Und ein Meisterwerk ist das bestimmt nicht! Deswegen sind Sie hier? Madame, ich bitte Sie!«

Behände sprang Balbec auf, kramte in seiner kleinen Küchenzeile herum und kam mit einer Wasserflasche, sowie zwei Tassen Kaffee wieder zurück. Dann schenkte er ein. »Wir können nicht immer Sherry trinken, meine Liebe. Vielleicht später … Milch, Zucker?« Sie verneinte und stellte die Tasse zur Seite auf den Beistelltisch, der bedenklich wackelte. Soll ich ›meine Liebe‹ nun gut finden, oder nicht?, grübelte sie nach. Will er sich bei mir einschmeicheln, oder ist es ernst gemeint? Anne-Katrin beschloss, in die Offensive zu gehen. Sie schloss trotzig ihre kleinen Hände zu Fäustchen. 

»Monsieur Balbec. Nein – dieses Buch meinen wir nicht.« Er sah sie verunsichert an, holte tief Luft und tat unwissend. Seine flackernden Augen allerdings verrieten ein ängstliches Wissen um Dinge, über die Dominique jetzt lieber nicht sprechen wollte. Er ging wieder hinter seinen Schreibtisch und verschanzte sich hinter seinen Büchern. Ann-Katrin versuchte die Titel der Folianten zu entziffern, was ihr nicht gelang. Es schien um Mythologie, alte Religionen und Psychopathologie zu gehen. Um Borderline-Patienten und Schizophrene. Das alles bereitete ihr Unbehagen und sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie niemanden aus der Redaktion dabeihatte. Noch nicht mal den obligatorischen Fotografen. Aber Klaus war heute Morgen auf dem Eis ausgerutscht und befand sich in der Obhut seiner Mutter. Anderen Kollegen war das Thema zu langweilig, soll sich doch eine unerfahrene Reporterin damit herumquälen. Sie rauchte beinahe gierig und trank hastig ihr Glas mit Sherry leer. Monsieur Balbec bemerkte ihre Nervosität und wies auf die Flasche.

»Bitte, nehmen Sie ruhig. Mir scheint, Alkohol ist für Sie im Augenblick besser.«

Ann-Katrin Lestrade tat, wie ihr geheißen und füllte gleichzeitig das Glas ihres Gastgebers auf.

---ENDE DER LESEPROBE---