Der Kreis der Jahresfeste - Emil Bock - E-Book

Der Kreis der Jahresfeste E-Book

Emil Bock

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Beschreibung

Das Jahr und seine festlichen Besonderheiten Mit einer ganz besonderen Hingabe ist Emil Bock (1895-1959) immer wieder neue Wege gegangen, um ein tieferes Verständnis der christlichen Feste zu vermitteln. Das wache Erleben der Jahreszeiten, das Sich-Einfühlen kann uns zu einem vertieften Feiern der Festeszeiten führen.

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EMIL BOCK

Der Kreis der Jahresfeste

EINE SAMMLUNG VON AUFSÄTZEN

URACHHAUS

Inhalt

Vorwort

Die Wiederkunft Christi. Vom Glauben zum Schauen

Vor dem Weihnachtsfest

Die Mitternachtsstunde des Jahres

Das neue Jahr im Lichte der Epiphanie

Der Kampf des Lebens mit dem Tode

Die Passionszeit im Jahreslauf

Die Karwoche

Golgatha und der Gral

Siehe, das ist der Mensch!

Ostern und das Weltall

Himmel und Himmelfahrt

Höllenfahrt und Himmelfahrt

Christus, der Herr der Elemente

Das Fest der Himmelfahrt

Pfingsten: das Zukunftsfest

Heiliger Geist – heilender Geist

Heilung durch den Geist

Zwischen Pfingsten und Johanni

Sommersonnenwende

Von der heidnischen Sommersonnenwende zum christlichen Johannisfest

Die Johanniszeit im Jahresrhythmus

Wandlungen Michaels

Menschen, Engel und Erzengel

Michael, der Fürst des Fortschritts

Christus und Michael

Der Michaels-Gedanke: Das Fest des Werdenden

Vorwort

Mit besonderer Hingabe ist Emil Bock durch viele Jahre hindurch immer wieder neue Wege gegangen, um ein vertieftes Verständnis der christlichen Feste zu vermitteln. Er suchte wirksame Ansatzpunkte zu ihrer heute notwendigen Erneuerung. So schrieb er im Laufe der Jahre eine stattliche Reihe von Aufsätzen für die Zeitschrift »Die Christengemeinschaft«. Vielfach waren es Bearbeitungen von Ansprachen, die er zu den Jahresfesten gehalten hatte. Wichtige christologische Grundbegriffe und Grundanschauungen sind von ihm in diesem Zusammenhang entwickelt und lebendig gemacht worden.

Es entspricht einer Absicht von Emil Bock aus seinem letzten Lebensjahr und dem Wunsch seiner Leser, diese Fest-Aufsätze zu einem Buch zusammenzufassen und gesammelt zur Wirkung zu bringen. So ist aus den einzelnen Bausteinen ein Ganzes entstanden, das den geschlossenen Kreis der christlichen Feste durch das Jahr hindurch umfasst.

Diese christlichen Feste von Weihnachten, Epiphanias über Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten bis hin zu Johanni und Michaeli sind wie ein goldener Faden dem rhythmischen Ablauf der Jahreszeiten und den Lebensprozessen des ganzen Erdenorganismus eingewoben. Beides hängt auf das innigste zusammen. Das wache Mitleben mit dem Jahreslauf kann uns zu einem vertieften Feiern der Festeszeiten führen, und umgekehrt können wir durch ein bewussteres Erleben der Feste ein neues Verhältnis gewinnen zum Wachsen, Blühen, Fruchten und Welken in der Natur. Neue Impulse für das soziale Zusammenleben der Menschen können aus einer erneuerten Festgestaltung erwachsen. Vor allem aber wird dieses übende Miterleben und Feiern der Jahresfeste hinführen zum Erfassen des Christusgeheimnisses unserer Zeit: der Offenbarung des Christus in der von rhythmischen Lebensprozessen durchpulsten Welt des Ätherischen als dem neuen Weihnachtsereignis. Das richtige Erleben des Jahreskreislaufes kann ein Zugang sein zu dem lebendigen Wirken des Christus als dem Herrn der Elemente, dem Herrn des Lebens und der Himmelskräfte auf Erden. Diesem Ziel möge das vorliegende Buch dienen.

Herbst 1962 Dr. Gundhild Kačer-Bock

Die Wiederkunft Christi

VOM GLAUBEN ZUM SCHAUEN

Die zarte Stille des Advents, die kindliche Seligkeit des Weihnachtsfestes sind Begnadungen, die unserem Zeitalter immer seltener zuteilwerden. Das Leben ist zu laut und zu unruhig, das Schicksal zu schwer, zu dramatisch geworden. Aber das Geheimnis der Adventsstille ist mit der Empfindung einer werdenden Mutter zu vergleichen. Die darin enthaltene Hoffnung bezieht sich nicht auf ein neutrales Ereignis, das einmal kommt, so wie ja auch die Frau, die ein Kind unter dem Herzen trägt, nicht etwa nur einem Ereignis entgegensieht, das einmal kommt; sie ist fortwährend bereits eingehüllt und umwoben von der Seele des Wesens, dem sie einen Leib schenken darf. In unserer Zeit tritt die gleiche Veränderung ein, welche die werdende Mutter durchmacht, wenn die stillen Monate der Erwartung in die Wehen übergehen. Sie erträgt gerne alle Schmerzen und schreckhaften Prüfungen, weil sie weiß, dass dies alles ihrer eigenen Hoffnung dient. Heute kommen Schicksale über uns, die nichts anderes sind als Geburtswehen, die durch die Menschheit gehen. Die Menschheit muss etwas Neues gebären, das zu ihrem Heile dient. Ein neues Weihnachtsereignis steht unserem Zeitalter bevor, auf das wir uns zu rüsten haben.

Christus kommt nicht bei Windstille zur Menschheit. Als er vor 2000 Jahren in irdisch-menschlicher Gestalt kam, herrschte auch keine Windstille. Es waren Zeiten fieberhafter Erregung und schwerster Bedrückung. Auch damals lag die Menschheit in den Wehen einer Neugeburt. Heute toben erst recht Stürme einer Neugeburt durch die Welt, durch die sich etwas ans Licht ringt. Das Sprichwort »Wo die Not am größten, da ist Gottes Hilfe am nächsten« ist auch ein Christuswort, denn wenn in der Menschheit die Not am größten ist, so lässt sich daran ablesen, dass derjenige sich naht, der zum Heil der Menschheit kommt.

Es wäre gut, es würde nicht so schnell vergessen, was durch die Seelen gezogen ist, als die Bomben fielen, die Häuser einstürzten und die Städte in Flammen aufgingen. Ein offenbarendes Schicksal war es, das über uns hereinbrach. Sein Sinn liegt nicht in der Zerstörung; er liegt in dem, was dahinter emporsteigt, was sich aber zunächst dem Blick der Menschen verschließt. Ein Anruf Gottes ergeht fortwährend an uns. Aber was geschieht, wenn der, zu dem gesprochen wird, nicht hört? Schon unter uns Menschen ist es so. Wollen wir einem etwas sagen, der nicht zuhört, so müssen wir lauter sprechen. Wie kann eine lärmende Menschheit hören, was zu ihr gesprochen werden soll? Sie kann nur etwas erfahren, wenn einer sie anschreit. Das haben wir, ins Große übersetzt, in unseren Tagen. Das stille Sprechen Gottes, sein Harfenanruf, hat in unserem Zeitalter Posaunencharakter angenommen, und die Mauern Jerichos fingen an einzustürzen. Vor 2000 Jahren trat ein Mensch, gewaltig die anderen überragend, vor die Menschheit hin: »Ändert euren Sinn, denn die Reiche der Himmel sind nahe herbeigekommen.« Heute wird das auch gesprochen, aber nicht von einem Menschen, auch nicht von erleuchteten Menschen – deren Sprache ist abgelöst durch die Sprache der höheren Geister, die das Schicksal lenken und gestalten. Das Schicksal ruft uns in Posaunensprache zu: Ändert euren Sinn; der Christus ist nahe herbeigekommen! Darin liegt die eigentliche Diskrepanz zwischen der heutigen Weltanschauung und· der Wirklichkeit. Das Schicksal spricht; wer aber ist das Schicksal? Spricht das Schicksal, so spricht eine geistige Welt; hohe, ernste Gottesboten sprechen, die den Hierarchien des Himmels angehören. Unser Zeitalter hat den Vorzug, dass die Schicksalsmächte mitten unter uns sind und in äußerster Unmittelbarkeit zu uns sprechen. Aber in den Köpfen der Menschen leben Gedanken, als ob es eine übersinnliche Welt nicht gäbe. In Ländern, die sich noch ungeprüft im alten Wohlstand bewegen können, mag man noch Materialist sein. In unseren Schicksalszonen ist die materialistische Weltanschauung durch das Schicksal widerlegt. Das Schicksal manifestiert die Tatsächlichkeit einer übersinnlichen Welt: Die übersinnliche Welt bricht herein. Was unter uns an Katastrophen, Konflikten, Spannungen, an Kriegen und Kriegsgeschrei geschieht, ist nicht das ganze Geschehen; es ist nur der unterste Rand; was unserem Zeitalter seinen eigentlichen Inhalt gibt, geschieht über unseren Häuptern. Da, wohin wir nicht sehen, geschieht das Allergewaltigste.

Christus offenbart sich neu. Die Sphäre, die sein Reich ist, drängt heran, wie, wenn die Ebbe vorbei ist, bei der Flut der Ozean über die Ufer ins Land hereinbraust. Über unseren Häuptern bewegen sich die Sphären. Aber wir sehen und erkennen die Welt nicht, in der das eigentliche Geschehen unserer Tage vor sich geht. Wir rätseln immer nur an den Schattenrissen herum, an den merkwürdigen Dunkelheiten, die hereinfallen, und sehen das Licht nicht, das hinter den Wolken aufgeht und diese Schatten wirft. Wie können wir den dunklen Bann sprengen, der unser Erkennen, Schauen und Wahrnehmen auf die Welt der Sinne beschränkt und uns das eigentliche Geschehen unserer Zeit verschlafen lässt? Als vor 2000 Jahren das erste Christusereignis eintrat, hatte das höchste Wesen, das wir Christus nennen, in seiner Menschwerdung die unendliche Gnade und Güte, sich in irdische Sichtbarkeit einzukleiden. So sahen die Zeitgenossen mit ihren irdischen Augen in dem Menschen Jesus von Nazareth den Christus. Nur wenige erkannten ihn und sahen durch die menschliche Leiblichkeit hindurch in sein wahres Antlitz. Sie konnten das, weil zu ihrem Sehen das Vertrauen hinzukam. Kraft ihres Vertrauens, des Glaubens in ihren Herzen, ahnten sie in dem Menschen Jesus den Christus. Und als die Golgathastunde vorüber war, gab es einige wenige, bei denen die Knospe des Glaubens zur Blume des Schauens aufging. 40 Tage lang sahen sie ihn in ihrer Mitte. Sie schauten ihn, als wäre er eine irdisch sichtbare Gestalt, die er ja aber nicht mehr war. Dann nach 40 Tagen erlosch diese besondere Begnadung. Bei dem Himmelfahrtsereignis war es jedoch nicht so, dass der Auferstandene den Menschen entschwand. Nur wuchs er an Kraft und innerer Stärke über ihre Wahrnehmungsfähigkeit hinaus. Die Wolke nahm ihn hinweg. Die Wolke des Sinnenscheins herrschte nunmehr über die Jüngerseelen. In den Jahrtausenden, die seitdem vergangen sind, ist das geheime Wachstum des Auferstandenen im Umkreis unseres Erdendaseins weitergegangen. Immer mehr ist die Christussphäre mit der Erdensphäre eins geworden. Bis einmal ein Zeitpunkt heranreift, der durch einen Naturvorgang veranschaulicht werden kann. Wenn die Atmosphäre mit Feuchtigkeit gesättigt ist, bilden sich die Wolken, und wenn diese sich noch weiter mit Feuchtigkeit sättigen, fällt der Regen, der die Erde feuchtet. So kommt im inneren Wachstum des Auferstandenen einmal eine Zeit, in der sich das Geistig-Wesenhafte an die Ebene der menschlichen Wahrnehmung herandrängt. Dann aber muss das Bewusstsein der Menschen auch herangewachsen sein. Die Seelen müssen fähig werden, ihn da zu schauen, wohin ihn einmal die Wolke hinwegnahm. Es heißt ja: »Er wird kommen, wie er gegangen ist«. »Er wird kommen auf den Wolken des Himmels«. Einmal kam er im Sein. Das war das Weihnachtsereignis vor 2000 Jahren. Dann aber wird er kommen im Bewusstsein; das ist das Weihnachtsereignis, das unserem Zeitalter zugedacht ist.

*

Wie finden wir den Weg zu der Bewusstseinserhöhung, die uns instand setzt, in ein fühlendes Ertasten, in ein lauschendes Vernehmen und Schauen derjenigen Welt hineinzuwachsen, in der der Auferstandene uns schon so nahe ist? Wir schlafen ja alle tief. Das Bewusstsein, das wir durch die Sinneswahrnehmung und das Verstandesdenken haben, betrifft nur eine dünne Oberflächenschicht. Die Posaunenklänge unseres apokalyptischen Gegenwartsschicksals wollen uns aus dem tiefen Schlaf aufwecken. Das in uns eingeschlummerte Geistbewusstsein soll durch die wehenartigen Prüfungen unserer Zeit aufwachen. Die Welt des Schauens soll sich uns auftun.

In der Welt, in welcher Christus kommt, sind auch unsere Toten. Jeder, der sich mit den Toten, die er liebt, verbindet – und wer hätte heute nicht seine Toten? –, rührt zugleich an die Welt, in welcher Christus der Menschheit immer näher kommt. Die Verstorbenen haben heute den Lebenden eben dies voraus, dass sie bereits den Sonnenaufgang erleben, für den wir noch blind sind. Wie der Späher auf dem Turm sehen sie die Sonne schon, wenn wir unten noch von Dunkelheit umgeben sind. Dazu gibt es die Entsprechung in den Ereignissen vor 2000 Jahren. Als am Karfreitag der Gekreuzigte den letzten Atemzug tat, ging das Licht seines Sonnenwesens bereits im Reiche der Toten auf, in das er nun eintrat. Das Osterlicht kam in die Welt der Verstorbenen, ehe es für die Erdenmenschen aufging. Das ist das Geheimnis der »Höllenfahrt Christi«. In unserem Zeitalter ist es mit dem neuen Weihnachtsereignis ebenso. Das Weihnachtslicht, das aber nicht lyrisch, sondern dramatisch-apokalyptisch ist, leuchtet bereits im Reiche unserer Toten. Es kommt ihnen zuerst zugute. Wie kommt es zu den Erdenmenschen?

In jeder Nacht verlassen wir durch den Schlaf leise unsere Sinneswelt und betreten die Welten, in denen unsere Toten sind und in denen das Licht schon leuchtet. Nur bringen wir heute so viel Dunkelheit, Dumpfheit und Seelenschlaf in das Heiligtum der Nacht mit hinein, dass das Licht uns nicht erreicht; und wenn wir es im tiefen Schlaf berühren, so vermögen wir nichts davon mit in den Tag zurückzubringen. Aber wir dürfen wissen, wenn wir fromm sind und unsere Frömmigkeit pflegen in Gemeinschaft mit unseren Toten, dass wir zuerst in den Nächten und dann auch am Tage schließlich imstande sein werden, das Licht zu schauen, das in der Finsternis leuchtet. An Weihnachten symbolisieren wir dies ja immer, wenn wir im dunklen Zimmer sind und dann der Spalt der Türe aufgeht und wir die Lichter des Weihnachtsbaumes sehen. Genau so könnte es gehen in dem dunklen Zimmer unserer heutigen Welt. Es könnte sich der Spalt einer Türe auftun, und hinter dieser Türe erstrahlt das Weihnachtslicht.

Die alte Adventsstimmung, die früher noch die Natur den Menschen gab, wenn die ersten Schneeflocken rieselten, die ersten Eisblumen an den Fenstern glitzerten und in der klaren winterlichen Atmosphäre die Sterne so besonders hell erglänzten, sie erlischt. Machen wir sie zum Gegenstand einer treuen Übung! Üben wir sie, und die Gelegenheit dazu ist überall da, wo ein Altar steht. Vor dem Altar still zu werden, die Kunst der Andacht zu lernen, die Hoffnung in der Seele zu beleben, die schon ihre Erfüllung in sich trägt durch das, was sie umwebt und umhüllt, die Kunst der Andacht und des Frommseins, ist eigentlich ein fortgesetzter Advent, den wir uns nun nicht mehr von der Natur schenken lassen, sondern planmäßig und treu unserem Leben einpflanzen und einverweben. In diesem Bereich können wir dann durch den Posaunenschall der äußeren Schicksale hindurch den eigentlichen Liebesanruf Gottes, den Harfenklang der Gegenwart Christi vernehmen.

*

Drei Schritte bezeichnen uns den Weg, der zurückzulegen ist. Der erste Schritt zum Schauen derjenigen geistigen Sonnensphäre, in welcher Christus lebt, ist, dass wir mit unserem Denken anfangen, die Wirklichkeit einer übersinnlichen Welt zu bejahen. Ich mag von ihr nur eine ferne Ahnung haben, es ist aber ja die Welt, in der meine Toten sind, und die Welt, in der Christus zu uns kommt. Es ist auch die Welt, in die ich mich im Schlaf erhebe und in die ich eintauche, wenn ich andächtig bin. In einem gläubigen Denken, das mit der Wirklichkeit Gottes als mit der Wirklichkeit einer ganzen Welt rechnet, keimt ein neues Sinnesvermögen. Wir erfahren, was Luther in das Wort geprägt hat: »Der Glaube ist ein neuer Sinn weit über die fünf Sinne hin.« Der Glaube wird zum Tastorgan, und allmählich wird es uns immer selbstverständlicher, dass das, was unsere Sinne sehen, nur ein Bruchteil der Welt ist und dass das wahre Dasein und Schicksal in dem unendlichen Bereich liegt, der unseren Sinnen noch verborgen ist.

Der zweite Schritt besteht darin, dass man lernt, sich von dieser Welt, auch wenn wir sie noch nicht sehen, bestrahlen und wärmen zu lassen. So wie wir uns an kühlen Tagen der Sonne zuwenden, um noch etwas von der letzten Abschied nehmenden Sonnenwärme zu fühlen, so können wir im Raum der Andacht das zur Übung machen, dass wir versuchen, uns erreichen zu lassen von dem heranwehenden, heranwogenden Element einer höheren Welt. Dann folgt auf das Tasten, das wir im Denken erleben, im Fühlen eine Art Hören. Durch das rechte Zuhörenkönnen berühren wir hinter dem Worte des Evangeliums bereits die Sphäre, in der Christus ist. Da ist die Vorbedingung zu erfüllen, die der Hebräerbrief 12,14 so ausspricht: »Jaget nach dem Frieden gegen jedermann und nach der Heiligung, ohne welche wird niemand den Herrn schauen.« Mit heutigen Worten gesagt: »Strebet nach dem Frieden im Menschen und unter den Menschen und nach der Durchgeistigung eures Wesens. Das ist die Vorbedingung, um den Herrn zu schauen.« Aber dass es den Menschen möglich ist, Christus zu schauen und in diesem Schauen für eine ganze Welt sehend zu werden, ist eine Verheißung, die in den biblischen Büchern überall laut wird. Nur hat man unter dem hypnotischen Bann der materialistischen Weltanschauung und unter dem Druck der Theologie, die die Möglichkeit einer übersinnlichen Wahrnehmung leugnen möchte, diese Verheißungen nicht ernst genommen. Nehmen wir einmal ein Wort aus dem 1. Kapitel des 1. Petrusbriefes: »Einmal wird sich Christus eurem Schauen offenbaren, den ihr liebt, obwohl ihr ihn nicht seht, und an den ihr glaubt, obwohl ihr ihn noch nicht schaut. Dann werdet ihr euch freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude.« Wenn die Frömmigkeit die Seele still macht und die Unruhe aus dem Herzen des Menschen vertreibt, dann geht im Menschenwesen ein Auge auf, das ja schon die Seligpreisung in der Bergpredigt meint: »Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.« Sie werden im Schauen Christi sehend werden für Gott.

Das Dritte ist dann, dass wir schließlich mit unserem ganzen Willenswesen lernen, uns die Kraft einer höheren Welt zuströmen zu lassen, sodass Gnade nicht mehr etwas ist, das wir in Passivität erbitten; als neue Kraft hält sie in uns Einzug: durch das Sich-Hineinstellen in den Christuswillen. Wie war es denn bei dem Erstling des neuen Schauens, bei Paulus, der vor Damaskus den Christus schaute? Er konnte fortan sagen: »Nicht ich, sondern der Christus in mir.« Und der Christus in ihm war nun die weltüberwindende Kraft, die ihn in der damaligen Menschheit tätig sein und Wirkungen hervorrufen ließ, wie sie kein anderer Mensch hervorzubringen vermochte. Aber nicht er war es mit seiner menschlichen Kraft, sondern Christus wirkte durch ihn. Erst wenn der Wille mitwirkt in unserem Verhältnis zu Christus, wird aus unserem Willen das Organ des Schauens. Solange wir nur mit unserem Denken die höhere Sphäre berühren, beginnen wir mit einem Tasten. Stellen wir unser Fühlen zur Verfügung, so wird es ein inneres Hören. Machen wir unseren Willen bereit, so lernen wir das Augenaufschlagen, das uns vom Glauben zum Schauen führt. Das aber bedeutet, dass nun in uns ein Höheres hereinragt. Christus ist dann in uns, und er ist es eigentlich, der unser Auge von innen heraus erleuchtet, um das Licht zu schauen, das auch wiederum Er ist. Unser höheres Wesen trägt er in uns herein. Das bringt Willenskräfte mit sich, die die Schuppen von unseren Augen fallen lassen. Im 1. Johannes-Brief im 3. Vers heißt es: »Wir sind Gottes Kinder und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Unser höheres Wesen schwebt noch über uns. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir Ihm gleich sein werden. Denn dann werden wir Ihn schauen, wie Er ist.« Unser höheres Wesen in uns wird zum Auge, und wir schauen Christus, der in uns ist, der aber nicht nur in uns, der vielmehr eine ganze Sphäre ist. Und es ist, als ob wir in einen Spiegel schauen, in einen unerhörten Gnadenspiegel, in dem wir nicht unser irdisches, sondern unser höheres Wesen schauen dürfen, das höhere Wesen, das im Alltag von der Sünde verdunkelt ist. In diesem Spiegel schauen wir, was wir einmal werden sollen und was noch nicht erschienen ist. Christus selbst ist dieser Zauberspiegel. Das beschreibt Paulus im 2. Korinther-Brief: »Es spiegelt sich in uns des Herrn Klarheit (des Herrn Gloria, des Herrn Lichtgestalt) mit aufgedecktem Angesicht. Und wir werden verklärt (d.h. lichtdurchdrungen) von dieser Lichtgestalt her von einer Klarheit zur andern.« Dieses Schauen steht der Menschheit bevor. In dieses neue Weihnachtsgeheimnis dürfen wir hineinwachsen.

Das erste Weihnachtsereignis stellte das Bild des Kindes vor uns hin. Das neue Weihnachtsereignis stellt das Bild des Menschen vor uns hin, des wahren, vollen Menschen, der nicht nur das Fragment ist, das der Mensch bleibt, wenn er sei höheres Wesen vergisst. Deshalb heißt es, dass Christus erscheint auf den Wolken des Himmels als der Menschensohn. Der Spiegel, in den wir dann hineinschauen dürfen, wenn unser Auge seine Blindheit verliert, lässt uns unser wahres Ziel, unser höchstes Erdenziel, den Sinn unseres Lebens schauen.

Vor dem Weihnachtsfest

Die Weihnachtsverkündigung »Friede auf Erden« geht nicht schon dadurch in Erfüllung, dass irgendwo die Kriegshandlungen eingestellt werden. Sie ist an Voraussetzungen geknüpft. Nicht nur, dass die nächsten Worte die Einschränkung enthalten: »den Menschen, die eines guten Willens sind«. Vor allem setzt der Friede, von dem die Engel zu den Hirten sprachen, voraus, dass sich zuvor das Göttliche in den Höhen offenbart: »Gloria in Excelsis.« Echter Friede kann nur darin bestehen, dass sich in das Menschenwesen etwas hereinsenkt, was aus den Weltenhöhen stammt. Friede ist der Zustand der Seele, die das sich offenbarende Göttliche in sich aufgenommen hat.

Denken wir an die Bilder, die in unserer Kindheit zu Weihnachten unsere Seele erfüllten: das Kind in der Krippe zu Bethlehem. Ein zauberhafter Schimmer geht von diesem Kinde aus, als ob in ihm eine Sonne leuchtete. Und diese herrlich-geheimnisvolle Lichtquelle bewirkt, dass, von der Welt unbemerkt, eine wunderbar geordnete Figur entsteht. Die Menschheit gruppiert sich um die Krippe. Da sind die Könige, da sind aber auch die Hirten. Da sind Josef und Maria. Und es tauchen im Umkreise, wie uns die Weihnachtsspiele zeigen, noch weitere Gestalten auf: die hartherzigen Wirte, die dem Kinde keine Herberge geben wollen, der gute Wirt, der Maria und Josef mit seiner Laterne in den Stall geleitet. Es fehlen aber auch die Schatten des Lichtes nicht: die gespensterhaften schwarzen Gestalten, dazu Herodes, der den Kindermord inszeniert. Um das Licht in der Krippe entsteht eine Figur aus Reich und Arm, Mann und Weib, Alt und Jung, Böse und Gut. Es offenbart sich ein ähnliches Gesetz wie später, wenn sich um den zum Manne Herangewachsenen die zwölf Apostel versammeln und eine Figur bilden, die zeigt, dass hier die ganze Menschheit in ihrer umfassenden, weltumspannenden Fülle vertreten ist. Wie ist die ordnende Kraft, die von der Lichtquelle im Bethlehem-Stalle ausgeht, zu erklären? Über dem irdisch-menschlichen Geschehen, das hier in aller Unscheinbarkeit vor sich geht, ereignet sich in den höheren Stockwerken der Welt noch etwas anderes. In fernen Ländern sind die Könige, indem sie zu den Sternen aufblickten, darauf aufmerksam geworden, dass etwas bevorsteht. Und die Hirten sind erwürdigt, in der dunklen Nacht mit ihren traumumfangenen Seelen in das hineinzuschauen, was sich im überirdischen Gebiet abspielt. Sie sehen die Gloria, die Offenbarungshelligkeit der aufgehenden Geistes-Sonne über ihren Häuptern. Um das Licht runden sich die Kreise aller himmlischen Heerscharen. Ihre harmonischen Ordnungen und Figuren sind es, die sich in die schlichten menschlichen Gruppierungen unten auf der Erde hereinspiegeln. Himmelsordnungen strahlen in das Menschendasein herein, als die Christuswesenheit, die geistige Sonne, offenbarend herannahte, um in die irdische Welt einzuziehen. Deshalb wohnt Friede unter den Menschen, die eines guten Willens sind: weil die ordnende Sonne der Offenbarung darüber erstrahlt.

*

Wo ist in unseren Tagen die Krippenstille, die Weihnachtshelligkeit, die früher die Seelen für den Zauber der Heiligen Nacht aufgeschlossen hat? Früher war es ja auch schon so, dass die Unruhe die Menschen in der Vorweihnachtszeit gepackt hat, und es setzte sich nur schwer die Adventsruhe durch, die den Seelengrund empfänglich macht für das Licht aus den Höhen. – Es war die Adventsungeduld, die die Menschen dazu trieb, alle möglichen betriebsamen Weihnachtsvorbereitungen zu treffen. Sie war immer noch von einer heiligen Unruhe durchatmet, eben von der Vorfreude, der kindlichen Hoffnung auf den Zauber, das Beglückende des Weihnachtsfestes. Es gibt eine heilige Unruhe: die Unruhe der Erwartung. Weil sie in die unheilige Unruhe der menschlichen Betriebsamkeit hineingewoben war, schimmerte doch immer etwas von dem friedenstiftenden Licht der Advents- und Weihnachtszeit durch. Die Unruhe der Erwartung wurde durchatmet, durchseelt von der Ruhe der Erfüllung. Und darin lebten nicht nur die Kinder, sondern auch die Großen.

Heute ist nur die unheilige Unruhe geblieben. Von der heiligen Unruhe der Adventserwartung, der Hoffnung, der Vorfreude auf etwas, was kommt, ist so gut wie nichts mehr da. Die Menschen haben ja keine Hoffnungen mehr. Und was sie für Hoffnungen halten, sind Illusionen. Sie klammern sich an Berechnungen, die sich alle als falsch erweisen werden. Und so mischt sich in die Unruhe unserer Tage, soweit die Menschen nicht überhaupt verzweifeln, etwas von einer unheiligen Ruhe. Das ist die Ruhe, die man empfand, wenn man nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Trümmerfelder der Städte ging. Das war nicht nur Friedhofsstille, sondern der Bann, den Todesdämonen auf die Erde legen. Unruhe und Ruhe des Untergangs.

Wie kommen wir wieder zu einer heiligen Unruhe und durch diese zu der heiligen Ruhe, die die Voraussetzung zu dem Geheimnis des Friedens ist? An unseren Altären dürfen wir in den Adventswochen etwas von derjenigen Stimmung üben, die unsere Seele für den Frieden aufschließt. »Die Weltenruhe um uns« wird da zum Element unseres Lebens, aus dem sich das harmonie- und ordnungsspendende göttliche Sprechen vernehmbar macht. Aber gibt uns nicht während der Adventswochen, in denen der Zauber der Weltenruhe atmet, die heilige Handlung zugleich ein Rätsel auf? Ist es nicht ein krasser Widerspruch zu der Stimmung des erfüllten Schweigens, wenn gerade in dieser Zeit die strengen Sätze aus dem 21. Kapitel des Lukas-Evangeliums ertönen, die davon sprechen, dass gewaltige Stürme und Erschütterungen durch die Welt gehen müssen, dass sogar die Kräfte des Himmels in Unordnung geraten, dass Kriege und Kriegsgeschrei das Weltall durchtosen werden. In das Blau der Advents-Altäre, in welchem das Geheimnis der »Weltenruhe um uns« in sichtbare Erscheinung tritt, mischt sich die Röte eines Weltbrandes durch die apokalyptischen Untergänge, von denen das Evangelium spricht und die wir in unseren Tagen real erleben. Da zeigt sich, dass der Vorhang zerreißt, dass sich etwas offenbaren will, dass auf den Wolken des Himmels, in einer verborgenen Schicht des Daseins, derjenige herannaht, dessen zweites Kommen dem Weihnachtsfest einen neuen Inhalt, eine neue Bedeutung geben wird.

Wir müssen uns in unseren Zeiten aneignen: den Sinn für das Untergehende, um es zu erkennen, und den Sinn für das Aufgehende, um es zu pflegen. Die äußeren Weltverhältnisse sind im Untergehen. Das Vergängliche, Zeitliche ist heute im größten Ausmaß im Vergehen. Aber es mischt sich in unsere Zeit auch Aufgehendes. Und die leisen Strahlen der Ewigkeit durch die Risse und Ritzen der zerberstenden Sinneswelt hindurchschimmern zu sehen, das gibt die Kraft, das Untergehende ruhig dem Abgrunde zu überlassen und sich an das zu halten, was aufgeht. Im November haben wir noch die Unruhe des Untergangs. Die Novemberstürme lösen das Alte auf. Mit dem vergilbten Laub werden die letzten Reste des alten Jahres durch die Schauer der fröstelnmachenden Winde zur Erde gewirbelt. Wenn dann aber die Adventszeit beginnt, nimmt derjenige, der tiefer in die Natur hineinschaut, bereits die leise vibrierende Unruhe eines Aufgangs wahr. Da regt sich, was der Keim und die stille Wurzel alles Lebens im nächsten Jahreskreise sein wird. Dann und wann fällt ein Sonnenstrahl durch die Nebel und zaubert einen Geruch hervor, der uns wie aus einer jenseitigen Sphäre heraus anweht. Wir ahnen etwas, wofür die Menschen in den kommenden Jahrzehnten immer deutlichere Organe haben werden: die ätherische Welt, die sich hinter dem Vorhang der Sinneswelt verbirgt. Sie dringt durch, sie rieselt herein. Warum gräbt man eigentlich die Gärten und Acker um, bevor der Winter kommt? Natürlich auch, damit später das, was auf der Erde wächst, gut von unten herauf wachsen kann. Man tut es aber in erster Linie, damit das, was aus den Höhen kommt, tief in die Erde eindringen kann: das Leben der Erde befruchtend. Die Menschen gehen über die Äcker und säen den Samen. Unsichtbar sät der Himmel mit. Das beginnt in der Adventszeit. Der Himmel sät, auch wenn er den Schnee rieseln lässt und wenn er die Kälte schickt. Der Bauer weiß, dass der Boden im nächsten Jahre umso fruchtbarer sein wird, je tüchtiger er durchgefroren ist.

An diesem Punkte möchte man die Wendung vollziehen, die in den alten Weihnachtsspielen erfolgt, wenn der Sternsinger sagt:

»Ihr liabe meini Singer fangt’s anders an,

den Stern zu grüßen woll’n wir’s heben an.«

In der Adventszeit müssen wir lernen, den Stern zu grüßen. Wenn die Dünste des alten Jahres ganz zu Ende gegangen sind, ist der Raum frei, die Atmosphäre gereinigt, und die Sterne fangen an, in unser irdisches Dasein hereinzurieseln. Mit den Sternenkräften sät der Himmel das neue Leben in den Schoß der Erde. Haben nicht auch die Schneeflocken Sterngestalt? Die Adventswochen sind die Empfängniszeit der Mutter Erde. Und zu Weihnachten wird die Erde zur Maria und gebiert ihr Kind. Tief im Innersten der Erde ist durch die Sterne ein Lichtkeim gezeugt worden. Die innersten Tiefen der Erde werden zur Krippe, in der ein Kindlein erstrahlt. Dieses erhebt sich, um aufzusteigen. Auch die Krippe im Erdenschoß ist von Ordnungen und Figuren umgeben, wie sie sich in Bethlehem schlicht angedeutet haben in Hirten und Königen, Maria und Josef und schließlich auch in Ochs und Eselein, die dabeistehen, um etwas von dem neuen Licht zu empfangen. Rings im emporsteigenden Kreise wohnen, wie in zwölf Stuben, die Sterne, die in dieser Jahreszeit zu Besuch auf die Erde kommen. Deshalb sagt der Volksmund, dass im Erdenschoß in den Weihnachtsnächten alle Blumen, die im Frühling hervorsprießen werden, schon ihre Köpfe bewegen und mit ihren Glöcklein läuten. Warum haben so viele Blumen die Form von Sternen? Weil die Sterne in der Winternacht in die Erde Einzug halten. Da unten sind die Formen des Pflanzen- und Blumendaseins übersinnlich schon da. Im Frühling werden sie auch für unsere Sinne wahrnehmbar. Wichtig ist der Augenblick, wo das Kind des neuen Lebens dort unten geboren wird. Es ist eine Wahrheit, dass die zwölf Nächte, die auf die Heilige Nacht folgen, ein Geheimnis in sich bergen. Da ist es so, als ob das Kind sich aus der Krippe erhoben hätte und anfinge, emporzusteigen; es geht im Kreise nach oben wie auf der Wendeltreppe in einem Turm und kommt an den zwölf Kammern vorbei, in denen die Kräfte der Sterne wohnen. So bereitet sich in den heiligen Nächten zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag vor, was sich in den zwölf Monaten des neuen Jahres entfalten wird. Die Sterne offenbaren sich aus den Höhen, und in den Erdentiefen entsteht eine heilige Ordnung. Der Friede, den sie stiften, atmet uns entgegen aus dem Paradiesesglanz des Pflanzenreiches, der uns immer wieder erfrischt.

Was wir davon lernen können, ist dies: Wir müssen ganz tief unten beginnen, wenn wir einen inneren Weg gehen wollen, so wie die Erde tief unten beginnt, wenn sie ein neues Leben hervorbringt. Fangen wir nicht in der Tiefe an, so hängen wir unser ganzes Leben in der Luft. Tiefste Sammlung, Ruhe und Andacht sind dazu erforderlich. Nur in der Krippe des tiefsten Inneren kann der Mensch Maria werden und die eigentliche Weihnachtsgabe empfangen. Was sich die Menschen üblicherweise zu Weihnachten schenken, kann nur allzu leicht ablenken von den eigentlichen Christnachtsgaben, die uns aus dem Füllhorn der Sterne, aus der ätherischen Welt durch das Besondere der Winternatur zuströmen. Jede Nacht, wenn die Sterne hell funkeln, aber auch, wenn Wolken sie verhüllen, sind die Lüfte voll von Offenbarung. In der Nacht der Nächte können wir wie niemals sonst unsere Seele dafür aufschließen. Dann zieht der Friede in uns ein, den der Weihnachtsspruch verheißt.

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Mit dem Atem der Erde, der zur Wintersonnenwende einen so wunderbaren Neubeginn erfährt, ist seit 2000 Jahren der Christus auf das innigste verbunden. Mit dem Lichtkeim, der da im Erdeninnern geboren wird, steigt er selber in den zwölf Nächten der Weihnachtszeit empor. Das ist seit Langem in Vergessenheit geraten. Heute aber dürfen wir das Christentum wieder im kosmischen Sinne empfinden. Wir dürfen wissen: Durch ein richtiges Erleben der Jahreszeiten, insbesondere da, wo sich der Jahreskreis selbst aus den Urbrunnentiefen des Daseins neu gebiert, kommen wir an die Sphäre des gegenwärtigen Christus heran, denn er wohnt in der ätherischen Welt, die sich in der Adventszeit bis an unsere Sinne heran kundtut. Dass wir Weihnachtsbäume in unsere Zimmer stellen und die Lichter daran anzünden, alle solchen bedeutungsvollen Sitten stammen aus den heidnisch-kosmischen Ahnungen nördlicher Völkerströmungen, die das Geistige in der Natur wahrnehmen und begleiten konnten. Da ist, ohne dass man es sich recht eingestand, bereits eine Ehe zwischen Christlichem und Heidnischem geschlossen worden. Gegenüber der kosmischen Kraft des Weihnachtsfestes hat die Kirche die Barriere nicht aufrechterhalten können, die sie sonst gegen alles Heidnische aufgerichtet hat.

Wenn uns auch die alten Weihnachtszauberstimmungen entfallen sind, es ist doch richtig, die Advents- und Weihnachtszeit zu durchschreiten mit dem Bewusstsein, dass da im Jahreslauf etwas Besonderes vor sich geht. Durch unser Leben mit dem erneuerten Kultus haben wir wieder angefangen zu fühlen, was Weihe ist. Was bedeutet es, wenn Menschen oder Dinge geweiht werden? Es bedeutet, dass sie zu ihrem geistigen Ursprung, zu dem urbildlichen Zustand zurückgehoben werden, den sie hatten, bevor sie aus dem Geistigen in das Stoffliche herunter verdichtet wurden. Der geistige Urstand alles Daseins, das Quellhafte, das Frische, das ganz Junge, das Weihnachtskindmäßige in allem, das wird aus der Verschüttung wieder hervorgerufen durch ein echtes Weihen und Konsekrieren. Der Satz, dass man dieses oder jenes »wieder in Ordnung bringt«, setzt voraus, dass allem Dasein ursprünglich eine Ordnung innewohnt. Die stammt noch aus den Sternen. Auf der Erde geht die Sternenordnung verloren. Sie wird verschüttet, wenn sie nicht in Chaos und Auflösung übergeht.

Das ist der eigentliche Sinn der Menschenweihehandlung: dass sie den Menschen in Ordnung bringt dadurch, dass sie in ihm sein Urbild, den Menschen, wie er von Gott gedacht ist, freilegt. Das höhere, aus dem Geiste stammende Wesen des Menschen senkt sich in unsere Seele herein. Das ist letztlich der Friede, der in uns entsteht, wenn wir andächtig vor dem Altar versammelt sind, und der auch angesprochen wird, wenn diejenigen, die an der Kommunion teilgenommen haben, den Friedensgruß empfangen. Und wie der Mensch eine Weihe empfängt durch das Sakrament, so empfängt das ganze Jahr, die ganze Erde eine Weihe rein durch das Priestertum der allgütigen Natur in der Weihe-Nacht. Da werden im Erdenschoß die Ordnungen wieder lebendig, die die Sterne in sich tragen und die im Erdendasein verloren gegangen sind. Oh, könnten die Menschen die Ordnungen, die in der Weihe-Nacht aufleuchten, aufgreifen und danach ihre Kultur bauen, statt aus den öden Zweckmäßigkeiten, die sich doch alle selbst ad absurdum führen. Wenigstens die Sehnsucht danach, auf Erden Abbilder der Sternenordnung zu schaffen, das Kosmische hereinleuchten zu lassen in das Irdische, sollte an Weihnachten lebendig sein. Die drei Weihnachts-Weihehandlungen sind eine Urweihe. Sie schöpfen die Menschenweihe aus der Erdenweihe. Aus den Sternenhöhen werden in der Mitternachtsstunde des Jahres die heiligen Gefäße neu gefüllt. Trotz aller Nöte und Untergänge wird mit der Zeit doch wieder etwas von dem aufleben, was man früher mit dem 24. Dezember verband, den man den Adam- und Eva-Tag nannte: Da ist das Paradies wieder da. Da ist uns der Urstand, der Geistursprung unseres Erdendaseins greifbar nahe, und wir schöpfen aus ihm als aus der heiligsten Quelle.

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Auf diesem Wege wird uns der neue Weihnachtsinhalt vertraut. Wir können nicht mehr davon leben, bloß auf das Weihnachtsereignis vor 2000 Jahren zurückzuschauen. Damals ist der Christus in menschlicher Gestalt gekommen. Die Christgeburt war physisch lokalisiert. Nur da, wo Jesus von Nazareth einherging, konnte der Christus von den Menschen unmittelbar wahrgenommen werden. Auch die Gegenmächte waren physisch lokalisiert: als damals auf Capri Tiberius im Cäsarenwahn zum Instrument dämonischer Mächte wurde. Heute kommt der Christus aufs Neue an die Erde heran, aber nicht so, dass man sagen kann: Hier oder da ist er. Man wird auch von dem Antichrist nicht sagen können: Dieser oder jener ist oder war es. Heute ist sowohl das Licht wie der Schatten allgegenwärtig, weil im Ganzen eine neue Wirksamkeit der übersinnlichen Welt hereinbricht. Die Sphäre der geistigen Welt, die am nächsten unserer Sinneswelt benachbart ist, die Welt der Ätherkräfte, muss von den Menschen gefunden werden. Denn darin vollzieht sich das neue Weihnachtsereignis. Da ist der Christus schon anwesend. Man sieht ihn bloß noch nicht, weil die Augen dafür noch nicht offen sind.

In den Worten, in denen der Christus selbst von seinem Wiederkommen spricht, deutet er darauf hin, dass auch bei seinem zweiten Kommen die Ordnungen der himmlischen Heerscharen um ihn herum anwesend und wirksam sein werden. »Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird auf den Wolken des Himmels, in seiner Gloria und alle seine heiligen Engel mit ihm, dann wird sich um ihn die Welt der irdischen Völker versammeln.« Das ist es, was im Grunde schon hinter den Vorhängen der Sinneswelt geschieht. Die ganze übersinnliche Welt ist vor unseren Toren. Das Mittelpunktslicht in ihr ist die Christuswesenheit. Und im Kreise herum die Sterne aller führenden Geistesmächte. Und wenn sich diese Wesensschicht des Daseins in unser Erdenleben hereinspiegelt, dann werden Ordnung und Friede unter den Menschen lebendig. Das braucht nicht mit äußeren politischen Ordnungen und mit einem äußeren Frieden identisch zu sein. Der Friede der Zukunft muss gefunden werden selbst mitten im Kriegsgetöse.

Auf Erden herrscht nicht Ordnung, sondern Chaos. Warum? Die Welt hat sich in äußerer Hinsicht in einem überstürzten Tempo entwickelt, vor allem in der Technik, aber die Menschen sind innerlich nicht mitgekommen. Die Folge ist, dass alles zusammenstürzt. Das Chaos ist die Quittung dafür, dass man äußerlich tätig war, ohne die Golddeckung der Innerlichkeit zu besitzen. Erst wenn sich die Geschehnisse, die sich in unserer Zeit hinter dem Vorhang des Wolkendaseins in der Christussphäre ereignen, in unser menschliches Leben hereinspiegeln können, dann leuchten neue Ordnungen und Figuren auf. Zahlengeheimnisse erfüllen sich, die in der Offenbarung Johannis angedeutet sind, wo von den 144 000 gesprochen wird. Wenn die Menschen über allen klaffenden Hassabgründen dazu heranreifen, die Ordnungen des Sternendaseins und des hierarchischen Christus-Umkreises hereinzulassen, dann werden sich in allen Völkern Gemeinschaften bilden, die nicht aus dem Blute stammen. Über den einzelnen Völkern steht in dem ordnungstragenden Urbilde die für die Gemeinschaft erweiterte 12-Zahl: 12 000. Die Völker ordnen sich in der Sphäre der Urbilder auch zu einem Zwölferkreis, der, wie der der zwölf Apostel, die ganze Menschheit repräsentiert. Dadurch entsteht geistig die Zahl 12 mal 12 000: 144 000. Aber diese Zahl wird noch lange als ein Geheimnis in der Menschheit schlummern. Sie ist die Zahl des Friedens, der Harmonie zwischen den Gegensätzen. Mengenmäßig werden es vielleicht ganz kleine Kreise sein, in denen sich etwas von diesen Urbildern und Verheißungen erfüllt. Aber so wird »Friede auf Erden« zu keimen beginnen als Spiegelung dessen, was sich in den Höhen offenbart.

Die Mitternachtsstunde des Jahres

In früheren Zeiten wussten die Menschen, dass die Mitternacht die Geisterstunde sei. Ein jeder war bestrebt, zu schlafen oder wenigstens unter dem schützenden Dach seines Hauses zu sein, wenn die Uhr Zwölfe schlug, weil er sonst fürchtete, dem Bösen zu begegnen.