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Vendetta in Hollywood Die Enkel des mächtigen Mafiabosses Don Clericuzio, Cross und Dante, gehen gegen den Willen ihres Großvaters eigene Wege. Cross steigt in das von der Mafia gemiedene Filmgeschäft ein, Dante bringt den Clan durch sein hitzköpfiges Verhalten in Schwierigkeiten. Die Unüberlegtheit der beiden jungen Männer führt die Familie an den Rand des Abgrunds, es kommt zum Showdown in Hollywood. Doch einer hat die Fäden nie aus der Hand gegeben – der letzte Pate. «Puzo in Hochform.» (Time) «Eine fesselnde Geschichte voll unvergesslicher Figuren.» (USA Today) «Das unterhaltsamste Buch seit ‹Der Pate›.» (New York Times)
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Seitenzahl: 864
Mario Puzo
Der letzte Pate
Roman
Deutsch von Gisela Stege, Veronika Dünninger und Bernhard Schmidt
Vendetta in Hollywood
Die Enkel des mächtigen Mafiabosses Don Clericuzio, Cross und Dante, gehen gegen den Willen ihres Großvaters eigene Wege. Cross steigt in das von der Mafia gemiedene Filmgeschäft ein, Dante bringt den Clan durch sein hitzköpfiges Verhalten in Schwierigkeiten. Die Unüberlegtheit der beiden jungen Männer führt die Familie an den Rand des Abgrunds, es kommt zum Showdown in Hollywood. Doch einer hat die Fäden nie aus der Hand gegeben – der letzte Pate.
«Puzo in Hochform.» (Time)
«Eine fesselnde Geschichte voll unvergesslicher Figuren.» (USA Today)
«Das unterhaltsamste Buch seit ‹Der Pate›.» (New York Times)
Mario Puzo wurde 1920 als Sohn armer italienischer Einwanderer geboren. Seine Mafiaromane machten ihn weltberühmt. Er starb 1999 auf Long Island.
für
Virginia Altman, Domenick Cleri
Quogue · 1965
Am Palmsonntag, ein Jahr nach dem Großen Krieg gegen die Santadios, feierte Don Domenico Clericuzio die Taufe zweier Neugeborener aus dem Kreis seiner Blutsverwandten und traf die wichtigste Entscheidung seines Lebens. Er lud die größten Familienchefs von Amerika zu sich ein, dazu Alfred Gronevelt, den Eigentümer des Hotels Xanadu in Vegas, und David Redfellow, der sich in den Vereinigten Staaten ein riesiges Drogenimperium aufgebaut hatte. Sie alle waren mehr oder weniger seine Partner.
Nun wollte das mächtigste Familienoberhaupt Amerikas, Don Clericuzio, seine Macht abtreten – nach außen hin. Es wurde Zeit, mit anderen Karten zu spielen; demonstrative Macht war zu gefährlich. Der Machtwechsel an sich barg jedoch einige Gefahren. Deswegen musste er äußerst behutsam und mit großem Wohlwollen vorgehen. Und zwar auf eigenem Grund und Boden, im Zentrum seiner Macht.
Das Anwesen der Clericuzios in Quogue war zwanzig Morgen groß und von einer drei Meter hohen roten, mit Stacheldraht und elektronischen Sensoren bewehrten Mauer umgeben. Auf diesem Areal lagen außer dem Herrenhaus die Villen seiner drei Söhne sowie zwanzig kleinere Häuser für zuverlässige Gefolgsleute der Familie.
Bevor die geladenen Gäste eintrafen, setzte sich der Don im Spaliergarten hinter dem Herrenhaus mit seinen Söhnen an einem weißen gusseisernen Tisch zusammen. Giorgio, der älteste, war hochgewachsen, trug einen kleinen, flotten Schnurrbart und besaß die schlaksige Figur eines britischen Gentlemans, die er mit maßgeschneiderten Anzügen noch betonte. Er war siebenundzwanzig, verschlossen, hatte einen scharfen Verstand und harte Gesichtszüge. Der Don teilte Giorgio mit, dass er sich um die Aufnahme in die Wharton School of Business bewerben solle, um alle Tricks zu erlernen, mit deren Hilfe man Geld stehlen könne, ohne das Gesetz zu übertreten.
Giorgio erhob keine Einwände; dieser Befehl seines Vaters kam einem königlichen Edikt gleich und stand nicht zur Diskussion. Also nickte er gehorsam.
Nun wandte sich der Don an seinen Neffen Joseph «Pippi» De Lena. Der Don liebte Pippi ebenso wie seine Söhne, denn Pippi war nicht nur sein Blutsverwandter – der Sohn seiner verstorbenen Schwester –, sondern auch der große General, der die brutalen Santadios besiegt hatte.
«Du gehst nach Las Vegas», bestimmte er. «Dort kümmerst du dich um unsere Beteiligung am Xanadu. Da unsere Familie sich aus allen aktiven Unternehmungen zurückzieht, wird es hier nicht mehr so viel zu tun geben. Aber du wirst der Hammer der Familie bleiben.»
Wie er sah, war Pippi nicht sehr glücklich darüber, also musste er ihm Gründe nennen. «Nalene, deine Frau, kann unmöglich im Dunstkreis der Familie leben, sie kann hier in der Bronx-Enklave nicht bleiben. Sie ist einfach zu anders. Die Leute können sie nicht akzeptieren. Baut euch ein neues Leben auf, fern von uns.» Der Don hatte recht, aber er hatte noch einen anderen Grund. Pippi war der große Held und General der Familie Clericuzio, und wenn er weiterhin «Bürgermeister» der Bronx-Enklave blieb, würde er nach dem Tod des Don zu viel Macht in seiner Hand vereinigen.
«Du wirst mein bruglione im Westen sein», erklärte er Pippi. «Du wirst reich werden. Aber es warten dort auch wichtige Aufgaben auf dich.»
Er überreichte Pippi die Eigentumsurkunden für ein Haus in Las Vegas und eine blühende Inkasso-Agentur. Dann wandte sich der Don seinem jüngsten Sohn Vincent zu, einem jungen Mann von fünfundzwanzig Jahren. Er war kleiner als die anderen, dafür aber gebaut wie ein wuchtiger Schrank. Er war wortkarg und besaß ein weiches Herz. Schon auf den Knien seiner Mutter hatte er alle Gerichte der italienischen Bauernküche gelernt und, als seine Mutter in jungen Jahren starb, die bittersten Tränen von allen vergossen.
Der Don lächelte ihm zu. «Ich werde jetzt über dein Schicksal entscheiden und dich auf den rechten Weg schicken», sagte er. «Du wirst das beste Restaurant von ganz New York eröffnen. Du sollst keine Kosten scheuen. Ich will, dass du den Franzosen zeigst, was gute Küche wirklich ist.» Pippi und die anderen Söhne lachten, sogar Vincent rang sich ein Lächeln ab. Der Don lächelte ebenfalls. «Ein Jahr lang wirst du die besten Kochschulen Europas besuchen.»
Vincent war zwar aufrichtig erfreut, knurrte aber missmutig: «Was können die mir schon beibringen?»
Der Don warf ihm einen strengen Blick zu. «Deine Pasteten könnten besser sein», bemerkte er. «Vor allem aber sollst du lernen, wie man ein solches Unternehmen führt. Wer weiß, vielleicht gehört dir eines Tages eine ganze Kette von Restaurants. Giorgio wird dir das nötige Geld geben.»
Schließlich wandte sich der Don an Petie. Petie war der zweitälteste und fröhlichste seiner Söhne. Er war freundlich, trotz seiner sechsundzwanzig Jahre kaum mehr als ein Knabe, aber der Don wusste, dass er viel von den sizilianischen Clericuzios hatte.
«Petie», begann der Don, «da Pippi nun im Westen lebt, wirst du Bürgermeister der Bronx-Enklave. Du wirst der Familie die Soldaten stellen. Darüber hinaus aber habe ich für dich ein Bauunternehmen gekauft, ein sehr großes. Du sollst die Wolkenkratzer von New York instand setzen, Kasernen für die Staatspolizei bauen, die Straßen der Stadt pflastern. Die Firma ist bestens gesichert, doch ich erwarte von dir, dass du ein Spitzenunternehmen daraus machst. So gehen deine Soldaten einer legalen Arbeit nach, und du verdienst eine Menge Geld. Zunächst absolvierst du bei dem Mann, dem die Firma jetzt gehört, eine Lehre. Aber vergiss nicht, dass es deine oberste Pflicht ist, der Familie die Soldaten zu liefern und ihnen Befehle zu erteilen.» Er wandte sich an Giorgio.
«Giorgio», sagte der Don, «du wirst mein Nachfolger. Du und Vinnie, ihr sollt nicht mehr in jenem Bereich der Familie arbeiten, der gefährlich werden kann, es sei denn, es geht nicht anders. Wir müssen Vorsorge treffen. Deine Kinder, meine Kinder und die beiden Kleinen, Dante und Croccifixio, dürfen nicht in so einer Welt aufwachsen. Wir sind reich, wir brauchen unser Leben nicht mehr aufs Spiel zu setzen, um unser täglich Brot zu verdienen. Von nun an wird unsere Familie den anderen Familien nur noch als Berater in finanziellen Angelegenheiten dienen. Wir werden sie politisch unterstützen und ihre Auseinandersetzungen schlichten. Dazu brauchen wir allerdings eine einsatzfähige Truppe. Außerdem müssen wir das Geld der anderen beschützen, und dafür werden sie gestatten, dass wir uns bei ihnen den Schnabel netzen.»
Er machte eine kleine Pause. «In zwanzig, dreißig Jahren sind wir alle in der legalen Welt aufgegangen und können furchtlos unseren Reichtum genießen. Die beiden Kinder, die wir heute taufen, werden weder solche Sünden wie wir begehen noch solche Gefahren auf sich nehmen müssen.»
«Wozu dann noch die Bronx-Enklave?», fragte Giorgio.
«Wir hoffen zwar, eines Tages Heilige zu sein», gab der Don zurück, «aber Märtyrer werden wir auf keinen Fall.»
Eine Stunde später stand Don Clericuzio auf dem Balkon seines Hauses und beobachtete die Festlichkeiten unten im Garten.
Auf dem weiten Rasen, übersät von Picknicktischen und flügelähnlichen grünen Sonnenschirmen, hatten sich etwa zweihundert Gäste versammelt, viele von ihnen Soldaten aus der Bronx-Enklave. Taufen waren gewöhnlich Freudenfeste, heute war die Stimmung jedoch gedämpft.
Der Sieg über die Santadios war die Clericuzios teuer zu stehen gekommen. Der Don hatte seinen Lieblingssohn Silvio verloren und seine Tochter Rose Marie den Ehemann.
Jetzt beobachtete er, wie die Menschen sich um die langen Tafeln drängten, auf denen Kristallkaraffen mit tiefrotem Wein, weiße Schüsseln mit verschiedenen Suppen, Pasta in jeder nur erdenklichen Form, Platten mit verschiedenen Fleisch- und Käsesorten und knusprig frische Brote in allen Größen und Formen warteten. Vorübergehend ließ er sich von der sanften Musik der kleinen Band umschmeicheln, die im Hintergrund aufspielte.
Unmittelbar im Mittelpunkt der Picknicktische entdeckte der Don die beiden Kinderwagen mit den blauen Babydecken. Wie tapfer die beiden Kleinen waren, nicht einmal gezuckt hatten sie, als sie mit Taufwasser übergossen wurden. Neben ihnen standen die beiden Mütter: Rose Marie und Nalene De Lena, Pippis Frau. Er konnte die Babygesichter sehen, vom Leben noch so unberührt: Dante Clericuzio und Croccifixio De Lena. Es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese beiden Kinder beim Verdienen ihres Lebensunterhaltes niemals leiden mussten. Wenn er das schaffte, wäre ihr Eintritt in die reguläre Gesellschaft dieser Welt gesichert. Seltsam, dachte er, dass es unter den Gästen keinen Mann gibt, der den Kindern die Ehre erweist.
Jetzt sah er, wie Vincent, der sonst immer finster dreinblickte, ein paar kleine Kinder an einem Hot-Dog-Wagen versorgte, den er für dieses Fest hatte bauen lassen. Er ähnelte den Hot-Dog-Wagen auf den Straßen von New York, nur dass er größer war, einen bunteren Sonnenschirm hatte und dass Vincent bessere Zutaten verwandte. Er trug eine blütenweiße Schürze und dekorierte seine Hot Dogs mit Sauerkraut und Senf, mit roten Zwiebeln und scharfer Sauce. Jedes Kind musste ihm für einen Hot Dog einen Kuss auf die Wange geben. Denn trotz seiner rauen Schale war Vincent der weichherzigste seiner Söhne.
Auf dem Bocciaplatz spielte Petie mit Pippi De Lena, Virginio Ballazzo und Alfred Gronevelt. Petie war ein Witzbold, der ständig Dummheiten im Kopf hatte, was dem Don im Grunde nicht gefiel, weil er es für gefährlich hielt. Selbst jetzt störte Petie das Spiel mit seinen Tricks, denn eine der Bocciakugeln explodierte nach dem ersten Schlag.
Virginio Ballazzo war der Unterboss des Don, ein Manager der Familie Clericuzio. Er war ein temperamentvoller Mann und tat so, als jage er Petie nach, der wiederum so tat, als laufe er vor ihm davon. Welche Ironie!, dachte der Don. Sein Sohn Petie war ein geborener Mörder, und auch der verspielte Ballazzo erfreute sich eines gewissen Rufs.
Aber beide waren sie Pippi nicht gewachsen.
Der Don bemerkte die Blicke, mit denen die Frauen unter den Gästen Pippi musterten. Bis auf die beiden Mütter, Rose Marie und Nalene. Er sah so umwerfend gut aus! Ebenso hochgewachsen wie der Don, war sein Körper muskulös und kraftvoll, sein Gesicht brutal, aber gutaussehend. Doch auch viele Männer beobachteten ihn, einige davon Soldaten aus der Bronx-Enklave, sie bemerkten seine befehlsgewohnte Art und die geschmeidigen Bewegungen seines Körpers, sie wussten, wer er war: eine Legende, der Hammer, der beste aller qualifizierten Männer.
David Redfellow, jung, mit rosigen Wangen, mächtigster Drogendealer von Amerika, kniff die beiden Babys in den Kinderwagen in die Wangen. Und Alfred Gronevelt, noch immer in Jackett und Krawatte, fühlte sich recht unwohl bei diesem ihm fremden Spiel. Gronevelt war genauso alt wie der Don, fast sechzig.
Und heute wollte Don Clericuzio ihrer aller Leben verändern – zum Besseren, wie er hoffte.
Giorgio trat auf den Balkon, um ihn zur ersten Besprechung dieses Tages zu rufen. Zu dieser Sitzung kamen die zehn Mafiachefs im Herrenzimmer der Villa zusammen. Giorgio hatte sie bereits von Don Clericuzios Angebot in Kenntnis gesetzt. Die Taufe war eine ausgezeichnete Tarnung für das Treffen, aber gesellschaftlich verband sie nichts mit den Clericuzios, und sie wollten so schnell wie möglich wieder verschwinden.
Das Herrenzimmer der Clericuzios war ein fensterloser Raum mit schweren Möbeln und einer Bar. Alle zehn Männer an dem riesigen Konferenztisch aus dunklem Marmor machten ernste Gesichter. Sie begrüßten Don Clericuzio einer nach dem anderen und warteten anschließend gespannt auf das, was er ihnen zu sagen hatte.
Don Clericuzio rief seine Söhne Vincent und Petie, seinen Geschäftsführer Ballazzo und Pippi De Lena herein. Sobald sie den Raum betreten hatten, begann Giorgio, eiskalt und ironisch, mit einer kurzen Einführung.
Don Clericuzio beobachtete die Gesichter der Männer, die da vor ihm saßen, die mächtigsten Männer der illegalen Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die wahren Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen.
«Mein Sohn Giorgio hat Sie darüber informiert, wie alles geschehen soll», sagte er. «Mein Vorschlag ist Folgender: Ich ziehe mich aus all meinen Beteiligungen bis auf das Glücksspiel zurück. Meine Geschäfte in New York überlasse ich meinem alten Freund Virginio Ballazzo. Er wird eine eigene Familie gründen und nicht mehr von den Clericuzios abhängig sein. Meine Beteiligungen an den Gewerkschaften, am Transportwesen, an Alkohol, Tabak und Drogen im übrigen Land trete ich an Ihre Familien ab. Meine Beziehungen zum Rechtswesen stehen Ihnen ständig zur Verfügung. Dafür verlange ich, dass Sie mir die Verwaltung Ihrer Einkünfte übertragen. Ich werde sie sicher anlegen, und Sie können jederzeit darauf zurückgreifen. Dass die Regierung diesem Geld auf die Spur kommen könnte, brauchen Sie nicht zu befürchten. Als Gegenleistung verlange ich lediglich eine Provision von fünf Prozent.»
Das war ein Traumvertrag für die zehn Bosse. Sie waren den Clericuzios dankbar dafür, dass sie sich zurückzogen, obwohl es der Familie ein Leichtes gewesen wäre, die Kontrolle ganz zu übernehmen und ihre Imperien zu vernichten.
Vincent ging um den Tisch herum und schenkte allen ein wenig Wein ein. Dann hoben die Männer das Glas und tranken auf den Ruhestand des Don.
Nachdem sich die Mafiabosse feierlich verabschiedet hatten, wurde David Redfellow von Petie hereingeführt und nahm in dem Ledersessel dem Don gegenüber Platz. Vincent servierte ihm ein Glas Wein. Redfellow unterschied sich von den anderen Männern nicht nur durch seine langen blonden Haare, sondern auch durch einen Brillantohrring und seinen sauberen, gebügelten Jeansanzug. Er war skandinavischer Abstammung, hatte klare blaue Augen, trug stets eine fröhliche Miene zur Schau, war witzig und schlagfertig.
Der Don war David Redfellow großen Dank schuldig, denn er hatte bewiesen, dass gesetzestreue Behörden im Zusammenhang mit Drogen bestochen werden konnten.
«David», sagte Don Clericuzio, «Sie ziehen sich aus dem Drogenhandel zurück. Ich habe etwas Besseres für Sie.»
Redfellow erhob keine Einwände. «Warum jetzt?», fragte er den Don.
«Erstens», antwortete dieser, «verwendet die Regierung zu viel Zeit und Mühe auf dieses Geschäft. Sie müssten bis an Ihr Lebensende in Angst und Sorge leben. Aber wichtiger noch, es ist zu gefährlich geworden. Mein Sohn Petie und seine Soldaten haben Ihnen als Leibwächter gedient. Das kann ich nicht länger zulassen. Die Kolumbianer sind zu wild, zu tollkühn, zu gewalttätig. Sollen die den Drogenhandel übernehmen. Sie ziehen sich nach Europa zurück. Ich selbst sorge für Ihren Schutz dort. Sie könnten in Italien eine Bank erwerben und in Rom Ihren Wohnsitz nehmen. Wir werden eine Menge Geschäfte dort abzuwickeln haben.»
«Großartig», gab Redfellow zurück. «Ich spreche nicht Italienisch, und ich habe keine Ahnung vom Bankgeschäft.»
«Das werden Sie alles lernen», erwiderte Don Clericuzio. «Und Sie werden ein glückliches Leben führen in Rom. Wenn Sie unbedingt wollen, können Sie natürlich auch hierbleiben, aber dann werde ich Sie nicht länger unterstützen, und Petie wird Ihr Leben nicht mehr beschützen. Sie können wählen.»
«Wer wird meine Geschäfte übernehmen?», fragte Redfellow. «Bekomme ich eine Abfindung?»
«Ihre Geschäfte werden die Kolumbianer übernehmen», antwortete der Don. «Das lässt sich nicht verhindern, das ist der Lauf der Geschichte. Doch die Regierung wird ihnen das Leben zur Hölle machen. Also, was ist – ja oder nein?»
Redfellow überlegte einen Moment und lachte dann. «Wann soll ich anfangen?»
«Giorgio wird Sie nach Rom begleiten und mit meinen Leuten dort bekannt machen», sagte der Don. «Und außerdem wird er Sie ständig beraten.»
Der Don umarmte David Redfellow. «Ich danke Ihnen, dass Sie meinen Rat angenommen haben. Wir werden auch in Europa noch Partner sein, und glauben Sie mir, dort lässt es sich sehr schön leben.»
Nachdem David Redfellow gegangen war, bestellte der Don Alfred Gronevelt ins Herrenzimmer. Als Besitzer des Hotels Xanadu in Vegas hatte Gronevelt unter dem Schutz der inzwischen ausgelöschten Familie der Santadios gestanden.
«Mr. Gronevelt», sagte der Don, «Sie werden das Hotel unter meinem Schutz weiterführen. Sie haben nichts zu befürchten, weder für sich noch für Ihr Eigentum. Sie werden einundfünfzig Prozent des Hotels behalten. Ich selbst übernehme die neunundvierzig Prozent, die zuvor den Santadios gehört haben, und lasse mich durch dieselbe Anwaltsfirma vertreten. Sind Sie damit einverstanden?»
Gronevelt war trotz seines Alters ein Mann von Würde und körperlicher Ausstrahlung. Behutsam gab er zurück: «Wenn ich bleibe, will ich das Hotel mit derselben Autorität wie früher betreiben. Sonst verkaufe ich Ihnen meinen Anteil.»
«Verkaufen – eine Goldgrube?», fragte der Don ungläubig. «Nein, nein, von mir haben Sie nichts zu befürchten. Ich bin vor allem anderen Geschäftsmann. Wären die Santadios maßvoller gewesen, wären all diese schrecklichen Dinge nicht geschehen. Jetzt existieren sie nicht mehr. Doch Sie und ich, wir sind vernünftige Menschen. Meine Vertreter erhalten die Prozente der Santadios. Und Joseph De Lena, Pippi, wird der Respekt entgegengebracht werden, der ihm gebührt. Er wird im Westen mein bruglione sein, mit einem Gehalt von einhunderttausend pro Jahr, bezahlt von Ihrem Hotel in der Form Ihrer Wahl. Sollten Sie mit irgendjemandem Probleme haben, wenden Sie sich an ihn. In Ihrer Branche gibt es ja immer wieder Probleme.»
Gronevelt, ein hochgewachsener, magerer Mann, wirkte gelassen. «Warum bevorzugen Sie mich? Sie haben andere, einträglichere Möglichkeiten.»
«Weil Sie ein Genie in Ihrem Beruf sind», antwortete Don Domenico ernst. «Das sagen alle in Las Vegas. Und um Ihnen meine Wertschätzung zu beweisen, erhalten Sie von mir eine Gegenleistung.»
Gronevelt lächelte. «Sie haben mir schon genug gegeben. Mein Hotel. Was könnte sonst noch wichtig sein?»
Der Don schenkte ihm ein wohlwollendes Lächeln, denn obwohl er immer sehr ernst wirkte, hatte er großen Spaß daran, die Menschen mit seiner Macht zu überraschen. «Sie dürfen den nächsten Kandidaten für die Gaming Commission von Nevada ernennen», sagte der Don. «Dort ist ein Platz frei geworden.»
Dies war eine der seltenen Gelegenheiten in seinem Leben, da Gronevelt aufrichtig überrascht, aber auch tief beeindruckt war. Vor allem aber war er hochgestimmt, denn auf einmal sah er eine Zukunft für sein Hotel, wie er sie sich nie hätte träumen lassen. «Wenn Sie das schaffen», sagte Gronevelt, «werden wir in den kommenden Jahren alle zusammen sehr reich werden.»
«Es ist geschafft», erwiderte der Don. «Und jetzt können Sie nach draußen gehen und sich amüsieren.»
«Ich fahre nach Vegas zurück», erklärte Gronevelt. «Ich halte es nicht für geschickt, die Leute merken zu lassen, dass ich hier zu Gast bin.»
Der Don nickte. «Petie, du sorgst dafür, dass Mr. Gronevelt nach New York gefahren wird.»
Jetzt befanden sich außer dem Don nur noch seine Söhne, Pippi De Lena und Virginio Ballazzo im Zimmer. Sie wirkten ein wenig bestürzt. Der Don hatte nur Giorgio ins Vertrauen gezogen. Die anderen hatten von seinem Plan keine Ahnung gehabt.
Ballazzo war jung für einen bruglione, nur ein paar Jahre älter als Pippi. Er regierte über die Gewerkschaften, das Transportwesen im Bekleidungsdistrikt und einen Teil des Drogenhandels. Don Domenico sagte ihm, von nun an dürfe er selbständig handeln, unabhängig von den Clericuzios. Lediglich einen Tribut von zehn Prozent müsse er entrichten. Davon abgesehen sei er auf seinem Gebiet jedoch Alleinherrscher.
Virginio Ballazzo war überwältigt von so viel Großzügigkeit. Normalerweise ein überschäumender Mann, der seinen Gedanken oder Beschwerden immer con brio Ausdruck verlieh, war er jetzt vor Dankbarkeit so gerührt, dass er den Don nur noch stumm umarmen konnte.
«Von diesen zehn Prozent werden fünf für Ihr Alter oder den Fall zurückgelegt, dass Sie ins Unglück geraten sollten», erläuterte ihm der Don. «Und nun verzeihen Sie mir, aber die Menschen ändern sich, sie haben ein schlechtes Gedächtnis, die Dankbarkeit für frühere Großzügigkeiten lässt nach. Deswegen möchte ich Sie ermahnen, bei Ihren Abrechnungen hundertprozentig korrekt zu sein.» Er hielt einen Moment inne. «Schließlich bin ich nicht das Finanzamt und kann Sie nicht mit Zinsen und Zuschlägen bestrafen.»
Ballazzo begriff. Don Domenico pflegte seine Strafe immer sehr schnell und zielsicher auszuteilen. Ohne jede Vorwarnung. Und diese Strafe war stets der Tod. Denn wie sollte man sich sonst eines Feindes erwehren?
Don Clericuzio entließ Ballazzo, doch als der Don gleich darauf Pippi zur Tür begleitete, zögerte er einen Moment, zog seinen Neffen dicht zu sich heran und flüsterte ihm ins Ohr. «Vergiss nicht, dass wir beide ein Geheimnis haben. Und dass es auf ewig unser Geheimnis bleiben muss. Von mir hast du den Befehl nicht erhalten. Verstanden?»
Auf dem Rasen vor dem Haus wartete Rose Marie Clericuzio darauf, mit Pippi De Lena zu sprechen. Sie war eine sehr junge und hübsche Witwe, aber Schwarz stand ihr nicht. Die Trauer um Ehemann und Bruder dämpfte ihre natürliche Lebhaftigkeit, die ihre besondere Schönheit ausmachte. Ihre großen braunen Augen waren zu dunkel, ihre olivfarbene Haut zu fahl. Nur ihr frisch getaufter, mit einem blauen Bändchen geschmückter Sohn Dante, der in ihren Armen ruhte, verlieh ihr einen kleinen Farbtupfer. Den ganzen Tag über hatte sie sich von ihrem Vater, Don Clericuzio, und ihren drei Brüdern Giorgio, Vincent und Petie seltsamerweise ferngehalten. Nun aber gedachte sie, Pippi De Lena zur Rede zu stellen.
Er war ihr Cousin, zehn Jahre älter als sie, und als Teenager war sie heftig in ihn verliebt gewesen. Aber Pippi hatte sich immer väterlich verhalten, war ihr stets ausgewichen. Zwar war er für seine Schwäche für Frauen bekannt, er war aber viel zu vorsichtig, um dieser Schwäche bei der Tochter seines Don nachzugeben.
«Hallo, Pippi», sagte sie. «Ich gratuliere.»
Pippi lächelte mit einem Charme, der seine brutalen Züge attraktiv machte. Als er sich hinunterbeugte, um dem Kind einen Kuss auf die Stirn zu drücken, entdeckte er überrascht, dass die Haare, in denen noch ein leichter Weihrauchduft von der Kirche hing, für ein so kleines Kind außergewöhnlich dicht waren.
«Dante Clericuzio, ein wunderschöner Name», sagte er lobend.
Das war nicht unbedingt ein unschuldiges Kompliment. Rose Marie hatte für sich und ihr vaterloses Kind ihren Mädchennamen wieder angenommen. Der Don hatte sie mit unwiderlegbarer Logik von dieser Notwendigkeit überzeugt, und dennoch hatte sie irgendwie ein schlechtes Gewissen.
Aus diesem Schuldbewusstsein heraus sagte Rose Marie: «Wie hast du’s geschafft, deine protestantische Frau zu einer katholischen Taufe und einem so religiösen Namen zu überreden?»
Pippi sah sie lächelnd an. «Meine Frau liebt mich. Sie würde mir jeden Gefallen tun.»
Und das stimmt, dachte Rose Marie. Pippis Ehefrau liebte ihren Mann, weil sie ihn nicht kannte. Nicht so, wie sie selbst ihn kannte und früher einmal geliebt hatte. «Warum musstest du deinen Sohn Croccifixio nennen?», fragte Rose Marie. «Du hättest deiner Frau wenigstens einen amerikanischen Namen zugestehen können.»
«Ich habe ihn nach deinem Großvater genannt», sagte Pippi. «Deinem Vater zuliebe.»
«Immer müssen wir alles meinem Vater zuliebe tun», stellte Rose Marie bitter fest. Doch diese Bitterkeit wurde durch ihr Lächeln gemildert. Auf ihrem Gesicht schien immer ein Lächeln zu liegen, und diese Lieblichkeit nahm allem, was sie sagte, die Spitze. Jetzt zögerte sie ein wenig. «Danke, dass du mir das Leben gerettet hast.»
Pippi starrte sie einen Moment verständnislos, erstaunt und ein wenig misstrauisch an. Dann sagte er leise: «Du warst keinen Augenblick in Gefahr», und legte ihr den Arm um die Schultern. «Das kannst du mir glauben», fuhr er fort. «Aber denk nicht mehr über diese Dinge nach. Vergiss einfach alles. Vor uns liegt ein glückliches Leben. Lass uns die Vergangenheit vergessen.»
Rose Marie neigte den Kopf, um ihren Sohn zu küssen; in Wirklichkeit wollte sie jedoch ihr Gesicht vor Pippi verbergen. «Ich verstehe alles», sagte sie, weil sie wusste, dass er ihrem Vater und ihren Brüdern von diesem Gespräch berichten würde, «ich habe meinen Frieden damit gemacht.» Sie wollte ihre Familie wissen lassen, dass sie sie alle immer noch liebte und zufrieden war, dass ihr Kind in die Familie aufgenommen und nunmehr auch durch die heilige Taufe von Sünden befreit und vor der ewigen Hölle gerettet worden war.
In diesem Moment kam Virginio Ballazzo, um Rose Marie und Pippi in die Mitte des Rasens zu führen. Und aus dem Haus trat, gefolgt von seinen drei Söhnen, Don Domenico Clericuzio höchstpersönlich.
Die Herren im Gesellschaftsanzug, die Damen in festlichen Kleidern, die Säuglinge in Satin – die Familie Clericuzio bildete für den Fotografen einen Halbkreis. Die Gäste applaudierten und riefen Glückwünsche, und so wurde die Szene festgehalten: ein Augenblick des Friedens, des Sieges und der Liebe.
Später wurde das Foto vergrößert, gerahmt und im Arbeitszimmer des Don neben dem letzten Porträt seines Sohnes Silvio aufgehängt, der im Krieg gegen die Santadios getötet worden war.
Der Don beobachtete die Festlichkeiten vom Balkon seines Schlafzimmers aus.
Rose Marie schob ihren Kinderwagen an den Bocciaspielern vorbei, während Nalene, Pippis Ehefrau, groß und schlank, mit ihrem Sohn Croccifixio auf dem Arm über den Rasen schritt. Sie legte das Kind neben Dante in den Wagen, und die Mütter blickten liebevoll auf die beiden Kleinen hinab.
Der Don spürte, wie eine Woge des Glücks bei dem Gedanken in ihm aufstieg, dass diese beiden Kinder behütet und beschützt aufwachsen und niemals erfahren würden, welch hoher Preis für ihre unbeschwerte Zukunft gezahlt worden war.
Dann sah der Don, dass Petie eine Babyflasche in den Wagen legte, und alle lachten, weil beide Babys um die Flasche kämpften. Als Rose Marie ihren Sohn Dante aus dem Wagen hob, dachte der Don daran, wie sie noch vor wenigen Jahren gewesen war. Er seufzte. Es gibt nichts Schöneres als eine verliebte Frau und nichts Herzzerreißenderes, als dieselbe Frau als Witwe zu sehen, dachte er voller Bedauern.
Rose Marie war das Kind gewesen, das er am innigsten geliebt hatte; so strahlend war sie immer gewesen, so von Fröhlichkeit erfüllt. Aber Rose Marie hatte sich verändert. Der Verlust von Bruder und Ehemann war zu hart für sie gewesen. Nach den Erfahrungen des Don konnten sich jedoch auch treue Liebende wieder verlieben, waren Witwen die schwarze Trauerkleidung früher oder später leid. Und nun hatte sie ein Kind, dem sie zärtliche Liebe schenken konnte.
Der Don blickte auf sein Leben zurück und freute sich, dass es so wundervolle Früchte getragen hatte. Gewiss, er hatte ungeheuerliche Entscheidungen treffen müssen, um zu Macht und Reichtum zu gelangen, doch darüber empfand er nur wenig Bedauern. Außerdem war alles notwendig gewesen und hatte sich dazu noch als richtig erwiesen. Sollten andere Männer über ihre Sünden jammern – Don Clericuzio akzeptierte sie und setzte all seinen Glauben auf Gott, der ihm, wie er wusste, vergeben würde.
Inzwischen spielte Pippi mit drei Soldaten aus der Bronx-Enklave Boccia, Männern, die älter waren als er und solide Geschäfte in der Enklave besaßen. Dennoch hatten sie Respekt vor Pippi. Dieser war mit seiner gewohnt guten Laune und Geschicklichkeit immer noch Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Er war eine Legende, er hatte gegen die Santadios Boccia gespielt.
Pippi war übermütig und jubelte laut, wenn seine Kugel die des Gegners vom Ziel wegschob. Welch ein Mann, dieser Pippi!, dachte der Don. Ein treuer Soldat, ein warmherziger Weggefährte. Stark und schnell, listig, klug und zurückhaltend.
Sein bester Freund Virginio Ballazzo hatte sich zu den Bocciaspielern gesellt, der Einzige, der Pippi an Geschicklichkeit gleichkam. Mit weitem Schwung schickte Ballazzo seine Kugel auf die Bahn, und alle jubelten, als er traf. Triumphierend hob er die Hand dem Balkon entgegen, und der Don applaudierte ihm. Er war stolz darauf, dass solche Männer unter seiner Herrschaft blühten und gediehen, wie es überhaupt all jene taten, die sich an diesem Palmsonntag in Quogue versammelt hatten. Und er war stolz, dass seine vorausschauende Klugheit sie auch in den nächsten schweren Jahren beschützen würde.
Was der Don jedoch nicht voraussehen konnte, das war die Saat des Bösen in noch unfertigen Menschenseelen.
Hollywood Las Vegas · 1990
Das zitronengelbe Sonnenlicht des kalifornischen Frühlings ließ Boz Skannets roten Haarschopf aufleuchten. Sein straffer, muskulöser Körper vibrierte vor Lust auf den großen Kampf. Über eine Milliarde Menschen auf der ganzen Welt würden Zeugen seiner Tat werden, er war voll freudiger Erregung.
Im Gummizug von Skannets Tennishose steckte eine Pistole, gut verborgen unter einer Jacke, deren Reißverschluss bis in den Schritt hinab geschlossen war. Auf der weißen Jacke leuchteten rote Blitze. Um die Haare hatte er sich ein scharlachrotes Tuch mit blauen Tupfen gebunden. In der Rechten hielt er eine Evianflasche. Boz Skannet gedachte, sich der Welt des Showbiz, vor die er gleich treten sollte, bestens zu präsentieren.
Eine dichtgedrängte Menschenmenge stand vor dem Dorothy Chandler Pavillon in Los Angeles. Gespannt erwartete sie die Ankunft des Filmstars, dem der Academy Award, der Oscar, verliehen werden sollte. Für die Zuschauer waren Tribünen errichtet worden, auf der Straße wimmelte es von TV-Kameras und Reportern, die ihre Bilder in alle Welt senden würden. Heute Abend konnten die Menschen ihre großen Filmstars leibhaftig und in voller Größe sehen, befreit von ihren künstlich geschaffenen, mythischen Masken, wehrlos dem Auf und Ab des realen Lebens ausgesetzt.
Um die Neugierigen zurückzuhalten, bildeten uniformierte Sicherheitsposten mit glänzend braunen Schlagstöcken in den Holstern einen dichten Kordon.
Doch über sie machte Boz Skannet sich keine Gedanken. Er war größer, schneller und härter als jeder einzelne dieser Männer und hatte außerdem den Vorteil der Überraschung für sich. Nur vor den TV-Reportern und Kameraleuten musste er sich in Acht nehmen, weil die furchtlos ihr Territorium absteckten, auf dem sie die Prominenten abzufangen gedachten. Aber die würden wohl eher darauf bedacht sein, die Szene aufzuzeichnen, als sie zu verhindern.
Als eine weiße Limousine vor dem Eingang zum Pavillon hielt, entdeckte Skannet Athena Aquitane, «die schönste Frau der Welt», wie viele Zeitschriften behaupteten. Während sie ausstieg, drängten sich die Zuschauer an die Barrieren und riefen ihren Namen. Kameras umgaben sie und übertrugen ihre Schönheit bis in die fernsten Zonen der Erde. Sie winkte.
Skannet flankte über den Tribünenzaun. Während er im Zickzack durch die Verkehrssperren spurtete, sah er die braunen Hemden der Sicherheitswachen, die sich auf ihn zu stürzen suchten. Das übliche Schema: Sie hatten den falschen Angriffswinkel, und er schlüpfte ebenso mühelos an ihnen vorbei wie vor Jahren auf dem Footballplatz an den angreifenden Gegenspielern. Er erreichte sein Ziel auf die Sekunde genau. Da war Athena, den Kopf geneigt, um den Kameras ihre Schokoladenseite zu bieten, und sprach ins Mikrophon. Drei Männer standen neben ihr. Skannet vergewisserte sich, dass ihn die Kamera erfasste, und dann schleuderte er Athena Aquitane die Flüssigkeit aus der Flasche ins Gesicht.
«Das ist Säure, du Miststück!» Dann blickte er mit ernster, ruhiger Miene direkt in die Kamera. «Sie hat es verdient», verkündete er. Und damit verschwand er unter einem Ansturm von Sicherheitsleuten mit gezückten Schlagstöcken. Er kniete am Boden.
Im letzten Moment hatte Athena Aquitane sein Gesicht gesehen. Als sie seinen Ruf hörte, wandte sie erschrocken den Kopf ab, und die Flüssigkeit traf sie nur noch auf Wange und Ohr.
Eine Milliarde TV-Zuschauer waren Zeugen. Sie sahen Athenas bezauberndes Gesicht, die silbrige Flüssigkeit auf ihrer Wange, den Schock und das Entsetzen, das Erkennen, als sie ihren Angreifer sah. Sekundenlang verzerrte abgrundtiefe Angst ihr schönes Gesicht.
Diese Milliarde TV-Zuschauer sah weltweit, wie die Polizei Skannet abführte. Er wirkte selbst wie ein großer Filmstar, als er seine gefesselten Hände zum Siegesgruß hob, krümmte sich aber sogleich vor Schmerz, weil ein wütender Polizeibeamter die Waffe in seinem Hosenbund fand und ihm einen kurzen, kräftigen Schlag in die Nieren versetzte.
Athena Aquitane, noch immer unter Schock, wischte sich die Flüssigkeit vom Gesicht. Sie verspürte kein Brennen. Die Tropfen auf ihrer Hand lösten sich auf. Um sie herum drängten sich Menschen, um sie zu schützen und in Sicherheit zu bringen.
Sie machte sich los und erklärte ihnen ruhig: «Es ist nur Wasser.» Um ganz sicherzugehen, leckte sie sich die letzten Tropfen von der Hand. Dann versuchte sie sich an einem Lächeln. «Typisch für meinen Mann», sagte sie.
Mit der unnachahmlichen Courage, die sie zur Legende gemacht hatte, betrat Athena rasch den Pavillon der Academy Awards. Als sie den Oscar als beste Schauspielerin erhielt, erhob sich das Publikum und applaudierte eine Ewigkeit lang, so schien ihr.
In der klimatisierten Penthouse-Suite des Xanadu in Las Vegas wartete der fünfundachtzigjährige Besitzer auf den Tod. An diesem Frühlingstag meinte er sechzehn Stockwerke tiefer das Klicken der Elfenbeinkugeln in den roten und schwarzen Vertiefungen der Rouletteschüsseln zu hören, das ferne Rufen von Würfelspielern, die mit heiseren Stimmen ihre rollenden Würfel anfeuerten, das Schnurren Tausender Spielautomaten, die Silbermünzen verschlangen.
Alfred Gronevelt war so glücklich, wie ein Mensch sein kann, wenn er stirbt. Viele Jahrzehnte hatte er als illegaler Geschäftsmann verbracht, als Amateur-Zuhälter, Glücksspieler, Mordgehilfe, politischer Manipulator und schließlich als strenger, doch gütiger Herr des Xanadu-Casino-Hotels. Aus Furcht vor Verrat hatte er niemals einen Menschen von Herzen geliebt, war aber zu vielen freundlich gewesen. Er empfand keine Reue. Jetzt genoss er die winzig kleinen Freuden, die es in seinem Leben noch für ihn gab. Wie etwa auch heute wieder die Nachmittagsrunde durchs Casino.
Croccifixio «Cross» De Lena, während der letzten fünf Jahre seine rechte Hand, kam ins Schlafzimmer. «Fertig, Alfred?», fragte er. Gronevelt lächelte ihm zu und nickte.
Cross half ihm auf und setzte ihn in den Rollstuhl, die Krankenschwester packte den alten Herrn in warme Wolldecken, und der Pfleger nahm seinen Platz hinter dem Rollstuhl ein. Die Schwester reichte Cross eine Pillendose und öffnete dann die Tür der Penthouse-Wohnung. Sie selbst blieb hier oben und wartete. Gronevelt konnte sie bei seinen Nachmittagsausflügen nicht ertragen.
Der Rollstuhl fuhr problemlos über den künstlichen Rasen des Penthouse-Gartens und in den privaten Expresslift, der sie die sechzehn Stockwerke bis ins Casino hinunterbrachte.
Gronevelt saß aufrecht in seinem Stuhl und blickte aufmerksam nach rechts und links. Es war ein Genuss für ihn, die Männer und Frauen zu sehen, die gegen ihn wetteten, wobei der Vorteil unweigerlich auf seiner Seite lag. Der Rollstuhl machte eine gemächliche Runde durch die Blackjack- und Roulette-Abteilung, den Baccarat-Bereich, den Dschungel der Würfeltische. Die Spieler bemerkten den Alten im Rollstuhl kaum, weder seine wachen Blicke noch das nachdenkliche Lächeln auf seinem totenkopfähnlichen Gesicht. Rollstuhlspieler waren in Vegas nichts Außergewöhnliches. Sie waren der Meinung, das Schicksal schulde ihnen zum Ausgleich für ihr Unglück ein wenig Glück.
Schließlich rollte der Stuhl in den Coffee Shop und Speisesaal. Der Pfleger brachte ihn zu seiner reservierten Nische und zog sich an einen anderen Tisch zurück, wo er auf das Zeichen zum Aufbruch wartete.
Durch die Glaswand konnte Gronevelt den riesigen Swimmingpool sehen, dessen Wasser unter der Sonne Nevadas in einem heißen Blau brannte, während sich junge Frauen mit kleinen Kindern wie buntes Spielzeug darin tummelten. Der Gedanke, dass dies alles von ihm geschaffen worden war, erfüllte ihn mit freudiger Genugtuung.
«Iss doch ein bisschen, Alfred», forderte Cross De Lena ihn auf.
Gronevelt sah ihn lächelnd an. Cross’ äußere Erscheinung gefiel ihm, der Mann war auf eine Art und Weise gutaussehend, die auf Männer wie auch auf Frauen anziehend wirkte, und er gehörte zu den wenigen Menschen, denen Gronevelt im Verlauf seines Lebens fast ein wenig vertraut hatte.
«Ich liebe diese Branche», sagte Gronevelt. «Du, Cross, wirst meine Anteile am Hotel erben, und ich weiß, dass du dich mit unseren Partnern in New York auseinandersetzen musst. Aber ich bitte dich, lass das Xanadu nicht im Stich.»
Cross tätschelte dem Alten die Hand, die unter der Haut nur noch aus Knochen bestand. «Bestimmt nicht», antwortete er.
Gronevelt spürte, wie die Glaswand das Sonnenlicht in sein Blut brannte. «Ich habe dir alles beigebracht, Cross», sagte er. «Wir haben Dinge getan, die für dich schwer waren, wirklich schwer. Du darfst nicht zurückblicken. Du weißt, dass man auf unterschiedlichste Weise reich werden kann. Tu also möglichst viel Gutes. Auch das zahlt sich aus. Ich spreche jetzt nicht von Liebe oder Hass. Die bringen nur sehr wenig ein.»
Gemeinsam tranken sie ihren Kaffee. Gronevelt aß nur ein blättriges Stückchen Strudel. Cross trank Orangensaft zu seinem Kaffee.
«Noch eines», fuhr Gronevelt fort. «Gib nie jemandem eine Villa, der nicht mindestens eine Million beim Spielen einsetzt. Merk dir das, und vergiss es nicht. Die Villen sind legendär geworden. Sie sind ein äußerst wichtiger Faktor.»
Wieder tätschelte Cross Gronevelts Hand und ließ diesmal die seine auf der Hand des Alten liegen. Seine Zuneigung war aufrichtig. In gewisser Weise liebte er Gronevelt mehr als seinen Vater.
«Keine Sorge», sagte Cross, «die Villen sind sakrosankt. Sonst noch etwas?»
Gronevelts Augen waren milchig; der graue Star dämpfte ihr altes Feuer. «Sieh dich vor», sagte er. «Sei immer sehr, sehr vorsichtig.»
«Das werde ich», gab Cross zurück. Dann sagte er, um den Alten von seinem bevorstehenden Tod abzulenken: «Wann wirst du mir alles über den großen Krieg gegen die Santadios erzählen? Du hast doch damals mit den Santadios zusammengearbeitet. Niemand verliert jemals ein Wort darüber.»
Gronevelt stieß den fast emotionslosen, hauchleisen Seufzer der Alten aus. «Die Zeit wird knapp», sagte er, «das ist mir klar. Aber noch kann ich nicht mit dir darüber sprechen. Frag deinen Vater.»
«Pippi habe ich schon gefragt», sagte Cross. «Aber er will nicht reden.»
«Was vergangen ist, ist vergangen», sagte Gronevelt. «Man soll niemals zurückblicken. Nicht, um Ausreden zu suchen. Nicht, um Rechtfertigungen zu suchen, und nicht, um das Glück zu suchen. Du bist, was du bist, die Welt ist, was sie ist.»
Wie jeden Nachmittag wusch die Schwester in der Penthouse-Suite Gronevelt mit einem Schwamm und kontrollierte Puls und Blutdruck. Als sie die Stirn runzelte, sagte Gronevelt: «Das sind nur die Zinsen.»
In der Nacht schlief er friedlich, und als der Tag anbrach, bat er die Schwester, ihm auf den Balkon zu helfen. Sie machte es ihm in dem geräumigen Sessel bequem und deckte ihn warm zu. Dann setzte sie sich neben ihn und nahm seine Hand, um den Puls zu fühlen. Als sie ihre Hand zurückziehen wollte, hielt Gronevelt sie fest. Sie ließ es geschehen, und so beobachteten sie gemeinsam, wie die Sonne über der Wüste aufging.
Die Sonne war ein roter Ball, der die Luft erst schwarzblau und dann dunkelorange färbte. Gronevelt sah die Tennisplätze, den Golfparcours, den Swimmingpool, die sieben Villen, strahlend wie Versailles, auf deren Dächern die Flagge des Xanadu wehte: waldgrüne Felder mit weißen Tauben. Und dahinter die Wüste mit ihrem endlosen Sand.
Das alles habe ich geschaffen, dachte Gronevelt. In einem öden Land habe ich einen Vergnügungspark errichtet. Und mir ein glückliches Leben erarbeitet. Aus dem Nichts. Ich habe versucht, ein guter Mensch zu sein, soweit das auf dieser Welt möglich ist. Sollte man mich dafür verdammen? Seine Gedanken wanderten in die Kindheit zurück, als er mit seinen Freunden, vierzehnjährigen Philosophen, über Gott und moralische Werte diskutierte, wie Jungen es damals eben taten.
«Wenn ihr nur auf einen Knopf drücken und eine Million Chinesen umbringen müsstet, um eine Million Dollar zu kriegen», fragte sein Freund triumphierend, als stelle er eine grandiose, unlösbare Rätselaufgabe, «würdet ihr’s tun?» Nach langen Diskussionen waren sie alle der Überzeugung, dass sie es nicht tun würden. Bis auf Gronevelt.
Und nun fand er, dass er recht gehabt hatte. Nicht wegen seines erfolgreichen Lebens, sondern weil diese grandiose Rätselfrage so nicht mehr gestellt werden konnte. Sie war heute kein Dilemma mehr. Man konnte die Frage nur noch so stellen:
«Würdet ihr den Knopf drücken, um zehn Millionen Chinesen zu töten» – warum eigentlich Chinesen? –, «für eintausend Dollar?» So musste die Frage heute lauten.
Mit dem heller werdenden Morgenlicht färbte die Welt sich grellrot, und Gronevelt umklammerte die Hand der Schwester, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Er konnte direkt in die Sonne blicken, denn der graue Star wirkte als Schutzschild. Schläfrig dachte er an bestimmte Frauen, die er gekannt und geliebt, an bestimmte Unternehmungen, die er durchgeführt hatte. An Männer, die er gnadenlos hatte zu Fall bringen müssen, wie auch an Augenblicke, in denen er anderen Gnade erwiesen hatte. Er dachte an Cross wie an einen Sohn und bemitleidete ihn und alle Santadios und Clericuzios. Er war froh, dass er das alles hinter sich ließ. Was war denn besser, ein glückliches Leben oder ein moralisches? Und musste man Chinese sein, um das zu entscheiden?
Diese letzte verwirrende Frage zerstörte seinen Geist endgültig. Die Schwester, die seine Hand hielt, fühlte, wie sie erkaltete, wie sich die Muskeln spannten. Sie beugte sich vor und suchte nach Lebenszeichen. Es gab keinen Zweifel: Er war nicht mehr.
Cross De Lena, Erbe und Nachfolger, arrangierte Gronevelts feierliche Beisetzung. Die wichtigsten Persönlichkeiten von Las Vegas, die ganz großen Glücksspieler, Gronevelts zahlreiche Freundinnen, das gesamte Personal des Hotels – sie alle mussten benachrichtigt und geladen werden. Denn Alfred Gronevelt war anerkanntermaßen der Genius des Glücksspiels von Vegas gewesen.
Er hatte Kapital für den Bau von Kirchen aller Glaubensrichtungen aufgebracht und gespendet, denn er sagte immer wieder: «Menschen, die an Religion und Glücksspiel glauben, müssen für ihren Glauben belohnt werden.» Er hatte den Bau von Slums verboten, er hatte erstklassige Krankenhäuser und Schulen gebaut. Und immer, wie er erklärte, aus Eigennutz. Atlantic City hatte er gehasst, weil dort unter dem Schutz des Staates Geld kassiert, aber nichts für die soziale Infrastruktur getan wurde.
Gronevelt war führend in dem Bemühen gewesen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass das Glücksspiel kein verächtliches Laster, sondern Freizeitunterhaltung für die Mittelklasse war, nicht weniger normal als Golf oder Baseball. In Amerika hatte er das Glücksspiel zu einer ehrbaren Industrie gemacht. Ganz Las Vegas würde ihm die letzte Ehre geben.
Cross schob seine persönlichen Gefühle beiseite. Er empfand einen tiefen Verlust, denn zeit seines Lebens hatte ein festes Band aufrichtiger Zuneigung zwischen ihnen bestanden. Und nun besaß Cross einundfünfzig Prozent des Xanadu. Im Wert von mindestens fünfhundert Millionen Dollar.
Er würde sein Leben ändern müssen, das wusste er. Da er jetzt um so viel reicher und mächtiger war, drohten ihm auch mehr Gefahren. Sein Verhältnis zu Don Clericuzio und seiner Familie würde sich ein wenig heikler gestalten, weil er nunmehr ihr Partner in einem gigantischen Unternehmen war.
Der erste Anruf, den Cross tätigte, ging nach Quogue; dort sprach er mit Giorgio, der ihm bestimmte Anweisungen erteilte. Giorgio erklärte ihm, dass von der Familie niemand außer Pippi an der Beerdigung teilnehmen werde. Außerdem werde Dante die nächste Maschine nach Vegas nehmen, um den bereits besprochenen Auftrag zu beenden, aber er dürfe nicht zu der Beerdigung gehen. Die Tatsache, dass Cross jetzt die Hälfte des Hotels besaß, wurde nicht erwähnt.
Von Claudia, seiner Schwester, lag eine Nachricht vor, doch als er sie anrief, erreichte er nur ihren Anrufbeantworter. Eine weitere Nachricht kam von Ernest Vail. Cross mochte Vail und hatte von ihm Schuldscheine über fünfzigtausend angenommen, aber Vail musste bis nach der Beisetzung warten.
Eine weitere Nachricht kam von seinem Vater Pippi, der ein lebenslanger Freund von Gronevelt gewesen war und dessen Rat er jetzt dringend brauchte. Wie sollte sein Leben weitergehen? Wie würde der Vater auf seinen neuen Status, seinen neuen Reichtum reagieren? Das war ein heikles Problem wie das Verhältnis zu den Clericuzios, die sich damit abfinden mussten, dass ihr bruglione im Westen jetzt zu eigener Macht und zu eigenem Reichtum gelangt war.
Der Don persönlich würde sich fair verhalten, daran zweifelte Cross keinen Moment, und dass ihn der eigene Vater unterstützen würde, war eigentlich vorauszusetzen. Die Kinder des Don jedoch, Giorgio, Vincent und Petie – wie würden die reagieren? Und der Enkel Dante? Er und Dante waren Feinde, seit sie gemeinsam in der Privatkapelle des Don getauft worden waren. Das war ein alter Familienscherz.
Und nun sollte Dante nach Las Vegas kommen, um sich Big Tim, den Rustler, vorzunehmen. Das beunruhigte Cross, weil er eine unerklärbare Schwäche für Big Tim hatte. Doch dessen Schicksal hatte der Don persönlich bestimmt, und Cross fragte sich, wie Dante wohl bei diesem Job vorgehen würde.
Die Beisetzung Alfred Gronevelts war die prächtigste, die Las Vegas jemals gesehen hatte, ein Tribut an ein einzigartiges Genie. Seinen Leichnam bahrte man in der protestantischen Kirche auf, die mit seinem Geld gebaut worden war, ein Gotteshaus, das die Größe europäischer Kathedralen mit den schrägen braunen Mauern der amerikanischen Eingeborenenkultur vereinte. Und der riesige Parkplatz war dank der hochgerühmten Erfindungsgabe von Las Vegas statt mit Bildern aus der religiösen Tradition Europas mit amerikanischen Eingeborenenmotiven ausgeschmückt worden.
Der Chor, der das Lob des Herrn sang und Gronevelt dem Himmel empfahl, kam von der Universität, der er drei Lehrstühle für Geisteswissenschaften gestiftet hatte.
Hunderte von Trauergästen, die das College mit Hilfe der von Gronevelt finanzierten Stipendien absolviert hatten, wirkten aufrichtig bedrückt. Einige der Anwesenden waren Glücksspieler, die ganze Vermögen an das Hotel verloren hatten und nun ein wenig schadenfroh waren, weil sie letztlich über Gronevelt triumphierten. Allein erschienene Frauen, einige davon im mittleren Alter, weinten leise. Vertreter der Synagogen waren ebenso gekommen wie Repräsentanten der katholischen Kirche, bei deren Bau er geholfen hatte.
Das Casino zu schließen hätte gegen alles verstoßen, woran Gronevelt glaubte, aber immerhin waren die Manager und Croupiers anwesend, die Nachtschicht hatten. Selbst einige Benutzer der Villen waren erschienen und erfreuten sich der besonderen Ehrerbietung von Cross und Pippi.
Auch Walter Wavven, Gouverneur des Staates Nevada, nahm an der Beisetzung teil – in Begleitung des Bürgermeisters. Der Sunset Strip wurde abgesperrt, damit die lange Reihe der silbernen Trauerwagen, schwarzen Limousinen und Trauergäste, die zu Fuß gekommen waren, den Toten auf den Friedhof begleiten konnten und Alfred Gronevelt zum letzten Mal durch die Welt fahren konnte, die er geschaffen hatte.
An jenem Abend zollten die Bürger und Besucher von Las Vegas Alfred Gronevelt jenen letzten Tribut, der ihm am liebsten gewesen wäre: Sie spielten mit einer Hingabe, die, sah man vom Silvesterabend ab, einen neuen Rekord für den «Drop» einbrachte. Um ihm die letzte Ehre zu erweisen, begruben sie ihr Geld zusammen mit seinem Leichnam.
Am Ende jenes Tages bereitete sich Cross De Lena auf sein neues Leben vor.
Am selben Abend saß Athena Aquitane allein in ihrem Strandhaus in der Malibu Colony und überlegte, was sie tun sollte. Die Meeresbrise, die von draußen durch die offenen Fenster hereindrang, ließ sie frösteln.
Einen so weltberühmten Filmstar wie sie kann man sich nur schwer als Kind vorstellen. Ebenso wenig kann man sich vorstellen, wie dieses Kind allmählich zur Frau heranwuchs. Das Charisma der Filmstars ist so ausgeprägt, dass es den Anschein hat, sie seien als voll herangereifte, erwachsene Schönheiten dem Kopf des Zeus entsprungen. Sie haben als Kinder niemals ins Bett gemacht, haben niemals Schmerzen, niemals ein hässliches Gesicht gehabt, aus dem sie herauswachsen mussten, haben niemals mit der lähmenden Schüchternheit der Halbwüchsigen kämpfen müssen, niemals masturbiert, niemals um Liebe gebettelt, waren nie hilflos dem Schicksal ausgeliefert. Daher fiel es Athena jetzt sehr schwer, sich an eine solche Person zu erinnern.
Athena fand, dass sie seit ihrer Geburt zu den glücklichsten Menschen der Welt gehörte. Alles war ihr wie selbstverständlich zugefallen. Sie hatte wundervolle Eltern, die ihre Begabung erkannten und förderten. Sie bestaunten ihre Schönheit, taten aber alles, was in ihrer Macht stand, um auch ihren Geist zu bilden. Ihr Vater unterrichtete sie im Sport, ihre Mutter in Literatur und Kunst. Sie konnte sich nicht erinnern, in ihrer Kindheit je unglücklich gewesen zu sein. Bis sie siebzehn Jahre alt wurde.
Da verliebte sie sich in Boz Skannet, der vier Jahre älter war als sie und am College als regionaler Footballstar gefeiert wurde. Seiner Familie gehörte die größte Bank in ihrem Heimatstaat Texas. Boz war fast ebenso gutaussehend, wie Athena schön war, außerdem war er lustig und charmant und bewunderte sie. Die beiden vollkommenen Körper zogen sich gegenseitig an wie Magneten, alle Nervenenden standen unter Hochspannung, beider Haut war wie Milch und Seide. Sie schwebten in einem nur ihnen vergönnten Himmel, und um sicherzugehen, dass dieser Zustand ewig dauerte, heirateten sie.
Nach wenigen Monaten wurde Athena schwanger, nahm aber nur wenig zu; und da ihr auch nie übel wurde, konnte sie sich an dem Gedanken, ein Kind zu bekommen, rückhaltlos erfreuen. Sie ging weiterhin aufs College, studierte Theaterwissenschaft und spielte Golf und Tennis. Boz vermochte sie zwar im Tennis zu schlagen, beim Golfspiel war sie ihm aber weit überlegen.
Boz trat in die Bank seines Vaters ein. Sobald das Kind geboren war, ein kleines Mädchen, das sie Bethany tauften, setzte Athena ihr Studium fort, denn Boz verfügte über so viel Geld, dass sie sich ein Kindermädchen und eine Hausangestellte leisten konnten. Die Ehe steigerte Athenas Wissensdurst. Sie las mit Begeisterung, vor allem Bühnenstücke. Sie liebte Pirandello, Strindberg versetzte sie in Schrecken, sie weinte über Tennessee Williams. Athena sprühte nur so vor Lebenslust, und ihre Intelligenz verlieh ihrer Schönheit eine Würde, die Schönheit sonst zuweilen vermissen lässt. Es war also nicht verwunderlich, dass viele Männer, junge und alte, sich in sie verliebten. Boz Skannets Freunde beneideten ihn um diese Frau. Athena war sehr stolz auf ihre Vollkommenheit, bis sie in späteren Jahren feststellen musste, dass sie eben dadurch viele Menschen verärgerte, sogar Freunde und Liebhaber.
Boz scherzte, es sei, wie wenn er einen Rolls jeden Abend auf der Straße parken müsse. Er war intelligent genug, um zu begreifen, dass seine Frau für Höheres bestimmt, dass sie ein außergewöhnlicher Mensch war. Und er erkannte deutlich, dass es sein Schicksal war, sie zu verlieren, wie er sie in seinen Träumen ja bereits verloren hatte. Es gab keinen Krieg, in dem er seinen Mut beweisen konnte, obwohl er keine Furcht kannte. Er wusste, dass er über Charme und gutes Aussehen verfügte, nicht aber über eine besondere Begabung. Auch war er nicht daran interessiert, ein Riesenvermögen anzuhäufen.
Er war neidisch auf Athenas Fähigkeiten, auf die Sicherheit, mit der sie ihren Platz in der Welt einnahm.
Also warf Boz Skannet sich seinem Schicksal in die Arme. Er trank im Übermaß, er verführte die Ehefrauen seiner Kollegen und tätigte in der Bank seines Vaters zwielichtige Geschäfte. Er war zunehmend stolz auf eine Verschlagenheit, so wie jeder Mensch stolz auf eine neuerworbene Fertigkeit ist, und kaschierte mit ihrer Hilfe seinen wachsenden Hass auf die eigene Frau. Es erschien ihm geradezu heldenhaft, eine so schöne und perfekte Frau wie Athena zu hassen.
Boz’ Gesundheit war trotz seiner Ausschweifungen hervorragend. Daran klammerte er sich. Er schuftete im Fitnessclub und nahm Boxunterricht. Er liebte den Ring, in dem er seinen Körper ausleben, wo er seine Faust in ein Gesicht schmettern konnte; den Wechsel von der Geraden zum Haken; das stoische Einstecken von gegnerischen Schlägen. Er liebte die Jagd, das Töten von Tieren. Er liebte es, naive Frauen zu verführen, liebte die Einförmigkeit von Liebesaffären.
Mit Hilfe seiner neuentdeckten Hinterlist fand er einen Ausweg: Er und Athena könnten sich mehr Kinder zulegen. Vier, fünf, sechs. Das würde sie wieder zusammenführen. Das würde sie davon abhalten, einfach auf und davon zu gehen. Athena aber durchschaute seine Absichten und lehnte ab. Und sie sagte: «Wenn du Kinder haben willst, mach sie mit den anderen Frauen, die du vögelst.»
Es war das erste Mal, dass sie ihm gegenüber eine so derbe Ausdrucksweise benutzte. Er war nicht überrascht, dass sie von seinen Seitensprüngen wusste, schließlich hatte er nicht versucht, sie geheim zu halten. Im Gegenteil, das war ja gerade seine List. Denn so würde er es sein, der ihr den Laufpass gab, nicht sie ihm.
Athena beobachtete genau, was mit Boz vorging, aber sie war zu jung und zu sehr auf ihr eigenes Leben konzentriert, um dem genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Erst als Boz’ Grausamkeit zutage trat, entdeckte Athena im Alter von zwanzig Jahren, wie hart sie sein konnte, wie ungeduldig im Umgang mit jeglicher Art von Dummheit.
Boz begann all die cleveren Spielchen der Männer zu treiben, die Frauen hassen. Und Athena hatte das Gefühl, dass er den Verstand verlor.
Auf dem Heimweg vom Büro holte er immer ihrer beider Sachen von der Reinigung ab. «Deine Zeit ist viel wertvoller als meine, Liebling», sagte er. «Schließlich musst du neben deiner Examensarbeit noch all die Unterrichtsstunden in Musik und Theaterwissenschaft besuchen.» Weil er das betont gleichmütig sagte, glaubte er, sie merke den hasserfüllten Vorwurf nicht, der in seiner Stimme lag.
Eines Tages kam Boz mit einem Arm voll ihrer Kleider nach Hause, während sie in der Badewanne saß. Er blickte auf sie hinab: auf ihr goldenes Haar, auf ihre weiße Haut, auf ihre runden, mit Seifenschaum verzierten Brüste und Hinterbacken. Mit halberstickter Stimme fragte er sie: «Was würdest du sagen, wenn ich den ganzen Krempel einfach zu dir in die Wanne werfe?» Stattdessen hängte er die Kleider in den Wandschrank, half ihr aus der Wanne und rieb sie mit rosaroten Frottétüchern trocken. Dann schlief er mit ihr. Wenige Wochen später wiederholte sich die Szene. Aber diesmal warf er die Kleider ins Wasser.
Eines Abends drohte er bei Tisch, das gesamte Geschirr zu zerschlagen, tat es aber nicht. Eine Woche später zerschlug er alles, was er in der Küche fand. Später entschuldigte er sich für diese Art von Zwischenfällen. Und jedes Mal versuchte er hinterher, mit ihr zu schlafen. Nun aber wies Athena ihn zurück, und sie schliefen in getrennten Schlafzimmern.
An einem anderen Abend hob Boz beim Essen die Faust und verkündete: «Dein Gesicht ist einfach zu perfekt. Wenn ich dir die Nase bräche, würde es vielleicht etwas charaktervoller, wie das von Marlon Brando.»
Sie floh in die Küche, aber er folgte ihr. In ihrer entsetzlichen Angst griff sie nach einem Messer. Boz lachte nur und sagte: «Das ist das Einzige, was du nicht kannst.» Und er hatte recht. Mühelos entwand er ihr das Messer. «War doch nur Spaß», beteuerte er. «Das ist wirklich dein einziger Fehler, dass du keinen Sinn für Humor besitzt.»
Mit ihren zwanzig Jahren hätte Athena bei ihren Eltern Hilfe suchen können, aber sie tat weder dies, noch vertraute sie sich Freunden an. Stattdessen durchdachte sie alles gründlich und baute auf die eigene Intelligenz. Sie erkannte, dass sie das College niemals beenden würde, dazu war ihre Lage zu gefährlich. Die Behörden konnten sie nicht beschützen, das war ihr klar. Flüchtig erwog sie einen regelrechten Feldzug, damit Boz sie wieder aufrichtig liebte, damit er wieder der alte wurde; inzwischen aber hatte sie eine so starke körperliche Abneigung gegen ihn, dass sie den Gedanken, von ihm berührt zu werden, nicht ertragen konnte, und sie wusste, dass sie nie wieder in der Lage sein würde, eine überzeugende Darstellung von Liebe zu bieten, obwohl dies ihrem Hang zum Dramatischen entsprach.
Das, was Boz schließlich tat, bestärkte sie in dem Beschluss, ihn zu verlassen. Es hatte nichts mit ihr zu tun, sondern mit Bethany.
Er liebte es, ihre einjährige Tochter beim Spielen in die Luft zu werfen und dann so zu tun, als wolle er sie nicht auffangen. Erst in letzter Sekunde streckte er die Arme nach ihr aus. Einmal jedoch ließ er das Kind scheinbar versehentlich aufs Sofa und dann, eines Tages, absichtlich auf den Boden fallen. Athena rang vor Entsetzen nach Luft und lief hinzu, um ihr Baby aufzuheben, an sich zu drücken, zu trösten. Die ganze Nacht saß sie wachend am Bettchen der Kleinen, um sich davon zu überzeugen, dass es ihr gutging. Bethany hatte eine erschreckend dicke Beule am Kopf. Boz entschuldigte sich unter Tränen und versicherte, er werde sie nie wieder auf diese Art quälen. Aber Athena hatte einen Entschluss gefasst.
Am folgenden Tag räumte sie ihre Konten leer. Dann entwarf sie einen komplizierten Reiseplan, damit niemand ihre Route verfolgen konnte. Als Boz zwei Tage später aus dem Büro nach Hause kam, waren sie und das Baby spurlos verschwunden.
Sechs Monate später tauchte Athena ohne Baby in Los Angeles auf und begann ihre Karriere. Ohne Mühe fand sie einen Agenten mittleren Niveaus und arbeitete in kleinen Theatergruppen. Im Mark Taper Forum spielte sie in einem Stück die Hauptrolle, danach kleinere Rollen in zweitrangigen Filmen, schließlich erhielt sie in einem A-Film eine Nebenrolle. In ihrem nächsten Film wurde sie bereits zum großen Star, und Boz Skannet kehrte in ihr Leben zurück.
Für die nächsten drei Jahre kaufte sie sich von ihm los, war aber keineswegs erstaunt über seine Attacke vor der Oscarverleihung. Ein alter Trick. Diesmal nur ein kleiner Scherz … das nächste Mal aber würde die Flasche tatsächlich Säure enthalten.
«Wir haben ein großes Problem im Studio», sagte Molly Flanders an jenem Vormittag zu Claudia De Lena. «Es geht um Athena Aquitane. Sie fürchten, dass sie wegen dieser Attacke bei der Oscarverleihung den neuen Film nicht weiterdrehen will. Bantz verlangt, dass du ins Studio kommst. Sie wollen mit dir über Athena reden.»
Claudia war mit Ernest Vail zu Molly ins Büro gekommen. «Sobald wir hier fertig sind, rufe ich bei ihr an», sagte Claudia. «Das kann doch nicht ihr Ernst sein.»
Molly Flanders war Medienanwältin und in jener Stadt voll ehrfurchtgebietender Menschen die gefürchtetste Verteidigerin der Filmrechte. Sie liebte den Kampf im Gerichtssaal über alles und gewann ihre Prozesse fast immer, weil sie eine großartige Schauspielerin und eine exzellente Juristin war.
Bevor sie sich auf Medienrecht spezialisiert hatte, war sie die beste Strafverteidigerin im Staat Kalifornien gewesen und hatte zwanzig Mörder vor der Gaskammer gerettet. Die höchste Strafe, die einer ihrer Mandanten abzusitzen hatte, waren einige Jahre für Totschlag. Dann aber hatten ihre Nerven gestreikt, und sie hatte sich aufs Medienrecht verlegt. Das sei nicht so blutig, sagte sie, aber man habe es dabei mit den größeren und intelligenteren Bösewichtern zu tun.
Inzwischen vertrat sie A-Film-Regisseure, lukrative Stars, Drehbuchautoren der Spitzenklasse. Am Morgen nach der Oscarverleihung kam Claudia De Lena zu ihr ins Büro, eine ihrer Lieblingsmandantinnen. Begleitet wurde sie von ihrem gegenwärtigen Co-Autor, dem ehemals berühmten Romancier Ernest Vail.
Claudia De Lena war eine alte Freundin und wenn auch nicht Mollys wichtigste Mandantin, so doch die ihr vertrauteste. Deshalb hatte sie auch zugestimmt, als Claudia sie bat, Vail als Mandanten anzunehmen. Jetzt bedauerte sie es, denn Vail war mit einem Problem gekommen, für das selbst sie keine Lösung zu finden vermochte. Außerdem war er ein Mann, für den sie keinerlei Zuneigung aufbrachte, obwohl sie mit der Zeit gelernt hatte, selbst Mörder zu mögen. Sie war ein wenig schuldbewusst, dass sie ihm eine schlechte Nachricht mitzuteilen hatte.
«Ernest», begann sie, «ich hab mir alle Verträge, sämtliche Dokumente vorgenommen. Aber es hat keinen Zweck, die LoddStone Studios weiterhin zu verklagen. Die einzige Möglichkeit, die Rechte zurückzubekommen, wäre, ins Gras zu beißen, bevor das Copyright erlischt. Und das heißt innerhalb der nächsten fünf Jahre.»
Vor zehn Jahren noch war Ernest Vail der berühmteste Romancier Amerikas gewesen, hochgelobt von Kritikern, viel gelesen von einem breiten Publikum. In einem Roman kam eine nicht geschützte Hauptperson vor, die LoddStone vermarktete. Sie kauften die Rechte, drehten den Film und erzielten einen enormen Erfolg. Zwei Fortsetzungen brachten ebenfalls ein Vermögen ein. Weitere vier Fortsetzungen waren beim Studio in Planung. Unglücklicherweise hatte Vail mit seinem ersten Vertrag dem Studio sämtliche Rechte an Personen und Titeln übertragen – auf allen Planeten des Universums, in allen möglichen Formen der Vermarktung. Der Standardvertrag für Romanciers, die noch keinen Einfluss in der Filmwelt besaßen.
Ernest Vail war ein Mann, der ständig eine grimmige, verbissene Miene zur Schau trug. Und dafür hatte er gute Gründe. Die Kritiker lobten seine Bücher immer noch, aber das Publikum las sie nicht mehr. Außerdem war er trotz seiner Begabung im Privatleben gescheitert. Seine Frau hatte ihn verlassen und die drei Kinder mitgenommen. Von dem einzigen Buch, das erfolgreich verfilmt worden war, hatte er ein einziges Mal profitiert, das Studio aber würde über die Jahre Hunderte von Millionen daran verdienen.
«Erklären Sie mir das», verlangte Vail.
«Die Verträge sind wasserdicht», gab Molly zurück. «Ihre Personen gehören dem Studio. Es gibt nur ein einziges Schlupfloch. Die Copyrightgesetze bestimmen, dass sämtliche Rechte an Ihren Werken bei Ihrem Tod an Ihre Erben zurückfallen.»
Zum ersten Mal lächelte Vail. «Wiedergutmachung», sagte er.
«Von was für Summen ist hier die Rede?», erkundigte sich Claudia.
«Bei einem fairen Handel», antwortete Molly, «fünf Prozent vom Bruttoerlös. Wenn wir mal voraussetzen, dass sie noch weitere fünf Filme daraus machen, die keine Flops sind, Gesamteinnahmen eine Milliarde weltweit, dann ist hier die Rede von dreißig bis vierzig Millionen.» Sie hielt einen Moment inne und lächelte ironisch. «Wenn Sie tot wären, könnte ich für Ihre Erben einen weit besseren Handel rausschlagen. Dann könnten wir denen wirklich die Pistole auf die Brust setzen.»
«Rufen Sie die Leute von LoddStone an», verlangte Vail. «Ich wünsche eine Unterredung. Ich werde ihnen klarmachen, dass ich mich umbringe, wenn sie mich nicht beteiligen.»
«Sie werden Ihnen nicht glauben», wandte Molly ein.
«Dann tu ich’s eben», sagte Vail.
«Sei doch vernünftig», sagte Claudia liebenswürdig. «Du bist erst sechsundfünfzig Jahre alt, Ernest. Das ist zu jung, um für Geld zu sterben. Für ein Prinzip, zum Wohle deines Landes, für die Liebe – gewiss. Aber doch nicht für Geld.»
«Ich muss meine Frau und meine Kinder versorgen», sagte Vail.
«Ihre Exfrau», berichtigte Molly. «Und außerdem. Sie haben seitdem noch zweimal geheiratet!»
«Ich spreche von meiner richtigen Frau», entgegnete Vail. «Von der, die meine Kinder auf die Welt gebracht hat.»